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doi:10.18452/27073 (edoc HU Berlin)

Das liest die LIBREAS, Nummer #12 (Frühling bis Sommer 2023)


Zitiervorschlag
Redaktion LIBREAS, "Das liest die LIBREAS, Nummer #12 (Frühling bis Sommer 2023)". LIBREAS. Library Ideas, 43 ().


Beiträge von Ben Kaden (bk), Sara Juen (sj), Karsten Schuldt (ks), Eva Bunge (eb), Viola Voß (vv), Dorothea Strecker (ds)

1. Zur Kolumne

Ziel dieser Kolumne ist es, eine Übersicht über die in der letzten Zeit erschienene bibliothekarische, informations- und bibliothekswissenschaftliche sowie für diesen Bereich interessante Literatur zu geben. Enthalten sind Beiträge, die der LIBREAS-Redaktion oder anderen Beitragenden als relevant erschienen.

Themenvielfalt sowie ein Nebeneinander von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Ansätzen wird angestrebt und auch in der Form sollen traditionelle Publikationen ebenso erwähnt werden wie Blogbeiträge oder Videos beziehungsweise TV-Beiträge.

Gerne gesehen sind Hinweise auf erschienene Literatur oder Beiträge in anderen Formaten. Diese bitte an die Redaktion richten. (Siehe Impressum, Mailkontakt für diese Kolumne ist zeitschriftenschau@libreas.eu.) Die Koordination der Kolumne liegt bei Karsten Schuldt, verantwortlich für die Inhalte sind die jeweiligen Beitragenden. Die Kolumne unterstützt den Vereinszweck des LIBREAS-Vereins zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation.

LIBREAS liest gern und viel Open-Access-Veröffentlichungen. Wenn sich Beiträge dennoch hinter eine Bezahlschranke verbergen, werden diese durch [Paywall] gekennzeichnet. Zwar macht das Plugin Unpaywall das Finden von legalen Open-Access-Versionen sehr viel einfacher. Als Service an der Leserschaft verlinken wir OA-Versionen, die wir vorab finden konnten, jedoch auch direkt. Für alle Beiträge, die dann immer noch nicht frei zugänglich sind, empfiehlt die Redaktion Werkzeuge wie den Open Access Button oder CORE zu nutzen oder auf Twitter mit #icanhazpdf um Hilfe bei der legalen Dokumentenbeschaffung zu bitten.

Die bibliographischen Daten der besprochenen Beiträge aller Ausgaben dieser Kolumne finden sich in der öffentlich zugänglichen Zotero-Gruppe: https://www.zotero.org/groups/4620604/libreas_dldl/library.

2. Artikel und Zeitschriftenausgaben

2.1 Vermischte Themen

Laskowska, Aneta (2022). Publication patterns of academic librarians from Norwegian higher education institutions 2016-2020. In: New Review of Academic Librarianship [Latest Articles], https://doi.org/10.1080/13614533.2022.2138478

Diese Studie zu den wissenschaftlichen Publikationen von norwegischen Bibliothekar*innen (an wissenschaftlichen Einrichtungen) ist vor allem deshalb interessant, weil hier einmal tatsächlich Daten aus einem Forschungsinformationssystem genutzt werden. In Norwegen gibt es seit Längerem die Anforderung an alle Angestellten an öffentlichen wissenschaftlichen Einrichtungen – und damit auch den dort tätigen Bibliothekar*innen – ihre Publikationen in einem solchen System, welches vom Forschungsministerium betrieben wird, einzutragen. Gleichzeitig gibt es eine Liste von Zeitschriften und Verlagen, die als wissenschaftlich angesehen werden. Für Publikationen in oder bei diesen werden jährlich Punkte vergeben. Diese Punkte sind für Forschende und Institutionen relevant, weil sie die Vergabe von Forschungsmitteln und die individuelle Karriere beeinflussen. Für Bibliothekar*innen gilt dies nicht unbedingt, auch wenn sie in einigen Einrichtungen zu Publikationstätigkeiten angeregt werden.

Die Autorin untersuchte nun auf der Basis der Daten aus dem Forschungsinformationssystem 224 Publikationen (sowohl Artikel als auch Monographien), die von Bibliothekar*innen aus Norwegen zwischen 2016 und 2020 veröffentlicht wurden. Es zeigt sich dabei, dass einige Einrichtungen – vor allem die Universitätsbibliothek in Tromsø – publikationsstark sind, andere hingegen nicht. Die Bibliothekar*innen der den Fachhochschulen im DACH-Raum vergleichbaren Colleges veröffentlichten praktisch nicht. Thematisch wurde vor allem in den Erziehungswissenschaften und der Bibliothekswissenschaft gearbeitet, die meisten Artikel stammten von Einzelautor*innen. Englisch überwog als Sprache, gefolgt von Norwegisch. Erstaunlich ist, dass in all den Jahren weiterhin nicht alle Publikationen im Open Access erfolgten (trotzdem sie von Bibliothekar*innen geschrieben wurden und es das Ziel des norwegischen Forschungsministeriums ist, bis 2024 einen Open Access-Anteil von 100 % zu erreichen). Was die Studie aber auch zeigt, ist, dass es sehr wohl möglich ist – so denn die Strukturen und vielleicht auch die Anreize dafür existieren – als Bibliothekar*in wissenschaftlich zu publizieren. (ks)


Khan, Aasif Mohammad ; Loan, Fayaz Ahmad (2022). Exploring the review of Google Maps to assess the user opinions about public libraries. In: Library Management 43 (2022) 8/9: 601–615, https://doi.org/10.1108/LM-05-2022-0053 [Paywall]

Das Interessante an dieser Studie ist vor allem, dass es ein proof-of-concept darstellt, welches relativ einfach reproduziert werden kann. Die eigentlichen Ergebnisse hingegen sind etwas sehr spezifisch an die lokalen Gegebenheiten gebunden.

Grundsätzlich wurden hier Bewertungen, die auf Google Maps zu fünf Öffentlichen Bibliotheken in Delhi und Neu-Delhi hinterlassen wurden, gesammelt und dann ausgewertet. Es zeigt sich, dass sich aus diesen ein relativ konsistentes Bild davon erstellen lässt, wie lokale Nutzer*innen und Besucher*innen aus anderen Regionen die Bibliotheken und ihre Angebote wahrnahmen. Grundsätzlich wurden sie in diesem Fall positiv wahrgenommen, ausser dem Personal, dessen Verhalten fast genauso oft negativ erwähnt wurde wie gelobt. Am positivsten waren die Rückmeldungen zu den Angeboten für Kinder. (ks)


Finlay, Jayne (2022). Staff perspectives of providing prison library services in the United Kingdom. In: Journal of Librarianship and Information Science [OnlineFirst], https://doi.org/10.1177/09610006221133834

Ziel des Textes ist es, die Stimmen des Bibliothekspersonals in Gefängnisbibliotheken in Grossbritannien hörbarer zu machen. Basis dazu ist eine Umfrage unter diesem Personal sowie zehn vertiefende Interviews mit Teilnehmenden der Umfrage. Durchgeführt wurde beides für eine Promotion. Interessant ist dabei, dass zumindest die Interviewten auch alle eine bibliothekarische Ausbildung haben (das kann man für Gefängnisbibliotheken in anderen Ländern nicht voraussetzen, wie in anderen Studien, die schon in dieser Kolumne besprochen wurden, sichtbar wurde). Zudem ist es in Grossbritannien gesetzlich vorgeschrieben, dass ein Gefängnis auch eine Bibliothek anbieten muss.

Sichtbar wird, dass das Personal in den Bibliotheken ihre Arbeit grundsätzlich positiv sieht und auch davon ausgeht, dass diese einen positiven Einfluss auf das Leben der Gefangenen hat – immer mit Einschränkungen und schwer zu messen, aber doch sichtbar. Von vielen Gefangenen würden die Gefängnisbibliothekar*innen als besondere Angestellte ohne Uniform wahrgenommen, denen mehr vertraut werden könne als anderen. Zudem gäbe es immer Gefangene, welche die Bibliothek und ihre Angebote nutzen würden. Dennoch sieht das Personal auch grosse Hürden. Sie seien einigermassen isoliert, sowohl vom restlichen Gefängnisleben – auch wenn es dabei immer Ausnahmen gibt – als auch von anderen Bibliothekar*innen und der gesamten Profession. (Eine Anzahl der Befragten berichtet aber auch, dass sie aktiv mit der nächsten Öffentlichen Bibliothek zusammenarbeiten.) Oft würden sie relativ allein gelassen. In einigen Fällen allerdings würde sich die Gefängnisleitung sehr für die Bibliothek engagieren oder aber die Bibliothek wäre explizit in die Bildungsaktivitäten der Anstalt und deren Planungen einbezogen. Alles in allem gibt der Text einen interessanten Einblick in die Arbeit der Gefängnisbibliotheken in Grossbritannien, die besser sein könnte, aber doch auch viele positive Seiten zu haben scheint. (ks)


Zellhöfer, David (2022). Warum stritten wir je um Discovery und OPAC?: Boutique-Recommender-Systeme als aktuelles Aufgabengebiet für Digitale Bibliotheken. In: b.i.t.Online 25 (2022) 3: 233–240, https://www.b-i-t-online.de/heft/2022-03-fachbeitrag-zellhoefer.pdf [Freier Zugang, ohne freie Lizenz]

Der reisserische Titel dieses Artikels täuscht über die relevanten Aussagen hinweg. Die Auseinandersetzung um OPAC oder Discovery-System werden vom Autor nur kurz am Anfang erwähnt, dann aber mit der Feststellung, dass sich heute Discovery-Systeme durchgesetzt haben, fallen gelassen.

Relevanter ist die im Artikel vorgenommene zusammenfassende Kritik der vorhandenen Discovery-Systeme. Diese würden praktisch alle auf eine veraltete Suchtechnologie setzen, die nicht die Möglichkeiten semantischer Daten und semantischer Suchen nutzt. Dieses Problem, so der Autor, sei nicht zu lösen, indem Bibliotheken noch mehr Studien zur Usability von Discovery-Systemen durchführen – diese gäbe es schon in ausreichender Zahl. Aber da die Discovery-Systeme nicht von Bibliotheken, sondern von Software-Anbietern entwickelt würden, seien die Einflussmöglichkeiten von Bibliotheken beschränkt. Grundsätzlich könnten sie Anbieter und Systeme wechseln, aber es gäbe nur wenige Alternativen. Stattdessen schlägt der Autor vor, dass sich Bibliotheken darauf konzentrieren sollten, Recommender Systeme zu entwickeln, die neben den Daten aus den Discovery-Systemen auch semantische Technologien einsetzen, um den Nutzer*innen kontextualisierte Ergebnisse zu liefern. (ks)


Centerwall, Ulrika (2022). In plain sight: School librarian practices within infrastructures for learning. In: Journal of Librarianship and Information Science [OnlineFirst], https://doi.org/10.1177/09610006221140881

Fokus des Artikels sind Schulbibliothekar*innen in Schweden und wie diese ihre eigene Arbeit beschreiben. Dazu wurden 22 Interviews in 14 Schulen geführt, deren Bibliotheken in den vergangenen Jahren von der Bibliotheksgewerkschaft als best practice ausgezeichnet wurden. Obgleich Schweden als eines der bibliothekarischen Vorzeigeländer gilt, es zudem seit 2010 ein Bildungsgesetz gibt, welches den Zugang zu einer Schulbibliothek für alle Schüler*innen des Landes vorschreibt und die untersuchten Bibliotheken für ihre Ausstattung und Arbeit ausgezeichnet wurden, zeigt der Text, dass die Situation der Schulbibliotheken nicht vollständig positiv ist. Erwähnt wird zum Beispiel, dass trotz des Gesetzes nur die Hälfte der Schüler*innen Zugang zu einer Bibliothek hat.

Der eigentliche Schwerpunkt des Textes ist die Eigenwahrnehmung der Arbeit der Schulbibliotheken. Diese ist laut Auswertung der Interviews davon gekennzeichnet, dass alle Schulbibliothekar*innen kontinuierlich daran arbeiten müssen, ihre Arbeit in der Schule bekannt zu machen, ihre Position zu etablieren und dafür zu werben, dass die Bibliothek einen Beitrag zu guter Bildung spielt. Die Autorin zeigt, dass laut der Forschung zu Schulbibliotheken (wobei sie allerdings praktisch nur US-amerikanische Forschung anführt) empirisch klar ein Zusammenhang zwischen gut ausgestatteten Schulbibliotheken und besseren Lernerfolgen von Schüler*innen besteht. Dies würde sich aber nicht im Schulalltag auszahlen. Vielmehr sei die Arbeit von Schulbibliotheken – und das dann wohl, auch wenn die Autorin selbst diesen Schluss nicht zieht, auch in Zukunft immer wieder neu – davon geprägt, dass sie um ihren Platz im Schulalltag kämpfen und Kollaborationen innerhalb der Schulen immer wieder neu aufbauen müsste.

Obgleich die Studie im schwedischen Kontext verortet ist, lassen sich auch für den DACH-Raum einige grundsätzliche Erkenntnisse ableiten. Dazu zählt insbesondere, dass gesetzliche Regelungen für das Vorhandensein von Bibliotheken noch nicht garantieren, dass diese tatsächlich eingerichtet und unterhalten werden und, dass Schulbibliotheken offenbar immer um ihre Rolle und Position in der jeweiligen Schule kämpfen müssen. (ks)


Gonnelli, Elena (2022). Per le scienze e per diletto: fonti archivistiche per lo studio delle biblioteche termali. In: Bibliothecae.it 11 (2022) 2: 161–193, https://doi.org/10.6092/issn.2283-9364/16241

Thermalbäder haben – nicht nur in Italien, um das es in diesem Artikel geht – eine lange Geschichte als Orte für Erholung, Gesundheitspflege, Freizeitgestaltung und als sozialer Raum. Die Autorin verweist zum Beispiel kurz auf die römische Antike und die dortigen öffentlichen Bäder. Im 19. Jahrhundert nahmen sie aber, zusammen mit dem Aufschwung von Massentourismus, moderner Gesellschaft und Wissenschaft, eine neue Rolle ein. Zum Beispiel wurden die Wirkungen von Bädern und Bäderkuren mit wissenschaftlichen Methoden untersucht oder als wissenschaftlich fundiert angepriesen (mit manchmal zweifelhafter Evidenz). In dieser Zeit entstanden Bäder als breitenwirksame Bade- und Kurorte, die teilweise bis heute Bestand haben.

Die Autorin geht in ihrem Text nun auf Bibliotheken ein, die für den Betrieb solcher Bäder aufgebaut wurden. Dabei geht es, erstaunlicherweise, nicht um die Freizeitliteratur, welche im Rahmen von Bäderbesuchen genutzt wurde, obgleich sie im Text auch kurz angesprochen werden. Vielmehr thematisiert die Autorin wissenschaftlich-praktische Spezialbibliotheken, welche vom technischen und pflegerisch-medizinisch tätigen Personal aufgebaut wurden, um zum Beispiel den Betrieb der technischen Anlagen oder den Ablauf der Bäderkuren zu organisieren. Neben einem grundsätzlichen Überblick geht sie auf ein explizites Beispiel ein – die Bibliothek der Montecatini-Terme in der gleichnamigen Stadt in der Toskana. Diese hat sich, inklusive handgeschriebenem Zettelkatalog, Möbeln und zahlreichen Unterlagen, in Stadtbibliothek, Stadtarchiv und den Räumen der Verwaltung der Terme bis heute erhalten, obwohl sie nicht mehr aktiv betrieben wird. Im Artikel wird auf den inhaltlichen Aufbau der Bibliothek – vor allem technische Werke – eingegangen, auf die Geschichte der Bibliothek sowie auf Nutzungsbedingungen. Zudem wird eine Anzahl von Bildern der Möbel und des Katalogs geliefert.

Die Autorin betont zu Recht, dass diese konkrete Bibliothek vielleicht deshalb heraussticht, weil sie heute noch so gut und vollständig erhalten ist (im Zustand der 1960er-Jahre), aber dass es in den zahlreichen anderen Thermalbädern, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert florierten, ähnliche dieser Spezialbibliotheken gegeben haben muss, die zu untersuchen die Aufgabe weiterer Studien wäre. (ks)


Rösch, Hermann; Sondermann, Frieder (2023): Starb den schönen Tod in seinem Berufe: Ein neu entdecktes zeitgenössisches Dokument zu Friedrich Adolf Eberts Sturz von der Bücherleiter. In: O-Bib. Das offene Bibliotheksjournal 10 (1), S. 1–18, https://doi.org/10.5282/o-bib/5908.

Friedrich Adolf Ebert (1791–1834), seiner Zeit Oberbibliothekar in Dresden, ist heute als einer der Begründer der Bibliothekswissenschaft und insbesondere für seine Todesursache bekannt: Er starb nach einem Sturz von der Bibliotheksleiter. Die Autoren beleuchten nun diese Todesumstände etwas genauer, nachdem in einem Brief des Gelehrten Carl August Böttiger (1760–1835) an den Oberbibliothekar der Herzoglichen öffentlichen Bibliothek zu Gotha, Friedrich Jacobs (1764–1847), neue Informationen zu Eberts Lebensumständen und dem berühmten Leitersturz entdeckt wurden. Dass Ebert einen recht streitbaren und eigensinnigen Charakter besaß, war schon aus anderen Quellen bekannt. Böttiger (der mit Ebert schon seit einiger Zeit zerstritten war) geht in seinem Brief noch einen Schritt weiter und beschreibt ihn als arbeitsfaulen und prokrastinierenden Alkoholiker. (eb)


Bolick, Josh ; Bonn, Maria ; Cross, Will (Hrsg.) [in Vorbereitung für Ende 2023]: Scholarly Communication Librarianship and Open Knowledge. https://lisoer.wordpress.ncsu.edu/book/

Hollister, Christopher V. ; Jensen, Jennifer M. K. (2023): Research Productivity Among Scholarly Communication Librarians. In: Journal of Librarianship and Scholarly Communication 11.1, https://doi.org/10.31274/jlsc.15621

Robrecht, Michèle (2022): Positionsbestimmung wissenschaftlicher Bibliotheken in der externen Wissenschaftskommunikation am Beispiel des Fraunhofer-Fachinformationsmanagements. Masterarbeit TH Köln, https://doi.org/10.24406/publica-303

Das Thema Wissen(schaft)skommunikation wird auch im Bibliothekswesen immer relevanter, wie zum Beispiel Robrecht 2022 aufzeigt. Die amerikanischen Kolleg:innen Christopher Hollister und Jennifer Jensen wollten herausfinden, in welchem Umfang Bibliothekar:innen, zu deren Aufgabenbereich scholarly communication responsibilities gehören, selbst Forschung und Lehre betreiben, welche Motivation dahintersteht und wie sich das auf ihre anderen Tätigkeiten auswirkt. Ein Ergebnis ihrer Umfrage ist: Viele Teilnehmer:innen gaben an, dass Scholarly Communication kein Thema in ihrer Ausbildung war und sie daher zum Teil unter einer Art Impostor-Syndrom leiden, auch wenn sie schon seit Jahren in diesem Bereich arbeiten. Daraus ergeben sich Überlegungen für die zukünftige Gestaltung von Ausbildungsprogrammen und Stellenbeschreibungen beziehungsweise -anforderungen. In diesem Kontext ist auch das im Artikel erwähnte Handbuch OER + ScholComm von Bolick/Bonn/Cross interessant, das Ende 2023 erscheinen soll. (vv)


Collinson, Timothy ; Porter, Hannah ; Work, Collin K. (2021): University of Portsmouth library subject pages: a flexible in-house system for guidance and resource discovery. In: The Journal of Academic Librarianship 2022 48.1:102453 https://doi.org/10.1016/j.acalib.2021.102453 [Paywall]

Der Aufbau und vor allem die Pflege von Fachinformationsseiten – Informationsquellen für die Anglistik, Recherche-Tipps für Biolog:innen und ähnliche – sind bekanntlich sehr aufwendig. Ein limitierender Faktor kann dabei sein, dass die Fachreferent:innen die Seiten nicht selbst bearbeiten können und Änderungswünsche an die Kolleg:innen der Webadministration melden müssen. An der Bibliothek der University of Portsmouth wurde ein datenbankbasiertes modulares System entwickelt, das ein kollaboratives Arbeiten ermöglicht, ohne sich in das Content-Management-System einarbeiten zu müssen, mit dem die übrigen Bibliotheksseiten gepflegt werden. Die Fachinformationsseiten sollen sich dennoch nahtlos in den Webauftritt einfügen: sie sollten ähnlich strukturiert sein, aber dennoch fachspezifische Inhalte bieten können. Ein Beispiel für eine mit dem neuen System erstellte Seite: https://library.port.ac.uk/subject/sub37.html. Für Bibliotheken, die über das Handling ihrer Fachinformationsseiten nachdenken, könnte die Portsmouther Variante, die der Artikel kompakt vorstellt, einige Anregungen geben. (vv)

2.2 Covid und die Bibliotheken

Garner, Jane ; Wakeling, Simon ; Hider, Philip ; Jamali, Hamid R. ; Kennan, Mary Anne ; Mansourian, Yazdan ; Randell-Moon, Holly (2022). The lived experience of Australian public library staff during the COVID-19 library closures. In: Library Management 43 (2022) 6/7: 427–438, https://doi.org/10.1108/LM-04-2022-0028 [Paywall]

In der vorgestellten Interviewstudie geht es – wie im Titel ersichtlich – darum, wie Bibliothekar*innen in Australien die Schliessungen ihrer Bibliotheken während 2020 und 2021 erlebt haben. Dabei befragten die Autor*innen Personen aus drei Bibliotheken, welche drei verschiedene geographische Kontexte (eine Grossstadt, eine Mittelstadt und eine «remote location») abdeckten. Grundsätzlich belasteten die Schliessung und die gesamte Situation die Bibliothekar*innen alle, wobei einige dies positiv verarbeiteten und andere eher negativ. Der Wechsel – für viele – in das Arbeiten von zuhause wurde grundsätzlich gut bewältigt, war aber nicht ohne Herausforderungen. Auch fiel dies einigen schwer. Gleichzeitig gab es unterschiedliche Einschätzungen von denen, welche trotzdem dazu eingeteilt wurden, weiterhin physisch vor Ort zu arbeiten, ob sie dies als geringe Wertschätzung ihrer selbst oder als Möglichkeit für persönliche Kontakte interpretieren sollten. Als Besonderheit heben die Autor*innen hervor, dass Bibliothekar*innen ihre Aufgabe darin sahen, ihre jeweilige Community während der Krise zu unterstützen, während sie diese gleichzeitig selber durchlebten. (ks)


Nash, Maryellen ; Lewis, Barbara ; Szempruch, Jessica ; Jacobs, Stephanie ; Silver, Susan (2022). Together, Apart: Communication Dynamics among Academic Librarians during the COVID-19 Pandemic. In: College & Research Libraries 83 (2022) 6: 946–965, https://doi.org/10.5860/crl.83.6.946

Mittels Ende 2020 durchgeführter Umfragen prüft die Studie die Annahme, dass sich durch die Online-Arbeit während des erstens Jahres der Covid 19-Pandemie das Zusammengehörigkeitsgefühl von Teams, die an Wissenschaftlichen Bibliotheken (in den USA) arbeiten, verbessert hätte. Zu dieser Annahme kamen die Autor*innen, weil sie es selber in ihrem Team erlebt hatten. Die Ergebnisse zeigen hingegen, dass es zwar kleine Veränderungen gab, aber dass sich die Einschätzungen der an der Umfrage teilnehmenden Bibliothekar*innen (N = 299) praktisch die Waage hielten: Ungefähr gleich viele fanden, dass sie mehr, gleich viel oder weniger Kontakt mit ihrem jeweiligen Team hatten. Zudem schätzte die überwiegende Anzahl schon Ende 2020 ein, dass sich die Veränderungen durch die Telearbeit nicht über die Pandemie hinaus verstetigen würden. (ks)


Lantzy, Tricia (2022). Involuntary Online Learners and the Library: How the Pandemic Closures Affected College Students’ Library Research. In. Journal of Library & Information Services in Distance Learning, https://doi.org/10.1080/1533290X.2022.2149662 [Paywall]

Eine Umfrage unter Studierenden der California State University San Marcos, welche 2020 / 2021 Einführungskurse besuchten, die von Bibliothekar*innen gehalten wurden und in die Recherche und Bibliotheksnutzung einführten, sollte Aufschluss darüber geben, wie deren Recherchepraxen und Sicht auf die Bibliothek sich während der Covid 19-Pandemie veränderten haben. Die Population war relativ klein (255 Studierende hätten antworten können, 134 Antworten gab es), aber innerhalb dieser gab es zwei Tendenzen, die im Artikel durch weitere Daten der Bibliothek ergänzt wurden. Erstens fanden ungefähr gleich viele Studierende die Situation belastend oder gerade nicht belastend. Es gab also keine allgemein geteilte Ansicht, sondern offenbar verschiedene Verarbeitungstendenzen. Zudem hatten fast alle Studierenden den Eindruck, dass sie trotz der Pandemiesituation die Recherche für ihre Studierendenarbeiten durchführen konnten, wenn es auch eine Anzahl von ihnen gab, welche die Arbeit im physischen Raum Bibliothek vermissten. Zweitens gab es eine Tendenz der Studierenden, den direkten Kontakt mit Bibliothekar*innen zu vermeiden, auch bei Nachfragen. Zwar bot die Bibliothek Chats und Videocalls, aber sie wurden viel weniger genutzt, als dies bei direkten persönlichen Kontakten vor der Pandemie üblich war. (Dies hat sich, laut Artikel, auch nach 2021 nicht geändert.) Studierende informierten sich eher über andere Wege, was die Autorin des Textes zu der Einschätzung bringt, dass Bibliotheken jetzt mehr Ressourcen in das Erstellen und Pflegen von Online-Seiten investieren müssten. (ks)


Dalmer, Nicole K. ; Sawchuk, Dana ; Ly, Mina (2022). I felt there was a big chunk taken out of my life: COVID-19 and older adults’ library-based magazine leisure reading. In: Leisure Studies, https://doi.org/10.1080/02614367.2022.2148719 [Paywall]

Fachlich kommen die Autor*innen dieser Studie aus der Leseforschung, nicht der Bibliothekswissenschaft. Die 21 Interviews, welche sie in diesem Text auswerteten, wurden zwar explizit zu der Frage geführt, wie ältere Personen (56 bis 81 Jahre) in Ontario, Kanada, die normalerweise in Öffentlichen Bibliotheken Zeitschriften lesen, dies während der Schliessungen während der Covid-19 Pandemie taten. Aber eingebettet sind sie in eine grössere Studie zum Zeitschriftenlesen. Die Fragen, die gestellt wurden, und die Forschung, in die sie eingebettet werden, stammen aber fast durchgängig aus der Leseforschung. Es geht also zum Beispiel darum, wozu Menschen Zeitschriften lesen und weniger darum, wie sie Bibliotheken an sich wahrnehmen – aber in diesem Text immer unter dem Fokus, warum sie dies in Bibliotheken taten.

Was sich zeigt, ist: (a) Das Lesen von Zeitschriften in Bibliotheken ist eingebunden in andere Tätigkeiten. Es geht den Interviewten oft um die Gestaltung ihrer Freizeit, zu der Besuche in der Bibliothek gehören. (b) Die meisten lesen Zeitschriften zur Unterhaltung, einige aber auch, um andere ihrer Hobbys zu unterstützen (also zum Beispiel als Gärtner*in Zeitschriften über das Gärtnern zu lesen). (c) Der Raum Bibliothek (inklusive des sozialen Settings) hat eine Bedeutung. Es geht explizit darum, dort, zwischen anderen Menschen, zu lesen. (d) Für viele ist es auch wichtig, dass die Zeitschriften kostenlos zugänglich sind und es gleichzeitig eine Auswahl von ihnen gibt. Selber kaufen sie kaum Zeitschriften. (e) Die Einschränkungen während der Schliessungen führten dazu, dass viele das Lesen von Zeitschriften ganz aufgaben. Sie ersetzten sie nicht mit anderen Medien oder mit digitalen Angeboten. (f) Eine kleine Anzahl der Interviewten stieg auf digitale Zeitschriften um, auch über digitale Angebote ihrer Bibliotheken selber. Ob dies langfristig so bleiben wird oder sie mit der Zeit wieder auf gedruckte Zeitschriften zurückgreifen werden, ist offen. (g) Grundsätzlich zeigte sich, dass die älteren Leser*innen von Zeitschriften eine sehr heterogene Gruppe sind, deren Lesemotivationen und -gewohnheiten schwer zu gruppieren sind. (ks)


Kosciejew, Marc (2021). The coronavirus pandemic, libraries and information: a thematic analysis of initial international responses to COVID-19. In: Global Knowledge, Memory and Communication 70 (2021) 5/5: 304–324, http://dx.doi.org/10.1108/GKMC-04-2020-0041 [Paywall]

Kosciejew, Marc (2022). National archives, records and the coronavirus pandemic: a comparative thematic analysis of initial international responses to COVID-19. In: Global Knowledge, Memory and Communication 71 (2022) 8/9: 732–753, http://dx.doi.org/10.1108/GKMC-04-2021-0066 [Paywall]

Der Autor untersucht in diesen beiden Texten jeweils mit der gleichen Methodik und Fragestellung, welche Themen – im Artikel von 2021 – einige Bibliotheksverbände beziehungsweise – im Artikel von 2022 – einige Nationalarchive Anfang 2020 in ihren jeweils ersten Erklärungen zur gerade beginnenden Covid-19-Pandemie behandelten. Der zweite Text stellt eine explizite Verbindung zwischen Bibliotheken und Archiven als cultural memory institutions her. In diesem Zusammenhang erwähnt er auch Museen, insoweit ist wohl ein weiterer Text zu diesen zu erwarten.

Grundsätzlich nahm der Autor die Erklärungen von Bibliotheksverbänden und Nationalarchiven aus einigen englischsprachigen Ländern des Globalen Nordens und analysierte sie jeweils auf vorkommende Themen. Dabei zeigte sich in beiden Fällen, dass es Gemeinsamkeiten, aber auch nationale Eigenheiten gab. Ausserdem gab es Gemeinsamkeiten zwischen Bibliotheksverbänden und Nationalarchiven. Immer ging es um die Themen Schliessung von Einrichtungen, den möglichen Weiterbetrieb von Services von Bibliotheken oder Archiven sowie den möglichen remote access zu Medien beziehungsweise Archivalien. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Bibliotheken und Archive zumindest in englischsprachigen Ländern des Globalen Nordens jeweils auf die Herausforderungen am Anfang der Covid-19-Pandemie ähnlich reagierten. (ks)


Pryce, Trecia Latoya ; Russell, Jollette ; Crawford, Marsha Nicola ; McDermott, Joan Opal ; Christina, Ariel ; Perkins, Nordia (2022). Experiences, perspectives, and emerging frameworks: COLINET libraries response to the COVID-19 pandemic. In: Global Knowledge, Memory and Communication 71 (2022) 8/9: 754–771, https://doi.org/10.1108/GKMC-03-2021-0055 [Paywall]

Gestützt auf Interviews, eine Fokusgruppe und eine Umfrage unter Bibliothekar*innen des Netzwerks der meisten jamaikanischen Hochschulbibliotheken wird in diesem Artikel dargestellt, wie diese Bibliotheken auf die Herausforderungen während der Covid-19 Pandemie reagierten. Die Autor*innen betonen zu Beginn, dass die Pandemie für Länder des Globalen Südens, wie Jamaika, Herausforderungen darstellen, die noch grösser waren als im Globalen Norden. In den Ergebnissen zeigt sich das aber kaum: Die Bibliotheken an jamaikanischen Hochschulen reagierten ähnlich, wie dies auch aus Texten über Bibliotheken im Globalen Norden (die ja unter anderem in dieser Kolumne referiert werden) bekannt ist. Sie alle setzten schnell auf elektronische Angebote, digitale Medien und flexible Formen des Arbeitens. Einige Bibliotheken schienen recht gut auf eine Krise vorbereitet gewesen zu sein, andere weniger. Einige mussten Personal entlassen, aber am Ende fanden die meisten Bibliotheken durch die Pandemie zu neuen Aufgaben und Arbeitsstrukturen. (ks)


Reid, Peter H. ; Mesjar, Lyndsay (2023). Bloody amazing really: voices from Scotland’s public libraries in lockdown. In: Journal of Documentation 79 (2023) 2: 301–319, https://doi.org/10.1108/JD-03-2022-0067 [Paywall] [OA-Version: https://rgu-repository.worktribe.com/output/1681684]

Der Text ist eine weitere explorative Studie – also letztlich eine Sammlung von semistrukturierten Interviews, deren Ergebnisse zusammengefasst werden – zu den Erfahrungen von Bibliotheken während der Covid-19-Pandemie. Fokus sind hier Öffentliche Bibliotheken in Schottland, befragt wurden 15 Leitungen auf Ebene der Gemeinden. Mehr Interviews wären möglich gewesen (bei 32 solcher Leitungen im Land), aber die Ergebnisse schienen den Autor*innen nach den geführten gesättigt. Es geht dabei um den gesamten frühen Verlauf der Pandemie, also den ersten Lockdowns bis zum Aufbau von Lieferdiensten und den ersten Öffnungen nach einigen Monaten. Dabei wird ein sehr positives Bild der Bibliotheken, des Personals und auch der zukünftigen Potenziale von Bibliotheken als Orte gezeichnet. Nach einigen Wochen der Orientierung hätten sie sehr schnell eigene Rollen gefunden und ihre Arbeit den Herausforderungen entsprechend organisiert. Teilweise scheint die Darstellung etwas übertrieben positiv – leicht kommt die Frage auf, warum Bibliotheken sich überhaupt Gedanken über ihre Zukunft machen, wenn sie in Krisen so schnell, flexibel und auf die Nutzer*innen ausgerichtet reagieren können. (ks)


Ragon, Bart ; Whipple, Elizabeth ; Rethlefsen, Melissa L. (2022). Except for my commute, everything is the same: the shared lived experience of health sciences libraries during the COVID-19 pandemic. In: Journal of the Medical Library Association 110 (2022) 4: 419–428, https://doi.org/10.5195/jmla.2022.1475

Auch diese Studie fragt nach den Erfahrungen von Bibliothekar*innen während der Frühphase der Covid-19-Pandemie, in diesem Fall spezifisch solche an Medizinbibliotheken in den USA und Kanada. Eine Besonderheit ist, dass insgesamt drei Umfragen unter den gleichen Bibliothekar*innen durchgeführt wurden, und zwar im April 2020, August 2020 und Februar 2021. So lassen sich Veränderungen nachvollziehen.

Wie auch in zahlreichen vergleichbaren Studien, die in letzter Zeit erschienen sind, zeigt sich, dass die Bibliotheken, an denen die befragten Bibliothekar*innen angestellt sind, relativ schnell und flexibel auf die sich bietenden Herausforderungen reagierten. Da Medizinbibliotheken an sich schon viele digital basierte Angebote machen und digitale Arbeitsweisen etabliert haben, war dies vielleicht sogar noch einfacher als bei anderen Bibliothekstypen. Bemerkenswert ist an den Ergebnissen der Studie, dass sie eine Veränderung in der Grundstimmung der Bibliothekar*innen zeigen: War die Stimmung zuerst recht positiv (in dem Sinne, dass ein neuer Teamgeist gesehen und eine wachsende Bedeutung der Bibliotheken erwartet wurde), zeigte sich im August 2020 eher Erschöpfung und ein relativ negativer Ausblick. Im Februar 2021 hatte sich dies in gewisser Weise eingependelt. Die negativen und positiven Äusserungen und Erwartungen hielten sich mehr oder minder die Wage. Für eine weitere Aufarbeitung der bibliothekarischen Arbeit während dieser Jahre wird also wohl zu beachten sein, dass sich die Haltung der Bibliothekar*innen selbst über die Zeit veränderte. (ks)


Ma, Jinxuan ; Wang, Ting ; Lund, Brady (2023). Analyzing Public Libraries as Civic Agents in Advocating for COVID-19 Vaccine Uptake. In: Public Library Quarterly [Latest Articles], https://doi.org/10.1080/01616846.2023.2197842 [Paywall]

Auf der Basis der Informationen, die auf den Homepages von 80 zufällig ausgewählten Public Libraries aus den USA verfügbaren waren, versuchten die Autor*innen zu klären, wie diese dazu beitrugen, Impfungen gegen Covid-19 zu verbreiten. (Benutzt wird dabei auch GPT-3, um diese Informationen zu clustern, was nicht sehr sinnvoll erscheint, da es sich nicht um so viele Daten handelt. Aber es zeigt, dass es möglich wäre, auch mehr solcher Daten zu clustern.) Gezählt werden dabei alle möglichen Aktivitäten von Bibliotheken, von ausgelegten Flyern über Informationsstände bis hin zu Impfungen, welche direkt in den Bibliotheken (von ausgebildetem Personal, nicht den Bibliothekar*innen selbst) vorgenommen wurden.

Interessant ist, dass dabei ein Zusammenhang zwischen der Grösse der Stadt, in denen die Bibliotheken angesiedelt sind, und deren Angeboten zu sehen ist: Je grösser die Stadt – und damit wohl auch je mehr Ressourcen die Bibliothek beziehungsweise das Bibliothekssystem zur Verfügung hat –, je mehr Informationen wurden von den Bibliotheken aktiv verbreitet und je mehr konkrete Angebote wurden gemacht. Ansonsten werten die Autor*innen ihre Ergebnisse so, dass Public Libraries einen grossen Einfluss auf die Verbreitung der Impfungen gehabt hätten. Das scheint aber eine übertrieben positive Wertung zu sein, die sich zumindest mit den Daten selbst nicht begründen lässt. (ks)

2.3 Critical Librarianship

Foster, Elizabeth ; McLaughlin, Anne ; Meyer, Zia ; Nuzum, Derek ; Rapchak, Marcia ; Reis, Heidi ; Saunders, Jess ; Wiley, Paula (2022). “They Don’t Necessarily Play Nice with Power Structure”: Experiences in a Critical Librarianship Reading Group. In: Journal of Radical Librarianship 8 (2022): 53–74, https://journal.radicallibrarianship.org/index.php/journal/article/view/71

In dieser Studie befragte sich praktisch eine Gruppe von Bibliothekar*innen, Studierenden im Bibliothekswesen und Bibliothekswissenschaftler*innen, welche sich monatlich online für eine Stunde zu einer Lesegruppe zu critical librarianship zusammenfinden, gegenseitig (plus einige andere Mitglieder der Gruppe) dazu, wieso sie an diesen Treffen teilnehmen, was sie daraus für ihre eigene Arbeit oder ihr Studium mitnehmen und welche Probleme sie mit der Gruppe sehen. Grundsätzlich finden sie das Lesen und gemeinsame Diskutieren von kritischen Themen hilfreich dafür, in anderen Zusammenhängen kritisch zu bleiben sowie um Strukturen zu hinterfragen. Problematisch ist für sie, dass eine reine Lesegruppe, die keine weiteren politischen Aktionen plant, rein performativ funktionieren kann: Die Mitglieder diskutieren, aber es folgt erst einmal nichts daraus. Interessant ist an diesem Text aber vor allem, dass solche Lesegruppen erfolgreich funktionieren können (und auch schon, was in der Literaturdiskussion sichtbar wird, in den vergangenen Jahren in anderen Texten vorgestellt wurden). Im Fazit geben die Autor*innen kurze Hinweise dazu, was beim Aufbau und Betreiben solcher kritischen Lesegruppen beachtet werden sollte. (ks)


Benoff, Emily (2022). The Clash of the Commons: An Imagined Library Commons Discourse. In: Urban Library Journal 28 (2022) 2: Article 2, https://academicworks.cuny.edu/ulj/vol28/iss2/2

Die Diskussion des Commons-Begriffs, seiner Geschichte und seiner heutigen Umsetzung in Bibliotheken ist nicht nur äusserst kritisch, sondern auch an die Geschichte des Kolonialismus in den USA und Kanada gebunden. Diese Gesellschaften werden als White Settler Communities verstanden und gefragt, wie der Diskurs um Commons, wie er in britischen Kolonialprojekten auf dem Kontinent umgesetzt wurde, mit dem heute im bibliothekarischen Diskurs und der bibliothekarischen Praxis dieser beiden Länder verbreiteten Verständnis von Commons verbunden ist. Grundsätzlich stellt die Autorin fest, dass nicht nur die Begriffsgeschichte eine kolonialistische Vergangenheit hat – unter der Idee der Commons wurde die gemeinsame Nutzung von leerem Land durch Siedler*innen verstanden –, sondern auch heute noch verbunden ist mit der Vorstellung des Schaffens von Räumen, ohne zu fragen, was in diesen Räumen schon ist und wer sie nutzt. Das führe dazu, dass unter dem Begriff Commons Räume und Strukturen geschaffen werden, die bestimmte Nutzungsweisen und Nutzer*innengruppen implizieren und andere wiederum ausschliessen. Das Bibliothekswesen würde somit, obgleich die Commons als offen und zukunftsgewandt verstanden werden, praktisch an der Fortschreibung von in der kolonialen Geschichte angelegten Ausschlüssen mitarbeiten, was sich insbesondere an indirekter Mitwirkung an der Gentrifizierung von Innenstädten zeige. Grundsätzlich fordert die Autorin, (a) dass der bibliothekarische Diskurs die Geschichte und den Inhalt der Begriffe, die verwendet werden, mit reflektieren muss, (b) dass bei der Umsetzung von Konzepten und Begriffen in die bibliothekarische Praxis auch darauf geachtet werden muss, welche Konsequenzen dies tatsächlich hat und (c) dass dies vor allem die Analyse von Machtstrukturen und Verdrängungsprozessen beinhalten muss.

Der Text ist eine tiefgehende Kritik, aber vor allem des US-amerikanisch / kanadischen Öffentlichen Bibliothekswesen. Im DACH-Raum ist der Begriff Commons im Bibliothekswesen nicht so verbreitet (dafür aber der des Dritten Ortes) und die Geschichte des Kolonialismus ist eine andere (obgleich auch keine, die vorbei wäre). Insoweit lässt sich der Beitrag mit grossem Abstand lesen. Aber es wird auch klar, dass ein solches Nachdenken über die (möglichen) Inhalte von Begriffen, die im Bibliothekswesen verbreitet sind, und den eventuell ausschliessenden Ergebnissen, wenn sie in die Praxis übersetzt werden, hierzulande gänzlich fehlt. (ks)


Clark, Jasmine L. ; Lischer-Katz, Zack (2023). (In)accessibility and the technocratic library: Addressing institutional failures in library adoption of emerging technologies. In: First Monday 28 (2023) 1–2, https://doi.org/10.5210/fm.v28i1.12928

Im Titel kündigen die Autor*innen an, über Accessibility von Bibliothekstechnologie zu schreiben. Aber das ist nur ein kleiner Teil dieses Essays. Vielmehr nutzen sie den Fakt, dass die schnelle, an Modellen der Softwareentwicklung orientierte Erarbeitung und Integration von Technologie in Bibliotheken in den vergangenen Jahrzehnten systematisch Fragen der Accessibility in den Hintergrund rücken würde (und dafür Ideen wie Innovation um der Innovation willen folgten), dafür, eine grundsätzliche Kritik an den Formen von Softwareentwicklung in Bibliotheken zu äussern. Diese würden, so die Autor*innen, den Zielsetzungen und Denkweisen von Soft- und Hardwareunternehmen sowie Start-Ups folgen, obgleich diese für Bibliotheken nicht anwendbar seien. Der Fokus auf technische Lösungen und Innovationen sowie schnelle Veränderungen hätte dazu geführt, dass Bibliotheken sich als grundsätzlich unmodern und veränderungswürdig begreifen würden, dass sie Prämissen setzen würden, die sie von ihren eigentlichen, auf die Gesellschaft ausgerichteten, Aufgaben entfernen würden und dabei gleichzeitig bestimmte Gruppen von Personen (gut ausgebildet, able-bodied, sozial abgesichert) in den Mittelpunkt von Bibliotheksentwicklung gestellt hätten, während alle anderen Mitglieder der Gesellschaft, und deren Bedürfnisse, in den Hintergrund gerückt worden wären. Es ist ein recht wütender Essay, der umgreifend ausholt und – wie oft bei solchen Texten – weniger Lösungen anbietet, als die (als falsch wahrgenommene) Situation zu beschreiben. (ks)


Jimenez, Andrea ; Vannini, Sara ; Cox, Andrew (2022). A holistic decolonial lens for library and information studies. In: Journal of Documentation 79 (2023) 1: 224–244, https://doi.org/10.1108/JD-10-2021-0205 [Paywall] [OA-Version https://eprints.whiterose.ac.uk/187903/]

In einem weiteren Beitrag zu der Frage, wie eine dekolonial orientierte Bibliotheks- und Informationswissenschaft aussehen und erreicht werden kann, skizzieren Jimenez et al. zuerst die Gefahr, dekolonial in einem neoliberalen (so die Autor*innen) Sinn einfach nur als Diversifikation der Literaturlisten zu verstehen. Vielmehr hätte der Begriff dekolonial einen fundamentalen, an den Denkstrukturen von Gesellschaft und Wissenschaft ansetzenden Ansatz, der erhalten bleiben müsse, um dessen kritisches Potenzial hin zu einer veränderten, gerechteren Wissenschaft auszuschöpfen. Dekolonial denken und handeln hiesse, langfristige Lern- und Veränderungsprozesse anzugehen, die auch zu grundlegenden institutionellen und persönlichen Transformationen führen müssten.

Anschliessend nutzen die Autor*innen ein framework on decolonisation (von Sabelo J. Ndlovu-Gatsheni), um solche Veränderungen im Bereich Bibliotheks- und Informationswissenschaft anzustossen. Sie benennen dazu eine, vom Framework vorgegebene, Anzahl von Themenbereichen, in denen Veränderung notwendig wäre und anschliessend, offene Fragen und Handlungsbereiche für Forschende in dieser Wissenschaft. Das Ganze ist, wie vieles, was zum Thema in den letzten Jahren geschrieben wurde, auf einer recht hohen Ebene angesiedelt – in konkretes Handeln muss es weiterhin von einzelnen Aktiven umgesetzt werden. Etwas ärgerlich ist dies, weil eine Kritik der Autor*innen selber ist, dass bislang schon vereinzelt in Projekten gehandelt werden würde, denen eine Verbindung fehlen würde, um einen nachhaltigen Einfluss zu haben.

Etwas erstaunlich ist zudem, dass bei der Thematisierung der postkolonialen Strukturen, mit denen die Wissenschaft verbunden ist, im ersten Teil des Artikels nicht auch thematisiert wird, dass Bibliotheken als konkrete Institutionen immer direkt mit Trägereinrichtungen verbunden sind. Das beeinflusst ihre konkreten Veränderungsmöglichkeiten. Nur, zum Beispiel, wenn sich das gesamte Universitätssystem dekolonial verändert, scheint auch eine Dekolonialisierung von Hochschulbibliotheken denkbar. Aber diese Abhängigkeit wird im Artikel, der den Anspruch erhebt, eine ganzheitliche Analyse vorzulegen, nicht thematisiert. (ks)

2.4 Open Science und Forschungsdatenmanagement

Petters, Jonathan L. ; Hilal, Amr E. ; Ogier, Andrea L. (2022). An Assessment of Research Data Services Through Client Interaction Records. In: Journal of Librarianship and Scholarly Communication 10 (2022) 1, https://doi.org/10.31274/jlsc.14439

Eine Gruppe des Forschungsdatamanagement (FDM)-Teams der Virginia Tech University Libraries wertet in diesem Text Daten aus, die das Team bei jeder Interaktion mit Nutzer*innen zwischen 2016 und 2020 erhoben hat. Die Daten wurden jeweils direkt nach der Interaktion aufgenommen. Im Text werden sie daraufhin ausgewertet, wie erfolgreich das 2016 etablierte Team agiert hat. Dabei geht die Gruppe davon aus, dass FDM heute grundsätzlich als Angebot von Wissenschaftlichen Bibliotheken, zumindest in den USA, etabliert sei.

Was die Daten zeigen, ist, dass die Zahl der Kontakte mit Forschenden und Studierenden in den ersten Jahren nach der Etablierung anstieg, aber jetzt auch schon ein gewisses Plateau erreicht hat. 2019 und 2020 ist sie nicht mehr merklich gestiegen. Dabei zeigt sich auch, dass ein immer mehr wachsender Teil der Kontakte auf Nutzende zurückgeht, welche diese mehrfach nutzen. Es gibt also eine wachsende Zahl von Nutzer*innen, die immer wieder auf das Angebot zurückgreift, aber gleichzeitig immer weniger neue Nutzer*innen. Was sich auch zeigt, ist, dass die Kontakte sich unregelmässig über die verschiedenen Institute und Colleges der Universität verteilen: Es gab mit allen Kontakte, aber es zeigen sich auch die Forschungsfelder, mit denen intensive Kontakte bestehen, nämlich der Landwirtschaftsforschung und den Geisteswissenschaften. Die Autor*innen schliessen daraus, dass es für die Weiterentwicklung der Services relevant wäre, sich auf die Nutzer*innen zu fokussieren, welche die Services des FDM-Teams hauptsächlich benötigen. Andere Forschende lösen die Herausforderungen des FDM offenbar anders, ohne die Unterstützung der Bibliothek. Von den Angeboten am häufigsten – mit einer grundsätzlich über die Jahre ähnlichen prozentualen Verteilung – wurden genutzt: Beratungsangebote, Dataset Operation (interactions in which we, as experts, do something to a dataset Petters et al. 2022: 12) und Visualisierungen.

Untersucht wird hier die Arbeit eines FDM-Teams in einer Universität, aber interessant ist die Frage, ob sich Ähnliches auch für vergleichbare Teams an anderen Hochschulen sagen lässt. Wenn ja, dann etabliert sich FDM wohl vor allem als spezifischer Service für eine bestimmte Gruppe von Forschungsfeldern. (ks)


Stahlman, Gretchen R. (2022). From nostalgia to knowledge: Considering the personal dimensions of data lifecycles. In: JASIST 73 (2022) 12: 1692–1705, https://doi.org/10.1002/asi.24687

Das Argument, welches die Autorin in dieser Studie macht, ist, dass das Teilen von Forschungsdaten eine emotionale Dimension für Forschende hat und, dass diese Dimension in den aktuellen Modellen des Forschungsdatenkreislaufes sowie der dazugehörigen Literatur nicht abgebildet wird. Daraus folgt unter anderem, dass diese Dimension in der Arbeit, die zum Beispiel von Bibliotheken in Bezug auf Forschungsdaten geleistet wird, nicht beachtet wird, obwohl sie eine Hauptmotivation für Forschende darstellen kann, sich überhaupt damit zu befassen, Daten langfristig teilbar zu machen.

Die Studie basiert auf Auswertungen von Interviews mit sechs Astronom*innen, welche im Zusammenhang der Doktorarbeit der Autorin – die sich eigentlich mit anderen Fragen beschäftigte – durchgeführt wurden. In diesen zeigte sich, dass Forschende vor allem am Ende ihrer Karrieren intrinsische Motive entwickeln, Daten langfristig nutzbar zu machen. Diese Motive werden in der Studie zusammengefasst als Nostalgie, Altruismus, intellektueller Anspruch, die Wissenschaft voranzutreiben und der Wunsch, nach der Karriere ein Vermächtnis zu hinterlassen. Das sind sichtbar andere Motive als Anforderungen von Forschungsfördern oder der politische Wunsch nach Offenheit in der Wissenschaft, die ansonsten in der Literatur als Motivationen für das Teilen von Forschungsdaten angesprochen werden. Nachdem die Autorin am Anfang der Studie erwähnt hat, dass es eine Anzahl von Modellen für den Forschungsdatenkreislauf gibt, welche allesamt die reale Situation nicht ganz darstellen, entwirft sie als Ergebnis ihrer Arbeit ein weiteres Modell, welches die Motive, die sie beschrieben hat, einbezieht. (ks)

2.5 Bestandsmanagement

Visser, Alie (2022). Digital Bookplates: Cataloging Processes and Workflows. In: Cataloging & Classification Quarterly 60 (2022) 8: 858–868, https://doi.org/10.1080/01639374.2022.2148801 [Paywall] [OA-Version: https://ir.lib.uwo.ca/wlpub/110/]

Der Artikel beschreibt, wie die Bibliotheken der Western University, Ontario, einen Workflow etabliert haben, mit denen Personen und Institutionen, welche den Bibliotheken Geld gespendet haben, mit digitalen Ex-Libris gewürdigt werden. Diese lösten 2012 gedruckte Ex-Libris ab. Heute werden, gestaffelt nach bestimmten Geldbeträgen und mit verschiedenen Optionen, eine bestimmte Anzahl von Büchern digital als gespendet von ausgezeichnet. Interessant ist der Artikel, weil er mit grosser Selbstverständlichkeit davon ausgeht, dass solche Spenden und der Umgang mit ihnen etablierter Teil des Arbeitsalltags von Bibliotheken ist. Deshalb ist die Etablierung eines Workflows auch folgerichtig und effizient. Im DACH-Raum würde dies wohl eher nur auf wenige Bibliotheken zutreffen. (ks)


Lawal, Ibironke ; England, Mark M. (2023). One size does not fit all: Common practices for standards collections and management. In: Issues in Science and Technology Librarianship (2023) 102, https://doi.org/10.29173/istl2626

Mithilfe einer Umfrage wurde für diesen Artikel ein Spezialbereich des Bestandsmanagements von Hochschulbibliotheken in den USA ausgeleuchtet. Das ist recht interessant, weil es Einblick in eine alltägliche, aber kaum in der Literatur behandelte bibliothekarische Arbeit liefert. Es handelt sich um die Frage, ob, wie und warum diese Bibliotheken technische Standards und Normen (also ISO-Normen und vergleichbare) managen. Diese zeichnen sich, verglichen mit anderen Medien, durch hohe Preise, wenige Anbieter (meist nur die Institutionen, welche die Normen erlassen) und schlechte Zugänglichkeit aus.

Es zeigt sich, dass dies von den Bedürfnissen der Nutzer*innen und den verfügbaren Ressourcen der Bibliotheken abhängt. Befragt wurden Bibliotheken von Hochschulen, deren Hochschulen auch eine technische Ausbildung anbieten, insoweit gab es schon eine Selbstauswahl. Die Ergebnisse zeigten darauf aufbauend, dass der Einsatz von Ressourcen der Bibliotheken für diesen Teil des Bestandes davon abhängt, wie viele Studierende in diesen Fächern eingeschrieben sind und wie der Unterricht organisiert ist. Je mehr Standards benötigt werden, umso eher werden sie direkt angeschafft oder Zugänge zu ihnen lizenziert. Ansonsten werden andere Bezugswege – insbesondere Fernleihe und Ad-hoc Erwerb – gewählt. Zudem gibt es einen Zusammenhang zur Grösse der Bibliothek: Je mehr Ressourcen diese hat, umso eher baut sie vorgängig einen expliziten Bestand von Standards auf, auch gedruckt. Je kleiner die Bibliothek, umso eher greift sie auf Ad-hoc Besorgungen zurück. (ks)


Barr, Peter (2023): Ethical acquisitions in academic libraries: a simple idea without a simple solution. In: Insights: the UKSG journal 36.1:2, https://doi.org/10.1629/uksg.600

Die Universitätsbibliothek Sheffield hat 2021 eine Comprehensive Content Strategy (CCS) verabschiedet, die darlegt how the Library provides access to the content required for teaching and research at the University, builds, manages and shares collections of ongoing cultural value that showcases the University’s research transforms academic publishing and scholarly communication. (https://www.sheffield.ac.uk/library/about/content-strategy)

Nach zwei Jahren blickt Peter Barr nun – teilweise sehr persönlich – auf die Genese des Strategiepapiers zurück, und bespricht einige Möglichkeiten und Grenzen ihrer Anwendung in der Praxis. Seine Überlegungen können für das Nachdenken über die eigenen Kriterien und Prinzipien für Bestandsaufbau und Zugänglichmachung interessant sein, wenn man es schafft, mal aus dem alltäglichen Kleinklein aus Erwerbungsbudgets, Lizenzierungsbedingungen, Anschaffungswünschen oder Transformationsvertragsdetails herauszuzoomen. (vv)

2.6 Bibliotheksmanagement

Natal, Gerald / Saltzman, Barbara (2022): Decisions, decisions, decisions: decision fatigue in academic librarianship. In: The Journal of Academic Librarianship 48.1:102476. https://doi.org/10.1016/j.acalib.2021.102476 [Paywall]

Entscheidungsmüdigkeit ist ein Phänomen, das wohl in allen Lebensbereichen und damit auch im Bibliothekswesen auftritt. Zwei Kolleg:innen aus Toledo, Ohio, haben – wohl zum ersten Mal – eine Umfrage dazu durchgeführt, wie verbreitet das Phänomen unter amerikanischen Bibliothekar:innen ist, welche Aufgaben davon vor allem betroffen sind und welche Faktoren einen Einfluss haben. Die Ergebnisse allow academic librarians to recognize the symptoms while suggesting ways to overcome its effects. Unter den Vorschlägen finden sich unter anderem zwei Klassiker: Pause machen und mal was essen. :)

Die Literaturübersicht, der Umfrage-Fragebogen und die Analyse der Antworten geben einen guten Einstieg ins Thema, falls jemand sich damit einmal beschäftigen will. Ob eine Umfrage im deutschsprachigen Raum wohl ähnliche Ergebnisse liefern würde? (vv)


Gou, Xiu ; Xu, Gordon (2023). Decision-Making in the Selection, Procurement, and Implementation of Alma/Primo: The Customer Perspective. In: Information Technology and Libraries 42 (2023) 1, https://doi.org/10.6017/ital.v42i1.15599

Diese Studie fokussiert – wieder einmal mit einer Umfrage – auf Bibliotheken und Bibliotheksverbünde in den USA und Kanada, welche in den letzten Jahren auf ein spezifisches Bibliothekssystem (das auch im DACH-Raum verbreitete ALMA) gewechselt sind. Es geht darum, wie und von wem die Entscheidungen dazu getroffen wurden. Im Artikel sind die Ergebnisse umfassend ausgebreitet. Hier hervorgehoben werden soll aber die Erkenntnis, dass es notwendig für Bibliotheken ist, gegenüber den Anbietern solcher Software stärker und mit klaren Anforderungen aufzutreten. Die Autor*innen betonen, dass die Bibliotheken viel mehr Druck ausüben könnten, da die Anbieter von ihnen abhängig seien. Eine Sammlung von Erfahrungen aus solchen Entscheidungsprozessen, wie sie mit diesem Text vorliegt, kann dabei helfen, den Wissensvorsprung der Anbieter (welche solche Prozesse viel öfter durchführen, als die einzelnen Bibliotheken und Verbünde) auszugleichen. (ks)

3. Monographien und Buchkapitel

3.1 Vermischte Themen

Leonelli, Sabina (2023) Philosophy of Open Science. [Preprint] http://philsci-archive.pitt.edu/id/eprint/21986

Sabina Leonelli ist Professorin für Philosophy and History of Science an der University of Exeter. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der Rolle von Daten in wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen. In ihrem neuen Buch, das vorab als Preprint erschienen ist, befasst sich Leonelli eingehend mit Open Science. Sie vollzieht die Geschichte von Open Science nach, betrachtet einige verbreitete Open-Science-Praktiken und hinterfragt mögliche Auswirkungen auf wissenschaftliche Erkenntnisprozesse. Abschließend beschreibt die Autorin eine alternative Sichtweise auf Open Science, die dem verbreiteten Modell gegenübergestellt wird.

Den Ursprung von Open Science sieht Leonelli als Reaktion auf die Digitalisierung des Wissenschaftssystems und die damit einhergehende Kommodifizierung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Open Science stellte anfangs den Versuch dar, finanzielle und rechtliche Hürden zu überwinden, um Produkte, die das Ergebnis von Forschungsprozessen darstellen, möglichst weit zu verbreiten. So sollte die Teilhabe an wissenschaftlichen Erkenntnissen ermöglicht werden, sowie ihre Überprüfung und Nachnutzung. Später wurde der Gegenstand sukzessive auf weitere Problemfelder (zum Beispiel den Peer-Review-Prozess) und Publikationstypen (zum Beispiel Lehrmaterialien) ausgeweitet.

Die Autorin stellt fest, dass inzwischen vermehrt uneingeschränkter Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen gefordert wird, der unter anderem sämtliche (Teil-)Produkte aller wissenschaftlichen Tätigkeiten umfasst. Aus dieser Beobachtung leitet sie eine Gewichtung von Zielen ab, die zuerst umfassende Transparenz vorsieht, und erst im Nachgang die Qualitätssicherung der geteilten Produkte und schließlich Inklusion.

Anhand von Beispielen zeigt sie, wie Open-Science-Praktiken implementiert werden können. Sie konzentriert sich dabei auf normative Aspekte, beispielsweise die Ausgestaltung der Nutzungsvereinbarungen von Forschungsdatenrepositorien und Vorgaben zu guter wissenschaftlicher Praxis. In allen Beispielen zeigen sich nicht nur Chancen, sondern auch Gefahren, beispielsweise die unbeabsichtigte Benachteiligung bestimmter Personengruppen. (ds)


Boyadjian, Julien (2022). Jeunesses connectées: Les digital natives au prisme des inégalités socio-culturelles. Villeneuve d’Ascq cedex: Presses universitaires du Septentrion, 2022 [gedruckt]

Diese Studie unter Schüler*innen in Frankreich will klären, ob sich die Vorhersagen über den Medienwandel durch «Digital Natives», welche Anfang der 2000er-Jahre gemacht wurden, bewahrheitet haben. Dazu wurde zuerst eine Umfrage in sozial verschieden aufgestellten Schulen durchgeführt und dabei auch gefragt, ob die Schüler*innen es zulassen würden, wenn die Forschenden deren Profile in Sozialen Medien (also zum Beispiel deren Facebook- oder Twitteraccounts) auswerteten. Und zuletzt wurden mit 35 Schüler*innen Interviews durchgeführt. Dabei achteten die Forschenden (es waren mehrere, auch wenn das Buch nur von einem Autor geschrieben wurde) darauf, alle in Frankreich möglichen Bildungskarrieren abzubilden. In einem «Vorkapitel» geht der Autor lange auf die Unterschiede zwischen den Schulen ein, beispielsweise einer «ecole de 2e chance», in welcher Jugendliche ihren Schulabschluss nachholen können und einer «prepa», welche darauf vorbereitet, einer der «grand ecoles» (die bis heute praktisch alle besucht werden müssen, um später der politischen und wirtschaftlichen Elite in Frankreich anzugehören).

Was sich zeigt, ist, dass es keine zusammenhängende «Generation» der digital natives gibt, sondern dass sich die Nutzung digitaler Medien und Social Media etabliert hat, dabei aber soziale Unterschiede in der Mediennutzung, die es auch bei traditionellen Medien schon gab, reproduziert wurden. (Dies gilt auch für die Bildungskarrieren, die sich auf der einen Seite verbessert haben, indem sich der Zugang zu Universitäten, Ausbildungsgängen und andere Bildungstitel seit Jahrzehnten verbessert hat, sich auf der anderen Seite aber die soziale Absonderung der Eliten und ihrer Kinder in den grand ecoles, erhalten hat.) Was sich grundsätzlich verändert hat, ist, dass gedruckte Zeitungen und Zeitschriften massiv an Bedeutung verloren haben – aber nicht ihre elektronischen Pendants, die weiterhin eine Hauptquelle für die Informationsbeschaffung darstellen. Es zeigt sich auch, dass politische Informationen oder aber konkrete politische oder gesellschaftliche Partizipation sich durch die digitalen Medien zwar verändert hat, aber grundsätzlich keine Veränderung dabei stattgefunden hat, wer sich informiert oder engagiert: Es sind weiterhin «nur» hoch politisierte Jugendliche, die zudem meisten aus sozial eher hoch gestellten Schichten stammen. Dies führt auch zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Entgegen der Befürchtung, dass Jugendliche mehr mit «Fake News» oder polarisierenden politischen Bewegungen in Berührung kommen würden als die Gesamtgesellschaft, zeigt sich, dass nur der Teil der Jugend, welcher sich an sich für politische Themen interessiert, überhaupt mit diesen in Kontakt kommt. Der Rest ignoriert sie.

Was sich aus der Studie grundsätzlich ziehen lässt – und für Bibliotheken interessant sein sollte – ist, dass sich in den letzten Jahrzehnten zwar die Medienformen gewandelt, aber, dass sich die sozialen Unterschiede bei der Mediennutzung dabei nicht gross verschoben haben. Dies steht gegen Erwartungen, welche in den frühen 2000er-Jahren geäussert wurden (beispielsweise zur Demokratisierung der Medien durch das Internet), aber auch gegen Wahrnehmungen zum Medienverhalten von Jugendlichen an sich. Sicherlich: Die Empirie in dieser Studie wurde in Frankreich gewonnen und basiert auch auf französischen Schulstrukturen, die es so in anderen Ländern Europas nicht gibt. Aber sie zeigt, dass es sinnvoll ist – auch in anderen Ländern – empirisch nach der konkreten Mediennutzung zu fragen und nicht einfach auf Behauptungen dazu, wie «die Jugend es anders macht», zu vertrauen. (ks)


Beudon, Nicolas (2022). Le merchandising en bibliothèque : 50 fiches thématiques pour rendre votre bibliothèque plus inspirante. (Le design des bibliothèques publiques; 1) Bois-Guillaume: Klog éditions [gedruckt]

Dieses Buch gibt eine Übersicht zu Möglichkeiten der Werbung für Bibliotheken, aber grösstenteils für unterschiedliche Formen der Bestandspräsentation (beschrieben mit dem im französischen Bibliothekswesen oft genutzten Wort valorisation, was sowohl als Inwertsetzung als auch Aufwertung übersetzt werden kann). Dabei geht es um sehr konkrete Fragen, beispielsweise wie Medien ins Regal zu stellen sind oder Informationstafeln platziert werden können. Der Autor bespricht die verschiedenen Möglichkeiten und ordnet sie ein wenig in den Kontext moderner Bibliotheken ein, aber in sehr knappen Worten, die sich wohl gut als Behauptungen oder Thesen beschreiben lassen. Seinen Wert hat das Buch vor allem dadurch, dass es diese Möglichkeiten der Bestandspräsentation und Werbung an einem Ort vereinigt und auch ausführlich bebildert. Auffällig ist allerdings, dass die Auswahl nicht sehr breit aufgestellt ist: Der Autor erwähnt, dass er übergreifende Trends aufzeigen will, führt dann aber neben Beispielen aus Frankreich fast nur solche aus skandinavischen oder US-amerikanischen Bibliotheken an. (ks)


Hahn, Daniela ; Hehn, Jennifer ; Hopp, Christian ; Pruschak, Gernot (2023). Mapping the Swiss Landscape of Diamond Open Access Journals. The PLATO Study on Scholar-Led Publishing. Report. https://doi.org/10.5281/zenodo.7461728

In der Studie, über die hier berichtet wird, wurde versucht, einen Überblick über die Diamond Open Access Zeitschriften, welche in der Schweiz publiziert oder mit schweizerischer Beteiligung herausgegeben werden, zu zeichnen. Dabei wurden Interviews mit Beteiligten und eine Analyse von Zeitschriften miteinander verbunden. Der nationale Fokus ist durch die Finanzierung (swissuniversities, die Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen, und die beteiligten Universitätsbibliotheken) sowie die Projektbeteiligten (alle an schweizerischen Hochschulbibliotheken angestellt) bedingt. Dieser Fokus stösst immer an Grenzen in der über solche Grenzen hinweg vernetzten Wissenschaftslandschaft. (Beispielsweise, um diese Art von Ego-Search zu betreiben, ist LIBREAS. Library Ideas nicht im Datensatz enthalten, obgleich es zwei schweizerische Redaktionsmitglieder gibt, dafür aber die Informationspraxis mit einem schweizerischen Redaktionsmitglied, aber auch dem Vereinssitz in Luzern.) Auch ist anzumerken, dass die Interviews mit Redakteur*innen solcher Zeitschriften geführt wurden, inklusive Fragen danach, wie diese Zeitschriften von anderen gesehen werden. Im Bericht wurden diese Aussagen dann als Hinweis darauf verwendet, wie die Sicht der weiteren Wissenschaftscommunity wäre. Das scheint eine weit überdehnte Interpretation zu sein.

Trotzdem bietet der Bericht einen Einblick in die Gemeinsamkeiten dieser Zeitschriften. Es gibt eine recht grosse inhaltliche Breite und auch eine grosse Diversität der herausgebenden Körperschaften. Zwar publizieren die Zeitschriften überwiegend in Englisch, aber es gibt auch eine Breite von anders- und mehrsprachigen Publikationen. Was sich aber immer zeigt, ist, dass die Arbeit an diesen Zeitschriften grösstenteils unbezahlt und ehrenamtlich (oder, in der schweizerischen Terminologie, im Milizsystem) geleistet wird. Das bezieht sich auch auf Aufgaben, die über den reinen Redaktionsprozess hinausgehen, beispielsweise die Pflege von Metadaten zu den Zeitschriften in Datenbanken wie dem DOAJ. Es versteht sich deshalb, dass hinter dieser Arbeit jeweils persönliche Überzeugungen der Redakteur*innen stehen. Das Hauptproblem für fast alle Zeitschriften ist die nachhaltige Finanzierung. Diese ist in den meisten Fällen nicht gesichert. (ks)


Thiele, Katja (2022). Öffentliche Bibliotheken zwischen Digitalisierung und Austerität: Kommunale Strategien und ihre Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit. (Sozial- und Kulturgeographie, 55) Bielefeld: transcript Verlag, 2022 [gedruckt]

Dieses Buch ist, zumindest was die Seite der Bibliotheksforschung angeht, enttäuschend. Es ist eine Dissertation in der Humangeographie, insoweit lag der Fokus auch nicht darauf, explizit neues Wissen über Bibliotheken zu generieren, sondern darauf, zu einem Erkenntnisfortschritt in der Geographie beizutragen. Aber bezogen auf Öffentliche Bibliotheken ist hier nur zu lernen, dass die Aufgaben von Bibliotheken – sowohl die, die sich diese selbst geben als auch die, welche ihnen von den Kommunen gegeben werden – vom lokalen und nationalen Rahmen abhängen. Dies gilt auch für die konkrete Nutzung der Bibliotheken durch die Bevölkerung.

Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, untersucht die Autorin drei Bibliotheken in ebenso vielen Ländern (Bonn, Leicester und Malmö), und zwar mithilfe von Beobachtungen vor Ort, Interviews sowie einer Einbettung in Daten zu den drei unterschiedlichen nationalen Wohlfahrtsregimen. Allerdings scheint ihr in weiten Teilen die kritische Distanz zum Untersuchungsgegenstand zu fehlen. Sie gibt, bezogen auf die Bibliotheken, eher zusammenfassend wieder, was sie in ausgesuchter bibliothekarischer Literatur findet beziehungsweise was ihr von den Interviewpartner*innen berichtet wird. Grundsätzlich spiegelt sie den Bibliotheken also nur wider, was diese über ihre Entwicklung in den letzten Jahren ohnehin schon glauben. Hinzu kommt, dass es teilweise erstaunliche Fehler in der Interpretation von Literatur oder theoretischen Konzepten zu geben scheint. (Beispielsweise spricht die Autorin davon, dass Öffentliche Bibliotheken sammeln würden. An einer anderen Stellen behauptet sie, dass sich das soziologische Theorem Dritter Ort und das literaturwissenschaftliche Theorem Dritter Raum praktisch ergänzen würden, ohne dies zu begründen. Es scheint ein wenig, als würde sie dies nur anführen, weil beide Theoreme ähnlich benannt sind.) Wirklich irritierend ist aber, dass die im Titel des Buches angesprochenen Themen wie Bildungsgerechtigkeit oder Digitalisierung praktisch keine Relevanz für die eigentliche Arbeit haben. Sie werden sehr knapp angesprochen, wobei es scheint, als würde Bildung einfach mit Zugang zu Medien und zur Bibliothek gleichgesetzt. In der restlichen Arbeit aber werden die ganzen eingeführten Theoreme nicht wirklich weitergenutzt. Es ist nicht ganz klar, warum sie überhaupt erwähnt wurden.

Kurzum: Zumindest über Öffentliche Bibliotheken, deren Aufgaben und Nutzen, liefert dieses Buch kaum neues Wissen. (ks)


Sarah McNicol (2023). Supporting People to Live Well with Dementia: A Guide for Library Services. London: facet publishing, 2023 [gedruckt]

Die Aufgaben, denen sich Öffentliche Bibliotheken anzunehmen gedenken, vermitteln oft den Eindruck, einfach immer mehr zu werden. (Es ist nicht selten, dass das Personal dies mehr oder minder selbst zynisch bemerkt.) Gleichwohl wird hier ein weiteres einführendes Buch angezeigt, welches tendenziell eine weitere Aufgabe einführt, nämlich die, Menschen mit Demenz in den Fokus bibliothekarischer Arbeit zu stellen. Die Autorin argumentiert dabei, dass die Zahl der Betroffenen – sowohl (potenzielle) Nutzer*innen sowie Personal als auch Personen, die als Familienangehörige und Freund*innen von Menschen, die an Demenz erkranken, eine individuelle Betroffenheit haben – wächst. (Allerdings werden ähnliche Argumente auch für andere, neue Aufgaben für Bibliotheken in ähnlichen Büchern immer wieder angeführt.)

Dennoch ist dieses Buch keine verlorene Lesezeit. Die Autorin geht all die Themenbereiche durch, die man in ihm wohl erwarten würde: Was Demenz ist, wie es sich auswirkt, wie Bibliotheken indirekt (zum Beispiel durch den Aufbau des Bibliotheksraumes) oder direkt Angebote für von Demenz betroffenen Personen machen können. Zudem gibt sie an, mit welchen anderen Organisationen Bibliotheken zusammenarbeiten können. Alles immer vor dem Hintergrund, dass dies ein Buch aus Grossbritannien ist, also zum Beispiel mit Bibliotheken, für die es normal ist, für ihre Nutzer*innen Veranstaltungen zu organisieren, die nichts mit Lesen oder Büchern zu tun haben, oder aber mit Verweisen auf britische Gesetze. Zudem integriert die Autorin immer wieder Erfahrungen mit ihrem Vater, der an Demenz erkrankte und für den sie in seinen letzten Lebensjahren sorgte.

Zu lernen ist in dem Buch aber vor allem eines, nämlich, dass das Leben mit Demenz für alle (direkt und indirekt Betroffene, aber auch die Gesellschaft an sich) auch gut gelebt werden kann, wenn man die Interessen und “humanhood” der Personen, die von Demenz betroffen sind, in den Fokus stellt. Das erfordert dann von allen Beteiligten, aufmerksamer und verständnisvoller zu sein. (ks)

3.2 Bibliotheksgeschichte

Erünsal, İsmail E. (2022). A History of Ottoman Libraries. (Ottoman and Turkish Studies) Brookline: Academic Studies Press, 2022 [gedruckt]

Dieses Buch ist von grosser Relevanz. Fast die gesamte Bibliotheksgeschichte, die im DACH-Raum wahrgenommen wird (also zumeist die, die in Deutsch oder Englisch publiziert wurde), bezieht sich auf Bibliotheken aus einer kleinen Anzahl von Ländern und Gesellschaften. Ein grosser Teil der Welt wird in dieser Geschichte überhaupt nicht repräsentiert. Das führt dazu, dass bestimmte Entwicklungen als allgemein verbreitet angesehen werden, die historisch nur auf einen Teil der Welt zutreffen. (Ein Beispiel wäre die Bedeutung von Bibliotheken europäischer Klöster bei der Erhaltung von Wissen aus der europäischen Antike.) Das Buch von Erünsal beschäftigt sich nun mit Bibliotheken in einer anderen Gesellschaft, wenn auch teilweise geographisch in der gleichen Region verortet wie die Bibliotheken der europäischen Antike. Dabei stellt er dar, wie sich Bibliotheken in dieser Gesellschaft, dem osmanischen Reich zwischen 1299 und 1922 (in europäischer Zeitrechnung) entwickelten. Der Autor, der bis zu seiner Verrentung in der Türkei Bibliothekswissenschaft unterrichtete, betont, dass eine solche Geschichte bislang nicht vorliegen würde und betont vollkommen zu Recht, dass sie deshalb notwendig wäre. Dadurch, dass das Buch auf Englisch vorliegt, lässt es sich aber auch als Korrektiv der sonst im DACH- und englischsprachigen Raum verbreiteten Bibliotheksgeschichte lesen. Es zeigt, dass die Einrichtung Bibliothek nicht automatisch den Aufgaben, Etappen und Entwicklungen unterliegt, denen sie in den von europäischen Imperien und deren Nachfolgestaaten geprägten Gesellschaften unterlag. Vielmehr ist ihre Entwicklung immer mit der Gesellschaft verbunden, in denen sie etabliert werden. Grundsätzlich wünscht man sich nun ähnliche Übersichten zur Bibliotheksgeschichte in anderen Gesellschaften.

Was die Bibliotheken, die Erünsal beschreibt, auszeichnet, ist, dass sie allesamt als religiöse Stiftungen nach islamischem Recht errichtet wurden. Diese Stiftungen gehörten von Beginn an zur osmanischen Gesellschaft. Sie werden mit dem Ziel der allgemeinen Wohlfahrt errichtet, ausgestattet mit Stiftungsurkunden und einem Besitz, der Einkommen generiert (also beispielsweise über Mieten und Pacht), um die Stiftungen langfristig zu unterhalten. Sie sind gedacht als Stiftungen an Gott und können deshalb (eigentlich) nicht mehr geändert werden. Die osmanische Gesellschaft fand in Zeiten der Modernisierung im 19. Jahrhundert Wege, diese dennoch den wechselnden Zeiten anzupassen. Nach der Ausrufung der Türkischen Republik nach dem Ersten Weltkrieg und damit einhergehenden Veränderungen, beispielsweise der Einführung der modernen türkischen Schrift, verloren diese Bibliotheken ihre Bedeutung. Heute liegen die meisten ihrer Bücher zentral in einer Spezialbibliothek in Istanbul. Aber bis zu diesem Zeitpunkt existierten sie teilweise über Jahrhunderte.

Erünsal betont, dass die Informationen über die Bibliotheken sehr selten erhalten sind. Er hat sie über Jahrzehnte zusammengetragen und stützt sich vor allem auf die Stiftungsurkunden. Mit diesen kann er aber gut Entwicklungen aufzeigen. Beispielsweise wurden Bibliotheken zuerst als Teil von Moscheen und Universitäten gegründet und dann, ab dem 17. Jahrhundert vermehrt, als eigenständige Einrichtungen. In den ersten Jahrhunderten entliehen sie recht liberal ihre Bücher, aber ebenso ab dem 17. Jahrhundert wurden sie mehr und mehr zu Einrichtungen, in denen die Bücher vor Ort gelesen werden mussten. Dafür etablierten sie dann aber auch Leseräume. Fast alle diese Bücher waren Manuskripte. Erst im 19. Jahrhundert werden auch verstärkt gedruckte Bücher aufgenommen. Ein Grossteil der Bestände wird auch über Jahrhunderte weder ergänzt noch ausgesondert, sondern immer nur ausgebessert. Im 18. Jahrhundert beginnt der Staat direkt Verantwortung für die zahllosen religiösen Stiftungen zu übernehmen, indem ein eigenes Ministerium eingerichtet wird, das sich dann unter anderem auch für die Bibliotheken zuständig fühlt und beispielsweise Inspektionen durchführt.

Das Buch ist in zwei Teile untergliedert. Im ersten berichtet der Autor chronologisch von der Entwicklung der Bibliotheken, im zweiten geht er dann noch einmal die Geschichte ausgewählter Aspekte wie den Etat, die Services, das Personal oder den Bibliotheksraum durch. An Stellen ist das etwas langatmig, da ganze Absätze lang immer wieder neue Stiftungsurkunden angeführt werden. Aber ansonsten ist dies, wie gesagt, ein wichtiges Buch, welches als Korrektiv für die bisherige Bibliotheksgeschichtsschreibung unabdingbar ist. (ks)


Tygör, Lutz (2022). Die Potsdamer städtische Volksbücherei: Von der Eröffnung 1899 bis zur Zerstörung der Stadtbücherei 1945. Leipzig: Engelsdorfer Verlag, 2022 [gedruckt]

Mit dieser Arbeit wird eine auch schon in dieser Kolumne besprochene Arbeit zur Geschichte der Öffentlichen Bibliothek in Potsdam fortgesetzt. (Vergleiche: Tygör, Lutz; Friebe, Reiner (2019). Potsdamer städtische Volksbücherei: Vorgeschichte und Gründung.) Ging es im ersten Band darum, wann die Stadt Potsdam welche Vereinsbibliotheken in die öffentliche Hand übernahm, geht es in diesem Band nun darum, die Entwicklung von dieser Übernahme 1899 bis zum Ende des Nationalsozialismus zu schildern. Dabei greift der Autor hauptsächlich auf die in Potsdamer Archiven greifbaren Akten sowie zeitgenössische Zeitschriften- und Zeitungsartikel zurück. Gleichzeitig fliessen Funde aus den Magazinen der heutigen Stadtbibliothek (vor allem Besitzstempel) und Interviews mit Personen, welche die Bibliotheken noch benutzt hatten, mit ein. Präsentiert wird das Ganze chronologisch. Es ist eine lokalhistorische Arbeit, mit all ihren Vorzügen und Nachteilen. Der Autor nennt zum Beispiel aus den Unterlagen ständig Geldwerte, beispielsweise zum Etat der Bibliothek, aber ohne dass diese irgendwie eingeordnet und damit in ihrer Höhe verständlich würden. Er kann aber auch Angaben zur Biographie verschiedener Bibliothekar*innen machen.

Auffällig ist an dem Buch, dass bis heute grundsätzlich eine übergreifende Geschichte des Öffentlichen Bibliothekswesens im DACH-Raum fehlt. Dort, wo es solche Literatur gibt – also vor allem zur Geschichte der Bibliotheken während des Nationalsozialismus – greift der Autor auf diese zurück und ordnet die Entwicklung in Potsdam in diese ein. Aber für die Zeit vorher scheint er teilweise nicht den notwendigen Überblick über die allgemeinen Entwicklungen der Volksbibliotheken zu haben und interpretiert die Potsdamer Situation nicht als Teil dieser Entwicklung. Beispielsweise ist er an verschiedenen Stellen erstaunt, dass die Volksbücherei die Ausleihe auf ein bis zwei Bücher pro Person beschränkte, obgleich dies mindestens bis in die 1950er-Jahre hinein der Normalfall war (da Volksbibliotheken die Leser*innen nicht nur gegen das Lesen falscher Literatur erziehen wollten, sondern auch zum richtigen Lesen, zu dem auch das langsame und genaue Lesen gehörte). Zudem betont er, dass eine zweite Bibliothek, die er bespricht – die der Gemeinde Nowawes, die dann in Babelsberg umbenannt und anschliessend in Potsdam eingemeindet wurde – im sogenannten Richtungsstreit der 1910er- bis 1920er-Jahre der Leipziger Richtung gefolgt wäre, nennt dann aber als Auswirkung dieser Orientierung nach Leipzig solche Dinge wie den Druck von Leserkatalogen, welche für alle Volksbüchereien der damaligen Zeit normal waren, egal zu welcher Richtung oder Bewegung sie sich zählten.

Grundsätzlich zeigt der Autor – wie es auch schon im vorhergehenden Buch sichtbar wurde –, dass sich die Bibliothek in Potsdam (und auch die in Nowawes) so entwickelten wie viele Bibliotheken in der damaligen Zeit. Sie war weder sonderlich innovativ noch irgendwie im Hinterfeld, auch wenn die Bibliothek in Nowawes etwas besser organisiert war als die in Potsdam. Als interessant hervorzuheben ist, dass in Potsdam die Volksbücherei und die Lesehalle als zwei voneinander getrennte Einrichtungen geführt wurden, die auch in unterschiedlichen Gebäuden untergebracht waren. (ks)


Bassett, Troy J. (2020). The Rise and Fall of the Victorian Three-Volume Novel. (New Directions in Book History) Cham: Palgrave Macmillan, 2020 [gedruckt]

Romane, die in drei Bänden veröffentlicht wurden, waren in der britischen Publikationslandschaft des 19. Jahrhunderts prägend und sind es auch in der Forschung zu diesem, viktorianischen Zeitalter. Und – deshalb wird das Buch hier angezeigt – sie waren eng mit den lending libraries dieser Zeit verbunden. Diese Bibliotheken waren Unternehmen, welche das Verleihen von Büchern als Geschäft betrieben. In Grossbritannien gab es damals eine Reihe von breit aufgestellten Firmen, welche Netze dieser Libraries unterhielten. Sie stellten für die wachsende Schicht von Leser*innen aus dem Mittelstand eine wichtige Möglichkeit dar, um Zugang zu Literatur zu erlangen, und werden zum Beispiel auch in zahlreichen Romanen dieser Zeit erwähnt. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts endete die Zeit dieser Bibliotheken. Einerseits wurden sie immer schlechter beleumundet (in ähnlicher Weise, wie dies im deutschen Sprachraum mit dem Kampf gegen Schmutz und Schund geschah), andererseits wurde ihr Geschäftsmodell immer weniger profitabel. Aber dadurch, dass es eine starke Forschungstradition zur viktorianischen Literatur gibt, ist über diese lending libraries auch weit mehr bekannt als über die zeitgleich im deutschen Sprachraum betriebenen gewerblichen Leihbibliotheken.

Der dreibändige Roman galt als prototypisch für die von den lending libraries angebotene Literatur. Einerseits wird in der Forschung oft davon gesprochen, dass die lending libraries ihr Geschäftsmodell auf diesen aufbauten (drei einzelne Bücher auszuleihen war teurer als drei auf einmal) und deshalb kontinuierlich neue dreibändige Romane benötigt hätten. Andererseits gab es 1894 einen offenen Brief mehrerer dieser Bibliotheksfirmen an die britischen Verlage, in welchem sie ein Ende dieses Genres forderten und ankündigten, es ab 1895 nicht mehr zu kaufen. Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen solche Werke dann tatsächlich praktisch nicht mehr, was in der Forschung auf diesen Boykott der Bibliotheken zurückgeführt wird.

Während andere Forschungen zum dreibändigen viktorianischen Roman sich nun auf die inhaltlichen Aspekte der Romane konzentrieren, sich auf das mit der Zeit wandelnde Bild dieser Publikationen in der britischen Gesellschaft fokussieren oder diese Romane als Teil der sich wandelnden Publikations- und Leselandschaft untersuchen, ist diese Arbeit hier an den ökonomischen Aspekten interessiert. Es geht um die Anzahl der publizierten dreibändigen Romane, um Fragen der Kosten, Zahlungen und Profite sowie um die ökonomische Entwicklung von Verlagen und lending libraries. Der Autor erstellte einen Datensatz aller nachweisbaren dreibändigen Romane, die im 19. Jahrhundert in Grossbritannien erschienen sind, inklusive der verfügbaren Angaben zu Preisen oder Auflagenhöhe. Ausserdem nutzte er zur Ergänzung seiner Daten die Geschäftsarchive eines grossen Verlages und einer grossen Bibliotheksfirma. Was er damit zeigen kann, ist, dass tatsächlich die Bibliotheken Hauptabnehmer der Romane waren (die zumeist in Auflagen von 500 bis 1000 Stück erschienen und dann en gros an die Bibliotheksfirmen verkauft wurden), dass die Bibliotheken grundsätzlich profitabel waren und dabei auch nicht von anderen Entwicklungen im Publikationsmarkt (insbesondere billigen Nachdrucken, seriell in Literaturzeitschriften publizierten Romanen oder einbändigen Werken, die allesamt während des 19. Jahrhunderts in immer grösserer Zahl erschienen) beeinflusst waren sowie dass das Ende der dreibändigen Romane eher aus allgemeinen Entwicklungen auf dem Literaturmarkt zu erklären ist als mit dem Ultimatum der Bibliotheken von 1894. Dieses war eher Ausdruck des Wandels als Grund dafür. Zudem zeigt er, dass der dreibändige Roman für weibliche Autorinnen eine Möglichkeit innerhalb der viktorianischen Gesellschaft darstellte, sich zu profilieren. Sie wurden grundsätzlich – wenn auch nicht von allen Verlagen – eher verlegt als männlichen Autoren, und ihnen wurden für ihre Manuskripte im Durchschnitt auch höhere Summen gezahlt. (ks)


Weigand, Jörg (2018). Träume auf dickem Papier: Das Leihbuch nach 1945ein Stück Buchgeschichte. (2., erweiterte Auflage) Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, 2018 [gedruckt]

Zu dem hier direkt zuvor besprochenen Buch passt die Publikation von Jörg Weigand. Er beschäftigt sich mit den Büchern, welche in (gewerblichen) Leihbüchereien in der Bundesrepublik Deutschland entlehnt wurden. Wie in der Vorstellung des letzten Buches erwähnt, ist die Geschichte dieser Leihbüchereien im DACH-Raum bislang kaum erforscht. Mit diesem Buch liegt immerhin ein Anfang dazu vor. Nach 1945 gab es bis in die frühen 1970er-Jahre einen Aufschwung solcher Leihbüchereien, allerdings wohl nur in der Bundesrepublik Deutschland. Dazu gehörten nicht nur die Büchereien selbst, sondern auch ein ganzes System aus Verlagen, Druckereien, Autor*innen und dazugehöriger Dienstleister*innen (Grafik, Lektorat, Satz, Vertrieb und so weiter). Diese Einschätzung ist ohne weitere Forschung mit Vorsicht zu geniessen. Weigand gibt aber an, dass er bei seiner Recherche rund 220 deutschsprachige Leihbuch-Verlage nachweisen konnte, davon aber nur ganz wenige in der Schweiz und keine in Österreich oder anderen Ländern.

Der Fokus des Buches sind die eigentlichen Leihbücher. Diese wurden explizit für die Leihbüchereien geschrieben und produziert. Es gab einen ganzen Kosmos von Autor*innen und Verlagen, die nur in diesem System engagiert waren. Daneben gab es ein ähnliches System für Romanhefte, die im Bahnhofsbuchhandel vertrieben wurden und weiterhin das System, welches für den Buchhandel (und die Öffentlichen Bibliotheken) produzierte. Es gab kaum Überschneidungen zwischen diesen Systemen. Nur einige Werke wurden in mehreren Formen (Leihbuch, Romanheft, richtiges Buch) publiziert; nur sehr wenige der Autor*innen gelang es, den Übergang von einem zum anderen System zu meistern. Es gab auch andere Herausforderungen zu meistern: Der Leihbuchmarkt verlangte ständig neue, aber gewissermassen auch eingespielte Romane. Es ging deshalb auch um Quantität. Autor*innen schrieben in ihrer Hochphase ein bis zwei Romane pro Monat, allerdings praktisch nie unter ihrem eigenen Namen, sondern unter zahlreichen Pseudonymen, wobei viele Verlagspseudonyme waren, die vom Verlag mehreren Autor*innen zugewiesen wurden, um Reihen zu veröffentlichen.

Im Buch schildert der Autor dieses System, inklusive der Autor*innen und Verlage, der Produktionsbedingungen, der Genres der Leihbücher, aber auch der Indexierung vieler dieser Bücher unter dem Label des Jugendschutzes, welcher ab Mitte der 1950er-Jahre gesetzlich und institutionell geregelt wurde. Für die Bibliotheksgeschichte ist anzumerken, dass die eigentlichen Leihbüchereien oder gar die Leser*innen praktisch nicht behandelt werden. Den Büchereien sind nur sieben Seiten gewidmet, auf denen sogar einige Zahlen geliefert werden (der Autor spricht von über 27.000 dieser Büchereien, die 1960 existiert haben sollen, teilweise organisiert in Firmen mit zahlreichen Filialen). Aber: Das gesamte Buch ist journalistisch angelegt, nicht als wissenschaftliche Publikation. Es gibt ein Quellenverzeichnis, aber keine direkten Literaturnachweise. Deshalb ist nicht ersichtlich, wo diese Zahlen herstammen.

Grundsätzlich ist anzumerken: Der Autor ist Schriftsteller, Herausgeber und versteht sich wohl als – positiv konnotiert – Laienforscher. Er publiziert kontinuierlich, unter anderem zum Thema Leihbücher, und erinnert in gewisser Weise selbst an die Autor*innen der Leihbücher, die er beschreibt. Zumindest lesen sich Teile des Buches so: Routiniert niedergeschrieben, eingängig formuliert, aber gleichzeitig auch so, dass Nachweise fehlen, Fakten und subjektive Einschätzungen (gerade dann, wenn einzelne Romane vorgestellt werden) unentwirrbar miteinander verwoben sind und viele Geschichten wiederholt werden, teilweise in den gleichen Worten. Es liest sich in weiten Teilen wie eine Artikelsammlung eines Fans. Interessant ist das Buch trotz dieser Einschränkungen, zumal es auf vielen Interviews mit Beteiligten des System[s] Leihbuch und einem grossen Spezialwissen des Autors über diese Bücher aufbaut. Es liefert Einblick in einen Bereich von Bibliotheken (wenn man sie als Institutionen versteht, die Bücher zur Ausleihe anboten), welcher in der deutschsprachigen Bibliotheksgeschichte (und, soweit zu sehen, auch der zeitgenössischen bibliothekarischen Literatur) bei Weitem nicht die Beachtung erhalten hat, die er verdient. Schon, weil er zu seiner Hochzeit wohl für hunderttausende Menschen einen der Hauptzugänge zu Literatur darstellte. Hier scheint sich die Haltung, dass Leihbücher keine richtige Literatur darstellten, reproduziert zu haben. Es ist zu hoffen, dass sich in Zukunft nicht nur engagierte Fans wie der Autor mit diesem Bereich beschäftigen. (ks)


Gallo, Daniela ; Provost, Samuel (dir.) (2018). Nancy-Paris: 1871-1939. Des bibliothèques au service de l’enseignement universitaire de l’histoire de l’art & de l’archéologie. [Paris]: Éditions des Cendres, 2018 [gedruckt]

Diese Aufsatzsammlung beschäftigt sich tatsächlich, wie im Titel angekündigt, mit den Bibliotheken in Nancy Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Aber das eigentliche Hauptthema ist die Karriere einiger wichtiger Persönlichkeiten um das damals an der Universität in Nancy aufgebaute Institut de l’archélogie et l’histoire de l’art. Diese Universität – heute Teil der Université de Lorraine, an welcher die Herausgeber*innen und Autor*innen arbeiten – war in der Position einer «provenziellen» Universität, die im Schatten gleich mehrerer anderer Einrichtungen stand. Zum einen im Schatten der Einrichtungen in Paris, also dem intellektuellen Zentrum Frankreichs. Zum anderen aber seit 1871 auch im Schatten der Universität Strassburg, welche nach dem Anschluss des Elsass an das Deutsche Reich – im Buch konsequent Temps de Annexion genannt – als preussische «Vorzeigeuniversität» aufgebaut wurde. Die Universität in Nancy – als Hauptstadt Lothringens / Lorraines potentiell das französische Gegenstück zu Strassburg – arbeitete sich in gewisser Weise an diesen beiden Schatten ab. Die Einrichtung des genannten Instituts, welches unter anderem die Geschichte Ostfrankreichs bearbeitete und dabei immer das Elsass mit einbezog, war Teil dieses Versuchs, als Universität eine eigene Position aufzubauen – aber gleichzeitig war dessen Arbeit ohne die Verbindungen nach Paris und Strassburg überhaupt nicht möglich.

Die Bibliotheken der Universität – die zwar zentralisiert werden sollten, aber dann doch immer wieder auch neu als Spezialbibliotheken gegründet wurden – werden im Buch mit dargestellt. In einigen Texten geht es um die Bibliotheken, welche Professoren selbst aufbauten und dann teilweise der Universität vermachten (oder die am Ende doch an Universitäten in Paris oder, nach 1918, nach Strasbourg gingen). Ein Text beschreibt die parallelen Entwicklungen von Universitätsbibliothek und Stadtbibliothek in Nancy. Teilweise wird auch geschildert, wie wichtig einzelne Professoren die Arbeit in ihren oder anderen Bibliotheken fanden, insbesondere für das damals neu begründete Fachgebiet der Kunstgeschichte. Aber das alles ist in einem eher kursorischen Modus geschrieben: Es werden einzelne Schritte der Bibliotheksentwicklungen genannt, es werden aus Akten auch immer wieder Geldsummen genannt, welche für Bibliotheken aufgewandt wurden, allerdings ohne diese jeweils einzuordnen. Es wird mit relativ vielen Photos gearbeitet, die einen Eindruck der damaligen Arbeitsverhältnisse in Bibliotheken vermitteln. Aber ansonsten hinterlässt das Buch eher den Eindruck einer recht unfokussierten Regionalgeschichtsschreibung. (ks)


Ramtke, Nora (2022). Miszellen zur Geschichte der Zeit: Zu Format, Materialität und Temporalität historisch-politischer Journale 1813-1815. In: Gretz, Daniela ; Krause, Marcus ; Pethes, Nicolas (Hrsg.) (2022). Miszellanes Lesen: Interferenzen zwischen medialen Formaten, Romanstrukturen und Lektürepraktiken im 19. Jahrhundert. (Journalliteratur ; 5). Hannover: Wehrhahn Verlag, 2022, 97–120 [gedruckt]

Der Sammelband, in welchem dieser Beitrag erschienen ist, beschäftigt sich mit Miszellen in Zeitschriften und Zeitungen des 19. Jahrhunderts, einem Genre, den man «Vermischtes» nennen könnte. Dabei geht es sowohl um Rubriken, die mal mit mehr, mal mit weniger Plan Meldungen versammelten, sowie um eigene Publikationsformen wie Almanachen für den Massenmarkt, als auch um die Entwicklung des Lesens und der Lesetheorien mit Bezug auf diese Miszellen. Grundsätzlich werden Miszellen dabei als Phänomen des 19. Jahrhunderts verstanden, das einerseits in der Zeit der sich etablierenden Massenmedien entstand und damals schon zu verschiedenen Auseinandersetzungen, beispielsweise Fragen von pädagogischen Gefahren oder Nutzen, führte. Und anderseits werden sie verstanden als ein heute für die Forschung schwierig zu fassendes, weil vielgestaltiges Thema.

Im Beitrag stellt die Autorin nun ein spezifisches Genre vor, welches diesen Suchprozess der Massenmedien hin zu einer etablierten Form symbolisiert: Sammlungen «zur Geschichte der Zeit», welche 1813–1815 (der Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon) erschienen. Diese wurden gerade in den deutschen Staaten in grosser Zahl aufgelegt, immer als eigenständige Publikationen, aber zumeist nur in wenigen Nummern. Sie wollten auf der einen Seite alles sammeln, was die damalige Zeit irgendwie abbildete: Dokumente, Essays, Berichte, Gedichte, Flugblätter. Das hatte manchmal mehr, oft weniger klare Struktur. Sie verblieben auch formal im Ungefähren: Sie wollten keine schnell erscheinenden Zeitungen sein, aber auch keine schon fertige Geschichte. Vielmehr wollten sie Beiträge versammeln, aus denen später, wenn die aufregenden Zeiten vorbei wären, Geschichte geschrieben werden könnte. Sie erschienen auch zumeist in Fortsetzung, also nicht als einzelne Nummer, aber gleichzeitig in – so hiess es – «ungezwungener Weise». Und: Teilweise wurden sie schnell sang- und klanglos wieder eingestellt. Aber manchmal wurden sie auch (nach der Restauration, inklusive der Restauration der Pressezensur, gleichzeitig auch dem endgültigen Ende von Napoleon) in reguläre Zeitschriften überführt. Das ganze Genre ist also nicht klar zu fassen.

Was den Beitrag hier interessant macht, ist, dass die Autorin, um diesen Punkt zu machen, auf die Katalogisierungspraxis von Bibliotheken zurückgreift. Sie zeigt, dass auch Bibliotheken mit ihren sonst so klaren Abgrenzungen keine klare Einschätzung dieses Genre treffen können: Die gleiche «Sammlung» steht in einigen Bibliotheken als Zeitschrift, in anderen als Fortsetzungswerk und wieder in anderen – vor allem, wenn sie irgendwann einmal in einen Band gebunden wurden – als eigenständiges Werk, was von der Autorin als Hinweis darauf verstanden wird, dass das Genre sich nicht wirklich fassen lässt. (ks)


Schrott, Georg (2022). Barocke Klosterbibliotheken als Schauräume: Überlegungen zu einigen Implikationen dieses Begriffs. In: Jahrbuch für Buch- und Bibliotheksgeschichte 7 / 2022. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2022: 103–122. [gedruckt]

In seinen Überlegungen liefert Schrott grundsätzliche Fragen dazu, ob und wie barocke Klosterbibliotheken gelesen werden können. Er betont, dass sie explizit als Repräsentationsräume gebaut wurden. Allerdings nicht für ein Massenpublikum, sondern für eine kleine Anzahl von Männern. Ihr Bild- und Raumprogramm sei nicht zufällig, sondern explizit ausgewählt. Zudem seien die Räume auch gewiss gezeigt worden, also nicht einfach frei zu betreten gewesen. Der Blick und Schritt der Besucher sei in ihnen gelenkt gewesen. Der Artikel fokussiert auf die genannten Bibliotheken, aber seine Überlegungen lassen sich auch auf andere Bibliotheken und andere Zeitepochen beziehen. (ks)


Domanski, Kristina (2023). Leselust im spätmittelalterlichen Basel. (201. Neujahrsblatt Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel). Basel: Schwabe Verlag, 2023 [gedruckt]

Die GGG (Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel) ist eine Stiftung, welche in Basel-Stadt eine ganze Anzahl von kulturellen und sozialen Aufgaben übernommen hat, beispielsweise den Betrieb der Öffentlichen Bibliotheken. Eine andere Aufgabe ist die Förderung der Geschichtskenntnisse über Basel (https://www.ggg-basel.ch/ggg-organisationen/), was unter anderem durch die jährliche Publikation einer Monographie (dem Neujahrsblatt) geschieht. Die aktuelle Ausgabe beschäftigt sich mit einer Büchersammlung, welche hauptsächlich in der Zeit der Wiegendrucke, also in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, vom Basler Ehepaar Barbara zum Luft und Niklaus Meyer zum Pfeil zusammengetragen wurden. Diese befindet sich heute in der Universitätsbibliothek (in ihrer Funktion als Kantonsbibliothek). Die Sammlung besteht aus gerade einmal neun Büchern, teilweise gedruckt, teilweise per Hand abgeschrieben und das zum Teil auch nicht vollständig. Die abgeschriebenen Bücher sind teilweise illustriert.

Die Autorin nimmt diese Sammlung zum Anlass, grundsätzlich in die Produktion, Verbreitung und Nutzung von Literatur in dieser Zeit des Medienwandels einzuführen. Insbesondere geht sie auf die verschiedenen, nebeneinander bestehenden Formen der Produktion und Verbreitung von Büchern ein – beispielsweise, wie sich Druckereien etablierten, wie der Buchhandel organisiert war, aber auch, wer Illustrationen in handgeschriebenen Manuskripten vornahm. Die neun Bücher eignen sich dafür, weil sie einen Einblick in das Leben eines wohlhabenden, aber nicht zu exponierten Ehepaares erlauben. In der Sammlung stehen Romane neben Werken der religiösen Erbauung. Das Neujahrsblatt ist graphisch aufwändig gestaltet, beispielsweise werden Teile aller Bücher ganzseitig reproduziert. Es bewegt sich, dem Auftrag entsprechend, den sich die GGG mit dieser Reihe gegeben hat, auf der Grenze zwischen streng wissenschaftlicher und populärer Geschichtsschreibung. (ks)

4. Social Media

Mastodon versus Twitter / @libreas@openbiblio.social / https://openbiblio.social/@libreas / https://openbiblio.social/about

Durch die Übernahme von Twitter durch Elon Musk und seiner Politik, nicht nur den Dienst umzubauen, dabei, wie ein villain billionaire aus einem Comic der 1980er-Jahre keine Rücksicht auf das Überleben seiner – grösstenteils – ehemaligen Angestellten zu nehmen und gleichzeitig alle in den letzten Jahren mühsam erkämpften Moderationsregeln und Ausschlüsse von schrecklichen Personen wieder rückgängig zu machen, kam es im Bibliothekswesen Ende 2022 zu einem regelrechten Auszug aus diesem Dienst. Schon lange gab es die – vom moralischen und politischen Standpunkt wohl immer schon überlegene – Alternative Mastodon, für die auch bereits eine ganze Reihe von Servern betrieben wurden.

Man weiss nicht, wie sich die gesamte Sache entwickelt hat, wenn diese Kolumne erscheint. Wird Twitter dann abgeschaltet sein? Wird der Dienst jemand anderem gehören? Wird sich Mastodon durchsetzen, zumindest als Social-Media-Dienst für das Bibliothekswesen im DACH-Raum? Oder vielleicht ein anderer Dienst? Die LIBREAS erscheint jetzt im neunzehnten Jahr und hat seitdem verschiedene Social-Media-Plattformen kommen sehen (und auch ausprobiert). Auf wenigen davon war sie so aktiv wie auf Twitter (was allerdings auch nicht überschätzt werden sollte). Aber auch diese Redaktion hat jetzt lieber einen Mastodon-Auftritt eingerichtet (wie auch viele Mitglieder der Redaktion selbst) und zwar auf dem Server openbiblio.social, der betrieben wird von Kolleg*innen der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, und zur Heimat vieler Accounts der bibliothekarischen Fachcommunity wurde. (ks)

5. Konferenzen, Konferenzberichte

[Diesmal keine Beiträge]

6. Populäre Medien (Zeitungen, Radio, TV etc.)

Krymalowski, Sarah (2022). Iqaluit library closed for weeks due to a lack of staff. CBC North, https://www.cbc.ca/news/canada/north/iqaluit-library-closed-to-public-november-2022-1.6663470

Zwischen Oktober 2022 und Januar 2023 war die Öffentliche Bibliothek in Iqaluit (Nunavut, Kanada) geschlossen. Der Bericht des öffentlichen Rundfunks CBC stellt dar, wie es dazu kam: Die Regierung von Nunavut war nicht in der Lage, für diese Zeit eine qualifizierte Person zu finden, um die Bibliothek zu leiten. Die vorherige war in den Ruhestand gegangen, die folgende trat ihren Dienst erst Anfang 2023 an. Die Nachricht hinterlässt einen bitter-süssen Eindruck. Einerseits heisst dies, dass die Bibliothek geschlossen war – wobei ihre Nutzer*innen wohl nicht einfach auf andere Bibliotheken ausweichen konnten, da alle Siedlungen in Nunavut weit voneinander entfernt liegen –, andererseits betonte die Regierung in ihrer Antwort an CBC, dass sie darauf achtet, dass nicht jede beliebige Person eine Bibliothek führen könne, sondern dass dafür eine bestimmte Qualifikation notwendig sei. (ks)


Pistachio, George (2022): Inside Elise By Olsen’s State-Of-The-Art Fashion Research Library in Oslo. In: AnOther. 02.12.2022 https://www.anothermag.com/fashion-beauty/14552/elise-by-olsen-interview-international-library-of-fashion-research

Elise by Olsen, Wunderkind des Modejournalismus, eröffnete am norwegischen Nationalmuseum in Oslo eine International Library of Fashion Research. Das Anliegen der Bibliothek ist, eine umfassende Sammlung an moderelevanter Literatur und Forschungsobjekten zusammenzutragen. Zu letzteren zählen unter anderem Pressemitteilungen der Modehäuser, die wiederum bis März 2023 in der Eröffnungsausstellung For Immediate Release: The Art of the Press Release gezeigt werden. In dieser wird die Praxis des Werbetextens in der Entwicklung von den 1970er-Jahren bis heute und damit das Phänomen der Modekommunikation auch unter dem Einfluss kommunikationstechnologischer Entwicklungen untersucht. Die Bibliothek selbst wird stark printorientiert sein. (bk)


Lee, David (2022): Has relying on tech made us stupid? In: Financial Times, 26./27.11.2022, Life & Arts, S. 2 [gedruckt]

Der Autor weist – mit dem Hinweis auf einen Artikel in Vice – auf die Beobachtung hin, dass Studierende GPT-3 (GPT=Generative Pre-trained Transformer) oder andere Varianten Künstlicher Intelligenz nutzen, um die Grundstruktur für Studienarbeiten vorformulieren zu lassen. Da die KI syntaktisch einmalige Texte produziert, können aktuelle Softwarelösungen zur Plagiatserkennung dies nicht erkennen. Im Artikel wird am Rande die Frage aufgeworfen, ob es sich beim Einsatz von KI-Textproduktion um Betrug im traditionellen Sinn handelt. Zudem wird der Experte Nathan Bescher, selbst Anbieter einer KI-Lösung, mit dem Hinweis zitiert, diese automatischen Formen der Textproduktion mit Vorsicht in Journalismus und Wissenschaft einzusetzen, da die KI derzeit auch dazu neigt, falsche Angaben zu produzieren. (bk)


Schuessler, Jennifer (2023): For Rare Book Librarians, It’s Gloves Off. Seriously. In: New York Times, 09.03.2023, https://www.nytimes.com/2023/03/09/arts/rare-books-white-gloves.html

Als die New York Times in einem Artikel Mitte Februar ein Foto eines wertvollen Manuskriptes zeigte, das mit bloßen Händen angefasst wurde, erschienen prompt einige Kommentare, die das Fehlen von Baumwollhandschuhen kritisierten. In dieser Replik macht sich nun Jennifer Schuessler daran, the general public’s unshakable – and often vehemently expressed – belief that old books should be handled with Mickey Mouse-style white cotton gloves, richtigzustellen. Dies tut sie auf sehr lesenswerte und unterhaltsame Weise. Während für bewanderte Altbestandsbibliothekar*innen inhaltlich nicht viel Neues zu finden sein wird, so verlinkt Schuessler doch auf recht viele interessante Informationen zum Thema – von wichtigen wissenschaftlichen Aufsätzen bis zu einschlägiger Star Wars Fanfiction. (eb)


Rust, Martje (2023): Nicht nur was für Bücherwürmer. In: KATAPULT MV. 06.04.2023, https://katapult-mv.de/artikel/nicht-nur-was-fuer-buecherwuermer

Im April 2023 nimmt die Stadtbibliothek Greifswald Saatgut in ihren Bestand und wird damit Saatgutbibliothek. Sie ist eine von insgesamt sieben Bibliotheken in Mecklenburg-Vorpommern, die ihren Nutzenden ein entsprechendes Angebot bieten. In Greifswald geht es ums Gemüse beziehungsweise genauer um die Sorten Tomaten, Salat, Bohnen, Erbsen und Rote Gartenmelde. Sofern die Saatgutnutzung erfolgreich ist, werden die Nutzenden gebeten, Samen nach der Ernte an die Bibliothek zurückzugeben. (bk)


Hong, Jackie ; MacIntyre, Chris (2023). Concerns raised after ‘blatantly transphobic’ book labelled as staff pick at Whitehorse library. In: CBC North, 29. April 2023, https://www.cbc.ca/news/canada/north/irreversible-damage-whitehorse-library-pick-1.6826815

In den aktuellen Kampagnen gegen bestimmte Bücher, Themen und Veranstaltungen in Bibliotheken, die von rechtsgerichteten Kreisen in den USA und Kanada geführt werden, geht es zumeist darum, diese grundsätzlich aus den Bibliotheken zu entfernen. Bibliotheken in diesen Ländern, die sich als Orte der freien Information verstehen, halten oft dagegen, nicht selten mit direkter Unterstützung aus ihrer Community.

Ein Artikel aus Whitehorse, Yukon, zeigt exemplarisch auf, dass andere gesellschaftliche Richtungen eben nicht das reine Gegenbild zu diesen Kampagnen und Bewegungen darstellen und vielleicht einfach alle Medien gleich behandelt sehen wollen, sondern weit differenzierter argumentieren. In der Öffentlichen Bibliothek in Whitehorse (Yukon, Kanada) wurde ein Buch nicht nur in den Bestand eingestellt, sondern explizit als Staff pick hervorgehoben, welches als explizit transphob bezeichnet wird. Eine Anzahl von Personen und Organisationen äusserten sich daraufhin besorgt, auch die Bibliothek reagierte und will nun klären, warum ein solches Buch gesondert hervorgehoben wurde. Der Artikel dazu thematisiert die Bedenken, welche gegen das Buch geäussert werden und auch, was diese Auszeichnung für eine negative Wirkung auf die Wahrnehmung der Bibliothek als safe space und offener Ort haben kann. Im Gegensatz zu den Verbotsdiskursen, die von rechtsgerichteten Bewegungen bemüht werden, betonen aber hier alle Beteiligten, dass es nicht darum gehe, das Buch grundsätzlich aus dem Bibliotheksbestand zu entfernen, sondern es nicht gesondert hervorzuheben. (ks)

7. Abschlussarbeiten

[Diesmal keine Beiträge]

8. Weitere Medien

BBK Berliner Bibliothekswissenschaftliches Kolloquium vom 15.11.2022, Online. Prof. Rebecca D. Frank, Ph.D. (School of Information Sciences, University of Tennessee, Knoxvill): Feminist Perspectives in Data & Information Science.

In ihrem Vortrag zu feministischen Perspektiven in Daten- und Informationswissenschaft legte Professorin Frank den Fokus auf Datenrepositorien und Archivtheorien beziehungsweise Archive selbst. Sie stellte Fragen, die an das Buch Data Feminism von Catherine D’Ignazio und Lauren F. Klein (Die Buchrezension befindet sich in der DLDL #8.1) angelehnt sind, wie: Wer erhebt Daten für wen? Welche Daten sind verfügbar und welche nicht? Sie rief den Zuhörer*innen in Erinnerung, dass Archive, Repositorien und andere Institutionen, welche Daten speichern, weder neutral noch objektiv sind. Es gibt Regelwerke, Policies und nicht zuletzt Personen, die darüber entscheiden, was es wert ist, archiviert und publiziert zu werden. Wissenschaftler*innen sollten beim Thema Bias also nicht nur die Entstehung der Daten im Blick haben, sondern auch die Institutionen, in denen sie entstehen, gespeichert und publiziert werden. Bei diesem Prozess sollte man sich die Frage stellen: Wer entscheidet darüber, welche Daten es wert sind, gespeichert/ publiziert zu werden? Und für wen werden die Daten kuratiert, archiviert und publiziert? Für wen nicht? Rebecca D. Frank fordert die Zuhörer*innen dazu auf, über diese Themen nachzudenken, sich darüber auszutauschen und das Feld der Bibliotheks- und Informationswissenschaft unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Sie regt dazu an, Gegebenes zu hinterfragen, sich zu überlegen, wann, wie, wo Archive beziehungsweise Repositorien entstanden sind. Welche Verzerrungen, Lücken und Vorurteile könnten schon von Anfang an in die Systeme eingearbeitet worden sein?

Der Vortrag war sehr aufschlussreich und hat eine wichtige, aber wahrscheinlich oft vergessene Perspektive auf Repositorien, Archive und Forschungsdaten geworfen. Es ist zu hoffen, dass dieses BBK dazu beigetragen hat, das Thema nachhaltig mehr in das Bewusstsein der Teilnehmenden zu rücken. (sj)


Bernier, Charles L. (1968). Abstracts and Abstracting. In: Kent, Allen; Lancour, Harold (eds.): Encyclopedia of Library and Information Science. Volume 1 A to Associac. New York: Marcel Dekker Inc, 1968. S.16–38

Der Autor schließt seine Überblicksdarstellung zum Abstracting mit einem Blick in die Zukunft von Abstracts. Dabei betont er an zwei Stellen die Idee offener und kontinuierlich aktualisierter Überblickszusammenstellung (automated encyclopedia), die die jeweils aktuellen Daten entweder aus den Dokumenten oder bereits aus dem Messkontext im Labor integrieren. Er schließt dabei ausdrücklich auch Rohdaten mit ein und prophezeit, dass ein solches System nicht nur Abstracts, sondern wissenschaftliche Aufsätze an sich überflüssig machen würde. Die Forschenden wären nicht mehr Autor*innen, sondern menschliche Datenverarbeiter (human data processors). (bk)


Alter, Alexandra; Harris, Elizabeth H. (2023): Efforts Double to Ban Books in Schools and Libraries. In: New York Times, March 27, 2023, Section C, Page 6 / nytimes.com, 23.03.2023, https://www.nytimes.com/2023/03/23/books/book-ban-2022.html?searchResultPosition=2

Die Auswertung einer aktuellen Erhebung der American Library Association (ALA) berichtet von 1.269 Fällen, in denen im Jahr 2022 in den USA versucht wurde, Bücher und andere Materialien aus Bibliotheken und Schulen entfernen zu lassen. Das entspricht einem Höchststand für die zurückliegenden 20 Jahre, wobei die Dunkelziffer als deutlich höher eingeschätzt wird. Hinter den Vorgängen stehen konservative Interessengruppen und Politiker*innen. Sie richten sich vorwiegend gegen Medien zu Themen aus den Bereichen LGBTQ-Rechte, Geschlechtsidentität und Rassismus. Benannt werden die Titel The Bluest Eye von Toni Morrison, The Handmaid’s Tale von Margaret Atwood sowie This Book is Gay von Juno Dawson und Gender Queer von Maia Kobabe. (bk)


Smith, Dana G. (2023): How to Focus Like It’s 1990. In: New York Times / nytimes.com, 09.01.2023, https://www.nytimes.com/2023/01/09/well/mind/concentration-focus-distraction.html

Verblüffenderweise gelten die 1990er-Jahre mittlerweile anscheinend als das Shangri-La tiefer Konzentration. Die New York Times zieht sie jedenfalls als Referenzrahmen heran und das auch belegt. Studien stellten seit diesem Jahrzehnt eine schrumpfende Aufmerksamkeitsspanne fest. Fokus ist also das, was es unter Einfluss von Push- und Ping-Signalen wiederzuerlangen gilt. Drei Hinweise, dem entgegenzuwirken, serviert der kurze Artikel: Erstens gilt es zu verstehen, was die Ablenkung und Aufmerksamkeitssprünge triggert. Der Drang, aufs Smartphone zu schauen, wird oft zum Muster, das man mit kleinen Alltagslösungen zu durchbrechen versuchen kann. Das kann man beispielsweise, zweitens, über tech breaks versuchen. Das Smartphone bewusst 15 Minuten an der Seite liegenzulassen, kann zur Entwöhnung und Stärkung der Selbstkontrolle beitragen. Der Zeitrahmen lässt sich beliebig ausdehnen. Der dritte Punkt ist vielleicht der interessanteste. Die Kultur- und Leseforscherin Maryanne Wolf rät zum Lesen auf dem Papier, idealerweise als Deep Reading. Deep Reading deshalb, da es offenbar zu einer Verschiebung kam, die viele Menschen dazu bringt, auch auf Papier so sprunghaft scrollend zu lesen, wie sie es vom Display gewohnt sind. Für den Einstieg werden täglich zwanzig Minuten konzentrierte Lektüre eines Buches empfohlen. Maryanne Wolf hat es geschafft, mit dieser Methode binnen zwei Wochen wieder die Kontrolle über ihre Aufmerksamkeit zu erlangen und zurück zur Freude am Lesen zu finden. (bk)


Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen: Anordnung über die Koordinierung der bibliothekswissenschaftlichen Forschung in der Deutschen Demokratischen Republik. In: Gesetzblatt der DDR. Berlin, 29.04.1977, S.142 f.

Im April 1977 wurden in einer Anordnung des Ministeriums für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR ein Rahmenplan zur Bibliothekswissenschaft in der DDR durch den amtierenden Minister Hans-Joachim Böhme verkündet, der das Institut für Bibliothekswissenschaft und wissenschaftliche Information der Humboldt-Universität zu Berlin als Koordinierungseinrichtung des Landes festschrieb (§ 3). Zugleich definiert die Anordnung in den Grundsätzen (§ 2), was bibliothekswissenschaftliche Forschung in diesem Kontext sei:

“(1) Die bibliothekswissenschaftliche Forschung dient dem Ziel,

  • wissenschaftliche Grundlagen für die Leitung, Planung und Organisation der Bibliotheksarbeit auszuarbeiten,

  • wissenschaftlichen Vorlauf für die Erfordernisse der bibliothekarischen Praxis und für die Aus- und Weiterbildung der bibliothekarischen Fachkräfte zu schaffen,

  • die fortgeschrittensten Arbeitserfahrungen des Bibliotheks- und Informationswesens zu verallgemeinern und allen Bibliotheken zugänglich zu machen,

  • wissenschaftliche Erkenntnisse anderer Staaten, besonders der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten, zu erschließen und zu verbreiten,

  • humanistische und sozialistische Traditionen der Bibliotheksgeschichte zu erschließen.”

Verallgemeinert wurden als Forschungsagenden der Bibliothekswissenschaft also in etwa Bibliotheksverwaltung beziehungsweise Bibliotheksmanagement, Kompetenzaufbau und -vermittlung, Fachinformationsvermittlung, Erschließung und Vermittlung internationaler Erkenntnisse sowie Bibliotheksgeschichte bestimmt. (bk)


Schulte, Joanna (2022): ZURÜCK / RETOUR / RETURN. Berlin: Revolver Publishing, 2022.

Für ihre Arbeit An Oliver, bei der die Künstlerin Joanna Schulte Ersttagsbriefe der DDR mittels eines Return-to-Sender von thematisch mehr oder weniger zum Motiv der jeweiligen Briefmarkenausgabe passenden Orten verschickt und sammelt, sendete sie im Jahr 2019 den Ersttagsbrief mit den am 18. August 1981 herausgegebenen Marken Kostbarkeiten in Bibliotheken der DDR aus Marrakesch (vergleiche S. 161 f.). Sie frankierte den Brief mit einer am 15. März 2017 ausgegebenen selbstklebenden Briefmarke einer insgesamt zehn Werke zum Motiv Mineralien umfassenden Ausgabe, in diesem Fall eine Briefmarke mit dem Motiv Erythrin und einem Postwert von 9 drhm. Die DDR selbst hatte 1969 eine Marke mit diesem Motiv im Satz Minerale aus den Sammlungen der Bergakademie Freiberg ausgegeben. Im vorliegenden Fall liegt aber möglicherweise eine Verknüpfung mit dem auf dem 20-Pfennig-Wert der Bibliotheksausgabe gezeigten Papyrus Ebers vor, ein altägyptischer Papyrus, der zahlreiche medizinische Themen behandelt, unter anderem zur Staublunge von Steinmetzen. Der Brief ging an den Kunstverein in Wolfenbüttel. (bk)