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doi:10.18452/23807 (edoc HU Berlin)

Zwischen Normierung und Offenheit – Potenziale und offene Fragen bezüglich kontrollierter Vokabulare und Normdateien

Der Rückgriff auf kontrollierte Vokabulare und Normdaten ist im Zuge der Zugänglichmachung von analogen und digitalen Ressourcen zentral. Der vorliegende Text diskutiert (ethisch-theoretische) Fragestellungen im Umgang mit kontrollierten Vokabularen als spezifisch eurozentrische Wissensordnungen.


Zitiervorschlag
Moritz Strickert, "Zwischen Normierung und Offenheit – Potenziale und offene Fragen bezüglich kontrollierter Vokabulare und Normdateien". LIBREAS. Library Ideas, 40 ().


Bei der umfassenden Zugänglichmachung von analogen und digitalen Ressourcen ist die Erschließung des Materials mittels Metadaten von zentraler Bedeutung. Ein Teilbereich dessen stellt die Sacherschließung dar, bei der die Ressourcen auf Grundlage von inhaltlich-thematischen Gesichtspunkten erschlossen werden. Mittels Rückgriff auf kontrollierte Vokabulare und Normdaten im Erschließungsprozess ist eine tiefergehende Recherche möglich, da unter anderem auch Synonyme gefunden werden und Mehrsprachigkeit mitunter berücksichtigt werden kann.

Der vorliegende Text diskutiert ethisch-theoretische Fragestellungen im Umgang mit diesen Wissensordnungen, die durch ihren Inhalt und ihre Struktur/Konzeption eine eurozentrische Ausrichtung aufweisen. Dieser Artikel kann in der gegebenen Kürze nur eine Bestandsaufnahme der Situation, Problemfelder und ersten Lösungsansätzen bieten und versteht sich daher als Aufschlag zu einer daran anknüpfenden Diskussion, die wir im Fachinformationsdienst Sozial- und Kulturanthropologie (FID SKA) und dem Netzwerk Koloniale Kontexte gerne weiterführen möchten. Der Thematik wird sich aus Sicht des FID SKA genähert, welcher sich in der laufenden Projektphase mit einer Anreicherung und Aktualisierung der deutschsprachigen Gemeinsamen Normdatei (GND) um ethnologische Begriffe und Personen befasst. Der Autor dieses Artikels leitet das Teilprojekt zur GND, das darauf abzielt, den Status quo zu erfassen, Leerstellen, fehlende Verknüpfungen sowie veraltete oder problematische Begriffe zu identifizieren und im nächsten Schritt weitergehend zu bearbeiten.1

I.

Im Erschließungsprozess sollen sowohl analoge als auch digitale Ressourcen bestenfalls mittels strukturierter Metadaten und kontrollierter Vokabulare beschrieben werden. Dies kann sowohl auf formaler Ebene durch Nennung der Verfasser*innen, des Titels, des Verlags et cetera geschehen oder auf inhaltlicher Ebene, indem bestimmte Sachverhalte mittels Schlagwörtern kenntlich gemacht werden. Wurde hierbei lange Zeit auf intellektuelle Erschließung durch Bibliothekar*innen und Dokumentar*innen zurückgegriffen, kommen zusehends maschinelle Ansätze zum Einsatz beziehungsweise werden weiter ausgebaut.2 Material, das nicht in textueller Form vorliegt, wie zum Beispiel Bilder, muss erst mit Metadaten beschrieben werden, um recherchierbar zu werden.

Während der Rückgriff auf unkontrollierte Stichwörter bei der (Volltext-) Recherche nur die Begrifflichkeiten findet, welche die Verfasser*innen oder die Suchenden verwendet haben, ermöglichen normierte Schlagwörter präzisere, sichere und nachvollziehbare Ergebnisse.3 Dabei wird auf kontrollierte Vokabulare zurückgegriffen, die eine konsistente Vergabe von Schlagwörtern gewährleisten sollen. Darin enthaltene Begrifflichkeiten durchlaufen eine terminologische Kontrolle, die dabei auf die Mehrdeutigkeit von Begriffen reagiert, Schreibweisen festlegt und definiert, wie Sachverhalte bevorzugt bezeichnet werden sollen. Hinterlegte Synonyme können auf die festgelegte Vorzugsbenennung verweisen und liefern bei der Recherche ebenfalls Suchtreffer.4 Insbesondere bei der Erschließung großer Datenmengen, beispielsweise durch automatisierte maschinelle Verfahren, ist die Bezugnahme auf kontrolliertes Vokabular unersetzlich.5

In Normdateien gesammelte Normdaten sind bedeutsam, wenn Entitäten eindeutig identifiziert und durch eine kontrollierte Schreibweise benannt werden sollen.6 Durch ergänzende Regelwerke gelingt es, ein hohes Maß an Standardisierung bei der Datenerfassung und dem Datenaustausch sicherzustellen. Material, dass auf Normdaten zurückgreift, kann im Anschluss potenziell mit anderen Datenbeständen in einem Netz verknüpft werden (linked data). Das auf dieser Basis entstehende semantische Netzwerk besitzt das Potenzial, derzeit noch voneinander getrennte Bestände übergreifend zusammenzuführen.7 Damit kann Material für eine umfassendere Nutzung zugänglich gemacht und neue Zugänge zu Wissen geschaffen werden.

Im deutschsprachigen Raum ist insbesondere die Gemeinsame Normdatei (GND) ein zentraler Referenzpunkt für die Erschließung von Ressourcen. Sie ist ein Zusammenschluss aus verschiedenen bereits zuvor existenten Normdateien und wird von den deutschsprachigen Bibliotheksverbünden redaktionell gepflegt. Sie beinhaltet mehr als neun Millionen Datensätze, die normierte Ansetzungen unter anderem für Geografika, Personen, Sachschlagwörter umfassen, die bis dato zumeist zur bibliothekarischen Medienkatalogisierung genutzt wurden. Zunehmend findet sie eine umfassendere Anwendung zur Kulturgutvernetzung in Archiven, Museen und verschiedenen Projekt- und Webkontexten. Im Zuge von Mapping-Projekten wurde die GND bereits mit anderen Normdateien, beispielsweise der Library of Congress, auf Übereinstimmungen untersucht und verknüpft. Dadurch sind mitunter auch Materialien, die mit englischsprachigen Schlagwörtern erschlossen wurden, durch die Verwendung deutschsprachiger GND-Schlagwörter in Katalogen zu finden.

II.

Viele kontrollierte Vokabulare und Normdateien sind in ihrer Struktur und in ihrem Umfang durch eine Sichtweise auf die Welt geprägt, die in ihrem Produktionsprozess im Globalen Norden begründet liegt. Die Notwendigkeit von bevorzugten Ansetzungsformen als auch der Erstellungsprozess führen dazu, dass bestimmte Begriffe und Definitionen bevorzugt werden, beispielsweise dadurch, dass das jeweilige (nationale) Publikationsaufkommen und Referenzeinträge in Nachschlagewerken als Erstellungsgrundlage dienten. Die vorgeblich neutrale Bezeichnung von Sachverhalten und das Kategoriensystem darin sind Resultat von spezifischen, sich in Regeln manifestierenden Entscheidungen und somit immer ideologisch-historisch eingebunden (Gartner 2016, S. 42).

Die GND basierte lange auf dem Prinzip des literary warrant (Publikationsaufkommen), was bedeutet, dass Begriffe angelegt wurden, wenn diese zur Beschreibung von vorliegendem Material notwendig waren. Diese Bezugnahme auf das Publikationsaufkommen, bibliothekarische Regelwerke, aber auch der Ressourcenmangel für eine dauerhafte, fallspezifische Datenpflege und darüber hinausgehende Anreicherung führten zu Lücken innerhalb dieser Normdatei. Vollständigkeit und Abgeschlossenheit sind in diesem Zusammenhang keine realistischen Ziele. Es handelt sich vielmehr um einen dynamischen Prozess, in dem eher die Frage bedeutsam ist, wie eine grundsätzliche und niedrigschwellige Offenheit sowohl bezüglich Änderungen und der Aufnahme von neuen Begriffen als auch Anschlussfähigkeit an andere Wissenssysteme erreicht werden kann. Diese offene Lösung sollte jedoch nicht auf die Vorteile der Standardisierung verzichten. Innerhalb vieler Wissensorganisationssysteme herrscht trotz universellem Anspruch ein Mangel an Diversität beziehungsweise Multiperspektivität und Flexibilität. Benennung, beispielsweise im Erschließungsprozess, schafft einerseits Sichtbarkeit aber gleichzeitig auch Differenz, indem bestimmte Sachverhalte besonders hervorgehoben werden. Vielfach bleibt das Selbstverständliche (zum Beispiel weiß, europäisch, männlich, christlich) als Norm unmarkiert, wohingegen die Abweichung davon explizit sichtbar gemacht wird (Adler 2016, S. 632; Drabinski 2013, S. 97).8 Ein Teilbereich davon ist, was Olson als error of faulty generalization bezeichnet: Books that do not specify their particularity, even if they include only male examples, are still taken to be about the topic in general. (Olson 2002, S. 156) Gleichzeitig werden bestimmten Subjektpositionen und -perspektiven und Sachverhalten, beispielsweise durch den Fokus auf einen bestimmten Ausschnitt des Publikationsaufkommens, mehr Aufmerksamkeit geschenkt als anderen, was zu Lücken im Erschließungsvokabular führen kann.

In der Betrachtung sind zwei Ebenen zu unterscheiden: Es geht einerseits um die Frage, inwiefern und bis zu welchem Grad Bias innerhalb eines normierten Vokabulars aufgearbeitet werden kann. Andererseits steht die Frage nach der grundsätzlichen Offenheit eines stark auf Normierung basierenden Systems im Raum sowie der möglichen Reichweite von Repräsentation und Vielstimmigkeit in solchen Systemen.

Die Thematisierung von problematischen Begriffen und Leerstellen innerhalb von Normdateien und kontrollierten Vokabularen wird in den USA seit den späten 1960er Jahren diskutiert (Drabinski 2013, S. 94).9 Die Kritik beschränkt sich dabei nicht nur auf Normdateien, sondern umfasst eine grundsätzlichere Betrachtung von verzerrten und problematischen Erschließungspraktiken, die Ausschlüsse und Leerstellen insbesondere in marginalisierten Wissensgebieten generieren.10

Während sich ein Strang der Kritik auf die Korrektur von problematischen Begriffen und Ergänzungen bei Leerstellen konzentriert, weisen andere Autor*innen auf die grundsätzlichen Beschränkungen solcher Wissensorganisationssysteme hin. Kategorienbildung gehe immer mit Ausschlüssen einher und solche Systeme zeichneten sich vielfach durch eine prinzipielle Unabgeschlossenheit aus (Adler 2017b, S. 157). Drabinski hebt im Zuge dessen hervor, dass Verzerrungen in bibliothekarischen Klassifikationsstrukturen und der Fachsprache aus ihrer Perspektive Probleme sind, die dem Projekt der Wissensorganisation selbst innewohnen. Sie können nicht abschließend und universell durch vermeintlich korrektere Termini und einem mehr an Objektivität aufgelöst werden, da Kategorien und Bezeichnungen immer kontingent und in Bewegung sind (Drabinski 2013, S. 104). Es sei angebracht, veraltete Begriffe und voreingenommene Beschreibungen zu bewahren, auch wenn sich die Gesellschaft weiterentwickelt. Dies sei sinnvoll, damit die Benutzer*innen verstehen können, wie sich die Sprache entwickelt, damit Historizität und ideologische Eingebundenheit sichtbar bleiben und so die Begrenzungen der Systeme und deren nur vermeintliche universelle Objektivität den Nutzenden leichter vermittelt werden könnten (Drabinski 2013, S. 108).

Auch Turner weist darauf hin, dass das Fortbestehen von problematischen Begrifflichkeiten innerhalb von Wissenssystemen zwar mitunter eine reperformance of the colonial encounter (Turner 2020, S. 159) darstellt, deren Existenz potenzielle Nutzende abschrecken könnten. Dies muss jedoch nicht notwendigerweise bedeuten, dass die Informationen gelöscht werden sollten. Sie sind mitunter notwendig, um auf diese kolonialen Kategorien hinzuweisen und sie kontinuierlich in Frage zu stellen, da sie andernfalls völlig getilgt und historisch unsichtbar werden könnten. Gleichzeitig sind dies historische Spuren, die für viele Nutzungsszenarien bedeutsam sein können. Das Abwägen zwischen öffentlicher Zugänglichkeit und der Konservierung eines historischen Aufzeichnungskontextes auf der einen Seite und ethischen Fragen auf der anderen Seite, ist spannungsreich. Turner kommt zu dem Ergebnis: In a very real sense, there is no best of both worlds solution; there is only proper education about why the museum maintains old terms and why they might be useful, along with the caveats associated with this information. (Turner 2020, S. 171)

III.

In dieser Auseinandersetzung spielen zugleich Fragen nach Fremd- und Selbstbezeichnungen zum Beispiel von Gruppen,11 aber auch Sprecher*innenpositionen und die Historizität der Begriffe eine Rolle. Hierbei werden grundsätzliche Aspekte postkolonialer Theoriebildung in Hinblick auf die Repräsentation (kultureller) Differenz aufgerufen. Zum einen wird gefragt, ob eine nicht-gewaltvolle, nicht-reduktive Repräsentation des Anderen überhaupt möglich ist (Do Mar Castro Varela und Dhawan 2005, S. 50), zum anderen, inwiefern die Subjekte selbstständig sprechen beziehungsweise sich selbst repräsentieren können oder ob dies für sie getan wird (Do Mar Castro Varela und Dhawan 2005, 68 f.). Gomes und Frota kommentieren den Mangel an Repräsentation und Einbezug differenter Perspektiven in vielen dieser Wissenssysteme damit, dass diese auf einer single voice, that is, a single discourse, usually the scientific-academic one (Gomes und Frota 2019, S. 640) basierten. Dies zieht mitunter Probleme bei der Nutzung nach sich, da Nutzende nicht mit den Systemen kommunizieren könnten und nicht in das System miteinbezogen beziehungsweise nicht von ihm repräsentiert würden (Gomes und Frota 2019, S. 641).

Grundsätzlich sind diese Fragen der Selbst- und Fremdbezeichnung, Un-/Sichtbarmachung, falsche Schreibweisen und Interpretationen nicht nur auf Gruppenbezeichnungen beschränkt, sondern stellen sich beispielsweise auch im Hinblick auf Ortsbezeichnungen und an Stellen, an denen vorhandene Daten durch Informationen aus differenten Perspektiven angereichert werden sollen, zum Beispiel bei Objekten. So weisen Bishop et al. unter Bezugnahme auf den Historiker George R. Stewart darauf hin, dass indigene Gruppen in Nordamerika dem, was beispielsweise in offiziellen Karten oftmals nur als ein Fluss bezeichnet worden ist, detailliertere und mehrfache Namen gegeben haben, weil mehr Bedeutungen notwendig waren, um Untiefen, besseres Fischen und so weiter anzuzeigen (Bishop et al. 2015, S. 204).12

Nicht immer kann eindeutig festgelegt werden, was richtig und was falsch ist. Hier herrscht ein Spannungsverhältnis zwischen einer vermeintlichen Universalsprache, die auf Wissensbeständen sowie den kulturellen Blickwinkeln des Globalen Nordens basiert und in diesem Kontext möglichst allgemeinverständlich sein soll, auf der einen Seite und einer grundsätzlichen Perspektivität und Historizität von Wissen und Begriffen aufder anderen Seite. Dies betrifft Fragen älterer Termini, die für die Beschreibung von Sachverhalten nicht mehr gebräuchlich sind oder für Begrifflichkeiten, die zwischen, aber auch innerhalb von Disziplinen unterschiedlich verwendet werden und Abstimmung mittels Kooperationen notwendig macht. In Hinblick auf Selbstbezeichnungen gibt es oftmals verschiedene Ansätze, die von unterschiedlichen Gruppen unterstützt werden und notwendige Entscheidungen nach sich ziehen, mit denen mitunter nicht alle Involvierten zufrieden sein werden.

Ein permanenter Sprachwandel sorgt dafür, dass Änderungen nicht immer zeitnah bearbeitet werden können und erfordert zugleich Überlegungen, inwiefern iterative Anpassungsprozesse bei der Pflege der Datensätze integriert werden können. Dies gilt umso mehr, da die Dauerhaftigkeit der Normdateien dazu führt, dass Begriffe über lange Zeit vorgehalten werden. So resümiert Drabinski: Such corrections are always contingent and never final, shifting in response to discursive and political and social change. (Drabinski 2013, S. 100)

Selbstverständlich sind diese Sachverhalte nicht nur ein Problem solcher Wissensorganisationssysteme. Sie spiegeln vielmehr gesamtgesellschaftliche Problemstellungen. Eine globalisierte, vernetzte Welt führt dazu, diese Wissenssysteme und Zugänge, die in eine spezifische Wissenskultur eingebettet sind, neu zu denken. Dies umfasst mögliche Systemanpassungen oder die Schaffung gänzlich neuer Systeme mit neuen Funktionalitäten. Auf Grundlage dieser Problemstellungen plädieren Autor*innen dafür, ein höheres Maß an Teilhabe mittels kooperativer Praktiken anzustreben. Dies kann eine bedarfsspezifische Anpassung von kontrollierten Vokabularen, zum Beispiel durch das Einbinden von Nutzer*innentermini darin, bedeuten (Olson 2002) oder gar die Entwicklung vollkommen neuer kontrollierter Vokabulare, um so einen Dialog zu ermöglichen, damit verschiedene Standpunkte und Anliegen integriert werden können (Adler 2016, S. 635).

Als Ergänzung zum literary and philosophical warrant schlagen Gomes und Frota deshalb einen sogenannten cultural warrant vor, der abweichende Werte und Schwerpunkte in die Systeme aufnimmt. Dieser Prozess bringt die Nutzenden näher an das Informationssystem, da ihre entprechenden Interessen und Bedürfnisse reflektiert werden. Dies könnte beispielsweise durch die Integration von diversen Quellen als Basis für Begriffe unter anderem mittels Zeitungen und Magazinen, Mitteilungen sozialer Bewegungen, Interviews oder auch nicht-geschriebenen Materials geschehen (Gomes und Frota 2019, 642 ff.).

Duarte und Belarde-Lewis nennen in Bezug auf indigene Kontexte vier Praktiken, die zur Marginalisierung anderer Wissensformen führen:

(1) misnaming, or using Western-centric terms to describe Indigenous phenomena; (2) using parts to describe a more holistic phenomena, or the reduction, removal, and de-linking of a piece of a knowledge system from a greater ontology; (3) emphasis on modern nationalist periodization, inclusive of the notion that history as it is written by the colonizers cannot be changed; and (4) emphasis on prohibiting changes to practices that would upset the efficiency of the existing standardized schema. (Duarte und Belarde-Lewis 2015, S. 683–684)

Für die Praxis bedeutet dies, sich darüber Gedanken zu machen, inwiefern eine Öffnung der Systeme zu erreichen ist, die es ermöglicht, dass verschiedene Personenkreise den Inhalt oder mitunter auch die Struktur der Metadaten neu strukturieren und ihre Gemeinschaftsperspektiven als epistemic partners (Duarte und Belarde-Lewis 2015, S. 686) hinzufügen können (Anderson und Christen 2019, S. 135).

Die Ergänzung oder Schaffung gänzlich neuer Systeme unter Bezugnahme auf indigene Bedarfe und in a community-based approach (Littletree et al. 2020, S. 415) ist ebenfalls möglich: So wurden das Brian Deer Classification System für First-Nation-Gruppen in British Columbia (Cherry und Mukunda 2015, S. 549), die in der New Zealand National Bibliographic Database integrierten Maori Subject Headings (Adler 2016, S. 636) oder der Mashantucket Pequot Thesaurus of American Indian Terminology (Littletree und Metoyer 2015) entwickelt. Bone und Lougheed beschreiben darüber hinaus, inwiefern die Library of Congress Subject Headings mit Bezug auf indigene Themen für den kanadischen Archivkontext innerhalb eines dialogischen Prozesses angepasst worden sind (Bone und Lougheed 2018). Diese Projekte bezogen explizit Community-Perspektiven ein und unterstrichen deren Bedeutung für den Erschließungs- und Suchprozess. Sie stellen eine Reaktion auf die unzureichende Verwendung von englischsprachigen kontrollierten Vokabularen zur Beschreibung indigener Themen dar.

IV.

Zukünftig wird zu klären sein, wie diverse Wissenssysteme in einen Dialog mit den umfassenderen, der Struktur nach eurozentrischen Wissensorganisationssystemen treten können.13 Wie kann damit umgegangen werden, wenn Partikularsysteme nicht in Gänze kompatibel sind oder sich inhaltlich widersprechen?14 Wo liegen die Grenzen von Öffnungsprozessen und Inklusivität? Sind diese Begrenzungen immer problematisch? Eine weitere grundsätzliche Frage besteht darin, wie kollaboratives Arbeiten auf Augenhöhe bei mitunter voraussetzungsreichen Projekten möglich ist? Tiefergehend zu reflektieren ist dabei auch, wie eine Übertragung der oben genannten Beispiele auf den deutschsprachigen Kontext aussehen könnte. Jene Ansätze basieren insbesondere auf der unmittelbaren Zusammenarbeit mit vor Ort lebenden indigenen Gemeinschaften, einem Bezugsrahmen, der sich nicht unmittelbar auf die deutschsprachigen Länder übertragen lässt.

Zugleich ist abzuwägen, inwiefern eine grundsätzliche Zugänglichmachung von Material ebenfalls eine wissensethische Anforderung ist und bei problematischen und nicht präzisen Begriffen eruiert werden müsste, inwiefern der Zugang zu diesen Materialien wichtiger ist als die Verpflichtung zur absolut genauen Bezeichnung. In der Praxis könnte dies beispielsweise bedeuten, dass (problematische) Begriffe als Synonyme innerhalb der Normdateien und Vokabulare, wenn auch kommentiert, erhalten bleiben sollten, damit sie weiterhin als Zugangsvokabular für die Recherche fungieren können. An dieser Stelle kann die bibliothekarische Welt durchaus von Diskursen und Praktiken von Museen profitieren, beispielsweise im Hinblick auf einen verstärkten Kontakt mit Herkunfts-Communities, aber auch in Hinblick auf Fragen (kulturellen) Eigentums. Zumindest am Rande muss noch darauf hingewiesen werden, dass die beschriebenen Prozesse und Ansätze nicht auf der diskursiven Ebene des Vokabulars verbleiben sollten, sondern eine Einordnung in einen größeren Zusammenhang notwendig ist. Dies umfasst die grundsätzliche Frage ökonomischer Ungleichheit und damit einhergehend nach Zugängen zu und Teilhabemöglichkeiten an (wissenschaftlichen) Debatten und Ressourcen (Jain 2021, S. 23), zum Beispiel bezüglich eines westlich zentrierten wissenschaftlichen Publikationswesens oder auch die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Open-Access-Ansatzes, der beispielsweise auch das Problem der Publikationsgebühren miteinbezieht.

Trotz dieser offenen Fragen stellen kontrollierte Vokabulare und Normdaten unbestreitbar die Grundlage für eine konsistente und präzise inhaltliche Erschließung von Material dar. Die GND ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Instrument, da sie durch ihr langes Bestehen einen sehr umfangreichen Normdatenbestand besitzt, weithin im deutschsprachigen Raum verankert ist und nachhaltig gepflegt wird. Unter arbeitsökonomischen Gesichtspunkten wird es schwer möglich sein, ein derart umfangreiches Vokabular gänzlich neu zu etablieren. Die GND ermöglicht, wenn auch aus einem eurozentrisch-kulturellen Verständnis heraus, umfangreiches Wissen zu organisieren, dessen Menge ansonsten gar nicht zu bewältigen wären. Damit besitzt die GND das Potenzial, Wissen umfassend zu bewahren, zu vernetzen und zugänglich zu machen, wobei die technische Infrastruktur zu ihrer effektiven Anwendung mitunter noch Limitationen unterliegen kann. So weist Wiesenmüller darauf hin, dass viele Recherchesysteme nicht in der Lage sind, die Vorteile einer vernetzten Normdatenstruktur umfänglich zu nutzen, da es an bequemen Varianten mangelt, sich bei der Schlagwortsuche auch hierarchisch verknüpfte (Unter-) Begriffe beziehungsweise thematisch-verwandte Begriffe ausgeben zu lassen (Wiesenmüller 2018, S. 29).

Mit dem Rückgriff auf die GND können Insellösungen vermieden werden und sie kann als eine Grundlage für die Vernetzung mit unterschiedlichsten Projekten fungieren. Gleichzeitig ermöglicht sie durch ihre kooperative Struktur und die multiinstitutionelle Einbindung ein hohes Maß an Nachhaltigkeit, das bei vielen kleineren Vokabularen, die beispielsweise nach Projektende nicht weiter gepflegt werden, nicht gegeben ist. Zugleich bietet sie von ihrer Grundstruktur die Möglichkeit der Modifikation, zum Beispiel durch eine Anreicherung und Modernisierung von Begriffen. Zu überlegen ist in diesem Kontext jedoch, inwiefern eine reine Umbenennung historischen Wandel und mit der Benennung einhergehende eurozentrische Ideologien unsichtbar machen würde.15 Gleichzeitig kann die GND potenziell mit anderen (fremdsprachigen, derzeit englischen und französischen) Vokabularen gemappt werden. Außerdem existieren Möglichkeiten, potenzielle Satellitenvokabulare, die wiederum an die GND angeschlossen sind, zu entwickeln (Kasprzik und Kett 2018, S. 139). Hier wird sich erst zeigen, ob und unter welchen Bedingungen dies zukünftig realisiert werden kann. Die GND ermöglicht es somit, unterschiedliche Perspektive ins Gespräch miteinander zu bringen und eine Zugänglichkeit über Sprachbarrieren hinweg zu realisieren. Dies sind Ansätze, um zumindest in Teilen den eurozentrischen Bias der GND aufzuarbeiten.

Abschließend bleibt zu konstatieren, dass vielfach noch offene Problemstellungen existieren und im Fortlauf Schritt für Schritt geklärt werden muss, wie und ob sich die ethisch-theoretischen Fragen in die Praxis übersetzen lassen. Hier zeigt sich auch, dass das im Call für diese Ausgabe erwähnte Bewahren und Zeigen von Kultur in ihrer Breite und das restriktive(n) Streben(s) nach Ordnung und Kontrolle (LIBREAS-Redaktion 2021) nicht notwendigerweise in einem Widerspruch stehen müssen, sondern vielmehr produktiv vermittelt werden kann. Dieser Anspruch wird Insbesondere dann einlösbar, wenn die Kontrolle in Form von Vokabularen und Normdateien eine umfangreichere Erschließung (zum Beispiel über Massenverfahren bei Digitalisierungsprojekten) sowie verbesserte Vernetzung von Beständen ermöglicht, die wiederum die Basis für eine größere Zugänglichkeit darstellt.

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  1. Einen Überblick über dahingehende Handlungsfelder liefert Nina Frank in ihrer Abschlussarbeit am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität (Frank 2007). Einige Änderungsvorschläge sind mittlerweile durch die GND-Kooperative umgesetzt worden.↩︎

  2. Die Deutsche Nationalbibliothek hat im Jahr 2010 begonnen, den stetig wachsenden Posten der digitalen Medienwerke durch maschinelle Erschließungsverfahren zu bearbeiten. Seit 2017 werden auch zusehends physische Medien auf diese Weise erschlossen (Mödden et al. 2018, S. 30).↩︎

  3. Ein Problem bei der Verwendung freier Stichwörter durch Autor*innen ist, dass Suchende nur mit exakt denselben Begriffen Sucherfolge erzielen können. Synonyme, Homonyme (zum Beispiel Bank), Pluralformen und andere Abweichungen führen dann nicht zum Titel. Eine weitere Schwierigkeit entsteht bei der Suche in anderen Sprachen und bei unterschiedlichen Schreibweisen (Beall 2008, 439 ff.).↩︎

  4. Grundsätzlich liefert der Rückgriff auf kontrollierte Schlagwörter präzisere und umfassendere Suchergebnisse durch eine erhöhte Beschreibungsqualität und zusätzliche Sucheinstiege. Gross et al. beschreiben in ihrer Metastudie über die Auswirkung des kontrollierten Vokabulars auf die Ergebnisse der Schlagwortsuche, dass durchschnittlich etwa ein Drittel der Treffer bei der Schlagwortsuche verloren gehen würden, wenn diese aus den Katalogeinträgen entfernt oder nicht mehr enthalten wären (Gross et al. 2015, S. 31).↩︎

  5. Die automatisierte Erschließung basiert darauf, dass nach der Identifikation einzelner relevanter Themen/Termini bei der Suche nach passenden Annotationsbegriffen auf kontrollierte Vokabulare beziehungsweise Normdateien zu Abgleichszwecken zurückgegriffen wird. Für eine detailliertere Verfahrensübersicht siehe Uhlmann (2013).↩︎

  6. Entität meint in diesem Kontext eine Informationseinheit, die zweifelsfrei zu identifizieren ist, wie die Bezeichnung für einen Sachverhalt. Entitäten können durch Begriffsdefinitionen einschließlich Quellenangaben und eindeutige Kennnummern, in Form von persistenten Identifikatoren (zum Beispiel Digital Object Identifier) ergänzt werden.↩︎

  7. Das Semantic Web als ausgedehntes Geflecht von Datensätzen und anderen Webressourcen erlaubt die Verknüpfung von Material aus verschiedenen Wissensdomänen, das auch von Maschinen verarbeitet werden kann. Dadurch ist eine bessere Interaktion zwischen Mensch und Computer möglich.↩︎

  8. Für eine historische Einordnung von Erschließungspraktiken sowie Wissensorganisationssystemen und der Machtverwobenheit von Benennungs- und Klassifikationspraktiken sind die Arbeiten von Hope Olson aufschlussreich (Olson 2002, 2004). Das Themenfeld Rassismus und dessen Verknüpfung zu anthropologisch-evolutionären Theorien in Klassifikationssystemen arbeitet unter anderem Melissa Adler in ihrem Artikel: Classification along the Color Line: Excavating Racism in the Stacks näher aus (Adler 2017a). Siehe in Bezug auf Fragen der Geschlechterverhältnisse und -stereotype sowie der expliziten Nennung von Frauen und Männern beziehungsweise geschlechtergerechte Formulierungen und was diese für präzise Suchanfragen bedeuten die Arbeiten von Karin Aleksander (2014) und Sandra Sparber (2016). Bezüglich des Themenfelds Sexualität sei an dieser Stelle die Arbeit von Samuel J. Edge (2019) und für den deutschsprachigen Raum auf den Vortrag von Hannes Hacke: Schlagwörter, Normdaten, Tags – Sexualitätsbezogenes Vokabular in Sammlungsdatenbanken, den er im Februar 2021 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden gehalten hat, hingewiesen. Zu finden unter: https://www.youtube.com/watch?v=Gc-Ntsg-0m0↩︎

  9. Eine zentrale Intervention bezüglich problematischer Termini innerhalb der Library of Congress Subject Headings stellte das Buch Prejudices and Antipathies. A Tract on the LC Subject Heads Concerning People von Sandford Berman (1971) dar. Aber auch bezüglich einzelner Begriffe gibt es immer wieder Diskussionen. So gab es Veröffentlichungen zu den Begriffen East Indians (Biswas 2018) und eine sehr breite und öffentlichkeitswirksame Debatte zur Ersetzung des Begriffs Illegal Aliens durch Undocumented Immigrants (Lo 2019; Aguilera 2016).↩︎

  10. Siehe hier exemplarisch den Artikel von Sharon Block in welchem sie in Hinblick auf die wichtige wissenschaftliche Datenbank JSTOR herausarbeitet, wie wiederholt Arbeiten zur Geschichte der Frauen, der afrikanischen Diaspora/Afrika, der amerikanisch-indigenen Bevölkerung und des Siedlerkolonialismus in der Verschlagwortung missrepräsentiert oder gänzlich ignoriert werden und somit der Zugang zu diesen Inhalten erschwert wird (Block 2020).↩︎

  11. Innerhalb der GND gibt es über 4000 Datensätze, die Bevölkerungsgruppen bezeichnen, welche unter der Systematikstelle Volks- und Völkerkunde zu finden sind. Trotz andauernder Umarbeitungen finden sich noch unkommentierte, veraltete und wertende Bezeichnungen (bei Hauptansetzungen und Synonymen als auch bei den beschreibenden Kurztexten), die eine Revision nötig machen. Gruppenbezeichnungen im Definitionstext umfassen beispielsweise Negrito-Volk, Indianerstamm, Primitiver Stamm, Naturvölker. Dies ist unter anderem begründet durch zugrundeliegende alte (fachliche) Nachschlagewerke, die Schwierigkeit passende Oberbegriffe zu finden und das grundsätzliche Problem für alle zufriedenstellende Bezeichnungen zu finden sowie der schieren Anzahl an Datensätzen.↩︎

  12. An dieser Stelle sei kurz auf zwei Projekte in diesem Bereich verwiesen: Der Indigenous Mapping Workshop unterstützt und erarbeitet zusammen mit indigenen Gruppen umfassendes Geodaten-Material, um auf diesem Weg deren Perspektiven, Rechte und Interessen zu unterstützen (https://www.indigenousmaps.com/).

    Ein anderes Kartenprojekt stellt Coming Home to Indigenous Place Names in Canada dar, welches Kartenmaterial auf Basis von indigenen Ortsnamen in Kanada erstellt. Auf diese Weise wird die indigene Benennungsautorität bezüglich Ortsnamen gewürdigt und Wissen mit Erlaubnis der First Nations-, Métis- und Inuit-Gemeinschaften geteilt. Die Ortsbezeichnungen markieren unter anderem Versammlungsplätze der Gemeinschaften und machen die indigene Präsenz in der kanadischen Landschaft mittels indigener Sprachen sichtbar (https://umaine.edu/canam/publications/coming-home-map/).↩︎

  13. Diese mitunter neu zu schaffenden Systeme basieren dann eventuell auch auf anderen Prinzipien als die derzeit hegemonialen Systeme. Littletree et al. nennen in diesem Kontext sieben Bestandteile für indigene Knowledge Organization Systems: Indigenous authority, Indigenous diversity, wholism and interrelatedness, Indigenous continuity, Aboriginal user warrant, designer responsibility, and institutional responsibility. (Littletree et al. 2020, S. 415)↩︎

  14. Wikidata bietet beispielsweise die Möglichkeit, innerhalb der Datenstruktur umstrittene Bezeichnungen und Definitionen kenntlich zu machen und kontrastierende Angaben zu hinterlegen.↩︎

  15. Innerhalb der GND findet sich beispielsweise der Datensatz zur Sammelbezeichnung Khoikhoin (http://d-nb.info/gnd/4025936-5). Hier wurde der problematische Begriff Hottentotten als Synonym beibehalten, aber mit einer kurzen Erklärung versehen, dass dieser eine abwertende Konnotation besitzt. Auf diese Weise sind Sucheinstiege und Wissensspuren erhalten geblieben und trotzdem ist zumindest eine kurze Kontextualisierung beziehungsweise historische Einordnung erfolgt.↩︎


Moritz Strickert (https://orcid.org/0000-0001-9626-5932) ist Ethnologe/Soziologe und wissenschaftlicher Bibliothekar an der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin als Mitarbeiter des Fachinformationsdienstes Sozial- und Kulturanthropologie (FID SKA). Er arbeitet derzeit an einem Projekt zur Ethnologisierung der Gemeinsamen Normdatei (GND) und ist in der Arbeitsgruppe Thesauri des Netzwerks für nachhaltige Forschungsstrukturen in kolonialen Kontexten aktiv.