> > > LIBREAS. Library Ideas # 40

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doi:10.18452/23801 (edoc HU Berlin)

Postkoloniale Perspektiven auf den Kosmos Bibliothek


Zitiervorschlag
Paula Herm, "Postkoloniale Perspektiven auf den Kosmos Bibliothek". LIBREAS. Library Ideas, 40 ().


Dieser Beitrag beruht auf der Masterarbeit der Autorin mit dem Titel Koloniale Spuren in bibliothekarischen Sammlungen und Wissensordnungen – eine Untersuchung am Beispiel der Staatsbibliothek zu Berlin (2019) am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Besonderer Dank der Autorin gilt Aisha Othman, Ulla Wimmer und Michaela Scheibe.1

1. Einleitung: Postkolonialität – nicht nur ein Thema für Museen?

Spätestens seit der Debatte um das Berliner Humboldt-Forum und der Veröffentlichung des Berichts Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter Ende des Jahres 2018 von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy2 steht die Frage nach dem Umgang mit dem kolonialen Erbe für Museen prominent auf der Agenda. Bereits davor fanden Tagungen zum Erfahrungsaustausch und zu einzelnen Aspekten wie der differenzierten Definition der Sensibilität von Objekten in musealen Sammlungen und den praktischen Herausforderungen der Erfassung von kolonialer Provenienz statt.3 Der Deutsche Museumsbund (DMB) erstellte einen Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, der nun in dritter Fassung vorliegt,4 das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste (DZK) richtete ein neues Handlungsfeld zur Kolonialprovenienz in seinen Rängen ein und legte ein neues eigenes Förderprogramm auf5 und die Kulturstiftung der Länder richtete eine Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland6 ein. Es wurden Digitalisierungsvorhaben und internationale beziehungsweise transkulturelle Kooperationen angestoßen.7 Und: Es wurde auch – bislang vereinzelt – restituiert.8

Auch wenn bislang die Dekolonisierung von musealen Objektsammlungen (wie – perspektivisch – jüngst die Dekoloniale-Veranstaltungen im Sommer und Herbst 2021 in Berlin9) die Aufmerksamkeit weitgehend auf sich zieht, geht das Thema des Umgangs mit der kolonialen Vergangenheit und den Auswirkungen des europäischen/deutschen Kolonialismus bis in die Gegenwart nicht nur Museen an, sondern wirft auch Fragen für BID-Einrichtungen wie Bibliotheken und Archive auf. Denn immerhin sind dies Orte, an denen Wissen und Material – auch aus kolonialen Kontexten – gesammelt und aufbewahrt werden. Wie sieht es also im Bereich der Bibliotheks-, Informations- und Dokumentationseinrichtungen aus – inwiefern stellen sich dort postkoloniale, also durch die Kolonisierung und deren Nachwirkungen begründete Fragen beziehungsweise inwiefern könnten Postkolonialität und Dekolonialität/Dekolonisierung10 dort ein Thema sein? Was bedeuten diese Begriffe bezogen auf die systemische Rolle und die konkrete Praxis von Bibliotheken und Informationseinrichtungen? Der vorliegende Beitrag umreißt die Problematik und bietet eine erste Übersicht.

2. Eine systemtheoretische Sicht: Die Bibliothek als Speicherort des kollektiven Gedächtnisses

Will man das Verhältnis von BID-Einrichtungen und Kolonialität ergründen, ist es hilfreich, sich zunächst einmal das Verhältnis zwischen der Einrichtung Bibliothek und Wissenschaft sowie der Gesellschaft ganz allgemein zu vergegenwärtigen. Einem kulturwissenschaftlichen Ansatz folgend geht es hier um eine systemtheoretische Sicht auf die gesellschaftliche Position der Bibliothek als Institution. Auf der Grundlage des Luhmann’schen Verständnisses von Wissenschaft als sozialem Funktionssystem, dessen basale Operation Kommunikation ist, bezeichnet Konrad Umlauf Bibliotheken als Nukleus und als ein Subsystem der Wissenschaft als arbeitsteilige Ausgliederung innerhalb dieses Kommunikationssystems.11 Dabei bestünden die Leistungen dieses Subsystems in der Bewältigung, Aufbewahrung und Organisation von einer Menge zirkulierender Information. Damit ist auch klar, dass der wissenschaftlichen Kommunikation vorenthalten wird, was nicht in den Bestand einer Bibliothek aufgenommen wird oder was unauffindbar ist. Umlauf kommentiert diese Bedeutungszuweisungen durch Auswahl und Anordnung dahingehend, dass die Bibliothek die historische Dimension jener Kontextualisierung kaum deutlich mache.12

Aufgrund dieser Einbindung in gesellschaftliche Kommunikationsprozesse, in denen die Institution Bibliothek in Interaktion mit Wissenschaft und Gesellschaft steht, kann von ihr mit Tanja Hebers Worten als Speichersystem des kulturellen Gedächtnisses gesprochen werden.13 Um den Begriff des kulturellen Gedächtnisses noch genauer zu definieren, sei auf Aleida und Jan Assmanns Definition verwiesen, die es als eine in einer Kultur tief verankerte Tradition und als die über Generationen hinweg überlieferten Texte, Bilder und Riten verstehen, die das Zeit- und Geschichtsbewusstsein, das Selbst- und Weltbild prägen.14 Der Begriff des Selbstbilds verweist hierbei wiederum auf das Konzept der kollektiven Identität, einer Identität, welche Gesellschaften durch die Imagination von Selbstbildern und das Ausbilden einer Kultur der Erinnerung über die Generationenfolge hinweg aufrechterhalten.15

3. Eine postkoloniale und von Critical Whiteness Studies inspirierte Perspektive – was bedeutet das?

Der postkolonialen Theorie geht es darum, die verschiedenen Ebenen kolonialer Begegnungen in textlicher, figuraler, räumlicher, historischer, politischer und wirtschaftlicher Perspektive zu analysieren.16 Sie will die sozio-historischen Interdependenzen und Verflechtungen zwischen den Ländern des Südens und des Nordens [herausarbeiten].17 Dabei hat sie durchaus einen subversiven Antrieb, schließlich zielt sie darauf ab, die Konsequenzen des kolonialen Diskurses in seinen komplexen imperialistischen, patriarchalen und rassistischen Manifestationen herauszufordern, um die aus demselben resultierenden Wahrheitsregimes und Repräsentationsstrategien zu subvertieren,18 also freizulegen und umzukehren.

Einen maßgeblichen Grundstein für die postkoloniale Theorie in den Kulturwissenschaften legte Edward Said mit seinem 1978 erstmalig erschienenen Werk Orientalism. Darin kritisiert der Autor – eben als Orientalismus – den Blick westlicher sogenannter Orientexperten auf die Gesellschaften in Asien, Nordafrika und dem Nahen Osten als mystifizierend und überheblich.19 Er postuliert, dass westliche Wissenschaftler*innen die Kulturen des Orients mit einer eurozentristischen Haltung betrachten, präsentieren und dadurch überhaupt erst erschaffen. Mit Hilfe einer von der Foucault’schen Diskursanalyse inspirierten Methode, die als koloniale Diskursanalyse bezeichnet werden kann, skizzierte Said, wie der koloniale Diskurs dabei nicht nur die kolonisierten Subjekte, sondern gleichzeitig die Kolonisatoren hervorgebracht hat. Durch die Annahme der Überlegenheit des Westens sei das auf orientalistische Weise produzierte Wissen ein Instrument zur Aufrechterhaltung und Legitimierung kolonialer Machtstrukturen. Dass nicht nur wirtschaftliche und politische Fragen Schlachtfelder darstellen, drückte Edward Said in seinem Folgewerk Culture and Imperialism (1993) aus, in dem er die Macht von Narrativen als einen der wesentlichen Verknüpfungspunkte von Kultur und Imperialismus bezeichnete. Erzählungen und Sichtweisen haben also normative Wirkung, wirken kulturell und damit auch gesellschaftlich (fort). In kolonialen Diskursen wird durch verschiedene Repräsentationspraktiken eine Form rassifizierten Wissens über nicht-europäische Andere produziert, von denen sich das Wir der Europäer abgrenzt und dadurch seine Identität konstituiert. Dabei implizieren diese Diskurse und Praktiken den Anspruch, eine gleichsam natürliche europäische Dominanzstellung aufrechtzuerhalten.

Eine zentrale Methode postkolonial kritischer Diskursanalyse besteht daher in der Entlarvung von direkten und indirekten Zuschreibungen von Selbst- und Fremdbildern in kolonialen Narrativen durch binäre Zuschreibungen, die Subjekte und Objekte hierarchisieren und als Rechtfertigung einer anhaltenden Hegemonie dienen sollen. Frantz Fanon prägte in seinem Werk Les Damnés de la Terre (1961) den Begriff des kolonialen Manichäismus, der auf der Gegenüberstellung von Unterdrückern und Unterdrückten entlang rassistischer Stereotypisierungen beruht.20 Abdul JanMohamed fasst die kolonialistische Mentalität zusammen als von einer manichäischen Allegorie von Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Heil und Verdammung, Zivilisation und Wildheit, Überlegenheit und Unterlegenheit, Intelligenz und Emotion, Selbst und Anderem, Subjekt und Objekt bestimmten Haltung.21

In kolonialen Diskursen werden also in einer binären Opposition sowohl Identitätszuschreibungen der Kolonisierten als auch der Kolonisierenden transportiert. Das europäische Weiße Selbst konstituiert sich im Spiegel eines rassifiziert essentialisierten Anderen. Während der Orientalismus das Andere/die Anderen studierte und später in der wissenschaftlichen Bearbeitung durch die Black Studies vor allem in den USA in den 1960er und 1970er Jahren die Wirkung von Rassismen auf Schwarze und People of Colour, aber auch Aspekte des Widerstands und der Emanzipation untersucht wurden, wenden die seit den 1990er Jahren bestehenden Critical Whiteness Studies den Blick auf das rassifizierende Subjekt.

Susan Arndt stellt klar, dass

es nicht darum [geht], ontologisierend oder essentialisierend die Existenz des weißen Menschen oder einer weißen Kultur, zu postulieren, vielmehr ist Weißsein als eine Konstruktion des Rassismus zu lesen, die kollektive Wahrnehmungs-, Wissens- und Handlungsmuster konstituiert hat. Damit präsentiert sich Weißsein als eine historisch und kulturell geprägte symbolische und soziale Position, die mit Macht und Privilegien einhergeht und sich auch unabhängig von Selbstwahrnehmungen und jenseits offizieller Institutionen individuell wie kollektiv manifestiert.22

Zentrales Anliegen der seit 2005 auch im und für den deutschsprachigen Kontext betriebenen kritischen Weißseins-Forschung ist also das Sichtbarmachen der Normierung, Naturalisierung und Dehistorisierung Weißer Privilegien. Weißsein wird demnach als kritische Analysekategorie herangezogen, um die Maßgeblichkeit und unterstellte Normalität des Weißen, demgegenüber Abweichungen unnormal und anders ist, wahrzunehmen. Dabei ist die Frage nach Weißsein aufgrund der inneren Zusammenhänge eng verknüpft mit der Auseinandersetzung mit Rassismus, Kolonialismus und kolonialer Geschichte. Arndt begreift

Rassismus […] als Komplex von Gefühlen, Vorurteilen, Vorstellungen, Ängsten, Phantasien und Handlungen, mit denen Weiße aus einer weißen hegemonialen Position heraus Schwarze und People of Color strukturell und diskursiv positionieren und einem breiten Spektrum ihrer Gewalt aussetzen. [Er] baut auf von Weißen in Europa entwickelten Rassentheorien auf, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhoben haben. 23

Beim Sichtbarmachen geht es auch um das Benennen der eigenen Position, denn: Weil jeder von einem bestimmten Ort, einer bestimmten Zeit, aus einer bestimmten Geschichte und Kultur sieht, spricht und schreibt, sind auch Fragestellungen und Ergebnisse an die Position zurückgebunden, von der aus sie formuliert sind.24 Schließlich geht es um Hierarchien und Positionen – und damit um das Identifizieren von Macht in einem System, in dem einige die Profiteur*innen auf Kosten anderer, der Unterprivilegierten, sind.

4. Der postkoloniale Blick auf die Rolle, Aufgaben und Funktionsweisen der Institution Bibliothek

Im Rahmen einer postkolonial kritischen Analyse lassen sich nun die verschiedenen Ebenen bibliothekarischer Funktionen und Funktionsweisen in den Blick nehmen – und zwar unter der Fragestellung: Was wird wie dargestellt?

4.1 Die Ebene der Bestandsauswahl

Erwerb und Bestandsaufbau in Bibliotheken beinhaltet, selbst wenn diese Selektion nach einem definierten Erwerbungsprofil erfolgt und damit keineswegs willkürlich ist, mit jeder Entscheidung, einen Titel in den Bestand aufzunehmen oder nicht, die Ausübung von Macht. Das in Frage stehende Werk – und damit das Thema, das es behandelt, und die jeweilige Perspektive, die es vertritt – bekommt entweder die Chance, im auf dem Bibliotheksbestand basierenden Wissenssystem wahrgenommen und rezipiert zu werden – oder eben nicht.

Zur Illustration kann exemplarisch auf die Afrikastudien verwiesen werden. Das Fach der Afrikanistik ist in besonderem Maße mit der Herausforderung eines anhaltenden ideologisch erstarrten Wissens- und Interpretationsmonopols des Nordens über den Süden konfrontiert.25 So wird seitens Beteiligter im Wissenschaftssystem die Forderung artikuliert, diesem Missstand mit einer Afrikanisierung des Wissens zu begegnen.26 Allerdings stehen afrikanische Perspektiven im Zusammenhang mit ihrer Rezeption in Europa vor dem Dilemma, dass dieses Wissen nur im Rahmen genau jener konzeptuellen Sprache artikuliert und verständlich vermittelt werden kann, die afrikanische Menschen verzerrt darstellt und unterdrückt.27 Insofern kann von einem multidimensionalen metropolitan bias gesprochen werden, der sich in der Unterrepräsentation der afrikanischen Wissenschaft weltweit durch Disziplinen, Forschungsfelder und Fachrichtungen niederschlägt.28 Darüber hinaus ist festzustellen, dass die europäische Fixierung auf Schriftlichkeit zur Dokumentierung und Tradierung von Wissen eine mangelnde Sichtbarkeit und Rezeption von mündlichem Wissen zur Folge hat, was abermals die Einseitigkeit des Narrativs verstärkt.

Digitalisierungsvorhaben wie das Projekt Bewahrung und Weitergabe kollektiver Erinnerung in Afrika: Afrikanische Zeugenberichte und mündliche Literatur in der frühkolonialen Geschichte am Beispiel Kameruns29 unter der Leitung von Kum’a Ndumbe III. können eine alternative Geschichtsschreibung in Europa rezipierbar machen und damit als Korrektiv für die eurozentristische Geschichtsschreibung fungieren. Jedoch könnten solche Vorhaben in absehbarer Zukunft eine seltene Ausnahme bleiben. Immerhin hat die International Federation of Library Associations (IFLA) im Mai 2019 in einem Statement bezüglich indigenen traditionellen Wissens deklariert, dass sie die Notwendigkeit anerkennt, indigenes und lokales traditionelles Wissen im Interesse von indigenen Völkern und dem Rest der Welt zu schützen.30 Würden die von der IFLA angedachten Maßnahmen zur Bewahrung und Zugänglichmachung (mittels Digitalisierung und Zugänglichmachung im Sinne des Open Access) tatsächlich flächendeckend durchgeführt werden, wäre dies ein Baustein auf dem Weg zu einem Paradigmenwechsel, der die Bibliothek als Reproduktionsstätte hauptsächlich Weißen Wissens hin zu einer von Wissens- und Erzählungsvielfalt geprägten Plattform transformiert.

4.2 Die Ebene der Anordnung und Kontextualisierung

Im Hinblick auf die Ebene der Anordnung und Kontextualisierung von Quellen durch Bibliotheken kann festgestellt werden, dass die Wissensrepräsentation zunächst einmal, neutral betrachtet, zum Ziel hat, Wissen derart abzubilden, dass es optimal gesucht und gefunden werden kann,31 um so eine Brücke zwischen Ressourcen und Nutzenden32 zu bauen.

Ein kritischer Blick offenbart jedoch, dass in herkömmlichen Methoden der Wissensordnung in Bibliotheken – also in der systematischen wie in der verbalen Erschließung durch Klassifikationen und Schlagwortvergabe – unausweichlich Machtmechanismen wirken. So hat das in Beziehung Setzen von Titeln im Prozess der Katalogisierung mittels einer autoritären Hierarchisierung und mittels Assoziationen in Gegensätzen, Synonymen oder Unterkategorien potenziell auch eine reduktionistische und exkludierende Wirkung.33 Laut Melissa Adler führt die Universalität bibliothekarischer Wissensorganisationssysteme zu gewissen Blindheiten. Sie bemerkt in ihrem 2017 erschienenen Werk Cruising the Library. Perversities in the Organization of Knowledge:

The organization of unified subjects around a heteropatriarchal universality that assumes whiteness inhibits analysis that interweaves sexualities with racial and ethnic dimensions.34

In eine ähnliche Richtung kritisiert Karin Aleksander in dem Artikel Die Frau im Bibliothekskatalog im Hinblick auf die Vergabe von Schlagworten, dass stereotypische Geschlechterrollenmodelle die unbewusste Basis für die Ansetzungen bilden.35 Nach ihrer Bewertung ist

[d]iese Unterordnung von Frauenaspekten unter Männerallgemeinheiten […] am schwersten zu durchschauen und deshalb auch nur mit wachsender Erkenntnis, Überzeugung und Voranschreiten der gesellschaftlichen Entwicklung zu verändern.36

Um die große Herausforderung einer systemischen Transformation zu einer echten Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der Geschlechter zu unterstreichen, zitiert sie Pierre Bourdieu:

Wenn es darum geht, die soziale Welt zu denken, kann man die Schwierigkeiten bzw. Risiken gar nicht hoch genug veranschlagen. Die Macht des Präkonstruierten liegt darin, daß es zugleich in die Dinge und in die Köpfe eingegangen ist und sich deshalb mit einer Scheinevidenz präsentiert, die unbemerkt durchgeht, weil sie selbstverständlich ist. Der Bruch ist eigentlich eine Konversion des Blicks, und vom Unterricht in soziologischer Forschung kann man sagen, daß er zuallererst lehren muß, mit anderen Augen zu sehen … Und das ist nicht möglich ohne eine echte Konversion, eine metanoia, eine mentale Revolution, einen Wandel der ganzen Sicht der sozialen Welt.
Was man den epistemologischen Bruch nennt, also die vorübergehende Außerkraftsetzung der gewöhnlichen Präkonstruktionen und der gewöhnlich bei der Realisierung dieser Konstruktionen angewandten Prinzipien, setzt oft einen Bruch mit den Denkweisen, Begriffen, Methoden voraus, die allen Anschein des common sense, der gewöhnlichen Alltags- und Wissenschaftsvernunft (also alles dessen, was die herrschende positivistische Disposition honoriert und anerkennt) für sich haben.
37

Die Erkenntnis über die tiefsitzende Verankerung von Vorurteilen, die Aleksander in Bezug auf die Kategorie Gender konstatiert, lässt sich bei einer postkolonial kritischen Bibliothekskatalog-Lesart auch auf Kategorien wie Rasse oder Hautfarbe übertragen. In dem Dreischritt Erkennen – Benennen – Verändern auf dem Weg zu einer weniger diskriminierenden oder gar diskriminierungsfreien Wissensordnung ist sie nur die erste Etappe.

4.3 Bibliothek als Abbild der Wissenschaft

Melissa Adler stellt den Zusammenhang zwischen bibliothekarischer Wissensorganisation und nationaler Identität heraus, indem sie die Library of Congress-Klassifikation als eine history of nation-building interpretiert, in die rassifizierte und sexualisierte Subjekte eingeschrieben oder nicht eingeschrieben werden.38

Dabei werden, wie bereits weiter oben (unter 2.) mit Referenz zu Konrad Umlaufs diesbezüglicher Äußerung angeführt, die historischen Dimensionen der Kontextualisierung von Titeln durch Katalogisierung kaum markiert. Tanja Heber geht in ihrem schon zitierten Buch Die Bibliothek als Speichersystem des kulturellen Gedächtnisses auf die Interdependenz zwischen Staat und Bibliothek ein, indem sie darauf verweist, dass der Aufbau von Staat und Verwaltung die Grundlage für die Organisation bibliothekarischer Arbeit bildet.39

Mit ihrem Ansatz der Einteilung, Strukturierung, Normierung, Klassifizierung, Domestizierung und Disziplinierung der Welt spiegelt die Bibliothek als Einrichtung die aufklärerischen Ideale von Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit wider.

Sebastian Conrad und Shalini Randeria beschreiben in ihrem Buch Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften die Rolle und Wirkung des modernen Wissens im kolonialen Projekt dahingehend, dass es

(…) nicht nur Instrument und Waffe [war], sondern selbst Produkt eines Kontextes diskursiver Praktiken. Die kulturellen und sozialen Zusammenhänge der kolonialen Epoche hatten daher in den Produkten der europäischen Wissensordnung ihre Spuren hinterlassen.40

Insofern besteht eine enge Wechselbeziehung zwischen Kolonialismus und Wissenschaft: Die Wissensproduktion des Westens lässt sich in den Kontext der gewaltvollen kolonialen Erfahrung einordnen, die dieses Wissen produziert und strukturiert hat.41 Was für die biologische und medizinische sogenannte Rassenforschung mittlerweile weitläufig bekannt ist, gilt aber für eine Vielzahl weiterer Disziplinen wie zum Beispiel die Regionalstudien,42 Ethnologie, Geographie, Recht, Philosophie.

Diese Verwobenheit der Wissenschaft(en) mit dem Kolonialismus analysiert Wael Hallaq in seinem grundlegenden Werk Restating Orientalism, in dem er die Position des säkularen westlichen Selbst im Projekt der Moderne und den Problemkomplex von Macht und Wissen neu untersucht. Er liefert darin letztlich eine globale Kritik der Wissenschaft an sich, indem er the depth of academia’s lethal complicity in modern forms of capitalism, colonialism, and hegemonic power aufzeigt.43

Als Dienstleister und Teil der Wissenschaft sind folglich auch die Bibliothek und die Bibliotheks- und Informationswissenschaft keine neutralen Instanzen im (post)kolonialen Gefüge.

5. Überblick über derzeitige Entwicklungen zu postkolonialen Fragestellungen im BID-Bereich

5.1 Koloniale Artefakte in Bibliotheken

Möchte man Spuren von kolonialem Erbe in deutschen Bibliotheken ergründen, liegt es nahe, zunächst nach schriftlichen Artefakten kolonialen Ursprungs zu fragen.

Ein seltener Fall eines als koloniales Sammlungsgut anerkannten Buches, das restituiert wurde, ereignete sich im Februar 2019 im namibischen Gibeon: Die Wissenschaftsministerin von Baden-Württemberg Theresia Bauer gab dort in einem feierlichen Akt die Witbooi-Bibel, zusammen mit der Witbooi-Peitsche, an den Staat Namibia zurück.44 Beide Objekte gehörten Hendrik Witbooi, dem Anführer des Nama-Aufstands gegen die deutschen von General von Trotha geführten Schutztruppen im Jahre 1904.45 Er fiel dem Genozid der Deutschen an den Herero und Nama zum Opfer. Sein Regierungssitz war schon vorher, im Jahr 1893, geplündert worden, und der kommissarische Intendant für die Schutztruppe und Chef der Finanzverwaltung in Deutsch-Südwestafrika, Hofrat von Wassmannsdorf, überließ die geplünderten Gegenstände aus dem Besitz der Witbooi-Familie dem Linden-Museum Stuttgart.46 Die späte Rückgabe blieb bislang ein in ihrer Symbolkraft und politischen Prominenz singuläres Ereignis.

Recherchen zu der vorliegenden Arbeit zu etwaigen schriftlichen Artefakten im Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin ergaben, dass sich zumindest im Hauptbestand keine solche Objekte befinden. Da sich jedoch in den Sonderabteilungen eine Vielzahl bisher unerschlossener Materialien befindet, ist nicht auszuschließen, dass auch Artefakte aus kolonialen Kontexten darunter sind. Diese unklare, noch unerforschte Situation dürfte auch für andere Häuser und Sammlungen gelten.

Der bereits erwähnte Sarr/Savoy-Bericht nennt ebenfalls Bibliotheken als Lagerorte für schriftliche Artefakte aus kolonialen Kontexten.47 So fanden sich beispielsweise wertvolle Handschriften, die Frankreich während seiner Kolonialherrschaft in Mali geraubt hatte, in der Bibliothèque nationale de France in Paris.48 Der Verbleib einer Vielzahl von Manuskript-Schätzen in der alten Handelsstadt und dem mittelalterlichen Gelehrtenzentrum Timbuktu ist dem Umstand zu verdanken, dass Notabeln und Gelehrte im 17. Jahrhundert unter marokkanischer Besatzung und im 20. Jahrhundert unter französischer Okkupation ihre Bibliotheken versteckten oder sie zum Schutz vor Schändung und Raub einmauerten.49

Dass es auch Fälle gibt, in denen schriftliche Artefakte nach dem Ende der Kolonialzeit auf zweifelhaftem oder heute gar bekanntermaßen illegalem Wege in europäische Sammlungen gekommen sind, bezeugt die Existenz von Diebesgut des niederländischen Linguisten Jan Knappert in der Sammlung der Londoner School of Oriental and African Studies (SOAS). Der Experte für Bantusprachen hatte bei Recherchen in Kenia in privaten Literaturbeständen aus dem 17. und 18. Jahrhundert einzelne Seiten entwendet, die jetzt – nicht einmal mit einem entsprechenden Vermerk – als Knappert-Nachlass präsentiert werden.50 Dies ist auch insofern frappierend, als es sich bei diesen unrechtmäßigen Aneignungen um Vorgänge aus dem späten 20. Jahrhundert handelt.

Auch im Zuge des 2004 von der British Library ins Leben gerufenen Endangered Archives Programme (EAP), das die Bewahrung bedrohten schriftlichen Kulturguts durch Digitalisierung und Open-Access-Veröffentlichung auf dem EAP-Repositorium zum Ziel hat,51 sollen laut informierten Kreisen52 historische Originale abhandengekommen sein. Die Manuskripte waren für die Nutzung in Projekten im Rahmen des Programms nach London verschickt worden, um dort von Expert*innen bearbeitet zu werden. Aufgrund von verschwundenen Originalen und den daraus resultierenden Verwerfungen und dem Reputations- sowie Vertrauensverlust wurden die Digitalisierungsmodalitäten geändert: Die Original-Archivalien verlassen nunmehr nicht ihr Herkunftsland, sondern es werden Kameras und Scanner dorthin geschickt, für deren sachgemäße Bedienung lokales Personal geschult wird.53

5.2 Umgang mit Altbeständen aus der Kolonialzeit – Digitalisierungsprojekte

Was Altbestände aus der Kolonialzeit in deutschen BID-Einrichtungen betrifft, ist im Hinblick auf die staatliche Ebene das Bundesarchiv mit seiner Fülle von Material und Aspekten zu nennen. So hat es zum einen unter dem Titel Grenzexpedition und Völkermord – Quellen zur Kolonialgeschichte ein Portal digitalisierter Quellen eingerichtet.54 Zum anderen engagiert es sich in einem Kooperationsprojekt mit dem Goethe-Institut Kamerun um die Sicherung und Nutzbarmachung von Akten der deutschen Kolonialverwaltung.55

Das Pressearchiv des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA) ist keine staatliche, für das Untersuchungsfeld aber ebenso relevante Einrichtung. Seine Geschichte begann 1908 mit der Errichtung des Hamburgischen Kolonialinstituts, für dessen Pressedokumentation es zuständig war.56 Die Pressearchive von HWWA sowie dem 1914 ebenfalls in Hamburg gegründeten Institut für Weltwirtschaft wurden im Rahmen des Projekts Pressemappe 20. Jahrhundert digitalisiert und sind online verfügbar.57

Zu den digitalisierten Materialien zählen auch die Bestände der 1934 vom Hamburgischen Landesverband des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland (VDA) eingerichteten und 1945 aufgelösten Forschungsstelle für das Übersee-Deutschtum, darunter ein Zeitungsarchiv, eine Handbibliothek, Forschungs- und Prüfungsarbeiten und Vorträge.

Im Bereich der Universitätsbibliotheken lässt sich die abgeschlossene Digitalisierung einer Kollektion kolonialer Bildpostkarten an der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln anführen, die auf einem dafür eingerichteten Sammlungsportal für Forschungszwecke online zur Verfügung steht.58

Ein aufgrund seines beachtlichen Umfangs und seiner vielseitigen Bestandteile besonders bedeutsames Projekt ist die im Frühjahr 2019 abgeschlossene Digitale Sammlung Deutscher Kolonialismus (DSDK). Das Vorhaben umfasste die Digitalisierung und elektronische Erschließung von über 1.000 Quellen zur deutschen Kolonialgeschichte aus Beständen der Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen und der Universitätsbibliothek (UB) Frankfurt am Main. Die Quellen sind jetzt als Volltexte im Open Access verfügbar und aufgrund einer Kooperation mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) zudem in die virtuelle Forschungsinfrastruktur CLARIN-D integriert.59 Die Auswahl der digitalisierten Quellen wurde auf Grundlage des – ebenfalls digitalisierten – historischen Bandkatalogs Kolonialwesen der SuUB Bremen60 getroffen, der in einer weiterführenden Publikation61 wissenschaftlich aufgearbeitet wurde.

Für den Sammlungsbereich Afrika pflegt die Vereinigung für Afrikawissenschaften in Deutschland eine Liste von Institutionen mit entsprechenden Materialkollektionen im Schwerpunkt. Allerdings befinden sich dort nicht nur Referenzen für Archive und Bibliotheken mit ausschließlich kolonialhistorischen Quellen.62

Als erwähnenswertes Beispiel für ein kleineres Projekt zu Altbeständen aus kolonialem Kontext, das zwar primär an einer Bibliothek angesiedelt ist, aber doch mit Dokumenten aus einer Universitätsbibliothek arbeitet, kann das neuzeitliche Geschichtsseminar Kiel, Kamerun und zurück: Ein Projekt zur Digitalisierung kolonialer Reiseberichte gelten, das im Sommersemester 2019 an der Christian-Albrechts-Universität stattfand und sich mit Quellen aus der UB Kiel auseinandersetzte.63

Ein ambitioniertes groß angelegtes Projekt ist Ende 2021 mit einem Prototypen mit Material von 25 Pilotpartnereinrichtungen an den Start gegangen: Das an der Deutschen Digitalen Bibliothek unter der Domain https://ccc.deutsche-digitale-bibliothek.de/angesiedelte Onlineportal Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten soll künftig zu einer umfassenden zentralen Veröffentlichungsplattform für Informationen über Sammlungsgut – darunter auch Textdokumente – aus kolonialen Kontexten in deutschen Kultur- und Wissenseinrichtungen ausgebaut werden.64

5.3 BID-Praxis: Gremien zu kolonialer Provenienzforschung und Fragestellungen für die bibliothekarische Praxis

Ähnlich wie in Museen ist das Thema Provenienzforschung auch für Bibliothekar*innen schon seit geraumer Zeit relevant. So stand beim ersten von dem Arbeitskreis Provenienzforschung e. V. – hauptsächlich eine Interessenvertretung der Provenienzforscher*innen in den Museen – organisierten Tag der Provenienzforschung am 10. April 2019 auch das Thema koloniale Kontexte auf der Tagesordnung.65 Beim Deutschen Bibliotheksverband (dbv) ist die Kommission Provenienzforschung und Provenienzerschließung Ansprechpartnerin für alle Fragen rund um die Herkunft von Bibliotheksbeständen – bislang vornehmlich für den Kontext NS-Raubgut, darüber hinaus auch für kriegsbedingt verlagerten Kulturgüter (Beutegut) und Kulturgutverluste während der sowjetischen Besatzung und in der DDR (zum Beispiel durch die Bodenreform). Sie vertritt diesbezügliche bibliothekarische Belange nach außen.66 Außerdem fungiert die Kommission als Geschäftsstelle des Arbeitskreises Provenienzforschung und Restitution – Bibliotheken (APR-Bib). Letzterer, ein Zusammenschluss von im bibliothekarischen Bereich tätigen Provenienzforscher*innen, trifft sich regelmäßig zum Erfahrungsaustausch und erarbeitet Vorschläge für die Umsetzung bibliothekarischer Anliegen im Zusammenhang mit der Recherche nach NS-Raubgut.67 Das Themenfeld Koloniale Provenienz ist relativ neu auf der Agenda des dbv.

Ein Positionspapier zum Umgang mit Kulturgut aus kolonialen Kontexten in Bibliotheken, das dem Leitfaden Professionell Arbeiten im Museum des Deutschen Museumsbundes,68 in welchem unter anderem die Provenienzforschung in Bezug auf koloniale Bestände geregelt wird, vergleichbar ist, gibt es bislang nicht. Ein innerverbandlicher Prozess seitens des dbv ist jedoch bereits im Gang.69 Zur Beantragung der Fördermittel, die das DZK nach seinen neuen Förderrichtlinien seit Januar 2019 erstmals für Projekte zur Verfügung stellt, die sich der Aufarbeitung von Provenienzen von Kulturgut aus kolonialen Kontexten widmen, sind neben Museen auch Bibliotheken und Archive in Deutschland berechtigt.70 Projekte zu Kulturgut aus kolonialen Kontexten in Bibliotheken gibt es momentan noch nicht,71 aber es ist anzunehmen, dass in absehbarer Zukunft Förderanträge gestellt, bearbeitet und entsprechende Mittel bewilligt werden, so dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch bibliothekarische Provenzienforschungsprojekte anlaufen.

Als weiterer Aspekt der Beschäftigung einer eventuell kolonial geprägten Herkunft von Sammlungsmaterial ist die Markierung der Provenienz in Bibliothekskatalogen und sonstigen -datenbanken festzuhalten. Laut Michaela Scheibe, der Vorsitzenden der dbv-Kommission Provenienzforschung,

[erlaubt] die etablierte Form der Provenienzverzeichnung für Buchbestände auch die Verzeichnung der Exemplargeschichte bei kolonialen Kontexten (sowohl in den Katalogdatenbanken als auch im von ihr federführend unterhaltenen ProvenienzWiki). Damit ist der jeweilige Einzelfall abgedeckt, ohne dass eine pauschalisierte Zuordnung zum kolonialen Kontext erfolgt. Was derzeit noch diskutiert werden muss, ist die Aufnahme eines entsprechenden Deskriptors in den Thesaurus der Provenienzbegriffe – T-PRO (analog zu NS-Raubgut, Enteignung, Bodenreform…). In diesem Zusammenhang muss auch definiert werden, was unter diesen Begriff im Rahmen der Bibliotheksbestände fallen soll.72

5.4 BID-Theorie: Veröffentlichungen zu postkolonialen Themen im LIS-Bereich

Zu einer Bestandsaufnahme zu postkolonialen Fragestellungen im Bibliotheksbereich gehört auch ein Blick auf das Feld der aktuellen Veröffentlichungen zu entsprechenden Themen in den Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Die Suche nach deutschsprachigen LIS-Publikationen mit einem postkolonial kritischen Ansatz bestätigt den Befund einer bislang eher geringen Auseinandersetzung mit dem Themenfeld. Dies betrifft den Bereich der Monographien, aber auch eine diesbezügliche Recherche in Fachzeitschriften73 liefert kaum nennenswerte Treffer. Erwähnenswert ist für den deutschsprachigen Bereich insbesondere der Sammelband Koloniale Spuren in den Archiven der Leibniz-Gemeinschaft,74 in dem Archivmitarbeiter*innen markante Beispiele an Schrift- und Bildquellen aus ihren Beständen aus kolonialen Kontexten oder mit kolonialen Bezügen vorstellen.

Ebenso werden die englischsprachigen Titel hierzulande lediglich punktuell rezipiert. Am ehesten werden Bücher vom US-amerikanischen Verlag Library Juice Press, der seinen Schwerpunkt auf kritische Werke in Bibliotheks- und Informationswissenschaft gelegt hat, in Deutschland von der Zeitschrift LIBREAS. Library Ideas rezensiert.75 Dabei ist auch die Anzahl der englischsprachigen Veröffentlichungen überschaubar: In der Reihe Series on Critical Race Studies and Multiculturalism in LIS von Library Juice Press sind aktuell vier Titel erschienen, drei weitere sind in Vorbereitung.76 Vom in der Serie publizierten Buch Teaching for Justice – Implementing Social Justice in the LIS Classroom77 existieren derzeit (Stand 21.12.2021) laut dem Karlsruher Virtuellen Katalog (KVK) ein Exemplar in Bibliotheken in Deutschland. Das Werk Topographies of Whiteness – Mapping Whiteness in Library and Information Science78 ist gedruckt im Bestand von drei Bibliotheken nachgewiesen. Schließlich ist der Titel Pushing the Margins. Women of Color and Intersectionality in LIS79 laut KVK dreimal in deutschen Bibliotheken im Printformat verfügbar. Der Titel Borders and Belonging. Critical Examinations of Library Approachestoward Immigrants80 ist bislang an fünf Einrichtungen verfügbar. Im Frühling 2022 soll in der Serie der Band Everywhere and Nowhere: Understanding Diaspora in the Library81 erscheinen. Im Jahr 2021 ist bei MIT Press der im Open Access verfügbare Sammelband Knowledge Justice. Disrupting Library and Information Studies through Critical Race Theory82 erschienen, der seine Agenda bereits im Titel auf seine Fahnen geschrieben hat. Ebenfalls im Open Access verfügbar ist die noch nicht bei einem Verlag erschienene englischsprachige MA (LIS)-Dissertation der deutschen Autorin Nora Schmidt mit dem Titel The privilege to select. global research system, European academic library collections, and decolonisation.83

Auch wenn man sich die Curricula von LIS-Studiengängen in Deutschland anschaut, gelangt man zu der Feststellung: Die Vermittlung einer postkolonial kritischen Perspektive auf die Disziplin, bibliothekarische Berufe und die Rolle der Bibliotheken in Gesellschaft und Wissenschaftssystem ist derzeit nicht vorgesehen.

6. Befunde der Bibliotheksumschau

Im Rahmen der vorangegangenen Bibliotheksumschau zu kolonialen Kontexten wurde deutlich, dass die Sensibilisierung für das deutsche koloniale Erbe in der BID-Welt bei Weitem noch nicht so hoch ist wie bei den Museen. Dass postkolonialen Fragestellungen in Bibliotheken vergleichsweise geringere Aufmerksamkeit zuteilwird, liegt vermutlich in erster Linie daran, dass es hier weniger – und weniger prominente – kolonial sensible Artefakte gibt. Das Problem präsentiert sich also weniger akut. Jedoch umfasst der Problembereich nicht nur Objekte und Provenienzen, sondern auch eine ganze Bandbreite von Wissenspraxen, Regelwerken und der bibliothekarischen Arbeit selbst.

Auch dahingehend zeigt die vorliegende Untersuchung, dass auf diesem historisch kritischen Feld noch Entwicklungspotenzial und -bedarf liegt, um kolonial konnotierte Reflexionen und – zum Teil unsichtbare und unbewusste – eurozentristische Perspektiven aufzudecken, zu benennen, infrage zu stellen und zu dekonstruieren. Dies gilt auf den verschiedensten Ebenen bibliothekarischen Handelns – vom Erwerben und Sammeln übers Erschließen bis hin zur Präsentation und Vermittlung von Beständen und Wissen.

Mit der aktuell auch und gerade in der Bibliothekswelt einsetzenden Sensibilisierung für die gesellschaftspolitische Bedeutung und historische Verantwortung, die mit Deutschlands kolonialem Erbe verbunden ist, steht zu erwarten, dass – überfällige – Kolonialprovenienzforschungsprojekte durchgeführt werden und wichtige neue Erkenntnisse hinsichtlich kolonialer Ursprünge und fragwürdiger Erwerbungskontexte von Bibliotheksbeständen hervorbringen werden. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass mit der voranschreitenden Digitalisierung weiteres Material erschlossen und sichtbar gemacht werden wird, welches kritisch erforscht werden kann.

Da BID-Einrichtungen sowohl mit ihren Sammlungen und mit ihren Katalogsystemen sowie mit ihrer systematisch-hierarchisierten und sprachlichen Wissensrepräsentation ein Abbild der gesellschaftlichen Vorstellungen und kollektiven Identität ihrer Zeit darstellen, spiegeln sie auch die herrschenden Auffassungen der Wissenschaft und damit Machtverhältnisse bezüglich Wertigkeiten sowie wissenschaftlicher Relevanz von Perspektiven, Fragestellungen und Methoden, bezüglich Deutungshoheit und Definitionsmacht wider.

Gleichzeitig prägen sie in ihrer Funktion als Gedächtnisspeicher in einer Wechselwirkung diese gesellschaftlichen Vorstellungen und wirken identitätsstiftend84 und haben so das Potenzial, sozio-kulturelle Transformationsprozesse mitzusteuern und eine wichtige Rolle bei gesellschaftlichen Entwicklungen als aktive Glieder zwischen Vergangenheit und Gegenwart für die Zukunft85 zu spielen.

7. Ausblick

Die vorliegende Untersuchung präsentiert gleichsam wie ein Makro-Panorama mit mehreren Zooms in die Mikroebene eine Bestandsaufnahme über koloniale und postkoloniale Reflexionen in deutschen BID-Einrichtungen und im deutschen BID-Wesen. Auch wenn postkoloniale Fragestellungen und Perspektiven weit davon entfernt sind, in der Mitte der bibliothekarischen Gesellschaft angekommen zu sein, lassen sich Chancen für eine gesteigerte Sensibilität und einen bewussteren Umgang mit dieser Thematik registrieren.

Was die Strukturierung und Hierarchisierung von Wissen in bibliothekarischen Klassifikationen anbelangt, ist als Alternative zu den herkömmlichen hierarchischen, vielfach auf Binarität beruhenden, autoritären Standardisierungsformen eine rhizomartige86 und partizipative patron-driven Relationierung von Bestandstiteln denkbar. Ansätze und auch praktische Modelle hierfür existieren bereits, man denke nur an die Stichworte Bibliothek 2.0 mit ihren Folksonomies, social tagging und schließlich das semantic web.

Die Digitalisierung gerade von Material aus postkolonialen Kontexten (ebenso natürlich aus präkolonialen Kontexten, sofern es sich um nicht-europäische/nicht-westliche Quellen handelt) hat ebenso das Potenzial, mehr nicht-weiße Perspektiven sichtbar zu machen, wie der bewusste vermehrte Erwerb von Materialien diverser Autor*innenschaft. So kann, in einem graduellen Prozess, der dominante unbenannte, da von der weißen Mehrheitsgesellschaft als normal angenommene, eurozentristische Blick – ganz nach der Forderung Provincialize Europe von Dipesh Chakrabarty87 – mit anderen Positionen und Blickweisen in Frage gestellt und relativiert werden. Gleichzeitig besteht auch im Zuge der Digitalisierung nach wie vor die Gefahr, die sich bereits im Bereich des World Wide Web teilweise realisiert hat, dass der eurozentrische Blick der große Profiteur von der Digitalisierung ist. Insofern eine Re-Kolonisierung anstatt einer De-Kolonisierung stattfindet.88

Eine weitere und tiefergehende Vernetzung nicht nur von nicht eurozentristischen beziehungsweise postkolonial kritischen Quellen innerhalb eines Bestands, sondern auch von Institutionen und ihren Beständen und Sammlungen, Repositorien sowie Katalogen in Deutschland wäre eine vorstellbare und wünschenswerte Herangehensweise.89 So wäre ein gemeinsamer Verbundkatalog zum deutschen Kolonialismus denkbar, vergleichbar mit dem gemeinsamen Internet-Katalog der Arbeitsgemeinschaft der Gedenkstättenbibliotheken (AGGB).90 Im Hinblick auf die Funktion von BID-Einrichtungen als Gedächtnisspeicher wäre ein solcher Verbundkatalog ein informationsstruktureller Beitrag zur Erinnerungskultur – gleichsam ein allen im Internet zugängliches virtuelles Denkmal.91 Wenn auch nicht sogleich als Grundstein für einen entsprechenden Verbundkatalog, so weist das vom FID Afrikastudien an der Universitätsbibliothek der Goethe-Universität Frankfurt am Main bei der DFG in der vergangenen Antragsrunde beantragte Projekt zum Aufbau eines Themenportals (Deutscher) Kolonialismus92 in genau diese Richtung. Umso bedauerlicher ist es, dass das Themenportal von der Förderung ausgenommen wurde, das 2020 gegründete Netzwerk Koloniale Kontexte hat sich jedoch die weitere Beschäftigung mit Fragen zur digitalen Zusammenführung von digitalen Materialien und Daten aus kolonialen Kontexten zur Aufgabe gemacht.93

Nicht zuletzt bedürfen solche Transformationsprozesse im deutschen BID-Wesen einer kritischen Selbstwahrnehmung der Bibliothekar*innen und sonstigen Entscheidungsträger*innen.94 Es ist meine Überzeugung, dass sie als Akteur*innen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich eine besondere Verantwortung haben, der historischen Verantwortung Deutschlands nicht nur an der Shoah, sondern auch an der Maafa95 gerecht zu werden.96

In diesem Sinne darf die vorliegende Arbeit als einer der ersten Beiträge zu einer bibliothekarischen Kolonialvergangenheitsbewältigung verstanden werden.


  1. Anmerkung Redaktion: alle Links im Beitrag wurden zuletzt erneut am 21.12.2021 geprüft.↩︎

  2. Sarr, Felwine/Savoy, Bénédicte: Zurückgeben: Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter. Berlin: Matthes & Seitz, 2019.↩︎

  3. Siehe beispielsweise Nicht nur Raubkunst! Sensible Dinge in Museen und wissenschaftlichen Sammlungen, 21./22.1.2016, Mainz, https://www.ifeas.uni-mainz.de/nicht-nur-raubkunst-sensible-dinge-in-museen-und-universitaeren-sammlungen/, die an die wegweisende Publikation des Buches von Margit Berner, Anette Hoffmann und Britta Lange Sensible Sammlungen. Aus dem anthropologischen Depot (Philo Fine Arts, 2011) anknüpfte; Provenienzforschung zu ethnologischen Sammlungen der Kolonialzeit, 7./8.4.2017, München, aus der ein von Larissa Förster, Iris Edenheiser, Sarah Fründt und Heike Hartmann herausgegebener Tagungsband hervorging, https://doi.org/10.18452/19029; Schwieriges Erbe. Koloniale Objekte – Postkoloniales Wissen, 24.4.2017, Stuttgart, ein Tagungsbericht von Myriam Gröpl und Sara Capdeville findet sich unter: https://kolonialismus.blogs.uni-hamburg.de/2017/05/19/tagungsbericht-schwieriges-erbe-koloniale-objekte-postkoloniales-wissen-24-04-2017-linden-museum-stuttgart/↩︎

  4. https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2021/03/mb-leitfanden-web-210228-02.pdf↩︎

  5. https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Forschungsfoerderung/Projektfoerderung-Bereich-Kulturgut-aus-kolonialem-Kontext/Index.html↩︎

  6. https://www.kulturstiftung.de/kontaktstelle-sammlungsgut-aus-kolonialen-kontexten-in-deutschland/↩︎

  7. Wie zum Beispiel das Projekt Digital Benin, https://digital-benin.org/↩︎

  8. So wurden zum Beispiel im Februar 2019 die Witbooi-Objekte an Namibia restituiert, siehe https://www.lindenmuseum.de/sehen/rueckblick/witbooi-objekte, und es wurde die Rückgabe der Säule von Cape Cross an Namibia beschlossen, deren offizieller Vollzug sich jedoch aufgrund der Corona-Pandemie verzögert, https://www.bundestag.de/presse/hib/845318-845318.↩︎

  9. https://www.dekoloniale.de/de; bei der Dekoloniale handelt es sich um ein Projekt, das in den Jahren 2020 bis 2024 ein von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Kultureinrichtungen des Landes Berlin getragenes Recherche-, Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm zum Thema Kolonialismus und postkoloniale Gegenwart durchführt; https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/projekte/erbe_und_vermittlung/detail/dekoloniale.html. Die Kulturstiftung des Bundes fördert in diesem Rahmen zum einen eine dekoloniale Kartierung und zum anderen ein Ausstellungsvorhaben für eine Berliner Topographie des Kolonialismus; https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/presse/pressemitteilungen/detail/13-12-2019-neue_vorhaben_der_kulturstiftung_des_bundes.html.↩︎

  10. Der in diesem Zusammenhang ebenfalls verwendete Begriff der Dekolonialität legt durch sein Präfix den Fokus der angestrebten Überwindung kolonialer Denkweisen und Verhältnisse nicht auf die zeitliche Dimension wie es das Präfix post tut, sondern antizipiert gewissermaßen die Erreichung dieses Ziel oder geht bereits den nächsten Schritt. Bei einem dekolonialen Ansatz im Umgang mit Texten, Diskursen, kulturellen Manifestationen oder materiellen Verhältnissen wird also bewusst auf eine vom Kolonialismus bereinigte Perspektive abgezielt.↩︎

  11. Umlauf, Konrad: Handbuch Bibliothek: Geschichte – Aufgaben – Perspektiven, Stuttgart: Metzler, 2012, S. 11–16.↩︎

  12. Ebenda; die Anleihen bei Luhmann zur systemtheoretischen Perspektive gerade im Hinblick auf Autopoiesis und Kommunikation werden auch erläutert in: Plassmann, Engelbert/Rösch, Hermann/ Seefeldt, Jürgen/Umlauf, Konrad: Bibliotheken und Informationsgesellschaft in Deutschland: Eine Einführung, Wiesbaden: Harrassowitz, 2011, S. 37–50; siehe dazu auch Rösch, Hermann: Academic Libraries und Cyberinfrastructure in den USA: Das System wissenschaftlicher Kommunikation zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Wiesbaden: Dinges & Frick, 2008, 11–30.↩︎

  13. Heber, Tanja: Die Bibliothek als Speichersystem des kulturellen Gedächtnisses, München: Tectum-Verlag, 2009, insbesondere S. 31–113.↩︎

  14. Assmann, Jan: Thomas Mann und Ägypten. Mythos und Monotheismus in den Josephsromanen. München: Beck, 2006, S. 70.↩︎

  15. Assman, Jan: Das kulturelle Gedächtnis: Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München: Beck, 2007, S. 18; Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München: Beck, 2006, S. 19.↩︎

  16. do Mar Castro Varela, María/Dhawan, Nikita: Postkoloniale Theorie: Eine kritische Einführung, Bielefeld: Transcript, 2015, Klappentext.↩︎

  17. Ebenda.↩︎

  18. do Mar Castro Varela, María/Dhawan, Nikita: Postkolonialer Feminismus und die Kunst der Selbstkritik, in: Steyerl, Hito und Gutierrez Rodriguez, Encarnación: Spricht die Subalterne deutsch? Münster: Unrast, 2003, S. 272.↩︎

  19. Said, Edward W.: Orientalism, New York: Pantheon Books, 1978.↩︎

  20. Fanon, Frantz: Les Damnés de la Terre, Paris: La Découverte, 2004, S. 45, 52, 89, 138.↩︎

  21. JanMohamed, Abdul R.: Manichean Aesthetics: The Politics of Literature in Colonial Africa, Amherst: University of Massachusetts Press, 1983, S. 4.↩︎

  22. Arndt, Susan: Mythen des weißen Subjekts: Verleugnung und Hierarchisierung von Rassismus, in: Eggers, Maureen M./Kilomba, Grada/Piesche, Peggy (Hrsg.): Mythen, Masken und Subjekte: Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster: Unrast, 2005, S. 343.↩︎

  23. Arndt, Susan: Ebenda, S. 341. Zentrale Fragen der postkolonialen Museologie untersucht Anna Greve in: Koloniales Erbe in Museen. Kritische Weißseinsforschung in der praktischen Museumsarbeit, Bielefeld: Transcript-Verlag, 2019.↩︎

  24. Strohschein, Juliane: weiße wahr-nehmungen: der koloniale blick, weißsein und fotografie, Diplomica: 2014, S. 7, Bezug nehmend auf Hall, Stuart (Hrsg.): Cultural Identity and Cinematic Representation, in: Framework 36: 68–81, 1993, S. 68. So wie Juliane Strohschein geht es mir im Hinblick auf die Selbstverortung: Meine Positionierung als weiß, steht – selbstverständlich – in Zusammenhang mit der Art, in der ich Weißsein thematisiere.↩︎

  25. Wolff, H. Ekkehard: Die Dämmerung der alten weißen Männer – Zur Kontroverse um den Afrikabeauftragten der Bundesregierung Günter Nooke, in: The Mouth. Critical Studies on Language, Culture and Society, 7.3.2019.↩︎

  26. Falola, Toyin/Jennings, Christian (Hrsg.): Africanizing Knowledge: African Studies across the Disciplines, New Brunswick: Transaction Publishers, 2002.↩︎

  27. Macamo, Elísio: Urbane Scholarship: Studying Africa, Understanding the World, in: Africa, 88:1, 2018, S. 1–10.↩︎

  28. Mama, Amina: Is It Ethical to Study Africa? Preliminary Thoughts on Scholarship and Freedom, in: African Studies Review, 50:1, 2007, S. 1–26. Bias meint dabei unbewusste Tendenzen, Vorannahmen.↩︎

  29. Ein Projekt der Fondation AfricAvenir International, Douala, in Kooperation mit dem Phonogrammarchiv an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien mit Förderung der Gerda-Henkel-Stiftung: https://www.gerda-henkel-stiftung.de/archivdouala↩︎

  30. IFLA, Statement on Indigenous Traditional Knowledge, 22.5.2019, https://www.ifla.org/publications/ifla-statement-on-indigenous-traditional-knowledge↩︎

  31. Stock, Wolfgang G./Stock, Mechtild: Wissensrepräsentation: Informationen auswerten und bereitstellen, München: Oldenbourg, 2008, S. XI.↩︎

  32. Wiesenmüller, Heidrun: RSWK Reloaded – Verbale Sacherschließung im Jahr 2018, in: BuB – Forum Bibliothek und Information, 2.1.2018.↩︎

  33. Adler, Melissa: Cruising the Library: Perversities in the Organization of Knowledge, New York: Fordham University Press, 2017, S. xii.↩︎

  34. Adler, Melissa: Ebenda, S. xvi.↩︎

  35. Aleksander, Karin: Die Frau im Bibliothekskatalog, in: LIBREAS. Library Ideas, 25, 2014.↩︎

  36. Aleksander, Karin: Ebenda.↩︎

  37. Aleksander, Karin: Ebenda, mit Bezug auf Pierre Bourdieu/Wacquant, Loïc J. D.: Reflexive Anthropologie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1996, S. 284f.↩︎

  38. Adler, Melissa: am angegebenen Ort, S. xvi, xvii.↩︎

  39. Heber, Tanja: am angegebenen Ort, S. 13.↩︎

  40. Conrad, Sebastian/Randeria, Shalini: Jenseits des Eurozentrismus: Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2013.↩︎

  41. Strohschein, Juliane: am angegebenen Ort, S. 42.↩︎

  42. Deren Vorläufer waren die sogenannten Kolonialwissenschaften, wie sie zum Beispiel an der Londoner School of Oriental and African Studies betrieben wurden, siehe Kwaschik, Anne: Der Griff nach dem Weltwissen: Zur Genealogie von Area Studies im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2018.↩︎

  43. Hallaq, Wael B.: Restating Orientalism: A Critique of Modern Knowledge, New York: Columbia University Press, 2018.↩︎

  44. Thiemeyer, Thomas/von Bernstorff, Jochen: Südwestdeutsch trifft Deutsch-Südwest. Baden-Württemberg gibt zwei kolonialzeitliche Objekte an Namibia zurück, Merkur, 2.5.2019.↩︎

  45. von Bernstorff, Jochen / Schuler, Jakob: Restitution und Kolonialismus: Wem gehört die Witbooi-Bibel?, Verfassungsblog, 4.3.2019.↩︎

  46. Ebenda; Pressemitteilung: Wichtiges Zeichen der Versöhnung, offizielle Internetseite des Landes Baden-Württemberg, 10.12.2018, https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/wichtiges-zeichen-der-versoehnung/.↩︎

  47. Am angegebenen Ort.↩︎

  48. Dramiga, Joe: Die Sankoré-Schriften, SciLogs, 19.8.2010.↩︎

  49. Dramiga, Joe: Ebenda; zum Erhalt der wertvollen Schriften gibt es mehrere Projekte internationaler Kooperation wie das Timbuktu Manuscripts Project, https://web.archive.org/web/20060505134134/http://www.sum.uio.no/research/mali/timbuktu/project/timanus.pdf↩︎

  50. Biersteker, Ann/Plane, Mark: Swahili Manuscripts and the Study of Swahili Literature, in: Research in African Literatures, Vol. 20, No. 3 (Autumn, 1989), S. 449–472, 455; Allen, James de Vere: Review of Four Centuries of Swahili Verse: A Literary History and Anthology by Jan Knappert, in: Research in African Literatures, Vol. 13, No. 1, Special Issue on Nigerian Literature (Spring, 1982), S. 141–148, 142: Vom Namen Knappert wurde der Swahili-Begriff kinaperti abgeleitet, meaning someone who asks to borrow something and then goes round telling everyone it is his and even selling it for his own gain, https://digital.soas.ac.uk/knappert↩︎

  51. https://eap.bl.uk↩︎

  52. Dies erfuhr die Autorin in einem zur Vorbereitung der Recherchen zur vorliegenden Untersuchung geführten Expert*inneninterview.↩︎

  53. https://eap.bl.uk/about↩︎

  54. Bundesarchiv, Grenzexpedition und Völkermord – Quellen zur Kolonialgeschichte, https://www.bundesarchiv.de/DE/Navigation/Entdecken/Kolonialgeschichte/kolonialgeschichte.html↩︎

  55. Bundesarchiv, Zwischen Bestandserhaltung und Bühnennebel – Deutsche Kolonialakten in Kamerun, https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Artikel/Ueber-uns/Aus-unserer-Arbeit/Textsammlung-Kamerun/kamerun.html?chapterId=38386↩︎

  56. http://webopac.hwwa.de/digiview/docs/hwwa.cfm↩︎

  57. http://webopac.hwwa.de/digiview/docs/forschungs.cfm↩︎

  58. Kolonialismus und afrikanische Diaspora auf Bildpostkarten, Sammlungsportal der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, https://www.ub.uni-koeln.de/sammlungen/bildpostkarten/index_ger.html↩︎

  59. https://www.suub.uni-bremen.de/ueber-uns/projekte/dsdk/↩︎

  60. Bandkatalog Kolonialwesen der SuUB Bremen, 1906 bis ca. 1940, http://brema.suub.uni-bremen.de/urn/urn:nbn:de:gbv:46:1-8837.↩︎

  61. Müller, Maria Elisabeth/Schmidt-Brücken, Daniel (Hrsg.): Der Bremer Bandkatalog Kolonialwesen: Edition, Sprachwissenschaftliche und bibliotheksgeschichtliche Kommentierung, Berlin: De Gruyter, 2017.↩︎

  62. https://vad-ev.de/afrika-archive-und-bibliotheken/↩︎

  63. Unter der Leitung der Dozentinnen Dr. Swantje Piotrowski, M.A., Carolin Liebisch-Gümüs, M.A.↩︎

  64. https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/content/journal/aktuell/onlineportal-sammlungsgut-aus-kolonialen-kontexten-gestartet↩︎

  65. https://www.arbeitskreis-provenienzforschung.org/tag-der-provenienzforschung-2021/tag-der-provenienzforschung-2019/; beim Arbeitskreis Provenienzforschung e. V. gibt es mehrere Arbeitsgruppen, darunter auch eine Arbeitsgruppe Koloniale Provenienzen, diese existiert seit 2017 ins Leben gerufen wurde und ist aus der oben erwähnten Münchner Tagung zur Provenienzforschung hervorgegangen ist.↩︎

  66. https://www.bibliotheksverband.de/kommissionen#Provenienzforschung%20und%20Provenienzerschliessung ihren Vorsitz hat derzeit Michaela Scheibe von der Staatsbibliothek zu Berlin inne, ebenda.↩︎

  67. https://www.bibliotheksverband.de/provenienzforschung-und-provenienzerschliessung↩︎

  68. Deutscher Museumsbund: Professionell arbeiten im Museum, Berlin: Deutscher Museumsbund, 2019, https://www.museumsbund.de/wp-content/uploads/2020/01/dmb-leitfaden-professionell-arbeiten-online.pdf↩︎

  69. Sammlungsgut aus Kolonialen Kontexten – Stellungnahme des Deutschen Kulturrates, 20.2.2019, S. 6 https://www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2019/03/Dossier-Kolonialismus.pdf; es gab im Frühjahr 2019 eine erste Umfrage zu Kulturgut aus kolonialen Kontexten in Bibliotheken, die von Prof. Dr. Thomas Bürger als Mitglied im Ausschuss Kulturerbe des Deutschen Kulturrats initiiert wurde und in Kooperation mit dem dbv durchgeführt wurde und in der es zunächst um Erkenntnisse ging, in welcher Form und in welchem Umfang derartige Bestände vorhanden und bekannt sind.↩︎

  70. Dies wurde auch in der Bibliotheks-Community kommuniziert, siehe zum Beispiel https://bibliotheksportal.de/2019/02/05/foerdermoeglichkeiten-2019/; https://web.archive.org/web/20210506195011/https://www.bibliotheksverband.de/datensaetze/newsletter-national/dbv-newsletter-nr-139-2019-07-februar.html↩︎

  71. Auskunft von Michaela Scheibe, Vorsitzende der dbv-Kommission Provenienzforschung.↩︎

  72. Ebenda, Auskunft per E-Mail, ebenso wie die Information, dass die Aufnahme eines Deskriptors in den T-PRO Ende August 2019 auf der darauffolgenden Sitzung der dbv-Kommission Provenienzforschung und Provenienzerschließung diskutiert werden sollte. [Stand aus der Masterarbeit, auf der dieser Text basiert.]↩︎

  73. Exemplarisch durchsucht wurden für die vorliegende Untersuchung die Archive der Zeitschriften Bibliothek: Forschung und Praxis und BuB – Forum Bibliothek und Information.↩︎

  74. Brogiato, Heinz Peter/Röschner, Matthias (Hrsg.): Koloniale Spuren in den Archiven der Leibniz-Gemeinschaft, Halle: Mitteldeutscher Verlag 2020.↩︎

  75. https://libreas.eu/↩︎

  76. https://litwinbooks.com/series-on-critical-race-studies-and-multiculturalism-in-lis/↩︎

  77. Cooke, Nicole A./Sweeney, Miriam E. (Hrsg.): Teaching for Justice: Implementing Social Justice in the LIS Classroom, Sacramento: Library Juice Press, 2017; immerhin verweist die Suche nach der Person der erstgenannten Herausgeberin auf eine Ausgabe zu Race and Ethnicity in Library and Information Science: An Update der Zeitschrift Library Trends 67 (1) Summer 2018, die wiederum an eine dort mit der Ausgabe Ethnic Diversity in Library and Information Science, herausgegeben von Kathleen de la Peña McCook, Library Trends 49 (1) Summer 2000, begonnene Debatte anschließt.↩︎

  78. Schlesselman-Tarango, Gina (Hrsg.): Topographies of Whiteness: Mapping Whiteness in Library and Information Science, Sacramento: Library Juice Press, 2017.↩︎

  79. Chou, Rose/Pho, Annie (Hrsg.): Pushing the Margins: Women of Color and Intersectionality in LIS, Sacramento: Library Juice Press, 2018.↩︎

  80. Ndumu, Ana: Borders and Belonging: Critical Examinations of Library Approaches toward Immigrants, Sacramento: Library Juice Press, 2021.↩︎

  81. Moreno, Teresa Helena: Everywhere and Nowhere: Understanding Diaspora in the Library, Sacramento: Library Juice Press, 2022 (im Erscheinen).↩︎

  82. Leung, Sofia Y./López-McKnight, Jorge R.: Knowledge Justice: Disrupting Library and Information Studies through Critical Race Theory, Cambridge, Massachusetts: The MIT Press, 2021.↩︎

  83. Schmidt, Nora: The privilege to select: global research system, European academic library collections, and decolonisation, 2020, https://portal.research.lu.se/ws/files/83315048/diss_master_print_final.pdf↩︎

  84. Heber, am angegebenen Ort, S. 8.↩︎

  85. Mittler, am angegebenen Ort, S. 39.↩︎

  86. Siehe Schulz, Bastienne: Die Karibik zwischen Enracinement und Errance: Neobarocke Identitätsentwürfe bei Édouard Glissant und Patrick Chamoiseau, Berlin: Ed. Tranvia, 2014, wo sie mit Bezug zu Deleuze/Guattari erläutert: Die Prinzipien der Konnexion und Heterogenität besagen, dass im Gegensatz zum Strukturbaum das Rhizom nicht aus binären Verbindungen besteht. Es verbindet vielmehr mittels unterschiedlicher Linien einen beliebigen Punkt mit einem anderen. Treffen diese Linien aufeinander, entsteht ein Bruch, an dem das Rhizom weiter wuchert. Es entsteht eine Anti-Genealogie (Prinzip des asignifikanten Bruchs), Gilles Deleuze and Félix Guattari, Mille Plateaux (Éditions de minuit, 1980, S. 10ff.).↩︎

  87. Dipesh Chakrabarty, Dipesh: Provincializing Europe: Postcolonial Thought and Historical Difference, Princeton: 2000. https://books.google.de/books/about/Provincializing_Europe.html?id=QqDa4tGENvYC&pgis=1↩︎

  88. Stingl, Alexander I. The Digital Coloniality of Power: Epistemic Disobedience in the Social Sciences and the Legitimacy of the Digital Age, Lanham: Lexington Books, 201.↩︎

  89. Das oben erwähnte neue Onlineportal Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten könnte genau so etwas werden, allerdings beschränkt auf den zweiten Aspekt, also ohne den Einbezug postkolonial kritischer Quellen.↩︎

  90. https://www.topographie.de/aggb/online-katalog/↩︎

  91. Thein, Helen: Gedenkstättenbibliotheken: Zur Bestimmung eines Bibliothekstyps (Humboldt-Universität zu Berlin, 2017), S. 45, https://doi.org/10.18452/18443↩︎

  92. Welches die Sammlungen von (1) Kolonial-Bibliothek der UB Frankfurt/Main, (2) Kolonialem Bildarchiv der UB Frankfurt, (3) das oben bereits vorgestellte Projekt DSDK sowie (4) die Digitalisierte Zeitschriften des FID Sozial- & Kulturanthropologie (SKA) in ein Nachweissystem zusammenführen will. Ebenso ist die Einbindung des Archivführers Kolonialismus der FH Potsdam in das Projekt angedacht.↩︎

  93. https://www.evifa.de/de/ueber-uns/fid-projekte/netzwerk-koloniale-kontexte↩︎

  94. Hier noch einmal der Hinweis auf meine Selbstverortung als Weiße und meine aus dieser Sozialisierung geprägten Gedanken und Haltungen. Ich kann nicht für Schwarze und People of Colour sprechen, aber darauf hinweisen, dass es emanzipatorische Bibliothekseinrichtungen für eine von Rassismus in Deutschland betroffene Klientel durchaus gibt, zum Beispiel die beim Referent_innenrat der HU Berlin angesiedelte Stelle Amo Books, auch als A.W. Amo Books bekannt, versteht sich als selbstkritische Menschenrechts- und Entkolonialisierungsquelle für die kritische afrikanische Diaspora in Deutschland, die sich gegen Rassismus, sowie für Menschenwürde und Selbstbestimmung einsetzt. Amo Books umfasst unter anderem eine Bibliothek, einen Info-Stand, eine Buchhandlung und einen Verlag: http://www.refrat.de/amo/wb/?js=1&lang=de↩︎

  95. Das von Marimba Ani geprägte Wort bedeutet in Kiswahili: Katastrophe, große Tragödie, schreckliches Ereignis’ und bezeichnet die komplexe interdependente Gemengelage von Sklaverei, Imperialismus, Kolonialismus, Invasion, Unterdrückung, Entmenschlichung und Ausbeutung, siehe dazu den Beitrag von Nadja Ofuatey-Rahal zu Maafa in: Susan Arndt, Wie Rassismus aus Wörtern spricht : (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutscher Sprache ; Ein kritisches Nachschlagewerk (Unrast-Verl, 2011), S. 594.↩︎

  96. Zu diesem Thema fand im Mai 2021 ein Online-Workshop unter dem Titel Wissenschaft und Universität zwischen kolonialer Vergangenheit, postkolonialer Gegenwart und dekolonialer Zukunft an der Eberhard Karls Universität Tübingen statt; https://wissenschaftliche-sammlungen.de/de/termine/online-workshop-wissenschaft-und-universitaet-zwischen-kolonialer-vergangenheit-postkolonialer-gegenwart-und-dekolonialer-zukunf.↩︎


Dr. Antonia Paula Herm (LL.M., Maître en droit, M.A. (LIS)) hat Rechtswissenschaft in Potsdam, Paris und Aberdeen und berufsbegleitend Bibliotheks- und Informationswissenschaft in Berlin studiert. Sie ist derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Fachinformationsdienst für internationale und interdisziplinäre Rechtsforschung an der Staatsbibliothek zu Berlin tätig.