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doi:10.18452/23811 (edoc HU Berlin)

Das liest die LIBREAS, Nummer #9 (Herbst / Winter 2021)


Zitiervorschlag
Redaktion LIBREAS, "Das liest die LIBREAS, Nummer #9 (Herbst / Winter 2021)". LIBREAS. Library Ideas, 40 ().


Beiträge von Ben Kaden (bk), Karsten Schuldt (ks), Michaela Voigt (mv), Viola Voß (vv), Sara Juen (sj)

1. Zur Kolumne

Ziel dieser Kolumne ist es, eine Übersicht über die in der letzten Zeit erschienene bibliothekarische, informations- und bibliothekswissenschaftliche sowie für diesen Bereich interessante Literatur zu geben. Enthalten sind Beiträge, die der LIBREAS-Redaktion oder anderen Beitragenden als relevant erschienen.

Themenvielfalt sowie ein Nebeneinander von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Ansätzen wird angestrebt und auch in der Form sollen traditionelle Publikationen ebenso erwähnt werden wie Blogbeiträge oder Videos beziehungsweise TV-Beiträge.

Gerne gesehen sind Hinweise auf erschienene Literatur oder Beiträge in anderen Formaten. Diese bitte an die Redaktion richten. (Siehe Impressum, Mailkontakt für diese Kolumne ist zeitschriftenschau@libreas.eu.) Die Koordination der Kolumne liegt bei Karsten Schuldt, verantwortlich für die Inhalte sind die jeweiligen Beitragenden. Die Kolumne unterstützt den Vereinszweck des LIBREAS-Vereins zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation.

LIBREAS liest gern und viel Open-Access-Veröffentlichungen. Wenn sich Beiträge dennoch hinter eine Bezahlschranke verbergen, werden diese durch [Paywall] gekennzeichnet. Zwar macht das Plugin Unpaywall das Finden von legalen Open-Access-Versionen sehr viel einfacher. Als Service an der Leserschaft verlinken wir OA-Versionen, die wir vorab finden konnten, jedoch auch direkt. Für alle Beiträge, die dann immer noch nicht frei zugänglich sind, empfiehlt die Redaktion Werkzeuge wie den Open Access Button oder CORE zu nutzen oder auf Twitter mit #icanhazpdf um Hilfe bei der legalen Dokumentenbeschaffung zu bitten.

2. Artikel und Zeitschriftenausgaben

2.1 Vermischte Themen

[Schwerpunktthema dieser Ausgabe] Baumann, Daniela Yvonne: [Rezension zu] Jennifer Bajorek, Unfixed: Photography and Decolonial Imagination in West Africa. In: Camera Austria 153 (2021); S. 91. [gedruckt]

Ausführlich würdigt die Rezensentin Jennifer Bajoreks die 2020 bei Duke University Press (https://doi.org/10.1515/9781478004585) erschienene Studie zur Fotografiegeschichte in West-Afrika, in der sie nicht nur Fotograf*innen und ihre Arbeiten vorstellt, sondern der Frage nachgeht, inwieweit ein eigenständiges genuin afrikanisches Publikationsformat für Fotografie – hier am Beispiel der ab 1953 von dem senegalesischen Schriftsteller und Politiker Ousmane Socé Diop herausgegeben Zeitschrift BINGO, L’illustré africain Revue mensuelle de l’activité noire – und die darin transportierten Fotografien nicht allein postkoloniale Veränderungen dokumentieren, sondern zugleich auch prägen. Es geht folglich um Fotografie als mediales und politisches Verfahren der Dekolonisierung. Bemerkenswert scheint der Ansatz, über eine methodische Breite eurozentristische Projektionen auf den Gegenstand bewusst zu machen und soweit wie möglich zu vermeiden. Durch eine Annäherung in der Tiefe, bei der sie vor allem über Interviews mit Fotografierenden einerseits die Entstehungsbedingungen und andererseits die Wirkungen von Fotografie in Beziehung zu ihrem geografischen und geschichtlichen Setting über die Bildanalyse stellt, wird die Rolle der Fotografie für die Herausbildungen postkolonialer Identität, Vorstellungen und visuellen Baustein gesellschaftlichen Wandels herausgehoben. Diese Annäherung ist auch allgemein für eine dekolonial gerichtete Auseinandersetzung mit Kulturzeugnissen und -praxen und die dazu Forschenden relevant. Erstens, die Betroffenen sprechen lassen und ihre Perspektiven sichtbar machen und zweitens eine umfassende Kontextualisierung in geschichtliche Zeit und politischen Raum scheinen sich als zwei elementare Grundsätze dekolonialer Forschungspraxis anzubieten. (bk)


Kodua-Ntima, Kwame ; Akussahb, Harry ; Adjeib, Emmanuel (2021). Managing stress among library staff in public university libraries in Ghana. In: The Journal of Academic Librarianship 47 (2021) 4, 102362, https://doi.org/10.1016/j.acalib.2021.102362 [Paywall] [OA-Version: http://ugspace.ug.edu.gh/handle/123456789/36339]

Der Text berichtet von einer Umfrage unter Bibliothekar*innen an drei Universitäten in Ghana über die Level von Stress, welche diese im Berufsalltag erfahren und über Coping-Strategies, welche sie gegen diesen Stress anwenden. Sicherlich sind die Ergebnisse lokal geprägt. (Die Befragten melden ein moderates, aber kontinuierliches Level an Stress, mit Unterschieden zwischen den Universitäten und auch unterschiedlichen Schwerpunkten. Ihre Coping-Strategien sind vor allem auf persönlicher Ebene angesiedelt, beispielsweise indem Tage frei genommen oder starke zwischenmenschliche Kontakte etabliert werden.) Dennoch zeigt die Studie auf, dass Bibliotheken kein stressfreier Arbeitsplatz sind. Sie gibt ein Modell einer Umfrage vor, welche auch in anderen Bibliotheken durchgeführt werden könnte und gibt auch einige Hinweise dazu, was von Bibliotheksleitungen unternommen werden könnte, um den konstanten Stress ihrer Mitarbeitenden ausgleichen zu helfen. (ks)


Oberlies, Mary K. ; J. Kirker, Maoria ; Mattson, Janna ; Byrd, Jason (2021). Epistemology of Teaching Librarians: Examining the Translation of Beliefs to Practice. In: College & Research Libraries 82 (2021) 4, https://doi.org/10.5860/crl.82.4.513

In dieser Studie (Umfrage und strukturierte Interviews) beschäftigen sich die Autor*innen damit, wie Wissenschaftlichen Bibliothekar*innen, die mit dem Unterricht von Informationskompetenzen beschäftigt sind, ihre eigene Lehre reflektieren. Die Basis sind dabei US-amerikanische Dokumente, aber die grundsätzlichen Ergebnisse werden sich wohl ähnlich auch in anderen Ländern wiederfinden. Bibliothekar*innen haben einen gewissen Bias dazu, den eigenen Lernstil als allgemeinen Lernstil zu vermuten. Sie haben wenig Zeit und Praxis darin, ihre Lehre – inklusive der eigenen Annahmen dazu, welchen Lerntheorien sie implizit folgen – zu reflektieren, aber wenn, dann tun sie dies vor allem zusammen mit Kolleg*innen mit gleichen Aufgaben. Es gibt einen merklichen Unterschied zwischen dem, was die Bibliothekar*innen gerne inhaltlich unterrichten würden auf der einen Seite und dem, was von ihnen erwartet wird, das sie unterrichten auf der anderen. Nicht zuletzt lernen viele das Unterrichten nicht in der Ausbildung, sondern direkt in der Praxis. Dies führt dazu, dass sie sich oft Gedanken darum machen, ob sie ausreichend Autorität gegenüber den Studierenden vermitteln. Die Studie zeigt auch, dass diese Lehrpraxis in ständiger Veränderung ist und deshalb nicht einfach einmal festgeschrieben werden kann. Ein kontinuierliches Nachdenken darüber, was man eigentlich tut und warum, ist also für diese Kolleg*innen eigentlich notwendig, muss aber im Arbeitsalltag erst einmal ermöglicht werden. (ks)


Bridges, Laurie M. ; Llebot, Clara (2021). Librarians as Wikimedia Movement Organizers in Spain: An interpretive inquiry exploring activities and motivations. In: First Monday 26 (2021) 6–7, https://doi.org/10.5210/fm.v26i3.11482

Diese Interviewstudie zeigt einerseits, was Bibliotheken in Spanien mit der Wikipedia für Veranstaltungen und Angebote organisieren, wie sie an ihr mitarbeiten und versucht andererseits zu klären, warum sie das tun. Damit liefert der Text eine gute Übersicht über die Breite dieser Angebote und liefert damit einen (weiteren) Einstieg für Bibliotheken, die sich dafür interessieren.

Gleichzeitig zeigt er auch, dass der Grossteil der Motivation für die Arbeit der befragten Bibliothekar*innen mit der Wikipedia und ihren Schwesterprojekten weder intrinsisch motiviert ist, noch direkt aus der Wikipedia-Community entstammt. Auffällig war für die Autorinnen, dass die Bibliothekar*innen zwar Kontakte in diese Community haben, aber nicht selber Teil davon sind, auch wenn sie erfolgreiche Veranstaltungen für / mit der Wikipedia organisierten. Vielmehr wurden sie getrieben vom Interesse, lokale Sprachen und Kultur zu erhalten und zu dokumentieren, sowie Wissen an sich frei zu teilen. Dies widerspricht nicht den Zielen der Wikipedia, aber es zeigte sich trotzdem, dass Bibliotheken und Wikipedia zwei unterschiedliche Entitäten darstellen. (ks)


O’Neill, Brittany (2021). Do they know it when they see it?: Natural language preferences of undergraduate students for library resources. In: College & Undergraduate Libraries (Latest Articles), https://doi.org/10.1080/10691316.2021.1920535 [Paywall]

Regelmässig wird vermutet, dass Nutzer*innen den Bibliotheksjargon nicht verstehen würden und deshalb Schwierigkeiten damit hätten, Erklärungen von Bibliothekar*innen zum Beispiel bei Bibliothekseinführungen, oder aber auch den Aufbau von Bibliothekswebsiten zu verstehen. Diese Studie untersucht dies vor dem Hintergrund, dass es immer wieder die Idee gibt, dieses Problem anzugehen, indem stattdessen eine natürliche Sprache benutzt wird.

Konkret wurden Studierende gebeten, eine Umfrage auszufüllen, bei der ihnen beispielsweise eine Datenbank gezeigt wurde und sie dann sagen sollten, wie sie diese nennen. Untersucht wurde auch, ob sich die Antworten unterscheiden, wenn die Datenbank als Screenshot oder wenn eine schriftliche Definition gezeigt wurde. Das Ergebnis war ernüchternd: Viele Antworten waren falsch in dem Sinne, dass die Angebote anders benannt wurden, als sie von Bibliothekar*innen im Bibliotheksjargon genannt werden, gleichzeitig gab es auch keine Übereinstimmung in diesen falschen Antworten. Ob die Studierenden schon eine Bibliothekseinführung besucht hatten oder nicht, hatte auch keinen erkennbaren Einfluss auf ihre Antworten. Es gibt offenbar keine eindeutige Sprache, um Angebote von Bibliotheken zu benennen, sondern sie werden von Menschen immer wieder anders benannt und damit auch anders verstanden. Es ist wohl kein Fehler des Bibliotheksjargons, es gibt einfache keine natürliche Sprache, die man besser benutzen könnte. Die Zahl der befragten Studierenden in dieser Studie war klein, die Autorin verortet die Ergebnisse aber auch in der weiteren (erstaunlich umfangreichen) Forschung zu dieser Frage. (ks)


Durrant, Summer (2021). Using an Evaluation Grid to Holistically Assess Library Databases. In: Collection Management (Latest Articles), https://doi.org/10.1080/01462679.2021.1958723 [Paywall] [OA-Version: https://scholar.umw.edu/administrative/14]

Es wird – wie im Titel angekündigt – eine Form beschrieben, wie eine Bibliothek (University of Mary Washington, Virginia) Datenbanken bewertet, um Entscheidungen darüber zu treffen, ob sie (weiterhin) abonniert werden sollten oder nicht. In diesem Fall werden für eine Anzahl von Kriterien Punkte vergeben (diese sind im Anhang angegeben und lassen sich so theoretisch auch nachnutzen).

Interessanter als die konkrete Umsetzung ist die Darstellung des Status Quo. Die Autorin stellt selber fest, dass sich in vielen Wissenschaftlichen Bibliotheken die Frage stellt, wie Datenbanken und ähnliche Angebote besser bewertet werden können als mit reinen Kosten-Nutzen-Analysen. Dieser Wunsch nach ganzheitlichen Analysen hat verschiedene Lösungen hervorgebracht, die in Bibliotheken genutzt werden. Nur einige davon scheinen auch publiziert worden sein (zu den publizierten liefert der Artikel eine Übersicht). Wieder einmal zeigt sich hier ein Problem, das von vielen Bibliotheken offenbar alleine angegangen wurde, obwohl es sich praktisch allen stellt. Eine Zusammenarbeit und offene Diskussion zwischen Bibliotheken wäre hilfreich. (ks)


Garnar, Martin ; Tonyan, Joel (2021). Library as place: Understanding contradicting user expectations. In: The Journal of Academic Librarianship 47 (2021) 102391, https://doi.org/10.1016/j.acalib.2021.102391 [Paywall]

Die Autoren kritisieren in diesem Text zuerst, dass die meisten Bibliotheken sich damit zufrieden geben (oder sich nicht anderes zutrauen), Umfragen durchzuführen, wenn es darum geht, zu verstehen, wie Nutzer*innen die Bibliothek sehen und was sie von ihnen fordern. Vielmehr müssten mehr Methoden genutzt und vor allem mit Nutzer*innen direkt geredet werden, wenn man verstehen will, wie diese Bibliotheken wahrnehmen.

Anschliessend berichten sie von einer Studie in der Bibliothek der University of Colorado, in welcher sie versuchen, diesem Anspruch gerecht zu werden. Sie nutzen neben der Analyse der Bibliothek selber undeiner Umfrage auch Fokusgruppen und Interviews. Die Erkenntnis dieses Vorgehens ist, dass die Nutzer*innen den Raum Bibliothek als ruhigen Raum schätzen, in dem sie konzentriert arbeiten können, dass sie Zugang zu gedruckten und elektronischen Medien haben wollen und die Arbeit der Bibliothekar*innen positiv hervorheben. Ausserdem wollen sie einfach zugängliche Räume, die sie ohne grosse Einführungen nutzen können. Es zeigt sich also, wieder einmal, dass die grossen Veränderungen in der Nutzung, von denen Bibliotheken ausgehen, sich auch in dieser Bibliothek nicht wirklich zeigen. (ks)


Owens, E. (2021). Impostor Phenomenon and Skills Confidence among Scholarly Communications Librarians in the United States. In College & Research Libraries 82 (2021) 4, 490–512. https://doi.org/10.5860/crl.82.4.490

Twitter: Peter Suber (@petersuber), https://twitter.com/petersuber/status/1443645606468145153

Der Term Imposter-Syndrom benennt eine kognitive Verzerrung in Bezug auf die eigenen Fähigkeiten und Erfolge – nämlich eine verzerrte Selbstwahrnehmung, welche dazu führt, dass Betroffene sich selbst und ihre Leistungen regelmäßig unterschätzen und Sorge haben, dass andere sie als als unfähig (und ähnliches) entlarven könnten. Owens hat in einer Umfrage untersucht, wie verbreitet das Imposter-Syndrom unter Bibliotheksbeschäftigten ist, die im Bereich Publikationsunterstützung tätig sind. (Zum Umfeld scholarly communication zählt Owens dabei Personen, die sich mit den folgenden Themenfeldern beschäftigen: Repositorien, Wissenschaftliches Publizieren, Urheberrecht, (Forschungs-)Datenmanagement, Forschungsevaluation.) Owens hat im Zeitraum Mitte Februar bis Ende März 2020 Beschäftigte in wissenschaftlichen Bibliotheken in den USA online befragt; von 206 begonnenen Antworten konnte Owens 149 einzelne, abgeschlossene Umfrageergebnisse auswerten. Im Ergebnis stellt sie fest, dass das Imposter-Syndrom vergleichsweise häufig bei den Bibliotheksbeschäftigten verbreitet ist, die im Umfeld scholarly communication tätig sind. Sie führt selbst verschiedene Aspekte auf, die die Aussagekraft ihrer Umfrageergebnisse beschränken – unter anderem self-selection bias und dem allgemeinen Problem von mangelnder Objektivität bei Selbsteinschätzungen. Der Artikel ist – vielleicht vor allem anekdotisch – interessant, da er auch mögliche Strategien benennt, um dem Imposter-Syndrom im Arbeitsalltag zu begegnen.
Peter Suber macht auf Twitter auf diesen Artikel zum Imposter-Syndrom von Erin Owens aufmerksam: Die Ergebnisse bestätigen seine persönlichen Erfahrungen. In dem Twitter-Thread liefert er weitere Erklärungsansätze dafür, dass das Imposter-Syndrom vergleichsweise häufiger bei den Bibliotheksbeschäftigten verbreitet ist, die im Umfeld scholarly communication tätig sind: Gründe sind seiner Meinung nach unter anderem die Neuigkeit und Schnelllebigkeit der Themenfelder, welche in der Regel unter scholarly communication subsumiert werden, die mangelnde Abdeckung dieser Themenfelder in der Berufsausbildung sowie die Vielzahl und Vielfältigkeit der Themen, die in einer Institution durch eine Person oder sehr kleine Personengruppe abzudecken sind. (mv)

2.2 Kritik der aktuellen Versuche von Bibliotheken und Bibliothekswissenschaft, diverser zu werden

[Schwerpunktthema dieser Ausgabe] Mehra, Bharat (2021). Enough Crocodile Tears!: Libraries Moving beyond Performative Antiracist Politics. In: Library Quarterly 91 (2021) 2, 137–149, https://doi.org/10.1086/713046 [Paywall]

[Schwerpunktthema dieser Ausgabe] Cooke, Nicole ; Colón-Aguirre, Mónica (2021). Killing It from the Inside: Acknowledging and Valuing Black, Indigenous, and People of Color as LIS Faculty. In: Library Quarterly 91 (2021) 3, 243–249, https://doi.org/10.1086/714324 [Paywall]

[Schwerpunktthema dieser Ausgabe] Wiegand, Wayne A. (2021). Race and School Librarianship in the Jim Crow South, 1954-1970: The Untold Story of Carrie Coleman Robinson as a Case Study. In: Library Quarterly 91 (2021) 3, 254–268, https://doi.org/10.1086/714314 [Paywall]

Gleich zwei aktuelle Editorials – wobei es in dieser Zeitschrift oft mehr als ein Editorial pro Ausgabe gibt – der Library Quarterly (Mehra 2021 und Cooke & Colón-Aguirre 2021) thematisieren die Orientierung des US-amerikanischen Bibliothekswesens hin zu mehr Diversity im Anschluss an die Black-Lives-Matter-Proteste 2020. Dies aber kritisch, aus der Sicht von nicht-weissen Kolleg*innen. In beiden wird postuliert, dass die Themen an sich nicht neu wären: Rassismus gäbe es schon weit länger, Polizeigewalt auch. Mehra eher wütend, Cooke und Colón-Aguirre eher diplomatisch, aber trotzdem meinungsfest, halten dem Bibliothekswesen vor, dass es nicht einfach das Thema besetzen könne, ohne sich selber zu verändern. Es gäbe die Tendenz, einfach so zu tun, als wären Bibliotheken, Bibliotheksverbände und die bibliothekarische Ausbildung an sich schon antirassistisch, obwohl sich immer wieder das Gegenteil zeigt: Bei Redebeiträgen auf Konferenzen, bei den Ergebnissen von Programmen, die eigentlich Diversität im Bibliothekswesen verbessern sollten, in der Bibliothekspraxis oder im Umgang mit Kolleg*innen, die nicht zu den bestimmenden Gruppen der Gesellschaft gehören. Dies könne sich nur ändern, wenn das Bibliothekswesen die eigenen Strukturen analysiert, als veränderungswürdig begreift und dann tatsächlich verändert, also nicht nur darüber rede.

Dazu passt der auch in der Library Quarterly veröffentlichte Text von Wiegand über Carrie Coleman Robinson, die in den späten 1960er Jahren als Schulbibliothekarin in Alabama arbeitete und – vertreten durch die Teacher Association – den Bundesstaat Alabama wegen Diskriminierung aufgrund ihrer race verklagte. Wiegand stellt dar, wie die bibliothekarischen Verbände sich weigerten, diesen Prozess überhaupt wahrzunehmen oder gar ihr eigenes Mitglied, das Coleman Robinson war, zu unterstützen. Insbesondere die School Library Association akzeptierte stattdessen lieber segregierte Verbände in den Südstaaten, als sich überhaupt mit dem Thema Rassismus zu befassen. Wiegand, der auch sonst zur Bibliotheksgeschichte publiziert, reflektiert am Ende seines Artikels, dass Bibliotheken ihre eigene Geschichte als positiv sehen wollen, sich selber als progressive Institutionen und deshalb die Teile ihrer eigenen Geschichte ignorieren, welche zeigen, dass dieses Selbstbild historisch nicht stimmt. Damit vergäben sie sich auch die Chance, über ihre eigenen inhärenten Strukturen zu lernen, welche in den genannten Editorials kritisiert werden. (ks)


[Schwerpunktthema dieser Ausgabe] Cooke, Nicole A. ; Kitzie, Vanessa L. (2021). Outsiders-within-Library and Information Science: Reprioritizing the marginalized in critical sociocultural work. In: JASIST - Journal of the Association for Information Science and Technology 72 (2021) 10: 1285–1294, https://doi.org/10.1002/asi.24449 [Paywall]

Im Rahmen einer Schwerpunktausgabe, die sich damit auseinandersetzt, ob und wie es einen Paradigmenwechsel in der Library and Information Science (LIS) hin zu einem umfassenderen, von gesellschaftlichen Fragen geprägten Verständnis von Information und Informationsnutzung geben sollte, kritisieren Cooke und Kitzie die LIS grundsätzlich. Die Frage sei nicht, ob ein solcher Paradigmenwechsel notwendig sei – auch wenn sie ihn explizit nicht ablehnen –, sondern ob er überhaupt möglich wäre. Die in der Ausschreibung zur Schwerpunktausgabe eingeforderte Forschung zur Informationsnutzung, welche die Sichtweisen marginalisierter Gruppen mit einbezieht, andere Blickwinkel einnimmt und andere Forschungsparadigmen anwendet, als die in der LIS verbreiteten, würden schon existieren. Sie würden aber weder gesehen noch als vollwertig akzeptiert.

Das Feld der LIS sei geprägt von weissen Forschenden, welche auch in ihrer Forschung den eigenen Standpunkt nicht reflektierten und vor allem auch mittelständische Interesse und Blickwinkel einbringen. Forschende aus marginalisierten Gruppen würden nicht als gleichwertig, ihre Arbeiten als mehr kritikwürdig als andere behandelt. Wenn, dann würden sie als Token behandelt, welche zum Beispiel auf Panels eine Diversität repräsentieren sollen, die es in der konkreten Forschung aber nicht gibt. Es gäbe teilweise Abwehrprozesse gegen diese, auch weil sie dem Selbstbild einer neutralen Forschung widersprächen.

Cooke und Kitzie vertreten explizit die Meinung, dass sich die LIS grundsätzlich ändern muss und dabei die eigenen Grundannahmen benennen und reflektieren, aber auch Forschende aus marginalisierten Gruppen direkt unterstützen muss, beispielsweise indem deren Forschungsansätze und Forschungen in den Kanon aufgenommen und nicht als trendy oder irrelevant abgewehrt werden, wenn sie das Ziel erreichen will, diverser zu werden. Es gehe nicht um eine reine Ausweitung der Forschungsinteressen, sondern um eine Veränderung der LIS selber. (ks)

2.3 Veränderung der Aufgaben und der Arbeit in Wissenschaftlichen Bibliotheken

Glaser, Timo (2021). Digital Humanities aus dem Fachreferat heraus. In: 027.7 Zeitschrift für Bibliothekskultur / Journal for Library Culture 8(1). https://doi.org/10.21428/1bfadeb6.3daa6c49

Einen speziellen Bereich neuer Fachreferatsaufgaben prüft Timo Glaser: Die Digital Humanities (DH) als Informationskompetenz-Vermittlungsaufgabe und als Forschungsaufgabe. Denn: Es finden sich […] an Universitäten kaum Orte, an denen Studierende der Geisteswissenschaften diese Techniken lernen können. In einzelnen Studiengängen gibt es freilich fachspezifische Angebote, in reguläre Module oder Lehrveranstaltungen eingebettete Workshops oder Ähnliches werden allerdings eher selten von fachfremden Studierenden wahrgenommen. Fachübergreifende Workshops gibt es gelegentlich in Graduiertenschulen, diese stehen dann allerdings den meisten Studierenden nicht offen.

Aus diesen Überlegungen heraus ist an der UB Marburg das Digital Humanities Learning Lab entstanden (https://www.uni-marburg.de/de/ub/lernen/kurse-beratung/dll). Dieses Lab hat nicht nur die Sichtbarkeit der Bibliothek als Ansprechpartnerin für DH-Themen in unterschiedlichen Kontexten erhöht, sondern die aufgebauten Kompetenzen zu digitalen Techniken konnten auch in house profitabel eingesetzt werden, zum Beispiel bei der Informationsextraktion aus Texten und Dateien oder bei statistischen Auswertungen. Weitergeführt unter dem Blickwinkel DH als Forschungsaufgabe eröffnen sich dann weitere Möglichkeiten, den Forschungsalltag [zu] erleben und die Kommunikationsfähigkeit mit den Wissenschaftler:innen zu erhöhen. Aber: Inwieweit diese Tendenz auch im deutschsprachigen Bibliotheksbereich um sich greifen wird, bleibt abzuwarten. (vv)


Madhusudhan, Margam ; Lamba, Manika (2021). The changing roles of librarians: Managing emerging technologies in libraries. In: Singh, Sanjay Kumar ; Sarma, Kishor (Hrsg.). Quality Library Services in the New Era. Guwahati: EBH. S. 88–96. Preprint: https://doi.org/10.5281/zenodo.4721411

Mit der Frage der sich wandelnden Aufgaben von Subject Librarians befassen sich Margam Madhusudhan und Manika Lamba vom Department of Library and Information Studies der Uni Delhi. Sie haben 14 traditionelle und 16 aktuelle Rollen beziehungsweise Tätigkeiten identifiziert, zu denen sie ergänzend 24 (!) neue Rollen oder Tätigkeiten vorschlagen, von klein (zum Beispiel die Verwendung von QR-Codes auf der Bibliothekswebseite) bis groß (zum Beispiel der Einsatz von Blockchain-Technologien in verschiedenen bibliothekarischen Bereichen). Diese 24 sind nur [s]ome [Hervorhebung V.V.] of the new roles which liaison librarians should perform in addition to the traditional and current roles. Man könnte ja mal überlegen, was einem nach Durchsicht aller 54 Punkte noch als fehlend auffällt – und was man selbst unter Fachreferat beziehungsweise Subject/Liaison Librarian verbuchen oder vielleicht eher in anderen Abteilungen sehen würde.

Um all diese Rollen ausfüllen zu können, benötigt ein*e Librarian 4.0 Kompetenzen und Fähigkeiten aus neun Bereichen, die die Autorinnen zusammengestellt haben. Da überrascht es nicht, dass sie zu dem Schluss kommen: The role of a subject librarian is dynamic, broad, and intensive in nature. Ob Helmut Oehling mit solch einer Intensität gerechnet hat, als er 1998 seine Thesen zur Zukunft des Fachreferenten schloss mit These 12: Der Fachreferent 2000 ist unverzichtbar für Wissenschaft und Lehre und damit frei von allen Legitimationsproblemen seines Berufsstandes. Er erreicht Akzeptanz durch Kompetenz.?

(Oehling, Helmut (1998). Wissenschaftlicher Bibliothekar 2000 – quo vadis? 12 Thesen zur Zukunft des Fachreferenten. In: Bibliotheksdienst 32 (1998) 2: 247–254. https://doi.org/10.1515/bd.1998.32.2.247. [Paywall] [OA-Version, Preprint: https://www.tuhh.de/b/hapke/agfnthes.html]) (vv)


Li, Xiang ; Li, Tang (2021). The Evolving Responsibilities, Roles, and Competencies of East Asian Studies Librarians: A Content Analysis of Job Postings from 2008 to 2019. In: College & Research Libraries 82 (2021) 4, https://doi.org/10.5860/crl.82.4.474

Mit der schon etablierten Methode der Inhaltsanalyse von Stellenausschreibungen untersuchen Li & Li, wie sich die Aufgaben von Fachreferent*innen im Bereich Ostasien-Studien in den USA in den letzten Jahren verändert haben. Bedenkenswertes Ergebnis – insbesondere, wenn es sich auch für andere Fachgebiete und Länder zeigen sollte – ist, dass zwar der Aufgabenbereich um Kommunikation und Netzwerkarbeit innerhalb der jeweiligen Bibliothek und Universität sowie des gesamten bibliothekarischen Feldes gewachsen ist, aber dass bei allen Veränderungen weiterhin der Hauptfokus auf dem Bestandsmanagement liegt. Dies hat sich seit Jahrzehnten nicht verändert. (ks)


Morales, Jessica M. ; Beis, Christina A. (2021). Communication across the electronic resources lifecycle: a survey of academic libraries. In: Journal of Electronic Resources Librarianship 33 (2021) 2: 75–91, https://doi.org/10.1080/1941126X.2021.1913841 [Paywall] [OA-Version: https://ecommons.udayton.edu/roesch_fac/71]

In diesem Umfrage (in den USA) wurden Wissenschaftliche Bibliothekar*innen befragt, zu welchen Themen, mit welcher selbst eingeschätzten Zufriedenheit und auf welchen Wegen sie mit Nutzer*innen kommunizieren. Grundsätzlich sind viele damit zufrieden, wie diese Kommunikation funktioniert. Bevorzugt werden Mailkontakte und persönliche Treffen (allerdings wurde die Umfrage vor der Covid-19-Pandemie durchgeführt). Andere Formen von Kommunikation wie Ticketsysteme oder Online-Konsultationen kommen vor, aber in viel weniger Fällen. Was die Umfrage vor allem zeigt, ist die Bedeutung, welche Kommunikation mit Nutzer*innen (auch) in Wissenschaftlichen Bibliotheken im Arbeitsalltag der Bibliothekar*innen hat. Es ist zu erwarten, dass eine Umfrage im DACH-Raum zu ähnlichen Ergebnissen kommen würde. Dies scheint aber weder in der bibliothekarischen Literatur noch der Aus- und Weiterbildung reflektiert zu sein. (ks)


Schuster, Janice G. (2021). Collection, organization, analysis, and application of usage data to inform an academic library’s annual electronic resource renewal decisions. In: Journal of Electronic Resources Librarianship, 33 (2021) 2: 130–135, https://doi.org/10.1080/1941126X.2021.1912555 [Paywall] [OA-Version: http://works.bepress.com/janice_schuster/40/]

Die Kollegin, von der dieser Text stammt, gibt einen kurzen Einblick, wie in ihrer Bibliothek (an einer kleinen katholischen Universität) COUNTER-Daten gesammelt, aufbereitet und dann für Entscheidungen über die Bestandsentwicklung genutzt werden. Sie stellt kurz die steigende Professionalisierung in den letzten Jahren dar, aber auch, wie viel immer noch von spezifischen Entscheidungen und Handlungsabläufen in der lokalen Universität geprägt ist. Interessant wären mehr solche Hands-on-Berichte, da diese Arbeit selbstverständlich in allen Bibliotheken durchgeführt wird, aber offenbar immer wieder lokal neu aufgesetzt wird. Ein weiter Austausch zum Vorgehen und den Erfahrungen damit, könnte zu einem professionelleren Bestandsmanagement im gesamten Bibliothekswesen führen. (ks)

2.4 COVID-19 und die Bibliotheken, Dritte Welle

Kou, Yin ; Chen, Ping ; Pan, Jie-Xing (2021). The Service Experiences of Public Libraries during the COVID-19 Emergency in Wuhan: Three Case Studies. In: Journal of the Australian Library and Information Association, 70 (2021) 3, 287–300, https://doi.org/10.1080/24750158.2021.1960251 [Paywall]

Die Stadt Wuhan ist mit der Covid-19-Pandemie eng verbunden, da hier bekanntlich das betreffende Virus das erste Mal nachgewiesen wurde. Gleichzeitig war es die erste Grossstadt, die in einen Lockdown ging. Der Text stellt die Arbeit von drei Bibliotheken (Hubei Provincial Library, Wuhan [Public] Library, Jianghan District Library) im Frühjahr 2020 vor, was an sich schon interessant ist, weil es auch die ersten Bibliotheken waren, die mit der Pandemie umzugehen lernen mussten.

Es zeigen sich darüber hinaus aber tatsächlich Unterschiede zwischen diesen chinesischen Bibliotheken und Berichten über die Arbeit von Bibliotheken in anderen Ländern, welche in früheren Ausgaben dieser Kolumne besprochen wurden. Die Bibliotheken in Wuhan stellten, wie anderswo auch, schnell auf digitale Angebote um, entwickelten aber auch eigene Ausstellungen und digitale Sammlungen. In den temporären Krankenhäusern, die im Frühjahr 2020 eingerichtet wurden – und das war in anderen Berichten nicht zu lesen – übernahmen sie biblio-therapeutische Funktionen, indem sie zusammen fast hundert Leseecken für Personal und Kranke einrichteten und bestückten. Zudem wird thematisiert, dass alle Bibliotheken ihr Personal aufforderten, freiwillig andere gesellschaftliche Aufgaben bei der Pandemie-Bekämpfung zu übernehmen. (Wie freiwillig dies wirklich erfolgte, ist nicht Thema des Textes.) Die Autor*innen betonen zudem, dass die Pandemie dazu geführt hat, dass die Bibliotheken ihre Zusammenarbeit untereinander verstärkten und jetzt als Netzwerk agieren. (ks)


Kehnemuyi, Kaitlin (2021). Effects of COVID-19 on Disaster Planning in Academic Libraries. In: Journal of Library Administration, 61 (2021) 5: 507–529, https://doi.org/10.1080/01930826.2021.1924530 [Paywall]

Dieser Text berichtet über die Ergebnisse einer Umfrage unter Wissenschaftlichen Bibliotheken an der US-amerikanischen Ostküste, ob es Katastrophenpläne in ihren Einrichtungen gibt und wenn ja, wie sie sich in der COVID-19 Pandemie bewährt haben. Die Umfrage wurde im Sommer 2020 durchgeführt, also – wie die Autorin selber bemerkt – eigentlich zu früh, da die Pandemie nicht, wie erhofft, im Herbst 2020 endete.

Allerdings ist der Titel des Artikels auch etwas irreführend. Weit mehr als die Hälfte bezieht sich gar nicht auf die Umfrage selber, sondern stellt dar, was Katastrophenpläne für Bibliotheken sein können, warum sie notwendig sind, wie sie erstellt und aktualisiert werden. Damit liefert die Autorin einen umfassenden Überblick, gerade wenn sich neu mit dem Thema beschäftigt wird (was, so ist der Autorin zuzustimmen, in jeder Bibliothek passieren sollte).

Die Ergebnisse der Umfrage sind dagegen eher mittelmässig interessant: Die meisten der antwortenden Bibliotheken hatten einen Katastrophenplan, aber das mag durch die Selbstauswahl der Einrichtungen bedingt sein. Die ohne Plan haben vielleicht gar nicht erst geantwortet. Die meisten Pläne waren auf lokal zu erwartende Ereignisse abgestimmt (Überflutung, Feuer, und, wohl US-spezifisch, active shooter). Nur eine Bibliothek hatte im Laufe einer früheren Pandemie (H1N1-Pandemie 2009/2010) einen Plan erstellt, der während der COVID-19-Pandemie eingesetzt werden konnte. Alle anderen waren eher von dieser Katastrophe überrascht. Allerdings arbeiteten auch schon im Sommer 2020 viele Bibliotheken daran, Pandemien in ihre Katastrophenplanung aufzunehmen. (ks)


Ameen, Kanwal (2021). COVID-19 pandemic and role of libraries. In: Library Management, 42 (2021) 4/5: 302–304, https://doi.org/10.1108/LM-01-2021-0008 [Paywall]

Dieser Text über die Situation in Pakistan erinnert daran, dass die Pandemie für Länder des globalen Südens noch lange nicht zu Ende ist, sondern aufgrund fehlender Impfstoffe auf lange Sicht anhalten wird. Dies gilt auch für Bibliotheken, die weiterhin mit ihr planen müssen. Gleichzeitig betont die Autorin, dass die Pandemie gezeigt hat, dass dem pakistanischen Bibliothekswesen weithin die Kompetenzen fehlen, elektronische Dienstleistungen zugänglich zu machen. Allerdings sieht sie dies nicht nur negativ. Die Gesellschaft hätte erkannt, wie bedeutsam Digital Equality wäre, deshalb wäre es in Zukunft wohl einfacher, diese anzustreben. (ks)


Wilson, Maree (2021). Australian Public Library Staff Living through a Pandemic: Personal Experience of Serving the Community. In: Journal of the Australian Library and Information Association, 70:3, 322–334, https://doi.org/10.1080/24750158.2021.1955436 [Paywall]

Der Artikel basiert auf einer Auswertung von acht Interviews mit Bibliothekar*innen in australischen Public Libraries. Die Autorin achtete darauf, dass diese in verschiedenen Bundesstaaten und in unterschiedlichen Hierarchiepositionen arbeiten, um mit ihnen eine umfassendere Übersicht zu bieten, als dies Berichte aus einzelnen Bibliotheken alleine tun können. Deshalb ist der Methoden- und Theorieteil des Textes etwas ausufernd. Anzumerken ist auch, dass Australien zwar nicht so erfolgreich im Umgang mit der Covid-Pandemie war beziehungsweise ist wie das Nachbarland Aotearoa Neuseeland, aber doch viel besser als europäische Staaten. Insoweit waren die Auswirkungen auf die Bibliotheken vielleicht nicht so gross wie im DACH-Raum.

Was sich zeigte, war erstens, dass Öffentliche Bibliotheken auch in Australien schnell auf die Herausforderungen reagierten und zum Beispiel digitale Dienstleistungen aufbauten. Auf die geleistete Arbeit waren die befragten Kolleg*innen stolz. Überrascht waren sie davon, wie sehr sich zeigte, welche Bedeutung die Bibliotheken für Personen in den jeweiligen Gemeinden hatten. Sie berichteten davon, überrascht zu sein, wie lange die Schlangen bei der Wiedereröffnung waren oder wie positiv die Rückmeldungen. Offenbar haben die Kolleg*innen die bibliothekarische Propaganda davon, welche Bedeutung Öffentliche Bibliotheken in der jeweiligen Gemeinde spielen, die selbstverständlich auch in Australien verbreitet wird, selber nicht geglaubt, bis sie die tatsächlichen Reaktionen gesehen haben.

Eine Kritik ist am Text zu leisten: Am Ende behauptet die Autorin, dass dies alles ein Hinweis darauf wäre, wie sehr Bibliotheken tatsächlich Dritte Orte werden. Aber davon war in den Ergebnissen, welche die Autorin berichtet, gar nicht die Rede. Egal, wie Dritte Orte definiert werden, geht es dort ja immer darum, dass Nutzer*innen miteinander kommunizieren und Communities bilden. Aber die Interviews berichten von Kommunikation zwischen Nutzer*innen und Bibliothekar*innen. Das ist etwas anderes. Hier scheint der Wunsch nach einer bestimmten Entwicklung die realen Ergebnisse überdeckt zu haben. (ks)


Heady, Christina ; Vossler, Joshua ; Weber, Millicent (2021). Risk and ARL Academic Library Policies in Response to COVID-19. In: Journal of Library Administration, 61:7, 735–757, https://doi.org/10.1080/01930826.2021.1972725 [Paywall]

Dieser Text ist aus zwei Gründen hervorzuheben. Er ist unter anderem eine Studie dazu, ob sich der Reichtum der Trägereinrichtung, deren Status (privat oder öffentlich) oder die politische Kultur des Bundesstaates, in dem eine Bibliothek situiert ist, darauf auswirkt, wie viel oder wenig risikoreich mit der COVID-19 Pandemie (bis Frühjahr 2021) umgegangen wurde. Oder anders gesagt: Ob Bibliothekar*innen und Nutzer*innen in reicheren Einrichtungen besser geschützt wurden als in ärmeren. Das alles fokussiert auf Hochschulbibliotheken, die Mitglied in der Association of Research Libraries (ARL) (alle aus den USA oder Kanada) sind. Die Ergebnisse sind also nicht einfach übertragbar, aber doch interessant.

Methodisch wurden verschiedene Sicherheitsmassnahmen, die während der Pandemie in Bibliotheken eingesetzt wurden, gesucht, diese dann mit Punkten bewertet und die Ergebnisse dieser Bewertung statistisch mit Werten wie dem Status der jeweiligen Universität, der politische Affiliation der Gouverneur*innen und dem Etat der Trägereinrichtung in Beziehung gesetzt. Es zeigte sich, dass alle Bibliotheken während der Pandemie Massnahmen ergriffen haben und dass sich die untersuchten Werte praktisch nicht darauf auswirkten, wie viele und welche dies waren. (Einzuschränken ist allerdings, wie die Autor*innen vermerken, dass die Mitgliedsbibliotheken der ARL alle einen relativ hohen Etat haben.) Einzig bei der Frage, ob die Gouverneur*innen republikanisch oder demokratisch waren (nicht für die kanadische Bibliotheken gültig), zeigte sich, dass es tendenziell wahrscheinlicher war, dass eine Bibliothek weniger Massnahmen ergriff, wenn der Bundesstaat während der Pandemie republikanisch war. Es waren also wohl politisch beeinflusste Entscheidungen. Hier wäre es selbstverständlich wieder interessant zu schauen, ob sich diese Ergebnisse auch im DACH-Raum reproduzieren lassen.

Der zweite Grund, den Text hervorzuheben, ist die Rahmung. Am Anfang und am Ende erinnern die Autor*innen zurecht daran, dass Bibliotheken aus der Influenza-Pandemie vor hundert Jahren hätten lernen können, wie auf weitere Pandemien zu reagieren wäre, es aber kaum getan haben. Es wäre also einfach, die einmal gemachten Erfahrungen wieder zu vergessen. Vielmehr sei es nötig, COVID-19 zum Anlass zu nehmen, die Reaktionen von Bibliotheken in zukünftigen Pandemien besser voraus zuplanen. (ks)


Cohn, Sarah ; Hyams, Rebecca (2021). Our Year of Remote Reference: COVID19’s Impact on Reference Services and Librarians. In: Internet Reference Services Quarterly, ​​25 (2021) 4: 127–144, https://doi.org/10.1080/10875301.2021.1978031 [Paywall] [OA-Version: https://academicworks.cuny.edu/cc_pubs/847/]

Es ist selbstverständlich ein nicht ganz so guter Witz, von verschiedenen Wellen von Texten zum Thema COVID-19 und die Bibliotheken zu sprechen, wie das in dieser Kolumne seit drei Ausgaben gemacht wird. Aber wenn man diese Bezeichnung auf Inhalte anwendet, kann man schon feststellen, dass in den ersten Monaten der Pandemie eine bestimmte Form von Texten erschien, die vor allem berichtete, was einzelne Bibliotheken getan haben. Diese Texte hatten immer wieder ähnliche Aussagen, blieben ein wenig im Allgemeinen (beispielsweise wurde oft gesagt, dass digitale Angebote ausgebaut wurden, aber kaum spezifiziert welche) und erscheinen heute auch kaum noch.

Wenn das die inhaltlich erste Welle war, stammt der Text von Cohn und Hyams Teil aus einer zweiten inhaltlichen Welle, in welcher mehr auf die konkreten Veränderungen eingegangen und sich auch mit möglichen Konsequenzen auseinandergesetzt wird. Auch das hat seine Grenzen, schon weil die Pandemie ja noch nicht vorbei ist. Aber die Aussagen sind konkreter geworden.

Cohn und Hyams führten im Februar 2021 eine Online-Umfrage zu den Erfahrungen mit der Beratung von Nutzer*innen per Chat im Bibliothekssystem der City University of New York (mit 25 Hochschulstandorten und 23 Bibliotheken) durch. Es geht also um einen fokussierten Bereich. Die Antworten zeigen, dass vor der Pandemie Chats für diese Aufgabe nur zum Teil verbreitet waren, jetzt aber zum Arbeitsalltag aller, mit einer Ausnahme, Bibliotheken gehören. Die Ausbildung dafür war eher zufällig (einige Kolleg*innen hatten eine an früheren Arbeitsorten erhalten, einige bei der Einführung der Chatsysteme an ihrer Einrichtung vor der Pandemie, viele mussten den Umgang mit Chat aber im laufenden Betrieb lernen). Die meisten Kolleg*innen fanden diese Form der Beratung schwieriger als die Beratung direkt vor Ort, auch weil sie sich umstellen mussten. Einige beklagten sich darüber, dass die Nutzer*innen fordernder und unhöflicher seien als bei der Beratung vor Ort. Darüber, ob die Arbeitslast gestiegen oder gesunken ist, gibt es keinen Konsens. (ks)

2.5 Öffentliche Bibliotheken

Stejskal, Jan ; Hajek, Petr ; Cerny, Pavel (2021). A novel methodology for surveying children for designing library services: A case study of the Municipal Library of Prague. In: Journal of Librarianship and Information Science 53 (2021) 2, https://doi.org/10.1177/0961000620948568 [Paywall]

Das Problem, welches in dieser Studie angegangen wurde, ist, wie man Daten von Kindern über deren Bibliotheksnutzung erheben kann. Dem stehen immer wieder unterschiedliche Barrieren im Weg. Gelöst wird dies hier erstens durch die Verbindung von ethnologisch orientierten Beobachtungen und zweitens einer angepassten Umfrage. Diese Umfrage wird von den Kindern beantwortet, aber mit Hilfe der jeweiligen erwachsenen Begleitperson. Hiermit wird unter anderem die Frage, wie man überhaupt Einverständnis für die Teilnahme von unter 18-jährigen erlangen kann, gelöst und gleichzeitig die Frage, wie man eine vertrauensvolle Atmosphäre für die Kinder schafft. Zudem ist die Umfrage grafisch als Labyrinth gestaltet, bei dem jede Frage einen Punkt auf dem Weg durch das Labyrinth darstellt, was dem Layout von Kinderbüchern angepasst ist. Die Studie zeigt also, dass eine solche Befragung möglich ist.

Die konkreten Ergebnisse ergeben, dass zumindest in Prag der Hauptgrund für den Besuch einer Öffentlichen Bibliothek für Kinder die Ausleihe von Büchern ist, gefolgt vom Spielen in der Bibliothek. Auch Bibliotheksbesuche aus anderen Gründen werden von Kinder für die Buchleihe benutzt. (ks)


Rodger, Joanne ; Erickson, Norene (2021). The Emotional Labour of Public Library Work. In: Partnership 16 (2021) 1, https://doi.org/10.21083/partnership.v16i1.6189

Eine weitere Umfrage, diesmal mit offenen Antwortmöglichkeiten und unter Personal in kanadischen Öffentlichen Bibliotheken, zeigt, dass emotional labor insbesondere bei der Arbeit mit Nutzer*innen nicht nur einen wichtigen Teil der Arbeit des Personals ausmacht, sondern einen, der massiven Einfluss auf sowohl die positive als auch die negative Bewertung dieser Arbeit hat. Es ist für viele Bibliothekar*innen wichtig, direkten Kontakt zu Nutzer*innen zu haben, aber gleichzeitig lösen Konflikte mit einigen Nutzer*innen auch die grösste psychische Belastung für die meisten Befragten aus. Der Beitrag weist darauf hin, dass bislang in Kanada wenige Bibliotheken dies konkret angehen und zum Beispiel ihrem Personal aktiv Unterstützung bei der Bewältigung solcher Probleme und Belastungen bieten. Erwähnt werden vor allem einige Fortbildungen zum Umgang mit schwierigen Personen, aber wenig darüber hinaus. In einigen Bibliotheken gibt es informelle Unterstützung des Personals untereinander. Die Autorinnen fordern – mit Verweis auf die Krankenpflege, die dies besser organisiert hätte – emotional labor ernster zu nehmen. (ks)


Li, Xiaofeng (2021). Young people’s information practices in library makerspaces. In: JASIST 72 (2021) 6: 744–758, https://doi.org/10.1002/asi.24442 [Paywall]

Erstaunlich unterrepräsentiert in der bibliothekarischen Literatur ist, was in den Makerspaces, welche Öffentliche Bibliotheken in den letzten Jahren eingerichtet haben, tatsächlich passiert. Es gibt viele Versprechen, unter anderem, dass sie informelles Lernen nach konstruktivistischen Prinzipien fördern würden, aber überprüft werden diese kaum. Die Studie von Li ist eine Ausnahme. Hier wurden die Interaktionen von Jugendlichen in zwei Makerspaces (eine in einer Öffentlichen Bibliothek, eine in einer Schulbibliothek, beide im eher ländlichen Raum in New Jersey) beobachtet und analysiert. Was sich zeigt, ist, dass die Jugendlichen, welche diese Makerspaces besuchen, wirklich auf unterschiedliche Weise mit Informationen interagieren, diese untereinander austauschen oder im Bedarfsfall suchen. Zudem arbeiten sie tatsächlich in Projekten, bei denen sie auch bei Fehlern weitermachen, bis sie diese gemeistert haben. (Ob sie de facto dabei etwas lernen und auch besser, als in der formalen Bildung, wie dies vorhergesagt wird, wurde nicht untersucht.) Voraussetzung dafür ist aber eine grosse Vertrautheit der Jugendlichen miteinander und auch mit den jeweiligen Bibliothekar*innen und anderen Personen (zum Beispiel Lehrpersonen in der Schule) sowie regelmässige Besuche des jeweiligen Makerspaces. (ks)


Van Melik, Rianne ; Merry, Michael S. (2021). Retooling the public library as social infrastructure: a Dutch illustration. In: Social & Cultural Geography [Latest Articles], https://doi.org/10.1080/14649365.2021.1965195

In dieser Studie wird über einen soziologischen Zugang versucht zu verstehen, wie Öffentliche Bibliotheken als soziale Infrastrukturen wirken. Dabei wird eine kleine niederländische Einrichtung als Case Study untersucht, in welcher eine der Autorinnen ehrenamtlich tätig ist. Die Forschung fand über Beobachtungen, formelle und informelle Interviews sowie der Auswertung offizieller Dokumente statt. Es ist also eine sehr niederländische oder gar spezifisch lokale Situation, die hier berichtet wird.

Die Autorinnen betonen, dass es eine Veränderung der Bibliothek hin zu einer Einrichtung gegeben hätte, welche Treffen zwischen Menschen ermöglicht und damit eine soziale Funktion einnimmt. Allerdings wäre es falsch, die Möglichkeit von Treffen alleine schon als wirksam zu begreifen. Nur, weil sich Menschen treffen könnten, hiesse dies noch nicht, dass Menschen auch miteinander kommunizieren oder längerfristige Verbindungen aufbauen. Dies müsste erst, beispielsweise mit gesonderten Veranstaltungen, vorangetrieben werden. Ansonsten sei oft zu beobachten, dass Menschen zwar gemeinsam den gleichen Ort Bibliothek nutzen, aber ohne miteinander zu interagieren. Die Autorinnen zeigen, dass es solche wirkungsvolle Treffen geben kann und dass Bibliothekar*innen die Aufgabe übernehmen, Veranstaltungen zu organisieren, welche diese ermöglichen. Aber sie warnen auch davor, in eine Art Sozialromantik zu verfallen und zu behaupteten, dass solche Treffen ständig und erfolgreich stattfinden würden.

Zu kritisieren ist, dass – wie so oft auch in der bibliothekarischen Literatur – einfach behauptet wird, dass es eine Veränderung in der Arbeit der Bibliothek und der Nutzung gegeben hätte, ohne dies weiter nachzuweisen. (ks)

2.6 Wissenschaftliche Bibliotheken: Research Data Management, FAIR-Prinzipien, Open Science, Open Access

Stille, Wolfgang, Farrenkopf, Stefan, Hermann, Sibylle, Jagusch, Gerald, Leiß, Caroline, & Strauch-Davey, Anette (2021). Forschungsunterstützung an Bibliotheken: Positionspapier der Kommission für forschungsnahe Dienste des VDB. O-Bib. Das offene Bibliotheksjournal / Herausgeber VDB, 8(2), 1–19. https://doi.org/10.5282/o-bib/5718

Der Term Research Support oder Research Support Services scheint andernorts längst fest etabliert als (neue) Domäne wissenschaftlicher Bibliotheken; in der deutschen Bibliothekswelt scheint der Term bisher aber noch recht neu. Das Positionspapier der VDB-Kommission für forschungsnahe Dienste (gegründet 2018) gibt eine Einführung, was unter forschungsnahen Diensten zu verstehen ist (unter anderem Beratung und Services in den Bereichen Forschungsdatenmanagement, Publikationsdienste, Autor*innenidentifikation, Szientometrie, Systematic Reviews) und gibt einen Einblick in das mögliche Aufgabenspektrum in diesen Teilbereichen. Zu letzterem liefert das Papier vor allem auch Argumente, warum Bibliotheken derartige Service einführen beziehungsweise ausbauen sollten. (mv)


Journal of eScience Librarianship (2021). Data Curation in Practice. In: Journal of eScience Librarianship 10 (2021) 3, https://escholarship.umassmed.edu/jeslib/vol10/iss3/

In dieser Ausgabe des Journal of eScience Librarianship sind Artikel aus US-amerikanischen und kanadischen Universitätsbibliotheken versammelt, welche ihre Praktiken im Forschungsdatenmanagement präsentieren. Zu lernen ist aus ihnen, dass sich die Herausforderungen und Lösungsansätze gleichen. Insoweit ist es auch richtig, sie in einer Ausgabe zu versammeln, aber es stellt sich die Frage, ob dann nicht dazu übergegangen werden sollte, auch gemeinsame Lösungen zu finden.

Das gesamte Forschungsdatenmanagement, welches hier besprochen wird, ist so aufgebaut, dass ein Grossteil der Arbeit in der Curation von Bibliotheken und nicht von Forschenden geleistet wird, auch wenn es immer wieder den Hinweis gibt, dass Forschende ein Interesse daran haben müssten, weil es ihnen von Förderern vorgeschrieben wird. Ein wenig drängt sich der Eindruck auf, als ob Bibliotheken die Aufgabe ernster nehmen. Als Lösungen werden verschiedene Workflows und Handbücher, aber auch einzelne Tools präsentiert. (ks)


[Schwerpunktthema dieser Ausgabe] Sengupta, Papia. (2021). Open access publication: Academic colonialism or knowledge philanthropy?. In: Geoforum. 118 (2021), 203–206. https://doi.org/10.1016/j.geoforum.2020.04.001 [Paywall]

Papia Sengupta kritisiert und differenziert das Argument von Open Access als egalitäres Verfahren der wissenschaftlichen Kommunikation, indem sie auf die Fortschreibung von Exklusions- und Benachteilungsmechanismen hinweist. Es spielt für die Teilhabe, so das Argument, in der Praxis durchaus eine erhebliche Rolle, wo die Autor*innen beheimatet sind. Dazu kommen ökonomische, politische und Gender-spezifische Aspekte, die darauf einwirken, dass beispielsweise die Wissenschaft im globalen Süden auch bei Open Access benachteiligt bleibt. Die Autorin schreibt daher auch von neo-kolonialistischen Effekten beziehungsweise im Anschluss an Walter Mignolo einem akademischen Kolonialismus (academic colonialism). Abstrakt bedeutet dies, dass Forschende in der westlichen Welt besseren Zugang zu Forschungsmöglichkeiten, -förderungen und -netzwerken haben und daher bis hin zum Setzen der Forschungsagenda sichtbarer und einflussreicher sind. So werden Publikationen aus dem globalen Süden bereits seltener beispielsweise im Web of Science oder Scopus verzeichnet, unter anderem weil dort häufig nicht digital und nicht auf Englisch publiziert wird. Dies wird dadurch noch verschärft, dass die großen Wissenschaftsverlage, die Publikationsstandards, Ranking-Verfahren und die Festlegung von Impact-Faktoren prägen, sich in Europa und den USA befinden und weitgehend von den dort üblichen Rahmenbedingungen und Konventionen für wissenschaftliche Arbeit ausgehen. Entsprechend reproduziert sich auch bei Open Access, wie es bislang weitgehend praktiziert wird, die benannte Sichtbarkeits- und damit Wirksamkeitshürde. Papia Sengupta schlägt drei Lösungen vor, um diese Effekte abzufedern: Erstens sollen relative APCs eingeführt werden, die Abstufungen enthalten, bei denen Autor*innen des globalen Nordens und Forschungsförderung höhere APCs zahlen und Autor*innen aus dem globalen Süden und ohne gesonderte Förderung frei von APCs publizieren können. Zweitens sollen Ko-Autor*innenschaften mit Autor*innen des globalen Südens gezielt angeregt und unterstützt werden. Drittens sollten die großen Wissenschaftsverlage gezielt Zweigstellen und Publikationen in den Ländern des globalen Südens aufsetzen. Und schließlich ruft die Autorin dazu auf, die Vorstellung von Wissenschaft zu differenzieren und anzuerkennen, dass Prozesse der Wissensproduktion immer kontextabhängig sind. Bei einem Ideal der gleichen Teilhabe durch Open Access sind zudem angesichts fortwirkender Effekte eines akademischen Kolonialismus entsprechend bewusste Ausgleichsbemühungen notwendig. (bk)

3. Monographien und Buchkapitel

3.1 Vermischte Themen

Eckert, Rainer (2019). Archivare als Geheimpolizisten: Das Zentrale Staatsarchiv der DDR in Potsdam und das Ministerium für Staatssicherheit. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2019 [gedruckt]

In dieser Studie wird, hauptsächlich auf der Basis von überlieferten Quellen des Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) selber, die Überwachung des Zentralen Staatsarchivs der DDR durch diesen Geheimdienst rekonstruiert. Eine Einordnung in Kontext und Forschungsstand findet vor allem über die Fussnoten statt, aber der Fokus des Textes liegt bei einzelnen Inoffiziellen Mitarbeiter*innen (IM), bei der Führungskraft innerhalb des Geheimdienstes, welche den Grossteil der Überwachung koordinierte und bei der Überwachung zweier Direktoren des Archivs, darunter Karl Schirdewan, welcher zuvor aus dem Zentralkomitee der SED ausgeschlossen wurde. Das Archiv wurde von der Stasi als sicherheitsrelevant angesehen, weil es Quellen zur deutschen Geschichte enthielt, insbesondere aus dem Nationalsozialismus, und weil es auch von Forschenden aus dem nicht-sozialistischen Ausland genutzt wurde. Gezeigt wird in der Studie, dass der Geheimdienst durchgängig Informationen über die Arbeit im Archiv sammelte und dafür IMs betreute, aber wenig aktiv eingriff.

Der Autor war, wie er in der Einführung erwähnt, selber als Student der Archivwissenschaft und Geschichte von einer Relegation betroffen, die im Zusammenhang mit IMs stand, welche später auch im Zentralen Staatsarchiv tätig waren. Deshalb sei er an diesem Thema interessiert gewesen. Erfreulicherweise schlägt sich das nicht in einer subjektiven Sicht nieder (die verständlich gewesen wäre), Auseinandersetzungen werden nur wenige und dann in den Fussnoten geführt. Man merkt, dass der Autor Historiker ist. Allerdings verbleibt er stattdessen sehr eng an den Quellen selber und zitiert durchgängig direkt aus den Berichten der Stasi. Im Nachwort vermerkt er, dass solche Quellen einer intensiven Kritik unterzogen werden müssten, aber in der Studie vermittelt er den Eindruck, als könne man die internen Berichte des Geheimdienstes für bare Münze nehmen.

Vorgestellt wird diese Publikation hier aber aus einem anderen Grund: Richtig bemerkt der Autor, dass für bestimmte Bereiche der DDR-Gesellschaft der Einfluss der Stasi schon tiefgehend untersucht wurde, aber nicht für das Archivwesen. Dies kann man ebenso für das Bibliothekswesen vermerken. Die Frage, wie sehr und mit welcher Wirkung die Stasi Archive bearbeitete, ist bislang ebenso ungeklärt wie für Bibliotheken. (ks)


Babb, Sarah (2020). Regulating Human Research: IRBs From Peer Review to Compliance Bureaucracy. Stanford: Stanford University Press, 2020 [gedruckt]

Diese Studie bietet Denkanregungen dafür, wie und wieso sich Strukturen nahe bei der Forschung etablieren, welche Ansprüche, die von ausserhalb der Forschung selbst kommen, umsetzen helfen. Bezogen auf das Bibliothekswesen ist dabei an Infrastrukturen für Open Access, Open Science und (dabei besonders) Forschungsdatenmanagement zu denken. Babb untersucht soziologisch eine ähnliche Struktur: Die Einrichtungen, welche ethische Regeln in der US-amerikanischen Forschung durchsetzen sollen. Selbstverständlich gibt es Unterschiede zu Open-Access-Büros oder Forschungsdatenmanagement-Abteilungen in Europa, aber doch auch viele strukturelle Gemeinsamkeiten. Babb zeigt, wie innerhalb recht kurzer Zeit aufgrund politischen Drucks, der nach einer Anzahl von Skandalen in der medizinischen Forschung aufgebaut wurde, sich Strukturen entwickelten, die sich bürokratisierten und professionalisierten. Zuerst als Komitees an einzelnen Hochschulen und Forschungseinrichtungen organisiert, die von Forschenden selber bestückt wurden und die Forschungsvorhaben vorgängig auf ethische Fragen hin beurteilten, entstanden bald personell immer stärker ausgestattete Strukturen, welche erst diesen Komitees zuarbeiteten, sich dann aber auch untereinander vernetzten, Tools (vor allem Formulare), ein eigenes Wissen über ihre Aufgaben und eigene Prozeduren entwickelten. Daran anschliessend etablierten sich unabhängige Boards, die sich als Firmen konstituierten und solche Bewertungen gegen Gebühren übernehmen. Es etablierte sich so schnell, dass die Compliance mit ethischen Vorgaben der staatlichen Forschungsförderer Kosten verursacht, die von Forschungseinrichtungen und – über die Forschungsförderung – von den Förderern übernommen werden.

Ähnliche Entwicklungen lassen sich heute im DACH-Raum, wie gesagt, bei Open Access oder dem Forschungsdatenmanagement beobachten: Zuerst undenkbar, ist heute, mit steigenden Forderungen durch die Forschungsförderer und die Forschungspolitik, die Kostenübernahme zur Normalität geworden. Die Arbeit in diesen Bereichen wurde bürokratisiert und professionalisiert – beispielsweise in Open-Access-Büros und regelmässigen Treffen wie den Open-Access-Tagen. Bislang sind diese Strukturen an Bibliotheken angegliedert, aber die Studie zeigt auch, dass dies nicht alternativlos ist. (Babb diskutiert selber am Ende, dass die US-amerikanische Lösung nicht die einzige ist.) Was Babb mit ihrer kurzgehaltenen und leicht verständlichen Beschreibung ermöglicht, ist, die Entwicklungen nicht als gegeben, sondern als gestaltbar zu verstehen. (ks)


McGuinness, Claire (2021). The Academic Teaching Librarian’s Handbook. London: Facet Publishing, 2021 [gedruckt]

Der Begriff Handbuch wird auf sehr unterschiedliche Formen von Büchern angewandt, so auch hier. Richtiger benannt wäre das Buch als Selbst-Lehrbuch für Wissenschaftliche Bibliothekar*innen mit Lehrverpflichtungen im Bereich Informationskompetenz. Es ist darauf ausgerichtet, wichtige Konzepte sowohl zur Informationskompetenz als auch zur Lehre und Integration in die bibliothekarische Arbeit zu vermitteln, inklusive regelmässig eingefügten Aufgaben für Bibliothekar*innen, welche diese Aufgaben übernehmen werden.

Selbstverständlich ist es auf den britischen und US-amerikanischen Kontext ausgerichtet, insoweit werden vor allem dort verbreitete Konzepte und Standards vermittelt oder zum Beispiel mit dem Thema learning analytics Dinge besprochen, die im DACH-Raum keine grosse Relevanz haben. Dennoch kann es seine Aufgabe, das selbstständige Einarbeiten in diese Aufgaben, erfüllen, wenn es in dieser Weise – also inklusive des Erfüllens der Aufgaben – genutzt wird. Bestimmte Punkte müssen dann wohl übersprungen oder Standards aus dem DACH-Raum selber ergänzt werden. Sichtbar wird, dass die Autorin den Unterricht in der Bibliothek als eine ständig zu planende, zu reflektierende und neu anzupassende Aufgabe betrachtet und sich am Professionalisierungsverständnis von Lehrer*innen orientiert. Nicht nur bei den Lernenden, sondern auch bei den Lehrenden soll mit diesem Buch ein Verständnis von Wissen und Informationen als kontextualisiert und ständig im Wandel etabliert werden. (ks)


Priestner, Andy (2021). A handbook of user experience research & design in libraries. Lincolnshire: UX in Libraries, 2021 [gedruckt]

Berater*innen, auch im Bibliotheksbereich, prägen oft für ihre Angebote möglichst einprägsame Namen. Andy Priestner hat als solcher in Grossbritannien den Begriff UX in Libraries geprägt, unter dem er auch Workshops und Consulting anbietet. Grundsätzlich ist dies genau dasselbe, was andere Berater*innen im DACH-Raum unter dem Begriff Design Thinking anbieten: Es geht darum, Veränderungen in einer Bibliothek mit den immer gleichen Schritten (Discover, Define, Develop, Deliver) anzugehen und am Ende des Prozesses ein einsetzbares Produkt, zum Beispiel ein neues Angebot oder einen neuen Bibliotheksraum, zu liefern. Austauschbar sind dann die Methoden, welche in den einzelnen Schritten eingesetzt werden. Teil des Prozesses ist es, dass Bibliothekar*innen direkt an diesen beteiligt werden und beispielsweise im Rahmen des Schrittes Define selber Interviews mit Nutzer*innen führen.

Was dieses Handbuch liefert, ist eine ausführliche Darstellung möglicher Methoden – wobei die meisten nicht neu sind – immer sehr praxisorientiert geschrieben. Grundsätzlich kann mit diesem Buch jede Bibliothek selber ihre UX in Libraries-Prozesse (oder halt Design-Thinking-Prozesse) aufsetzen.

Die Probleme des Buches sind die, welche solche Herangehensweise immer prägen: Es wird einfach behauptet, dass Design ein sinnvolles Vorbild für die Entwicklung von Angeboten von Bibliotheken wäre, obwohl das empirisch und theoretisch schwerlich haltbar ist. Zudem wird durchgehend behauptet, dass die Sicht der Nutzer*innen eingenommen werden müsse, um sinnvolle Produkte erstellen zu können, aber gleichzeitig wird zum Beispiel einfach darüber hinweggegangen, dass im Prozess dieser Blick immer von den Bibliothekar*innen interpretiert wird, egal, wie viele Umfragen durchgeführt werden. Auch in diesem Buch wird Theorie gering geachtet und als hinderlich dargestellt. Und, was unter all dem Text im Buch untergeht, ist, dass nicht geklärt wird, wie sich Bibliotheken überhaupt verändern. Es wird die Illusion aufgebaut, dass es reicht, den definierten Prozess durchzuführen, um zu einer Veränderung zu kommen. Ob das Buch zu empfehlen ist, hängt sehr davon ab, welche Position man überhaupt zu solchen Prozessen wie UX oder Design Thinking für Bibliotheken einnimmt. Es repräsentiert aber sehr gut, was der Autor als Berater Bibliotheken anbietet. (ks)


Chen, Amy Hildreth (2020). Placing Papers: The American Literary Archives Market. (Studies in Print Culture and the History of the Book) Amherst ; Boston: University of Massachusetts Press, 2020 [gedruckt]

Der Rezensent unterrichtet seit Jahren das Fach Bestandsmanagement. In diesem will er den Studierenden unter anderem vermitteln, dass Bibliotheken durch ihren stetigen Etat auch Marktteilnehmer sind und sich deshalb um sie herum Firmen etabliert haben, welche ihre Geschäftsmodelle explizit auf die Geldmittel ausgerichtet haben, welche Bibliotheken regelmässig mobilisieren können. Dabei geht es ihm nicht darum, das abzulehnen, sondern die reale Situation zu zeigen, in der die Studierenden in ihrem Arbeitsleben agieren werden – inklusive der Möglichkeit, dass sie nach dem Studium bei solchen Firmen arbeiten könnten.

Das Beispiel, welches der Rezensent dafür oft heranzieht, ist der Markt mit Vor- und Nachlässen von Schriftsteller*innen in Universitätsbibliotheken, welcher sich in den USA entwickelt hat. Das Buch von Chen stellt diesen Markt in einer leicht zugänglichen Sprache anhand der Positionen aller Beteiligten vor (Autor*innen und deren Familien beziehungsweise Nachlassverwalter*innen, Bibliotheken, Universitäten und Stiftungen, Literaturagent*innen und -händler*innen, die Personen in den Bibliotheken, die konkret an der Auswahl, Beschreibung und Aufbereitung der Nachlässe beteiligt sind sowie Forschende, die mit den Nachlässen wissenschaftlich arbeiten). Sie beschreibt die Rollen, die alle in diesem System spielen, inklusive der Entwicklungen seit den 1950er-Jahren und der Diskurse, die in den verschiedenen Sphären (also beispielsweise zwischen Bibliotheken selber) geführt werden. Dabei zeigt sie, dass es zwar überall Diskurse gibt, welche diesem System zuschreiben wollen, dass es den Beteiligten um etwas anderes geht als um Geld, aber, dass es am Ende doch ein Markt ist wie andere, der auch nach den gleichen Marktprinzipien funktioniert. Das Vorgehen erinnert wohltuend an die Arbeiten von Sarah Thornton (Seven Days in the Art World (2008), 33 Artists in 3 Acts (2014)), welche das Gleiche ähnlich zugänglich für den Kunstmarkt zeigte.

Chen postuliert, dass die steigenden Preise in Zukunft dazu führen werden, dass sich der Markt weiter in die Autor*innen, welche erfolgreich ihre Nachlässe platzieren können und diejenigen, die damit Probleme haben werden, aufteilen wird. Mit einer empirischen Auswertung zeigt sie weiterhin, dass trotz einiger Veränderungen rassistische und sexistische Strukturen in diesem Markt weiterhin existieren und damit weisse Autoren es leichter haben werden, zu den Gewinnern zu zählen, als andere Autor*innen. Gleichzeitig sieht sie eine Tendenz hin dazu, dass die Nachlässe eher in eigenen Institutionen untergebracht werden, die sich, von Stiftungen finanziert, als eigenständige Kultur-, Freizeit- und Forschungseinrichtungen etablieren. Sammlungen in Universitätsbibliotheken, die bislang den Markt getrieben hätten, würden weniger relevant werden.

Der Rezensent wird dieses Buch ab jetzt als Einführung empfehlen. Es zeigt gut die Position von Bibliotheken als Teil eines Marktes, auch wenn vieles US-spezifisch ist und sich so nicht ganz im DACH-Raum wiederfindet. (ks)


Spiekermann, Sarah (2019): Digitale Ethik – Ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert. München: Droemer Verlag, 2019 [gedruckt] Sarah Spiekermann beschreibt in ihrem Buch ihre Erfahrungen im Silicon Valley als Wirtschaftsinformatikerin und wie sie während dieser Zeit begann, ihre eigenen Werte und die Werte der Tech-Branche, aber auch die Werte, die im Digitalen herrschen, zu hinterfragen. Sie stellt sich die Frage, wie eine menschengerechte Digitalisierung aussehen sollte und warum uns dabei der ewige Fortschrittsgedanke im Weg stehen könnte. Sie entwirft ein neues Wertesystem, welches dabei helfen soll, das Wohl der Menschen in der digitalen Welt nicht aus den Augen zu verlieren. Im Kapitel Digitale Ethik in der Praxis gibt sie Tipps und teilt Ideen, wie neue Werte integriert, gelebt und weitergegeben werden können. Das Buch ist auf der einen Seite sehr philosophisch und auf der anderen sehr praxisorientiert. Es liest sich gut und bietet viele interessante Blickwinkel auf ein Thema, mit dem wir uns alle auseinandersetzen sollten und welches uns wahrscheinlich in Zukunft mehr und mehr beschäftigen wird. Es ist gerade auch für Menschen, die im Bibliothekswesen und/oder der Informationswissenschaft verortet sind, interessant, da die Digitalisierung und die digitale Information diese Bereiche so grundlegend verändert. (sj)


Arns, Inke; Lechner, Marie (Hrsg.) (2021): Computer Grrrls – HMKV Ausstellungsmagazin 2021/01. Bönen/Westfalen: Verlag Kettler, 2021 [gedruckt]
In diesem Ausstellungsmagazin kommen 23 Künstler*innen zu Wort, die das Zusammenspiel von Technologie und Geschlecht aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten und in neue Beziehungen zueinander setzen. Die Beiträge beschäftigen sich mit dem Verhältnis zwischen Frauen und Technik, historisch, künstlerisch und kritisch. Neben Fotos der Ausstellung, Beschreibungen der einzelnen Künstler*innen und einer Computer-Grrrls-Timeline befinden sich auch fünf Essays in dem Buch. Diese setzen sich mit verschiedenen Aspekten der Weiblich/Technik-Beziehung auseinander. In dem Essay von Claire L. Evans mit dem Titel Computer Grrrls wird die Geschichte der Computer und des Internets aufgerollt und die weibliche Beteiligung daran in den Vordergrund gerückt. Viel zu oft wird die wegweisende Arbeit vieler Frauen in dieser Geschichte vergessen oder nicht erwähnt (soweit ich mich erinnern kann, habe ich davon in meinem Studium auch nichts gehört). Representation matters – und genau deswegen ist es umso schöner, in dem Text von Evans zu lesen: […] bis hin zu den Teams von Informationswissenschaftlerinnen und Bibliothekarinnen, die dafür sorgten, dass die früheste Version des Internets, das ARPANET, funktional, elegant und durchsuchbar blieb. Ein Buch, das zum Entdecken einlädt, auch wenn man die Ausstellung nicht besucht hat. (sj)


Wikimedia Deutschland (Hrsg.) (2021): Offen und gerecht! Anstöße zur (selbst-)kritischen Reflexion von Biases im Wissenschaftssystem. https://lernraumfreieswissen.de/lessons/offen-und-gerecht-anstoesse-zur-selbst-kritischen-reflexion-von-biases-im-wissenschaftssystem/
Wikimedia Deutschland (Hrsg.) (2021): Open and Equitable! Impulses for (self-)critical reflection on biases in the academic system. https://lernraumfreieswissen.de/lessons/open-and-equitable-impulses-for-self-critical-reflection-on-biases-in-the-academic-system/
Im Rahmen einer Reihe von Onlinekursen (Lernraum Freies Wissen), die aktuell kollaborativ erarbeitet werden, gibt Wikimedia Deutschland eine Broschüre, oder besser Lerneinheit, heraus, die sich mit der Frage beschäftigt, wie offene Wissenschaft so gestaltet werden kann, dass eine gleichberechtigte Mitwirkung und (digitale) Teilhabe möglich ist. Um dies zu erreichen, müssen – so die Botschaft der Broschüre – Ungleichheiten auf verschiedenen Ebenen überwunden werden. Das sind namentlich die persönliche, epistemische, systemische und strukturelle Ebene, für die jeweils eine Reihe von Fragen präsentiert werden, anhand derer das eigene Denken und die eigene Forschungstätigkeit geprüft werden kann, um etwa Vorurteile oder Vorbehalte aufzudecken oder strukturelle Herausforderungen zu identifizieren. Die Zusammenstellung wird ergänzt um Literaturempfehlungen. Die Inhalte sind auf Deutsch und Englisch und jeweils als PDF-Dokument sowie in maschinenlesbarer Form (txt-Format) verfügbar. (mv)

3.2 Politik und Bibliotheken

Hümmler, Lilian (2021). Wenn Rechte Reden: Die Bibliothek des Konservatismus als (extrem) rechter Thinktank. Hamburg: Marta Press, 2021 [gedruckt]

Die im Titel genannte Bibliothek des Konservatismus ist eine Einrichtung, angesiedelt in Berlin, welche sich als meta-politische Organisation (verstanden nach Carl Schmitt) der radikalen Rechten begreift. Dies meint, dass sie sich vor allem mit der Produktion und Verbreitung von Wissen sowie der Vernetzung von Akteur*innen beschäftigen will, nicht mit der konkreten Politik in – wie es im Duktus dieser Szene heissen würde – den Parlamenten und auf der Strasse. Oder anders gesagt versteht sie sich als Eliteorganisation, welche den Diskurs der radikalen Rechten bestimmen will. Die Arbeit analysiert diese Organisation und vor allem Vorträge, welche in den Räumen derselben gehalten wurden. (Ausgewertet wurden solche bis 2018, aufgeführt werden mehr.) Dabei wird sichtbar, dass die Organisation sich als Schnittstelle zwischen rechts-konservativen und rechts-radikalen Zusammenhängen versteht. Die Autorin zeigt, wie hier alle zu erwartenden Themenbereiche in Veranstaltungen auftauchen: Anti-modernistische und anti-demokratische Grundhaltungen, Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Verschwörungsglauben, Anti-Feminismus und die explizite Unterstützung christlich-fundamentalistischer Abtreibungsgegner*innen. Das alles wird im Buch nachvollziehbar dargestellt und in seinen Konsequenzen diskutiert.

Warum die Arbeit hier besprochen wird, ist aber selbstverständlich der Fakt, dass sich diese Einrichtung als Bibliothek bezeichnet. Ist sie das? Die Autorin ist keine Bibliothekarin und unternimmt es deshalb zum Beispiel auch gar nicht, die Professionalität der bibliothekarischen Arbeit zu bewerten. Vielmehr thematisiert sie, dass die Einrichtung das Bild einer Bibliothek als Geistesort zu bedienen versucht. Im von grossem Pathos geprägten Duktus der Szene wird sie als Bastion beschrieben, an der sich eine geistige Elite rüsten würde für einen angeblichen Kulturkampf. Dies geht einher mit ständigen Überhöhungen nicht nur der Bibliotheken, sondern zum Beispiel auch des Raumes, der – obgleich eher beschränkt – immer wieder als eine Art Burg beschrieben wird. Gleichzeitig versucht sich die Bibliothek aber nach aussen auch als ernstzunehmende wissenschaftliche Einrichtung zu präsentieren. Die Autorin erwähnt zum Beispiel, dass sie an der Langen Nacht der Bibliotheken 2013 teilnahm, um sich als eine Einrichtung unter vielen darzustellen. (Nicht erwähnt, aber in Berlin bekannt, sind Versuche der Bibliothek, auch von anderen Bibliotheken als professionelle Einrichtung akzeptiert zu werden.) Die Einrichtung ist in Nähe der Technischen Universität und der Universität der Künste situiert und nutzt – obgleich in keiner Verbindung zu den Hochschulen stehend – akademische Terminologie wie Semester oder Seminar, um als gleichwertig zu erscheinen. Das alles ist Teil der gesamten Arbeit der Organisation, die – so die Autorin – daran arbeitet, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben sowie anti-humanistische und anti-demokratische Positionen in der Öffentlichkeit als normale Positionen zu verankern. Der Fakt, dass sie dabei eine Bibliothek ist – was sie auch vor allem durch einen Nachlass wurde – ist dabei ein Nebenaspekt.

Grundsätzlich ist es dabei nichts Neues, dass politische Bewegungen Bibliotheken gründen und dass diese Bibliotheken ihren Fokus auf andere Aufgaben legen als zum Beispiel Universitätsbibliotheken. (Von solchen Einrichtungen gäbe es alleine in Berlin selber mehrere Beispiele.) Das Besondere ist hier allerdings, dass sich die Bibliothek des Konservatismus als unbedenklich, neutral und professionell arbeitende Einrichtung verstanden wissen will (was andere politische Bibliotheken oft explizit nicht versuchen, obwohl sie faktisch oft professioneller arbeiten) und dass sie Teil einer politischen Bewegung ist, die gegen den humanistischen Minimalkonsens steht, auf den sich Bibliothekar*innen bei allen Differenzen sonst gut einigen können. (ks)


Frances, Sherrin (2020). Libraries amid protest. Books, organizing, and global activism. Amherst ; Boston: University of Massachusetts Press, 2020 [gedruckt]

Die Autorin – keine Bibliothekarin, sondern Assistenz-Professorin in einem Englisch-Departement – untersucht Protestbibliotheken. Das sind hier Bibliotheken, welche während Platzbesetzungen zwischen 2011 und 2016 betrieben wurden. Bekannt ist wohl vor allem die Occupy Wall Street People’s Library (New York), aber die Autorin integriert auch Bibliotheken aus Madrid (BiblioSol), Oakland (Biblioteca Popular Victor Martinez), Istanbul (Gezi Park Library), Kiev (Maidan Library), Paris und Lyon (BiblioDebout) und Chicago (Freedom Square Library). Ihrer Ansicht nach ist die Zeit dieser Platzbesetzungen aufgrund neuer polizeilicher Regelungen jetzt vorbei.

Die Fragen, die sie hauptsächlich umtreiben, sind, was eine solche Protestbibliothek eigentlich ist, warum und von wem sie betrieben wurden und was sie über das Konzept Bibliothek aussagen. Sie zeigt, dass alle diese Bibliotheken ihre regionalen und nationalen Eigenheiten hatten, aber gleichzeitig auch viele Gemeinsamkeiten. Am deutlichsten wird dies bei der Bibliothek in Kiev, die – im Gegensatz zu den anderen Bibliotheken, die eher mit Protesten mit klassisch linken Themen wie Kapitalismuskritik, Antirassismus, Proteste gegen Polizeigewalt oder Abwendung von Gentrifizierung zu tun hatten – im Rahmen eines Protestes betrieben wurde, bei dem es praktisch um die Neudefinition der nationalen Identität der Ukraine ging.

Fast alle Bibliotheken entstanden spontan. In New York sei zum Beispiel ein Berg Bücher abgelegt worden, jemand schrieb dazu einen Zettel Library und dann nahmen sich wieder andere Personen diesem Berg Bücher an und begannen, eine Bibliothek einzurichten. Die Personen, welche dies taten, entwickelten eine Identität als Bibliothekar*innen, meist ohne bibliothekarische Ausbildung. (Aber mit Ausnahmen. In Frankreich waren es eher ausgebildete Bibliothekar*innen, in New York gab es auch viele Kolleg*innen, die sich engagierten.) Die Bibliotheken entwickelten sich zu Leseräumen auf den Plätzen und zu Buchumschlagplätzen. Was Menschen zu diesen Bibliotheken zog, waren die physischen Bücher. Es gab immer ein System der Ausleihe, aber nie eine Möglichkeit, die Medien zurückzufordern. Zudem trafen immer wieder neue Buchspenden ein, von Privatpersonen, Autor*innen und Verlagen. Die Bibliotheken erreichten schnell einen Bestand von mehreren tausend Büchern. Systematik und Kataloge gab es, wenn überhaupt, nur rudimentär. Die meisten Bibliotheken überlebten die Räumung der jeweiligen Plätze und mussten sich der Frage stellen, wie sie permanent weiter existieren sollten. Einige schafften dies, zum Beispiel ist die Bibliothek in Madrid heute Teil eines sozialen Zentrums. Andere nicht.

Die Autorin stellt die Protestbibliotheken zudem immer wieder in Kontrast zu Public Libraries in den USA und fragt – auch weil es die Kritik gab, dass das keine richtigen Bibliotheken wären –, was sie über die Möglichkeiten von Bibliotheken aussagen. Ihre Analyse orientiert sich am Konzept der Prefiguration, welches eher aus dem anarchistischen Denken stammt und vom Ethnologen David Graeber bei der Analyse von Occupy Wall Street stark gemacht wurde: Die Platzbesetzungen seien ein Vorgriff auf die Gesellschaft gewesen, in der die Protestierenden leben wollten, praktisch ein Versuch, schon in der besseren Zukunft zu leben. Die Bibliotheken, wie sie existierten, wären dadurch auch ein Versuch gewesen, auf die Zukunft zuzugreifen. Als Idee seien sie freier gewesen, als es die Public Libraries, die eingebunden sind in Politik und Geschichte der USA, je sein könnten. Deshalb hätten sie bestimmte Versprechen wie Demokratisierung des Zugangs zu Wissen, aber auch, einen Raum anzubieten, um zur Ruhe zu kommen, aus Interesse zu lesen und die Zeit zu verlangsamen, besser umsetzen können, als es Public Libraries je tun könnten. (ks)

3.3 Mental Illness

Brown, Robin ; Sheidlower, Scott (2021). Seeking to Understand: A Journey into Disability Studies and Libraries. Sacramento: Library Juice Press, 2021 [gedruckt]

Die persönliche Motivation der beiden Autor*innen ist, dass sie es selber als Bibliothekar*innen mit Behinderungen wertvoll fanden, sich forschend mit ihrer Situation auseinanderzusetzen. Dadurch schafften sie sich Wissen, mit dem sie ihre eigene Situation besser verstehen konnten. Und gleichzeitig, über eine Umfrage und Interviews, lernten sie, dass sie nicht allein sind, sondern dass es eine ganze Anzahl von Kolleg*innen mit sichtbaren und nicht-sichtbaren Behinderungen gibt, welche in verschiedenen Bibliotheken tätig sind.

In diesem sehr kurzen Buch führen sie in die Literatur zu Disability Studies und verwandten Themen – beispielsweise critical race studies oder feministische Forschung – ein, stellen die Ergebnisse der genannten Umfrage und Interviews vor und diskutieren Möglichkeiten des kritischen Engagements für Bibliothekar*innen mit Behinderungen in Bibliotheken. Eine Stärke des Buches ist das letzte Kapitel Life Writing, in dem solche Kolleg*innen aufgeschrieben haben, was sie ihren eigenen Kolleg*innen und vor allem Manager*innen über ihre Situation mitteilen wollen. Das liefert bedenkenswerte Einblicke.

Zu kritisieren ist allerdings, dass das Buch unbenannt und unreflektiert nur die US-amerikanische Situation thematisiert. Diese wird einfach als gegeben vorausgesetzt. Dies beginnt beim Vorwort und den Beispielen, die herangezogen werden, aber zeigt sich auch in den vorgeschlagenen Aktivitäten, die alle auf Etablierung und Durchsetzung legaler Rahmen hinauslaufen. Andere Politik- und Lösungsansätze, beispielsweise die autonomen Ansätze der Enthinderungsbewegungen im DACH-Raum, werden gar nicht erst angedacht. (ks)


Dubem, Miranda ; Wade Carrie (edit.) (2021). LIS Interrupted: Intersections of Mental Illness and Library Work. Sacramento: Library Juice Press, 2021 [gedruckt]

Dieses Buch und das gerade besprochene können gut aufeinander bezogen gelesen werden. Beide erschienen im selben Jahr und Verlag. Auch dieses behandelt, allerdings als Herausgeberinnenwerk in Artikeln verschiedener Autor*innen, den Komplex Behinderungen und Arbeit in Bibliotheken, wobei hier auch Themen wie Drogenmissbrauch, Traumaverarbeitung oder Suizidversuche thematisiert werden. Das Buch ist emotional, in weiten Teilen schwer zu lesen, weil hier vor allem Kolleg*innen aus Bibliotheken und einem Archiv sehr persönlich vom Leben mit ihren Behinderungen, Traumata und vergleichbaren Erfahrungen berichten. Nur ein kleiner Teil der Beiträge behandelt zum Themenfeld zugehörige Punkte wie die in der Bibliothekspraxis genutzte Sprache oder Systematiken mit einem persönlichen Abstand. Dem Grossteil der Beiträge ist aber jeweils notwendigerweise eine Triggerwarnung vorangestellt.

In den meisten Beiträgen schildern Kolleg*innen nicht nur, wie die jeweiligen Behinderungen und Traumata (beispielsweise das Überleben des Anschlags auf den Boston Marathon 2013 oder die archivalische Arbeit mit Oral History Interviews von Holocaustüberlebenden) ihr Leben und ihre Arbeit in Bibliotheken beeinflussen, sondern reflektieren auch das Verhalten von anderen Kolleg*innen, dem Management und, seltener, von Nutzer*innen. Dabei herrscht sehr klar das in einem frühen Beitrag diskutierte soziale Modell von Behinderung vor, welches davon ausgeht, dass es vor allem gesellschaftliche Strukturen sind, welche bestimmen, ob physische oder psychologische Eigenheiten von Menschen überhaupt behindernd wirken und wenn ja, wie. Zudem gibt es auch immer wieder Vorschläge, entweder für ebenfalls Betroffene oder aber für das Bibliothekswesen, um besser mit den geschilderten Situationen umzugehen.

Was das Buch vermittelt – hoffentlich – ist für Betroffene von Behinderungen und Traumata, dass sie nicht alleine mit ihrer Situation sind und dass es hilfreich sein kann, die Situation anzuerkennen und zu benennen. Gleichzeitig zeigt es eine ganz erschreckende Bandbreite an Behinderungen und Traumata auf, mit denen Kolleg*innen umzugehen haben. Die Herausgeberinnen haben Beiträge für über 300 Seiten versammeln können und man kann davon ausgehen, dass dies nur ein ganz kleiner Teil der tatsächlich Betroffenen ist, die sich hier äussern. Gleichzeitig zeigt das Buch, dass viele Bibliotheken als Arbeitsumfeld überhaupt nicht angemessen auf diese Situation reagieren können oder wollen, es aber gleichzeitig auch Einrichtungen gibt, in denen dies gelingt. Die Hauptbelastung für die betroffenen Kolleg*innen stellen fast immer andere Kolleg*innen, das Management oder die Arbeitsbedingungen selber dar, kaum die Nutzer*innen. Es ist also auch eine Frage des Wollens.

Was dem Buch – und darin gleicht es auch wieder dem gerade zuvor besprochenen Werk – anzumerken ist, ist die US-amerikanische Herkunft. Nur in Ausnahmen wird die Situation in anderen (angloamerikanischen) Ländern zum Vergleich herangezogen. Einige Traumata sind wohl im DACH-Raum kulturell nicht so gravierend, beispielsweise die ständigen Drills für den Fall eines Amoklaufs, die belastend sein können. Aber wir wissen es nicht, da es kein vergleichbares Werk für die Situation in Bibliotheken im deutschsprachigen Raum gibt. Es würde sich lohnen, wie das Buch auch zeigt, Betroffene reden zu lassen und ihnen zuzuhören. (ks)

3.4 Geschichte

Poulain, Martine (dir.) (2019). Où sont les bibliothèques françaises spoliées par les nazis ?. (Papiers) Villeurbanne: Presses de l’Enssib, 2019, https://doi.org/10.4000/books.pressesenssib.7814

Dieser Band versammelt Beiträge aus einem 2017 durchgeführten Kolloquium mit Bibliothekar*innen und Forscher*innen aus Frankreich, Deutschland, Österreich und Weissrussland, das sich mit Fragen der Provenienzforschung in Bezug auf Frankreich beschäftigte. Es geht dabei sowohl um Buchbestände, die während der Nazizeit in Frankreich geplündert wurden als auch um solche Bestände, die heute in französischen Bibliotheken stehen. Die Beiträge schliessen an dem an, was man aus der Provenienzforschung vor allem aus Deutschland und Österreich seit den letzten 20 Jahren weiss. Ergänzt wird das durch zwei Forschungsstränge: Anatole Stebouraka berichtet über Bücher, die erst von den Nazis beschlagnahmt, dann am Ende des Zweiten Weltkrieges von der Roten Armee als Trophäen – die als Ersatz für geplündertes Kulturgut in der Sowjetunion verstanden wurden – requiriert wurden und die heute (noch) in den drei grossen Bibliotheken in Minsk lagern. Eine ganze Anzahl von Beiträgen geht auch auf Bestände ein, die aus unterschiedlichen, nicht immer ganz klaren Gründen, in französischen Bibliotheken liegen, beispielsweise weil sie von den nationalsozialistischen Behörden zwischengelagert wurden, weil sie in grossen Rückgabeaktionen Ende der 1940er, Anfang der 1950er an französische Einrichtungen übergeben, aber von diesen nicht an ihre ursprünglichen Besitzer*innen oder Nachfolger*innen weitergegeben wurden oder weil sie, wie die Universitätsbibliothek Strassburg, nationalsozialistische Einrichtungen darstellen, die nach 1945 (wieder) vom französischen Staat übernommen wurden.

Der Band ergänzt sehr gut das vorhandene Wissen über die Buchdiebstähle, welche von den Nazis vorgenommen wurden, aber auch von der institutionellen Amnesie, die oft nach 1945 in den einzelnen Einrichtungen über die jeweiligen Bestände herrschte. (Der Band zeigt, dass dies nicht nur für deutsche und österreichische, sondern auch französische Bibliotheken galt und dass eine Gegenbewegung erst in den letzten Jahrzehnten, wieder auch in Frankreich, aufkam.) Er zeigt noch einmal eindrücklich, dass die Verbrechen der Nazis praktisch ganz Europa (und weitere Räume) erfassten und deshalb die Aufarbeitung, auch in Bibliotheken, auf internationaler Ebene erfolgen muss.

Nicht beantwortet wird allerdings die Frage, welche den Titel des Buches bildet, nämlich, ob französische Bibliotheken von den Nazis geplündert wurden. Es geht bei den Beispielen vor allem um private Buchsammlungen und Sammlungen von jüdischen, freimaurerischen oder linken Organisationen, nicht um die Bibliotheken der grossen staatlichen Institutionen. (ks)


Speer, Andreas ; Reuke, Lars (Hrsg.) (2020). Die Bibliothek – The Library – La Bibliothèque: Denkräume und Wissensordnungen. (Miscellanea Mediaevalia, 41) Berlin, Boston: Walter de Gruyter. https://doi.org/10.1515/9783110700503 [Paywall]

In seiner physischen Version erscheint dieser, mit allen Anhängen rund 900 Seiten dicke, Band mit seinem Titel zuerst wie ein Handbuch, das endgültig alle relevanten Fragen zum Thema klären will. Das ist es aber nicht. Vielmehr sind hier die Beiträge der 41. Kölner Mediaevistentagung von 2018 versammelt. Die Masse an Text ist einfach ein Zeichen für die fast schon beängstigende Produktivität der Mediävistik.

Die einzelnen Kapitel legen den Begriff der Bibliothek weit aus. Es geht nicht nur um Räume und Institutionen, sondern zum Beispiel auch um die Rekonstruktion der Bücher, auf die sich mittelalterliche Autoren oder Autorengruppen für ihre Texte gestützt haben oder um die theologischen Diskussionen über Möglichkeiten des Bücherbesitzes in Klöstern bestimmter Orden. Wie zu erwarten, gibt es mit einzelnen Beiträgen auch Ausnahmen, aber grundsätzlich geht es zeitlich und räumlich um das europäische Mittelalter. Gegliedert ist der Band grundsätzlich nach Bibliothekstypen, aber in Teilen anders, als dies in der bibliothekarischen Bibliothekstypologie geschehen würde: Klosterbibliotheken, Universitätsbibliotheken, Hofbibliotheken, Stadt-, Privat- und Missionsbibliotheken werden Bibliothekar*innen bekannt vorkommen, aber Abschnitte zu Karolingischen Bibliotheken, zur Bibel – die als Buchsammlung und damit auch als Bibliothek interpretiert wird – oder bibliotheca mystica weniger. Verwirrenderweise sind im Abschnitt Virtuelle Bibliotheken Beiträge zu den genannten, aus Texten rekonstruierten Buchsammlung, auf die die Autoren zurückgegriffen haben, versammelt und keine Beiträge zu digitalen Angeboten von Bibliotheken.

Was in dem Band zu sehen ist, sind vor allem die Fragen, welche in der Mediävistik an Texte, Bücher und Bibliotheken gestellt werden und die Methoden, mit denen dabei vorgegangen wird. Teilweise werden lange Anhänge mitgeliefert, welche die Arbeit an einzelnen Texten dokumentieren, teilweise wird die Arbeit mit – immer wieder neuen – Datenbanken vorgestellt. Es geht erwartungsgemäss viel um Ordensgeschichte, auch um Wissensordnungen, die aus Texten, Bibliothekskatalogen und noch erhaltenen Sammlungen rekonstruiert werden können. Das ist immer wieder interessant, wenn auch teilweise sehr kleinteilig. Für die Bibliothekswissenschaft und Bibliotheken ergibt sich aus dem Band aber auch die Erkenntnis, wie weit die Fragestellungen und Methoden, die in der bibliothekswissenschaftlichen Forschung dominieren, sich von denen in der Mediävistik unterscheiden. Der einleitende Beitrag des Bandes (von Andreas Speer) versucht zwar, eine Brücke zu schlagen, auch, weil die Mediävistik selbstverständlich eine Wissenschaft ist, bei der viel in Bibliotheken oder mit Dokumenten aus Bibliotheken gearbeitet wird. Hier wird auch auf Veränderungen in Universitätsbibliotheken eingegangen. Im restlichen Band findet sich das aber kaum wieder. Wenn überhaupt, dann wird auf Digitalisate mittelalterlicher Dokumente als Arbeitsgrundlage verwiesen. Fragen, die sich in Bibliotheken in Bezug auf diese Dokumente stellen, finden sich aber nicht. (ks)


Kempf, Charlotte Katharina (2020). Materialität und Präsenz von Inkunabeln: Die deutschen Erstdrucker im französischsprachigen Raum bis 1550. (Forum historische Forschung Mittelalter ; 1) Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2020 [gedruckt]

Die Autorin dieser geschichtswissenschaftlichen Dissertation postuliert, dass über die Betrachtung einer ausgewählten Gruppe von Frühdruckern – denen aus den Gebieten des Heiligen Römischen Reiches – in einer geografisch abgegrenzten Region – den französischsprachigen Teilen Europas, die nicht nur Frankreich, sondern hier auch die Freigrafschaft Burgund und Städte wie Genf umfasst, welche damals in den Grenzen des Heiligen Römischen Reiches selber lagen – mehr über die Transformation der non-typografischen Gesellschaft, die auf Handschriften basierte, zur typografischen Gesellschaft, für die Drucke zur Normalität gehörten, herausgefunden werden könne. Ihr Ansatz sei, nicht nur bekannte und schon oft untersuchte Frühdrucker darzustellen, sondern die Breite der unterschiedlichen Wege, welche Frühdrucker und deren Erzeugnisse nahmen, gesamthaft abzudecken. Was sie in der Arbeit dann zeigt, ist vor allem, wie prekär die Lebenswege der Frühdrucker und die Medientransformation selber war. Ein grosser Teil der Frühdrucker, die sie vorstellt, druckte nur für kurze Zeit und verschwand dann wieder aus den Quellen. Ebenso begründeten viele von ihnen keine Drucktradition an den einzelnen Orten, vielmehr waren ihre Druckereien Episoden der jeweiligen Stadt- oder Klostergeschichte. Ausserdem gab es während der rund 50 Jahre des Frühdrucks sowohl Beispiele, bei denen Druckwerke als neue Form von Medien begrüsst und benutzt sowie gleichzeitig Beispiele, bei denen diese Druckwerke und die damit eintretenden Veränderungen kritisiert wurden. Zuletzt zeigt sie auch, dass ein erstaunlich grosser Teil der untersuchten Frühdrucker erst eine Zeitlang in Basel aktiv war und dann – zumeist wegen Schulden, was aber auch damit zu tun haben kann, dass ein Grossteil der Quellen, die wir über sie haben, Gerichtsurteile sind – in den französischsprachigen Teil Europas wechselte. Offenbar fungierte diese Stadt schon im Spätmittelalter als Übergangsort vom einen in den anderen Sprachraum.

Der Charakter der Arbeit als Dissertation ist offensichtlich: Die Autorin geht äusserst strukturiert vor, beispielsweise werden die Frühdrucker und ihre Drucke immer in gleich aufgebauten Kapiteln beschrieben, und arbeitet sehr genau, was sich in einem ausufernden Fussnotenapperat niederschlägt. Im methodologischen Teil ihres Vorworts referiert die Autorin auf den material turn in den Geschichtswissenschaften, in dem sie auch ihre eigene Arbeit verortet. Die Materialität der Objekte soll Teil der historischen Untersuchung sein und Aussagen ermöglichen, die nicht aus den reinen Textquellen zu generieren sind. In der Arbeit schlägt sich dies vor allem darin nieder, dass nicht nur Textquellen referiert werden – dies allerdings recht traditionell –, sondern auch Eigenschaften wie die Anzahl der Seiten von Drucken der Frühdrucker dargestellt werden. Was so sichtbar wird, ist, dass eine Anzahl von Druckern immer wieder ähnliche Drucke produzierte, anderen aber experimentierten, und dass Drucker ihre Werkzeuge (Matrizen, Schriftsätze, Druckstöcke) wiederverwendeten, verkauften und kombinierten.

Der Autor dieser Rezension ist kein Geschichtswissenschaftler, kann also nicht unbedingt etwas dazu sagen, ob der Anspruch, zum material turn beizutragen, eingehalten wurde. Aber ihm wurde nicht klar, welche Neuerung die im Text immer wieder betonte Untersuchung der Materialität erbracht hat. Vielleicht ist der Frühdruck einfach kein gutes Beispiel, um den material turn zu exemplifizieren, weil solche Untersuchungen an den konkreten Drucken schon lange zum Handwerkszeug der Inkunabelkunde gehört (zumindest der im DACH-Raum, während die Autorin sich auch auf die französische Forschungstradition der histoire du livre beruft). (ks)


Walworth, Julia C. (2020). Merton College Library: An Illustrated History. Oxford: Bodleian Library, 2020 [gedruckt]

In Grossbritannien und Irland, aber auch anderswo im anglo-amerikanischen Raum, ist es durch die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte normal geworden, dass sich Bibliotheken unter anderem als Tourismusattraktion vermarkten. Die Leser*innen von Libreas werden dem Konzept des Bibliothekstourismus selber nicht abgeneigt sein, aber die Organisation einiger Bibliotheken in den genannten Ländern – insbesondere wenn sie historische Gebäude und Bestände vorzuweisen haben – ist auf einem anderen Level. Hier werden Besuche direkt von den Bibliotheken selber geplant, eigene Ausstellungen und Rundgänge organisiert, bestimmte Bilder werden proaktiv verbreitet, Tourist*innen stehen teilweise in ordentlichen Reihen an, um Eintritt zu zahlen und dann nicht nur durch die Ausstellung, sondern auch durch den jeweiligen Gift Shop geschleust zu werden. (Der Rezensent ist auch nicht darüber erhaben, solche Besuche zu machen. Die Library of Trinity College, das Book of Kells, die National Library in Dublin und die Linen Hall Library in Belfast waren selbstverständlich Teil von touristischen Irland- und Nordirland-Reisen. Ganz so, wie es die jeweiligen Tourismusbüros geplant haben. Vergleichbares ist im DACH-Raum seltener zu finden. Selbst solche seltenen Beispiele wie die Stiftsbibliothek St. Gallen sind im Vergleich zum angloamerikanischen Raum sehr zurückhaltend.)

In den Gift Shops dieser Bibliotheken werden neben allen möglichen anderen Produkten auch Bücher angeboten, die sich mit der entsprechenden Bibliothek beschäftigen. Das sind keine geschichtswissenschaftlichen Werke, sondern solche, die genau auf den Verkauf in solchen Shops ausgelegt sind: schnell und unterhaltsam erzählte Geschichte, selbstverständlich historisch akkurat, aber doch fokussiert auf bestimmte Themen (Gründung, Skandale, interessante Geschichten und Persönlichkeiten, besondere Bestände, hervorhebenswerte Details der Räume). Zudem immer reich bebildert. Dieses Buch ist eines solcher Werke. Es erzählt, wie gefordert, sehr kurz und lebendig die Geschichte der Ende des 13. Jahrhunderts gegründeten Merton College Library, Teil der Universität Oxford. Dem Genre entsprechend lernt man einiges über die Gründung und die Bibliotheksentwicklung durch die Jahrhunderte, wobei der Fokus eher auf dem Raum und interessanten Beständen liegt. Das Buch ist mit professionellen Bildern des Raumes, Details der heutigen Regale, zum Teil Bildern aus vergleichbaren Bibliotheken (wenn keine Originale mehr in Oxford vorhanden sind) und vielen Beispielen seltener Handschriften, Drucke und anderer Bestände (Globen, astronomische Instrumente und so weiter) ausgestattet. Das alles lässt sich in einem Ruck, vielleicht zum Five o’Clock Tea, durchlesen, was kein verlorener Nachmittag wäre, aber trotzdem bleibt das Buch stark mit einem touristischen Blick auf die genannte Bibliothek verbunden. (ks)

4. Social Media

[Diesmal keine Beiträge]

5. Konferenzen, Konferenzberichte

McGowan, Bethany ; Hart, Jennifer ; Hum, Karen (2021). Specialized Regional Conferences Support the Professional Development Needs of Subject Librarians: A 5-Year Analysis of the Great Lakes Science Boot Camps for Librarians. In: College & Research Libraries 82 (2021) 4, https://doi.org/10.5860/crl.82.4.548

In diesem Text werden die Rückmeldungen von Teilnehmer*innen an fünf jährlichen Durchgängen einer spezialisierten Bibliothekskonferenz ausgewertet. Die Konferenz ist auf IT und Learning-Tools ausgerichtet und lokal im Gebiet der Great Lakes (allerdings nur der US-amerikanischen Seite) verankert. Sie findet jeweils an einer Universitätsbibliothek in dieser Gegend statt und lädt Forschende und Personal aus der jeweiligen Universität ein, praxisnahe Veranstaltungen anzubieten. Grundsätzlich sind die Rückmeldungen positiv.

Aber der Text ist nicht einfach eine Darstellung dieser Konferenz, sondern in gewisser Weise Werbung dafür, solche kleineren, lokal orientierten und auf spezielle Themen ausgerichtete Konferenzen zu organisieren. Die Autor*innen argumentieren, dass für viele kleine, schlecht mit Mitteln ausgestatteten Bibliotheken sich grössere Konferenzen kaum als Weiterbildungsveranstaltungen eignen, da es zu viele Barrieren gibt, die einer Teilnahme der jeweiligen Bibliothekar*innen entgegenstehen. Viele dieser Barrieren – beispielsweise Kosten, aber auch Reisezeiten und zu geringe Spezialisierung – liessen sich durch kleine Konferenzen senken. (ks)


Momeni, Fakhri, Mayr, Philipp, Fraser, Nicholas, & Peters, Isabella (2021, September 27): Impact of Publishing and Citing Open Access Papers on Researchers’ Scientific Success. Open-Access-Tage 2021. https://doi.org/10.5281/zenodo.5529858

In ihrer Präsentation berichten die Autor*innen über ihre Untersuchungen zu eventuellen Auswirkungen des jeweiligen nationalen Einkommensniveaus auf das Publikationsverhalten von Wissenschaftler*innen sowie den Folgeeffekten (scientific success of scholars). Dazu analysierten sie mittels Scopus zwei Jahrgänge von Artikeln, die in SpringerNature-Journals erschienen sind. Bei den Folgeeffekten bestätigt sich die Annahme, dass die Open-Access-Verfügbarkeit von Publikationen zu mehr Zitierungen führt. Der Schritt zu Open Access ist für die Publizierenden jedoch mit Kosten verbunden, die auch über länderspezifische Discounts der Wissenschaftsverlage nicht aufgefangen werden. Preisnachlässe für Publikationsgebühren stellen daher nur einen begrenzten Anreiz dar. Allerdings weisen die Länder mit den niedrigsten Einkommen die höchsten Open-Access-Publikationsraten auf. Weitere ermittelte Auffälligkeiten waren, dass Autor*innen eher zu Full-Open-Access-Publikationen neigen, dass interdisziplinäre Aufsätze eher Open Access publiziert werden und dass die Naturwissenschaften den höchsten, Sozialwissenschaften dagegen den niedrigsten Open-Access-Anteil aufweisen. (bk)

6. Populäre Medien (Zeitungen, Radio, TV etc.)

Russew, Georg-Stefan (2021): Tempelhof-Schöneberg Bezirksbibliothek wird Ziel mutmaßlich rechtsgerichteter Attacke. In: rbb24.de. 12.08.21 https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2021/08/berlin-tempelhof-zerstoerte-buecher-bibliothek-mutmasslich-rechte-attacke.html

Inforadio (2021): Tempelhofer Bibliothek wird erneut Ziel von mutmaßlichen rechtem Angriff. In: rbb24.de 16.09.21 https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2021/09/bibliothek-tempelhof-schoeneberg-buecher-zersoert.html

Immer wieder werden Bibliotheken Ziele von rechten Attacken. Bekannt sind Fälle, in denen Flyer mit rechtem Gedankengut in Büchern von Bibliotheken hinterlegt werden. Jüngst wurde die Bezirksbibliothek Tempelhof-Schöneberg (Berlin) mehrmals Ziel von Zerstörung. Eine oder mehrere unbekannte Personen zerschnitten Bücher, die sich kritisch mit rechtem Gedankengut auseinandersetzen. Der Leiter der Bibliothek, Boryano Rickum, veröffentlichte die Titel und Autor*innennamen der betroffenen Bücher. Außerdem sagte er dem rbb (Rundfunk Berlin-Brandenburg), dass die neutrale Position der Bibliotheken nicht mehr möglich wäre und ein klares Zeichen für die Demokratie notwendig sei. Am 16.09.21 berichtete rbb24.de von erneuten zerschnittenen Büchern in der genannten Bibliothek. Der Leiter zog die Konsequenz daraus und stellt einen Wachschutz ein. Die zerstörten Bücher werden als Mahnmal in einer Vitrine im Foyer präsentiert, daneben stehen dieselben (vollständigen) Bücher zur Ausleihe bereit. (sj)


O’Connor, William (2021). The Strange Tale of the Beautiful Library and the Town That Never Asked for It. In: The Daily Beast, 19. Juni 2021, https://www.thedailybeast.com/the-strange-tale-of-the-beautiful-library-and-the-town-that-never-asked-for-it?ref=home

Im Artikel wird die Geschichte erzählt, wie die Kleinstadt Winchester in Virginia zu ihrer Öffentlichen Bibliothek gekommen ist. Die — überdimensioniert, in einem für Bibliotheken grösserer Städte, im frühen 20. Jahrhundert typischen palastähnlichen Bau — die dortige Altstadt prägt. Kurz zusammengefasst: wegen dem Erbe eines Südstaaten-begeisterten Richters und Unternehmers aus Pennsylvania (offensichtlich nicht in den Südstaaten der USA). Dieser überliess sein Vermögen lieber einer Stadt im Süden als der Stadt, in der er immerhin tätig war oder entfernten Verwandten. Der Bau der Bibliothek dauerte dann seine Zeit und als sie eröffnet wurden, war sie ab 1913 für die nächsten 50 Jahre nur für Weisse zugänglich.

Der Artikel ist Teil einer Serie The world’s most beautiful libraries (https://www.thedailybeast.com/keyword/the-worlds-most-beautiful-libraries), welche (zumeist einmal monatlich) in der Reiserubrik der Zeitschrift The Daily Beast erscheint. Diese Artikel sind in der Regel kurzweilig, aber leider – ein wenig im Konflikt mit dem Titel – immer nur mit der jeweiligen Titelgrafik und nicht noch weiteren Fotos bebildert. (ks)


Schimek, Cornelia: Acht Stunden Arbeit, acht Gläser Sekt. Oder Wein. Oder Schnaps. In: KATAPULT Magazin für Kartografik und Sozialwissenschaft. No. 22 Juli-Sept 2021, S. 78–83. [gedruckt]

In ihrer umfangreichen Aufarbeitung des Themas Alkohol am Arbeitsplatz arbeitet die Autorin berufsgruppenspezifische Neigungsverteilungen zum riskanten Konsum von Alkohol heraus. Dabei wird erwähnt, dass Bibliotheksberufe empirisch ein vergleichsweise geringes Risiko mit sich bringen. Dieser Fakt wird in der Zwischenüberschrift Bibliothekare weniger betroffen ausdrücklich hervorgehoben. Sie bezieht sich dabei auf eine Tabelle im Dateianhang zu Andrew Thompson, Munir Pirmohamed: Associations between occupation and heavy alcohol consumption in UK adults aged 40–69 years: a cross-sectional study using the UK Biobank. BMC Public Health 21, 190 (2021). https://doi.org/10.1186/s12889-021-10208-x. Die Autoren der Studie selbst heben allerdings andere Berufsgruppen als Niedrigrisikogruppen hervor: Clergy […] physicists, geologists and meteorologists […]; and medical practitioners […] were least likely to be heavy drinkers. (bk)


Owen, David: RECORD COLLECTION. Labor of Love Dept. In: The NEW YORKER, Aug. 23., 2021, S. 45.

Der in Bridgeport, Connecticut, USA, beheimatete Community-Radiosender WPKN-FM entschloss sich bei seiner Gründung im Jahr 1963 für eine Archivierung der eingehenden Schallplatten, nicht nach beispielsweise Genre oder Alphabet, sondern nach laufender Nummer, beginnend mit einer Pressung von Judy Garlands A Star is Born. Daraus resultiert ein, wie David Owen schreibt, quirkily dendrochronological register of old and new music during the past six decades or so. (bk)


Sema Çağlak: Call for children from Colourful Hopes. In: JINNEWS, 12.10.2021. http://jinnews39.xyz/en/ALL-NEWS/content/view/173802

Der Beitrag stellt die spendenbasierte Spielzeug-Bibliothek (Toy Library) der Colourful Hopes Association im türkischen Diyarbakır und die damit zusammenhängenden zivilgesellschaftlichen Aktivitäten vor. Sie ist nach dem kurdischen Menschenrechtsanwalt Tahir Elçi benannt, der 2015 ermordet wurde. Der Hintergrund ist, dass viele Kinder in der Region keinen Zugang zu Spielplätzen und aufgrund von Armut keine eigenen Spielzeuge haben. Diese Kinder können sich jeweils ein Spielzeug für eine Woche ausleihen. Das Angebot umfasst zusätzlich Bücher und mittlerweile auch Fahrräder. Neben dem Effekt eines Zugangs zu diesen Dingen erhoffen sich die Betreibenden auch Effekte bei der Herausbildung eines Verantwortlichkeitsgefühls und zwar nicht nur bei den Kindern, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene. Der Zugang und die Verfügbarkeit von Spielzeug für Kinder wird als Grundrecht angesehen, dessen Absicherung die Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist. (bk)


Nagata, Kazuaki: Library named after alum Haruki Murakami at Tokyo’s Waseda University. In: The Japan Times. 23.09.2021. https://www.japantimes.co.jp/news/2021/09/23/national/murakami-library-waseda/

An der Waseda University (早稲田大学) in Shinjuku, Tokyo, wurde zum 01.10.2021 eine Bibliothek zu Ehren von Haruki Murakami und damit auch mit der Bezeichnung Haruki Murakami Library in Ergänzung zum Namen Waseda International House of Literature eröffnet. Zur Inspiration wird die Bibliothek auch eine Nachbildung des Arbeitszimmers von Haruki Murakami enthalten. Gestiftet wurde sie vom Mode-Milliardär Tadashi Yanai (unter anderem Uniqlo Co., Ltd.). (bk)


Sommer, Will (2021). Inside the Right’s Plan to Rebrand Sex Ed as Child Porn: Their new tactics include harassing school boards and calling the cops on librarians. In: The Daily Beast, 05.10.2021, https://www.thedailybeast.com/inside-the-rights-plan-to-rebrand-sex-ed-as-child-porn

Es scheint, als wäre in den USA nach Jahren der rechtsextremen Mobilisierung vor und während der Präsidentschafts Trumps, den paranoiden Vorstellungen im Bezug auf dessen Ende sowie die COVID-19-Pandemie ein wenig die Luft raus und es würde sich von rechtsextremen Akteur*innen wieder bekannteren Themen zugewandt. Auf der einen Seite konzentrieren sich diese Netzwerke aktuell erneut darauf, die reproduktiven Rechte von Frauen einzuschränken. Aber offenbar ist auch das Verbieten von Büchern in Bibliotheksbeständen und Schulen in diesen Kreisen wieder en vouge geworden.

Der Journalist Will Sommer berichtet viel über die Entwicklungen der rechten und rechtsextremen Netzwerke in den USA. In diesem Artikel thematisiert er den letztgenannten Umstand. Während das book challenging schon fast zu einer klassischen Taktik dieser rechten Netzwerke gehört – inklusive Verbreitung von Informationen, wie dabei vorzugehen ist oder welche Bücher aktuell als verbotswürdig gelten – und Öffentliche Bibliotheken in den USA allesamt Strukturen entwickelt haben, um auf diese zu reagieren – beispielsweise klare Abläufe für die Eingabe und Bearbeitung solcher Beschwerden, eine starke Lobbyarbeit des Bibliotheksverbandes oder auch transparenter Informationen über die Beschwerden –, gibt es aktuell offenbar wieder eine Zunahme dieser Fälle und gleichzeitig eine neue Taktik. Vertreter*innen in School und Library Boards, aber auch einzelnen Bibliothekar*innen und Lehrpersonen, wird gedroht, sie wegen der angeblichen Verbreitung von Pornographie anzuzeigen. Die Bücher, um die es geht, sind erwartungsgemäss solche zur Sexualaufklärung und solche mit einem Fokus auf die Darstellung sexueller Diversität.

Sommer schildert im Text, wie Bibliotheken und der Bibliotheksverband auf diese Herausforderung reagieren, aber auch, dass die Zivilgesellschaft oft eine klar die Schulen und Bibliotheken unterstützende Position einnimmt. Zudem vermittelt der Artikel den Eindruck, dass die rechten Netzwerke sich nur eine Zeit mit dieser Kampagne aufhalten werden, bis sie ein neues Thema gefunden haben, das sie in ihrem paranoiden Weltbild anzugehen glauben müssen. (ks)

7. Abschlussarbeiten

[Diesmal keine Beiträge]

8. Weitere Medien

Fachstelle für Öffentliche Bibliotheken NRW (2021). Abschlussbericht Pilotprojekt Sprachschatz – Bibliothek und KiTa Hand in Hand 2017–2019. Düsseldorf: Bezirksregierung Düsseldorf, 2021, https://fachstelle-oeffentliche-bibliotheken.nrw/wp-content/uploads/2021/06/Sprachschatz_Abschlussbericht_21_06_08_Webversion_FINAL.pdf

Das Projekt Sprachschatz liess in sechs Gemeinden, die sich dafür beworben hatten, im ländlichen Raum Nordrhein-Westfalens Öffentliche Bibliotheken, Kindertagesstätten und zum Teil auch andere Einrichtungen vor Ort kooperieren, um Digitale Medien für die Förderung von Sprache und Vielfältigkeit einzusetzen. Diese Kooperationen wurden über zwei Jahre strukturiert, mit Workshops und Zeitplänen unterstützt sowie evaluiert. Der Projektbericht umfasst alles: eine Beschreibung des Projektes und der sechs konkreten Kooperationen, die Evaluation (die allerdings in der Analyse sehr zurückhaltend ist und vor allem Ergebnisse von Befragungen und Auswertungen von Sitzungsprotokollen berichtet) sowie im Projekt erstellte Materialien, die bei der Zusammenarbeit anderer Bibliotheken und Kindertagesstätten verwendet werden können (und den grössten Teil der Publikation einnehmen).

Interessant ist, über das Thema Sprachschatz und Vielfältigkeit hinaus, dass im Bericht dargestellt wird, was grundsätzlich für solche erfolgreichen Kooperationen notwendig war: Die beteiligten Einrichtungen mussten sich regelmässig treffen, gemeinsam Ziele definieren und erst lernen, was die jeweils andere Einrichtung eigentlich konkret macht sowie gemeinsam klare Aufgaben definieren. Es war notwendig, gemeinsam überhaupt die jeweils vorhandenen Stärken der anderen kennen zu lernen. Hauptproblem aller Teams war die notwendige Zeit und Konsistenz im Arbeitsalltag: Erstaunlich oft war es nicht möglich, dass über zwei Jahre immer die gleichen Personen in den Einrichtungen Verantwortungen übernahmen und ebenso waren regelmässige Treffen nicht immer einfach durchzuführen. Kooperation, so wird in diesem Teil des Berichtes deutlich, ist auch im ländlichen Raum, wo sich angeblich alle kennen, eine Aufgabe, die aktiv geplant und von allen Beteiligten getragen werden muss, um erfolgreich zu sein.

Auffällig war zudem (was in der Evaluation am Rande angesprochen wird, aber eigentlich mehr betont werden sollte), dass auch in diesem Projekt sehr schnell bei den Kooperationen gemeinsam auf einfacher umzusetzende Themen fokussiert wurde (eher Ausprobieren von Medien und Techniken) und komplexere Themen (Vielfältigkeit) mehr oder minder ignoriert wurden. Im Alltag setzt sich schnell das durch, was einfach an die schon normale bibliothekarische Arbeit (und wohl auch die Arbeit in Kindertagesstätten) anzuschliessen war. (ks)


Bayerische Staatsbibliothek (2021). Mönch, Rebell, Bibliothekar. Eine virtuelle Ausstellung zum 250. Geburtstag von Martin Schrettinger. https://www.bsb-muenchen.de/va/ausstellungen/moench-rebell-bibliothekar/

[via aubib-Blog: https://www.aubib.de/blog/article/2021/10/05/moench-rebell-bibliothekar-eine-virtuelle-ausstellung-zum-250-geburtstag-von-martin-schrettinger/]

Martin Schrettinger gilt gemeinhin als Begründer der Bibliothekswissenschaft, auch wenn sein Fokus die Organisation von Bibliotheken und ihrer Bestände war – ein Thema, dass heute die Bibliothekswissenschaft nicht mehr prägt. Unbestritten ist jedoch, dass er es war, welcher vor über zweihundert Jahren den Begriff Bibliothekswissenschaft prägte und einer der Personen war, welche die Grundlagen für eine systematische Beschäftigung mit Bibliotheken legte.

Schrettinger war bekanntlich in der heutigen Bayerischen Staatsbibliothek in München tätig. Zu seinem 250. Geburtstag veranstaltet diese Bibliothek jetzt eine virtuelle Ausstellung über ihn. In dieser ist zu lernen, wie der von der Aufklärung geprägte ehemalige Mönch mehrfach Versuche unternahm, die Büchermassen, welche sich durch die Auflösung der Klöster nach der Säkularisierung und der Beschlagnahmung derer Wertgegenstände durch den bayerischen Staat in München sammelten, zu ordnen und wie er die Überlegungen dazu in ein System brachte, welches von ihm den Namen Bibliothekswissenschaft erhielt. Man erfährt aber auch von seinen Zusammenbrüchen und erhält einen reich bebilderten Kontext. Selbstverständlich ist den Schriften Schrettingers, inklusive dem Handbuch der Bibliothekswissenschaft (1834), ein eigener Teil gewidmet. (ks)


CC Deutschland: FAQ, https://de.creativecommons.net/faqs/

Creative Commons Deutschland stellt seit Sommer 2021 ein sehr umfangreiches FAQ auf Deutsch bereit. Die circa 130 Fragen und Antworten sind den folgenden fünf Hauptkategorien zugeordnet: 1. Über Creative Commons, 2. Allgemeine Informationen über die CC-Lizenzen, 3. Inhalte unter eine CC-Lizenz stellen, 4. CC-lizenzierte Inhalte nutzen und 5. Datenbanken, Daten und KI. Die Zusammenstellung bietet Wissenswertes für Einsteiger*innen und Fortgeschrittene. Die deutschen FAQ bauen auf der englischen Version auf (https://creativecommons.org/faq/); ergänzend werden Informationen zu Besonderheiten geliefert, die sich aus dem deutschen beziehungsweise europäischen Recht ergeben. (mv)