Beiträge von Eva Bunge (eb), Janine Laura Bromby (jlb), Nadine Ebert (ne), Dominic Göhring (dg), Lina Feller (lf), Katharina Förster-Kuntze (kfk), Karsten Schuldt (ks), Pauline Frenzel (pf), Karolina Magdalena Galek (kmg), Fatima Jonitz (fj), Sara Juen (sj), Sophie Kobialka (sk), Amber Kok (ak), Monika Kolano (mk), Michaela Voigt (mv), Georg Schelle (gs), Vivian Schlosser (vs), Valentina de Toledo (vt), Viola Voß (vv)
1 Zur Kolumne
Ziel dieser Kolumne ist es, eine Übersicht über die in der letzten Zeit publizierte bibliothekarische, informations- und bibliothekswissenschaftliche sowie für diesen Bereich interessante Literatur zu geben. Enthalten sind Beiträge, die der LIBREAS-Redaktion oder anderen Beitragenden als relevant erscheinen.
Themenvielfalt sowie ein Nebeneinander von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Ansätzen wird angestrebt und auch in der Form sollen Printmedien und elektronische Publikationen ebenso erwähnt werden wie zum Beispiel Blogbeiträge, Videos oder TV-Beiträge.
Gerne gesehen sind Hinweise auf erschienene Literatur oder Beiträge in anderen Formaten. Diese bitte an die Redaktion richten. (Siehe Impressum, Mailkontakt für diese Kolumne ist zeitschriftenschau@libreas.eu.) Die Koordination der Kolumne liegt bei Karsten Schuldt, verantwortlich für die Inhalte sind die jeweiligen Beitragenden. Die Kolumne unterstützt den Vereinszweck des LIBREAS-Vereins zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation.
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2 Artikel und Zeitschriftenausgaben
2.1 Vermischte Themen
Fraser-Arnott, Melissa (2020). Library orientation practices in special libraries. In: Reference Services Review 48 (2020) 4: 525–536. https://doi.org/10.1108/RSR-03-2020-0017 [Paywall] [OA-Version: https://scholarworks.sjsu.edu/slis_pub/179/]
Die Bedeutung dieses Artikels liegt vor allem darin, auf ein sonst in der bibliothekarischen Literatur kaum beachtetes Thema hinzuweisen: Die konkrete Organisation der Ersteinführung von Nutzer*innen in einer Spezialbibliothek (oder allgemein einer Bibliothek). Diese lässt sich aktiv gestalten und planen. Im Artikel werden die Ergebnisse einer Umfrage unter US-amerikanischen Firmenbibliotheken dazu präsentiert, wie jene diese Einführungen angehen. Das ist nicht uninteressant – so warten einige explizit ein paar Wochen, damit die neu eingestellten Mitarbeiter*innen sich erst in der jeweiligen Firma zurechtfinden und ihre Informationsbedürfnisse erkennen können, andere verweisen darauf, dass die Einführungen tatsächlich dazu führen, dass Mitarbeiter*innen später aktive Nutzer*innen werden. Aber die Hauptnachricht ist, dass es sich lohnt – sowohl in einer konkreten Bibliothek als auch allgemein – über diese Veranstaltungen und die Erfahrungen damit offen nachzudenken und zu diskutieren. (ks)
McGinnis, Robbin; Kinder, Larry Sean (2021). The library as a liminal space: Finding a seat of one’s own. In: The Journal of Academic Librarianship 47 (2021) 1: 102263, https://doi.org/10.1016/j.acalib.2020.102263
Dieser Artikel berichtet über den aktuellen Umbau der Bibliothek der Western Kentucky University. Wie so oft gibt es die Vorstellung, diese Bibliothek zu einem Hub
für unterschiedliche Funktionen umzubauen: Lernen, Socializing, andere Funktionen. Was den Text und das Projekt aus der Masse solcher Projektberichte heraushebt, ist eine Umfrage, die im Laufe des Umbaus zu den Präferenzen der Nutzer*innen durchgeführt wurde.
Die Ergebnisse wurden genutzt, um den Umbau zu gestalten, sind aber eine Erinnerung daran, dass die Vorstellung, Universitätsbibliotheken müssten Hubs werden, nicht unbedingt von den Nutzer*innen selber kommt. Befragt nach ihren Gründen für die Benutzung der Bibliothek, gaben die meisten an, studieren zu wollen. Niemand (!) wählte socializing
als Antwort. Die meisten Nutzer*innen suchten Plätze am Fenster, auch wenn es solche gab, die Orte mit anderen Qualitäten bevorzugten. Ebenso zeigten sich viele Nutzer*innen nicht von speziellen Sitzgelegenheiten beeindruckt: Mehr als die Hälfte bevorzugte einfache Tische und Stühle, erst dann bequemere Stühle oder individuelle Quarrels. Couches bevorzugten nur 5 %, Sitzsäcke fielen ganz durch. Oder anders: Die Nutzer*innen wollen (auch) in der Bibliothek vor allem klassische Arbeitsplätze und die Bibliothek hauptsächlich zum Lernen nutzen. (ks)
Macleod, Malcolm R.; Michie, Susan; Roberts, Ian; Dirnagl, Ulrich; Chalmers, Iain; Ioannidis, John P. A. et al. (2014): Biomedical research: increasing value, reducing waste. In: The Lancet 383 (9912), S. 101–104. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(13)62329-6. [Paywall]
McLeod et al. analysieren am Beispiel der Biomedizin die Gründe für die Entstehung von repetitiver, wenig aussagekräftiger Forschung, sogenanntem research waste
. Dies sind zum einen die kommerziellen Motive der Gesundheitsindustrie und die Profitabilität beim Verlegen wissenschaftlicher Artikel, sowie zum anderen die sozialen und politischen Motivationen der ForscherInnen, die unter Publikationsdruck stehen und zum Teil nicht ausreichend handwerklich geschult sind. Daraus resultiert eine kurzlebige Forschungskultur, in der schnelle und einfache Ergebnisse gegenüber nachhaltigen Erkenntnissen bevorzugt werden. Um die Qualität medizinischer Forschung zu erhöhen, ist es nötig, die bestehenden Strukturen zu transformieren und neue Wertmaßstäbe an den wissenschaftlichen Publikationsprozess zu stellen. Durch die besonderen fachlichen Spezifikationen der Biomedizin, wie zum Beispiel die starke Abhängigkeit von privaten Drittmittelgebern und das besondere öffentliche Interesse, können sich in diesem Bereich die Schwierigkeiten deutlicher herauskristallisieren als in anderen Bereichen. Die zugrunde liegende Dynamik der verschiedenen Akteure wissenschaftlicher Forschung lässt sich für andere Wissenschaftsdisziplinen jedoch übertragen. (vs)
Lynch, Renee; Young, Jason C.; Jowaisas, Chris; Boakye-Achampong, Stanley; Sam, Joel (2020). African Libraries in Development: Perceptions and Possibilities. In: International Information & Library Review [Latest Articles], https://doi.org/10.1080/10572317.2020.1840002
Durch Interviews mit Entwicklungshelfer*innen versuchten die Autor*innen zu bestimmen, ob (und wenn ja, wie) Bibliotheken in Afrika für die Entwicklungszusammenarbeit genutzt werden können. Über lange Strecken liest sich das wie eine Klage, dass – was sich allerdings in den Interviews auch zeigte – die Entwicklungshelfer*innen kein richtiges Bild von Bibliotheken und deren Möglichkeiten hätten. Oft sei nicht klar, dass es sie überhaupt in Afrika gibt. Wenn, dann würden sie vor allem mit dem Lesen verbunden, nicht mit anderen Themen wie Informationsverbreitung oder Communities.
Am Ende des Artikels wird aber über diese Darstellung hinausgegangen. Es wird diskutiert, dass Bibliotheken selbst dafür sorgen müssen, bei den Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit gesehen zu werden. Beispielsweise beschreiben die befragten Entwicklungshelfer*innen, dass sie überzeugende Daten
(wobei auch nicht ganz klar, welche Daten dies genau sein sollten) bräuchten, um zu verstehen, wie Bibliotheken funktionieren (können). Daraus wird im Artikel geschlossen, dass Bibliotheken diese Daten liefern müssen. Personen, die sich dafür interessieren, Bibliotheken in Afrika zu unterstützen, wird deshalb geraten, diese zu befähigen, solche Daten zu produzieren und bei den Entwicklungshilfeorganisationen unterzubringen. (ks)
Kenyon, Jeremy; Attebury, Ramirose Ilene; Doney, Jylisa; Seiferle-Valencia, Marco; Martinez, Jessica; Godfrey, Bruce (2020). Help-Seeking Behaviors in Research Data Management. In: Issues in Science and Technology Librarianship, (2020) 96, https://doi.org/10.29173/istl2568
Die Autor*innen – allesamt an der Bibliothek der University of Iowa arbeitend – interviewten 18 Forschende an ihrer Universität dazu, wie sie mit Forschungsdaten umgehen und vor allem, wo und wann sie sich dazu Hilfe holen. Grundsätzlich ging es darum, einen Weg für die Bibliothek zu finden, in diesem Bereich Dienstleistungen aufzubauen. Im Ergebnis zeigt sich, dass auch Forschende – und nicht nur Studierende – nicht eindeutig wissen, wie mit Daten umzugehen ist und wo sich Hilfe besorgt werden kann. Interessant ist, dass sie dennoch produktiv sind und Forschung betreiben. Im Normalfall versuchen sie, wenn es notwendig ist, sich im eigenen Umfeld Hilfe zu holen, also bei anderen Forschenden oder Projektmitarbeiter*innen, oder aber selbstständig eine Lösung zu finden. Einige nutzen auch Services, die an der Hochschule angeboten werden, inklusive der Bibliothek. Aber hauptsächlich geht es ihnen nicht darum, den Umgang mit Forschungsdaten vollständig zu verstehen. Sie sind zufrieden, wenn sie die Aufgaben, die sich aus dem Forschungsdatenmanagement ergeben, an jemand anderen auslagern können. Zudem: Auch wenn sie wissen, dass bestimmte Lösungen nicht perfekt sind und es wohl jeweils bessere gibt, reicht es ihnen, wenn sie soweit mit den nötigen Daten umgehen können, dass es für ihre jeweilige Forschung ausreicht. (ks)
Mamtora, Jayshree, Ovaska, Claire, and Mathiesen, Bronwyn (2021). Reconciliation in Australia: the role of the academic library in empowering the Indigenous community. In: IFLA Journal [Online First], 2021, https://doi.org/10.1177/0340035220987578 [Paywall], https://researchonline.jcu.edu.au/65807/ [OA-Version]
Der Artikel gibt einen Überblick darüber, wie die Bibliothek an der James Cook University in Queensland, Australien, vorgeht, um den Reconciliation
genannten Dekolonisierungsprozess in Bezug auf Australien mitzugestalten. Er zeigt, dass dieser Prozess in Australien ernsthafter angegangen wird als im DACH-Raum, beispielsweise mit expliziten Reconciliation Action Plans, und bespricht die unterschiedlichen Themengebiete, die in der Bibliothek angegangen werden (unter anderem Personal, Bestand, Veranstaltungen, interkulturelle Kompetenzen). Gleichzeitig liest sich der Artikel wie ein an manchen Stellen zu positiv verfasster Erfolgsbericht. (ks)
Frick, Claudia (2020). Peer-Review im Rampenlicht. Ein prominentes Fallbeispiel. In: Informationspraxis 6 (2), S. 1–18, https://doi.org/10.11588/ip.2020.2.74406
In dem Paper geht es um Open-Peer-Review-Verfahren zur Zeit der Covid-19 Pandemie und den damit einhergehenden Veränderungen in der internen Wissenschaftskommunikation. Die Autorin betrachtet die Preprint-Kultur an einem Beispiel des während der Pandemie medial sehr präsenten Professor Christian Drosten, der als Leiter des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin arbeitet. Sie zeichnet daran den Ablauf eines Open-Peer-Review-Verfahrens nach. Dabei stellt sie fest, dass die erste Veröffentlichung nicht auf einem Preprint-Server stattfand, sondern direkt auf der Webseite der Charité. Dies führte unter anderem zu schlechterer Auffindbarkeit und geringerer Nachvollziehbarkeit des Review-Verfahrens. Die Open-Peer-Reviews waren demnach nicht unmittelbar aufzufinden, es gab keine gesammelte Stelle der Gutachten, keine Dokumentation nicht-öffentlicher Kommentare zu den Preprints und keine einheitliche Verknüpfung von Preprint(s) und Reviews. Im Unterschied zum klassischen Publikationsprozess kommentierten hier GutachterInnen auch disziplinär übergreifend und wurden später teils sogar zu Co-Autor*innen. Auch die kurze Zeitspanne zwischen Erstveröffentlichung des Preprints und ersten Reviews sowie deren unüblich hohe Anzahl werden von Frick hervorgehoben. Frick stellt die Frage, wie open
ein Open-Peer-Review-Verfahren sein kann, wenn Kriterien wie Nachvollziehbarkeit, Auffindbarkeit und auch Transparenz kaum gegeben sind. Sie formuliert daher den Appell, dass die Infrastruktur für Open-Peer-Review-Verfahren besser organisiert sein müsse. (sk)
Martin, Jennifer M. (2021). Records, Responsibility, and Power: An Overview of Cataloging Ethics. In: Cataloging & Classification Quarterly 59 (2021) 2–3, https://doi.org/10.1080/01639374.2020.1871458 [Paywall], http://hdl.handle.net/11603/20612 [OA-Version]
In diesem Text werden Themen zusammengefasst, die offenbar vor allem in einer Arbeitsgruppe von Katalogier*innen aus dem englischsprachigen Raum zu ethischen Fragen der Katalogisierung und der Community um diese herum besprochen werden. Es ist eine gute Übersicht, welche die einzelnen Themen und jeweils die verschiedenen Positionen (allerdings beschränkt auf Bibliothekswesen in englischsprachigen Ländern des globalen Nordens) zu ihnen darstellt. Eine eigene Wertung nimmt die Autorin nicht vor. Einzig die Überzeugung, dass Katalogisierung eigene ethische Fragen aufwirft, die in den herkömmlichen Bibliotheksethiken nicht umfassend geklärt sind und der Impetus, dass der Hauptzweck des Katalogs die Nutzung des Bestandes ist, vertritt sie selbst. (ks)
Vosberg, Dana; Lütjen, Andreas (2021). Bestandscontrolling bei elektronischen Ressourcen: Entscheidungshilfen für die Lizenzierung. In: o-bib 8 (2021) 1, https://doi.org/10.5282/o-bib/5672
Eine Umfrage unter Universitäts- und Hochschulbibliotheken in Deutschland über deren Vorgehen bei den Entscheidungen über Verlängerung oder Verhandlung von Lizenzen zeigte ein recht unterschiedliches Vorgehen, das in vielen Fällen auf Erfahrungswerten und Nutzungszahlen von Verlagen basiert. Viele Auswertungen dieser Zahlen erfolgen händisch, Entscheidungen werden nicht einfach direkt getroffen, sondern in komplexeren Zusammenhängen. Der Artikel berichtet über die Rückmeldungen aus der Umfrage, geht aber darüber kaum hinaus. Dabei drängt sich eigentlich auf, über die Gründe dieser Situation weiter nachzudenken und zugleich nach Möglichkeiten, wie diese Entscheidungen professioneller gestaltet werden können, zu fragen. (ks)
2.2 COVID-19 und die Bibliotheken, Zweite Welle
Murphy, Julie A. (edit.) ; Newport, Joshua (2021). Reflecting on Pandemics and Technology in Libraries. In: Serials Review 47 (2021) 1: 37-42, https://doi.org/10.1080/00987913.2021.1879622 [Paywall]
In dieser Kolumne denkt die Autorin darüber nach, was Bibliotheken aus der COVID-19 Pandemie lernen konnten und vor allem, was an den Lösungen für die Zukunft und für zukünftige Gesundheitskrisen dieser Art bleiben wird. Als Basis nimmt sie vor allem ihre eigenen Erfahrungen als Bibliothekarin an der Illinois State University. Es sind keine neuen oder erstaunlichen Aussagen, zu denen sie kommt (mehr Hygiene, mehr Online-Aktivitäten, mehr Lösungen für die Lieferung von Medien). Interessant ist, dass sie davon ausgeht, dass Bibliotheken (und Gesellschaften) längerfristig durch die Pandemie verändert wurden und nicht einfach dahin zurückkehren werden, wo sie Februar 2020 waren. (ks)
Alajmi, Bibi M. ; Albudaiwi, Dalal (2020). Response to COVID-19 Pandemic: Where Do Public Libraries Stand?. In: Public Library Quarterly [Latest Articles], https://doi.org/10.1080/01616846.2020.1827618
Alajmi und Albudaiwi analysieren in dieser Studie die Tweets, welche von Öffentlichen Bibliotheken in New York City während der ersten Monate 2020 (Januar bis April) veröffentlicht wurden. (Anzumerken ist, dass nur 38 der 222 Bibliotheken einen aktiven Twitter-Account haben. Andere nutzen wohl andere Kanäle.) Die Frage war, wie sich die COVID-19 Pandemie in diesen Tweets widerspiegelt. Sie tut das zum Teil. Der grösste Teil der Tweets (85,5 %) hatte Informationen zum Betrieb der Bibliotheken zum Thema (zum Beispiel Schliessungen, Lieferdienste für Medien, Literaturempfehlungen, Veranstaltungshinweise). Die anderen 14,5 % bezogen sich direkt auf die Pandemie. Hier wurden vor allem Hinweise auf Hilfsdienstleistungen in der Community, aufmunternde Nachrichten oder Hinweise auf weitergehende Quellen zur Pandemie und Verhaltenshinweisen gepostet. Laut den Autorinnen übernahmen die Bibliotheken mit ihren Tweets eine wichtige Funktion für die jeweilige Community, indem sie deren Resilienz stärkten und gleichzeitig für eine gewisse Normalität standen. (ks)
Weeks, Aidy; Houk, Kathryn M.; Nugent, Ruby L.; Corn, Mayra; Lackey, Mellanye (2020). UNLV Health Sciences Library’s Initial Response to the COVID-19 Pandemic: How a Versatile Environment, Online Technologies, and Liaison Expertise Prepared Library Faculty in Supporting Its User Communities. In: Medical Reference Services Quarterly, 39 (2020) 4, 344–358, https://doi.org/10.1080/02763869.2020.1826197
Grundsätzlich ist dies einer der vielen Texte, in denen Bibliotheken vorstellen, wie sie ihre Arbeit während der COVID-19-Pandemie organisiert haben, hier die Health Library der University of Nevada. Heraus sticht diese vielleicht, weil sie offenbar den Übergang zur Online-Arbeit sehr gut gemeistert hat und zudem ihre Kompetenz als Medizinbibliothek einbrachte, um nicht nur die Universität selbst, sondern auch die Community in Las Vegas und Clark County mit Informationen zu versorgen.
Hervorzuheben ist ein kurzer Abschnitt, in dem die Auswirkung der Pandemie auf das Bestandsmanagement dargestellt wird: Hier wurde, in Erwartung von zukünftigen Etat-Kürzungen, darauf geachtet, Rechnungen für längerfristige Abonnements schon 2020 zu zahlen. (ks)
Anderson, Raeda; Fisher, Katherine; Walker, Jeremy (2021). Library consultations and a global pandemic: An analysis of consultation difficulty during COVID-19 across multiple factors. In: The Journal of Academic Librarianship 47 (2021) 1: 102273, https://doi.org/10.1016/j.acalib.2020.102273
Die Autor*innen werten Daten über die wahrgenommene Schwierigkeit bei der Nutzer*innenberatung in Wissenschaftlichen Bibliotheken in den USA aus. Genutzt wurden Daten, die auf der Basis der in den USA verbreiteten Reference Effort Assessment Data (READ) Scale genutzt, bei der die Bibliothekar*innen im Anschluss an eine Beratung die Schwierigkeit derselben bewerten. Grundsätzlich zeigt sich, dass – auch bei unterschiedlichen Voraussetzungen, beispielsweise Zweigbibliotheken mit spezifischen Klientel – mit der Umstellung auf die Online-Beratung in der COVID-19 Pandemie diese als schwieriger und somit fordernder wahrgenommen wurde. (ks)
Yap, Joseph ; Manabat, April (2020). Managing a sustainable work-from-home scheme: Library resilency in times of pandemic. In: International Journal of Librarianship 5 (2020) 2, 61–77, https://doi.org/10.23974/ijol.2020.vol5.2.168
In diesem Artikel wird, leider nur auf der Basis von sechs Interviews, einerseits über die Umstellung der Arbeit von Bibliotheken während der Covid-19 Pandemie in Kasachstan berichtet, andererseits über die Herausforderungen, die sich durch die Arbeit im Homeoffice für die befragten Bibliothekar*innen ergab. Der erste Teil ist wenig interessant: Die Bibliotheken taten das, was andere Bibliotheken in dieser Situation auch taten, wobei die Probleme durch die wirtschaftliche Lage der Bibliotheken, die wenige elektronische Medien anbieten konnten, und die nicht vorhandene Katastrophenplanung verstärkt wurde.
Interessanter ist der zweite Teil. Er zeigt, dass es kein eindeutiges Bild gibt: Einige Kolleg*innen fanden das Arbeiten daheim positiv, einige negativ. Bei vielen gab es Probleme durch das Zusammenleben mit der eigenen Familie – viele richteten eigene ruhige Ecken
ein, um arbeiten zu können –, aber nicht bei allen. Einige hielten ihre tägliche Arbeitsroutine aufrecht, andere veränderten sie. Einige fanden sich in ihrer Produktivität eingeschränkt, die meisten nicht. Hingegen fanden viele, dass sie während der Pandemie mehr Aufgaben hätten als zuvor. Die meisten plädierten dafür, nach der Pandemie einen Mix aus Homeoffice und Arbeit vor Ort zu etablieren. Wünschenswert ist, dass dieser Teil der Studie inhaltlich in anderen Ländern wiederholt wird. (ks)
Hendal, Batool A. (2020). Kuwait University faculty’s use of electronic resources during the COVID-19 pandemic. In: Digital Library Perspectives 36 (2020) 4, 429–439, https://doi.org/10.1108/DLP-04-2020-0023 [Paywall]
Das interessante Ergebnis der Umfrage, das in diesem Artikel präsentiert wird, ist, dass 60 % der befragten Universitätsangehörigen in Kuwait die elektronischen Medien der Bibliothek gar nicht genutzt haben. In den Schilderungen vieler Bibliotheken, was sich während der COVID-19-Pandemie bei ihnen verändert hat, stehen diese Medien und der Zugang zu diesen, welcher in vielen Einrichtungen vereinfacht wurde, oft im Fokus. Wenn sich die Ergebnisse der relativ einfachen Umfrage, welche die Autorin hier präsentiert, in anderen Studien bestätigen lassen, hat dies aber nur einen (grossen) Teil der möglichen Nutzer*innen erreicht. Insoweit ist vielleicht die Bedeutung der elektronischen Medien, die im Mittelpunkt bibliothekarischer Bemühungen während der Pandemie standen, weiterhin nicht so gross wie gedacht. (ks)
Koos, Jessica A. ; Scheinfeld, Laurel ; Larson, Christopher (2021). Pandemic-Proofing Your Library: Disaster Response and Lessons Learned from COVID-19. In: Medical Reference Services Quarterly 40 (2021) 1: 67–78, https://doi.org/10.1080/02763869.2021.1873624 [Paywall]
Im längsten Teil dieses Artikels wird geschildert, wie eine Medizinbibliothek der State University of New York während der COVID-19 Pandemie agierte, inklusive der ersten Öffnungsschritte nach der ersten Welle. Dies unterschied sich wenig von anderen Bibliotheken. Interessant ist, dass sich am Ende Gedanken dazu gemacht werden, was aus dieser Erfahrung gelernt werden kann: Neben der Verstärkung von Online-Aktivitäten, einer besseren Planung des Einsatzes von Personal vor Ort und einigen Umbauten im Raum, betonen die Autor*innen auch, dass es einer besseren Katastrophenplanung bedarf. (ks)
Mayer, Adelheid (2020). Stress und Flexibilität. Befragung der Mitarbeiter*innen der Universitätsbibliothek und des Universitätsarchivs Wien zu den Auswirkungen des ersten Lockdowns auf deren Arbeitssituation. In: Mitteilungen der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare, 73 (2020) 3–4, https://doi.org/10.31263/voebm.v73i3-4.5337
Wie der Titel verkündet, geht es in diesem Artikel um eine Umfrage unter Mitarbeiter*innen von Bibliothek und Archiv der Universität Wien. Es werden verbatim, also ohne weitere Analyse oder Bewertung, die Ergebnisse berichtet. Diese sind recht positiv: Die meisten Kolleg*innen kamen mit der Umstellung im ersten Lockdown Anfang 2020 gut klar, bewerten die Arbeit im Homeoffice positiv und wollen sie beibehalten. Obwohl verbesserungswürdig, funktionierte auch die Kommunikation recht gut. Abgefragt wurde auch Wissen über die (vorhandenen) Notfallpläne, die nicht ausreichend bekannt waren. Dennoch gab es Probleme bei einer Anzahl von Kolleg*innen, insbesondere mit Herausforderungen im Homeoffice (Einsamkeit, Isolation, aber auch schlechtes Internet und technische Ausstattung).
Würden sich solche Ergebnisse auch in anderen Bibliotheken zeigen, wären sie ein Plädoyer für die Erweiterung von Homeoffice-Möglichkeiten, der besseren Kommunikation von Katastrophenplänen und Betreuung von Personal in Krisensituationen. (ks)
Suchenwirth, Leonhard (2020). Sacherschließung in Zeiten von Corona – neue Herausforderungen und Chancen. In: Mitteilungen der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare 73.3–4. https://doi.org/10.31263/voebm.v73i3-4.5332
Ein kurzer Überblick zur Sacherschließung im Besonderen und zum Bibliotheksbetrieb im Allgemeinen in Pandemie-Zeiten – der sich vermutlich 1:1 auf viele (nicht nur Hochschul-)Bibliotheken übertragen lässt. (vv)
2.3 Informationskompetenz
Hicks, Alison; Lloyd, Annemaree (2020). Deconstructing information literacy discourse: Peeling back the layers in higher education. In: Journal of Librarianship and Information Science [Online First], https://doi.org/10.1177/0961000620966027
In dieser Studie wird eine Diskursanalyse der englischsprachigen bibliothekarischen Literatur zur Informationskompetenz im Hochschulbereich durchgeführt. Diskurs, so erinnern die Autorinnen richtig, ist nicht nur, wie über ein Thema geredet wird, sondern hat auch materielle Folgen: Er bestimmt, wie Veranstaltungen geplant, Ressourcen genutzt, Ziele bestimmt und gemessen werden. Im Fall der Informationskompetenz bestimmt er auch, wie in Bibliotheken über Studierende gedacht wird.
Die Studie zeigt abstrakt, dass Diskursanalyse hilfreich ist, um bibliothekarische Praxis zu verstehen (und dann vielleicht auch zu verbessern). Konkret werden im Bereich Informationskompetenz zwei unterschiedliche Denkweisen aufgezeigt. Auf der einen Seite gibt es eine Tradition, die Praxis der Informationskompetenz-Arbeit
zu kritisieren und darauf zu drängen, konstruktivistische Ansätze zu stärken. Es geht hierbei darum, davon auszugehen, was Studierende (und andere) tatsächlich tun und mit Beratungen, Lernangeboten und so weiter daran anzuschliessen. Demgegenüber steht auf der anderen Seite eine Praxis, die eher nach innen gerichtet ist und Bibliotheken als Lehranstalten versteht, die Studierenden, deren Fähigkeiten als defizitär angesehen werden, etwas beibringen. In dieser Sicht werden Studierende und deren Praktiken eher abgewertet, die der Bibliotheken aufgewertet. (ks)
Bennedbaeka, D.; Clarka, S.; George, D. (2020). The impact of librarian-student contact on students’ information literacy competence in small colleges and universities. In: College & Undergraduate Libraries [Latest Articles], https://doi.org/10.1080/10691316.2020.1830907 [Paywall]
Die Autor*innen dieser Studie postulieren, auf der Basis schon vorhandener Studien, dass der direkte Kontakt zwischen Bibliothekar*innen und Studierenden dazu führt, dass letztere die Kompetenzen ersterer überhaupt wahrnehmen und sich dann erst bei Fragen bezüglich Recherche (und anderer Themen) an diese wenden würden. Dies sei in kleinen Hochschuleinrichtungen einfacher als in grossen. Dort, wo die Person, welche in Einführungsveranstaltungen die Bibliothek und deren Angebote vorstellt, auch die Person ist, die dann in der Bibliothek zu finden ist, sei die Wahrscheinlichkeit grösser, dass sie angesprochen wird. Gleichzeitig, so die Autor*innen weiter, würde sich die meiste Forschung zu Informationskompetenz und die Arbeit von Bibliotheken, die sich um dieses Thema gruppiert, gerade mit der Situation in grossen Hochschulen beschäftigen.
In ihrer Studie erstellen und testen sie – mithilfe einer Umfrage – ein Modell, welches in einer kleinen Hochschule einen direkten Zusammenhang zwischen gutem Kontakt von Bibliothekar*innen und Studierenden auf der einen Seite und der Informationskompetenz der Studierenden sowie der Nutzung von Bibliotheksressourcen postuliert. Dieses Modell stellt sich, zumindest für diese Hochschule, als sehr tragfähig heraus: Der direkte Kontakt führt dazu, dass die Studierenden die Bibliothek mehr nutzen, die Bibliothekar*innen als kompetenter wahrnehmen und schlussendlich eine höhere Informationskompetenz ausprägen.
So ein Ergebnis hat, wenn es sich auch in anderen Zusammenhängen bestätigt, eine hohe praktische Bedeutung für Bibliotheken und den Einsatz von Bibliothekspersonal: Studierende sollten die Personen immer wieder sehen, zu denen sie schon Kontakt hatten. [Siehe auch den Text von Shin (2020), der hier weiter unten besprochen wird.] (ks)
Revez, Jorge ; Corujo, Luís (2021). Librarians against fake news: A systematic literature review of library practices (Jan. 2018–Sept. 2020). In: The Journal of Academic Librarianship 47 (2021) 2: 102304, https://doi.org/10.1016/j.acalib.2020.102304 [OA-Version: http://hdl.handle.net/10451/45706]
Wie im Titel angegeben, wurde für diese Studie eine systematische Literaturrecherche durchgeführt, um zu zeigen, welche Strategien Bibliotheken gegen fake news
anwenden. Dabei wurde, wie oft bei solchen Recherchen, auf Datenbanken zurückgegriffen, die einen Bias hin zu anglo-amerikanischen Publikationen haben. Insoweit sind die gefundenen und ausgewerteten Texte vor allem aus anglo-amerikanischen Ländern. Was dennoch gezeigt wird, sind zwei Dinge: Zum einen schliessen die meisten dieser Strategien an ihre schon vorhandenen Angebote im Bereich Informationskompetenz an [was die Frage aufwirft, ob dies wirklich sinnvoll ist oder einfach eine Erweiterung dessen, was Bibliotheken schon tun] und zum anderen sind die Erfolge dieser Angebote bislang praktisch nicht untersucht. Es werden in der bibliothekarischen Literatur vor allem Projekte geschildert, aber nicht deren Effekte. (ks)
Perry, Heather Brodie: Is Access Enough? Interrogating the Influence of Money and Power in Shaping Information. In: Open Information Science 4 (1): 29–38, https://doi.org/10.1515/opis-2020-0003
Open Access ist eine wertvolle Errungenschaft für den freien Zugang zu Information. Dennoch bliebe auch bei einem weitreichenden freien gesamtgesellschaftlichen Zugang das Problem ungleicher Nutzungsmöglichkeiten. Denn es bleibt die Herausforderung der Informationskompetenz und damit verbunden die Notwendigkeit, abschätzen zu können, ob eine Quelle seriös oder unseriös ist: Information consumers may not possess the competence required to navigate the complex information ecosystem to find the accurate, high-quality, resources required to meet their need.
Bibliotheken besitzen auch hier die Aufgabe, die Menschen so zu schulen, dass diese mit den verfügbaren Informationen bestmöglich umgehen. Neben dem Zugang zur Information, ist die Vermittlung des Wissens um die Qualität und Gültigkeit einer Information essentiell. (lf)
2.4 Open Access
Kirsch, Mona Alina (2020). Plan S in der Diskussion – Reaktionen aus der Wissenschaft auf die internationale Open-Access-Initiative. In: Perspektive Bibliothek 9 (2020) 1, https://doi.org/10.11588/pb.2020.1.77850
Die Autorin gibt einen Überblick über die Entwicklung und Rezeption von Plan S. Dabei geht sie auf Reaktionen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aber auch Fachgesellschaften, Forschungs- und Förderorganisationen sowie politischen Akteuren ein. So wird der Einfluss aufgezeichnet, den diese unterschiedlichen Akteure auf die Ausarbeitung von Plan S genommen haben und der öffentliche Diskurs um das Vorhaben wird nachvollzogen. Der Artikel bietet somit einen guten Einstieg, um sich mit dem Thema vertraut zu machen. Insbesondere der ausführliche Literaturapparat bietet viele Möglichkeiten, sich mit ausgewählten Themen vertiefend zu befassen. (eb)
Ball, Joanna ; Stone, Graham ; Thompson, Sarah (2021). Opening up the Library: Transforming our Policies, Practices and Structures. In: Liber Quarterly 31 (2021): 1–16, https://www.liberquarterly.eu/articles/10.18352/lq.10360/
In diesem Text werden Diskussionen aus Workshops dazu vorgestellt, wie Bibliotheken auf den von den Autor*innen wahrgenommenen Trend zur Förderung von Open Access für wissenschaftliche Monographien reagieren sollten. Als Hauptkritik wird geäussert, dass oft die Erwerbungsabteilungen und die Teams, welche in der gleichen Bibliothek im Bereich Open Access tätig sind, unterschiedliche Ziele und Vorstellungen hätten. Die Strukturen der Erwerbungsabteilungen seien sehr darauf ausgerichtet, Monographien zu kaufen, was der Transformation hin zu Open Access im Weg stünde. Im Text wird argumentiert, dass die Bibliotheken sich strukturell ändern müssten, um die Transformation voranzutreiben. Er ist als Diskussionsanstoss zu lesen, bei denen an Open Access interessierte Kolleg*innen ihre Argumente präsentieren, aber andere Personen nicht zu Wort kommen.
Zudem verweist der Text erstaunlich oft darauf, dass sich durch die Pandemie viel verändert hätte, so als würden die Autor*innen hoffen, die Krise hätte im Ergebnis die Veränderungen, die sie sich erwünschen, hinterrücks eingeführt. (ks)
2.5 Kommunikation von Bibliotheken mit Forschenden / Liaison Librarians
Lange, Jessica / Hanson, Carrie (2020). You Need to Make it as Easy as Possible for Me
: Creating Scholarly Communication Reports for Liaison Librarians. In: Journal of Librarianship and Scholarly Communication 8.1:p.eP2329, http://doi.org/10.7710/2162-3309.2329
Scholarly Communication (SC) [verstanden vor allem als (Open-Access-)Publizieren, V.V.] is becoming a core function of liaison librarians’ work
, haben die beiden Autorinnen von der kanadischen McGill-Universität festgestellt: The typical trifecta of liaison librarian positions (collections, reference, and teaching) is evolving, and the role now demands greater integration into the research life cycle at the university. Scholarly communications is a notable example of an area where liaison librarians can expand their capabilities to assist students and researchers.
(S. 2)
Damit stellt sich die Frage, wie man Liaisons in diesem neuen Gebiet verbessern kann, und das möglichst kompakt, da sie oft unter Zeitmangel leiden (wie ja eigentlich jede:r im Bibliothekswesen). In einem Pilotprojekt mit einer LIS-Masterstudentin wurden daher für zwei Fachgebiete Scholarly Communications Reports
entwickelt, die Informationen zu Publikationstrends in den Fachgebieten allgemein und zum Publikationsverhalten der jeweiligen Institute der McGill-Universität zusammenstellen.
Am Ende des Projekts hatte die Studentin viel in Sachen Publizieren und Open Access gelernt, und die Liaisons hatten einen handlichen Überblick, der in Gesprächen mit ihren
Wissenschaftler:innen hilfreich sein könnte. Die Erstellung so umfangreicher Reports, noch ergänzt um die nach Projektabschluss für zukünftige Berichte notierten weiteren Daten, ist neben dem Fachreferats-Alltagsgeschäft
wohl in der Tat kaum zu leisten. Vielleicht wäre das auch in deutschsprachigen Bibliotheken ein Thema für Praktikanten-/Ausbildungs-Projekte; vielleicht pickt man sich aber auch als Fachreferent:in gezielt einige der Informationen, die gesammelt wurden, heraus, die als Hintergrundwissen für die eigene alltägliche Beratungsarbeit hilfreich sein könnten, und recherchiert sie bei Gelegenheit selbst. Die methodologischen Notizen im Anhang können dabei eventuell nützlich sein. (vv)
Safin, Kelly / Kiner, Renee (2020). Campus Engagement: Faculty Recognition and the Library’s Role. In: Journal of Library Outreach & Engagement (JLOE) 1.1:1–5. https://doi.org/10.21900/j.jloe.v1i1.444
Wie kann man als Bibliothek
eine engere Bindung zu den eigenen Hochschulinstituten aufbauen? Die Millstein Library der Universität Pittsburgh (https://library.pitt.edu/greensburg) hat es mit faculty recognition events
versucht: Ausstellungen und Präsentationen des Forschungsoutputs
(Veröffentlichungen, erhaltene Grants, Preise) ihrer Hochschule. Die ersten beiden Veranstaltungen waren erfolgreich: Faculty seemed genuinely happy that the library hosted this informal networking event. They were able to view their colleagues’ work while answering questions about their own achievements. […] The library was open during this event, and students were able to view the posters, browse publications, and talk with their instructors. Students also stopped and looked at the displays of faculty work after the event.
Die Reihe soll daher fortgesetzt werden; 2020 fand die Celebration of Faculty Scholarship and Service
Corona-bedingt online statt: https://pitt.libguides.com/pgfacultycelebration. Vielleicht eine Anregung auch für hiesige Bibliotheken?
Übrigens ist dies der erste Artikel des neugegründeten Journal of Library Outreach & Engagement (JLOE)
, https://iopn.library.illinois.edu/journals/jloe/about. (vv)
Schoonover, Dan / Kinsley, Kirsten / Colvin, Gloria (2018). Reconceptualizing Liaisons: A Model for Assessing and Developing Liaison Competencies to Guide Professional Development. In: Library Leadership & Management (LL&M) 34.4. https://doi.org/10.5860/llm.v32i4.7275 [Die DOI ist leider noch nicht registriert; alternative URL: https://journals.tdl.org/llm/index.php/llm/article/view/7275.]
Die Frage Was macht
treibt viele Fachreferent:innen und auch Bibliotheksleitungen um. Dieser Bericht aus der Florida State University kann Material zum weiteren Nachdenken bieten. An der Bibliothek wurde ein das Fachreferat
in wissenschaftlichen Bibliotheken heute eigentlich noch/nicht mehr/zukünftig?set of core values and competencies
für Liaison Librarians entwickelt. Die Werte: Engagement, Advocacy, Collaboration; die Kompetenzen: Research Services, Scholarly Communication, Use of Digital Tools, Teaching, Collection Development and Access. Nach einer Erhebung zur Selbsteinschätzung unter den Liaisons der Bibliothek wurde ein Trainingsprogramm erarbeitet, um die Bereiche, in denen Fortbildungsbedarf gesehen wurde, zu unterstützen. (vv)
Shin, Eun-Ja (2020). Embedded librarians as research partners in South Korea. In: Journal of Librarianship and Information Science, [Latest Articles] https://doi.org/10.1177/0961000620962550 [Paywall]
Die Autorin postuliert, dass immer mehr Bibliothekar*innen als Co-Autor*innen auf wissenschaftlichen Veröffentlichungen auftauchen würden, weil sie als Embedded Librarians direkt an der Arbeit an Artikeln beteiligt seien. Sie möchte für Südkorea herausarbeiten, was genau diese Bibliothekar*innen machen. In einem ersten Teil ihrer Analyse, die auf einer Auswertung aller Artikel in Scopus von 2010 bis 2019 beruht, welche diesem Rahmen entsprechen, zeigt sie, dass diese Aussage vor allem für die Medizin und angrenzende Gebiete – beziehungsweise vor allem Medizinbibliotheken – gilt, jedoch fast nicht für andere Bereiche.
Im zweiten Teil berichtet sie von drei Interviews mit Bibliothekar*innen, die als Co-Autor*innen auf wissenschaftlichen Papern auftauchen. Das ist interessant, weil es zeigt, dass diese Arbeit vor allem über persönliche Kontakte funktioniert: Forschende lernen entweder durch direkte Anfragen an Bibliotheken (aufgrund von Problemen mit Datenbanken et cetera) oder in Weiterbildungen der Bibliotheken deren Angebote (und die betreffenden Bibliothekar*innen) kennen und realisieren dann, dass diese wertvolle Zuarbeit für die Forschungsarbeit leisten können. Dann erst werden Bibliothekar*innen eingebunden, beispielsweise als Expert*innen bei der Recherche in Datenbanken, der systematischen Analyse von Literatur oder bei der Arbeit an Artikeln. Erst durch diese Tätigkeit entsteht ein Vertrauensverhältnis zwischen Forschenden und Bibliothekar*innen, die es möglich macht, dass die geleistete Arbeit durch Co-Autor*innenschaft gewürdigt wird.
Wie gesagt ist das bislang vor allem im medizin-bibliothekarischen Feld zu beobachten. Aber das heisst ja nicht, dass sich diese Praktik in Zukunft nicht auch in anderen Feldern etablieren könnte. (ks)
Darch, Peter T.; Sands, Ashley E.; Borgman, Christine L.; Golshan, Milena S. (2020). Library cultures of data curation: Adventures in astronomy. In: JASIST 71 (2020) 12: 1470–1483, https://doi.org/10.1002/asi.24345 [Paywall], https://escholarship.org/uc/item/5r80d66g [OA-Version]
Man könnte vermuten, zum Thema Datenmanagement in Bibliotheken sei schon fast alles gesagt worden, aber diese Studie beleuchtet tatsächlich eine neue Seite: Die der Bibliotheken und ihrer Kulturen. Hauptaussage ist, dass Bibliotheken bei gleichen Aufgaben durch ihre jeweils spezifischen, lokalen Kulturen zu unterschiedlichen Lösungen gelangen.
Untersucht wurden zwei Bibliotheken, die am gleichen Projekt arbeiteten, mit Interviews und Feldbesuchen: Ein grosses astronomisches Projekt hatte über Jahre Daten gesammelt. Beim Projektabschluss wurden von Forschungsgruppen Möglichkeiten gesucht, diese Daten langfristig aufzubewahren und weiter zu nutzen. Beide untersuchten Bibliotheken sind an Universitäten angesiedelt, welche Forschungsgruppen, die am Projekt beteiligt waren, beherbergten. Beide gingen – obwohl es sich um die gleichen Daten handelt – unterschiedlich vor: Eine gründete eine Arbeitsgruppe, die sich aus Kolleg*innen verschiedener Teilbibliotheken zusammensetzte, die andere hat eine Innovationsabteilung, die sich dem Projekt annahm. Beide mussten lernen, dass Datenmanagement nicht trivial ist und die Forschenden unterschiedliche Anforderungen stellen, in diesem Fall beispielsweise nicht nur Daten vorlagen, sondern auch Daten über die Veränderung dieser Daten, die nicht als strukturierte Metadaten, sondern in Mails gespeichert waren.
Neben dem Ergebnis, dass unterschiedliche lokale Kulturen in Bibliotheken zu unterschiedlichen Lösungen führen, kommt der Artikel zu dem Schluss, dass Bibliotheken nicht die einzigen Institutionen sind, welche Datenmanagement übernehmen können: Nachdem die Forschungsgruppen andere Finanzierungswege gefunden hatten, führten sie das Management selbst weiter. Die Lösung, die langfristige Archivierung und Pflege von Daten an Bibliotheken zu übergeben, ist nicht alternativlos. (ks)
Fenlon, Katrina Simone (2020). Sustaining Digital Humanities Collections: Challenges and Community-Centred Strategies. In: International Journal of Digital Curation 15 (2020) 1, https://doi.org/10.2218/ijdc.v15i1.725
In Digital Humanities-Projekten und in Bibliotheken bestehen unterschiedliche Vorstellungen davon, was Nachhaltigkeit heisst, wenn es um Sammlungen geht. Das ist relevant, weil Nachhaltigkeit oft hergestellt werden soll, indem am Ende von Projekten die erstellten Sammlungen an Bibliotheken übergeben und von diesen langfristig unterhalten werden.
Die Autorin des Konferenzbeitrags interviewte Forschende in Digital Humanities Center und ähnlichen Strukturen und kam zu dem Schluss, dass bei diesen eine Sammlung immer als lebendig verstanden wird. Eine Sammlung besteht demnach nicht einfach aus Dokumenten, sondern aus einer Community, welche die Sammlung durch ihre Arbeit ständig ergänzt und verändert. Oft sind die Kontakte innerhalb dieser Community wichtiger als die eigentlichen Dokumente. In Bibliotheken hingegen werden Sammlungen eher statisch verstanden. Sie können ergänzt werden, aber innerhalb vorgegebener Sammlungsstrukturen. Diese beiden Verständnisse schliessen sich nicht unbedingt aus, aber sie erschweren die Zusammenarbeit. Die Autorin vermerkt auch, dass es nur wenig konkrete Zusammenarbeit zwischen Digital Humanities-Projekten und Bibliotheken gibt. Der Grossteil dieser Arbeit an den Sammlungen findet am Rand
bibliothekarischer Arbeit statt, teilweise auf Eigeninitiative einzelner Bibliothekar*innen, aber kaum strukturiert. Deshalb kommt es auch immer wieder zu Problemen, wenn es zu einer Übergabe
von Sammlungen kommen soll. Diese ändern, wenn der Prozess erfolgreich ist, den Status von niemals fertigen
Sammlungen hin zu festen und tendenziell vollständigen Sammlungen. Die Autorin schlägt vor – aber eher für die Seite der Digital Humanities – wie diese Unstimmigkeit angegangen werden könnte. (ks)
McLean, Jaclyn; Dawson, Diane ; Sorensen, Charlene (2021). Communicating Collections Cancellations to Campus: A Qualitative Study. In: College & Research Libraries 82 (2021) 1, https://doi.org/10.5860/crl.82.1.19
Untersucht wurde, mittels Dokumentenanalyse und halb-strukturierten Interviews, wie in kanadischen Universitätsbibliotheken die Kündigung von Big Deals kommuniziert wurde und welchen Erfolg dies hatte. Die Autor*innen konnten auf eine erstaunlich breite Wissensbasis zurückgreifen, weil schon viele dieser Bibliotheken Big Deals kündigen mussten. Grundsätzlich zeigt sich, dass die Kommunikation dieser Entscheidung an die Universität und die Forschenden möglich ist, aber dass es sich lohnt, schon weit vorher eine regelmässige Kommunikation aufzubauen. Bibliotheken, die schon zuvor mit der Universitätsleitung und den Departements regelmässige Beziehungen hatten, konnten auch die Entscheidung zum Canceln solcher Deals mit weniger Problemen umsetzen.
Gleichzeitig fiel den Autor*innen auf, dass nur einige Bibliotheken die Kommunikation über diese Entscheidungen, das heisst die Information über die grundsätzlichen Probleme des wissenschaftlichen Kommunikationssystems, mit der Förderung von Alternativen verbanden. Nur eine Bibliothek (die der Université de Montréal) bezog eine eindeutige Position dazu, Alternativen zu fördern. In vielen Bibliotheken scheinen die Angebote im Bereich OA und die Entscheidungen über den Bestand so weit voneinander getrennt zu sein, dass sie nicht einmal in solchen Krisen
zusammengebracht werden. Dabei würde sich das – so die Autor*innen – in solchen Situationen geradezu anbieten, um den Forschenden zu zeigen, dass es sich nicht um Bibliotheksprobleme
handelt, sondern um strukturelle Probleme der Wissenschaftskommunikation. (ks)
2.6 Öffentliche Bibliotheken
Hebert, Holly S.; Huwieler, Cara (2020). Exploring Adult Large Print User Preferences at a Suburban Public Library. In: Public Library Quarterly [Latest Articles], https://doi.org/10.1080/01616846.2020.1825589 [Paywall]
In der Public Library einer kleineren US-amerikanischen Stadt wurde eine Umfrage unter Nutzer*innen von Grossdruckbüchern durchgeführt. (Es wird auch erwähnt, dass sich diese Bestände in fast allen Public Libraries finden würden, aber gleichzeitig wenig darüber bekannt sei, wie sie genutzt werden. Studien gäbe es selten.) Interessant an den Ergebnissen sind drei Punkte: Zum einen zeigt die Umfrage – wie auch andere zuvor –, dass nicht nur Menschen mit Sehbeeinträchtigungen die Grossdruckbücher nutzen, sondern dass es andere Gründe geben kann, diese zu lesen. Zweitens zeigte sich nur eine kleine Anzahl der Nutzer*innen von Grossdruckbüchern (in dieser Bibliothek) an einem Lieferdienst für Bücher interessiert. Drittens formulierten im Vorfeld der Studie Bibliothekar*innen, dass sie relativ gut wüssten, wer die Grossdruckbücher nutzt und was verändert werden müsste. In der Umfrage zeigte sich jedoch etwas anderes: Die Bibliothekar*innen vermuteten, dass die Aufstellung der Bücher eine andere sein müsste, weil sie zum Beispiel schwer zu erreichen wären. Die Befragten waren mit der Aufstellung aber vollkommen zufrieden. Die Autor*innen betonen, dass es vielleicht notwendig wäre, die Vorstellungen der Bibliothekar*innen, dass sie wissen, was die Nutzer*innen wünschen, zu hinterfragen. (ks)
DeRosa, Antonio P. , Jedlicka, Caroline ; Mages, Keith C. ; Stribling, Judy Carol (2021). Crossing the Brooklyn Bridge: a health literacy training partnership before and during COVID-19. In: Journal of the Medical Library Association 109 (2021) 1, https://doi.org/10.5195/jmla.2021.1014
Was übernehmen Öffentliche Bibliotheken alles für Aufgaben? Ein Blick in die US-amerikanische Literatur zu Public Libraries zeigt immer wieder eine erstaunliche, aber auch beängstigende Vielfalt an Angeboten in verschiedensten Bereichen, die oft als normaler Teil der bibliothekarischen Arbeit dargestellt werden. Es geht dabei nicht darum, Literatur zu allen möglichen Themen anzubieten, sondern konkrete Angebote zu machen, weil dies die Aufgabe von Bibliotheken wäre. Es ist eine Erinnerung daran, dass die Öffentlichen Bibliothekssysteme verschiedener Länder, und damit auch die Vorstellungen davon, was zur bibliothekarischen Arbeit gehört, tatsächlich unterschiedlich sind. Dieser Text beschreibt, wie eine Medizinbibliothek eine Öffentliche Bibliothek dabei unterstützte, Beratungen zu Gesundheitsthemen aufzubauen. Die Initiative dazu ging von letzterer aus. Erstaunlich ist an dem Texte aber, wie selbstverständlich es für beide Bibliotheken zu sein schien, dass dies eine bibliothekarische Aufgabe wäre. (ks)
Sørensen, Kristian Møhler (2020). Where’s the value? The worth of public libraries: A systematic review of findings, methods and research gaps. In: Library & Information Science Research 43 (2021) 1: 101067, https://doi.org/10.1016/j.lisr.2020.101067
Es gibt eine Tradition, nach dem Wert
von Öffentlichen Bibliotheken zu fragen. Diese Studie zeigt, vielleicht ohne das direkt anzustreben, dass dies schon sehr oft und für sehr verschiedene Werte getan wurde. Der Autor strebte an, mit einer systematischen Literaturrecherche zu zeigen, welches Wissen schon vorhanden ist und welche Forschungsfragen weiter offen sind. Bei dieser Methode werden möglichst vollständig die thematisch passenden Studien und Artikel methodisch ausgewertet und zusammengeführt. Was so gezeigt wird, ist, dass die Frage schon oft angegangen wurde. Der Autor schloss zum Beispiel die Frage nach dem ökonomischen Wert
aus, weil dazu schon eine andere Metastudie existiert, welche die Ergebnisse anderer Studien zusammen führte. Am Ende konnte er 42 Studien, die sehr harte Kriterien erfüllen, auswerten und kam zu dem Ergebnis, dass mehrfach gezeigt wurde, dass Öffentliche Bibliotheken dabei helfen, dass Menschen soziales Kapital generieren und das die Gesellschaft funktioniert. Zudem gäbe es viele Hinweise, aber keine konkreten Nachweise dafür, dass sie Funktionen als demokratische Einrichtungen übernehmen.
Eher im Nebensatz kommt der Autor auf die interessantere Frage zu sprechen: Er schlägt vor, es sollte mehr untersucht werden, wie Bibliotheken diese Werte an die richtigen Stakeholder vermitteln. Das nämlich ist die eigentliche Frage: So oft wurde untersucht, welchen Wert Bibliotheken haben, teilweise mit expliziten Ergebnissen in Euros und Cents, aber was bringt das alles? Reagiert die Politik, die Öffentlichkeit oder irgendwer anders überhaupt darauf? Ist es das, was die Wahrnehmung von Bibliotheken durch andere Einrichtungen prägt? (ks)
Cahill, Maria ; Ingram, Erin (2021). Instructional Asides in Public Library Storytimes: Mixed-Methods Analyses with Implications for Librarian Leadership. In: Journal of Library Administration 61 (2021) 4, https://doi.org/10.1080/01930826.2021.1906544 [Paywall]
In den USA – und anderswo – gibt es die Tendenz, die regelmässigen Story Time
-Veranstaltungen, bei denen für Kinder in der Bibliothek vorgelesen wird, zu professionalisieren. Sie sollen zum Beispiel als Veranstaltungen konzipiert werden, in denen Eltern und andere Erziehungspersonen lernen sollen, wie sie selbst daheim das aktive Lesen gestalten können. Dazu wurde unter anderem die Initiative Every Child Ready to Read
der American Library Association aufgesetzt, bei der unter anderem ein Toolkit inklusive Anleitungen
für Erwachsenen erstellt wurde.
Die Studie untersucht, wie diese Aufgabe in Bibliotheken tatsächlich umgesetzt wird. Dabei wurden Veranstaltungen beobachtet und Bibliothekar*innen befragt. Es zeigt sich, dass der Einsatz solcher Materialien und das Ansprechen von Erwachsenen sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Eine ganze Anzahl von Bibliothekar*innen verweigert sich praktisch dieser Aufgabe, andere planen sie auch explizit als Teil ihrer Veranstaltungen ein. Die Autor*innen plädieren für eine weitere Professionalisierung dieser Aktivitäten, da offenbar das reine Erstellen des Toolkits nicht ausreichte. Die Praxis in den Bibliotheken müsste weiter entwickelt werden. Dieser Interpretation muss man nicht zustimmen, interessant ist aber, dass es offensichtlich möglich ist, auch eine solche Aktivität wie die Story Time
professionell und auf pädagogische Ziele hin zu planen. (ks)
Johnson, Sarah C. (2021). Innovative social work field placements in public libraries. In: Social Work Education [Latest Articles] https://doi.org/10.1080/02615479.2021.1908987 [Paywall]
Der Artikel richtet sich vor allem an Studierende in der Sozialen Arbeit und den Personen in Hochschulen, welche dafür zuständig sind, für deren Praktika zu sorgen. Er wirbt dafür, diese Praktika in Öffentlichen Bibliotheken durchzuführen – ein wenig liest er sich deshalb auch nach Marketing. Was allerdings von dem Artikel zu lernen ist, ist, dass der Einsatz von Sozialarbeiter*innen in Öffentlichen Bibliotheken in den USA und Kanada immer mehr zur Normalität geworden ist, so sehr, dass es schon eine Social Worker Task Force innerhalb der ALA gibt. Bislang ist der Trend im DACH-Raum nicht zu beobachten (obwohl es selbstverständlich schon betreffende Projekte gab), aber vielleicht ist dies nur eine Frage der Zeit. (ks)
Kretz, Chris (2021). Invited on the Air: Public Librarians at the Beginning of Broadcast Radio. In: Journal of Radio & Audio Media [Latest Articles] https://doi.org/10.1080/19376529.2021.1878183 [Paywall]
Ein recht unterhaltsamer Einblick in Sendungen von, beziehungsweise mit Bibliothekarinnen, die in der frühen Radiozeit
(1921-1922) in drei Sendern in Sutter County (California), Toledo und Pittsburgh auftraten und dort entweder die Bibliothek und ihre Angebote vorstellten oder für Kinder vorlasen. Der Artikel baut auf den wenigen Quellen zu diesen Programmen auf und verortet sie in der US-amerikanischen Radiogeschichte. Kurz gesagt: In der Ausprobierphase
, als Radiosender noch sehr lokal operierten, galten die Öffentlichen Bibliotheken offenbar als vertrauenswürdige Einrichtungen, die man ansprechen konnte, um das Programm mitzugestalten. Diese Möglichkeiten wurden von Bibliotheken aktiv genutzt. (ks)
Eberhard, Milena: Books for boys only! In: BuB - Forum Bibliothek und Information, Vol. 72 (11) 2020, S. 629–631.
Die Grundlage für diesen BuB-Artikel ist eine Studie, die die Autorin im Rahmen ihrer Masterarbeit durchgeführt hat. In der Stadt- und Regionalbibliothek Uster (Schweiz), in der die Autorin arbeitet, wurden Kinder- und Jugendbücher teilweise mit geschlechtsspezifischen Sticker (Mädchen/Jungen) versehen. Weiterhin gab es Regale mit den entsprechenden Bezeichnungen. Milena Eberhard fragte sich, warum es neben der durchaus sinnvollen thematischen Zuordnung auch eine Aufteilung nach Geschlechtern gab. In ihrer Untersuchung wollte sie herausfinden, ob sich das Ausleihverhalten der Nutzer*innen verändert, wenn es keine geschlechtsspezifische Hinweise mehr gibt.
Es wurden knapp 100 neue Bücher beschafft, die keinen geschlechtsbezogenen Sticker bekamen. Nach acht Monaten wurden die neuen Daten mit bereits vorhanden Ausleihdaten der letzten fünf Jahre verglichen. Die Ergebnisse waren eindeutig. Gab es während der Jungs/Mädchen-Sticker-Ära nur 1–2 % geschlechtsuntypische
Ausleihen, waren es nach der Aufhebung der Geschlechter-Zuweisung 20 %. Als Konsequenz wurden in der Bibliothek Uster die geschlechtsspezifischen Aufkleber abgeschafft.
Auch in vielen anderen Öffentlichen Bibliotheken ist die Geschlechterzuordnung von Büchern noch gängige Praxis. Sie findet sich nicht nur bei Kindern- und Jugendbüchern, sondern auch bei Beständen für Erwachsene. Es ist zu hoffen, dass dieser Artikel und andere wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema Bibliotheken anregen, diese Praxis zu überdenken. (sj)
Deeg, Christoph (2020). Die Bibliothek als Ort der (Retro-) Gaming-Kultur. In: Bibliotheksdienst, Bd. 54, H. 5, S. 363–373, https://doi.org/10.1515/bd-2020-0046
Die Geschichte des Kulturortes Bibliothek basiert auf dem Medium Buch, das traditionell ihr zentrales Bezugsmedium war, heute jedoch nur ein Medium unter vielen ist. Mittlerweile umfassen die Bestände öffentlicher Bibliotheken eine große Vielfalt von Medienformen, zu denen auch Computerspiele gehören. Dennoch wird dem Thema Gaming oft wenig Beachtung geschenkt. Häufig wird es auf die Zielgruppe der Jugendlichen reduziert. Wo es Spiele im Bibliotheksbestand gibt, sind es eher neuere Veröffentlichungen. So genannte Pixelgames, also die Klassiker der Computerspielkultur, finden sich dagegen kaum. Der Autor argumentiert, dass wenn Bibliotheken gedruckte Literaturklassiker anbieten, auch das Thema Gaming unter dem Aspekt seiner gesamten geschichtlichen Entwicklung betrachtet werden müsste. Erstrebenswert wäre es, einen Bestand für eine generationsübergreifende Gaming-Kultur mit verschiedenen Zielgruppen anzubieten. Basierend auf diesen Beobachtungen wird unter anderem diskutiert, warum das Thema Retro-Gaming eine Aufgabe für Bibliotheken darstellt und ob es sich hierbei um einen Präsenz- oder Leihbestand handeln sollte. Der Autor präsentiert ein Vier-Säulen-Modell für die Nutzung von analogen und digitalen Spielen in Bibliotheken als Orientierung für die Analyse und Weiterentwicklung der eigenen Angebote. (mk)
Williment, Kent (2019). It Takes a Community to Create a Library. In: Public Library Quarterly, Bd. 39, H. 5, S. 410–420, https://doi.org/10.1080/01616846.2019.1590757 [Paywall]
Vier Jahre lang arbeitete die Gruppe Working Together Community Development Librarians
in den kanadischen Städten Vancouver, Regina, Toronto und Halifax in verschiedenen Stadtvierteln und mit diversen Communities, die traditionell als marginalisiert oder sozial ausgeschlossen gelesen werden. Ziel des Projektes war ein neues Planungsmodell für Bibliotheksdienste, welches community-based konzipiert ist, also von der Gemeinschaft ausgeht. Das Modell sollte unabhängig von Überzeugungen oder eventuellen Vorurteilen des Bibliothekspersonals und der existierenden Fachliteratur geschehen. Bei diesem Ansatz handelt sich um eine neue Methode, die das Bibliothekspersonal mit den Community-Mitgliedern zusammenbringt, um die konkreten Bedürfnisse der Community zu ermitteln und zu adressieren. Das bedeutet, dass auch sozial benachteiligte und ausgegrenzte Personen an jedem Schritt des Entwicklungsprozesses beteiligt sind. Der Artikel bietet einen Einblick auch übergreifender Relevanz, da das Modell flexibel gestaltet ist und in allen Bibliothekseinrichtungen, von allen Bibliothekar*innen sowie auf alle Programm- und Serviceentwicklungen angewendet werden kann. Es besitzt demzufolge ein großes Potential, die Inklusivität von Bibliotheken insgesamt zu steigern. (mk)
2.7 Personalmanagement und Probleme des Arbeitsalltags in Bibliotheken
Wilson, Daniel Earl (2020). Moving toward democratic-transformational leadership in academic libraries. In: Library Management 41 (2020) 8/9, 731–744, https://doi.org/10.1108/LM-03-2020-0044 [Paywall]
Bei diesem Text ist das Thema interessanter als die berichteten Ergebnisse. Wilson schliesst in ihm an seine Dissertation an, die sich mit der Effektivität von Führungsstilen in Wissenschaftlichen Bibliotheken beschäftigte. Darin zeigte er offenbar die Verbreitung eines demokratischen
Führungsstils auf, im Gegensatz – oder eher der Erweiterung – des in der (US-amerikanischen) bibliothekarischen Literatur oft vorgeschlagenen transformativen
Stils. Der Text berichtet von elf strukturierten Interviews mit Leitenden von Bibliotheken, welche die Ergebnisse der Dissertation nochmals untermauern.
Interessant ist einerseits, dass hier überhaupt Überlegungen dazu angestellt werden, wie Bibliotheken effektiv geführt werden können. Das ist im DACH-Raum kaum Thema von Diskussion und Forschung, insoweit stehen viele Führungskräfte wohl für sich allein. Andererseits ist die Beschreibung der beiden diskutierten Führungsstile bemerkenswert. Beide reagieren darauf, dass sich die Arbeit in Bibliotheken kontinuierlich entwickelt und deshalb immer Veränderung gesteuert werden muss. Der transformative
Stil zielt darauf ab, das Personal durch gesteuerte Weiterbildung, Erläuterungen von Zielen und Kommunikation dafür zu gewinnen, diese Arbeit zu leisten. Der demokratische
Stil ergänzt dies durch direkte Beteiligung an Entscheidungen und einer Wertschätzung des gesamten Personals. Laut Wilson zeichnet sich letzters durch forcierte Partizipation, den Aufbau von Beziehungen zwischen Leitung und Personal, regelmässiger (am besten auch geplanter) und ehrlicher Kommunikation, der Gleichbehandlung des Personals sowie an die lokalen und individuellen Verhältnisse angepassten Führungspraktiken aus. Zu bemerken ist, dass hinter beiden Führungsstilen auch jeweils ein bestimmtes Verständnis davon steht, wie Leitungspersonen ihr Personal sehen. Der Artikel ist hilfreich, um darüber nachzudenken, wie das eigentlich in Bibliotheken im DACH-Raum funktioniert und wie es vielleicht funktionieren sollte. (ks)
Colon-Aguirre, Monica ; Webb, Katy Kavanagh (2020). An exploratory survey measuring burnout among academic librarians in the southeast of the United States. In: Library Management 41 (2020) 8/9, 703–715, https://doi.org/10.1108/LM-02-2020-0032 [Paywall]
Dieser Artikel ist deshalb hervorzuheben, weil er ein negatives Ergebnis berichtet: Die formulierten Hypothesen stellten sich als falsch heraus. Das ist gute wissenschaftliche Praxis, aber erstaunlich selten finden sich in der bibliothekarischen Literatur solche Darstellungen.
Die Autorinnen wollten mit einem etablierten psychologischen Instrument (MBI General Survey) herausfinden, ob – wie sie vermuteten – Burnout unter akademischen Bibliothekar*innen im Südosten der USA verbreitet ist. Zudem vermuteten sie, dass bestimmte Werte (Geschlecht, ethnic status, sexuelle Identität) einen Einfluss auf die Verbreitung von Burnout haben. Im Ergebnis zeigte sich aber, dass Burnout unter den Befragten wenig verbreitet ist. Einige Faktoren (vor allem sexuelle Identität) führten zu leicht höheren Werten. Aber im Grossen und Ganzen scheint Burnout nicht das drängendste Problem bei den Befragten zu sein. (ks)
Barr-Walker, Jill ; Hoffner, Courtney ; McMunn-Tetangco, Elizabeth ; Mody, Nisha (2021). Sexual Harassment at University of California Libraries: Understanding the Experiences of Library Staff Members. In: College & Research Libraries 82 (2021) 2, https://doi.org/10.5860/crl.82.2.237
Vollkommen erschreckende Ergebnisse über sexuelle Belästigungen von Bibliothekar*innen am Arbeitsplatz liefert diese Umfrage an der University of California. Befragt wurden 1610 Personen an den Bibliotheken der Universität (mit 10 Standorten). Von den 579 Antwortenden berichteten 54 % davon, sexuelle Belästigung erlebt zu haben. Dies verteilte sich auf verschiedene Formen von Belästigung, traf aber an allen Standorten zu. Schlimm sind auch die Rückmeldungen, dass in vielen Fällen die Institution die Betroffenen nicht unterstützte oder die Betroffenen selbst den Eindruck hatten, sich nicht hilfesuchend an Personen wenden zu können. Es gab Lichtblicke, insbesondere, dass viele – aber nicht alle – Leitungen der Bibliotheken das Problem ernst nahmen. Allerdings, so die Autorinnen, hat dies bislang nicht dazu geführt – wie auch regelmässige Fortbildungen zum Thema – dass es keine sexuelle Belästigung mehr gäbe.
Sicherlich ist das eine Untersuchung für ein US-amerikanisches Bibliothekssystem (allerdings in einem als fortschrittlich wahrgenommenen Bundesstaat und an Hochschulen, die einen ebenso fortschrittlichen Ruf haben – was für Bibliotheken in anderen Bundesstaaten Schlimmes befürchten lässt). Aber es ist einfach nicht von der Hand zu weisen, dass ähnliche Ergebnisse auch in anderen Bibliotheken in anderen Staaten zu finden wären. (ks)
2.8 Automatisierung und Künstliche Intelligenz
Hänßler, Boris: Service ohne Menschen: Heilsbringer oder Heimsuchung: Über das widersprüchliche Verhältnis von Mensch und Maschine. In: BUB: Forum Bibliothek und Information 2–3 / 2018 S. 90–95
Automatisierung betrifft längst nicht mehr nur
die produzierende Industrie, sondern auch immer mehr den Dienstleistungssektor, stellt der Autor Boris Hänßler in seinem Beitrag fest. Und damit betrifft sie auch Bibliotheken. Im Zeitalter der vierten Revolution (nach der Dampfkraft, Elektrizität und Digitalisierung) übernehmen Maschinen immer komplexere Aufgaben und betreten durch Künstliche Intelligenz weitere Bereiche der Arbeitswelt, deren Ausführung bisher dem Menschen vorbehalten war. Maschinen sollen die Menschen nicht mehr nur körperlich, sondern auch geistig entlasten. Dadurch entsteht zweifelsohne auch ein konkurrierendes Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Der Autor wirft die Frage auf, ob Maschinen die Menschen aus der Arbeitswelt verdrängen werden, da sie kostengünstiger, schneller und effizienter arbeiten, als dies ein Mensch jemals in der Lage wäre.
Global agierende Unternehmen, die sich am Primat des Kapitalismus orientieren, investieren jedenfalls immense Summen in die (Weiter-)Entwicklung von Automatisierung in der Hoffnung auf Zeit- und Kostenersparnis. Immer mit der Intention – so jedenfalls die öffentliche Stellungnahme der Unternehmen – die Belegschaft zu unterstützen und ihnen die Arbeit zu erleichtern, damit diese sich auf komplexere Aufgaben konzentrieren kann.
Das McKinsley Global Institut hat eine Studie veröffentlicht, nach der bis 2030 geschätzte 800 Millionen Menschen weltweit ihre Jobs an Maschinen verlieren werden. Es gilt abzuwarten, ob sie mit dieser Einschätzung Recht behalten. (dg)
Vecera, Emanuel: Künstliche Intelligenz in Bibliotheken. In: Information - Wissenschaft & Praxis, Band 71 Heft 1, 14.01.2020, https://doi.org/10.1515/iwp-2019-2053
Der Artikel fragt: Wie kann Künstliche Intelligenz (KI) in Bibliotheken eingesetzt werden? Wo gibt es Vorteile und wo Nachteile? Die Einsatzbereiche von KI erstrecken sich vom Feld der automatischen Indexierung bis hin zur Auskunft über Leihverhalten und Vorlieben der Nutzenden. Auch der Zugang zu Literatur kann durch KI revolutioniert werden, wie beispielsweise durch den Aufbau einer KI-gestützten Infrastruktur
. Die größte Chance beim Einsatz der KI wird hier als die Steigerung der Verfügbarkeit, Qualität, Quantität und Schnelligkeit von Informationsdienstleistungen
beschrieben. Dennoch, so betont der Autor, bleiben Bibliothekarin und Bibliothekar auch zukünftig unersetzbar. (lf)
Vecera, Emanuel (2020): Künstliche Intelligenz in Bibliotheken. In: Information - Wissenschaft & Praxis 71 (1), S. 49–52, https://doi.org/10.1515/iwp-2019-2053
In seinem Artikel diskutiert Emanuel Vecera den Einsatz der künstlichen Intelligenz (KI) in Bibliotheken. Hierbei stellt er fest, dass der Einsatz von KI mehrere Anwendungsbereiche betrifft. Beispielsweise wird KI in Expertensystemen verwendet, um Handlungsregeln und Problemlösungen festzuhalten. Insbesondere wird hier der Fokus auf die Automatisierung der Prozesse im Bereich der Katalogisierung gesetzt. Des Weiteren wird KI auch dazu genutzt, um beispielsweise den Prozess der Indexierung qualitativ zu verbessern und den Zugang zur Literatur durch eine neue Art und Weise zu verändern. Auch diskutiert der Autor den bereits anzutreffenden Einsatz von Robotern in Bibliotheken. Die Bibliothek des Max Planck Institute Luxembourg for International, European and Regulatory Procedural Law arbeitet beispielsweise gerade an der Entwicklung eines Roboters, der zur Prüfung des Inventars verwendet werden soll, um so den zeitaufwendigen Prozess zu automatisieren. Auch wird der Einsatz von Robotern in anderen Bibliotheken diskutiert und verglichen. Seit geraumer Zeit hat die Stadtbibliothek Köln einen Roboter mit den Namen Nao im Einsatz. Dieser hilft dabei, den Ablageort bestimmter Bücher zu identifizieren und beantwortet Fragen sowohl in englischer als auch deutscher Sprache. (kmg)
3 Monographien und Buchkapitel
3.1 Vermischte Themen
D’Ignazio, Catherine; Klein, Lauren F. (2020). Data Feminism. Cambridge, Massachusetts: The MIT Press (Ideas series). https://data-feminism.mitpress.mit.edu/.
Die Autorinnen erklären in Data Feminism anhand zahlreicher Beispiele, warum sich eine feministische Perspektive auf die Arbeit mit Daten lohnt. In der Einleitung zeichnen sie die, oft erst in den letzten Jahren bekannt gewordene, Geschichte der Pionierinnen der Datenverarbeitung nach. Ihre Definition von Feminismus lautet: t[T]he term feminism as a shorthand for the diverse and wide-ranging projects that name and challenge sexism and other forces of oppression, as well as those which seek to create more just, equitable, and livable futures
(D’Ignazio, Klein, 2020, S. 6). Die Autorinnen zeigen auf, wie notwendig eine möglichst vielschichtige Perspektive ist, um Forschung im Data-Bereich möglichst inklusiv zu gestalten, also so, dass alle Beteiligten und möglichst alle Betroffenen abgebildet werden. Das Buch besteht aus sieben Kapiteln und jedes Kapitel ist einem der Prinzipien des Data Feminismus gewidmet. Dies wird von Beispielen aus diversen Fachgebieten begleitet, wodurch die Breite des Spektrums für die Anwendung von Data Feminismus sichtbar wird. Für die Bibliotheks- und Informationswissenschaft ist dieses Thema insofern relevant, dass Daten für die Disziplin eine wichtige Forschungsgrundlage darstellen. Auch in der Bibliotheks- und Informationswissenschaft sollte man an Vielfalt und Diversität der NutzerInnen beispielsweise von Bibliothekskatalogen, Webseiten und natürlich Bibliotheken selbst denken. Gleiches gilt für die Reflexion darüber, woher verwendete Daten kommen, wer sie wie erhoben hat, wer befragt wurde und wer vielleicht vergessen wurde. Ähnliche Fragen sollte man sich auch stellen, wenn man die Daten selbst erhebt. Wie die Autorinnen betonen, sollten wir nie vergessen, dass auch unsere eigene Perspektive zwangsläufig eine eingeschränkte ist. (sj)
Zweig, Katharina A. (2019). Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl. Wo künstliche Intelligenz sich irrt, warum uns das betrifft und was wir dagegen tun können. München: Heyne, 2019. [gedruckt]
Im Buch beschreibt Katharina Zweig, Informatikprofessorin an der TU Kaiserslautern, anschaulich, wie maschinelles Lernen, Algorithmen und Künstliche Intelligenz funktionieren. Sie zeigt dabei auf, wann und warum es bei solchen Entwicklungen notwendig ist, nicht nur Datenspezialist*innen zu beauftragen. Wichtig ist die Einbindung von Expert*innen aus anderen Bereichen, die sich unter anderem ethischen Fragen zuwenden und sicherstellen, dass das Endprodukt genau das tut, was es soll, ohne diskriminierend zu sein. Außerdem führt die Autorin aus, wo und wann in der Entwicklung neuer Systeme die Gesellschaft mitbestimmen kann und sollte. Das Buch ist wichtig, um zu verstehen, dass Algorithmen und auf maschinelles Lernen begründete Künstliche Intelligenz nicht automatisch neutral und wertfrei sind. Es klärt darüber auf, dass argloses Vertrauen in die Technik nicht nur falsch, sondern auch gefährlich sein kann, zum Beispiel dann, wenn Maschinen beginnen, Entscheidungen zu fällen, die Menschen betreffen. Damit berührt es ein Thema, mit dem sich auch die Bibliotheks- und Informationswissenschaft auseinandersetzen muss, da sich Informationswissenschaftler*innen oft an der Schnittstelle von Entwicklung und Nutzung derartiger Systeme befinden. (sj)
Schomberg, Jessica ; Highby, Wendy (2020). Beyond Accommodation: Creating an Inclusive Workplace for Disabled Library Workers. Sacramento: Library Juice Press, 2020 [gedruckt]
Die beiden Autorinnen sind Bibliothekarinnen in den USA und leben mit Behinderungen. Das Buch ist – auf der Basis ihrer eigenen Erfahrungen und derer von Kolleg*innen in ähnlicher Situation, die sie interviewt haben – in erster Linie für Personen in der gleichen Situation geschrieben. Es diskutiert, was Behinderung bedeutet – also dass sie keine rein persönliche erlebte oder rein medizinisch zu erklärende, sondern eine soziale Situation ist – und versucht, Wissen zu vermitteln, wie sich der Arbeitsalltag in einer solchen Situation gestalten lässt. Dabei geht es zuerst um Ermächtigung der Betroffenen, nicht zum Beispiel um ein Handbuch für Bibliotheken selber (wie das der Titel andeutet). Dies alles vor US-amerikanischem Hintergrund, beispielsweise der dortigen Gesetzeslage, aber auch solcher gesellschaftlichen Absonderlichkeiten wie fehlender Krankenversicherung bei Jobverlust oder beschränkten sick days
. Für andere Personen ist es ein Buch zum Zuhören – anstatt gleich zu Lösungen zu springen, lässt sich aus ihm viel über den Alltag und die Herausforderungen beim Arbeiten von Personen mit Behinderung in Bibliotheken erfahren. (ks)
Touitou, Cécile (dir.) (2020). Bibliothèques publiques britanniques contemporaines: autopsie des années de crise. [La Numérique] Villeurbanne: Presses de l’enssib, 2020, https://doi.org/10.4000/books.pressesenssib.11527
Die Öffentlichen Bibliotheken in Grossbritannien sind seit Jahren in einer profunden Krise. Einst Vorbild für Bibliothekssysteme anderer Länder, müssen britische Bibliotheken heute oft konkret um ihr Überleben fürchten. (Es liegt nahe, wird in diesem Buch aber nicht gemacht, dies mit der aktuellen Krise Grossbritanniens in Verbindung zu setzen.) Das Buch möchte die Gründe für diese Krise darlegen. Neben Texten, die neu für diese Publikation verfasst wurden, wurden dafür Texte von britischen Aktivist*innen für Bibliotheken übersetzt.
Grundsätzlich wird der Grund der Krise in der Regierung von Konservativer und Liberal-Demokratischer Partei (2010–2015) und insbesondere im Regierungschef David Cameron (in dieser Position: 2010–2016) gesehen. Die Regierung war mit einem Programm angetreten, welches das nationale Budget ausgleichen, staatliche Aufgaben an Gemeinden und die Gesellschaft
(verstanden vor allem als Wohlfahrtsorganisationen) übertragen sollte sowie gleichzeitig die Bedeutung ökonomischer Prinzipien in der öffentlichen Verwaltung etablieren wollte. Dies führte dazu, dass unter anderem Bibliotheken unter neuen Kriterien bewertet, geschlossen und an nicht-staatliche Organisationen übergeben wurden. Nach dem Rücktritt David Camerons gab es im Land rund 340 Öffentliche Bibliotheken und 8.000 Bibliothekar*innen weniger. Das Buch stellt diese Entwicklungen dar und bietet auch den Protesten gegen diese Schliessungen – die zahlreich und von verschiedenen Gruppen getragen waren – viel Platz. Insbesondere für die Proteste werden zahlreiche Beiträge aus diesen Jahren direkt zitiert.
Einerseits ist es richtig zu fragen, wie die britischen Public Libraries in die Krise geraten sind. Andererseits hinterlässt das Buch doch den Eindruck, einiges auszulassen. Es wird zwar diskutiert, dass in diesen Jahren tatsächliche Veränderungen – zum Beispiel technische und solche in der Mediennutzung – stattfanden, die nichts mit der Regierung zu tun hatten. Aber am Ende wird doch der Eindruck erzeugt, als wäre es das Government alleine gewesen, welches die Krise produziert hätte. Aber so einfach wird die Situation nicht sein, auch vorher gab es gesellschaftliche Probleme – ansonsten wäre die vorhergehende Regierung ja nicht abgewählt worden –, eine Sinnsuche bei britischen Bibliotheken und zahlreiche Aufforderungen, zum Beispiel von Seiten der Blair-Regierung, an die Bibliotheken, sich zu ändern. Diese Vorgeschichte wird überhaupt nicht diskutiert. Nicht zuletzt legt das Buch Wert darauf, die ganzen Gruppen, die sich gegen die Schliessung von Bibliotheken engagierten (Parteien, Zivilgesellschaft, Autor*innen und andere) und deren Argumente ausführlich darzustellen. Aber am Ende haben diese zwar Teilerfolge vorweisen können, doch auf breiter Strecke verloren. Was ist dann der Erkenntniswert dieser Darstellungen? Wäre es nicht sinnvoller darüber nachzudenken, warum diese ganzen Aktivitäten wenig Erfolg hatten? (ks)
Grailles, Bénédicte; Marcilloux, Patrice; Neveu, Valérie; Sarrazin, Véronique (dir.) (2018). Les dons d’archives et de bibliothèques: XIXe-XXIe siècle. De l’intention à la contrepartie. (Collection Histoire
) Rennes Cedex: Presse universitaires de Rennes, 2018 [gedruckt]
Warum übergeben Menschen Sammlungen an Archive und Bibliotheken? Die die konkreten Beiträge dieses Sammelwerks umschliessenden Texte (Vorwort, Einleitung, Nachwort) betonen eine ethnographische Perspektive, insbesondere mit Bezug auf Marcel Mauss, der in den 1920ern zur Bedeutung von Geschenken geforscht hatte (allerdings nicht in europäischen Gesellschaften). Geschenke hätten immer Bedeutung für die, die geben; für die, die nehmen und für den Zusammenhalt von Gemeinschaften. Durch sie werden Beziehungen hergestellt, Verpflichtungen generiert und auch eingelöst. Im Buch soll diese Erkenntnis auf heutige Archive und Bibliotheken (vor allem in Frankreich, mit je einem Beispiel aus der Schweiz und den USA) angewendet werden. Das findet leider kaum statt, obwohl es interessant wäre.
Vielmehr finden sich hier Beiträge, in denen vor allem Archivar*innen und einige Bibliothekar*innen darüber berichten, wie in ihren Einrichtungen mit solchen Sammlungen umgegangen, wie mit Spender*innen kommuniziert und wie Zugang zu den gespendeten Sammlungen ermöglicht wird. Dabei geht es unter anderem auch um nicht traditionelle Institutionen oder Themen. Das ist alles interessant und rückt vor allem in den Blick, dass es sich nicht einfach nur um Dokumente handelt, die in archivalische oder bibliothekarische Arbeitsgänge integriert werden, sondern um teilweise komplexe Beziehungen. Der Blick der Spender*innen wird aber nur von einer Person vertreten (Hélène Mouchard-Zay). Die eigentliche Frage, was Spender*innen von ihren Spenden erwarten, wie sie von ihnen profitieren und welche Beziehungen zwischen Institution und Spender*in etabliert werden, werden so aber nicht beantwortet, sondern es werden eher einseitig die Eindrücke der Institutionen dazu gesammelt. (ks)
Haucap, Justus; Moshgbar, Nima; Schmal, Wolfgang Benedikt (2021). The Impact of the German DEAL
on Competition in the Academic Publishing Market. [CESifo Working Paper No. 8963] München, Munich Society for the Promotion of Economic Research, 2021, https://ssrn.com/abstract=3815451.
Die Autoren untersuchen das Publikationsverhalten deutscher Autorinnen und Autoren im Fach Chemie im Zeitraum 2016–2020. Da in Fachzeitschriften der Chemie vergleichsweise schnelle Publikationsprozesse vorherrschen, wird dieses Fach als geeignet angesehen, um frühe Effekte der DEAL-Vereinbarungen auf den Zeitschriftenmarkt sichtbar zu machen. Im Ergebnis wird ein kleiner, aber statistisch signifikanter Effekt festgestellt: Nach Inkrafttreten der DEAL-Verträge publizieren die Angehörigen deutscher Forschungseinrichtungen etwas häufiger bei den Verlagen Springer und Wiley – und entsprechend etwas weniger bei anderen Verlagen. Die Autoren empfehlen, auch mit kleineren Verlagen deutschlandweite Read-and-Publish-Verträge abzuschließen, da sonst die Marktmacht der Großverlage und die Konzentration auf dem Zeitschriftenmarkt auf Kosten der Publikationsvielfalt und schließlich auch zu Lasten der Bibliotheken weiter voranschreiten dürfte. (eb)
Barlösius, Eva (2019). Infrastrukturen als soziale Ordnungsdienste: Ein Beitrag zur Gesellschaftsdiagnose. Frankfurt am Main: Campus Verlag, 2019 [gedruckt]
Die Autorin untersucht in diesem Buch, wie sich Infrastrukturen entwickeln und ob diese Entwicklungen als Werkzeug für die Analyse gesellschaftlicher Veränderungen eingesetzt werden können. Die Frage ist also soziologisch, der Text selber verarbeitet Ergebnisse aus vorhergehenden Studien unter einem theoretischen Blickwinkel. Die Frage drängt sich aber auf, weil viele Infrastrukturen mit der Entstehung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert verbunden waren (beispielsweise Eisenbahnen, allgemeines Bildungswesen, staatliche Normungen), sich diese Staaten aber seitdem massiv verändert haben.
Für das Bibliothekswesen relevant ist, dass einer der vier Fälle, die Barlösius als Beispiel untersucht, die Forschungsinfrastrukturen sind, welche in den letzten Jahren etabliert wurden beziehungsweise weiter werden. Sie beschreibt dabei die Veränderungen aus soziologischer Sicht als Infrastrukturierung
von bislang als Teil der wissenschaftlichen Arbeit angesehenen Tätigkeiten. Diese würden als Infrastruktur anderen, klarer formulierten Regeln und Zielen unterworfen, zudem öffentlicher gemacht. In gewisser Weise würde hier im Bereich Wissenschaft Aufgaben verstaatlicht
, während in anderen Bereichen Infrastruktur entstaatlicht
würde. Es ist ein analytischer Blick auf Veränderungen, die im Bibliothekswesen sonst eher mit einem praxisorientierten Fokus bearbeitet werden. (Die Ergebnisse der Studien, auf die sich die Autorin bei diesem Fall stützt, hat sie auch gesondert in der bibliothekarischen Literatur publiziert, aber ohne diesen expliziten Fokus.) (ks)
3.2 Rassismus und Dekolonisierung
Mätschke, Jens (2017): Rassismus in Kinderbüchern. Lerne, welchen Wert deine soziale Positionierung hat! In: Karim Fereidooni und Meral El (Hg.): Rassismuskritik und Widerstandsformen. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 249–268. https://doi.org/10.1007/978-3-658-14721-1_1 [Paywall]
Jens Mätschke analysiert Kinder- und Jugendbücher auf rassistische Inhalte und klassifiziert diese mittels eines eigens erstellten Kategoriensystems, das er im Rahmen seiner Bachelorarbeit zum Thema Rassismus in Comics der DDR
entwickelt hat. Es werden Beispiele aus einer Vielzahl von Kinderbüchern genannt, bei denen die Möglichkeit besteht, dass Kinder durch die vermeintlich rassifizierte Darstellung der Geschichte ein hierarchisches Wertemodell erwerben, das eine gleichberechtigte Begegnung zwischen schwarz
und weiß
im Kopf erschwert.
Der Beitrag vermittelt einen Einblick in das dreizehnteilige Kategorie-System, mit dem Jens Mätschke rassistische Zuschreibungen für Schwarze
benennt und analysiert. Er erläutert diesen Ansatz anhand des Klassikers Robinson Crusoe
(1719/2002) und eines aktuelleren Kinderbuchs mit dem Titel Vimala gehört zu uns
(2002). Die Vergleiche sind nachvollziehbar und begründet. Die Konfrontationen regen zum Nachdenken darüber an, wie Geschichten mit rassifizierten Darstellungen in Kinderbüchern wirken und welche Rolle AutorInnen, PädagogInnen, Eltern, Verlage und die Gesellschaft übernehmen sollten. (gs)
Garcês da Silva, Franciéle Carneiro (2019): Com a palavra, as/os professoras/es. A formação da/o docente em biblioteconomia para a inclusão das temáticas africana e afro-brasileira na prática docente. In: Danielle Barroso, Elisângela Gomes, Erinaldo Dias Valério, Garcês da Silva, Franciéle Carneiro und Graziela dos Santos Lima (Hg.): Epistemologias Negras: relações raciais na biblioteconomia. Florianópolis: Rocha Gráfica e Editora, S. 139–174. [gedruckt]
Für ihren Beitrag interviewte Franciéle Carneiro Garcês da Silva 13 brasilianische Dozent:innen der Bibliothek- und Informationswissenschaft (BIW). Thema der Gespräche war die (mangelnde) Inklusion von afrikanischen und afro-brasilianischen Themen sowie die Nutzung von Quellen von afro-diasporischen Wissenschaftler:innen an Universitäten.
Franciéle stellt heraus, wie die unzureichende Ausbildung von Bibliothekar:innen und Informationswissenschaftler:innen in Brasilien zu diesen Themen einen Mangel an afrikanischen und afro-brasilianischen Themen und Inhalten nach sich zieht. Die Gründe dafür sind unter anderem fehlende Sensibilisierung und fehlendes Wissen über Antirassismus und Dekolonialität auf Seiten der Dozent:innen. Für Franciéle kann das unter anderem daran liegen, dass unkritisch das US-amerikanische Lehrprogramm und damit entsprechende Perspektiven von Whiteness und ihrer impliziten Normativität übernommen werden. Sie betont, dass das Lehrprogramm der BIW betont wertneutral und technisch ausgerichtet wird und zugleich Wissensformen, die nicht dieser Norm der Whiteness entsprechen, nicht berücksichtigt.
In den Interviews merken viele Dozent:innen an, dass sie zu wenig Zeit für eine Aktualisierung der Kurse haben, dass das Lehrprogramm für die Einbindung anderer Wissensformen zu unflexibel ist oder das Fach zu technisch sei. Dem stellt Franciéle vergleichsweise leichte Lösungen gegenüber. Zum Beispiel listet sie schwarze Bibliotheks- und Informationswissenschaftler*innen auf, die auch die sogenannten technischen Themen der BIW erforschen, die es nur sichtbar zu machen gilt.
Übergreifend betont Franciéle, wie wichtig und dringend es ist, dass sich Dozent:innen der Vielfalt der Studierenden anpassen sollten, vor allem in dem sie deren Geschichten und Kulturen aufnehmen und respektieren. (vt)
Garcês da Silva, Franciéle Carneiro (2020). Perspectivas Críticas e Epistemologias Negras na Biblioteconomia. In: Natalia Duque Cardona und Garcês da Silva, Franciéle Carneiro (Hg.): Epistemologias Latino-Americanas na Biblioteconomia e Ciência da Informação. Contribuições da Colômbia e do Brasil. Florianópolis: Rocha Gráfica e Editora, S. 73–117. [gedruckt]
In ihrem Kapitel betont Franciéle Carneiro Garcês da Silva die Bedeutung der Inklusion vielfältiger Erkenntnistheorien in die Bibliotheks- und Informationswissenschaft (BIW). Zugleich kritisiert sie die Hegemonie des Wissens nach kolonialen Standards. Sie stellt dafür unter anderem kritische Erkenntnistheorien und Bewegungen des Feldes vor, unter anderen Guerrilla Librarianship, Radical Librarians Collective, Critical Whiteness Studies in Library and Information Science, Black Librarianship und Biblioteconomia Negra Brasileira (übersetzt: Schwarz-Brasilianische Bibliothekswissenschaft). Zudem verweist sie auf schwarze sowie indigene brasilianische Bibliothekar:innen, die in unterschiedlichen Feldern der Bibliotheks- und Informationswissenschaft forschen. Die Beforschung dekolonialer Erkenntnistheorien ist für die Dekonstruktion der von ihr kritisierten Hegemonien essentiell. Eine Zusammenfassung, wie sie der vorliegende Text liefert, bildet daher eine notwendige Voraussetzung sowohl für das kritische Hinterfragen dieser Hegemonien als auch eine Orientierung zum Thema für Dozent:innen und Bibliothekar:innen, die in diesem Bereich arbeiten. (vt)
3.3 Einführungen und Handbücher
Ferguson, Lea Maria; Pampel, Heinz; Bruch, Christoph; Bertelmann, Roland; Weisweiler, Nina; Schrader, Antonia C.; Messerschmidt, Reinhard; Faensen, Katja (2020). Gute (digitale) wissenschaftliche Praxis und Open Science: Support und Best Practices zur Umsetzung des DFG-Kodex “Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. (Helmholtz Open Science Briefing), Potsdam : Helmholtz Open Science Office. https://doi.org/10.2312/os.helmholtz.012.
Was haben die Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis und Open Science miteinander zu tun? Dieser Frage geht eine Handreichung des Helmholtz Open Science Office nach. Dabei werden einzelne Leitlinien des DFG-Kodex systematisch beleuchtet, der jeweilige Bezug zu Open Science hergestellt und Empfehlungen für den Forschungsalltag ausgesprochen, die sich zuvorderst an Helmholtz-Zentren richten, aber für andere Wissenschaftseinrichtungen ebenso relevant sein dürften. Ergänzend liegt auch eine Checkliste vor, die die insgesamt 16 Empfehlungen im Überblick zusammen stellt. (mv)
Lenstra, Noah (2020). Healthy Living at the Library: Programs for all Ages. Santa Barbara: Libraries Unlimited, 2020 [gedruckt]
Libraries Unlimited ist einer der Verlage der American Library Association, in ihm wird vor allem praxisorientierte bibliothekarische Fachliteratur verlegt. In den letzten Jahren ist der Verlag dazu übergegangen, eine Reihe von Büchern zu verlegen, die zwar nicht offiziell als Reihe geführt werden, aber es praktisch sind: Jeweils wird im Titel ein interessantes, zeitgemässes Thema als eines versprochen, welches auch (Öffentliche) Bibliotheken angehen würden. Die Publikation ist immer 180-220 Seiten lang und von jemandem aus der Praxis geschrieben. Auch der Aufbau ist stets ähnlich: Kapitel werden zum Beispiel oft mit Fragen abgeschlossen, die man sich als praktizierende*r Bibliothekar*in stellen soll. Viele Beispiele zum Thema sind in Kästen im Text dargestellt. Die ordnende Hand des Verlages ist in diesen Büchern unübersehbar.
Inhaltlich gibt es in Büchern dieser Reihe durchgehend die gleiche Argumentation: (1) Zuerst wird postuliert, dass jeweilige Thema sei wichtig für die Gesellschaft und wenn sich Bibliotheken ihm annehmen würden, würden sie Communities bilden und neue Nutzer*innen erreichen, (2) dann wird oft gezeigt, dass Bibliotheken in der Vergangenheit sich schon mit diesem Thema auseinandergesetzt hätten, (3) drittens wird gesagt, Bibliotheken müssten sich auf das jeweilige Thema einlassen, einen Plan für neue Angebote in diesem Bereich aufstellen und Kooperationen eingehen, (4) im längsten Teil des jeweiligen Buches werden dann zahllose Beispiele aus Bibliotheken zusammengetragen, die sich schon mit dem Thema beschäftigen und (5) am Ende betont, dass das jeweilige Thema nachhaltig abgesichert werden muss, damit es sich wirklich in einer Bibliothek etablieren kann, beispielsweise in Bibliotheks- oder anderen Strategien integriert.
Das genannte Buch ist nur eines der neueren Publikationen, das genau diesem Aufbau folgt. Es hinterlässt den gleichen schlechten Geschmack wie andere Bücher in der Reihe: Auf den ersten Blick scheint das Thema sympathisch (wer hat schon etwas dagegen, wenn die Gesundheit anderer gefördert wird?), ebenso die einzelnen Beispiele aus Bibliotheken (Urban Gardens, Yoga-Klassen, Kochkurse und vieles mehr – warum nicht?). Aber in seiner Masse wirkt das alles nicht mehr: Wenn immer wieder neue Themen als überaus wichtig bezeichnet und das – wie auch hier – mit heranzitierten Beispielen einzelner Studien und Aussagen herausgehobener Einzelpersonen untermauert wird, wirkt das schnell so, als könnte einfach jedes beliebige Thema so verkauft werden. Auch die Ansammlung der Beispiele in solchen Büchern vermittelt schnell den Eindruck, dass es eigentlich egal ist: Alle sollen halt tun, was sie selber als wichtig ansehen. Es gibt noch nicht einmal eine Gewichtung der Beispiele. Noch weniger gibt es wirklich Hilfestellungen für die Adaption in einen lokalen Kontext, vielmehr wird – in diesem Buch und in praktisch allen anderen dieser Reihe – schnell betont, dass es keine allgemeingültige Lösung gäbe, sondern dass Bibliotheken jeweils lokal entscheiden müssten, was sie tun wollen. Die Hinweise zur Umsetzung sind fast immer oberflächlich.
Es stellt sich die Frage, für wen diese Bücher eigentlich geschrieben werden. Beispiele aus Bibliotheken zu den unterschiedlichen Themen lassen sich auch so zusammensuchen, wenn eine Bibliothek dies anstrebt. Wirkliche Hilfestellung beim Entwickeln neuer Angebote liefern die Bücher nicht, weil sie so beliebig argumentieren und eher Beispiele anhäufen. Vielmehr scheint es sich um reine Verlagsentwicklungen zu handeln, bei der die Autor*innen je einen schon fertigen Rahmen auszufüllen haben. Sicherlich sind viele Autor*innen persönlich an den jeweiligen Themen interessiert (auch bei diesem Buch), aber in dieser Form nutzt das leider wenig. Von allen Büchern dieser inoffiziellen Reihe ist abzuraten. (ks)
Armstrong, Alison M.; Dinkle, Lisa (2020). The library liaison’s training guide to collection management. Chicago: ALA Editions. https://www.alastore.ala.org/content/library-liaisons-training-guide-collection-management [gedruckt]
Bestandsmanagement gehört ja zu den klassischen
Fachreferatsaufgaben, aber nicht nur Quereinsteiger:innen fragen sich zu Beginn ihrer Tätigkeit in diesem Bereich vermutlich manchmal, wie das eigentlich genau funktioniert und was alles dazugehört. Dieser kleine Band kann – auch wenn er auf amerikanische Bibliotheken ausgelegt ist – Einsteiger:innen Ideen zur Orientierung geben und alten Hasen
eine Anregung sein, mal darüber nachzudenken, was sie im Rahmen ihrer Bestandsaktivitäten auch/nicht/nicht mehr machen (und warum).
Die zahlreichen Fallbeispiele inklusive Lessons Learned sowie local practice questions
am Ende jedes Kapitels (und nochmal zusammengefasst am Ende des Buches) sind dazu hilfreich. Touristisch interessant
sind amerikanische Zuständigkeiten und Verfahren, die es an deutschen Bibliotheken [zumindest an denen, die ich kenne, V.V.] nicht gibt, wie zum Beispiel den Collection Development Librarian
(die/der nicht mit der Leitung der Erwerbungsabteilung und auch nicht mit den für die einzelnen Fächer zuständigen Subject Librarians identisch zu sein scheint) oder die Beteiligung von Bibliotheken an New Course Proposals
und Akkreditierungsverfahren der Institute/Fachbereiche.
Erstaunlicherweise wird das Thema Open Access
mit keiner Silbe erwähnt; nur Open Educational Ressources wird im Zusammenhang mit Lehrbüchern kurz angerissen. Für eine zweite Auflage würde ich mir zudem ein Kapitel zum Thema Bestandsbewerbung
wünschen. (vv)
Melo, Maggie; Nichols, Jennifer T. (edit) (2020). Re-Making the Library Makerspace: Critical Theories, Reflections, and Practices. Sacramento: Library Juice Press, 2020 [gedruckt]
In gewisser Weise gilt für dieses Buch tatsächlich einmal, dass die Entwicklung in den USA weiter ist als im DACH-Raum. Während hierzulande Bibliotheken immer noch überlegen, ob und wie sie Makerspaces einrichten werden, wird in diesem Buch schon – auf der Basis vorhandener Erfahrungen mit, vor allem, Makerspaces in Wissenschaftlichen Bibliotheken – zur Kritik und Verbesserung übergegangen. Die Autor*innen des Bandes verweisen dabei immer wieder neu darauf, dass Makerspaces – entgegen ihrem Anspruch, für alle offen zu sein und neue Lernformen zu motivieren – auch in Bibliotheken immer wieder vor allem von den gleichen Personen (weiss, männlich, gut ausgebildet und gut verdienend) besucht werden. Aber sie bleiben dabei nicht stehen, sondern versuchen zu klären, wie dies anders werden kann, wie diese Orte also von mehr diversen Personengruppen genutzt werden können. Klar wird dabei, dass es nicht darum geht, Personen einfach anders anzusprechen oder einfach zu behaupten, dass mit einem Makerspace alle Menschen angesprochen werden, sondern darum, die Makerspaces selber zu ändern. Barrieren müssen benannt, wahrgenommen und dann auch abgebaut werden (und nicht abgestritten). Oft geht es dabei darum, von Technik und unüberprüften Versprechen (wie dem, dass Makerspaces neue Formen des Lernens motivieren würden) wegzukommen. Auch der Anspruch, Innovation zu fördern, muss dazu oft fallengelassen werden. Es geht darum, Räume und Strukturen zu schaffen, in denen Menschen sich nicht erst beweisen müssen, um diese zu nutzen. Und es geht auch um Angebote, die Personen tatsächlich interessieren – was öfter mit Basteln und viel weniger mit Hightech zu tun hat.
Während das Buch stark mit Beiträgen startet, die teilweise umfangreiche Forschung schildern, werden sie je weiter hinten sie im Buch stehen, beliebiger. Nicht bei allen ist der Bezug zum eigentlichen Thema des Buches immer klar. Trotzdem ist die Lektüre zumindest ausgewählter Beiträge für alle zu empfehlen, die Makerspaces in Bibliotheken nicht als Prestigeprojekt betreiben wollen (oder weil es andere auch tun), sondern damit diese eine tatsächliche positive Wirkung für eine möglichst grosse Anzahl von Menschen haben können. (ks)
Byrant, Tatiana; Cain, Jonathan O. (edit.) (2020). Libraries and Nonprofits: Collaboration for the Public Good. Sacramento: Library Juice Press, 2020 [gedruckt]
Das Buch versammelt Beispiele für die Zusammenarbeit von US-amerikanischen Öffentlichen Bibliotheken und Non-Profit Einrichtungen wie Stiftungen oder politischen Gruppen. Auf der einen Seite erhält man hier – wieder einmal – einen Einblick darin, wie anders die Bibliotheksarbeit in den USA aufgestellt ist. Zwar gibt es in der Einleitung und dann den einzelnen Beiträgen übertriebene Aussagen zur sozialen Funktion von Bibliotheken, die mit solchen Kooperation noch mehr gestärkt werden könnten (was nicht gezeigt, sondern behauptet wird). Aber gleichzeitig hat man auch den Eindruck, dass es für die Bibliotheken eigentlich nicht weiter begründet werden müsste: Es scheint normal, dass es solche Kooperationen, die über die eigene Institution und den Ort Bibliothek hinausgehen, gibt. Die Frage scheint nur, welche Kooperation von welcher Bibliothek konkret eingegangen wird. Allerdings sind die geschilderten Kooperationen oft auch so spezifisch lokal, dass nicht klar ist, was andere Bibliotheken von ihnen lernen sollen – oder gar, ob Bibliotheken aus dem DACH-Raum mit ihnen etwas anfangen können.
Auf der anderen Seite ist das Buch gerade deshalb auch ein Muster dafür, dass eine solche Beispielsammlung nicht sehr hilfreich ist. Alle Beiträge bewegen sich sehr an der Oberfläche, die konkrete Arbeit bei den Kooperationen – wer verhandelt, was wird geklärt, wie wird es evaluiert, weiterentwickelt und ähnliches – wird praktisch nicht thematisiert. Insoweit können andere Bibliotheken auch wenig mit den Beispielen anfangen. Gleichzeitig gibt es keine richtige theoretische Einordnung oder Entwicklung von verallgemeinernden Aussagen. Aus diesem Grund liefert die Sammlung auch keinen Erkenntnisfortschritt. Das Buch hinterlässt die Frage, für wen es dann eigentlich da ist. Auffällig ist das vor allem, weil es aus dem restlichen Verlagsprogramm von Library Juice Press, wo ansonsten kritische Werke verlegt werden, heraussticht. (ks)
3.4 Bibliotheksgeschichte / Geschichte
Jochum, Uwe; Lübbers, Bernhard; Schlechter, Armin; Wagner, Bettina (Hrsg.) (2020). Jahrbuch für Buch- und Bibliotheksgeschichte, Band 5. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2020 [gedruckt]
Das Jahrbuch für Buch- und Bibliotheksgeschichte folgt auch in seiner fünften Ausgabe einer Vorstellung von Geschichtsschreibung, bei der es vor allem um kleinteilige Darstellungen geht und wiederum von den Lesenden tiefgehende Kenntnisse bestimmter historischer Zusammenhänge vorausgesetzt wird. (Wie schon in der Vorstellung der ersten vier Bände in der Ausgabe #5 dieser Kolumne dargestellt wurde https://libreas.eu/ausgabe36/dldl/). In dieser Ausgabe werden beispielsweise Wissen zur bayerischen Landesgeschichte des späten 18. Jahrhunderts, inklusive des Illuminatenordens, Kenntnisse der nationalsozialistischen Besatzpolitik in Lothringen sowie Kenntnisse der französischen Sprache vorausgesetzt.
Nichtsdestotrotz sind mehrere Artikel auch mit grossem Gewinn für nicht unbedingt an den speziellen Themen Interessierte zu lesen: Fabian Waßer [35–77] stellt, basierend auf seiner Bachelorarbeit, die Bibliotheken und Lesegesellschaften in Bayern im besagten späten 18. Jahrhundert vor. Der Artikel ist sehr kenntnisreich, teilweise etwas langatmig und zeigt nicht nur, wie diese Einrichtungen für eine wachsende Zahl von Menschen Zugang zu Literatur boten, sondern auch, wie sich dann schnell Lesegesellschaften zu sozialen Clubs und Freizeiteinrichtungen wandelten, bei denen das Lesen nur einen Teilbereich darstellte. Er thematisiert auch die Ergebnisse der Verfolgung aller irgendwie als revolutionär (also demokratisch oder aufklärerisch) verstanden Einrichtungen nach dem Verbot des genannten Illuminatenordens in Bayern. Wolfgang Freud’s [111–130] Darstellung der Westraumbibliothek
in Metz, die vom dortigen nationalsozialistischen Machthaber als wissenschaftliche Grenzlandbibliothek
über Frankreich gedacht war, in welcher nach dem zweiten Weltkrieg das notwendige Wissen zur Auseinandersetzung
mit und Beherrschung von Frankreich durch Deutschland produziert werden sollte, ergänzt das vorhandene Wissen über die Wissenschafts- und Bibliothekspolitik im Nationalsozialismus. Am spannendsten ist der Artikel von Birgit Schaper und Michael Herkenhoff [131–190]. Sie schildern, wie die Universitätsbibliothek Bonn durch das Auktionshaus Sotheby darüber informiert wurde, dass diesem Inkunabeln und alte Drucke zur Versteigerung angeboten wurden, welche zum Bestand der Universitätsbibliothek gehören könnten – und wie diesem Hinweis folgend ein grosser Bestand solcher Stücke in belgischem Privatbesitz aufgefunden und einvernehmlich wieder an die Bibliothek zurückgeführt wurde. Ein viel länger Teil des Artikels ist der Recherche gewidmet, wie das Fehlen dieser Bestände so lange übersehen werden konnte und wie sie überhaupt abhanden kamen. Dabei gibt es einige Stellen, die für die Recherche gewiss notwendig waren, aber den Text etwas lang machen, insbesondere die Schilderungen der Auslagerung der Bestände am Ende des zweiten Weltkrieges und deren Rückführung bis in die 1950er Jahre in den Bestand. Letztlich zeigte die Recherche nämlich, dass die Medien dabei nicht abhanden kamen, sondern als sie über einige Jahre in einem Bunker zwischengelagert wurden. Insgesamt ist der Artikel auch eine Aufforderung an andere Bibliotheken (in Deutschland und Österreich) mit historischen Beständen, sich die Vorgänge der späten 1940er und 1950er-Jahre in der eigenen Institution einmal genauer anzuschauen. (ks)
Peiss, Kathy (2020). Information Hunters: When Librarians, Soldiers, and Spies Banded Together in World War II Europe.New York: Oxford Library Press, 2020 [gedruckt]
Zufällig ist die Autorin dieses Buches, eine Professorin für amerikanische Geschichte, mit einem früh verstorbenen Bibliothekar verwandt, welcher während und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg für den amerikanischen Nachrichtendienst und die Library of Congress in Europa Bücher und andere Medien der Achsenmächte
erwarb. Diese Verwandtschaft trieb die Autorin dazu, zu erforschen, wie US-amerikanische Bibliothekar*innen in dieser Zeit erst Informationsservices für Regierung und Armee aufbauten, gleichzeitig für US-amerikanische Bibliotheken Forschungsbestände aus Medien, die während des Krieges erschienen waren, anlegten und anschliessend zum Beispiel damit beschäftigt waren, die Medien, welche vom nationalsozialistischen Deutschland geraubt wurden, wieder zu restituieren. Sie stellt dabei auch dar, wie diese Aktivitäten zu Entwicklungen im Bibliothekswesen und der Bibliothekswissenschaft führten, beispielsweise dadurch, dass US-amerikanischen Bibliotheken das erste Mal zu einer landesweiten Kooperation zusammengebracht wurden, dass intensiv Mikroverfilmung eingesetzt und neue Techniken zur schnellen Auswertung von Medien für die Nutzung durch Nachrichtendienst und Armee entwickelt wurden. Sie zeigt auch, dass diese Arbeiten wegen der besonderen Situation oft im moralischen Graubereich stattfanden.
Die Profession der Autorin ist ein grosser Gewinn: Das Buch ist faktenreich, stellt Kontext dar und ist trotzdem in einem gut zu lesenden, erzählenden Modus geschrieben. Gleichzeitig ist es keine Heldengeschichte
, wie sie manchmal von historisch interessierten Bibliothekar*innen geschrieben werden. Es ist auch deshalb zu empfehlen, weil sich in der Literatur des DACH-Raumes oft auf die Geschichte der Bibliotheken in diesem Raum konzentriert wird und beispielsweise viel Platz für die Geschichte der Bestandssicherung durch Verschickung in abgelegene Orte und die Rückholung nach dem Zweiten Weltkrieg verwendet wird. Dieses Buch stellt die andere Seite dar. (ks)
Black, Alistair (2018). Libraries of Light: British public library design in the long 1960s. London; New York: Routledge, 2018 [gedruckt]
In weiten Teilen ist dieses Buch Architekturgeschichte, inklusive vieler Bilder aus Beispielbauten. Der Autor stellt hier – anschliessend an sein Buch Books, buildings and social engineering: early public libraries in britain from past to present
(London : Routledge, 2016), in welchem er die Bibliotheksbauten in Grossbritannien bis 1939 untersuchte – die Gebäude Öffentlicher Bibliotheken vor, welche zwischen den späten 1950ern und frühen 1970ern in Grossbritannien errichtet wurden. Er argumentiert, dass diese vor dem Hintergrund des Wohlstandsstaates, welcher in diesen Jahren ausgeweitet wurde, inklusive der Vorstellung, ein neues Grossbritannien zu errichten, in welchem Planung, Demokratisierung, Wohlstand und Marktwirtschaft zusammenspielen würden, verstanden werden müssen. Architektonisch seien die Neubauten allesamt der Moderne zuzuordnen. Das Licht
im Titel bezieht sich dabei sowohl auf die Vorstellung einer gesellschaftlichen Öffnung als auch des geplanten Einsatzes von Tages- und künstlichem Licht in den Bibliotheken (und anderen öffentlichen Bauten dieser Zeit).
Interessant sind bei dieser Vorstellung aber auch Kontinuitäten, die er im Anschluss an sein vorhergehendes Buch herausstellt. In diesem hatte er gezeigt, dass die Architekten und Bibliotheksplaner der ersten Jahrzehnte des Öffentlichen Bibliothekswesens in Grossbritannien praktisch davon besessen waren, funktionale Gebäude zu planen, die eine möglichst effektive Nutzung als Bibliothek ermöglichten. In den langen 1960ern
allerdings wurden diese Bibliotheken dann vor allem als veraltet, rückwärtsgewandt, historisierend wahrgenommen. Deshalb wurden neue, offene, funktionale Gebäude als notwendig angesehen. Anhand der Zentralbibliothek in Birmingham zeigt Black, wie sehr diese Einschätzung sich wiederholt. Die 1974 als modern und mutig beschriebene neue Bibliothek, welche eine als veraltet angesehene Bibliothek vom Ende des 19. Jahrhunderts ablöste, wurde 2017 abgerissen, weil sie selber als veraltet, unpraktisch und rückwärtsgewandt verstanden wurde. Für die heute gebauten und gelobten neuen Bibliotheksgebäude zeigt das nur, wie sehr sie jeweils von aktuellen Diskursen geprägt sind und wie sehr sie selber Gefahr laufen, in wenigen Jahrzehnten als vollkommen überholt zu gelten. (Wobei einige Gebäude aus den 1960ern, wie Black auch zeigt, weiterhin gut funktionieren.) (ks)
Atkin, Lara; Comyn, Sarah; Fermanis, Porscha; Garvey, Nathan (2019). Early Public Libraries and Colonial Citizenship in the British Southern Hemisphere. (New Directions in Book History) Cham: Palgrave Macmillan, 2019, https://doi.org/10.1007/978-3-030-20426-6
In der Einleitung zu diesem Buch stellen die Autor*innen als Ziel ihrer Geschichte auf, die Entwicklung Öffentlicher Bibliotheken in britischen Kolonien auf der Südhalbkugel (heutiges Südafrika, Singapur, Australien und Aotearoa Neuseeland) im 19. Jahrhundert als Geschichte des Entstehens von Citizenship und lokalen Identitäten zu erzählen, welche die Grundlage späterer nationaler Identitäten legten. Diesen Anspruch können sie nicht ganz einhalten. Sie berichten über die Geschichte von acht Bibliotheken in den genannten Kolonien, gehen auf die Debatten in und über diese ein, über die – aus den gedruckten Katalogen und Berichten der Bibliotheken – abzulesende Bestandsentwicklung und auch die Entwicklung der Frage, was für diese Bibliotheken als öffentlich
galt. Was sie dabei zeigen ist folgendes: (1) Die Entwicklung ist jeweils gleichzeitig lokal und imperial – Basis sind immer die lokale Situation und die Interessen der lokalen Kolonialgesellschaft (zum Beispiel stets, als besonderer Ort gegenüber dem imperialen Zentrum London und den anderen Kolonien zu gelten und gleichzeitig ständig wieder die gleichen Debatten zu führen, wie sie auch aus der Geschichte britischer Bibliothek bekannt sind), (2) die Entwicklung der Bibliotheken ist immer im aufgeklärten
britischen Diskurs des 19. Jahrhundert verankert (zum Beispiel geht es konstant darum, die Arbeitenden anzusprechen und ihnen einen Aufstieg durch Bildung zu ermöglichen, aber gleichzeitig den Zugang zu Bibliotheken einzuschränken gegenüber Personen, denen vorgeworfen wird, gar nicht wirklich lesen zu wollen oder aber – wie gebildeten Frauen – das Falsche zu lesen), (3) die Bibliotheken agieren immer in der kolonialen Situation, also für die europäische
Gesellschaft und die Teile der nicht-europäischen
Gesellschaft, die als an die Zivilisation herangeführt
betrachtet wurden. Der Rest der Bevölkerung wurde praktisch nicht wahrgenommen. All das war zu erwarten und wird hier noch einmal bestätigt. Wirklich neue Erkenntnisse bringt das Buch dagegen leider nicht. (ks)
Towsey, Mark ; Roberts, Kyle B. (edit.) (2018). Before the Public Library. Reading, Community, and Identity in the Atlantic World, 1650-1850 (Library of the Written Word ; 61, The Handpress World ; 46). Leiden ; Boston: Brill, 2018 [gedruckt]
Die hier versammelten Beiträge sind grösstenteils Forschungsbeiträge zu einzelnen Bibliotheken aus Grossbritannien und seinen Kolonien, plus einer Privatbibliothek im kolonialen Brasilien. Gemeinsam haben sie, dass es noch
keine Öffentlichen Bibliotheken sind, wie sie heute in Grossbritannien oder den USA zu finden sind. Allerdings wird davon mit den letzten beiden Beiträgen auch wieder abgewichen, indem die frühe Geschichte der Public Libraries in diesen beiden Ländern besprochen wird.
Beeindruckend ist die Vielfalt der unterschiedlichen Bibliotheken, die vorgestellt werden. Es geht zum Beispiel um private Büchersammlungen und die soziale Funktion des Verleihens von Büchern innerhalb der kolonialen oder urbanen Elite in verschiedenen (heutigen) Ländern. Ebenso werden verschiedene Formen von Subscription Libraries besprochen, die teilweise auch wieder als Ort von Eliten wirkten, beispielsweise vor allem als Clubhaus und weniger als Büchersammlung, teilweise aber auch breit Literatur zur Verfügung stellten. In einem unterhaltsamen Beitrag (von Markman Ellis) geht es um Bibliotheken in Kaffeehäusern und ihre Benutzung. Sichtbar wird, dass Bibliotheken verschiedene Funktionen übernahmen und auch sehr unterschiedlich wirkten, dass aber schon seit der frühen Neuzeit immer wieder neue Bibliotheken eingerichtet wurden. Die Quellen, welche in den Beiträgen ausgewertet werden, sind unterschiedlich: Teilweise liegen Kataloge und Ausleihverzeichnisse vor, teilweise werden Tagebücher genutzt. Der Beitrag zu Kaffeehäusern basiert auf Büchern, die über Ex-Libris und ähnlichen solchen Sammlungen zugeordnet werden können. Teilweise führt das zu langen Listen von Büchern oder kleinteiligen Schilderungen von Entscheidungen in Board Meetings. Das ist, für sich alleine, dann nicht unbedingt erhellend. Zusammengenommen aber zeigt sich, dass Medien offenbar schon seit Jahrhunderten immer im Umlauf waren, dass an die Einrichtung Bibliothek
– nicht nur als Öffentliche Bibliotheken – immer wieder neu Hoffnungen gebunden werden, Wissen zu verbreiten und dass sich trotzdem immer wieder das Freizeitinteresse der Nutzer*innen durchsetzt. (ks)
Hanbury, Dallas (2020). The Development of Southern Public Libraries and the African American Quest for Library Access, 1898–1963. (New Studies in Southern History) Lanham, Boulder, New York, London: Lexington Books, 2020 [gedruckt]
Thema dieser Arbeit ist die Entwicklung des Zugangs von Afroamerikaner*innen zu Leistungen von Öffentlichen Bibliotheken in den Südstaaten der USA, vor allem während der Jim Crow Era und der Zeit der Bürgerrechtsbewegung. In einem Teil des Buches geht es um den historischen Kontext, im anderen Teil um drei Case Studies (Atlanta, Nashville und Birmingham). Es wird gezeigt, dass sich im Süden der USA erst spät überhaupt Öffentliche Bibliotheken entwickelten (oft unter Mitwirkung von Frauenvereinen, die so eine Möglichkeit fanden, in die öffentliche Sphäre zu treten), dass diese dann geprägt waren von viktorianischen Vorstellungen (vor allem, dass Öffentliche Bibliotheken auch Erziehungseinrichtungen seien, die zu Ordnung und Fleiss anregen würden) und selbstverständlich von Rassismus und Segregation. Immer war die Situation für Afroamerikaner*innen schlechter, auch im Bezug auf Öffentliche Bibliotheken, als für Weisse. Der Autor zeigt, dass die Entwicklung durchgehend lokal unterschiedlich und von Widersprüchen geprägt war. So gab es zum Beispiel immer die Frage für Aktivist*innen, ob sie sich für die Desegregation der Öffentlichen Bibliotheken (also den gleichen Zugang für alle) einsetzen sollten oder dafür, dass die für Afroamerikaner*innen unterhalten Bibliotheken (die neben denen für Weisse existierten) gleich gut ausgestattet werden sollten. Oder, dass es immer einige weisse Bibliothekarinnen gab, die versuchten, im Rahmen der Möglichkeiten die Situation für Afroamerikaner*innen zu verbessern, die dann aber bei der Desegregation um ihre Arbeitsplätze in den Bibliotheken fürchteten. Zudem zeigt der Autor mit den drei Case Studies auch, dass es immer Unterschiede bei den konkreten lokalen Situationen gab, obgleich es sich gleichbleibend um rassistische Strukturen handelte.
Der Autor ist Archivar und hat eine historische Ausbildung genossen. Das ist dem Buch auch anzumerken. Zum einen interessiert ihn, die von ihm beschriebenen Entwicklungen in die gesamte Geschichtsschreibung zum US-amerikanischen Süden einzugliedern. Er betont zum Beispiel, dass sie teilweise gegen gängige Periodisierungen stehen. Gleichzeitig bleibt er ganz eng an den Quellen und Archivalien, die er heranzieht. Das hinterlässt oft eine erstaunlich distanzierte Beschreibung. Obgleich er gewalttätige und spannende Geschichten beschreibt, verliert er sich teilweise in der Schilderung von Protokollen von Board Meetings und ähnlichen Quellen. Die Desegregation der drei von ihm beschriebenen Öffentlichen Bibliothekssysteme wird fast als reiner Verwaltungsakt dargestellt. (ks)
van Sluis, Jacob (2020). The Library of Franeker University in Context, 1585-1843 (Library of the Written Word ; 81, The Handpress World ; 62). Leiden ; Boston: Brill, 2020 [gedruckt]
Die Universität in Franeker, einer Kleinstadt in der niederländischen Provinz Friesland / Fryslân, wurde 1585 gegründet, um für den damals neuen Staat benötigte Priester, Lehrer und Anwälte auszubilden. Sie entwickelte sich eher langsam, sowohl inhaltlich als auch personell. Geschlossen wurde sie 1811 von der napoleonischen Regierung. 1815 wurde sie noch einmal als Art Vor-Universität
gegründet, dies aber ohne grossen Erfolg. Endgültig geschlossen wurde sie dann 1843. Heraus sticht, dass im Laufe der Zeit elf Kataloge der Bibliothek gedruckt wurden und ein Grossteil des letzten Bestandes dieser Bibliothek weiter vorhanden ist, allerdings nicht in Franeker sondern in Leeuwarden und Delft. Der Autor, Bibliothekar und Forscher an der nahegelegenen Universität Groningen, nutzte diesen Umstand, um eine detaillierte Studie zur Geschichte von Universität und Bibliothek durchzuführen. (Obwohl nicht ausdrücklich gesagt, geschah dies offenbar im Zusammenhang mit einer Ausstellung in Franeker selber, bei der unter anderem die Bibliothek im Zustand zur Zeit des ersten Katalogs 1626 rekonstruiert wurde [vergleiche https://mainzerbeobachter.com/2018/07/20/land-van-latijn/].)
Der im Titel genannte Kontext ist die gesamte Hochschulgeschichte der Niederlande in der im Buch behandelten Zeit. Gleichzeitig gibt es auch Verweise auf die Entwicklung anderer Bibliotheken. Teilweise wird dieser Kontext recht breit dargestellt. Die gesamte erste Hälfte des Buches beschäftigt sich nur damit und erst die zweite Hälfte mit der Bibliothek selber. Bei der Bibliothek werden nicht nur alle elf Kataloge besprochen und ausgewertet, sondern auch weitere Dokumente hinzugezogen. Beispielsweise erfährt man über die langsame Veränderung der Nutzung der Bibliothek, über einen Diebstahl von Büchern im 17. Jahrhundert – der im Endeffekt zu einer Verbesserung der Organisation der Bibliothek führte – oder den heute noch vorhandenen Schilderungen zum Bibliotheksraum.
Alles das ist erstaunlich tief recherchiert. Es wird dadurch aber teilweise sehr langatmig, auch weil sich in der Bibliothek und der Universität wenig veränderte. Die Nutzungsbedingungen änderten sich zum Beispiel während 250 Jahren praktisch nicht. Zur Wissenschaft selber trug die Universität kaum bei. Innovationen gingen von ihr praktisch nicht aus. Von den Entwicklungen, welche die ganzen Niederlande prägten, abgesehen, war die Entwicklung der Bibliothek eher langsam und gleichmässig. Der erwähnte Diebstahl und die darauf folgende Neuorganisation der Bibliothek stechen schon als Ereignis heraus. (ks)
Klosterberg, Brigitte (Hrsg.) (2021). Historische Schulbibliotheken: Eine Annäherung. (Hallesche Forschungen, 56). Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen Halle, Harrassowitz Verlag in Kommission, 2021 [gedruckt]
Dieser Band vereint die Beiträge zu einem schon 2017 durchgeführten Workshop zu Historischen Schulbibliotheken (in Deutschland), wobei historisch hier grösstenteil 17. bis 19. Jahrhundert heisst. In der Einleitung wird postuliert, dass dieses Feld noch kaum bearbeitet ist und deshalb ein grosses Forschungspotential bietet. Dies stimmt vor allem für die Frage, was eigentlich erforscht werden sollte.
Die ersten drei Beiträge (von Axel E. Walter, Stefan Ehrenpreis und Sebastian Schmideler) machen Vorschläge, die vor allem darauf hinzielen, die Geschichte der Bibliotheken in Schulen in dieser Zeit in der allgemeinen Schul- und Bildungsgeschichte zu verorten. Das wird in den folgenden Beiträgen dann nur zum Teil eingelöst. In diesen werden vor allem einzelne Schulbibliotheken und deren Bestandsgeschichten rekonstruiert. Dabei wird sich sehr oft eng an den vorliegenden Dokumenten und bis heute überlieferten Sammlungen orientiert, was selbstverständlich ein nachvollziehbares, aber wenig erkenntnisförderndes Vorgehen ist. Der Beitrag von Juliane Jacobi zu Bibliotheken in Ritterakademien zeigt dies exemplarisch auf: Sie schildert drei dieser Ausbildungsstätten für den Adel und das, was über den Bestand ihrer Bibliotheken bekannt ist. Am Ende ihres Artikels stellt sie fünf Fragen, die zukünftig bearbeitet werden sollten, zum Beispiel wie Bibliotheken von Schüler*innen genutzt wurden oder wie die Anschaffungspolitik von den Aufgaben der Akademien bestimmt wurde – also die weit interessanteren Fragen, die man sich wünschen würde, dass sie (schon) von ihr angegangen worden wären.
Viele Sammelwerke zu historischen Themen nennen in ihren Vorworten den Anspruch, ein Thema erst einmal umreissen zu wollen. Bei diesem Werk stimmt es: Es ist in weiten Teilen Darstellung der vorhandenen Dokumente und Sammlungen, die für Forschungen über die Nutzung der Bibliotheken und der Bildungsvorstellungen, die sie repräsentierten, als Grundlage dienen können. (ks)
Tygör, Lutz; Friebe, Reiner (2019). Potsdamer städtische Volksbücherei: Vorgeschichte und Gründung. Leipzig: Engelsdorfer Verlag, 2019 [gedruckt]
In dieser Broschüre tragen die Autoren Quellen zur Gründung der im Titel genannten Volksbücherei in Potsdam zusammen. Dabei können sie darauf verweisen, dass die bisherige Literatur dazu unterschiedliche Daten geliefert hat. Mittels Dokumenten aus dem Stadtarchiv Potsdam und Verlautbarungen in der damaligen städtischen Presse können sie zeigen, dass die tatsächliche Gründung 1899 stattfand und dass es gleichzeitig eine Vorgeschichte dieser Gründung gab. Zudem liefern sie Angaben zu an dieser Gründung beteiligten Personen. Der Text liest sich, wie viele Lokalgeschichten sonst auch: Engagiert in der konkreten lokalen Frage, aber kaum darum bemüht, einen über die lokalen Kontext hinausgehenden Zusammenhang herzustellen. Letztlich zeigt sich nämlich, dass die Entwicklung in Potsdam – zuerst die Gründung von Vereinsbibliotheken und (kommerziellen) Leihbibliotheken, dann von Vereinen getragene Bibliotheken für die Öffentlichkeit, zuletzt die Gründung einer Bibliothek und Lesehalle durch die Gemeinde – sich so vollzog, wie auch in vielen anderen deutschen Gemeinden auch. Aber dies muss von den Leser*innen selber geschlossen werden, die Autoren tun dies nicht. (ks)
Mandel, Birgit; Wolf, Birgit (2020). Staatsauftrag »Kultur für alle«. Ziele, Programme und Wirkungen kultureller Teilhabe und Kulturvermittlung in der DDR. (Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement) Bielefeld: transcript Verlag, 2020 [gedruckt]
Dieses Buch will untersuchen, wie in der DDR die Vermittlung von Kultur organisiert war und mit welcher Wirkung dies passierte. Grundthese ist, dass dies grundsätzlich anders organisiert war als heute, dass darüber aber wenig bekannt sei und dass es möglich wäre, aus dieser Geschichte etwas für die heutige Kulturvermittlung zu lernen. Es ist aber keine Untersuchung, sondern eher eine Materialsammlung, welcher der theoretische Rahmen oder Abstand zum Thema fehlt: In einem Kapitel werden vor allem Ausschnitte offizieller Dokumente zitiert, dann in einem weiteren Interviews mit in der Kulturvermittlung in der DDR Tätigen inhaltlich zusammengefasst, gefolgt von Interviews mit Personen, die in der DDR gelebt haben und zuletzt werden die Ergebnisse einer Archivrecherche zu drei Kultureinrichtungen präsentiert. Teilweise sind das Ergebnisse von Studierendenarbeiten, durchgängig wird mit langen Zitaten gearbeitet. Das Fazit ist gegenüber dem (im Vorwort formulierten) eigenen Anspruch dann sehr kurz.
Das Buch zeigt, dass Kulturvermittlung in der DDR grundsätzlich von der Idee ausging, dass eine entwickelte sozialistische Persönlichkeit
sich immer auch kulturell betätigen würde und dass deshalb daraufhin gearbeitet wurde, dies auch zu ermöglichen: Mit früher Kulturbildung, mit massiven Investitionen in die Öffnung von Hochkultur
für alle und in die Entwicklung einer Breitenkultur
, beispielsweise durch ein enges Netz von Kulturhäusern, von kulturellen Zirkeln in den Betrieben oder Verpflichtungen von kulturellen Einrichtungen zur Kooperation mit Betrieben, Schulen und so weiter. Grundsätzlich sei der Kulturbegriff in der DDR sehr breit gewesen und hätte zum Beispiel auch den Sport oder Tourismus umfasst. Zudem sei die Kulturvermittlung von einer Mischung aus Zwang und Freiwilligkeit geprägt gewesen: Immer sei es vordergründig um das Ziel einer sozialistisch entwickelten Persönlichkeit
gegangen, aber in der Realität hätte es auch Freiräume gegeben. Zudem sei Kultur und Geselligkeit eng miteinander verbunden gewesen. Die Erfolge dieser Politik seien unterschiedlich zu bewerten: Die anvisierten Schichten (Arbeiter und Bauern
) seien nur bedingt für die Hochkultur
gewonnen worden, dafür aber seien viele Menschen breitenkulturell tätig gewesen und Kultur in allen Formen eher Teil des normalen Alltags gewesen. Dennoch hätte die Politisierung und der Zwang auch zum Entstehen von subversiven Gegenkulturen geführt.
Erwähnt wird das Buch hier aber, weil (selbstverständlich) auch Bibliotheken in diesem immer wieder vorkommen. Ihnen wird nicht die Aufmerksamkeit wie den Kulturhäusern (die als Eigenheit der DDR beschrieben werden) geschenkt, aber in den Interviews werden sie immer wieder einmal angesprochen. Mit Roswitha Kuhnert ist unter den interviewten Kulturvermittler*innen eine Vertreterin der (Kinder-)Bibliotheken. Sie schätzt die Arbeit der Bibliotheken in der DDR als breitenwirksam ein und betont, dass die politischen Vorgaben offiziell erfüllt, aber in der Praxis auch immer umgangen wurden. Die gesetzlichen Grundlagen der (eigenständigen) Kinderbibliotheken im Jugendfördergesetz werden ebenso kurz vorgestellt. Öffentliche Bibliotheken, so der Eindruck, den die versammelten Materialien vermitteln, waren fester Teil der Kulturvermittlung in der DDR. (ks)
Stühlinger, Harald R. (Hrsg.) (2020). Rotes Wien Publiziert. Architektur in Medien und Kampagnen. Wien, Berlin: Mandelbaum Verlag, 2020 [gedruckt]
Die heutige Wienbibliothek im Rathaus – ehemals Stadtbibliothek, zuvor Städtische Sammlungen – hat als Landesbibliothek den Auftrag, eine möglichst vollständige Sammlung aller Publikationen von Stadt und Land Wien zu betreiben und setzt dies seit über 100 Jahren konsequent um. Auf der Basis dieses Fundus werden regelmässig Ausstellungen im Wiener Rathaus durchgeführt. Diese Publikation zur Bautätigkeit im Roten Wien
– also der Zeit der ersten sozialdemokratischen Alleinregierung in der Stadt von 1918 bis 1934 – mit ihren sozialen Einrichtungen und massiven Gemeindebauten sowie deren Repräsentation in Bildern, Filmen, Plakaten, Büchern und Broschüren, stellt den erweiterten Katalog einer dieser Ausstellung von Ende 2019 bis Anfang 2020 dar. Erstaunlicherweise werden zwar die unterschiedlichen Medien der sich (damals) als eine der fortschrittlichsten verstehenden Stadtverwaltung der kapitalistischen Welt vorgestellt (und teilweise mit zeitgleichen Publikationen aus Amsterdam verglichen), aber Öffentliche Bibliotheken – die selbstverständlich auch in grosser Zahl gebaut wurden, obgleich das Netz der Arbeiterbibliotheken in Wien in diesen Jahren auch ausgebaut wurde – kommen nicht explizit vor. Was sich findet, sind aber Verweise darauf, dass die Ausstellung getragen wird von der langjährigen Sammlungstätigkeit der Wienbibliothek. Zudem gibt es den kurzen Verweis, dass diese Bibliothek in den 1920er und 1930er Jahren die Aufgabe hatte, biographische Auskünfte für die Benennung der Gemeindebauten zu liefern. (ks)
3.5 Buch- und Bibliothekskultur zur Zeit des (europäischen) Mittelalters
Livesey, Steven J. (2020). Science in the Monastery: Textes, Manuscripts and Learning at Saint-Bertin (Bibliologia ; 55). Turnhout: Brepols, 2020 [gedruckt]
Wilkins, Nigel (2018). Le Bibliothèque de l’Abbaye disparue de Notre-Dame de Lyre. (Selbstverlag) [Bruges]: [Aquiprint], 2018 [gedruckt]
Zäh, Helmut ; Pfändtner, Karl-Georg ; Raueiser, Stefan ; Weber, Petra (Hrgs.) (2018). Abtransportiert, verschwunden und wieder sichtbar gemacht: Die Bibliothek Kloster Irsee in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg. (Cimeliensaal ; 3). Luzern: Quaternio Verlag, 2018 [gedruckt]
Alle drei Werke tragen retrospektiv die Bibliothek je eines dominikanischen Klosters zusammen, welche während der französischen Revolution (Notre-Dame de Lyre, Saint-Bertin) beziehungsweise der Säkularisierung in Bayern (Irsee) vom jeweiligen Staat übernommen wurden. Die Bibliotheken wurden aufgelöst und zum Teil in staatliche Bibliotheken überführt, zum Teil in private Hände oder den Antiquariatshandel übergeben oder auch vernichtet. In diesen drei Büchern wird die jeweilige Bibliothek, soweit das aufgrund von Quellen oder Funden in Bibliotheken möglich ist, rekonstruiert. Für Notre-Dame de Lyre und Saint-Bertin liegen dabei hilfreich je eine Liste der Bücher vor, welche bei der Übernahme der Klosterbibliothek in die designierten staatlichen Bibliotheken erstellt wurde.
Die beide Bücher über Notre-Dame de Lyre und Irsee beginnen je mit einem Aufsatz über die Geschichte der jeweiligen Bibliotheken, wobei bei beiden aufgrund der mangelhaften Quellenlage vieles im Dunkeln verbleibt. Bei Wilkins, dessen Buch wie ein Manuskript für den Privatgebrauch wirkt, folgt dann eine lange Liste mit allen bekannten Werken der Bibliothek aus Lyre, inklusive Nachweisen der vorhandenen Exemplare in heutigen Bibliotheken und Sammlungen. Abgeschlossen wird das Buch dann von Bildern dieser Werke. Das Buch von Zäh et al., welches die Begleitpublikation zu zwei Ausstellungen zur Bibliothek in Augsburg war, ist aufwendiger gestaltet. Hier werden 48 Publikationen in Bild und Text (je ein bis zwei Textseiten) vorgestellt und kontextualisiert sowie auf die Exemplare und, wenn vorhanden, Digitalisate hingewiesen. Livesey liefert auch einen kommentierten Katalog ausgewählter Bücher aus der Bibliothek in Saint-Bertin, welche heute noch zugänglich sind. Der einleitende Text interpretiert diese Bücher, inklusive der enthaltenen handschriftlichen Kommentare, als Arbeitsmittel für Bildung und Wissenschaft, wie sie im Kloster betrieben wurde. Er interpretiert ausgewählte Bücher, indem er sehr tief in die Anmerkungen und Nutzungsspuren eingeht und verortet sie im Wissen darüber, wie Bücher in Klöstern des Spätmittelalters und speziell in Saint-Bertin genutzt wurden.
Alle drei Werke gehören in den offensichtlich vorhandenen Trend von Publikationen, welche versuchen, mittelalterliche und frühneuzeitliche Klosterbibliotheken wieder sichtbar zu machen. (ks)
Behrens-Abouseif, Doris (2019). The Book in Mamluk Egypt and Syria (1250-1517): Scribes, Libraries and MarketI. (Islamic History and Civilization: Studies and Texts, 162) Leiden; Boston: Brill, 2019 [gedruckt]
Hirschler, Konrad (2020). A Monument to Medieval Syrian Book Culture: The Library of Ibn ’Abd al-Hādī. (Edinburgh Studies in Classical Islamic History and Culture). Edinburgh: Edinburgh University Press, 2020 [gedruckt]
Diese beiden Werke bieten Einblick in die intellektuelle Kultur, inklusive Buch- und Bibliothekskultur, im heutigen Ägypten und Syrien zur Zeit der Herrschaft der Mamluken. (Wie im Titel des Werkes von Behrens-Abouseif angegeben als 1250–1517 europäischer Zeitrechnung.) Sie zeigen dabei eine Kultur, die intensiv mit Texten, dem Schreiben, Lesen, Sammeln und Verbreiten von Wissen beschäftigt war, entsprechende Strukturen ausbildete und gleichzeitig an diese Epoche und ihre Interessen – in einer Zeit der Konsolidierung muslimischer Herrschaft und eines religiösen Kanons – gebunden war.
Das Buch von Behrens-Abouseif liefert eine Zusammenschau des vorhandenen Wissens zum Themengebiet. Es bietet eine gute Übersicht, um in das Thema einzusteigen. Sie beschreibt unter anderem Bibliotheken und Büchersammlungen, aber auch das heute vorhandene Wissen um damalige Möglichkeiten des Verleihs und Kopierens von Büchern. Sichtbar wird, wie sehr dieses Sammeln und Verleihen Teil des intellektuellen und religiösen Lebens war. Gleichzeitig zeigt das Buch auch, dass im Bezug auf Medien andere Schwerpunkte als heute gesetzt wurden, beispielsweise in den beiden langen Kapiteln über Kalligraphie und Kalligraphie-Schulen.
Hirschler untersucht eine massive Sammlung von Büchern aus der Endzeit der Herrschaft der Mamluken, die zu einem grossen Teil noch bis zum aktuellen Bürgerkrieg in Syrien in Damaskus zugänglich war. Diese wurden von einem Gelehrten angelegt, der vor allem lokale Bedeutung hatte und mit ihr auch die Kultur einer verblassenden religiösen Tradition dokumentierte. Die Sammlung überlebte bis in heutige Zeit, weil sie keine handwerklichen Meisterwerke beinhaltete, sondern als Ansammlung gebundener, selbstgeschriebener Broschüren daherkommt. Dennoch gibt es hinter ihr einen Plan. Hirschler rekonstruiert anhand von Nutzungsspuren in den Dokumenten und einer historischen Kontextualisierung die dahinterstehende intellektuelle Nutzung, beispielsweise die Tradition des wörtlichen Vortrags von Texten, die anschliessend in den Dokumenten selber vermerkt wurde. Dem eigentlichen inhaltlichen Teil von 170 Seiten schliessen sich einige hundert Seiten an Dokumentation des Katalogs dieser Sammlung und Digitalisaten an.
Zusammen zeigen beide Bücher auch, wie ähnlich und doch anders diese Buch- und Bibliothekskultur zur damaligen (oder heutigen) in Europa ist. Wie immer ist daraus auch zu lernen, wie spezifisch unsere
Buch- und Bibliothekskultur zu unserer Zeit und unserem Ort in der Welt ist. (ks)
4 Social Media
Dobusch, Leonhard (2020): Kein Open-Access-Deal, dafür mit Spyware gegen Schattenbibliotheken? In: netzpolitik.org. https://netzpolitik.org/2020/neues-vom-grossverlag-elsevier-kein-open-access-deal-dafuer-mit-spyware-gegen-schattenbibliotheken/, zuletzt geprüft am 17.02.2021
Im Sommer 2018 brach Elsevier die Verhandlungen über mögliche neue Open-Access-Publikationsmodelle im Rahmen des DEAL-Projektes ab und weigert sich seitdem, diese wieder aufzunehmen. Mitglieder von wissenschaftlichen Einrichtungen umgehen das Problem, aktuell keinen Zugang zu den Publikationen des Verlags zu haben, indem sie auf Schattenbibliotheken, wie zum Beispiel Sci-Hub, zurückgreifen. Für wissenschaftliche Einrichtungen bieten Schattenbibliotheken eine gewisse Kompensation fehlender oder zu teurer Zugänge, wenn es um den Zugang zu Publikationen von Großverlagen geht. Anstatt sich mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf neue Open-Access-Modelle zu konzentrieren und mögliche Verträge auszuhandeln, will Elsevier gegen Cybercrime
vorgehen und dazu zählt der Verlag auch Schattenbibliotheken. Für diesen Zweck wurde mit anderen Verlagen die Scholarly Networks Security Initiative (SNSI)
gegründet. (kfk)
Yannick Paulsen (2020): Der aktuelle Stand deutscher Hochschulbibliographien an Universitäten. In: Gemeinsamer Blog der DINI AGs FIS & EPUB, 16.11.2020, https://blogs.tib.eu/wp/dini-ag-blog/2020/11/16/stand-hochschulbibliographien-universitaeten/
Yannick Paulsen stellt in einem Blogbeitrag die Ergebnisse eines studentischen Projekts an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig vor, welches sich mit Hochschulbibliographien an deutschen Universitäten beschäftigte. Die Untersuchung, welche sich methodisch auf eine Kombination von Befragung und der Auswertung von Webseiten beziehungsweise Systemen stützte, beleuchtet Fragen der Art des Zugangs zur Bibliographie, der organisatorischen Zuständigkeiten und Abläufe sowie der Einbettung in den universitäten Kontext. (mv)
Twitter: Uni of York Library (@UoYLibrary) https://twitter.com/UoYLibrary/status/1389508509339996166?s=20
Eine Frage, die sich (nicht nur) in Pandemie-Zeiten stellt: Warum gibt es das Buch123 nicht als E-Book über die Bibliothek? Die Bibliothek der Universität York gibt einen Überblick über die Gründe, die in der Fachcommunity wohl hinlänglich bekannt, aber dadurch nicht weniger verstörend sind: Neben fehlenden Lizenzangeboten für Bibliotheken (im Gegensatz zu Angeboten für Privatpersonen – eine Geschäftsentscheidung der Verlage) ist es vor allem die eklatante Preispolitik (häufig bei gleichzeitiger Beschränkung der zulässigen Anzahl paralleler Nutzer*innen), welche einen Medienerwerb verunmöglichen, der dem 21. Jahrhundert angemessen wäre. (mv)
Wissen, Dirk. Technische Hochschule Wildau: RoboticLab (Studiengang Telematik): Auf einen Espresso mit Wilma: Interview von Dirk Wissen mit dem humanoiden Roboter Wilma. aufgerufen am 24.11.2020. https://icampus.th-wildau.de/icampus/home/de/roboticlab.
Dirk Wissen, Herausgeber der Fachzeitschrift BuB: Forum Bibliothek und Information, führt in der Hochschulbibliothek der TH Wildau ein circa neunminütiges Interview mit dem humanoiden Roboter Wilma. Wilma gibt dabei ausführlich Auskunft zu wesentlichen Fragen über Aufgaben, Wesen und Zukunft von humanoiden Robotern in Bibliotheken. Eingesetzt als Assistenzsystem soll sie die Mitarbeitenden der Bibliothek unterstützen und entlasten. Derzeit führt sie schon ganz autonom Bibliotheksführungen durch oder erzählt gestressten Nutzenden zur Entspannung kurze Witze. Perspektivisch soll Wilma weitere Aufgaben übernehmen: Als Informationssystem für die Bibliothek könnte sie in den Abend- und Morgenstunden das Fehlen von Fachpersonal kompensieren, so dass Studierende und Mitarbeitende der Hochschule die Bibliothek an sieben Tagen 24 Stunden nutzen können. (dg)
5 Konferenzen, Konferenzberichte
[diesmal keine Beiträge]
6 Populäre Medien (Zeitungen, Radio, TV etc.)
Copper, Quintin (2021): Eine Wiederaneignung – Die Soziologin Nina Degele bekennt sich offensiv zu Politischer Korrektheit. In: Neues Deutschland, 23.01.2021, https://www.neues-deutschland.de/artikel/1147320.political-correctness-eine-wiederaneignung.html
Der Artikel gibt dem Lesenden Aufschluss darüber, wann und in welchem Kontext der Begriff Political Correctness
entstanden ist und darüber hinaus, welches Gewicht er in der jetzigen Debatte hat. Inhaltlich entstand der Begriff in den USA zusammen mit den Bürgerrechtsbewegungen in den 1960er Jahren. Prägend waren in den meisten Fällen Schwarze Menschen und später Frauen. In den populären Wortschatz ging der Begriff durch eine Rede von Georg Bush über, der damit linke Bewegungen abwerten wollte. Heute gilt Political Correctness
als Begriff einer Bewegung, wird zur Selbst- und Fremdpositionierung verwendet und steht im Kern zahlreicher öffentlicher Diskussionen. Generell hat der Begriff Political Correctness
das Potential für eine Grundlage, um über Veränderung debattieren zu können – Stichwort Wiederaneignung
. Mit einer Debatte vollzieht sich im besten Fall auch diese Veränderung. Nina Degele sagt dazu: Das Reden [über dieses Thema] bewirkt, dass überhaupt Denkräume geöffnet werden, dass Dinge selbstverständlicher werden, die dann auch einfacher umgesetzt werden können.
Die Verwendung Political Correctness
als Streitbegriff findet sie richtig, jedoch nur im Sinne dieser Wiederaneignung, um das emanzipatorische Potenzial und die Reflexion der eigenen Privilegien zu fördern. (gs)
Clark, Anthony (2021). Will There Be a Trump Presidential Library? Don’t Count On It. In: Politico, 22.01.2021, https://www.politico.com/news/magazine/2021/01/22/trump-presidential-library-plans-461383.
Schon 2016 stellten erschreckt viele Bibliothekar*innen fest, dass es dann wohl irgendwann auch eine Trump Presidential Library
geben wird, welche die Bedeutung der Präsidentschaft Donald Trumps in weite Zukunft positiv darstellen würde. Einfach, weil es Tradition ist, dass US-amerikanische Präsidenten solche Einrichtungen etablieren.
Anthony Clark, der als Experte für Presidential Libraries
vorgestellt wird (er hat ein Buch zu ihnen geschrieben) sagt etwas anderes voraus: Trump wird es nicht schaffen, eine solche Bibliothek einzurichten und schon gar nicht, sie in die Verantwortung des National Archives zu übergeben. Es ist zu teuer, mit zu viel Aufwand verbunden und bedarf Durchhaltevermögen. Im Artikel erfährt man auch, dass schon Präsident Obama von der Tradition solcher Bibliotheken abgewichen ist und es wohl zukünftig für Präsident Biden und seiner Nachfolger*innen noch schwieriger sein wird, diese fortzusetzen. (ks)
o. A. (2021). Gutes Konzept in Krisenzeiten: Stadtbibliothek bekommt 750 Euro. In: Wolfsburger Allgemeine, 09.02.2021, S. 15.
Die Stadtbibliothek Wolfsburg erhielt als eine von zehn Bibliotheken in Niedersachsen zusätzliche Fördermittel in Höhe von 750 Euro. Diese werden vom Deutschen Bibliotheksverband zur Förderung von Bibliotheken in Krisenzeiten
bereitgestellt und sollen das Engagement der Bibliothek bei der Bewältigung der Corona-Pandemie
würdigen. Die Aktivitäten zu dieser Bewältigung zählten ein frühzeitig eingerichteter Abholservice für Medien und ein Ausbau des Bestands an Online-Medien. Dass die Nachfrage hoch ist, zeigen die Steigerungszahlen bei den Zugriffen auf digitale Angebote: das Angebot von Pressreader verzeichnete eine Steigerung von 50 %, die NAXOS-Library 30 % und Munzinger immerhin 5 %. Den höchsten Zuwachs gab es bei den BROCKHAUS-Daten mit 130 %. Sehr offensichtlich schlägt also der Bedarf nach entsprechenden Informationen durch das Home-Schooling durch. Die Fördermittel möchte die Bibliothek in Angebote zur Unterstützung von Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen investieren. Zudem wird die App Tigerbooks
für diese Zielgruppen lizensiert. (bk)
Engelmark, Siv (2021). Vi vill få ner kostnaderna för publiceringar. In: Curie / https://www.tidningencurie.se/, 3.5.2021, https://www.tidningencurie.se/nyheter/2021/05/03/vi-vill-fa-ner-kostnaderna-for-publiceringar/.
Der schwedische Hochschulverbund SUHF hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die eine Strategie zur Frage erarbeiten soll, wie das Open-Access-Publizieren nach 2024 sichergestellt werden kann – und dass ohne die Transformationsverträge fortzuführen, die schwedische Forschungseinrichtungen im Rahmen des nationalen Bibsam-Konsortiums abgeschlossen haben. Hintergrund ist die Befürchtung, dass die Verlage an den jetzt befindlichen Modellen festhalten wollen und ergo Forschungseinrichtungen dauerhaft für den Zugang und das OA-Publizieren zahlen, während auch weiterhin ein Teil der Artikel (in den hybriden Zeitschriften) closed access bleibt. Ziel ist also de facto die Transformation des Publikationsmarktes hin zu Open Access – konkret will man 100 % Open Access, zu niedrigeren Kosten und mit einem transparenten Preismodell
. Wichtig ist wohl vor allem der Hinweis zu niedrigeren Kosten
. Die vorhandenen Transformationsverträge werden als Werkzeug für den Übergang eingeschätzt (sie haben die Forschungseinrichtungen zunächst in die Lage versetzt, einen Überblick über die Gesamtkosten zu erhalten – zuvor wurden Open-Access-Gebühren weitestgehend dezentral finanziert); nun aber wird es Zeit für den nächsten Schritt (denn Teil der Transformationsverträge ist eine vertraglich vereinbarte Preissteigerung von bis zu 10 % pro Jahr – was über längere Zeit nicht finanzierbar ist).
2024 ist vor allem mit Blick auf Plan S ein wichtiges Datum; nur bis dahin gelten Übergangsfristen, so dass Artikel in hybriden Zeitschriften noch compliant sind, sofern sie im Rahmen eines Transformationsvertrages Open Access publiziert werden. Die schwedischen Forschungseinrichtungen haben also die Ziele der coalition S fest im Blick. Die anvisierte Strategie soll dann als Fahrplan bei der Verhandlung der nächsten Verträge mit Verlagen dienen; es wurde aber auch angekündigt, mit einigen Verlagen schon dafür erste vorbereitende Gespräche für Folgeverträge führen zu wollen.
Die Arbeitsgruppe soll spätestens im Herbst 2023 einen Vorschlag für die neue Strategie präsentieren; dieser dürfte dann auch für andere Länder von Interesse sein. (mv)
Anna-Seghers-Bibliothek (2020). Makerspace Robo und Faden
– Textiles Gestalten in der Anna-Seghers-Bibliothek. https://www.youtube.com/watch?v=_C5-SUCohdM.
In dem etwa sechsminütigen YouTube-Video wird der Makerspace Robo und Faden
vorgestellt. Er befindet sich in der Anna-Seghers-Bibliothek in Berlin Neu-Hohenschönhausen. Im Makerspace kann man mit diversen Stick- und Nähmaschinen, einem 3D-Drucker und anderen Geräten und Werkzeugen rund um das Thema textiles Gestalten
arbeiten. Gedacht ist der Makerspace für alle, denen die Mittel fehlen, um eigene Ideen und Projekte umzusetzen. Aber auch Leute ohne konkrete Projektideen sind eingeladen im Makerspace kreativ zu werden. Es gibt sowohl für Anfänger als auch Fortgeschrittene die Möglichkeit sich auszuprobieren.
Um die Maschinen für eigenständige Projekte nutzen zu können, benötigt man einen gültigen Bibliotheksausweis des VOEBB, muss an einer kostenlosen Einweisung teilnehmen und die Nutzungsbedingungen unterschreiben. Danach steht der Makerspace frei zur Verfügung. (pf)
dpa (2020). Lesen unterm Sonnenschirm. Bibliotheken ziehen erste Bilanz. In: Berliner Morgenpost, 14.12.2020. https://www.morgenpost.de/berlin/article231135594/Bibliotheken-im-Krisenjahr-Plus-bei-Online-Angeboten.html.
Für den Artikel Lesen unterm Sonnenschirm: Bibliotheken ziehen erste Bilanz
wurde die Sprecherin der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB), Anna Jacobi, dazu befragt, wie sich die Corona-Pandemie auf die Bibliothek auswirkte. Jacobi blickt positiv auf das Jahr 2020 zurück. Die Herausforderungen, die das letzte Jahr gebracht hat, konnten mit kreativen Ansätzen bewältigt werden. Zwar konnten Besucher*innen nicht in den Bibliotheken arbeiten. Stattdessen wurden vor der Bibliothek Liegestühle und andere Sitzgelegenheiten bereitgestellt, die die Besucher*innen dankend benutzten. Die Dienste, die nicht vor Ort umgesetzt werden konnten, wurden so gut es ging in digitaler Form angeboten. Alles in allem, so ihr Fazit, haben sich alle Betroffenen mit der aktuellen Lage arrangiert und das Beste aus ihr gemacht. (pf)
Savage, Sam (2009): Firmin. Adventures of a Metropolitan Lowlife. London: Phoenix, 2009. [gedruckt]
In einer Buchhandlung zu leben und dort nach Herzenslust lesen zu dürfen, ist für viele Bücherliebende sicherlich eine traumhafte Vorstellung. Für Firmin ist dieser Zustand die Wirklichkeit, denn er ist eine buchstäbliche Leseratte – also tatsächlich eine Ratte, die liest – und lebt in einem alten Buchladen in Boston. Ausgestattet mit einem enormen Lesehunger verschlingt Firmin wortwörtlich viele Werke der Weltliteratur und beschäftigt sich intensiv mit der fiktionalen Welt. Trotzdem fühlt er sich einsam, da er seine Leidenschaft mit niemandem teilen kann. Seine Familie verlässt ihn wegen seiner für eine Ratte sehr ungewöhnlichen Literaturbegeisterung und so hofft Firmin, sich eines Tages wenigstens mit dem Buchhändler Norman Shine verständigen und anfreunden zu können. Doch dann droht die alteingesessene Buchhandlung ein Opfer der Gentrifizierung zu werden. Firmin
ist eine charmante Verneigung vor der Literatur und zeigt, wie sie das Leben bereichern kann. (ne)
Sielmann, Lara (2021) Baynatna
ist die erste arabische Bibliothek in Berlin. In: Tagesspiegel am 08.01.2021. URL: https://www.tagesspiegel.de/berlin/zwischenklassik-undmoderne-baynatna-ist-die-erste-arabische-bibliothek-in-berlin/26773926.html.
Seit 2018 ist im Ribbeck-Haus in Berlin-Mitte unmittelbar neben der Zentral- und Landesbibliothek eine arabische Bibliothek angesiedelt. Sie heißt Baynatna
, was aus dem Arabischen übersetzt Unter uns
bedeutet. Die Bibliothek entstand im Rahmen eines Programms namens Zusammenkunft
des Zentrums für Kunst und Urbanistik (ZK/U) und dem Wunsch nach einem Ort für arabisch stämmige Berliner*innen, an dem frei diskutiert und sich speziell hinsichtlich arabischer Literatur und Literatur auf Arabisch informiert werden kann. Der Bestand generierte sich hauptsächlich durch Bücherspenden und umfasst mittlerweile über 3500 Exemplare. Gleichzeitig versteht sich die Bibliothek als Veranstaltungsort. Er bietet ein vielseitiges, interkulturelles Angebot und war bereits zweimal Veranstaltungsort für die Arabisch-deutschen Literaturtage. 2020 wurde die Bibliothek zudem mehrfach für ihr soziales und kulturelles Engagement ausgezeichnet. Baynatna
ist eine vielversprechende, aufstrebende Bibliothek, die einen wichtigen Beitrag für Kultur und Vielfältigkeit in Berlin leistet. (ak)
Denkmalstürze? Black Lives Matter und Postkolonialismus in der Popkultur (2020). https://www.arte.tv/de/videos/093211-019-A/tracks.
Artes Popkulturmagazin Tracks widmet sich dem Thema des Dekolonisierens öffentlicher Räume. Blinde Flecken deutscher Geschichte werden durch die Aktivist*innen für die Öffentlichkeit sichtbar. Ein Denkmal Bismarcks in Kamerun wird künstlerisch so inszeniert, dass sein Geist aus dem Land vertrieben wird. Bismarck, so die Kuratorin Pascale Obolo, zog die Grenzen Kameruns zur Zeit der Kolonisierung. In Deutschland hingegen politisiert sich ein Teil der Graffitiszene. Illegal wird ein Berliner U-Bahnhof zu einem Ort des Erinnerns der deutschen Kolonialgeschichte umgestaltet. Weitere Akteure des Beitrags sind das aktivistische Künstlerkollektiv Rocco und seine Brüder
. Ein Plakat im Berliner Stadtraum lenkt die Aufmerksamkeit auf den Genozid an den Nana und Hereros. Der Versuch einer Wiedergutmachung durch die Bundesregierung wird ironisch inszeniert. Die Regierung in Windhuk lehnte die Zahlung von zehn Millionen Euro für den Mord an über 80.000 Menschen ab. Das Format zeigt, wie geschichtliche Aufarbeitung und Dekolonisierung auch popkulturell aufgegriffen werden. (fj)
Wiedemann, Charlotte (2019). Der lange Abschied von der weißen Dominanz. ttt – titel, thesen, temperamente. Dokumentarfilm. https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/videos/Der-lange-Abschied-von-der-weissen-Dominanz-wiedemann-senudng-vom-17112019-video-100.html.
Die Sachbuchautorin Charlotte Wiedemann stellt die Mechanismen des Weiß-seins
als Machtposition dar. Aus diesem Blickwinkel wird die Darstellung und Aufarbeitung der Geschichte reflektiert. Weißes Erbe gilt es aufzuarbeiten und neu einzuordnen
und dieser Aufarbeitungsprozess schafft ein Bewusstsein für tief verankerte Machtverhältnisse
. Ein Beispiel ist die Verteilung der weltweiten Finanzen. Trotz vorhandener Ressourcen im globalen Süden ist der Wohlstand im globalen Norden zu finden. Die weiße Dominanzgesellschaft ist auch eine von Unterdrückern und Herrschenden. Das Übernehmen von Verantwortung und eine Distanzierung von einer primär eurozentrischen Sichtweise wäre ein Anfang. (fj)
7 Abschlussarbeiten
Haupka, Nick (2021). Analyse der Entwicklung des Open Access-Discovery-Services Unpaywall seit 2018. https://doi.org/10.25968/OPUS-1899.
Hobert, A., Haupka, N., & Najko, N. (2021). Entwicklung und Typologie des Datendiensts Unpaywall. Preprints 2021 der Zeitschrift BIBLIOTHEK – Forschung und Praxis, https://doi.org/10.18452/22728.
In seiner Bachelorarbeit an der Hochschule Hannover beschäftigt sich Nick Haupka mit dem Datendienst Unpaywall, der seit dem Start 2017 (damals noch unter dem Namen oaDOI) quasi unerlässlich für alle geworden ist, die den Anteil und die Art des Open Access für eine bestimmte Menge an Publikationen untersuchen wollen, oder Daten zu OA-Status und Links zu OA-Versionen in eigenen Such- beziehungsweise Discovery-Systemen einbinden wollen. (In der LIBREAS nutzen wir Unpaywall unter anderem für die vorliegende Kolumne, um gezielt frei zugängliche Versionen direkt verlinken zu können, sollte die Publikation nicht über den Verlags selbst Open Access sein.) Nick Haupka wertete Unpaywall-Daten aus verschiedenen Zeiträumen aus; entsprechend kann er zu verschiedenen inhaltlichen Entwicklungen (zum Beispiel wie sich die Anteile der verschiedenen OA-Farben
über die Zeit entwickelt haben) wie auch methodischen Aspekten (Veränderung des Unpaywall-Datenschemas, die Behandlung sogenannter Paratexte) Schlüsse ziehen.
Die Ergebnisse der Untersuchung, welche dieser sehr lesenswerten Abschlussarbeit vorausgegangen ist, werden auch in der Zeitschrift Bibliothek: Forschung und Praxis präsentiert (aktuell als Preprint verfügbar). (mv)
8 Weitere Medien
Colovini, Leo (studiogiochi); Streese, Folko; Kreativbunker (2020). Die verlassene Bibliothek. Ein Escape-Spiel. Kempen: moses. Verlag GmbH [Brettspiel].
Bei Escape- oder Exit-Spielen für zuhause handelt es sich zumeist um Brett- oder Kartenspiele, welche auf Rätseln basieren. Diese Rätsel müssen gelöst werden, um, meist innerhalb einer vorgegebenen Zeit, aus einem Raum oder einer Situation zu entkommen und somit das Spiel zu gewinnen
.
Im Fall von Die verlassene Bibliothek
muss man in einem Team von bis zu vier Personen aus einer plötzlich verschlossenen Bibliothek entkommen. Es müssen alle 18 Aufgaben gelöst werden, um den Code für die Ausgangstür des Gebäudes zu finden und somit entkommen zu können. Das Setting der Bibliothek scheint zunächst sehr ansprechend, jedoch sind die Aufgaben eher mathematischer Natur, was für manche das Spielerlebnis trüben könnte. (jlb)
Amer, Karim ; Noujaim, Jehane (2019). The Great Hack. Cambridge Analytica großer Hack. [Dokumentarfilm]
Sind wir übers Netz manipulierbar? Im Frühjahr 2018 kommt es zu einem großen Datenskandal von Facebook und dem Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica, bei dem die persönlichen Daten von mehr als 85 Millionen Facebook-Nutzern für politische Zwecke ausgewertet und missbraucht werden. Der wahre Einfluss der Firma bleibt zwar umstritten, fest steht jedoch, dass sie zu Zeiten der Brexit-Abstimmung 2016 und des US-Wahlkampfes 2016 große Datenmengen dazu nutzte, um mit Hilfe von Online-Kampagnen und Anzeigen die Meinung der Menschen zu beeinflussen und zu manipulieren. Der Film ist als Weckruf für alle gedacht, die noch nicht begriffen haben, dass die eigenen Daten in den falschen Händen zu einer Waffe werden können. Wer von Ihnen hat schon mal eine Werbeanzeige gesehen, bei der er gedacht hat, das Mikrofon seines Smartphones hat gerade mitgehört? – Sie glauben, wir werden belauscht? Tatsächlich ist es aber so, dass ihr Verhalten richtig kalkuliert wird
, sagt der Medienwissenschaftler David Carroll. Eine denkbare Rolle der Bibliothek besteht darin, die Medienkompetenz der Menschen dahingehend zu schulen, dass sie um die Manipulierbarkeit von Social Media wissen und sich davor schützen. (lf)
Die Comicbibliothek Renate
, Tucholskystr. 32, 10117 Berlin. http://www.renatecomics.de/sites/kurse.htm.
Wer Comics mag, kennt wahrscheinlich auch Renate, die Comicbibliothek. Diese spezielle Bibliothek ist im Herzen von Berlin zu finden, wird mit viel Liebe von Ehrenamtlichen geführt und hat über die Jahre über 15.000 Bände angesammelt. Im Jahr 1989 wurde Renate als Fanzine von Comicinteressierten gegründet. Sie ist bis heute die einzige reine Comicbibliothek in Deutschland. Inzwischen gehört zur Comicbibliothek auch ein kleiner Shop, ein Magazin, das einmal im Jahr erscheint, ein Kurs, der einmal im Monat angeboten wird und ein Blog, der regelmäßige und interessante Einträge über die Comicwelt veröffentlicht. Der Laden zur Bibliothek bietet viele weniger bekannte Comics auf Französisch, Spanisch aber auch auf Deutsch und Englisch an. Diese selteneren Stücke stammen vor allem von Midi- und Miniverlagen. Durch diesen Verkauf wird der Erhalt von der Bibliothek Renate gesichert. Der monatliche Kurs gibt den Teilnehmer:innen die Möglichkeit, mehr über die Comic-Kunst zu lernen. Hier werden Techniken zur Figurenentwicklung und Spannungsbogen vermittelt. Zum Schluss entsteht immer ein neues Comicheft. Diese sehr besondere Bibliothek arbeitet oft mit Schulen zusammen, damit die Comicwelt auch für die nächste Generation interessant bleibt. (kfk)
Schuldt, Karsten (2020). Katastrophenplanung für Öffentliche Bibliotheken. Eine Literaturübersicht. Schweizerisches Institut für Informationswissenschaft, 21.06.2020. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0290-opus4-173908.
In seinem Vortrag präsentiert Karsten Schuldt eine Literaturübersicht zur Katastrophenplanung für öffentliche Bibliotheken. Seine Recherche ergab, dass Katastrophenplanung und ein Training für öffentliche Bibliotheken zwingend notwendig sind, um im Ernstfall einen geregelten Ablauf sicherzustellen. Auch sollen größere Bibliotheken kleinere unterstützen, so dass im Ernstfall auch diese reagieren können und wissen, wer im Ernstfall welche Aufgaben übernimmt. Unterstützungen können in den Bereichen der Community, Bildung und des Trainings erfolgen. Während des Vortrags zählt Karsten Schuldt einige Katastrophenszenarien auf: Naturkatastrophen, gesellschaftliche Auseinandersetzungen, Pandemien aber auch Wasserschäden, die in der Einrichtung selbst auftreten. Zudem spielen der Faktor Mensch und sein Verhalten während einer solchen Katastrophe eine entscheidende Rolle. Eine Planung sollte sich an zwei Zielen ausrichten: 1. die Wahrscheinlichkeit des Überstehens einer Krise zu steigern, 2. mögliche Schäden klein halten, damit eigentliche Funktion eines Betriebs schnellstmöglich wiederhergestellt werden kann. Hierfür kann das Verfahren der Modellierung von Katastrophenszenarien herangezogen werden. (kmg)
Nguyen-Kim, Mai Thi (maiLab) (2020). Corona hat meine Meinung geändert. https://www.youtube.com/watch?v=Nn2rJrKwENI.
Mai Thi Nguyen-Kim ist enttäuscht. Vor Corona war sie der festen Überzeugung für mehr wissenschaftliche Aufklärung bräuchte es mehr Wissenschaftler*innen in den Medien. Corona hätte sie eines besseren belehrt. Ein Problem ist, dass die Expertise von Wissenschaftler*innen häufig unangefochten bleibt, doch diese auch nur Menschen sind und somit menschlichen Fehlern unterliegen. Daher ist es immer wieder nötig Kontrollinstrumente einzuführen um sichere und neutrale Wissenschaft zu erzeugen. Zu dieser gehören die Überprüfung der wissenschaftlichen Methoden, die kritischen Kolleg*innen und die Kontextualisierung des eigenen wissenschaftlichen Beitrags. Das funktioniere innerhalb des Wissenschaftssystem recht gut, in der breiten Öffentlichkeit jedoch weniger. Hier erfahren diese Expert*innen
, ohne weitere Kontrollen für ihre These meist mehr Glaubwürdigkeit als andere Akteur*innen, was für die Durchsetzung persönlicher Meinungen und Ideologien genutzt werden kann. Dies wird durch die Medien verstärkt, die häufig ausschnittshaft kontroverse Meinungen öffentlichkeitswirksam inszenieren. Wie man am Beispiel des Diskurses um COVID-19 sehen kann, sorgt dieses unhinterfragte Vertrauen für eine zusätzliche Verwirrung. Deshalb braucht es eine Qualitätskontrolle der Wissenschaftskommunikation.
Überzeugend ist für mich das Feingefühl, das die Wissenschaftsjournalistin bei der Kombination aus wissenschaftlicher Genauigkeit und unterhaltender Erzählung anschlägt. Mai scheut sich nicht vor umgangssprachlichen Begriffen wie Bullshit
oder Knalltüte
. Auch ihre Beispiele, etwa die detaillierten Überlegungen über eine Studie zur Wirksamkeit von Stangenlauch zur Coronaheilung
, wirken erst einmal absurd. Die Journalistin schafft es jedes dieser Beispiele wissenschaftlich Kontrollmechanismen sauber zu analysieren und anschließend zu übertragen, so dass es ihr gelingt auch vermeintlich komplizierte Sachverhalte verständlich zu erklären. Gestützt wird ihre Argumentation durch eine umfassende Quellenliste unter ihren Videos. Zudem überzeugt Mai immer durch kontinuierliche Selbstreflektion. In einer ganzen Sequenz ordnet sie ihre eigene journalistische Arbeit ein und findet immer wieder elegant Lösungen bei Kontroversen nicht den Verursacher*innen selbst, sondern den wissenschaftlichen Kontexten eine Bühne zu geben. (vs)