> > > LIBREAS. Library Ideas # 13

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Eine bibliothekarische Unkonferenz – das Bibcamp 2008


Zitiervorschlag
Ingo Caesar, Sabine Kobold, Anastasia Schadt, "Eine bibliothekarische Unkonferenz – das Bibcamp 2008. ". LIBREAS. Library Ideas, 13 ().


Spannende Themen, interessante Teilnehmer, familiäre Atmosphäre und hitzige Diskussionen – all dies konnte man bei der ersten bibliothekarischen Unkonferenz im deutschsprachigen Raum erleben. Das Bibcamp fand am 16. und 17. Mai 2008 unter dem Motto „Bibliothek 2.0 – von der Theorie zur Praxis“ in der Humboldt-Universität zu Berlin und der Fachhochschule Potsdam statt. Interessierte aus ganz Deutschland beteiligten sich eifrig an den Diskussionen und Workshops.

Die Besonderheit der Konferenz bestand in ihrer Form: Es gab weder Zuschauer noch Vortragende im ursprünglichen Sinne. Alle hatten die Chance aktiv mitzuwirken, Fragen zu stellen und sich einzubringen. Auch Teilnehmer, die noch nicht in der Szene etabliert sind, hatten die Möglichkeit, ihr Statement abzugeben und Diskussionsrunden anzuleiten. Dadurch entstand eine sehr heterogene Gemeinschaft, in der auch Kritik geäußert werden durfte und jeder noch etwas dazu lernen konnte.

Das Programm entwickelte sich und wurde erst während der Konferenz festgelegt. Durch die Vorstellung der Themen und Teilnehmer wurde der ein oder andere dazu angeregt sich mit einem Workshop einzubringen, obwohl er dies ursprünglich gar nicht geplant hatte. Nicht nur das Organisationsteam, sondern alle Teilnehmer gestalteten nach der Themenvorstellung das Ablaufprogramm. Eine Socialisinge Party am Freitag führten zu kleinen Gesprächsgruppen, in denen sich die einen Teilnehmer auch einmal näher kennenlernen und in kleiner Runde weiterdiskutieren konnten. So stand nicht nur das gewählte Thema, sondern auch die Form der Konferenz ganz im Zeichen des Web 2.0.

Beide Tage füllten sich mit Diskussionen unter Schlagwörtern wie „Katalog 2.0“, „Lernen 2.0“ oder „Gender 2.0“. Besonders spannend war der Workshop „Kritik an der Marke Bibliothek2.0“.
Was bedeutet „Bibliothek 2.0“? Welche Konzepte und Möglichkeiten verbergen sich konkret hinter diesem Begriff? Wie vermittelt man diese den Nutzern, Geldgebern und Kollegen? Mit diesen Fragen haben sich die Teilnehmer des genannten Workshops, auf den wir etwas genauer eingehen wollen, am zweiten Konferenztag befasst.

Stefan Gradmann merkte gleich zu Beginn an, dass der Begriff „Bibliothek 2.0“ Gefahr läuft, verbrannt zu werden, weil er so inflationär und darüber hinaus oftmals nichts sagend gebraucht werde. Andere Begriffe eigneten sich deshalb weitaus besser, um das Phänomen zu beschreiben und um es innerhalb und außerhalb der Bibliothek zu kommunizieren. Um zum Kern des strittigen Begriffs vorzudringen, schlugen die Teilnehmer eine Trennung zwischen Techniken, Ideen und Visionen vor. Die Abkehr von der undefinierten Begrifflichkeit „Bibliothek 2.0“ komme auch aus dem Unbehagen, dass die Version der klassischen Bibliothek nicht zukunftsfähig sei und nun eine Überarbeitung benötige.

Wesentlicher Beweggrund für die Neuausrichtung der Bibliotheken ist ein neuer Typus des Informationsbenutzers, der seine Informationen selbst organisiert und verteilt. Die Fähigkeit, mit Informationen umzugehen, hat sich mit den sogenannten Web 2.0-Anwendungen verändert, die sich zumindest bei Jüngeren längst etabliert haben. Wikipedia und viele andere Informationsdienste entziehen der Bibliothek die Beanspruchung exklusiver Autorität oder Dienste. Da dieser Trend jenseits des Alltags von Bibliotheken zum Standard wird, müssen Formen und Inhalte des Web 2.0-Gebrauchs besonders innerhalb von Informationseinrichtungen vermittelt werden, denn sonst könnten diese den Anschluss verlieren.

Traugott Koch machte in diesem Zusammenhang auf das Spannungsfeld zwischen existierenden Institutionen und Innovationsbewegungen aufmerksam. Solche Spannungen zwischen Wissensaneignung und -expansion sind nicht neu. Man erinnere sich nur an die Erfindung des Buchdrucks. Bibliotheken könnten in Zeiten, in denen Daten von Nutzern generiert und verteilt werden, ihre Kataloge nicht wie in einem Silo oder einem Gefängnis horten. Die Daten müssen geöffnet werden. Hierin liegt auch eine Stärke. Dienstleistungen können auf einer neuen Ebene zu Mehrwert führen. Bei der multidimensionalen Diskussion wurde dies dann auch als ein Kern der „Bibliothek wie sie sein sollte“ identifiziert: Das Verknüpfen der Daten von Bibliotheken im Internet, die Schaffung von Schnittstellen sowie das Verbinden von Informationen, wie Michael Heinz anmerkte.

Bibliotheken müssen die Informationen „befreien“. Dazu gäbe es keine Alternative, so betonte es Lambert Heller. Diese Entscheidung könne zu einer Überlebensfrage für breite Teile des Bibliothekswesens werden. Die Öffnung der Daten sei ein Gewinn für die Außenwirkung der Bibliothek. Das Zurückhalten hingegen könne bis zum vollständigen Verlust der eigenen Daseinsberechtigung führen.

Bezüglich möglicher Umsetzungsformen hinterfragte Stefan Gradmann, ob die „Bibliothek 2.0“ nicht auch eine einzige Organisation sein könnte, da nicht jede Bibliothek autark Web 2.0-Anwendungen einführen müsse. Andere zum Teil bundesweite Bibliotheksangebote hätten dies bereits gezeigt (ZDB, EZB etc.). Ist nicht auch OCLC, die in diesem Bereich interessante Ansätze und Anwendungen entwickelt haben, eine gute Orientierungseinrichtung? Tatsächlich gibt es bereits gute Praxisbeispiele in Deutschland, wie zum Beispiel BibTip [Fn1] , beluga [Fn2] oder Primo [Fn3]. Auch xISBN [Fn4]von OCLC wurde, allerdings als bibliotheksinterne Anwendung, weiterempfohlen.

Abschließend wurde „Bibliothek 2.0“ auch als Entwicklungsprozess begriffen. Nicht nur die Informationsinteressen der Internetnutzer müssen unterstützt werden, sondern es muss auch mit Vehemenz und Einfühlungsvermögen auf die internen Akteure (Mitarbeiter und Geldgeber) eingegangen werden, denn nur durch ihr Engagement können Vision und Wandel praktisch umgesetzt werden. Wesentliche Kraft bei einer Neuausrichtung des Bibliothekswesens allgemein kommt natürlich einer finanziell vorteilhaften Infrastruktur zu. Deswegen müssen Geldgeber und Kollegen von der Vision einer „kollaborativen, teilenden und dynamisch Informationen erzeugenden Nutzer-Bibliotheks-Symbiose“ überzeugt und mitgenommen werden. Auch in Stellenausschreibungen sollte nicht davor zurückgeschreckt werden, Mashup-Kompetenzen oder andere Web 2.0-Erfahrungen zu erwarten. Neue Qualitäten sollten ausdefiniert und ausdifferenziert werden. Am Ende der Veranstaltung herrschte ein breiter Konsens über die hier aufgeführten Ergebnisse.

Der Beitrag von Lambert Heller „Was können wir für Blogger tun?“ war sogar so motivierend, dass sich eine kleine Gruppe von Studierenden der Fachhochschule Potsdam zusammen fand und das neue Blog „BibliothekarInnnen sind uncool“ ins Leben rief. [Fn5] Dieses Blog mit der etwas provokanten Namensgebung will sich mit dem Fremd- und Selbstbild, den Defiziten und Stärken von BibliothekarInnen, Neuerungen im Bereich der Informations- und Medienwelt, der Lehre in den Informationswissenschaften und vielen anderen Dingen, welche die Bibliothekswelt betreffen, auseinandersetzen.

Nach neuesten Gerüchten soll das Bibcamp im nächsten Jahr in Stuttgart stattfinden. Für uns steht bereits fest, dass wir uns dieses Ereignis nicht entgehen lassen werden.
Das Wiki der Unkonferenz, das nach wie vor bearbeitet wird, zeugt vom Ablauf und den Diskussion der Unkonferenz.
[Fn6]


Das Bibcampvideo bei YouTube

Titel: Bibcamp 2008

Laufzeit: 9:57 min

Kamera, Produktion und Regie: Anastasia Schadt (info) und Dierk Eichel (info)



Fußnoten