An der Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur (Schweiz) sind als Disziplinen anderem die Bibliothekswissenschaft (im Departement Information) und die Architektur (Im Departement Bau) vertreten. Forschende beider Disziplinen arbeiten unter anderem im europäischen Network on Urban Libraries
zusammen. (Schuldt & Mumenthaler, 2015) Im Laufe dieser Zusammenarbeit zeigte sich, dass die Forschenden der beiden Disziplinen mit sehr unterschiedlichen Interessen und Fragen an Bibliotheken und Bibliotheksbauten herantreten. In Rahmen eines internen Projektes wurde von vier Forschenden versucht, diese unterschiedlichen Zugänge zu erfassen. Zwei der Forschenden lehren und forschen in der Architektur (Daniel Walser, Susanne Caviezel), zwei in der Bibliothekswissenschaft (Rudolf Mumenthaler, Karsten Schuldt).
Am Beispiel einer neu gebauten Bibliothek in einer schweizerischen Gemeinde versuchten die vier Forschenden sich gegenseitig ihre unterschiedlichen Zugänge zu verdeutlichen und gleichzeitig zu reflektieren, wie sie bei ihrer Forschungsarbeit vorgehen. Die untersuchte Bibliothek wurde gewählt, da sie erst einige Monate zuvor eröffnet worden war und somit auf Unterlagen und Erfahrungen des bauenden Architekturbüros und des Bibliothekspersonals zurückgegriffen werden konnte.
Im folgenden soll dieser Besuch sowie die unterschiedlichen Herangehensweisen geschildert werden. Grundsätzlich besuchten die vier Forschenden die gleichen Bibliothek, es zeigte sich aber, dass sie zwei sehr unterschiedliche Ansätze verfolgten und diesen auch unterschiedliche Bilder von Bibliotheken im Allgemeinen zugrunde lagen.
Das Beispiel: Bibliothek und Ludothek Spiez
Die untersuchte Bibliothek und Ludothek Spiez zog Anfang 2015 in ein neues Gebäude in direkter Nachbarschaft der Gemeindeverwaltung und eines Schulzentrums. Sie ist die Bibliothek der Gemeinde, weitere Filialen existieren nicht. Spiez ist mit rund 12.500 Einwohnerinnen und Einwohner eine mittelgrosse Gemeinde im Berner Oberland (Kanton Bern). Direkt am Thunersee gelegen ist sie gekennzeichnet durch eine relativ lose Besiedlungsform, zumeist in ein- bis dreigeschossigen Häusern, ohne sichtbares Zentrum und mit einer stark ländlichen Atmosphäre. Grosse Teile der Gemeinde sind mehr oder minder autonome dörfliche Strukturen (Bäuerten
). Bekannt ist Spiez für seine hohe Naherholungsqualität, insbesondere durch den Badestrand, den kleinen Hafen in der Bucht Spiez und das Schloss Spiez. Die Gemeinde hat ein reges politisches und kulturelles Leben und, im Rahmen der Gemeindegrösse, eine gesicherte finanzielle Basis.
1980 bezog die Bibliothek einen Pavillon auf einer Wiese direkt vor dem jetzigen Standort. Dieser Pavillon wurde spätestens in den 2000er Jahren als unzulänglich begriffen und regelmässig als Provisorium
beschrieben.1 Zudem wurde 1980 die Ludothek Spiez gegründet.2 Auch diese war in einer Räumlichkeit untergebracht, die als unzureichend angesehen wurde. Beide Einrichtungen hatten im Laufe ihres Bestehens Vereine gegründet, die sie, mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde, trugen. Mit dem gemeinsamen Einzug in das neue Gebäude wurden diese Vereine aufgelöst und ein gemeinsamer Trägerverein für die Bibliothek und Ludothek Spiez gegründet. Perspektivisch ist eine vollständige Zusammenführung beider Einrichtungen geplant. Aktuell arbeiten sie im selben Raum, mit einem geteilten Tresen, zusammen, sind aber noch als unterschiedliche Gruppen, beispielsweise mit unterschiedlichen Öffnungszeiten und Plätzen am Tresen, organisiert. Gleichwohl scheint sich diese Situation, soweit beim Besuch und der vorhergehenden Recherche ersichtlich wurde, nicht in einer Konkurrenz zwischen den beiden Gruppen zu äussern.
Diesem Bau waren mehrere Jahre an intensiven Planungen vorausgegangen. Bis zum Jahr 2006 hatten Bibliothek, Ludothek und Gemeindeverwaltung die Planung für einen neuen Bau entwickelt, der mit 3,4 Millionen CHF taxiert war und, an der Stelle des heutigen Baus, ein historisches Gebäude integrieren sollte. In einer obligatorischen Volksabstimmung wurde dieses Projekt allerdings von den stimmberechtigten Gemeindemitgliedern verworfen.3 Diese Abstimmungsniederlage führte interessanterweise zu einem neuen, grösseren Projekt, das neben der Bibliothek und Ludothek auch Räume der Sozialverwaltung mit aufnahm.4 Bis 2012 änderte sich auch die Situation in der Gemeinde. Die Bewohnerin des historischen Gebäudes verstarb, die Gemeinde veräusserte ein nicht mehr benötigtes Schulgebäude und hatte dadurch relativ grosse Geldmittel für Investitionen zur Verfügung. Gleichzeitig stieg offenbar die Platznot von Bibliothek, Ludothek und Sozialverwaltung.
In einer neuen Ausschreibung wurde ein Gebäude gefordert, welches für Bibliothek, Ludothek und Gemeindeverwaltung Platz schaffen sollte. Das vom Architekturbüro bauzeit (Biel) eingereichte Projekt Buchwert
, welches den Wettbewerb gewann, setzte auf einen vollständigen, zweigeschossigen Neubau, der das vorhandene historische Gebäude ersetzte. Das neue Projekt, mit Kosten von rund 7,8 Millionen CHF, wurde dann 2012 in der obligatorischen Abstimmung angenommen und bis 2014 umgesetzt. Der Bau selber wurde im Grossen Gemeinderat
mehrfach als ein Grossprojekt
für die Gemeinde bezeichnet.5
Das Gebäude ist am Rand der Gemeinde, direkt an einem Weinberg, situiert. Der Baukörper besteht aus zwei Etagen, wobei Bibliothek und Ludothek in der ersten, ebenerdigen Etage untergebracht sind, die Gemeindeverwaltung in der zweiten, die seitlich ebenso direkt über eine Rampe erreicht werden kann. Das von aussen kompakte Gebäude umfasst zur Strasse hin einen Empfangs- und Aufenthaltsbereich mit Sitzgelegenheit. (Bild 1 und Bild 2) Prägnant für den Bau ist die Ausgestaltung der Aussenfassade mit dunklen Holzlamellen. Diese Lamellen sind mit rund 170 Buch- und Spieletiteln beschriftet. (Bild 3) Diese Fassade, explizit aus Schweizer Holz gestaltet, lehnt sich an die Gestaltung der alten Bauernhäusern des Berner Oberlandes an.6
Der Innenraum der Bibliothek und Ludothek ist durchgängig vom Weiss der Wände, Decken, Böden und meisten Möbel geprägt, aufgelockert durch helle Farben und Schwarz als Kontrast. Die zahlreichen Fenster ermöglichen, im Gegensatz zum Eindruck des Äusseren, einen hellen Innenraum. Gegliedert wird er durch einige Glaswände und Säulen, aber vor allem durch die Verwendung unterschiedlicher Möbel. (Bild 4) Der Tresen für das Personal ist fest installiert, die anderen Möbel sind grösstenteils flexibel. Die Ludothek nutzt den Platz rechterhand des Tresens, während der Bibliotheksraum linkerhand eine grössere Fläche einnimmt. (Bild 5, Bild 6 und Bild 7) Am äussersten Ende, hinter zwei Ecken, sind Arbeitsplätze installiert. Die Hoffnung des Architekten und des Bibliothekspersonals ist, dass dies den ruhigsten Platz der Bibliothek darstellt. Ein Raum mit kleiner Bühne und Technik, der für verschiedene Veranstaltungen der Gemeinde sowie Einführungen für die Schülerinnen und Schüler des gegenüberliegenden Schulzentrums genutzt wird, ist durch Türen in den Bibliotheksraum hinein zu öffnen. Ein Lesegarten hinter dem Gebäude war geplant, ist aber noch nicht umgesetzt.
Der Besuch
Der Besuch der vier Forschenden fand im Juni 2015, kurz vor dem offiziellen Eröffnungsfest, aber schon einige Monate nach der tatsächlichen Eröffnung des neuen Gebäudes statt. Begleitet wurde der Besuch vom ausführenden Architekten Peter Bergmann; ein Gespräch mit einer Vertreterin der Bibliothek war ebenfalls möglich. Der Besuch dauerte rund zwei Stunden, währenddessen die Forschenden das Gebäude zuerst alleine interpretierten, dann durch den Architekten eine Führung durch das Gebäude erhielten, in welcher dieser auch den Entstehungsprozess und die Änderungen zwischen dem ursprünglich geplanten und dem schliesslich gebauten Raum schilderte. Anschliessend führten die Forschenden Gespräche mit den Anwesenden, immer daran orientiert, was sie an einer solchen Bibliothek als Forschungsthema interessieren würde. Dabei führten alle Forschenden mit unterschiedlichen Personen Gespräche und erkundeten die Bibliothek und Ludothek selbstständig, auffällig war aber, dass die Forschenden aus der Architektur andere Fragen stellten als diejenigen aus der Bibliothekswissenschaft und sich länger mit dem Architekten unterhielten, während die Forschenden aus der Bibliothekswissenschaft länger mit dem Personal von Bibliothek und Ludothek sprachen.
Ein Unterschied war, dass die Forschenden aus der Bibliothekswissenschaft im Vorfeld unabgesprochen Recherchen über die Bibliothek – allerdings mit unterschiedlichem Fokus – durchführten, während die Forschenden aus der Architektur fast vollständig darauf verzichteten und zuerst das Gebäude auf sich wirken lassen wollten.
Vor Ort wurde sichtbar, dass die Forschenden aus der Architektur sich sehr für die Position des Gebäudes im umgebenden Raum sowie den Baukörper selber interessierten, die Forschenden aus der Bibliothekswissenschaft weniger. Letztere bewerteten die Bibliothek von der Erfahrung aus anderen Bibliotheken ausgehend, die in den letzten Jahren neu gebaut oder umgebaut wurden. Insbesondere fiel ihnen auf, dass auch diese Bibliothek ähnlichen Grundsätzen folgte – beispielsweise dem hellen Raum, den flexiblen Möbeln, der Zonierung des Raumes –, obgleich die Entscheidungen für den Bau und die Ausstattung eigenständig in Spiez getroffen wurden. So gibt es in Spiez zum Beispiel Bilderbuchtröge und Zeitschriftenablagen, die vor Ort von einem Schreiner gefertigt wurden, aber genauso aussehen und funktionieren, wie die Möbel, welche bei etablierten Lieferanten von Bibliotheksmöbeln erworben werden können. Sie sind fraglos praktikabel, aber die Forschenden aus der Bibliothekswissenschaft nahmen sie auch als Bestätigung der These, dass die meisten neu gebauten Bibliotheken ähnlich aussehen; egal, wie die Bauten begründet sind und wer die Entscheidungen über sie trifft.
Interessant war auch, dass der Architekt ausgewogenere Aussagen zum gesamten Projektverlauf, vor allem den politischen Verhandlungen, machte. Er bewertete die Bibliothek und Ludothek im Vergleich mit anderen Projekten seines Büros, während das Personal sie aus der lokalen Position heraus bewertete und durchaus berechtigt einen gewissen Stolz auf das erfolgreiche Bauprojekt – das, wie gesagt, im Rahmen der Gemeinde als Grossprojekt galt – zeigte. Architekt und Personal waren beide mit dem schlussendlich gebauten Gebäude zufrieden, wobei es im Laufe des Bauprozesse dennoch Abstriche gegeben hatte. Gleichzeitig wird das neue Gebäude, so der Eindruck des Personals, von der Bevölkerung gut angenommen. Vor allem die Forschenden aus der Bibliothekswissenschaft interessierte dabei die Frage, wie die Vorstellungen aus der Bibliothek und von Nutzerinnen und Nutzern in den Planungs- und Bauprozess eingeflossen sind, obwohl diese Frage am Ende kaum beantwortet werden konnte.
Insgesamt erlebte das Team der Forschenden die neugebaute Bibliothek als belebt und gut durchdacht. Die Kompromisse, welche – wie bei allen ähnlichen Projekten – eingegangen werden mussten, sind nicht auf den ersten Blick sichtbar. Es gab die Frage, ob die Bibliothek und Ludothek tatsächlich im gegebenen Platz alle Aufgaben wahrnehmen kann, die sie sich selber zuschreibt – beispielsweise ruhiger Arbeitsort und Bibliothek des Schulzentrums zu sein, gleichzeitig Zentrum für Familien und die Gemeindebevölkerung selber –, aber es war sichtbar, dass im Rahmen der Möglichkeiten der Gemeinde ein sehr sinnhafte Lösung gefunden wurde. Wie vor allem die Forschenden aus der Architektur betonten, wurde die Verbindung zur Sozialverwaltung im oberen Stockwerk nicht ganz klar. Obwohl im gleichen Bau untergebracht und für den Abstimmungserfolg zum neuen Gebäude als notwendig angesehen, scheint es keine richtige Verbindung zwischen Bibliothek und Ludothek auf der einen und Verwaltung auf der anderen Seite zu geben.
Reflexion des Besuches
Der Besuch der Forschenden wurde unternommen, um gemeinsam die unterschiedlichen Herangehensweisen bei Forschungen und der Entwicklung von Fragestellungen zu neuen Bibliotheksbauten kennenzulernen. In einem Reflexionsgespräch stellten sich die Forschenden einige Tage später gegenseitig ihre Überlegungen im Vorfeld und während des Besuches dar.
Sichtbar wurde dabei, dass alle vier unterschiedlich an den Bau herangegangen sind, dass sich aber auch gemeinsame Erfahrungen zwischen den Forschenden aus der Architektur auf der einen und denen aus der Bibliothekswissenschaft auf der anderen Seite zeigten. Grundsätzlich gingen die beiden Disziplinen mit einem anderen Vorwissen und einem anderen Interesse an den Besuch heran: Die Architektur interessierte der Bau, die Umsetzung des Baus, die Funktion des Baus im Raum und die Gestaltung des Raumes selber; die Bibliothekswissenschaft interessierte die Nutzung der Bibliothek sowie die Raumplanung und -aufteilung. Beide Blickwinkel schliessen sich nicht aus, es gab ebenso gemeinsame Interessen. Beispielsweise fanden alle die Schilderungen der politischen Prozesse – die allerdings nicht zur Publikation gedacht sind – in den unterschiedlichen Kommissionen interessant oder fragten sich nach der Funktion des Vorplatzes des Baus, der sehr aus der Umgebung heraussticht. Gleichzeitig war aber auch sichtbar, dass die Massstäbe unterschiedliche waren. Während die Architektur den Bau anhand anderer Bauten interpretierte und ihn als sinnvoll und machbar, aber wenig innovativ beschrieb, bewertete die Bibliothekswissenschaft auf der Basis anderer Bibliotheken und fand die Lösungen im Innenraum in Spiez praktikabel und nachvollziehbar, aber kaum hervorstechend anders als in anderen Bibliotheken.
Bild 8 skizziert die unterschiedlichen Herangehensweisen an den Besuch in Spiez. Sichtbar ist hier, dass von den Forschenden aus der Bibliothekswissenschaft eher auf den Innenraum und dessen Nutzung geachtet wurde, aber auch, dass einer der beiden Forschenden den Besuch mit einer Recherche auf der Homepage vorbereitet und sich anschliessend von der Situation vor Ort überraschen liess, während der andere Forschende sich mit einer Recherche zur politischen Genese des Projektes beschäftigte. Insoweit hatte zweiter beim Besuch Fragen zum Vorlauf, die aber nur zum Teil beantwortet werden konnten, da auch der Blick der Informantinnen und Informanten andere Fokusse hatte. Auch beide Forschende aus der Architektur gingen, trotz gemeinsamer Interessen, unterschiedlich an den Besuch heran. Neben der Recherche nach dem Architekturbüro und einiger seiner Referenzbauten unternahmen beide keine grösseren Recherchen im Vorfeld, sondern verliessen sich auf die Informationen und den Eindruck, den sie vor Ort sammeln konnten, um diesen anschliessend zu bewerten. Sie stellten vor Ort Fragen nach der konkreten Umsetzung.
Interessant waren auch die Reaktionen auf die Gestaltung der Lamellen mit Buch- und Spieletiteln. Die beiden Forschenden der Bibliothekswissenschaft empfanden diese Lösung als zu traditionell, da sie Bibliotheken als Orte mit verschiedenen Medien verstanden. Die Forschenden aus der Architektur hatten diesen Eindruck nicht. Die Lösung wurde als möglich für den Baukörper beschrieben. In diesem Zusammenhang war es aber auch interessant, dass die Forschende aus der Architektur den Bau ausgehend von der Frage bewerten wollte, wie sie selber die Bauaufgabe gelöst hätte und dabei explizit vom Buch und seinen Funktionen ausgegangen wäre. Hier zeigt sich, dass es nicht nur unterschiedliche Herangehensweisen sondern ebenso unterschiedliche Wahrnehmungen von Bibliotheken innerhalb des Teams gab.
Dies liess sich aber auch spiegelbildlich zeigen. Die Forschenden aus der Bibliothekswissenschaft äusserten zwar im Nachhinein Zweifel, ob die Bibliothek wirklich alle Aufgaben im gegebenen Raum wahrnehmen könne, sahen aber die angestrebte Flexibilität als Zeichen einer modernen Bibliothek. Die Forschenden aus der Architektur widersprachen dem explizit. Insbesondere für die Forschende galt die Aufgabe als nicht wirklich gelöst, sondern eher verschoben. Es sei ein leerer Innenraum gebaut worden, der dann flexibel genannt würde. Der Forschende bemerkte insgesamt, dass der Bau bei näherer Betrachtung doch die Kompromisse zeigen würde, die notwendig gewesen wären, um den Bau politisch durchzusetzen.
Letztlich zeigte der Besuch, dass die Herangehensweise der Bibliothekswissenschaft eher von den bibliothekarischen Diskursen bestimmt war, die überprüft, widerlegt oder zumindest als Hintergrundinformation benutzt wurden, während die Architektur sehr konkret vom tatsächlichen Bau und den baulichen Aufgaben ausging. Für die weitere gemeinsame Forschung kann das Team auf dem Wissen um diese unterschiedlichen Herangehensweisen zurückgreifen.
Fazit
Der hier kurz beschriebene gemeinsame Besuch einer neuen Bibliothek durch ein Team aus Forschenden der Bibliothekswissenschaft und der Architektur lieferte einige interessante Ergebnisse, die über die eher zufällige Gruppe von Forschenden und eher zufällig gewählte, neugebaute Bibliothek hinausgehen. Für Forschungsprojekte, insbesondere in der Phase der gemeinsamen Themen- und Methodenfindung, scheint sich ein solcher Besuch in interdisziplinären Teams anzubieten. Das informierte Flanieren
und Verorten am und im Forschungsgegenstand Bibliothek sowie die anschliessende gemeinsame Reflexion lässt Ansatzpunkte aber auch Differenzen offenbar werden, die bei einem gemeinsamen Forschungsvorhaben genutzt werden können. Offenbar geht es bei einer solchen möglichen interdisziplinären Zusammenarbeit nicht nur darum, dass die beteiligten Felder unterschiedliche Fragen in einen gemeinsamen Fragekatalog unterbringen, sondern tatsächlich darum, dass über gänzlich andere Fragen nachgedacht wird, die mit gänzlich unterschiedlichen Methoden bearbeitet werden können und müssen.
Für andere potentielle interdisziplinäre Forschungsteams, an denen sich die Bibliothekswissenschaft beteiligt, wäre es relevant, solche gemeinsamen Besuche zu organisieren. Nicht nur die Architektur, sondern auch verwandtere Disziplinen – beispielsweise die Pädagogik oder Soziologie – stellen gewiss ganz andere Betrachtungen zu Bibliotheken an. Es ist zu vermuten, dass die Debatten, auf denen die Bibliothekswissenschaft – und die Bibliotheken – ihre Arbeit aufbauen, von anderen Disziplinen nicht wahrgenommen werden oder das diesen zum Teil sogar widersprochen wird, wie im hier geschilderter Beispiel der Vorstellung von Flexibilität, die von Bibliotheken heute als essentiell angesehen, aber von den Forschenden aus der Architektur kritisch bewertet wurde.
Gleichzeitig zeigte der Besuch auf, dass das Bild von Bibliotheken an sich auch bei Personen, die ausserhalb des Bibliothekswesens und der Bibliothekswissenschaft stehen, grundsätzlich positiv ist, aber doch sehr anders, als Bibliotheken dies erwarten oder selber wahrzunehmen scheinen. Insoweit sollten nicht nur Bibliotheken und die Bibliothekswissenschaft über Bibliotheken Auskunft geben, sondern verstärkt versucht werden, auch die Darstellungen anderen Disziplinen und Gruppen mit einzubeziehen. Ansonsten bleibt das Bild nicht nur unvollständig, sondern eventuell sogar in unerwartete Richtungen verschoben, wie im hier geschilderten Fall des positiven Bezugs auf das Buch durch die Forschenden der Architektur und des ausführenden Architekturbüros selber, von welchem in bibliothekarischen Debatten eher vermuten wird, dass gerade dieser eher veraltet wäre.
Literatur
bauzeit architekten (2013). Bibliothek Ludothek Verwaltung Spiez. Biel : bauzeit architekten, http://www.bauzeit.com/?noFlash=true&lang=de&page=8&project=2
Blumer, Eliane ; Schuldt, Karsten (2014). Diese Zukunft war einmal: Ehemals moderne Bibliotheken, heute. In: LIBREAS. Library Ideas 10 (2014) 24, http://libreas.eu/ausgabe24/04blumer/
Dubs, Susanne (2015). Regionalbibliothek Spiez. In: biblioBE.ch. Informationen für Schul- und Gemeindebibliotheken des Kantons Bern, 2015, http://www.bibliobe.ch/de/news/informationen-2015-2/regionalbibliothek-spiez.aspx
Grosser Gemeinderat Spiez (2013). 227. Sitzung des Grossen Gemeinderats. 02. Dezember 2013, 14:15 Uhr, Gemeindesaal Lötschbegr, Spiez. Spiez, http://www.spiez.ch/fileadmin/media/pdf/protokolle/GGR/2013/GGR_2013_12_02-2.pdf
Schuldt, Karsten ; Mumenthaler, Rudolf (2015). Bibliotheken und Stadtentwicklung. Internationaler Workshop an der HTW Chur startet Forschungszusammenarbeit. In: SAB-Info 36 (2015) 01, 26-27
Vgl. Die Protokolle des Grossen Gemeinderates, http://www.spiez.ch/gemeinde/informationen/protokolle-ggr.html. Dies war bei der Eröffnung noch anders, vgl. Blumer & Schuldt, 2014.↩
Ludotheken sind Einrichtungen, in welchen Spiele und Spielsachen verliehen werden. In der Schweiz haben Ludotheken eine grosse Verbreitung gefunden, zumeist existieren sie als eigenständige Einrichtung, teilweise aber auch als Teil von Öffentlichen Bibliotheken. Oft sind sie, wie die Bibliotheken, in Vereinen organisiert. Die Arbeit in den meisten Ludotheken wird grösstenteils ehrenamtlich geleistet.↩
Obligatorisch sind Referenden beispielsweise – wie in diesem Fall – ab einem bestimmten Finanzvolumen, welches allerdings von Kanton zu Kanton unterschiedlich angesetzt ist.↩
Die Überlegung hinter dieser Vorwärtsstrategie war, so die beim Besuch befragte Bibliothekarin, dass mir der Einbindung mehrerer Einrichtungen sich für mehr Wählerinnen und Wähler Argumente für den Neubau ergeben würden.↩
U.a. in Grosser Gemeinderat Spiez, 2013, 117.↩
Dubs, 2015.↩
Karsten Schuldt ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft, HTW Chur und Redakteur der LIBREAS. Library Ideas.
Rudolf Mumenthaler ist Dozent am Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft, HTW Chur und Redakteur der Informationspraxis.