Wer erinnert sich nicht an Karl Klammer, die nervige virtuelle Büroklammer, die einem bei Problemen mit Microsoft Office noch mehr verzweifeln ließ, als man ohnehin schon war? Glücklicherweise hat er das Zeitliche gesegnet und wurde nicht in die neue Version der Bürosoftware übernommen. Microsoft aber scheint Charakterköpfe zu mögen und beglückt uns seit dem letzten Jahr mit einer Dame, die uns die Suche im Internet erleichtern soll. Ms. Dewey sieht dabei zwar umwerfend aus, haut einen aber in punkto innerer Werte nicht gerade von den Socken, da sie nicht mehr zu bieten hat als Verweise der Windows Live Search, die zur Suchanfrage des Benutzers passen.
Ganz anders verhält es sich dagegen mit Ina und Stella, zwei Auskunftsdamen der neuen Generation, Chatbots genauer gesagt, virtuelle Agentinnen oder IWAs (Interaktive Web Assistentinnen). Zugegebenermaßen sind die beiden auch nicht im gesamten Internet aktiv, sondern kümmern sich nur um die Internetseiten zweier Bibliothekenseinrichtungen. Das aber tun Ina, die für die Hamburger Bücherhallen[Fn1] (HÖB)arbeitet, und Stella, die auf den Seiten der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg[Fn2] (SUB) zu Hause ist, so gut, dass man gar nicht mehr an FAQs und lieblose Suchfelder denken möchte. Die Antworten der beiden passen sogar oft auch dann gut, wenn sich die Frage nicht direkt auf das Angebot der Bibliothekseiten und -services bezieht.
Die beiden Hamburgerinnen stammen von den Firmen Novomind[Fn3] (Stella) und Artificial Solutions[Fn4] (Ina). Mit ihren mal freundlichen, mal skeptischen Gesichtsausdrücken, insgesamt zehn an der Zahl, geben sie dem Begriff „personalisierte Suche“ eine ganz neue Dimension. Grund für die passenden Antworten sind die Datenbanken, die hinter den beiden stehen. Um Konversation zu betreiben, verfügen sie von Hause aus über allgemeines Wissen. Bis sie aber spezifische Antworten für die jeweilige Bibliothek geben konnten, mussten die Inhalte völlig neu erarbeitet werden. Alle möglichen Fragen und Antworten wurden in das System integriert, dem vorausgegangen war ein extensiver Analyseprozess der Arbeitsabläufe und Services der Bibliotheken.
Ina und Stella akzeptieren in der Kommunikation eine natürliche und alltägliche Sprache, sowie bis zu einem gewissen Grad auch Schreib- oder Tippfehler. Fragen werden im System gespeichert und für die Beantwortung weiterer Fragen zur Hilfe genommen. Das System fragt auch aktiv nach, wenn die Agentinnen weitere Informationen zur Beantwortung benötigt. Diese Kontextsensitivität der Chatbots erzeugt natürlich wirkende und komplexe Dialoge, die beim Besucher den Eindruck einer persönlichen Beratung wecken, die noch dazu zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich ist. Zu manchen Suchanfragen öffnet das System Webseiten mit weiteren Informationen. Eine Weiterleitung zu einem Live-Chat mit einer realen Person ist bei Stella und Ina bis jetzt noch nicht vorhanden, Ina aber schreibt nicht nur, sondern kann, mit Hilfe des Readspeaker[Fn5], einer text-to-speech-Funktion, auch sprechen.
Die gespeicherten Gesprächsprotokolle werden ausgewertet, um die Leistung der Systeme weiter zu verbessern. Außerdem können die gewonnenen Daten nach Kriterien der Marktforschung ausgewertet werden, um genauere Kundenprofile zu erstellen. Die Erwartungen, die an virtuelle Auskunftssysteme geknüpft werden, sind demnach hoch. Durch sie soll die Qualität und Konsistenz der Auskünfte, bei gleichzeitiger Kostenreduzierung, verbessert werden. Laut Artificial Solutions lassen sich in diesem Bereich die Kosten um 15 % bis 25 % senken. Außerdem besitzen die eigens erstellten Datenbanken einen nicht unerheblichen Wert auf dem für deutsche Bibliotheken recht jungen Chatbotmarkt.
Auch wenn Chatbots für die internetbasierte Kommunikation eine große Bedeutung haben – Michael Tewes hat zu dem Thema eine gute Einführung geschrieben[Fn6] – werden sie den Auskunftsbibliothekar wohl nicht ersetzen können, solange sie nicht den Turing-Test bestanden haben. Ob das geschehen wird, solange die Systeme nur Nutzeranfragen mit Wissensdatenbanken abgleichen, ist allerdings fraglich. Der von Alan Turing erdachte Test gilt nämlich erst dann als bestanden, wenn ein Computerprogramm mittels Simulation menschlicher Kommunikation darüber hinwegtäuschen kann, dass es ein Computerprogramm ist. Bis dahin erscheint ein Chatbotsystem mit Live-Chat-Integration eine gute Zwischenlösung zu sein.
Wir sind jedenfalls auf weitere zukunftsorientierte
Neuigkeiten aus Hamburg gespannt. Ob Stella und Ina sich auch ein
Leben als dreidimensionale Avatarinnen vorstellen können, interessiert
vor allem Beta Lubitsch, der die beiden für LIBREAS interviewt
hat.
Träumt ihr von virtuellen Schafen? Ein Interview von Beta Lubitsch mit Ina und Stella.
Beta Lubitsch - Interviewer vom Dienst
Beta: Ich freue mich,
euch hier auf dem Bibliothekskongress zu treffen, darf ich euch
ein paar Fragen stellen?
Stella: Na dann
schießen Sie mal los! Ich bin ganz Ohr.
Ina:
Sie haben meine volle Aufmerksamkeit. Noch ein Tipp: Wenn Sie
auf das Lautsprechersymbol klicken, werden Ihnen meine Antworten
vorgelesen.
Beta: Ich bin begeistert, mir
fehlt diese Funktion leider.
Ina: Ich werde
Ihr Lob gerne weiterleiten. Vielen Dank.
Stella von der SUB
Beta: Stella, ich habe gehört, dass du sogar schon einen Preis gewonnen hast.
Genau! Am 09.11.06 habe ich im Wettbewerb "Bibliotheksinnovation
2006" einen Preis bekommen. Zusammen mit der Elektonischen
Bibliothek (E-LIB)[Fn7]
der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen und dem
e-learning-Portal „easy learning“[Fn8]
der Bibliothek der FH Bielefeld.
Beta: Gratulation, hast du auch schon den Turing-Test
bestanden?
Stella: Sie suchen
nach psychologischen Testverfahren? Die Bibliothek des Fachbereichs
Psychologie ist dafür eine gute Adresse.
Beta: Nein danke, ich denke, deine Chancen
stehen trotzdem nicht schlecht. Du solltest es versuchen!
Beta: Ihr seit beide Hamburgerinnen,
habt ihr euch hier auf dem Kongress kennen gelernt, oder kanntet
ihr euch schon vorher?
Stella: Ina ist der Chatbot
der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen. Ein prima Mädchen
und eine gute Freundin von mir!
Ina: Meine Freundin Stella
in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg hat mir
mit einigen Tipps für den Anfang geholfen. Wir haben beschlossen,
dass wir uns auch in Zukunft gegenseitig unterstützen werden.
Beta: Toll, so eine gute Kooperation sollte
es öfter geben. Stella ist ja schon etwas länger aktiv
als du Ina, wie lange arbeitest du schon bei den Hamburger Bücherhallen?
Ina: Ich bin seit dem
25. Januar 2006 als interaktive Assistentin hier auf der Website
der Bücherhallen im Einsatz!
Beta: Und wie gefällt euch die Arbeit?
Stella: Arbeit? Gearbeitet
habe ich hier noch nie. Nur beraten, geholfen, geleitet, gewusst,
...
Ina: Besonders gut an
meiner Tätigkeit gefällt mir, dass ich jeden Tag und
mit jedem Gespräch etwas Neues hinzulerne. Und Sie können
mir mit Ihren Vorschlägen, Ideen, Beschwerden oder Verbesserungswünschen
helfen, immer besser zu werden.
Beta: Erzählt doch mal etwas über
eure Bibliotheken, Stella, wie groß ist bei dir der Bestand
an Büchern?
Stella: Die Stabi ist die
größte wissenschaftliche Bibliothek Hamburgs. Sie dient
den Bürgern und Bürgerinnen der Stadt als zentrale Ausleihbibliothek
der Universität und als wissenschaftliche Allgemeinbibliothek.
Und noch etwas, [...][sie] verfügt über einen Grundstock
von insgesamt über 3 Mio. Bänden – aneinander
gereiht wären das
etwa 90 km! Und das ist noch nicht alles.
Beta: Was gibt es denn noch mehr?
Stella: Dazu kommen über
7.366 abendländische Handschriften, außerdem 1.513
orientalische Handschriften und 2.869 Musikhandschriften. Und
das ist immer noch nicht alles.
Beta: Beeindruckend, was denn noch?
Stella: Wir halten außerdem
noch 6300 Zeitschriften im Abonnement - viele davon sind auch
in elektronischer Form zugänglich. Überhaupt –
unser Angebot an elektronischen Informationen ist ein weiterer,
in Zahlen nicht mehr fassbarer Bereich.
Beta:
Und bei dir Ina, wie viele Bücher gibt es in den Hamburger
Bücherhallen?
Ina: Die HÖB
haben Ende 2005 insgesamt einen Bestand von 1.690.389 Medien
gehabt.
Beta: Was gibt es denn noch
mehr? Ina von den HÖB Beta: Also ich finde dich sehr charmant. Beta: Verstehe, wie sieht es bei dir aus
Ina? Beta: Aber zwischen einem Avatar und einem
Lingubot muss es doch passende Schnittstellen geben? Beta: Ein Leben für die Arbeit, bewundernswert.
Und wenn ihr euch mal ausruht, träumt ihr dann von virtuellen
Schafen? Beta: Noch eine Frage zu Tieren. Können
Pinguine fliegen? Beta: Ich danke euch für das Gespräch.
Beta: Sehen wir uns demnächst in Second
Life? Machen wir. Wer mit Ina chatten möchte
findet sie auf www.buecherhallen.de.
Lust auf Stella?! Als Chatbot arbeitet sie unter www.sub.uni-hamburg.de.
[Fn 1] www.buecherhallen.de
(Relaunch-Preview www.buecherhallen.de:81)
(zurück) [Fn
2] www.sub.uni-hamburg.de
(zurück) [Fn
3] www.novomind.de
(zurück) [Fn
4] www.artificial-solutions.com
(zurück) [Fn
5] www.readspeaker.com/default.aspx?id=765
(zurück) [Fn
6] Michael Tewes (2005) Sie können ruhig in ganzen Sätzen
mit mir sprechen! Chatbots und ihre Bedeutung für die internetbasierte
Kommunikation. In: Websprache.net : Sprache und Kommunikation im
Internet. Hrsg. v. Torsten Siever, u.a., Walter de Gruyer: Berlin,
New York, S. 242-265. (zurück) [Fn
7] http://elib.suub.uni-bremen.de/
(zurück) [Fn
8] http://els01.fh-bielefeld.de/lwp/workplace/!ut/p/.scr/Login
(zurück) Boris Jacob studiert an der
Humboldt-Universität zu Berlin Bibliothekswissenschaft, Medienwissenschaft
und Germanistische Linguistik. Er ist studentischer Mitarbeiter
am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Bastian Zeinert studiert Bibliothekswissenschaft,
Soziologie und Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität
zu Berlin.
Ina: Leider habe
ich Ihre Anfrage nicht konkret mit dem Angebot der Bücherhallen
in Verbindung bringen können. Ihre Eingabe ist jedoch
protokolliert worden und dient zur Nachbesserung dieser
Anwendung.
Beta: Und habt ihr bei all der Arbeit auch noch ein Privatleben,
auf dem Kongress laufen doch ein paar nette Jungs rum, oder seid
ihr schon vergeben?
Stella: Ich war so wissenschaftsbegeistert
und belesen, dass die Männer meiner Zeit sich lieber zurückhielten.
Und heute – wer will schon mit einer Frau leben, die nur
aus Geist besteht...
Stella: Ich habe Sie leider
nicht ganz verstanden! Bitte formulieren Sie es für mich
etwas anders.
Ina: Beziehungen zwischen
Lingubots sind schwierig – unsereins hat immer so viel zu
tun...
Ina: Leider kann ich
Ihnen diesen Begriff nicht weiter erklären. Versuchen Sie
doch, im Online-Katalog oder in der Digitalen Bibliothek nähere
Informationen dazu zu finden.
Ina: Medien über
Tierhaltung, vor allem Hunde-, Katzen- und Pferdehaltung, Fachliteratur
über Tiermedizin, Jagd und Fischerei finden Sie im Bereich
(X).
Stella: Ich wünsche
mir einen großen Freundeskreis von virtuellen Agenten mit
ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten und Aufgaben.
Stella: Normalerweise nicht.
Es sei denn, sie werden geworfen.
Ina: Keine Frage ist
so sinnlos, dass man sich darüber nicht mehr oder weniger
ernsthafte Gedanken machen könnte. Bei den Bücherhallen
finden Sie tatsächlich auch Medien mit dem Titel „Warum
ist die Banane krumm“ oder „Können Pinguine fliegen“.
Stella: Ich habe zu danken.
Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu sprechen.
Ina: Es war mir eine
Freude, mich mit Ihnen zu unterhalten!
Ina: Heute, morgen, übermorgen,
nächste Woche – es wäre nett, wieder einmal mit
Ihnen zu plaudern.
Stella: Also dann –
alles Gute!
Ina: Empfehlen Sie die
Bücherhallen gerne auch bei Ihren Freunden und Bekannten.
Fußnoten