Die Diskussion um den „Raum“ wird zunehmend populärer: nicht nur in der Stadtsoziologie, auch in der Kulturwissenschaft, der Literatur, der Architektur per se und in der Europäischen Ethnologie und in anderen Zusammenhängen werden Raumkonzepte diskutiert. Der sozial konstruierte, im Unterschied zum durch physische Grenzen definierte Raum kann besonders für die sozialen Interaktionen im urbanen Raum angewendet werden.
Dass die Stadt mit ihren Einrichtungen, ihrer Infrastruktur und den in ihr lebenden Individuen in einer Abhängigkeit steht, ja durch diese Komponenten erst ihren Charakter, d.h. das „Städtische“ erhält, ist klar. Dass die Bibliothek, und besonders die Öffentliche Bibliothek, in ständigem Wirkungswechsel mit dem urbanen Raum steht, scheint jedoch nicht jedem bewusst zu sein. Schon gar nicht, dass sie sich als Aufwertungsfaktor innerhalb der Stadt, besonders in so genannten sozialen Brennpunkten, erweisen kann. Andererseits findet sich jedoch auf kommunaler Entscheidungsebene durchaus ein solches Bewusstsein, wie zahlreiche Beispiele zeigen. Denn das Verständnis, dass die Stadt die Öffentlichkeit ist und die Bibliothek ein Ort, der die Öffentlichkeit zusammenführt, ist in London, Seattle, genauso wie in Hamburg, Singapur, Arhus und Wien bekannt. Diese sind jedoch Großstädte, die ohnehin meistens im Vorteil gegenüber der Klein- und Kreisstädte sind.
Eine andere, öfter mal zu hörende Frage ist die, ob die Stadt des 21. Jahrhunderts mit ihren virtuell global kommunikationsvernetzten Einwohnern überhaupt noch Bibliotheken für die Informationsversorgung und -vermittlung braucht? Vermitteln die Öffentlichen Bibliotheken noch genügend Information oder überbewerten sie im Aufgabenspektrum des ’93er Bibliotheksprogramms den Einzelaspekt „Hobby und Freizeit“ zu sehr und begeben sich dabei in einen Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit, den sie eigentlich nicht gewinnen können?
Thesen zu einer Verortung der Stadt und zur Rolle der Bibliothek in derselben stellt Olaf Eigenbrodt auf der Grundlage von urbanen Entwicklungen innerhalb Europas auf. Der Artikel beschäftigt sich mit der Frage, was heute aus Sicht einer soziologisch orientierten Bibliothekswissenschaft unter dem urbanen Raum zu verstehen ist und wie sich die Digitale Bibliothek als zeitgemäße Form der klassischen Bibliothek in diesem Konglomerat behaupten könnte. Die Idee des ’Ortes’ – des physischen und virtuellen – und des gesellschaftlichen Raums, den die Bibliothek innerhalb der gewandelten Großstadt einnimmt, wird als Ursache erläutert.
Am Beispiel der Hauptbücherei der Büchereien Wien zeigen Ben Kaden und Manuela Schulz die stadträumliche Wirkung und ihre Konsequenzen für die Bibliothek und die unmittelbare urbane Umgebung. Dabei wird, ähnlich wie bei Olaf Eigenbrodt, die Bedeutung des physischen gegenüber dem virtuellen Ort verdeutlicht: die Bibliothek als urbane Aufwertung und als Treffpunkt der Öffentlichkeit.
Diesem Ansatz folgend stellt Michael Wells in seinem kurzen Artikel eine Bibliothek als Publikumsmagnet der Öffentlichkeit vor, die Millennium Library in Norwich.
Elisabeth Simon beschäftigt sich mit der in der französischen Champagne gelegenen Stadtbibliothek Reims, die mit ihren neun Häusern und drei Bussen eine angesehene städtische Kultur- und Bildungseinrichtung darstellt.
Aber auch in den virtuellen Kommunikationsräumen gibt es Begegnungen, z.B. mit Avataren oder auch Chatbots. Die beiden Berliner Studenten Boris Jacob und Bastian Zeinert trafen mit den beiden Chatbot-Damen aus Hamburg „Stella“ und „Ina“ zusammen. So ganz unglücklich ist das Rendezvous wohl nicht verlaufen, denn im Ergebnis gilt die Feststellung „Fragen wird immer schöner“.
Das Thema „Soziale Bibliotheksarbeit“ wurde von uns auf dem BID-Kongress zur (Podiums)Diskussion gestellt und von 12 Diskutanten aus den verschiedensten Bereichen des Bibliothekswesens kommentiert, verneint, relativiert oder hervorgehoben. Eine Zusammenfassung liefert die an der Organisation der Veranstaltung beteiligte Doreen Lutze. Gesondert werden Überlegungen der dänischen Vertreter Hans Elbeshausen und Jonna Holmgaard Larsen veröffentlicht, die sich im Gegensatz zur deutschen Diskussion nicht beim Grundsätzlichen, sondern bei der konkreten praktischen Umsetzung und theoretischen Grundlagen zur sozialen Inklusion und sozialer Anerkennung an einem durchaus sozialen Bibliotheksarbeit-Verständnis ansetzen.
Angesichts des Eindringens der Bibliotheken in die virtuellen Kommunikationsräume und der reziproken Durchdringung der Bibliotheken mit entsprechenden Kommunikationskonzepten, sei nicht mehr das physische Gebäude entscheidend, in dem Bibliothekare arbeiten, so die Aussage von Boris Jacob und Jin Tan, sondern es ist letztendlich die kreative Arbeit der Bibliothekare selbst, aus der die Bibliothek ihren Sinn erhält. Die Autoren bauen ihre These um eine weitere aus, und beziehen sich dabei auf Patrick Danowski und Lambert Heller, in der sie die notwendige Entwicklung der Bibliothek von einer Just-In-Case- zu einer Just-In-Time- Bibliothek als Voraussetzung für zukünftige erfolgreiche „Kundenorientierung“ ansehen.
Bloggen, bloggen, bloggen – diese Form des unkomplizierten
Peer-to-peer-Publizierens ist auch im Bibliotheksbereich
sehr beliebt. Innerhalb des öffentlichen dänischen Bibliothekswesens
existiert, wie wir jüngst auf dem BID-Kongress erfuhren, die
Auflage, dass jeder Bibliothekar einen eigenen Blog anlegen soll.
Die „Biblioblogosphäre“ in Deutschland
umfasst mittlerweile ebenfalls ein paar Dutzend Aktive – mit
wachsender Tendenz.
Welche Intentionen, Erfahrungen und Wünsche mit dieser Tätigkeit
verbunden werden, konnte leider nicht wirklich repräsentativ
ausgewertet werden, da die Rückmeldequote bei unserer Kurzumfrage
dies schlicht nicht hergab. Ein paar Grundtrends ließen sich
aber doch herauslesen und finden sich von der LIBREAS-Redaktion
zusammengefasst.
In einer ganz anderen Umgebung sammelte die Potsdamer Studentin Ulrike Schönherr Erfahrungen, nämlich „hinter Gittern“ in Nordrhein-Westfalen, wo sie die Bücherei der JVA Münster, die sich übrigens als unseres Wissens erste Gefangenenbücherei überhaupt um den Titel „Bibliothek des Jahres 2007“ bewirbt, unterstützte.
Die LIBREAS-Redaktion strebt einen Austausch mit dem Library Student Journal in Buffalo an. Ein erster Schritt in diese Richtung ist mit der Beschreibung des ebenfalls studentischen Projekts von Eli Guinee getan.
Die Rezensionen ergeben diesmal einen Mix aus entschiedener Information, geballtem Open Access, bestätigtem Wandel der Wissensorganisation, gesammelter Bibliotheksarchitektur und öffentlichem Raum, versehen mit einer Brise Bibliotheksromantik.
Die Präsentation des „Nachwuchses“ im LIBREAS-Team, bei dem es sich um drei LIBREAS-Wassergeflügel handelt, wollen wir unseren Lesern natürlich nicht vorenthalten: Gestatten, Graugans und Kaisergans im eisenhüttenstädtischen Tiergehege!
In dieser Ausgabe wird die Rubrik "Text & Bild" um die sensuelle Qualität des „TON“s erweitert: Ein Beitrag von Tarik Seden, der dank der Unterstützung der Westdeutschen Blindenhörbücherei erstellten Hörversion des von den LIBREAS-Redakteuren Ben Kaden und Maxi Kindling herausgegebenen Sammelbandes „Zugang für Alle - Soziale Bibliotheksarbeit in Deutschland“ ist als mp3 abrufbar.
Wie immer freut sich LIBREAS über Kommentare,
Kritik und Ideen und wünscht viel Vergnügen beim Lesen!