Dem Buch von Martin Eichhorn liegt seine Abschlussarbeit für den höheren Bibliotheksdienst zu Grunde. Der Leitfaden zum Umgang mit Konflikt- und Gefahrensituationen in Bibliotheken wendet sich an Bibliotheksmitarbeiter, die im direkten Kundenkontakt stehen. Das Buch basiert auf Erfahrungen, die überwiegend in öffentlichen, aber auch in wissenschaftlichen Bibliotheken gemacht wurden. Eigene Erfahrungen hat der Autor in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin und der Stadtbibliothek Berlin-Neukölln gesammelt. Auch Erlebnisse aus seiner halbjährigen Hospitation beim Stab des Berliner Polizeipräsidenten lässt er einfließen. Eichhorn bietet u. a. Weiterbildungsveranstaltungen und Vorträge zu dem Thema an.
Der Leitfaden ist eine umfassende Darstellung möglicher Konflikt- und Gefahrensituationen im Bibliotheksbereich und deren Lösung bzw. Prävention. Es handelt sich dabei um eine Problematik, die nach Ansicht des Verfassers in Deutschland bisher nur am Rande diskutiert wurde. Eichhorn stellt eine erhöhte Konflikt- und Gewaltbereitschaft in Bibliotheken fest, so dass er dringenden Handlungsbedarf sieht, indem er Lösungsvorschläge für bibliothekstypische Konflikt- und Gefahrensituationen aufzeigt.
An erster Stelle beschreibt der Verfasser den Umgang mit Konflikt- und Gefahrensituationen im Ausland (Österreich, Dänemark, Frankreich, anglo-amerikanischer Raum). Darauf folgt ein Vergleich mit anderen Institutionen und ihrem Publikumsverkehr. Im folgenden Kapitel Kommunikation in Konfliktsituationen behandelt Eichhorn Kommunikationstechniken und Formulierungshilfen, mit denen sich Konflikte entschärfen lassen. Das Thema „Beschwerdemanagement“ ist dabei ein Aspekt der Kundenorientierung. Ausführlich stellt er die Phasen dar, die ein „zorniger Benutzer“ durchläuft, und gibt dann konkrete Hinweise, wie Bibliothekare einem solchen Benutzer entgegnen könnten.
Unter der Überschrift Verhalten bei Betriebstörungen – verhalten bei Betriebstörungen? zählt der Verfasser alle erdenklichen Konfliktsituationen im Umgang mit den Bibliotheksbenutzern auf: Schlafende Nutzerinnen und Nutzer, übel riechende Nutzerinnen und Nutzer, auffällige Jugendgruppen, auffällige Kinder, Alkohol- und Drogenkonsum, psychisch auffällige Nutzerinnen und Nutzer, „übermäßig geschwätzige“ Nutzerinnen und Nutzer, Handys, Sachbeschädigungen (inklusive Graffiti), Diebstahl, Beleidigungen und Anspucken, Bedrohungen, bewaffneter Raubüberfall, Bibliotheksverfolger und Stalker und Bibliotheksbenutzer mit offenbar pädophiler Neigung. Dabei untersucht er nicht nur den psychologischen Aspekt der Handlungsmuster solcher Nutzer, sondern gibt dem Leser konkrete Beispiele für Handlungsmöglichkeiten. Am Ende des Kapitels fasst er allgemeine Maßnahmen zur Konfliktbewältigung zusammen, wie z. B. das Aussprechen eines Hausverweises oder Verhängen eines Hausverbots. In jedem Fall empfiehlt Eichhorn die Dokumentation der Vorfälle.
Im Kapitel Ernst erfordert Ernst – Eigensicherung vor Schadenseintritt widmet sich der Autor vor allem den rechtlichen Aspekten von Notwehr und Nothilfe - anhand konkreter Situationen, in die Bibliotheksmitarbeiter gelangen könnten. Unter diesem Aspekt stellt er besonders die Rolle der Polizei als Partner heraus. Das Kapitel Anmerkungen zu Innenarchitektur und Infrastruktur rundet den Leitfaden mit einem Exkurs zur Gebäudesicherheit ab.
In seinem Fazit schließt das Buch mit der Empfehlung, die Mitarbeiter ausreichend und turnusmäßig im Umgang mit Konflikten zu schulen. Dies stellt Eichhorn sogar als Fürsorgepflicht des Arbeitgebers heraus. Im Anhang finden sich biographische Daten des Autors, eine ausführliche Literaturliste und ein Sachregister.
Eichhorn gelingt es, in seinem Leitfaden bibliotheksspezifische Probleme aufzugreifen, konkrete Lösungswege aufzuzeigen und dabei immer mögliche Präventivmaßnahmen im Blick zu haben. Somit liegt eine nützliche Handreichung für die berufliche Praxis vor. Obwohl es sich dabei um eine Masterarbeit handelt, geht Eichhorn das ernsthafte Thema eher salopp an und gibt praktische Tipps, als das Thema theoretisch zu durchleuchten.
Der Vergleich mit dem Ausland und mit anderen Institutionen, z. B. der Bundesagentur für Arbeit, lässt die Situation im öffentlichen Bereich dramatisch erscheinen, es ist jedoch offen, ob dies auch repräsentativ für den Bibliotheksbereich ist.
Besonders interessant wird das Buch, wenn Eichhorn
die psychologischen Aspekte der Handlungsmuster von Benutzern und
Mitarbeitern aufzeigt, z. B. bei seiner Analyse der Gruppendynamik
oder der Verhaltensweisen von Jugendlichen. Auch die Beleuchtung
gesellschaftlicher Aspekte, die zum Teil hinter den Konflikten stehen,
ist sehr aufschlussreich. Unter dem Stichwort „Gender-Komponente“
erfährt der Leser etwa, dass weibliche Beschäftigte von
Jungen und Männern mit Migrationshintergrund häufig nicht
als Autoritätsperson anerkannt werden. Das macht das Buch auch
über die Zielgruppe hinaus zu einer interessanten Lektüre.
Daniela Brown studiert Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.