Frank Heidtmann, Emeritus am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft, befindet sich im zweiten offiziellen Ruhestandsjahr und ist dennoch nach wie vor recht regelmäßig im Gebäude in der Dorotheenstraße anzutreffen. Hier nimmt er sich voller Leidenschaft den Studierenden an, um mit ihnen die Faszination Buch- und Illustrationsgeschichte in entsprechenden Lehrveranstaltungen zu teilen und wer – ob Bachelor oder Magister – die Gelegenheit bekommt, hier teilzunehmen, der sollte diese auch wahrnehmen, denn hier ist der passionierte Bücherbastler in seinem Element.
Der Status als Pensionär bietet die beneidenswerte Option, sich nunmehr fast ausschließlich den Dingen widmen zu können, die man liebt und all das „lästige“ Alltagsgeschäft – z.B. das Bibliothekswesen – beiseite zu lassen. Z.B. muss man sich nicht mehr täglich durch die Fachpresse arbeiten, ein Umstand, den Frank Heidtmann sichtlich und konsequent genießt:
„Nach 40 Jahren ist Schluss, ein abgeschlossener Lebensbereich – im Gegensatz zu anderen Personen, die sich immer noch darin wohlfühlen.“
Er „latscht“, nach eigener Aussage, „natürlich noch immer gern in Bibliotheken“, ist aber froh, sich nicht mehr en detail um den „Kram kümmern zu müssen“.
Der „Schlüsselreiz“ Bibliothek ist nicht mehr in der Intensität gegeben, die er früher ausstrahlte und so stürzt sich der Professor a.D. seit seiner Pensionierung lieber in seine neuen und alten neben der Bibliothekswelt gehegten Passionen: Mode, Malerei, Fotografie und „Buchfalterei“.
Wir, die wir schon seit langem auf die eigentümlichen Kunstwerke schauen, auf die man am Institut nahezu zwangsläufig stößt, konnten eine Auswahl an Bildern digitalisieren und haben uns mit Professor Heidtmann getroffen, eigentlich um über diese Bilder zu sprechen, was schließlich zu einer netten Plauderei – sozusagen – über Kunst, Wissenschaft, Gott und die (Bibliotheks)Welt führte. An dieser Stelle wollen wir uns auf die Wiedergabe der auf seine künstlerischen Aktivitäten bezogenen Inhalte beschränken.
Ein Maltalent von klein auf war Professor Heidtmann nicht, vielmehr drang er erst spät in die Welt von Pinsel und Farbe vor. Triebfeder war ihm nichts anderes als die Lust am Malen selbst: „Ich habe einfach drauf losgemalt.“ und so hält er es bis heute. Je nach Stimmungslage wird Form, Format und Methode gewählt, tiefere Intentionen gibt es dabei nicht: „Ich probier heute mal dies und das aus und dann druck’ ich wieder und so fort.“
Neben dem Akt des Malens an sich gibt es parallel eine soziale Komponente: die „Mittwochsmaler“, die sich, wie der Name unschwer verrät, mittwochs an irgendeinem Ort in Berlin trifft und so das Malen zum Gemeinschaftserlebnis werden lässt. Die Mischung ist bunt, kennen gelernt hat man sich über die Volkshochschule und nun zieht man gemeinsam mit Staffelei und Mischpalette herum und „mittwocht“ z.B. das Spreeufer entlang.
Daheim zieht er sich für die Kunst in eine zu seiner Wohnung gehörende ehemalige „Mädchenkammer“, ein schmales langes und daher eher dunkles Zimmer, zurück.
Der Ausgangspunkt für seine Malerei bzw. für sein gesamtes künstlerisches Schaffen sieht er in der Fotografie, in dem Bestreben, das „gut gesehene Detail“ einzufangen und auch heute noch gilt sein Interesse in der Fotografie den abstrakten Bildern und Formen, den „geformten Bildern“, in denen bestimmte „Details herausgehoben werden“. Dabei bleibt er nach wie vor der analogen Fotografie verhaftet. Natürlich waren auch Bibliotheken anziehende Fotomotive, in früheren Zeiten gab es im Rahmen der Erstellung von Diplomarbeiten Fotosessions in diversen Häusern. Von den aktuellen Bibliotheksbauten sind es die „üblichen Verdächtigen“ in Ostdeutschland, allen voran natürlich das IKMZ in Cottbus aber auch die UB-Neubauten in Rostock oder Greifswald, die ihm durch ihre besondere Fotogenität positiv auffielen. Heidtmann ist, wie er es selbst nennt, vom jeweiligem „Kleid der Bibliotheken“ fasziniert.
Sitzt man Professor Heidtmann in seinem Büro gegenüber, füllen die berühmten Buchfaltarbeiten unweigerlich das Blickfeld und es ist entsprechend nahezu unmöglich, dieses Thema nicht anzusprechen. Er selbst sieht diese Form seines künstlerischen Schaffens ganz locker und unspektakulär und reagiert auf die Frage mit dem für ihn typischen Understatement. Den Ursprung für Idee und Verfahren nimmt er nicht für sich in Anspruch, vielmehr hat er etwas Ähnliches „irgendwo gesehen“ und war „sofort begeistert“ und seitdem faltet er. Man darf das, was er tut beileibe nicht mit dem japanischen Origami verwechseln, das weitaus komplexer und anspruchsvoller daherkommt. Für ihn ist es mittlerweile schlichte „Beschäftigung beim Fernsehen und teilweise in Seminaren“. Hemmungen, einem Buch Gewalt an zu tun, gibt es nicht:
„Bücher sind Verbrauchsartikel, so wie die Faltwerke Verbrauchsartikel sind. Die werden dann auch irgendwann braun.“
Wie hoch die Produktion der „Faltbücher“ tatsächlich ist, lässt sich schwer beurteilen, allerdings legt das reichliche Verschenken u.a. bei Exkursionen zu Bibliotheken die Vermutung nahe, dass hier schon die eine oder andere größere Bücherkiste dem Antiquariatsmarkt entzogen wurde. Aktuell stehen einige Exemplare im Schaufenster der Büchergilde Gutenberg am Berliner Wittenbergplatz. Der Variationsspielraum in der „Bibliofalterei“ ist unendlich und das Heidtmannsche Repertoire umfasst so ziemlich jede vorstellbare Form und Gestaltung, Werke von der Größe eines mittelalterlichen Mädchenhandbuchs bis zu Folianten in „naturbelassen“, bemalt, beschnitten oder mit anderen Objekten collagiert.
Allerdings ist die Produktivität dann doch begrenzt und zwar weniger materiell, als durch körperliche Erschöpfung:
„Täuschen Sie sich nicht, das kann man nicht ewig am Stück machen. Malen dagegen ist unendlich.“
Präsentiert werden die Arbeiten – Faltbücher und Gemälde – relativ regelmäßig in Ausstellungen. Orte dafür sind öffentliche Gebäude wie Bibliotheken, Galerien oder auch Krankenhäuser, die vorwiegend in Eigeninitiative, manchmal auch zusammen mit Künstlerkollegen organisiert werden. Drei bis fünf Veranstaltungen dieser Art gibt es in etwa jedes Jahr. Manchmal setzt sich Professor Heidtmann auch auf einen der Berliner Kunst(floh)märkte und faltet vor Ort Bücher, besonders gern mit Kindern. Die angefangenen Werke gibt er dann an die Marktbesucher zum eher symbolischen Preis von 50 Cent weiter – „zum Weiterfalten.“
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