Dieses kleine, 1978 in 800 Exemplaren neu aufgelegte, Büchlein, ist eine literaturhistorische Kostbarkeit des bibliothekarischen Berufsstandes mit doppeltem Boden. Es erschien 1627, geschrieben von dem 27 jährigen Gabriel Naudé[Fn2], der eigentlich Mediziner werden sollte, aber als Bibliothekar aus Leidenschaft bereits im Alter von 20 Jahren bereits die Bibliothek des Henri de Mesme[Fn3] (Präsident des Parlaments in Paris) ordnete. Ihm widmet er auch seine „Anleitung“ zu einer „idealen Bibliothek“. Im Jahre 1876 erschien eine ins moderne Französisch übertragene Ausgabe, bereits 1661 lag eine erste englische Ausgabe vor. Im Jahr 1963 wurde in Leipzig eine Faksimile-Ausgabe hergestellt, nachdem schon 1949 eine Dissertation über Naudé und seine Arbeiten und Gedanken vorgelegt worden war. In Deutschland waren bis 1978 nur lateinische Übertragungen herausgegeben worden und zwar 1658 in Hamburg und 1703 in Helmstedt.[Fn4]
Naudés Advis pour dresser
une Bibliotheque hier mal vor die Humdoldt-Universität
gehalten
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Naudé arbeitete für den Kardinal Richelieu und nach dessen Tod für Jules Mazarin, der eine hervorragende Privatbibliothek besaß, die dann mit Hilfe der „Anleitung“ Naudés zu einer der ersten Öffentlichen Bibliotheken in Paris und damit auch in Frankreich wurde. Ihr großartiger Bestand ist heute noch nach bestimmten Regeln zugänglich, dies gemäß ihrer historischen Wurzeln und nach dem Willen seines Stifters für ein allgemeines Publikum.
Die „Anleitung“ als erstes Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung ist zwar kein Lehrbuch im herkömmlichen Sinne, verrät aber schon die beginnende Aufklärung, die Ende des 17. Jahrhunderts, zu internationalen Bibliotheksgründungen beigetragen hat. Die Aufklärung lenkte den Blick durch ihr Idealmodell der Erziehung und Bildung auf die Bibliothek als Institution zur Lehre, Aufklärung und Fundament eines sich bildenden Nationalstaates. Nicht von ungefähr hat Benjamin Franklin[Fn5] den Aufbau seiner Bibliothek durch eine ausgedehnte Sammeltätigkeit in Frankreich betrieben. Die dort gegründete Société Franklin erarbeitete die erste Systematik für Öffentliche Bibliotheken.[Fn6] Franklins Arbeiten und Sammlungen bildeten das Fundament für die Library of Congress.
Das Naudésche Regelwerk wird gleichzeitig von dessen Bestreben bestimmt, dem Präsidenten Mesme ein Hilfsmittel zu Hand zu geben, eine Bibliothek zu schaffen, „um im Gedächtnis der Menschen zu leben und zu herrschen: dann ist es erforderlich, Tag für Tag das, was Sie so gut begonnen haben, zu vermehren und zu vervollkommnen und Ihrer Bibliothek nach und nach eine derartige und ansehnliche Entwicklung zu verleihen, daß sie, ebenso wie Ihr Geistesreichtum ohne Ebenbild, ohnegleichen sei und ebenso schön, vollkommen und vollendet, wie es sich nur durch die Geschicklichkeit Solcher erreichen läßt, die stets nur ohne Mangel und Fehler handeln.“
In seiner Argumentation zum Bau und Ausbau einer Bibliothek führt Naudé mit großem Geschick alle Vorteile und allen Ruhm an, die dem Gründer einer solchen Bibliothek zustehen[Fn7] und dem auf Grund seiner Bildung und Klugheit es wohl ansteht, eine solche Bibliothek zu gründen und zu unterhalten. Naudé endet allerdings so: „Ebensowenig aber liegt es in meiner Absicht, Ihnen vorzuspiegeln, daß eine solche große Sammlung ohne Unkosten und Aufwand sich entwickeln könnte, weiß ich wohl, daß der Ausspruch des Plautus in diesem Falle ebenso zutrifft wie in vielen anderen: wer gewinnen will muß einsetzen.“
Naudé führt also hier in seiner so modernen anmutenden Anleitung grundlegende Erkenntnisse der Bibliotheksverwaltung an: Eine Bibliothek muss kontinuierlich entwickelt werden und die Arbeit und Kosten sind nicht terminiert. Er appelliert mit diesen realistischen Einsichten an den Willen zur Präsentation und Ruhm des Präsidenten aber auch an dessen Verantwortungsbewusstsein. Auch seine Hinweise auf die Antike dienen dem gleichen Zweck. In den Gründungen von Bibliotheken durch die reichsten aller Römer soll dem öffentlichen Wohl gedient werden, weil sie Gelehrten eine Heimstatt gaben.
Warum nun wählte die Berliner Verleger- und Buchhändlervereinigung e.V. 1978 zur Eröffnung der Staatsbibliothek Stiftung Preußischer Kulturbesitz am Potsdamer Platz die Übersetzung und Herausgabe dieses Buches als Geschenk an das Haus? Dieses sollte ein Zeichen einer besonderen Verbundenheit zwischen Buchhandel und Bibliothek sein. Damit wollte man an eine gute alte Berliner Tradition anknüpfen, denn 1978 haben Buchhändler und Verleger, die hier namentlich genannt werden, durch Spenden den Druck dieses Buches ermöglicht.
An dieses Erbe sollte erinnert werden, gehörte zum Beispiel auch der Verleger Ensslin zu den Gründungsmitgliedern des dann in Leipzig ansässigen Börsenvereins. Diese Mitgliedschaft war zu ihrer Zeit eine ehrenvolle und verpflichtende Aufgabe, die dem eigentlichen Geschäft aber wenig einbrachte. Bei genau diesem Verleger war als Lehrling Julius Springer, der später so erfolgreiche Verleger des Springer Verlages, beschäftigt. Das unterstreicht das Ansehen, das selbstlosen Einsatz für Ziele des Berufes nach sich zog. Die hohe Verpflichtung gegenüber dem Gemeinwohl, der Wissenschaft und Erziehung der Jugend, wie man das damals nannte, sollte die Neueröffnung der Staatsbibliothek begleiten und wohl auch Verpflichtung für die Zukunft sein.
In einer Zeit, in der, neben den ohnehin ständigen Anpassungsdruck, der heute die Arbeitsbedingungen bestimmt, zunehmend Legitimationsdruck auf Bibliotheken ausgeübt wird, ist es gut, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass die Ziele der Bibliothek von einem 27jährigen bereits 1627 klar definiert worden sind und sich grundlegend bis heute nicht geändert haben. Die Verbindungen zwischen einer noch an der Antike geschulten Gelehrtenwelt, ihrer Bibliotheken und den Verlegern sowie Buchhändlern waren in Berlin vielfach und haben nicht wenig zu dem Ruhm diese Stadt Ende des 19. Jahrhunderts beigetragen. An diese Tradition, die teilweise auch als Erbe dieses genialen Autors angesehen werden kann, wollte man wohl „bewusst oder unbewusst“ anknüpfen. Heute gilt es mehr denn je, sich dieser beruflichen Leidenschaft bewusst zu bleiben. Und irgendwie, so scheint es, stehen die Zeichen dafür gar nicht so schlecht. <
[Fn 1]
Für das der Rezensentin bereitete Lesevergnügen sei einem
Mitglied des LIBREAS-Herausgeberkollegiums herzlich gedankt. (zurück)
[Fn
2]
Gabriel Naudé, geboren am 2.2. 1600 in Paris, 1620 Beginn
des Medizinstudiums, 1653 in Abbeville gestorben. Ein Bild des Gabriel
Naudé findet sich auf derHomepage von Prof. Walther Umstätter
und in der Milkau-Dia-Sammlung siehe auch: www.ib.hu-berlin.de (zurück)
[Fn
3]
Gehörte zum höheren Adel. Erwarb 1647 die Baronnie de
Brayen . Seine Tochter heiratete den Herzog von Mortemort. (zurück)
[Fn
4]
1992 erschien in Italienisch: Gabriel Naudé Consigli par
la formazione di una biblioteca a cura di Massimo Bray, presentazione
di Jacques Revel, Napoli, Liguori 1992, 109 S. (zurück)
Fn
5]
Der Gründungsvater der Vereinigten Staaten von Amerika, Mitverfasser
der Unabhängigkeitserklärung und späterer Präsident,
der um 17. Jan. 1706 vor 300 Jahren geboren wurde, war Autor, Buchdrucker
und Verleger und eifriger Büchersammler. (zurück)
Fn
6]
Auf die Entwicklung dieser ersten Volksbüchereien in Frankreich
hat die Société Franklin einen großen Einfluß
gehabt z.B. im Cadre de Classement propose par la Société
Franklin. Siehe auch Simon, Elisabeth: Bibliothekswesen in
Frankreich. Eine Einführung. München 1986. S 40 ff(zurück)
Fn
7]
etwas, was uns nicht fremd ist. Von den presedential libraries in
USA, die nicht nur die Archive der amerikanischen Präsidenten
enthalten, sondern auch ihren Ruhm mehren sollen, was auch darin
zum Ausdruck kommt, dass ihr Bau nur mit Privatmitteln finanziert
wird bis zum Centre Pompidou und der Nationalbibliothek in Paris
sind auch moderne Politiker solchen Stätten des Ruhmes nicht
abgeneigt. (zurück)
Elisabeth Simon ist Vorsitzende des Förderkreises für West-Ost-Informationstransfer und Mitbegründerin des Verlags BibSpider sowie Lehrbeauftragte am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft.