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doi:10.18452/31229 (edoc HU Berlin)

Das liest die LIBREAS, Nummer #15 (Herbst-Winter 2024)


Zitiervorschlag
Redaktion LIBREAS, "Das liest die LIBREAS, Nummer #15 (Herbst-Winter 2024)". LIBREAS. Library Ideas, 46 ().


Beiträge von Karsten Schuldt (ks), Eva Bunge (eb), Ben Kaden (bk), Maxi Kindling (mk), Viola Voß (vv)

1. Zur Kolumne

Ziel dieser Kolumne ist es, eine Übersicht über die in der letzten Zeit erschienene bibliothekarische, informations- und bibliothekswissenschaftliche sowie für diesen Bereich interessante Literatur zu geben. Enthalten sind Beiträge, die der LIBREAS-Redaktion oder anderen Beitragenden als relevant erschienen.

Themenvielfalt sowie ein Nebeneinander von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Ansätzen wird angestrebt und auch in der Form sollen traditionelle Publikationen ebenso erwähnt werden wie Blogbeiträge oder Videos beziehungsweise TV-Beiträge.

Gerne gesehen sind Hinweise auf erschienene Literatur oder Beiträge in anderen Formaten. Diese bitte an die Redaktion richten. (Siehe Impressum, Mailkontakt für diese Kolumne ist zeitschriftenschau@libreas.eu.) Die Koordination der Kolumne liegt bei Karsten Schuldt, verantwortlich für die Inhalte sind die jeweiligen Beitragenden. Die Kolumne unterstützt den Vereinszweck des LIBREAS-Vereins zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation.

LIBREAS liest gern und viel Open-Access-Veröffentlichungen. Wenn sich Beiträge dennoch hinter einer Bezahlschranke verbergen, werden diese durch [Paywall] gekennzeichnet. Zwar macht das Plugin Unpaywall das Finden von legalen Open-Access-Versionen sehr viel einfacher. Als Service an der Leserschaft verlinken wir jedoch auch direkt OA-Versionen, die wir vorab finden konnten. Für alle Beiträge, die dann immer noch nicht frei zugänglich sind, empfiehlt die Redaktion (neben Unpaywall) die Browser-Plugins Open Access Button oder CORE zu nutzen sowie auf dem favorisierten Social-Media-Kanal mit #icanhazpdf, um Hilfe bei der legalen Dokumentenbeschaffung zu bitten.

Die bibliographischen Daten der besprochenen Beiträge aller Ausgaben dieser Kolumne finden sich in der öffentlich zugänglichen Zotero-Gruppe: https://www.zotero.org/groups/4620604/libreas_dldl/library.

2. Artikel und Zeitschriftenausgaben

2.1 Vermischte Themen

Hobart, Elizabeth (2024). Describing Games for Special Collections Libraries. In: RBM. A Journal of Rare Books, Manuscripts, and Cultural Heritage 25 (2024) 1, 50–64, https://doi.org/10.5860/rbm.25.1.50

Es wird immer seltener, dass Bibliothekar*innen während ihrer Ausbildung einen Katalogisierungskurs besuchen. Deshalb ist dieser Einblick in die konkrete Katalogisierungspraxis interessant: Anhand der Aufnahme von zwei Spielen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Bibliothekskatalog der Penn State University (Pennsylvania) wird gezeigt, welche Schwierigkeiten sich weiterhin stellen, wenn Nonbook-Materialien katalogisiert werden müssen, insbesondere wenn sie dann noch in Fremdsprachen (Französisch und Deutsch) vorliegen.

Es ist ein wenig so, wie es früher in der Ausbildung gewesen sein muss, wenn schon die Grundlagen der Katalogisierung durchgenommen wurden und jetzt zu den viel spannenderen Sonderfällen übergegangen wurde: Ein Beispiel dafür, wann die normalen Regelwerke nicht ausreichend sind, sondern lauter Sonderregelungen gefunden werden müssen. (ks)


Carroll, Mary ; Garrison, Kasey ; Oddone, Kay ; Wakeling, Simon (2024). School libraries in Australia: A preliminary analysis of the Knowledge Bank of Australian and New Zealand School Libraries. In: IFLA Journal (Online First), https://doi.org/10.1177/03400352241246442

Die Autor*innen haben eine Datenbank mit alle greifbaren Texten über Schulbibliotheken in Australien und Neuseeland aufgebaut, in diesem Text werten sie die aus Australien aus. Dabei präsentieren sie einige beschreibenden Statistiken (beispielsweise die Zahl der Texte pro Jahr), kontextualisieren die beschriebenen Ergebnisse aber auch nochmal.

Im Ganzen liest sich der Text aber vor allem als die Beschreibung einer krisenhaften Situation. Alle Autor*innen sind an der School of Information and Communication Studies der Charles Sturt University (Wagga Wagga) angestellt – und damit an der letzten Einrichtung, welche eine Ausbildung für Schulbibliothekar*innen in Australien und Neuseeland anbietet. Dies war einmal anders: Während der 1960er und 1970er Jahre interessierte sich die australische Politik mehr für den nachhaltigen Aufbau von Schulbibliotheken sowie einer Infrastruktur, welche diese unterstützt (Ausbildung, Beratungsstellen, Forschung). In den letzten Jahren wurde dies zurückgefahren: Die Infrastrukturen wurden zurückgebaut oder ganz geschlossen, die Politik führt lieber kurzfristige, dafür grosse Projekte durch, in denen neue Schulbibliotheken aufgebaut werden – ohne für ihre nachhaltige Finanzierung oder Ausstattung mit Personal zu sorgen. Eine übergreifende Forschung existiert auch nicht mehr.

Die Autor*innen haben die genannte Datenbank erst aufgebaut, weil sie diesen Wandel als Gefahr sahen und zumindest eine Wissensquelle für die weitere Arbeit zur Verfügung stellen wollten. Getrieben von dieser Krisenstimmung scheinen sie dann auch die Datenbank auszuwerten. Sie zeigen, dass sich die Geschichte der Schulbibliotheken in Australien bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts anhand von Literatur nachweisen lässt (und nicht erst seit den 1960er Jahren). Sie zeigen auch, wie sich die wandelnde Politik direkt auf die Schulbibliotheken und die Literatur über diese auswirken – mehr Infrastruktur und nachhaltige Finanzierung führten zu mehr Literatur, die Umstellung auf kurzfristige Projekte führte auch zu weniger (und anderer) Literatur. Zudem stellen sie fest (das ist vielleicht einer der wenigen Lichtblicke), dass die Bibliotheksverbände nach dem Rückzug der Politik mehr Verantwortung dafür übernommen hätten, für Schulbibliotheken Marketing und Lobbyarbeit zu betreiben. (ks)


Hider, Philip ; Wakeling, Simon ; Marshall, Amber ; Garner, Jane (2024). Public Library Services in Rural Australia: Challenges and Prospects. In: Journal of the Australian Library and Information Association, 73 (2024) 2: 122–147, https://doi.org/10.1080/24750158.2024.2315338

Mittels einer Umfrage wurde die Situation der Öffentlichen Bibliotheken in Australien ausserhalb der Städte und grösseren Siedlungen erhoben (hier outer regional, remote und very remote). Die Fragen bezogen sich auch darauf, welche Auswirkungen die COVID-19Pandemie hatte und wie die Zukunft dieser Bibliothekssysteme gesehen wird. Begründet wird diese Umfrage unter anderem damit, dass in der Literatur, aber auch zum Beispiel in der Arbeit des australischen Bibliotheksverbandes, die Bibliotheken in den urbanen Zentren im Fokus stehen, während über die in ländlichen Gegenden kaum etwas bekannt sei.

Die Ergebnisse zeigen eine erstaunliche Konstanz: Die Bibliothekssysteme scheinen recht gut aufgestellt zu sein und sich langsam zu entwickeln, allerdings immer auf Basis geringer Ressourcen. Es werden viele Fahrbibliotheken betrieben, deren Zahl sich in den letzten Jahren auch kaum verändert hat. Tendenziell sind die Bibliotheksgebäude auch in den remote regions in den jeweils grössten Siedlungen untergebracht. Interessant sind die Antworten auf die Fragen nach der COVID-19-Pandemie und der generellen Zukunftsperspektive. Die Bibliotheken wären durch die Pandemie mehr zu Orten geworden, an denen die Bevölkerung Hilfe bei IT-Problemen sucht und auch Zugang zu digitalen Medien nutzt. Aber ansonsten hat nur eine geringe Zahl von Bibliothekar*innen den Eindruck, als hätte sich viel verändert. Vielmehr sind die meisten der Meinung, dass die Situation Ende 2023 (als die Umfrage durchgeführt wurde) nicht gross anders wäre als 2019. Auch für die Zukunft sehen die meisten keine grosse Veränderung. Zwar gäbe es immer Probleme mit der Finanzierung und beispielsweise dem Verschleiss bei den Fahrzeugen der Fahrbibliotheken, aber nur eine kleine Zahl von Bibliothekar*innen sieht grosse Veränderungen auf die Bibliotheken zukommen. (ks)


Kann-Rasmussen, Nanna (2023). When librarians speak up: justifications for and legitimacy implications of librarians’ engagement in social movements. In: Journal of Documentation 79 (2023) 1: 36–51, https://doi.org/10.1108/JD-02-2022-0042 [Paywall]

Die Autorin versucht, eine soziologische Erklärung dafür zu finden, wie Bibliothekar*innen und Öffentliche Bibliotheken anhand von Beispielen aus Dänemark und Schweden ihre Beteiligung an gesellschaftspolitischen Themen – im Fall dieses Artikels im Bereich LGBTQ+-Rechte, ökologische Bewegung und Antirassismus – begründen und wie diese Begründung zusammenhängt mit der grundsätzlichen Absicherung der Bibliotheken gegenüber ihren Trägern. Sie basiert diese Überlegungen nicht nur auf Interviews mit aktiven Bibliothekar*innen, sondern auch auf Studien, die sich darüber Gedanken machen, warum sich Bibliotheken überhaupt entwickeln. Letztlich plädiert sie dafür, aus der französischen Soziologie das Framework orders of worth (von Luc Boltanski und Laurent Thévenot) zu übernehmen. Dieses beschreibt, wie Organisationen in modernen Gesellschaften sich und ihre Arbeit absichern, indem sie jeweils verschiedene Werte vertreten und verschiedene Argumente mobilisieren, die sich jeweils an unterschiedliche Träger richten und dabei auch disparate Ziele anstreben können. Öffentliche Bibliotheken würden funktionieren, weil sie neben den gesellschaftspolitischen Zielen – die auch nicht immer eindeutig, sondern oft für Interpretationen offen sind – auch andere Aufgaben betonen, beispielsweise die Literaturversorgung der Bevölkerung.

Die Argumentation der Autorin wird nicht alle Leser*innen überzeugen. Aber es ist eine gute Anregung dazu, über das Bestehen und die Weiterentwicklung von Bibliotheken anders nachzudenken, als nur jeweils ein Ziel oder eine mögliche Entwicklung zu betonen. (ks)


Lea, Mary Margaret ; Emmelhainz, Celia (2024). Organizers of Museum History: Honoring the Labor of Librarians and Archivists in the Bureau of American Ethnology. In: International Journal of Librarianship 9 (2024) 2: 87–102, https://doi.org/10.23974/ijol.2024.vol9.2.365

Basierend auf einem historischen Projekt, welches die Arbeit von Frauen im Smithsonian Institut erforscht, präsentieren die Autor*innen hier die Biographien von acht Bibliothekarinnen und Archivarinnen, die im 19. und 20. Jahrhundert tätig waren. Zudem diskutieren sie, dass sich deren Namen eher in den Acknowledgments von wissenschaftlichen Publikationen finden, als an anderer Stelle. Es sei schwer, genau zu klären, was ihre jeweilige Tätigkeit in den jeweiligen Forschungsprojekten war, aber es sei sichtbar, dass sie immer dazu beitrugen, dass am Smithsonian überhaupt geforscht werden konnte. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sei diese Arbeit von Frauen aber regelmässig abgewertet worden. (ks)


Themenschwerpunkt Koloniale Kontexte in Bibliotheken (2024). In: o-bib 11 (2024) 3, https://www.o-bib.de/bib/issue/view/335

In diesem Schwerpunkt sind Beiträge versammelt, die aus einem Workshop, welcher Ende 2023 an der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz stattfand. Dabei handelt es sich nicht um die damals gehaltenen Vorträge, sondern jeweils um Artikel, die in gewisser Weise von Autor*innen-Kollektiven auf Basis des Workshops geschrieben wurden. Der Anspruch ist umfangreich: Es soll geklärt werden, was kolonialer Bibliotheksbestand konkret heisst, gleichzeitig soll die Arbeit an der Dekolonisierung dieser Bestände beschrieben und zudem in den Kontext bibliothekarischer Arbeiten integriert werden.

Viele der Beiträge verweisen dann zuerst auf breitere Diskussionen, die Museen, Archive, andere Kultureinrichtungen und die politische Ebene einbeziehen. Anschliessend stellen sie oft die Schwierigkeiten mit dem Begriff Kolonalismus und seinem Verständnis dar: Was als kolonial gilt, wie es zum Beispiel bei den Erwerbungsgeschichten von Beständen zu beachten ist oder wie die einzelnen Materialien interpretiert werden, ist nicht mit einer einfachen Definition zu fassen. Es bleibt immer die Notwendigkeit, sich im Einzelfall und über mehrere Anspruchsgruppen hinweg zu verständigen. Anschliessend gehen die meisten Beiträge auf konkrete Beispiele von Beständen, Katalogisierungs- oder Digitalisierungsprojekten ein. Dabei zeigt sich immer wieder, dass mit jedem Bestand neue Fragen auftauchen. In diesem Rahmen vorgestellt werden aber unter anderem Arbeitsgruppen und Netzwerke, die im Bibliotheksbereich in den letzten Jahren entstanden sind sowie die Arbeit an einem neuen Metadatenfeld im MARC21-Standard (361) für die Beschreibung der Provenienz von Materialien.

Der letzte Beitrag, eine Diskussion von Forschenden aus Deutschland und Afrika über Bibliotheksbestände, führt dann noch einmal vor Augen, dass viele dieser Projekte und Diskussionen sehr europäisch sind. Was heute in Deutschland als koloniale Literatur gilt, kann in anderen Zusammenhängen als deutsch-afrikanische Literatur mit einem eigenen Wert gelten.

Der Schwerpunkt schafft es, dem Anspruch, einen Überblick zu liefern, gerecht zu werden. Er ist ein sinnvoller Einstieg in das Thema. Etwas irritierend ist allerdings, dass er selber in zwei Punkten, ohne das zu reflektieren, eine Art von übergreifender Inanspruchnahme vornimmt. Einerseits wird in den Beiträge oft vom deutschsprachigen Raum geschrieben, aber ausser in einem Beitrag, in welchem auch die Universitätsbibliothek Wien vorkommt, wird nur über deutsche Bibliotheken geschrieben. Andererseits wird ständig so geschrieben, als seien koloniale Sammlungen Teil aller Bibliotheken, dabei ist dieses spezifische Thema – im Gegensatz zu Wirkungen kolonialer Wissensproduktion – nur für eine Anzahl von Bibliotheken relevant. (ks)


Brundy, Curtis ; Thornton, Joel B. (2024). The paper mill crisis is a five-alarm fire for science: what can librarians do about it? In: Insights 37 (2024) 11: 1–7, https://doi.org/10.1629/uksg.659.

Brundy und Thornton geben einen kurzen Überblick über aktuelle Entwicklungen im Bereich der Paper Mills und unethischer Publikationspraktiken. Dabei nehmen sie auch die möglichen strukturellen Ursachen im Wissenschaftssystem sowie Reaktionen der Verlage in den Blick. Schließlich nehmen sie auch Bibliotheken und Bibliothekar*innen – die durch die bibliotheksseitige Finanzierung von Publikationsgebühren nun enger mit dem wissenschaftlichen Publikationsprozess verknüpft seien als je zuvor – in die Pflicht, einen Teil zum Kampf gegen wissenschaftsschädigende Geschäftspraktiken beizutragen. Dazu machen sie konkrete Vorschläge, wie dies in der Praxis umgesetzt werden kann. (eb)


Feinmann, Jane (2024). ’Substandard and unworthy’: why it’s time to banish bad-mannered reviews. In: Nature / nature.com. 23.09.2024. https://doi.org/10.1038/d41586-024-02943-z

Der Artikel problematisiert die Tonalität von Peer-Review-Gutachten, die in gar nicht so wenigen Fällen unprofessionell bis beleidigend zu sein scheint. Damit weist er auf einen weiteren Nachteil des nach wie vor als Standard geltenden Ansatzes zur Beurteilung der Qualität wissenschaftlicher Manuskripte hin. Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 haben um die 60 % der Publizierenden aus dem MINT-Bereich entsprechende Erfahrungen machen müssen. (vergleiche Nyssa J. Silbiger, Amber D. Stubler (2019). Unprofessional peer reviews disproportionately harm underrepresented groups. In: STEM. PeerJ 7:e8247, https://doi.org/10.7717/peerj.8247) Erwartungsgemäß hat dies negative Auswirkungen gerade bei Junior-Forschenden, da solche Reviews als demotivierend und damit auch als Angriff auf das Selbstvertrauen wirken. Dies wirkt sich zugleich schädlich auf die Forschungsproduktivität und auf die Forschungskultur als Ganzes aus. Besonders betroffen scheinen auch hier Frauen und Minderheiten zu sein.

Entsprechend relevant wäre es, das Aufkommen solcher Kommentare einzuhegen. Eine Rolle fällt dabei den Redakteur*innen der Journals zu, die entsprechende Formulierungen erkennen und entfernen können. Zudem können die Begutachtenden entsprechend sensibilisiert und geschult werden. Weiterhin wird der Ansatz eines transparent peer review vorgeschlagen. Bei diesem werden neben der eigentlichen Publikation auch die Gutachten veröffentlicht. Die Erfahrungen damit sind indes noch überschaubar: Bei einem entsprechenden Angebot von IOP Publishing (IOPP) nutzen bisher nur etwa die Hälfte der Autor*innen die Möglichkeit zur ergänzenden Publikation der Reviews. Auch die doppelte Anonymisierung, bei der sowohl Reviewer*innen als auch Autor*innen anonymisiert werden, reduziert offenbar die Zahl übergriffiger und abwertender Formulierungen. (bk)


Caffrey, Carolyn ; Perry, Katie ; Withorn, Tessa ; Lee, Hannah ; Philo, Thomas ; Clarke, Maggie ; Eslami, Jillian ; Galoozis, Elizabeth ; Kohn, Katie Paris ; Ospina, Dana ; Chesebro, Kimberly ; Clawson, Hallie ; Dowell, Laura (2024). Library instruction and information literacy 2023. In: Reference Services Review 52 (2024) 3: 298–384, https://doi.org/10.1108/RSR-07-2024-0036 [Paywall]

Dieser Beitrag stellt eine annotierte Liste von englischsprachigen Beiträgen zum Thema library instruction – also Einführungen in die Bibliotheksnutzung und Nutzer*innenschulungen von Bibliotheken – dar, die im Jahre 2023 erschienen sind. Insgesamt sind dies 374 Beiträge, welche für diesen Beitrag gelesen, geordnet, zusammengefasst und bewertet wurden. Eine solche Übersicht erscheint in dieser Zeitschrift jährlich seit 1973. Dabei wird jeweils Vollständigkeit angestrebt, obgleich mit der sprachlichen Eingrenzung selbstverständlich jeweils nur ein Teilbereich der bibliothekarischen Literatur sichtbar wird. Wer sich mit diesem Themenfeld beschäftigt, wird diese Liste kennen.

In dieser Ausgabe hat die Gruppe, welche die Liste erstellt, aber eine Anzahl von vorhergehenden Überlegungen an den Anfang gestellt, die aus einer Art Selbstreflektion entstanden sind. Sie schildern, welche Grenzen ihre Annotationen haben – beispielsweise, dass sie immer als Bibliothekar*innen und Bibliothekswissenschaftler*innen beschreiben, aber nicht aus einer pädagogischen Perspektive oder aber, dass sie zwar anstreben, die Liste nicht als Wertung gelten zu lassen, aber es schwer ist, diesen Eindruck zu vermeiden. Zudem schildern sie ihr Vorgehen beim Erstellen der Liste: (1) Welche Datenbankrecherchen sie durchführen, (2) wie sie die Ergebnisse jeweils in eine gemeinsam zu bearbeitende Liste transformieren, (3) wie sie die Annotationen verfassen und (4) wie sie diese jeweils gemeinsam in der Gruppe besprechen, bevor sie veröffentlicht werden. Zudem beschreiben sie die grundsätzliche Kategorisierung, die sie für die Liste vorgenommen haben. Interessant ist dies, weil solche fachlichen, annotierten Liste zur Literatur über bibliothekarische Themen heute kaum noch erstellt werden. (Wenn man nicht diese Kolumne hier als so eine Liste werten wollen würde.) Die Darstellung am Anfang dieses Beitrags gibt eine Übersicht dazu, welche Arbeit nötig wäre, um weitere solcher Listen – für andere Themen oder für andere Sprachen – zu erstellen. Etwas, was grundsätzlich zu begrüssen wäre. (ks)

2.2 Inklusion und Safe Spaces

Rondinelli, Morgan (2024). What’s Missing in Conversations about Libraries and Mental Illness. In: In the Library with the Lead Pipe, 19. Juni 2024, https://www.inthelibrarywiththeleadpipe.org/2024/conversations-about-libraries/

In diesem persönlichen Essay fasst die Autorin, selber Bibliothekarin, die mit Zwangsstörung lebt, zusammen, was in den letzten Jahren an englisch-sprachiger Literatur zum Thema Bibliotheken und psychische Störungen publiziert wurde, um es mit ihren eigenen Erfahrung abzugleichen. Dabei kommt sie zu grundsätzlich positiven Einschätzungen: Zumindest in ihrem beruflichen Umfeld sei sie und ihr Umgang mit ihrer Zwangsstörung akzeptiert. In der Literatur vermisst sie aber eine tiefere Auseinandersetzung mit der Situation von Bibliothekar*innen, die mit solchen Störungen leben. Zumeist würde sich in der Forschung auf Nutzer*innen konzentriert. (ks)


Berget, Gerd (2024). What is the role of public libraries and books in the everyday lives of adults with intellectual disability?. In: Journal of Librarianship and Information Science [Online First], https://doi.org/10.1177/09610006241257278

Mithilfe von Interviews von 25 Personen, die als care giver oder Lehrpersonen direkten Kontakt mit Personen haben, die mit intellektuellen Beeinträchtigungen leben, sollte in dieser Studie erhoben werden, wie letztere Öffentliche Bibliotheken und Bücher nutzen. Dabei ging es immer um die Situation in Norwegen. Relevant ist dies auch, weil es in diesem Land eine Stiftung gibt, welche Bücher publiziert, die extra für Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen adaptiert werden. (Im Laufe des Artikels wird auch vermittelt, was die Herausforderungen bei solchen Adaptierungen sind.)

Im Ergebnis zeigt sich, dass die Bibliotheken, Bücher im Allgemeinen und auch die adaptierten Bücher im Alltag kaum genutzt werden. Bibliotheken werden beispielsweise kaum besucht. Aber selbst dann, wenn dies passiert, wird kaum auf bibliothekarische Angebote zurückgegriffen. Auch Bestände mit den genannten adaptierten Büchern werden kaum genutzt. Die Bibliothek wird vor allem als Ort genutzt, der an sich besucht werden kann. Berget führt dies darauf zurück, dass die care giver und Lehrpersonen zu wenig über die vorhandenen Angebote informiert sind. (ks)


Zeuner, Philipp ; Buchert, Caleb ; Fischer, Yvonne ; Baumann, Nik ; Frick, Claudia ; Ramünke, Sabrina (2024). Bibliotheken als Safe(r) Spaces für die LGBTQIA+ Community?: Hands-on Lab auf der BiblioCon 2024. In: API Magazin 5 (2024) 2, https://doi.org/10.15460/apimagazin.2024.5.2.209

Während in der letzten Ausgabe der LIBREAS. Library Ideas ein Artikel der Queerbrarians zur grundsätzlichen Frage, was queer sein in der Bibliothekspraxis heisst, veröffentlicht wurde, organisierte die gleiche Gruppe auf der BiblioCon im Juni 2024 ein HandsOn-Lab, das an der Frage arbeiten sollte, ob und wie Bibliotheken safe spaces für Menschen aus der LGBTQAI+ Community sein beziehungsweise werden könnten. (Da das Lab auf der BiblioCon stattfand, die vor allem von Bibliothekar*innen aus dem DACH-Raum besucht wird, implizit also auch Bibliotheken aus diesen Ländern.) Der Text ist ein Bericht über das Lab und dessen Ergebnisse. Da die Veranstaltung überfüllt war, kann man von einem hohen Interesse ausgehen. (Obgleich, wie so oft bei diesen Konferenzen, auch auf der BiblioCon 2024 ständig Klagen über zu kleine Räume erhoben wurden, nicht nur bei diesem Thema.)

Insgesamt schliessen die Autor*innen, dass (a) das Interesse am Thema gross ist, (b) bei vielen, aber nicht allen, Bibliothekar*innen ein Willen vorhanden ist, die Bibliothek möglichst offen und safe zu gestalten, dass allerdings (c) kein Raum wirklich sicher sein kann, sondern nur sicherer als andere Räume. Als Hauptherausforderung wird (d) postuliert, dass es zu wenige Hilfestellungen, beispielsweise Leitfäden, für die konkrete Praxis geben würde. (ks)


Albro, Maggie ; Stark, Rachelr Keiko ; Kauffroath, Kelli (2024). Checking Out Our Workspaces: An Analysis of Negative Work Environment and Burnout Utilizing the Negative Acts Questionnaire and the Copenhagen Burnout Inventory for Academic Librarians. In: Evidence Based Library and Information Practice, 19 (2024) 3: 2–22, https://doi.org/10.18438/eblip30472

In dieser Studie wurde vermutet, dass Wissenschaftliche Bibliothekar*innen in den USA, für die dies die zweite oder dritte Karriere darstellt (also die nicht direkt in den Beruf eingestiegen sind), verstärkt unter Burnout leiden. Die Gründe dafür scheinen sehr US-spezifisch zu sein und es zeigt sich dann in der Auswertung auch, dass diese Vermutung nicht stimmt. Vielmehr gibt es Verweise darauf, dass es an sich ein Level an Burnout unter den Bibliothekar*innen gibt, der aber nicht dadurch bestimmt wird, ob jemand direkt in den Beruf eingestiegen ist oder über andere Wege. Zudem zeigt sich, dass andere Personen und Institutionen auf dem Campus sich eher weigern, mit der Bibliothek zusammenzuarbeiten, wenn diese als schlechter Arbeitsplatz, also als Institution mit einer schlechten Arbeitskultur für das Personal, bekannt ist.

Was an dieser Studie heraussticht, ist, dass sie dafür nicht neue Umfrageinstrumente erstellt, sondern explizit auf etablierte Umfragen aus der Psychologie zurückgreift, die sowohl theoretisch abgesichert sind als auch standardisiert und getestet wurden. Hier wurden sie für Wissenschaftliche Bibliothekar*innen genutzt (indem nur diese in einer Umfrage inkludiert wurden). Dadurch lassen sich aber – wie es die Autor*innen tun – die Ergebnisse besser in den normalen Levels von Burnout in der US-amerikanischen Bevölkerung verorten. Und sie liessen sich in Zukunft auch besser nachnutzen. In diesem Sinne ist die Studie vorbildhaft. (ks)

2.3 Forschungsdaten

Irene V. Pasquetto, Zoë Cullen, Andrea Thomer, Morgan Wofford, (2024): What is research data misuse? And how can it be prevented or mitigated? In: Journal of the Association for Information Science and Technology, 1–17, https://doi.org/10.1002/asi.24944

Die Autor*innen untersuchen Varianten des Missbrauchs von Forschungsdaten insbesondere in offener beziehungsweise publizierter Form. Eine Schlussfolgerung lautet, dass eine missbräuchliche Nutzung nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Umso mehr sollten sich professionelle Datenvermittler*innen (Data intermediaries) proaktiv mit dem Thema und dem Einhegen beziehungsweise Management von Missbrauchsszenarien befassen. Eine Lösung sehen die Autor*innen in einem expliziten Sichtbarmachen und Kommunizieren des Problems.

Weiterhin identifizieren die Autor*nnen eine zweite auffällige Diskrepanz: Über Open Science Settings werden zunehmend Forschungsdaten als Open Research Data der Allgemeinheit zugänglich. Zugleich sind die meisten Guidelines auf Fach- und Expertencommunities zugeschnitten, was dazu führt, dass man externen Nutzenden wenig Handhabe an die Hand gibt. Hier werden Data-Literacy- und Citizen-Science-Programme für bestimmte öffentliche Zielgruppen erwähnt, wobei jedoch für die generell extrawissenschaftliche Bereitstellung und Kontextualisierung ausreichende Lösungen offenbar ein Desiderat bleiben.

Ein weiterer Mehrwert über diese vertiefende Problematisierung hinaus liegt in einer Art Typologie des Forschungsdatenmissbrauchs, der sich laut der Autor*innen in mindestens sieben Formen aufschlüsseln lässt:

  1. Analytische Fehler: die Verwendung falscher oder fehlerhafter Methoden während der Datenanalyse, die zu ungenauen oder unzuverlässigen Ergebnissen führen;

  2. Fehlinterpretationen: das Missverstehen der Bedeutung oder Implikationen von Forschungsdaten, was möglicherweise zu falschen Schlussfolgerungen führt;

  3. Falschdarstellungen: die absichtliche oder unbeabsichtigte Verzerrung, Veränderung oder Auslassung von Daten, die einen falschen oder unvollständigen Eindruck vermitteln oder eine bestimmte Agenda unterstützen können;

  4. Rufschädigung: die Schädigung der Reputation der ursprünglichen Datenerheber*innen, -analyst*innen oder -kurator*innen durch Handlungen wie unterlassene Datenzitation, verweigerte oder ungerechtfertigte Autor*innenschaft oder Erzeugung öffentlicher Beschämung für wahrgenommene Mängel in den Daten;

  5. Verletzung der Privatsphäre und Geoprivatsphäre: die Verletzung der Vertraulichkeitsvereinbarungen mit Personen oder die Offenlegung sensibler standortbezogener Informationen, die möglicherweise Schäden oder Unbehagen verursachen

  6. Ausnutzung (exploitation): Unethische oder schädliche Nutzung von Forschungsdaten zum persönlichen Vorteil oder Gewinn, oft auf Kosten der Personen, auf die sich die Daten beziehen;

  7. Unkritische Verwendung voreingenommener und anstößiger Daten: das Versäumnis, Datenquellen, die Vorurteile, anstößige Inhalte oder diskriminierende Elemente enthalten, kritisch zu evaluieren und zu hinterfragen, wodurch schädliche Stereotypen oder Narrative fortgeführt werden. (bk)


Pinto, Fabiana (2023): Trilha histórica sobre prática da publição de dados de pesquisa. In: Perspectivas em Ciência da Informação. inf. 28 (2023), https://doi.org/10.1590/1981-5344/45978

In diesem Aufsatz wird die Geschichte des Publizierens von Daten beziehungsweise Forschungsdaten von der Vorgeschichte (beginnend mit dem Ishango-Knochen) bis in die Gegenwart anhand einiger Beispiele nachgezeichnet. Der Datenbegriff wird in diesem Zusammenhang sehr inklusiv ausgelegt. So sind Höhlenmalereien dahingehend als Datenpublikation interpretierbar, als das in ihnen Erkenntnisse über die Welt in einer grafischen Form dokumentiert wurde. Die Intentionalität der diese Quellen anfertigenden Personen bleibt naturgemäß unklar, könnte aber generell bei der definitorischen Frage, wann ein Inhalt auch eine Forschungsdatenpublikation ist, durchaus relevant werden. Der Aufsatz betont allerdings stärker, dass sich solche Artefakte aus heutiger Sicht als Forschungsdaten lesen lassen. Aufschlussreich ist das zitierte Beispiel einer heilpflanzenkundlichen Publikation mit dem Titel De Materia Medica von Pedanius Dioscorides aus dem 6. Jahrhundert. Hierbei handelt es sich um eine Systematisierung und Dokumentation von Erfahrungswissen, die durchaus mit heutigen Vorstellungen einer Fach- oder wissenschaftlichen Publikation korrespondiert. Auch Datenaufzeichnungen von Galileo Galilei werden als Beispiele einer Art Forschungsdatenpublikation erwähnt. Komplett einsichtig wird die historische Kontinuität schließlich am Beispiel von Marie Curies Laborbuch. Tatsächlich verdeutlicht der Aufsatz, dass jede Land- oder Seekarte und jede statistische Aufzeichnung als Vorläufer dessen zu verstehen ist, was wir heute als Forschungsdatenpublikation ansehen. Der Aufsatz gibt damit einen sehr schönen kursorischen Überblick über die mediologische und methodische Entwicklung von Datenpublikationen. Die gegenwärtige digitale Praxis hat dabei, wie auch Pinto betont, eigene Logiken, Regeln und Standards und ermöglicht darüber hinaus die Abbildung und Publikation ungleich größerer Datenmengen. Zum Ausblick unterstreicht Pinto noch einmal die Rolle von Open Science für die wissenschaftliche Kommunikation, in diesem Fall also im Sinne der transparenten Sichtbarmachung der eigenen Forschung für die Peers. In Brasilien ist dies offenbar weitgehend durch ein Angebot entsprechender Datenrepositorien abgesichert. (bk)

2.4 Open Access

Alfred Früh ; Rika Koch (2024): Ein neuer Blick auf Open Access: Wissenschaftliches Publizieren aus Sicht. des öffentlichen Beschaffungsrechts. In: sui generis #unbequem 2024, S. 65–75. https://doi.org/10.21257/sg.253

In dem Artikel setzen sich die beiden Inhaber*innen rechtswissenschaftlicher Professuren der Universität Basel und der Fachhochschule Bern mit der Frage auseinander, inwieweit rechtswissenschaftliche Publikationen nach den Prinzipien von Open Access verfügbar gemacht werden sollten. Sie beziehen dazu eindeutig Position: Es ist […] nicht einzusehen, weshalb die Rechtswissenschaft eine geringere Verpflichtung zur Offenheit treffen sollte als andere Disziplinen. Wenn schon, gilt das Gegenteil. Schliesslich schützen Rechtsnormen individuelle und gesellschaftliche Erwartungshaltungen; entsprechend sollten Informationen über deren Gehalt und Auslegung erst für alle frei zugänglich sein. Im Artikel betrachten sie das 2021 revidierte Beschaffungsrecht von Schweizer Bund und Kantonen und wenden es auf das wissenschaftliche Publizieren im traditionellen Reader/Library-Pay-Modell einerseits sowie das Author-Pay-Modell andererseits an. Nach einer Einführung in die aus Sicht der Autor*innen derzeit maßgeblichen Wege wissenschaftlicher Veröffentlichungen nach diesen beiden Ansätzen (Bibliotheken zahlen für den Zugang oder Autor*innen für das Publizieren) prüfen sie, inwieweit das geltende Beschaffungsrecht für beide Ansätze geltend gemacht werden kann. Zum Reader/Library-Pay-Modell halten sie zunächst fest, dass es durch diesen Ansatz auf vergleichsweise begrenzten Märkten leicht [ermöglicht wird], eine erhebliche Marktmacht zu erlangen. Mögliche Abhilfe böte hier theoretisch das Kartellrecht, aber den Einsatzmöglichkeiten kartellrechtlicher Instrumente [sind] aufgrund zeitlicher und finanzieller Restriktionen enge Grenzen gesetzt. Für das öffentliche Beschaffungsrecht stellen sie fest, dass beide Modelle beziehungsweise Hochschulen und deren Angehörige grundsätzlich dem öffentlichen Beschaffungsrecht unterliegen, wenn sie bei gewerblich tätigen Dritten – den Verlagen – Leistungen erwerben. Somit unterlägen sie auch den beschaffungsrechtlichen Prinzipien. Im Beitrag legen die Autor*innen einen Fokus auf das für die Beschaffung im öffentlichen Bereich seit 2021 geltende Prinzip der Nachhaltigkeit. Sie führen dazu die Begrifflichkeiten der wirtschaftlichen, sozialen und digitalen Nachhaltigkeit aus. Maßgabe ist es, dass öffentliche Mittel wirtschaftlich nachhaltig ausgegeben werden und sich nachhaltig auf die Gesellschaft auswirken bzw. einen möglichst grossen gesellschaftlichen Mehrwert generieren. An diese Verantwortung seien insbesondere Institutionen gebunden, denen eine Bildungsfunktion zukommt. Sie kommen entsprechend zu dem Schluss, dass für die Prüfung der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit entscheidend ist, ob zwischen der Leistung der Verlage und dem von ihnen eingeforderten Entgelt ein Missverhältnis vorliegt. Ist dies der Fall, könnte aus dem Beschaffungsrecht eine Verpflichtung zum Publizieren in Open-Access-Form abgeleitet werden. Noch deutlicher für die Prüfung einer Open-Access-Pflicht beim Abschluss mit Verlagshäusern sprechen die Gesichtspunkte der sozialen Nachhaltigkeit und der digitalen Nachhaltigkeit.

Der sui generis Textgattung geschuldet, führt an der einen und anderen Stelle die verkürzte Darstellung zu missverständlichen Formulierungen; auch kommt die Darstellung der komplexen Finanzierungsmodelle für Open Access vor dem Hintergrund der aktuellen Open-Access-Transformation zu kurz, so dass beispielsweise Transformationsverträge beziehungsweise PAR-Modelle und Diamond-Ansätze der konsortialen und damit nicht Autor*innen-basierten Finanzierung unberücksichtigt bleiben. Die Autor*innen sind sich aber wohl bewusst, dass dieser Beitrag der Rubrik unbequem nur ein erster Schritt sein kann. So ziehen sie selbst das entsprechende Fazit: Die beschaffungsrechtliche Befassung mit dem wissenschaftlichen Publizieren steht noch ganz am Anfang. So fehlt es beispielsweise noch an empirischen und rechtlichen Untersuchungen zum Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung der Verlage im traditionellen Modell, an einer Ausarbeitung der sozialen und digitalen Nachhaltigkeitsdimension sowie an einem vergleichenden Blick ins Ausland. Eine Fortsetzung der Forschung ist mehr als wünschenswert und zeigt einmal mehr die Bedeutung der Kostentransparenz im wissenschaftlichen Publikationswesen auf. (mk)

2.5 Bestandserhaltung

Pasqui, Valdo (2024): Digital Curation and Long-Term Digital Preservation in Libraries. In: JLIS.It 15 (1):109–125, https://doi.org/10.36253/jlis.it-567.

Dieser Artikel aus Italien reflektiert über die Herausforderungen für die Bestandserhaltung digitaler Inhalte. Diese wurden bekanntlich in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem zentralen Angebot in Bibliotheken. Sie umfassen neben Sammlungen digitalisierter Bestände auch genuin digitale Materialien. Die Langzeitarchivierung bleibt eine Herausforderung, weil sie die Verfügbarhaltung einschließt. Sie sollte als Digital preservation by design von Beginn an mitgedacht werden. Zudem sind digitale Bestandserhaltung (Digital Preservation) und digitaler Sammlungskuration (Digital Curation) im Sinne einer fortlaufenden aktiven Pflege der digitalen Inhalte und ihrer Vermittlung eng miteinander verwoben. Digital Curation schließt neben dem Erhalt der Inhalte selbst auch die Metadatenpflege und das Zugänglichkeitsmanagement, also Auffindbarkeit und Verfügbarkeit, ein. Ein besonderer, im Vergleich zum Management statischer Medien, Anspruch ergibt sich durch die Entwicklungen im Bereich Open Science und beispielsweise der FAIR-Prinzipien, die zu einer dynamischen Nutzung von Inhalten führen. Dafür braucht es passende Strategien, die überwiegend noch nicht vorliegen. Der Ansatz der Digital Curation gewinnt dabei weiter an Bedeutung. Zudem verlangt Open Science, dass der offene Zugang und die Nachnutzbarkeit parallel zu den Materialien an sich langfristig gesichert sind. Weiterhin behandelt der Aufsatz Fragen der Infrastruktur und der Infrastrukturökonomie für die digitale Langzeitarchivierung. (bk)

3. Monographien und Buchkapitel

3.1 Vermischte Themen

Adolpho, Kalani Keahi ; Krueger, Stephen G. ; McCracken, Krista (edit.) (2023). Trans and Gender Diverse Voices in Libraries. (Series of Gender and Sexuality in Information Science, 13) Sacramento, CA: Library Juice Press, 2023 [gedruckt]

In diesem Buch sind Beiträge von Bibliothekar*innen aus den USA und Kanada versammelt, die sich allesamt als Trans oder Gender Diverse beschreiben. Inhaltlich und stilistisch konnten die Autor*innen selber bestimmen, worüber sie schreiben wollten, aber die meisten wählten die Form von Essays und Berichten, um in ihnen über ihre eigenen Erfahrungen in der bibliothekarischen Ausbildung und im Bibliotheksalltag nachzudenken. Die Texte richten sich in den meisten Fällen an andere (potentielle) Bibliothekar*innen, die sich selber in diesem Spektrum verorten. Einige Texte sprechen auch direkt Bibliotheken, das Bibliothekswesen als Ganzes oder Ausbildungseinrichtungen an, vor allem um Forderungen zu stellen. Aber hauptsächlich vermittelt das Buch – explizit gewollt – den Eindruck von und für Kolleg*innen mit den gleichen Erfahrungen geschrieben zu sein, schon um ihnen zu zeigen, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht alleine sind.

Man könnte vermuten, dass der Rezensent (männlich, cis, heterosexuell) nicht die richtige Person wäre, um dieses Buch hier anzuzeigen. Aber die Herausgeber*innen betonen in der Einleitung extra, dass es auch für das ganze Bibliothekswesen gedacht sei – es sollte genutzt werden, um zuzuhören; um zu verstehen, wie die Erfahrungen von Kolleg*innen, die Trans oder Gender Diverse sind, tatsächlich sind und auch, um das gesamte Bibliothekssystem zu ändern. Hauptsächlich sollte das Bibliothekswesen – so wieder die Herausgeber*innen – lernen, dass die Betroffenen wütend sind, weil es zwar grosse Versprechungen dahingehend gibt, dass Bibliotheken safe spaces seien und dass das Bibliothekswesen als Ganzes Diversität fördern würde, aber das diese Versprechen oft nicht eingehalten werden. Vielmehr seien heteronormative Strukturen und Verhaltensweisen sowie transphobe Haltungen weiterhin vorhanden und viele offizielle Positionen von Bibliotheksverbänden oder Bibliotheken würden wenig mehr sein als Lippenbekenntnisse.

Der Rezensent kann selbstverständlich nur aus seiner Position werten, ob das Buch dieses Ziel erreicht. (Ob das Ziel, dass sich Trans und Gender Diverse Personen im Bibliothekswesen angesprochen fühlen und ermutigt, ihre eigenen Erfahrungen zu reflektieren, erreicht wird, müssen diese beantworten.) Hierzu ist die Wertung aber zwiespältig: Ein grosser Teil der Beiträge vermittelt diese Wut nämlich nicht. Insbesondere am Beginn des Buches schreiben Autor*innen immer wieder, dass sie im Alltag von anderen Kolleg*innen Unterstützung erhalten würden und die Erfahrungen im Bibliothekswesen grösstenteils positiv wären. Das gilt nicht für alle Texte. Einige sind sehr explizit darin, vor allem transphobes Verhalten von Lehrpersonen und anderen Bibliothekar*innen zu benennen sowie darauf hinzuweisen, wenn die angeblichen Ziele von Bibliotheken und Ausbildungseinrichtungen, Diversität zu fördern, mit den realen Strukturen zusammenstossen, die zum Beispiel immer wieder in technischen Systemen eine klare geschlechtliche Markierung von Personen erzwingen. Aber eingebettet in die vielen positiv gestimmten Texte vermittelt sich eher das Bild, dass die Bibliotheken zumindest in den USA und Kanada grosse Schritte hin zum safe space librarianship gemacht haben, wenn auch noch eine Anzahl von Einzelpersonen dem entgegensteht. (Allerdings erwähnen die Herausgeber*innen auch, dass eine ganze Reihe von angedachten Texten nicht geschrieben wurden, weil sich Bibliothekar*innen nicht sicher fühlten, diese zu publizieren. Auch in den Texten wird mehrfach vermittelt, dass sie extra anonymisiert wurden, um nicht auf die jeweiligen Autor*innen oder die im jeweiligen Text besprochenen Einrichtungen zurückgeführt werden zu können. Das vermittelt am Ende aber einen vielleicht positiveren Eindruck, da positive Texte so viel eher veröffentlicht wurden.) Im Ganzen vermittelt das Buch den Eindruck, dass es wichtig ist, diese Schritte proaktiv weiterzugehen – und beispielsweise nicht darauf zu warten, dass Transpersonen im Bibliothekswesen sich erst beschweren, bevor sich etwas ändert –, aber auch, dass schon ein grosser Teil des Weges zurückgelegt wurde. (ks)


Priestner, Andy ; Martin, Marisa (edit.) (2024). User Experience in Libraries: Yearbook 2024. Lincolnshire: UX in Libraries, 2024 [gedruckt]

UX in Libraries ist ein Sammelbegriff für das, was im Deutschen wohl eher Nutzer*innenforschung genannt wird: Der Einsatz von mehr oder minder klar definierten Methoden in Bibliotheken, um zu erfahren, wie Nutzer*innen bestimmte Angebote (Services, Schulungen, den Raum Bibliothek und so weiter) wahrnehmen und wie diese Angebote verändert werden sollten. Die Methoden stammen teilweise aus der Forschung (beispielsweise Interviews, Mapping, Beobachtungen), teilweise aus der Marktforschung (unter anderem Rapid Prototyping oder Sketching Exercises). Es geht dabei immer darum, Daten zu erheben, mit denen Entscheidungen in der Bibliothek getroffen werden können und nicht um wissenschaftliche Fragestellungen. Insoweit geht es nicht darum, ob die Methoden valide oder die Ergebnisse reproduzierbar sind, sondern nur, ob sie nutzbare Ergebnisse hervorbringen. Ausserdem geht es praktisch immer darum, Nutzer*innen einer Bibliothek zu befragen. Die Nutzung von Ergebnissen aus anderen Bibliotheken, der Vergleich zwischen Bibliotheken oder aber die Einbettung von Studien und Ergebnissen in die Fachliteratur ist praktisch nicht Teil von UX in Libraries-Projekten.

Nichtsdestotrotz gibt es um das Schlagwort UX in Libraries eine grösstenteils englisch-sprachige Community (die aber auch Kolleg*innen aus skandinavischen Ländern, den Niederlanden oder Deutschland umfasst). Ein wenig getrieben wird sie offenbar von Andy Priestner, der dieses Buch mit herausgegeben hat, zudem 2021 schon ein Handbook publizierte, in welchem verschiedene Methoden vorgestellt werden, und ausserdem als Berater für Bibliotheken tätig ist, welche diese Methoden einsetzen. Aber sie umfasst fraglos weitere Kolleg*innen in verschiedensten Bibliotheken.

Seit 2016 – mit Unterbrechung von 2020–2021 – findet jährlich eine Tagung dieser Community statt (UXLibs), welche jeweils in einem Tagungsband dokumentiert wird. Das vorliegende Buch ist der Band für das Treffen 2023 in Brighton, UK. Hauptsächlich sind hier die gehaltenen Referate sowie Berichte über Workshops versammelt. Diese geben einen Einblick darin, was für Projekte in Bibliotheken durchgeführt werden. Sinnvoll ist dies für weitere Bibliotheken, die nach möglichen Methoden für vergleichbare Projekte suchen. Sichtbar ist, dass es eine lebendige Community ist und dass Bibliotheken von den Ergebnissen der Projekte profitieren. Aber gleichzeitig werden auch die Grenzen dieses Ansatzes klar: (1) In jeder Bibliothek scheinen die Projekte jeweils neu aufgesetzt und nur für die jeweils lokale Bibliothek ausgewertet zu werden. Ein gemeinsamer Aufbau von Wissen scheint nicht stattzufinden. (2) Die Projekte tendieren alle dazu, Nutzer*innen direkt einzubinden. Das gilt in der Community als grundsätzlich positiv, lässt für Aussenstehende aber schnell den Eindruck aufkommen, dass hier Mitarbeit mehr oder minder erzwungen wird. Nutzende sollen ständig irgendwas zeichnen, ausprobieren oder mit Legosteinen basteln. (3) Eine wirkliche Methodenreflektion oder Theoriebildung findet nicht einmal ansatzweise statt. Bei den Methoden scheint es teilweise wichtiger zu sein, noch eine neue zu erfinden, als darüber nachzudenken, was die Möglichkeiten und Grenzen der schon benutzten Methoden sind. Die Ergebnisse der einzelnen Bibliotheken werden, wie gesagt, auch nie zusammengeführt, um zum Beispiel allgemeine Aussagen über Nutzer*innen in Bibliotheken zu generieren (und anschliessend zu prüfen).

In einer ganzen Anzahl der Beiträge im Band wird explizit auf Fragen der (mangelnden) Diversität der befragten Nutzer*innen eingegangen. Die Kolleg*innen in den Bibliotheken machen sich Gedanken dazu, wie sie eine grössere Vielfalt von Personen erreichen können. (Allerdings, wie gesagt, ohne über die verwendeten Methoden selber nachzudenken, obgleich auch die einen Einfluss darauf haben könnten, wer teilnimmt und wer nicht.)

Sicherlich lohnt es sich, von Zeit zu Zeit wahrzunehmen, was in dieser Community unternommen wird. Es ist nicht die einzige Community von Bibliothekar*innen, die sich mit Fragen der Nutzer*innenforschung beschäftigt – zu nennen wäre auch die um die Zeitschrift Evidence Based Library and Information Practice als mehr wissenschaftlich orientierte –, aber eine der lebendigsten. Das wird mit diesen Tagungsbänden ermöglicht. Das Buch selber vermittelt mit seinem Layout und Inhalt – insbesondere seitenlangen Bilderstrecken von social events der Konferenz – aber auch schnell den Eindruck, dass die Community vor allem für Kolleg*innen offen ist, die solche sozialen Interaktionen und den Fokus auf praktische Fragen mögen sowie sich nicht scheuen, in Workshops mit Lego zu arbeiten. Also: Es ist nicht für alle. (Der Rezent selber ist davon zum Beispiel vollkommen abgeschreckt und wird gewiss nicht zu der im Januar 2025 stattfindenden UXLibs9 nach Liverpool fahren. Aber andere Personen werden sich durch das Yearbook vielleicht genau dazu angespornt fühlen.) (ks)


Barbakoff, Audrey ; Lenstra, Noah (2024). The 12 Steps to a Community-Led Library. Chicago: ALA Editions, 2024 [gedruckt]

In den englischsprachigen Bibliothekswesen gibt es, mehr noch als im DACH-Raum, eine Reihe von Berater*innen, die oft mit dem jeweils gleichen Programm oder Angebot Bibliotheken bei deren Entwicklung unterstützen. Wenn sie erfolgreich sind, können sie dies teilweise hauptberuflich betreiben. In der vorstehenden Besprechung ist der genannte Andy Priestner ein solcher Berater. Die beiden Autor*innen dieses Buches hier sind für ihr Programm und für die USA ebenfalls als Berater*innen tätig, wobei Noah Lenstra zudem an der University of North Carolina arbeitet. Ihr Angebot besteht darin, Bibliotheken dabei zu unterstützen, partizipativer zu werden und dabei explizit Personengruppen einzubeziehen, die von Bibliotheken viel weniger erreicht werden.

Das vorliegende Buch ist praktisch dieses Beratungsangebot in schriftlicher Form. Grundsätzlich geht es darum, Bibliotheken dahin zu bringen, Partizipation als die Abgabe von Macht zu verstehen: Nutzer*innen sollen die Entwicklung von Bibliotheken und deren Angeboten direkt mitbestimmen können und nicht nur – wie dies laut den Autor*innen heute der Normalfall wäre – mit ihren Meinungen einbezogen werden, aber ohne die Macht, Entscheidungen zu treffen. Der Grossteil des Buches geht darauf ein, wie ein solches Ziel konkret in Bibliotheken umgesetzt werden kann. Es ist sehr praxisorientiert und thematisiert beispielsweise, was sich für das Personal ändert, welche Formen von Workshops, Partizipationsmöglichkeiten, Evaluationen des Erfolgs dieser Anstrengungen und so weiter existieren. Der inhaltliche Teil – in welchem neben dem Prinzip Partizipation auch die Grundidee von Diversität erläutert wird – ist dagegen recht kurz. Ganz offensichtlich ist das Buch aus der Beratungsarbeit der beiden Autor*innen entstanden und enthält auch viele konkrete Beispiele.

Allerdings: Die Sprache ist gewöhnungsbedürftig. Stellenweise liest sich das Buch so, als würde zu Kindern gesprochen und nicht zu ausgebildeten Bibliothekar*innen. Zudem wird, warum auch immer, von der ersten Autor*in durchgehend als abwesende Person gesprochen (im Sinne von: Dr. Barbakoffs Forschung zeigte dies und das.). Zudem ist gegen das Ziel, Partizipation und Diversität im Bibliothekswesen zu fördern, nichts einzuwenden. Allerdings hat man beim Lesen schnell den Eindruck, dass alles schon mehrfach und auch reflektierter gelesen zu haben, wenn auch teilweise unter anderen Schlagwörtern. Es ist eine Handreichung, die vor allem Bibliotheksleitungen bei der Umsetzung dieser Ziele helfen kann, aber inhaltlich kein originärer Beitrag. (ks)


Weber, Jürgen (2024). Sammeln nach 1998: Wie Provenienzforschung die Bibliotheken verändert. (Phänomenologie der Bibliothek: Redescriptions, 1). Bielefeld: transcript Verlag, 2024, https://doi.org/10.14361/9783839472248

Mit diesem Band wurde im transcript Verlag die neue Reihe Phänomenologie der Bibliothek: Redescriptions eröffnet. Es ist noch nicht klar, was diese Reihe inhaltlich anstrebt. Aber sie soll offenbar spezifisch bibliothekswissenschaftlich sein, was zu begrüssen ist, schon weil damit der transcript-Verlag zu den sehr wenigen Verlagen hinzutritt, in denen im DACH-Raum über bibliothekswissenschaftliche und bibliothekarische Themen publiziert wird.

Was das Buch darstellt, ist aber ein kein eigenständiges Werk, sondern eine Zusammenstellung von Artikeln und Buchkapiteln, welche Jürgen Weber in den letzten rund 15 Jahren anderswo (recht oft in der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie) veröffentlichte. Sie sind teilweise aktualisiert, aber für dieses Buch selber wurde nur die Einleitung neu geschrieben. Zudem beziehen sich die meisten Texte konkret auf Bibliotheken aus Weimar, vor allem auf die Herzogin Anna Amalia Bibliothek, an welcher Weber auch tätig ist. Zumeist beschäftigen sich diese mit Fragen der Provenienzforschung, inklusive der Beschreibung einzelner Restitutionsfälle sowie Überlegungen dazu, ob Provienznachweise zum Normalfall im bibliothekarischen Bestandsmanagement werden sollten. Nur zwei Artikel, die versuchen, Sammlungen und Sammlungsstruktur von Bibliotheken theoretisch zu fassen, fallen aus diesem Rahmen. Allerdings: Diese beiden Texte arbeiten mit jeweils unterschiedlichen theoretischen Ansätzen, die sich nicht ergänzen. In anderen Beiträgen gibt es weitere Verweise zu Theorien des Sammelns (vor allem aus der Forschung um Museen und Archive). Das öffnet immer wieder andere Blickwinkel auf Bibliotheksbestände, aber gleichzeitig fehlt dadurch ein umfassendes Konzept, mit dem eine konkrete Frage – zu erwarten wäre die im Titel des Buches genannte Wie Provenienzforschung die Bibliotheken verändert – bearbeitet würde. (ks)

3.2 Bibliotheks- und Buchgeschichte

Röhner, Barbara (2016). Von Reproduktionsausstellungen zum Bildverleih: Ideen- und Entwicklungsgeschicht von Artotheken in der DDR. (Hallesche Beiträge zur Kunstgeschichte, 12) Halle an der Saale: Universitätsverlag Halle-Wittenberg, 2016 [gedruckt]

Artotheken sind Einrichtungen, die Kunst verleihen. Im DACH-Raum sind heute einige von ihnen in Öffentlichen Bibliotheken angesiedelt, andere sind alleinstehende Institutionen. Es gab aber eine eigene Geschichte dieser Einrichtungen in der DDR, wo sie fast alle Abteilungen von Bibliotheken waren. Ab den 1970er Jahren waren diese recht gut etabliert, inklusive Artotheken in Gewerkschaftsbibliotheken von Grossbetrieben und Bibliotheken der Nationalen Volksarmee, aber auch durch die Betreuung von Artotheken als eigener Arbeitsbereich durch das Zentralinstitut für Bibliothekswesen. Fast alle diese Einrichtungen wurden nach 1989 geschlossen. Das Buch arbeitet diese Geschichte auf. Es stammt aus der Kunstgeschichte, was die gesamte Darstellung massiv beeinflusst.

Eine Besonderheit der Artotheken in der DDR war, dass sie – bis auf Ausnahmen – keine Originalkunstwerke erwarben und verliehen, sondern Reproduktionen. (Röhner widerspricht dabei explizit Konrad Umlauf, der sie deshalb gerade nicht als Artotheken gelten lässt.) Zuerst arbeitet Röhner deshalb die Idee von Reproduktionen als Form der Kunstvermittlung auf, wie sie in der DDR diskutiert wurde, mit einer Übersicht der Diskussion in den Jahrzehnten zuvor. Dabei inkludiert werden andere Debatten und Entwicklungen in der Kulturlandschaft der DDR. Anschliessend wird auf die Geschichte der Kunstreproduktionen und der (wenigen) Verlage eingegangen, die diese in der DDR produzierten. Und zwar so ausführlich, dass erst auf Seite 216 (von 414 Textseiten vor den Verzeichnissen und Anhängen) überhaupt die erste Artothek in der Berliner Stadtbibliothek angesprochen wird.

Erst dann geht das Buch die Geschichte von verschiedenen Artotheken durch, gestützt auf die zeitgenössische Literatur, zahlreiche Archivmaterialien und Interviews. Selten in der Bibliotheksgeschichte wird so tiefgehend und intensiv auf die Geschichte einzelner bibliothekarischer Einrichtungen eingegangen, zumal noch mit einem kritischen Blick. Das ist positiv hervorzuheben. Dadurch erhält man Einblick in Überlegungen zu Artotheken und in deren konkrete Praxis. Diese waren immer davon geprägt, lokal unterschiedliche Lösungen zu finden, sowie sich gleichzeitig in den eigenen Veröffentlichungen positiver darzustellen, als sie in der Realität wohl waren. Insbesondere vergleicht Röhner Behauptungen in der Literatur mit Photographien aus den tatsächlichen Artotheken und kann Differenzen zeigen. Gleichzeitig wird sichtbar, dass die meisten grösseren Artotheken vom Engagement einzelner Bibliothekar*innen abhingen – was aber auch dazu führte, dass sie teilweise in Kleinstädten erstaunliche Grössen erreichen konnten. Wieder mit Ausnahmen stand in ihnen der erzieherische beziehungsweise pädagogische Aspekt im Mittelpunkt.

Wie gesagt, ist dies eine kunsthistorische Arbeit. Deshalb ist verständlich, dass Röhner aber auch Fehler macht, wenn es um die bibliothekarische Seite geht. Teilweise werden Personen falsch zugeordnet (Hugo Heimann wird zum Beispiel Vertreter des Volksbüchereiwesens genannt, obwohl die von ihm gegründete Bibliothek explizit keine Volksbücherei sein sollte, sondern eine Arbeiterbibliothek) und teilweise werden Arbeitsmittel falsch verstanden (insbesondere interpretiert sie Auswahlverzeichnisse, die von Bibliotheken als Erschliessungsmittel für ihre Nutzer*innen herausgegeben wurden, als Hilfsmittel für den Bestandsaufbau anderer Bibliotheken). Es ist im Einzelfall zu diskutieren, ob dies im Detail zu falschen Aussagen führt. Im Ganzen aber ist dieses Buch ab Seite 216 eine übersichtliche, teilweise durch zu viele geschilderte Details aber auch repetitive Geschichte.

Eine Frage, die allerdings nicht beantwortet wird, ist die, was eigentlich das Problem mit Kunstreproduktionen – im Gegensatz zu Originalen – sein soll, insbesondere wenn es um kunstpädagogische Ziele geht. Der Fokus auf Kunstreproduktionen wird die ganze Zeit als Besonderheit der Artotheken in der DDR angeführt und hat dann auch dazu geführt, dass sie nach 1989 grösstenteils geschlossen wurden. Vielleicht ist es für Röhner, die in der Kunstgeschichte arbeitet, keine diskussionswürdige Frage, sondern Wissen, das als bekannt voraussetzt werden kann. Aber gerade, weil nicht nur im Text selber, sondern auch noch im letzten Absatz ihres Buches, auf Walter Benjamins Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit verwiesen wird, wäre eine Klarstellung zu wünschen gewesen. (ks)


Hinterthür, Bettina (2006). Noten nach Plan: die Musikverlage in der SBZ/DDR - Zensursystem, zentrale Planwirtschaft und deutsch-deutsche Beziehungen bis Anfang der 1960er Jahre. (Beiträge zur Unternehmensgeschichte, 23) Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2006 [gedruckt]

Im weiter oben besprochenen Buch von Barbara Röhner wird die Geschichte der Verlage besprochen, welche in der DDR Kunstreproduktionen veröffentlichten. In gewisser Weise als Kompagnon kann dieses Buch von Bettina Hinterthür gelesen werden, welches ebenfalls ausgesprochen umfangreich die Geschichte spezifischer Verlage in der DDR darstellt, nämlich derjenigen, welche Notendrucke und musikwissenschaftliche Literatur publizierten. Hinterthür beschränkt sich dabei auf die Jahre bis Anfang der 1960er, aber in den Ereignissen und Ergebnissen gleicht die Darstellung der von Röhner. (Gleichwohl ist das Buch von Hinterthür über 500 Seiten stark. Für die gesamte Geschichte bis 1989/1990 hätte es wohl eines tausendseitigen Werkes bedurft.) Es gab in der Sowjetischen Besatzungszone nach Ende des Zweiten Weltkrieges eine Anzahl von betreffenden Verlagen – teilweise mit zerstörten Produktionsanlagen, aber teilweise auch mit gut erhaltenen Druckereien und Lagerbeständen – und gleichzeitig Versuche, erst der KPD, dann der SED, diese in die Kulturpolitik einzubinden. Dies funktionierte nicht sofort, sondern erst in einem langen Prozess, was teilweise damit zu tun hatte, dass die Partei – im Gegensatz zur Literatur – für die spezifischen Bereiche Musik und Kunst vor 1945 keine eigenständigen Konzeptionen entwickelte hatte, sondern diese erst im Laufe der Zeit erarbeitete. Teilweise widersetzten sich aber auch die Verlagsinhabenden oder -mitarbeitenden selber der Vereinnahmungsversuche. Eine Besonderheit der Musikverlage war zudem, dass nicht nur Parallelverlage in Westdeutschland gegründet wurden, die den Anspruch erhoben, die eigentlichen Rechtsnachfolger der Verlage zu sein, sondern dass ein Grossteil der Einnahmen der Verlage aus den Aufführungsrechten und nicht dem Verkauf der Notendrucke stammte.

Hinterthür schildert auf der Basis umfangreicher Archivrecherchen die Entwicklungen der Verlage, inklusive der Auseinandersetzungen um Druckmöglichkeiten, Papierzuteilungen, kulturelle Kampagnen der SED und Ansprüchen der Parallelverlage. Dies ist einigermassen deckungsgleich zu der Geschichte, die Röhner darstellte. Was bei Hinterthür heraussticht, ist, dass auf der einen Seite wohl alle vorliegenden Archivalien ausgewertet und kleinteilig dargestellt wurden (nicht selten werden einige Abschnitte lang die Interaktionen einzelner Personen dargestellt), was das Lesen des Buches teilweise schwer macht, aber sich Hinterthür auf der anderen Seite mit einer eigenständigen Bewertung fast vollständig zurückhält. Zum Teil wird direkt aus den Archivalien zitiert, als ob diesen einfach vertraut werden könnte, obgleich es sich fast immer um politisch aufgeladene Dokumente handelt. (ks)


Schneider, Johannes Ulrich (2024). Andrew Carnegies Bibliotheken: Über Moderne und Öffentlichkeit. (Themen, 110) München: Carl Friedrich von Siemens Stiftung, 2024 [gedruckt]

In der Geschichte der anglo-amerikanischen Public Libraries (in den USA, Kanada, Grossbritannien, Irland und einigen anderen ehemaligen britischen Kolonien) ist Andrew Carnegie (1835–1919) eine der bestimmenden Personen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Stahlmagnat war und ist für seine Philantrophie bekannt, wobei er einen Schwerpunkt auf die Öffentlichen Bibliotheken legte und den Bau von rund 2.500 von ihnen finanzierte. Relevant war dabei nicht nur, dass er viel Geld gab, sondern dass diese Förderung nach einiger Zeit zu einem eigenen, effizient organisierten Unternehmen wurde, unter anderem mit eigenen Richtlinien für die Förderung. Die bekannteste dieser Regeln ist, dass Carnegie voraussetzte, dass die jeweilige Gemeinde die Finanzierung der Unterhaltskosten einer Bibliothek garantieren musste, welche jährlich mindestens 10 % der Fördersumme umfassen musste, die von Carnegie für die Errichtung und Einrichtung der jeweiligen Bibliothek zur Verfügung gestellt wurde. Mit diesen Regelungen gilt Carnegie auch als Person, die die Philantrophie in das Industriezeitalter überführte.

Carnegie, seine Bibliotheken, aber auch andere Aspekte seiner Philantrophie (inklusive des Widerstands gegen diese, unter anderem von der organisierten Arbeiter*innenschaft, die ihn als gewerkschaftsfeindlichen Industriellen ansah), sind schon oft Thema von Beiträgen und Monographien gewesen. Zahlreiche Aspekte seines Lebens und Wirkens sind beschrieben, ausgeleuchtet und auch kritisiert worden. Das vorliegende Buch stellt jetzt einen ausgearbeiteten Vortrag dar, welchen Johannes Ulrich Schneider – bis zu seiner Pensionierung 2022 unter anderen Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig, dort aber jetzt auch weiter Professor für Philosophie – im Rahmen eines Förderprogramms der Carl Friedrich von Siemens Stiftung gehalten hat. Im Rahmen dieses Programms hatte er zu Carnegie geforscht. Das Buch ist deshalb aber kein Forschungsbericht, sondern spricht eher in lockerer Folge unterschiedliche Aspekte Carnegies und der Carnegie Libraries an. Ein wenig – obgleich es eine wissenschaftliche Publikation ist, in der beispielsweisen Aussagen auch immer nachgewiesen sind und Argumente gebildet werden – liesst es sich wie ein lockeres Gespräch über das Thema.

Die Frage ist nun, was dieses Buch zu den schon vorhandenen Beiträgen hinzufügt. Heraus ragt, dass es eine explizit deutschsprachige Publikation ist, während die meisten anderen aus dem anglo-amerikanischen Raum stammen und in Englisch vorliegen. Schneider schaut ein wenig von aussen auf Carnegie, nicht aus Gesellschaften, die direkt von dessen Tätigkeiten geprägt wurden. Ansonsten hat das Buch aber keine explizite Forschungsfrage. Es ist keine reine Biographie, keine explizite Bibliotheksgeschichte, sondern ein wenig die Versammlung verschiedener Punkte. So insistiert Schneider darauf, Carnegies Philantrophie breiter zu schildern, als nur auf die Bibliotheken bezogen. Unter anderem war Carnegie stark in der Friedensbewegung engagiert, aber mit einer spezifischen, die liberal-kapitalistische Gesellschaftsordnung in den Mittelpunkt stellenden Position. Gleichzeitig betont Schneider, dass man Carnegie in seiner Zeit verorten müsse, weder als unhinterfragbaren Held noch als nur kritisch zu sehende Persönlichkeit.

Dadurch, dass das Buch viele Themen anspricht, können wohl alle Leser*innen die Punkte finden, die sie am meisten interessieren. Für den Rezensenten hier waren dies die Anmerkungen zu den Grenzen der Bibliotheksgeschichte. Schneider betont, dass gerade in der englischsprachigen Bibliotheksgeschichte die Geschichte der Public Libraries oft mit der Förderung Carnegies beginnt, obgleich es zuvor und zeitgleich auch andere Formen von öffentlich zugänglichen Bibliotheken gab, die zur Geschichte der Public Libraries gehören. Gleichzeitig argumentiert Schneider mehrmals, dass es in der Bibliotheksgeschichte eigentlich nicht möglich wäre, zu untersuchen, wie Nutzer*innen die Bibliotheken tatsächlich wahrnahmen, was sie wie gelesen haben und so weiter. Alles, was zu schildern wäre, seien die Entwicklungen von Gebäuden, Beständen und Diskursen. (Ein Thema, das er auch für die zeitgenössischen Bibliotheken schon besprochen hat, vergleiche Schneider, Johannes Ulrich (2018). Lesen als Arbeiten in der Bibliothek. In: Bonte, Achim ; Rehnolt, Julian (Hrsg.) (2018). Kooperative Informationsinfrastrukturen als Chance und Herausforderung. Berlin: De Gruyter Saur, 2018: 277-288.) (ks)


Soilihi Mzé, Hassan (2023). Geöffnet - gelenkt - umgebaut: Universitätsbibliothek Leipzig, Deutsche Bücherei und Leipziger Stadtbibliothek zwischen institutioneller Reorganisation und politischer Instrumentalisierung (1945-1968/69). Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2023 [gedruckt]

Diese Arbeit, gleichzeitig eine geschichtswissenschaftliche Dissertation, schildert für die drei im Titel genannten Bibliotheken deren Entwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR. In ihr wird postuliert, dass man diese drei als Beispiele für Entwicklungen Wissenschaftlicher Bibliotheken in der DDR (zumindest bis 1968/69) ansehen kann. Dieses Postulat ist schwer zu belegen, da es bislang keine etablierte Übersicht zur Bibliotheksgeschichte der DDR gibt, man also schwerlich sagen kann, ob die Entwicklungen in Leipzig aus denen im restlichen Land herausstachen oder nicht. Sicherlich, die Deutsche Bücherei – heute die Deutsche Nationalbibliothek, Standort Leipzig – war eine sehr besondere Bibliothek, die eigentlich nur mit anderen Nationalbibliotheken verglichen werden kann. Aber die Universitätsbibliothek Leipzig und die Stadtbibliothek (die heute als wissenschaftliche Bibliothek nicht mehr existiert, was ein Thema des Buches ist), hatten ihre Parallelorganisationen in anderen Städten.

Ein Thema, welches Soilihi Mzé umtreibt, ist der Umbau der genannten Bibliotheken hin zu sozialistischen Bibliotheken. Dieses Postulat, dass die Bibliotheken in der DDR zu sozialistischen Bibliotheken werden müssten, wurde spätestens mit der Gründung der DDR explizit vertreten. Gleichwohl war es – wie unter anderem in diesem Buch gezeigt wird – nie ganz einfach zu bestimmen, was darunter zu verstehen sei. Die Bibliotheken sollten auf die Aufgaben ausgerichtet werden, eine sozialistisch Gesellschaft aufzubauen und dann in dieser Gesellschaft zu funktionieren. Aber hiess dies zum Beispiel, dass Bibliotheken möglichst effektiv, in zentralisierten Netzwerken und unter einheitlicher Kontrolle arbeiten sollten? Oder hiess es, dass die Bibliothekar*innen möglichst ideologisch geschult sein müssten? Hiess es, dass alle wichtigen Funktionen mit Personen besetzt sein sollten, die der KPD nach 1946 der SED, angehörten? Im Buch wird beschrieben, dass dies jeweils neu verstanden wurde und deshalb auch immer wieder mit unterschiedlichen Ansätzen umzusetzen versucht wurde.

Grundsätzlich geht Soilihi Mzé, basierend auf noch vorhandenen Akten und Unterlagen der drei Bibliotheken, die strukturellen Veränderungen durch, die in den untersuchten Jahren stattfanden. Dem Titel getreu folgt die Arbeit einem Aufbau von drei Perioden: Erst die Säuberung von Beständen und Personal nach dem Nationalsozialismus, mit anschliessender Wiedereröffnung der Bibliotheken (geöffnet), dann die Übernahme der Leitungsfunktionen durch SED-Mitglieder bis Ende der 1950er Jahre (gelenkt) und schliesslich der Umbau der Bibliotheken bis zum Erlass der Bibliotheksverordnung der Deutschen Demokratischen Republik 1968 (umgebaut), wobei der Erlass von Soilihi Mzé als Anfang einer neuen Periode gewertet wird, deren Geschichte noch zu schreiben sei. Dabei geht das Buch jeweils nacheinander die Entwicklungen in den drei Bibliotheken durch. Soilihi Mzé interessiert, wie die Deutsche Bücherei als Bibliothek mit gesamtdeutschen Anspruch agierte, aber gleichzeitig in die Politik der SED (welche in diesen Jahrzehnten wechselte von der Betonung einer Zusammengehörigkeit von BRD und DDR hin zur Betonung der Eigenständigkeit der DDR) eingebunden wurde. Bei der Universitätsbibliothek geht es sehr um den Umbau der Zweigliedrigkeit (also dem autonomen Bestehen von Instituts- und Fachbibliotheken neben der Universitätsbibliothek) zum eingliedrigen System (bei dem die Institutsbibliotheken, inklusive der Hoheit über Bestand und Etat, der Universitätsbibliothek und dessen Leiters unterstehen sollten); ein Umbau, der allerdings bis 1968 nicht vollständig gelang. Bei der Leipziger Stadtbibliothek, die sich als Wissenschaftliche Bibliothek der Bürgerschaft – betrieben neben der Volksbücherei – verstand und beispielsweise Bestände von Inkunabeln betreute, steht vor allem die Auflösung derselben im MIttelpunkt der Darstellung sowie ihre Zusammenführung mit der Volksbücherei.

Soilihi Mzé interpretiert all dies immer wieder auch als ideologisch motivierte Aktivitäten. Beispielsweise sei es bei der Auflösung der Stadtbibliothek darum gegangen, dem Bürgertum der Stadt einen identitätsbildenden Kristallisationspunkt zu nehmen. Es ist eine Schwierigkeit dieser Arbeit, dass Soilihi Mzé dafür zwar immer Argumente bringen kann, also oft explizit zeigt, dass es tatsächlich ein erklärtes Ziel der SED war, bürgerliches Denken auszuschalten. Aber gleichzeitig drängen sich immer wieder Zweifel auf: Zweigliedrige Universitätsbibliothekssysteme zu eingliedrigen umzubauen oder aber historisch angelegte Stadtbibliotheken mit Volksbüchereien zu vereinen oder aber sie ganz aufzulösen, war keine Eigenheit der DDR. Das passierte in der BRD, in Österreich und der Schweiz auch – ebenso, wie es da immer wieder neu scheiterte und bis heute immer wieder neu angegangen wurde. Grundsätzlich wird in der Arbeit zudem durchgehend behauptet, dass ein Grund für die ganzen Aktivitäten die Orientierung an der Sowjetunion gewesen wäre. Gerade dies wird aber nicht explizit gezeigt. Ständig drängt sich die Frage auf, ob die DDR mit den Umbauten nicht auch Trends folgte, die sich aus gesellschaftlichen Veränderungen ergaben – Stichwort: Ausweitung von Bildungsmöglichkeiten – und die mit ideologischen Zielen in Übereinstimmung gebracht wurden. Zwar wird für die Universitätsbibliothek erwähnt, dass es ähnliche Bestrebungen schon vor 1933 und nach 1945 auch anderswo gab, aber so interpretiert, als hätte die SED diese Bestrebungen nur okkupiert, um eigene Ziele durchzusetzen.

Was in dem Buch zu lernen ist, sind die grundsätzlichen Veränderungen in den drei genannten Bibliotheken: Wann wurden Entscheidungen getroffen? Welche Entscheidungen wurden getroffen? Welche Personen wurden wann entlassen, welche befördert? Das ist alles, teilweise sehr kleinteilig, dargestellt. Am meisten wird – wohl weil darüber mehr Akten vorlagen – über die Zeit der Säuberung der Bestände nach dem Nationalsozialismus und der Wiedereröffnung der Bibliotheken berichtet. Gleichzeitig beschreiben grosse Teile des Buches auch vor allem Personalentwicklungen: Wer wurde abgesetzt? Wann etablierte die SED eigene Kader in den Bibliotheken und Bibliotheksleitungen? All das nimmt erstaunlich viel Platz im Text ein. Entwicklungen des Bestandes oder der konkreten Nutzung geraten dabei immer wieder in den Hintergrund. Teilweise vermittelt das Buch den Eindruck, es sei es einfach nur darum gegangen, die Entscheidungsfunktionen in den Bibliotheken zu zentralisieren und dann die wichtigen Positionen mit Mitgliedern der SED zu besetzen. Es bleibt am Ende eine Unsicherheit zurück, ob dies schon sozialistische Bibliotheken ausgemacht hat oder ob nicht auch mehr auf andere Aspekte hätte eingegangen werden müssen, um den realen Unterschied zwischen diesen Bibliotheken (und den Entwicklungen in ihnen) und denen in anderen Ländern darzustellen. (ks)


Knowlton, Steven A. ; Pozzi, Ellen M. ; Sly, Jordan S. ; Spunaugle, Emily D. (edit.) (2024). Libraries without borders: New directions in library history. Chicago: ALA editions, 2024 [gedruckt]

Der Library History Round Table ist eine Arbeitsgruppe in der ALA – vergleichbar mit einer Sektion im Bibliosuisse oder einer Kommission im dbv –, welche die Beschäftigung mit Bibliotheksgeschichte vorantreibt. Dazu organisiert sie unter anderem jährlich Seminare – praktisch kleine Konferenzen – und gibt die Zeitschrift Libraries: Culture, History, and Society heraus. Die Vorträge auf den Seminaren und die Beiträge in der Zeitschrift beschäftigen sich verständlicherweise zumeist mit der US-amerikanischen Bibliotheksgeschichte. Aber der Round Table ist auch bemüht, diesen Fokus zu erweitern. Seit einigen Jahren gibt es explizite Bemühungen, die Geschichte marginalisierter Gruppen – also zum Beispiel afroamerikanischer Bibliothekar*innen – sichtbar zu machen.

Das vorliegende Buch ist nun praktisch die Publikation der meisten Vorträge, die auf dem Anfang 2020 abgehaltenen Seminar gehalten wurden. Zwar wird in der Einführung betont, dass es sich nicht um die Konferenzveröffentlichung handeln würde, aber es ist nicht klar, was genau das heissen soll. Eventuell ist damit einfach gemeint, dass die Beiträge noch überarbeitet wurden.

Ansonsten liest sich das Buch wie eine weitere Veröffentlichung der Zeitschrift, auch wenn es eine eigenständige Monographie darstellt. Das vorgebliche Thema, libraries without borders, wird nur in einigen Beiträgen am Rande aufgegriffen, ansonsten aber ignoriert. Die Beiträge beschäftigen sich mit sehr verschiedenen Themen und sind auch sehr unterschiedlich. Als inhaltlich interessant hervorzuheben ist ein Beitrag zur Geschichte von Bibliotheken der mariologischen Bewegung, die von Klerus und Laienschaft getragen im frühen 20. Jahrhundert Maria in den Mittelpunkt der katholischen Spiritualität stellen wollte und dazu unter anderem zahllose Publikationen erstellte, die dann wiederum, teilweise systematisch, oft aber auch unsystematisch, in Bibliotheken gesammelt und erschlossen wurden. (Henry Handley: Thank you, father, for your grand cooperation”: Outreach and the Founding of the Marian Library, 27–54) Zudem zu erwähnen ist ein Beitrag, der sich mit dem Phänomen vonJahre zu spät zurückgegebenen Bibliotheksbüchern” beschäftigt, die regelmässig in der Presse und bibliothekarischen Publikationen erwähnt werden. In diesem wird danach gefragt, welchen Diskursfiguren die Darstellung dieser Fälle folgt. (John DeLooper: Better late than never: Stories of Long-Overdue Books, 79–103). (ks)


Lenhard, Philipp (2024). Café Marx: Das Institut für Sozialforschung von den Anfängen bis zu Frankfurter Schule. München: C.H. Beck, 2024 [gedruckt]

Wie im Titel sichtbar, stellt dieses Buch die Gesamtgeschichte des Instituts für Sozialforschung dar, also der Einrichtung, die in der Weimarer Republik gegründet wurde, um eine Aktualisierung marxistischer Theoriebildung nach der 1918/1919 gescheiterten Revolution ausserhalb der verschiedenen linken Parteien zu ermöglichen, die dann nach 1933 mit mehreren Zweigstellen (Genf, Paris, London, New York, Kalifornien) im Exil existierte und nach 1949 nach Frankfurt am Main zurückkehrte, um (wieder) Institut der dortigen Universität zu werden. Die Arbeit geht auf die Strukturen des Instituts, auf die prägenden Persönlichkeiten und die wichtigsten Publikationen aus dem Institut (also unter anderem die Dialektik der Aufklärung und die Negative Dialektik) ein.

Relevant im Zusammenhang hier ist, dass in einem Kapitel (In der Bibliothek: Geschlechterverhältnisse und soziale Hierarchien, 102–116) auch die Bibliothek des Instituts thematisiert wird, zumindest die, welche bis 1933 im ersten Institutsgebäude existierte. Dabei wird der wichtige Punkt gemacht, dass über die wichtigen Persönlichkeiten des Instituts (Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Friedrich Pollock, Felix Weil und andere – mit der Ausnahme von Hannah Arendt, die mit dem Institut in Verbindung stand, aber sich auch bald abwandte, praktisch alles Männer) schon sehr viel geforscht wurde, aber über das Personal, welches das Institut mit ihrer alltäglichen Arbeit ermöglichten, praktisch gar nicht. Lenhard führt dies vor allem anhand der Bibliothek vor (im Laufe des Buches aber auch noch an anderen Personen, beispielsweise dem Hauswart des Gebäudes). Dabei dargestellt werden die Biographien dieser Mitarbeiter*innen, fast alles Frauen, erwähnt wird aber auch, dass diese immer grosse Lücken enthalten. Man weiss nicht viel über sie und auch nicht über ihre Arbeit. Über die Bibliothek erfährt man in der Darstellung, dass sie gleichzeitig als Archiv arbeitete. (Ein Ziel des Instituts war es damals, möglichst alle Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung zu sammeln und zu veröffentlichen, damit sie der Forschung zur Verfügung stünden.) Über die restliche Bestandsarbeit ist wenig zu erfahren. Die Bibliotheken in den Zweigstellen oder nach der Rückkehr des Instituts nach Frankfurt werden nicht thematisiert. (ks)


Scarpatetti, Beat von (2022). Bücherliebe und Weltverachtung: Die Bibliothek des Volkspredigters Heynlin von Stein und ihr Geheimnis. Basel: Schwabe Verlag, 2022 [gedruckt, OA-Version: https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4473-6]

Der Autor beziehungsweise Ersteller dieses Buches war seit den späten 1960er Jahren als Mediävist und Katalogisierer mittelalterlicher Schriften in Basel, Paris und St. Gallen aktiv. Zudem publizierte er, aus einer christlich-theologischen Sicht, zum Thema Ökologie. Die vorliegende Arbeit ist in gewisser Weise ein Spätwerk beziehungsweise der Abschluss einer über 20-jährigen Obsession. (In der Festschrift zu seinem 75. Geburtstag (Egli, Daniel (Hrgs.) ; Meyer, Kurt (Redak.) ; Welti, Manfred (Redak.) (2016). Kultur und Ökologie: Festschrift zum 75. Geburtstag Beat von Scarpatetti. Binningen: Verein Ökogemeinde Binningen, 2026) wird dargestellt, dass dies nur eine seiner Obsessionen neben der Ökologie, Vertretung von Autofreien, Musik und Handschriftenkatalogisierung war.)

Es geht ihm um die Bibliothek eines spätmittelalterlichen Theologen, Heynlin von Stein, die in grossen Teilen weiterhin in der Universitätsbibliothek Basel (in ihrer Funktion als Kantonsbibliothek) erhalten ist. Heynlin war einerseits für seine Zeit, die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, einflussreich, weit gereist und erfolgreich. Er war an verschiedenen Universitäten aktiv, in Paris an der Sorbonne sogar Rektor. Später war er in Basel und im oberrheinischen Raum als Prediger aktiv, wo er hauptsächlich zum Verzicht auf weltliche Aktivitäten und Freuden sowie zur Hinwendung zu Glauben und Gebet aufrief. Obgleich auch damit erfolgreich, zog er sich in seinen letzten Jahren als Ordensmitglied in die Kleine Klause in Basel zurück. Nachdem diese später aufgelöst wurde, ging deren Bibliothek an die Kantonsbibliothek über, was deren heutigen Standort erklärt.

Der Autor dieses Buches hat sich schon länger mit Heynlin befasst. Unter anderem erstellte er einen Lexikoneintrag über ihn. Hier hat er jetzt einen vollständigen Katalog der Bibliothek erarbeitet – einschliesslich einiger Bücher, die nicht in Basel stehen –, inklusive einer eingehenden Beschreibung der Bücher, teilweise Biographien ihrer Autoren sowie eingehender Beschreibungen von Ausstattung und Annotationen. Das ist nicht unberechtigt: Die Bibliothek war für ihre Zeit gross. 287 Signaturen werden hier nachgewiesen, die teilweise mehrere zusammengebundene Werke umfassen. Die Bibliothek wurde aufgebaut, als der Medienwandel hin zum Druck gerade stattfand – sie enthält Drucke, Handschriften und Werke des Autors selbst. Zudem wurden alle Bücher sorgsam ausgestattet – also nicht einfach möglichst billig gebunden – und vom Autor aktiv genutzt, der in den meisten Annotationen hinterlassen hat. (Beziehungsweise, wie Scarpatetti vermutet, von anderen Personen im Auftrag Heynlins hinterlassen wurden.) Die Bibliothek ist also eine historische Quelle, die hier der Forschung für verschiedene Fragestellungen eröffnet wird.

Für die Druckgeschichte relevant ist – was allerdings schon bekannt war –, dass Heynlin als Rektor der Sorbonne die Erstdrucker Frankreichs (Ulrich Gering, Martin Crantz und Michael Friburger) nach Paris holte, um ihre Druckerei 1470 an der Universität selber einzurichten.

Scarpatetti stellt diesem Katalog eine rund 100-seitige Einführung voraus. In dieser schildert er nicht nur die Bibliothek selber und argumentiert dafür, sie weiter zu erforschen. Vielmehr nutzt er sie, um in gewisser Weise alle Überlegungen und Forschungen zu Heynlin, die er im Laufe der Jahre angesammelt hat, zu präsentieren. So diskutiert er über lange Seiten, ob Heynlin eventuell der unehelicher Spross einer Adelsfamilie war. Zudem geht er nicht nur auf die Inhalte der Bücher in Heynlins Bibliothek ein, sondern verbindet sie mit einer Einführung in das Thema Weltabgewandheit in der christlichen Theologie seit der Spätantike. Am Ende verfolgt er dieses Thema weiter bis in die Jetztzeit, um schliesslich wieder bei seinem anderen Thema, Ökologie und Theologie, zu landen – ohne auch nur noch eine Verbindung zu Heynlin herzustellen. Zudem ist das ganze in einer sehr spezifischen Sprache geschrieben, die in gewisser Weise dem Stereotyp eines weltabgewandten, sich Forschung und Katalogisierung widmenden Mediävisten aus der Schweiz entspricht: Es wird zum Beispiel vorausgesetzt, dass die Leser*innen Deutsch, Französisch und Latein sprechen (nur an wenigen Stellen werden die lateinischen Zitate übersetzt, die französischen gar nicht), Dokumente werden aufs Netz gestellt, ständig wird von wir gesprochen, wenn der Autor selber gemeint ist. Das hat alles seinen eigenen Charme, aber in gewisser Weise vermittelt es den Eindruck, der Autor selber könnte mit dem Titel seiner Arbeit, Bücherliebe und Weltverachtung, beschrieben werden – selbst, wenn er eigentlich gegen diese theologische Tradition und aus ökologischen Gründen für ein aktives Handeln in der Welt argumentiert. (ks)

4. Weitere wissenschaftliche Medien (Konferenzberichte, Abschlussarbeiten)

[Diesmal keine Beiträge]

5. Populäre Medien (Social Media, Zeitungen, Radio, TV)

Kehlmann, Daniel (2024). Wir fühlen nicht, was wir doch wissen – Die Politik muss die Schöpfungskraft der Kunst, sie muss die demokratische Gesellschaft vor der heranstürmenden Macht der künstlichen Intelligenz (KI) schützen. Eine Rede. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 154, 6./7. Juli 2024, S. 17, https://www.sueddeutsche.de/kultur/daniel-kehlmann-25-jahre-bundeskulturpolitik-kuenstliche-intelligenz-lux.a4cfns2UkoVT6NKGgFRtc [Paywall]

Abgedruckt ist hier eine Rede, die Daniel Kehlmann beim Festakt 25+1 Jahre Bundeskulturpolitik am 05.07.2024 im Bundeskanzleramt hielt. Kehlmann kontextualisiert die rasante Weiterentwicklung der Large Language Models – das eigene, vier Jahre alte Buch zum Thema wird bezeichnet als ganz und gar und profund veraltet … es liest sich jetzt wie ein Text über die ersten Eisenbahnen – und zeigt anhand klarer und erschreckend realistischer Beispiele auf, welche gravierenden Auswirkungen der unregulierte, alltägliche Einsatz von KI potentiell für unsere Gesellschaft haben kann: …, dass wir Desinformation in einem Ausmaß erleben werden, gegen das alles Bisherige wie eine freundliche Diskussion unter Gleichgesinnten aussieht. Die Rede endet mit der klaren Aufforderung an die Politik, zeitnah aktiv zu werden. (eb)


Christiane Peitz, Matthias Horx: Hat die Zukunft eine Zukunft, Herr Horx?. In: Tagesspiegel, 29.12.1999 SEITE 032 / Kultur

In einem Interview zur Jahreswende 1999/2000 betont Zukunftsforscher Matthias Horx, dass es einen digital backlash geben und der Hype der totalen Computerisierung […] zu Ende gehen wird. (bk)


[Schwerpunkt Bestandserhalt] Ouellette, Jennifer (2024). That book is poison: Even more Victorian covers found to contain toxic dyes. In: arstechnica, 19.08.2024, https://arstechnica.com/science/2024/08/that-book-is-poison-even-more-victorian-covers-found-to-contain-toxic-dyes/

Während des viktorianischen Zeitalters – also der britischen Kultur und Gesellschaft der Regierungszeit Queen Victorias (1837–1901) – wurde viel Arsen verwendet, beispielsweise als Bestandteil von Tinte oder in der Lebensmittelindustrie. Dies war Teil des industriellen Fortschritts, der unter anderem immer neue Farben für Künstler*innen und die Druckindustrie hervorbrachte. Aber gleichzeitig führte dieses Arsen zu Vergiftungen, teilweise über eine lange Zeit. Zahlreiche Arbeiten haben sich mit diesem Phänomen beschäftigt. (zum Beispiel Hawksley, Lucinda (2016). Bitten by witch fever : Wallpaper & arsenic in the Victorian home. London : Thames & Hudson, 2016, das sich unter anderem mit dem Problem beschäftigt, welches der Erhalt von Tapeten, die mit solcher Arsen-durchsetzten Farbe gedruckt wurden, im National Archive in London heute macht.)

Der Artikel hier geht auf das Problem von Bibliotheken ein, Bücher zu erhalten, die mit solchen Farben gedruckt wurden. Diese Bücher können nicht einfach zur Nutzung freigegeben werden. Es werden kurz einige Bibliotheken angesprochen, die aktuell dieses Problem angehen, zudem wird das Poison Book Project der University of Delaware (https://sites.udel.edu/poisonbookproject/arsenic-bookbindings/) vorgestellt. Ein*e Forscher*in des Projektes wird zitiert und auf eine betreffende Pressemitteilung verwiesen. (Diese Mitteilung scheint der Auslöser des Artikels gewesen zu sein.) Letztlich liefert der Text wieder einmal einen Überblick zu diesem Thema und zeigt, dass sich Bibliotheken auch mit solchen explizit vergifteten Medien (hier nicht als Metapher für den Inhalt verstanden) befassen müssen. (ks)


Packham, Allfie (2024). A shell of the place it used to be: readers on the importance of libraries - and their fragile future. In: The Guardian, 06. September 2024, https://www.theguardian.com/books/article/2024/sep/06/essential-for-me-readers-on-the-importance-of-libraries

Public Libraries sind in Grossbritannien seit Jahrzehnten Gegenstand von Sparrunden auf verschiedenen politischen Ebenen. Gleichzeitig haben sich Kampagnenformen gegen solche Sparvorhaben etabliert. Dazu zählen Beiträge in verschiedenen Medien, die sich gegen solche Massnahmen richten – beispielsweise in einem Editorial, das kurz nach dem hier besprochenen Beitrag in der gleichen Tageszeitung erschien (https://www.theguardian.com/commentisfree/article/2024/sep/08/the-guardian-view-on-public-libraries-these-vital-spaces-provide-much-more-than-books) – oder aber Beiträge, in denen Leser*innen berichten, warum sie ihre jeweilige Bibliothek wichtig finden und wie sie diese nutzen. Der Artikel hier ist ein Beispiel für diese: Nachdem der Guardian Daten über Public Libraries auswertete und zeigte, dass im gesamten Königreich in den letzten Jahren rund 160 von ihnen geschlossen wurden und viele weitere ihre Angebote einschränken mussten (https://www.theguardian.com/books/article/2024/sep/03/more-than-180-uk-public-libraries-closed-or-handed-to-volunteers-since-2016), berichten in diesem Beitrag nun eine Anzahl von Personen, warum sie Bibliotheken besuchen.

Das liest sich für Bibliotheken sehr positiv: Sie sind Orte des Lesens; Orte, in die man sich zurückziehen kann; Orte, die sicher sind. Es ist motivierend, dass eine breite Öffentlichkeit Bibliotheken als wichtig erachtet und dies auch laut sagt. Aber gleichzeitig ist auffällig, was sie nicht erwähnen: Auch in Grossbritannien werden im Öffentlichen Bibliothekswesen Debatten darum geführt, wie man Public Libraries modernisieren sollte: Makerspaces, Bildungsangebote, Third Place sind alles keine Fremdworte, sondern sie werden, wenn möglich, umgesetzt. Aber wenn Leser*innen – also die Leute, die Bibliotheken nutzen und offenbar auch wichtig finden – daran denken, was sie wichtig finden, dann scheinen sie vor allem an das zu denken, was Öffentliche Bibliotheken gerne als traditionelle Angebote beschreiben. (ks)


Walther, Christian (2024). Fernsehdoku zu DDR und Mauerfall. In: taz, 16.10.2024, https://taz.de/Fernsehdoku-zu-DDR-und-Mauerfall/!6040124/

Der Autor hat im NDR-Archiv Aufnahmen einer Diskussionsveranstaltung im Französischen Dom (Berlin), auf der am 09. November 1989 über die Entwicklung in der DDR gesprochen wurde, genau an dem Tag, an dem die Berliner Mauer fiel – also die Grenzübergänge geöffnet wurden – aufgespürt. Es diskutierten hier Personen, welche später in der Wendezeit eine wichtige Rolle spielten, aber ohne wahrzunehmen, was gerade ausserhalb der Kirche passierte. Es ist fraglos ein Zeitdokument und der Autor wollte es veröffentlicht wissen. Allerdings war dies nicht einfach. Er schildert die Wege durch die Archive, die er nehmen musste, bevor er sein Ziel erreichte. Sicherlich: Das ist in Bibliotheken etwas anders, aber es ist ein gutes Beispiel dafür, wie Nutzer*innen bestimmte Regelungen und Entscheidungen von Archiven wahrnehmen – nämlich nicht unbedingt positiv, selbst wenn der Autor am Ende sein Ziel erreichte. (ks)

6. Weitere Medien

Bemme, Jens (2024). Zehn einfache Regeln für grafische Zusammenfassungen. In: Blog SLUB Open Science Labs, 28.10.2024, https://osl.hypotheses.org/13736

Im Blog des Open Science Labs der SLUB Dresden erschien Ende Oktober 2024 ein Hinweis auf einen Artikel, der zehn kompakte Ratschläge und zahlreiche Tool-Tipps für die Erstellung grafischer Abstracts gibt. (Jambor, Helena Klara / Bornhäuser, Martin (2024): Ten simple rules for designing graphical abstracts. In: PLoS Computational Biology 20.2:e1011789. https://doi.org/10.1371/journal.pcbi.1011789)

In den Zeitschriften, mit denen ich üblicherweise zu tun habe, sind solche Abstracts noch nicht verbreitet. Das einzige Exemplar, welches ich bislang bewusst wahrgenommen habe, hat sich dafür durch ein Eichhörnchen qualifiziert. (Urban, Christian et al. (2024). Ancient Mycobacterium leprae genome reveals medieval English red squirrels as animal leprosy host. In: Current Biology 34 (2024) 10: 2221 - 2230.e8, https://doi.org/10.1016/j.cub.2024.04.006)

Als spezielle Form der Wissenschaftskommunikation an der Schnittstelle von wissenschaftlichen Texten und Informationsgrafik finde ich solche bildlichen Zusammenfassungen aber durchaus interessant. Vielleicht kann der Artikel Anregungen liefern, mal über einen grafischen Abstract für die nächste eigene Publikation nachzudenken, auch wenn er nicht gefordert ist? Durch das Konzentrieren auf die Kernaussagen des Textes und ihre Verständlichkeit und das Ausprobieren an interessierten Testleser*innen – Rule 10: Before, during, after: Feedback! – kann ja auch der Text selbst noch Verbesserungen erfahren. (vv)