> > > LIBREAS. Library Ideas # 45

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doi:10.18452/29145 (edoc HU Berlin)

Das liest die LIBREAS, Nummer #14 (Frühling–Sommer 2024)


Zitiervorschlag
Redaktion LIBREAS, "Das liest die LIBREAS, Nummer #14 (Frühling–Sommer 2024)". LIBREAS. Library Ideas, 45 ().


Beiträge von Eva Bunge (eb), Ben Kaden (bk), Karsten Schuldt (ks), Michaela Voigt (mv), Najko Jahn (nj), Viola Voß (vv)

1. Zur Kolumne

Ziel dieser Kolumne ist es, eine Übersicht über die in der letzten Zeit erschienene bibliothekarische, informations- und bibliothekswissenschaftliche sowie für diesen Bereich interessante Literatur zu geben. Enthalten sind Beiträge, die der LIBREAS-Redaktion oder anderen Beitragenden als relevant erschienen.

Themenvielfalt sowie ein Nebeneinander von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Ansätzen wird angestrebt und auch in der Form sollen traditionelle Publikationen ebenso erwähnt werden wie Blogbeiträge oder Videos beziehungsweise TV-Beiträge.

Gerne gesehen sind Hinweise auf erschienene Literatur oder Beiträge in anderen Formaten. Diese bitte an die Redaktion richten. (Siehe Impressum, Mailkontakt für diese Kolumne ist zeitschriftenschau@libreas.eu.) Die Koordination der Kolumne liegt bei Karsten Schuldt, verantwortlich für die Inhalte sind die jeweiligen Beitragenden. Die Kolumne unterstützt den Vereinszweck des LIBREAS-Vereins zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation.

LIBREAS liest gern und viel Open-Access-Veröffentlichungen. Wenn sich Beiträge dennoch hinter einer Bezahlschranke verbergen, werden diese durch [Paywall] gekennzeichnet. Zwar macht das Plugin Unpaywall das Finden von legalen Open-Access-Versionen sehr viel einfacher. Als Service an der Leserschaft verlinken wir OA-Versionen, die wir vorab finden konnten, jedoch auch direkt. Für alle Beiträge, die dann immer noch nicht frei zugänglich sind, empfiehlt die Redaktion Werkzeuge wie den Open Access Button oder CORE zu nutzen sowie auf dem favorisierten Social-Media-Kanal mit #icanhazpdf um Hilfe bei der legalen Dokumentenbeschaffung zu bitten.

Die bibliographischen Daten der besprochenen Beiträge aller Ausgaben dieser Kolumne finden sich in der öffentlich zugänglichen Zotero-Gruppe: https://www.zotero.org/groups/4620604/libreas_dldl/library.

2. Artikel und Zeitschriftenausgaben

2.1 Vermischte Themen

Csiszar, Alex (2023). Provincializing Impact: From Imperial Anxiety to Algorithmic Universalism. In: James Evans und Adrian Johns (Hrsg.). Beyond Craft and Code: Human and Algorithmic Cultures, Past and Present. Osiris, Vol. 38. University of Chicago Press. https://doi.org/10.1086/725131

Der Wissenschaftshistoriker Alex Csiszar (Harvard University) beschreibt vom International Catalogue of Scientific Literature (ICSL) der Royal Society of London im späten 19. Jahrhundert ausgehend die historischen Bedingungen, unter denen die Bibliometrie in der Zeit des Kalten Krieges eine besondere Rolle im Diskurs über die Entwicklung der Wissenschaft spielen konnte. Er argumentiert, dass selektive Zitationsindizes wie der Science Citation Index (SCI) nie ein neutrales Suchinstrument waren. Vielmehr seien Vorstellungen von Produktivität, Qualität und Wirkung in die Datenbank eingeflossen. Der Aufsatz zeichnet nach, wie es dazu kam, dass nordamerikanische, westeuropäische und englischsprachige Quellen in den Indizes auch heute noch bevorzugt werden. (nj)


Modero, Gina C. (2023). The Special Collections Reading Room: A Study of Culture and Its Impact on the Researcher Experience. In: RBM: A Journal of Rare Books, Manuscripts, and Cultural Heritage 24 (2023) 2, https://doi.org/10.5860/rbm.24.2.129

In dieser Studie wendet die Autorin anthropologische Fragestellungen und Methoden auf Sonderlesesäle in Bibliotheken in den USA an. Sie fragt, wie diese Lesesäle von einer jeweils eigenen Kultur geprägt sind und wie sich diese Kultur ausdrückt, beispielsweise im Aufbau der Säle, in der Infrastruktur und den Hinweisschildern, in offiziellen Regeln und im Verhalten von Bibliothekar*innen und Leser*innen. Allerdings scheint ihr das Ergebnis, nämlich dass alle diese Lesesäle eine jeweils eigene Kultur haben, schon relativ früh festgestanden zu haben. Es wird schnell zu Beginn des Artikels genannt und dann weiter an Beispielen exemplifiziert, aber nicht hergeleitet. Grundsätzlich sind im Text die Darstellung der Theorie und Methode ständig mit den eigentlichen Ergebnissen vermischt. Es fehlt ein roter Faden. Insoweit ist es vor allem ein Nachweis, dass man mit anthropologischen Methoden auch Bibliotheken untersuchen kann. Aber die Argumente, die für das Ergebnis angeführt werden, überzeugen durch ihre sporadische Darstellung im Text nicht wirklich. Sie scheinen hier vor allem subjektive Interpretationen der Autorin zu sein. (ks)


Larsen, Håkon (2024). Managing Norwegian public libraries as civil public spheres: recent controversies. In: Journal of Documentation 80 (2024) 1, 116–130, https://doi.org/10.1108/JD-02-2023-0036 [Paywall]

Mit der Revision des norwegischen Bibliotheksgesetzes wurde 2014 explizit festgeschrieben, dass Öffentliche Bibliotheken einen Ort für gesellschaftliche Debatten bieten müssen. Dabei wird sich – auch in diesem Text hier – kontinuierlich auf Jürgen Habermas berufen. Die Vorstellung allerdings, welche im Gesetz festgeschrieben wurde, scheint einer relativ naiven Auffassung davon zu folgen, was gesellschaftliche Debatte heisst und wie diese stattfindet – nämlich praktisch als einfaches Gespräch. Dabei ist sie selbstverständlich immer konfliktbehaftet, was man bei Habermas lernen könnte, weil es ihm in seinen Arbeiten ja darum geht, zu verstehen, wie sich die Gesellschaft durch Kommunikation entwickelt.

Die Umsetzung dieser Vorschrift obliegt den Bibliotheken selbst. Larsen versammelt in seinem Text nun Vorfälle der letzten Jahre, in welchen die Umsetzung zu Auseinandersetzungen führte. Oft sind es explizite rassistische oder antimuslimische Gruppen, die Bibliotheken für Veranstaltungen nutzen wollten, was zu der Frage führte, ob Bibliotheken dies im Sinne einer Debatte zulassen sollen oder nicht – und wenn nicht, warum nicht. Es gab aber auch Auseinandersetzungen darum, ob weiter Harry Potter-bezogene Veranstaltungen angeboten werden sollten, nachdem ihre Autorin zu einer der prominentesten Anti-Trans-Aktivist*innen wurde. Der Text beschreibt diese Auseinandersetzungen und ihre jeweiligen Lösungen (beispielsweise, dass Veranstaltungen von rassistischen Gruppen stattfinden konnten, wenn sie neutral moderiert wurden, allen Personen offen standen und explizit auch anderen Positionen Raum gegeben wurde). Er beschreibt dies als Lerneffekte, sowohl für Bibliotheken als auch für die Politik und die Öffentlichkeit. So ist heute etabliert, dass Veranstaltungen zwar untersagt werden können, wenn sie eine Gefahr für Personal und Nutzer*innen darstellen, aber nicht aus rein politischen Gründen. Damit wird auch gezeigt, dass die Idee, Bibliotheken müssten Ort von Debatten und Öffentlichkeit sein, notwendigerweise zu Konflikten führen wird.

Erstaunlich an dem Text oder der Situation in Norwegen im Allgemeinen ist, dass das nicht vorhergesehen wurde. Wie gesagt: Das solche Öffentlichkeit zu Konflikten führt, ist eine Grunderkenntnis bei Habermas, auf den sich ständig berufen wird. Es wäre aber auch zu lernen gewesen, wenn man woher in anderen Ländern, in denen Bibliotheken ähnlichen Prämissen folgen, geschaut hätte (beispielsweise Kanada). Es scheint, als hätte das norwegische Bibliothekswesen an dieser Stelle einerseits zu wenig weit über sich selber hinausgeschaut (eine Einschätzung, die vielleicht vom Eindruck des Rezensenten bei persönlichen Kontakten mit norwegischen Kolleg*innen geprägt ist, bei denen die Kolleg*innen eigentlich immer nur die Situation in den skandinavischen Ländern vor Augen hatten) und andererseits zu sehr einen gesellschaftlichen Konsenswillen angenommen, der in der Realität nicht gegeben ist. Für Bibliotheken im DACH-Raum ist der Text eine Lernmöglichkeit, da sich ähnliche Fragen auch ohne gesetzliche Bestimmung im Bibliotheksalltag stellen. (ks)


Roy, Mantra ; Chatterjee, Sutapa (2024). Barriers in LIS Scholarship in India: Some Observations. In: International Journal of Librarianship 8 (2024) 4: 114–127, https://doi.org/10.23974/ijol.2024.vol8.4.330

In Indien – wie auch in einigen anderen Staaten – ist es notwendig, dass Bibliothekar*innen, um auf bestimmten Stellen in Wissenschaftlichen Bibliotheken befördert zu werden, forschen und ihre Forschung publizieren. Zudem gibt es mehrere Stellen, an denen aktiv Bibliothekswissenschaft betrieben wird. Die Situation ist also noch anders als im DACH-Raum, wo bekanntlich eine Trennung von Wissenschaft und Karrieren in Wissenschaftlichen Bibliotheken existiert. Und dennoch ist die Sichtbarkeit dieser indischen Forschung in der internationalen – was heisst, vor allem der englischsprachigen – Bibliothekswissenschaft gering.

Die Studie versucht zu klären, warum dies so ist. Dazu wurden Literatur gesichtet sowie zwei Umfragen und Interviews durchgeführt. Das führt ein wenig zum Eindruck eines Stückwerks, in dem vieles irgendwie integriert wurde. Dennoch sind die Ergebnisse interessant. So werden zuerst externe Faktoren genannt: Das Wissenschaftssystem ist auf das Englische orientiert, was eine Hürde für viele Kolleg*innen (nicht nur) in Indien darstellt. Darüber hinaus ist es mehr und mehr auf finanzstarke Institutionen konzentriert, die zum Beispiel Article Processing Charges (APC) zahlen können oder institutionelle Repositorien betreiben. Weitere externe Faktoren finden sich auf der Ebene von Institutionen: In den meisten Hochschulen in Indien werden die Bibliothekar*innen nicht dabei unterstützt, zu forschen. Sie erhalten keine oder zu wenig Arbeitszeit dafür, keine Beratung oder andere Unterstützung. Es gibt aber auch Faktoren, die direkt bei den Bibliothekar*innen selber angesiedelt sind: Sie haben wenig Erfahrung darin, zu publizieren. Das müssten sie üben. Zudem sind sie wenig über die Möglichkeiten, beispielsweise des Publizierens in Open Access ohne Kosten, informiert. Alles in allem scheint die Situation also von verschiedenen Hürden geprägt, die auf unterschiedliche Weise angegangen werden können. (ks)


Case Studies in Library Publishing 1 (2023) 1, https://cslp.pubpub.org/issue-1

Die erste Ausgabe dieser neuen Zeitschrift erschien Ende 2023. Sie versteht sich als Publikationsort für das Library Publishing. Damit wird im englischsprachigen Bibliothekswesen die Aufgabe von Bibliotheken verstanden, Publikationen von Forschenden oder Studierenden zu unterstützen. Das kann auf die technische Infrastruktur beschränken, aber auch ausgeweitet werden bis hin zum Betrieb eines eigenen Verlags, der zumeist als reiner Open Access Verlag konzipiert wird. Dazwischen finden sich weitere Services, wie Beratung, die Übernahme des Copy Editing oder das Klären von Lizenzen. Selbstverständlich gibt es einige dieser Angebote auch in einigen deutschsprachigen Bibliotheken. Aber in den englischsprachigen scheinen sie sich in den letzten Jahren mehr zu etablieren und gleichzeitig scheinen die damit beschäftigten Kolleg*innen auch mehr und mehr zu kooperieren.

Die erste Ausgabe der Zeitschrift stellt nun in sieben Beiträgen (sechs aus dem englischsprachigen Raum, einer aus der Ukraine) konkrete Publikationsprojekte vor. Allen Artikeln sind Lessons Learned vorangestellt. Zudem sind sie fast alle sehr kleinteilig und konkret. Das wird dann von Interesse sein, wenn eine Bibliothek selber vergleichbare Services aufbauen will. Interessanter ist aber, dass sich das Feld des Library Publishings mit dieser Zeitschrift weiter zu festigen scheint. (ks)


Albergaria, Matheus (2024). The economics of libraries. In: Journal of Information Science [Online first], https://doi.org/10.1177/01655515241233741 [Paywall]

Der Artikel fasst in Auswahl zusammen, was in den letzten Jahren im Feld der ökonomischen Forschung – ergo der Betriebswirtschaft – über Bibliotheken geforscht wurde. Laut dem Autor steigt die Zahl der Studien in diesem Bereich an. Die Studien beschäftigen sich auf der einen Seite mit Frage der Effekte der gemeinsamen Nutzung eines geteilten Gutes – also der Medien in Bibliotheken, die in endlicher Zahl vorhanden sind, durch Nutzer*innen, die jeweils nach eigenen Interessen handeln würden – und auf der anderen Seite mit dem Versuch, die Nutzung von Bibliotheken mit anderen, ökonomisch relevanten Kennzahlen – beispielsweise der Zahl der Patente, die in verschiedenen Städten angemeldet werden – zu kombinieren. Der Autor betont auch, dass es eine Tradition der Kritik solcher Studien und vor allem des Weltbildes der Ökonomie gibt, schliesst aber, dass es ein wachsendes und deshalb für die Bibliotheks- und Informationswissenschaft relevantes Feld darstellt. (ks)


Centerwall, Ulrika (2024). In plain sight: School librarian practices within infrastructures for learning. In: Journal of Librarianship and Information Science 56 (2024) 1: 211–222, https://doi.org/10.1177/09610006221140881 [Paywall]

Für die hier vorgestellten Studie wurden zwölf Schulbibliothekar*innen aus Schweden über ihre Arbeit interviewt. Die jeweiligen Bibliotheken gelten als Best Practice, dass heisst sie wurden in einem jährlich von der betreffenden Gewerkschaft durchgeführten Wettbewerb als solche ausgezeichnet. Die Autor*in betont, dass sie deshalb herausragend sind. In Schweden gibt es zwar die gesetzliche Bestimmung, dass alle Schüler*innen Zugang zu einer solchen Bibliothek haben sollen. Dies würde jedoch nicht überall durchgesetzt. Gut ausgestattet, inklusive ausgebildeter Bibliothekar*innen, seien nur einige Bibliotheken.

Für die befragten Bibliothekar*innen stellt die Studie nun heraus, dass die Bibliotheken Teil der schulischen Infrastruktur sein können, es dazu aber aktiver Arbeit der Bibliothekar*innen selbst bedarf. Sie müssen die Zusammenarbeit mit Lehrpersonen initiieren und aufrechterhalten und Lehrpersonen kontinuierlich darüber informieren, was ihre Aufgaben und Möglichkeiten sind. Sie müssen auch dafür sorgen, dass sie als professionelles Personal wahrgenommen mit eigener Ausbildung und Kompetenz werden, nicht als Hilfspersonal. Dabei betont die Autorin, dass sich Lehrpersonen als Profession in der Schule besser positionieren können, da sie zum Beispiel auf zahlreiche etablierte Standards und Richtlinien zurückgreifen können – implizit deutet sie damit an, dass solche gemeinsam in der schulbibliothekarischen Profession erarbeitete Standards hilfreich wären. (ks)


Guss, Samantha ; Cunningham, Sojourna ; Stout, Jennifer (2024). Not all staying is the same: Unpacking retention and turnover in academic libraries. In: In The Library With The Lead Pipe, 10.04.2024, https://www.inthelibrarywiththeleadpipe.org/2024/not-all-staying/

Warum bleiben Bibliothekar*innen auf ihren konkreten Arbeitsstellen, obwohl sie eigentlich wechseln wollen, also in anderen Bibliotheken arbeiten möchten? Die Frage ist, so die Autor*innen dieser Studie, relevant, da es in Bibliotheken grundsätzlich ein Problem gäbe, Personal zu halten, aber gleichzeitig oft übersehen wird, dass nicht alle Bibliothekar*innen gleich die Stellen wechseln würden, wenn sie sich nicht (mehr) mit ihrer aktuellen Arbeitsstelle identifizieren. Stattdessen würden sie oft verbleiben, was schlecht für sie selbst – ihr Wohlbefinden, teilweise ihre Gesundheit und ihre professionelle Entwicklung – und für die jeweilige Bibliothek – mit Auswirkungen auf die Arbeitskultur, die Leistungsfähigkeit des Personals und auch die Weiterentwicklung der Bibliothek – wäre. Nicht nur könnte sich das Personal besser entwickeln, wenn es offener mit seinem Missbehagen umgehen würde. Auch Bibliotheken als Arbeitsplatz würden sich besser entwickeln können, wenn sie nicht nur danach fragten, warum jemand gegangen sei, sondern auch das Unbehagen des Personals, dass sich nicht zu diesem Schritt entschloss, auswerten.

Die Studie geht erst theoretisch und dann mittels zehn Interviews vor. Es zeigt sich, dass es offenbar eine ganze Reihe von Bibliothekar*innen gibt, die lange mit ihrem Arbeitsplatz und ihrer Situation unzufrieden sind, aber teilweise Jahre brauchen, ihre Positionen zu verlassen. Ein Grund dafür sei, dass es zwar oft besondere Situationen, Ereignisse oder Umstrukturierungen sind, die sich dann letztlich dazu bringen, doch die Stelle zu wechseln (im Text werden sie als Trigger bezeichnet), aber das Unwohlsein sich über einen längeren Zeitraum aufbaut. Oft arrangieren sich Bibliothekar*innen mit der Situation, bis sie irgendwann nicht mehr können. Zwei Gründe, warum sie länger bleiben, sind die Arbeitsmarktsituation – ergo die Schwierigkeit, eine andere Stellen zu finden – und die grundsätzlich Zufriedenheit mit der Arbeit selber, also zum Beispiel der Umgang mit Nutzer*innen. Während die Ergebnisse dieser Studie spezifisch US-amerikanisch sind, da sie dort durchgeführt wurde, lässt sich vermuten, dass es auch im DACH-Raum eine Reihe Bibliothekar*innen in unbefriedigenden Situationen gibt, die – wenn man die Parallele zieht – vor allem ihre Arbeit machen, aber ansonsten weder sich noch die Einrichtung weiterentwickeln. (ks)


Engström, Lisa ; Eckerdal, Johanna Rivano (2024). Bringing on the Social: Infrastructuring Libraries Through Zine-making Workshops. In: The Journal of Creative Library Practice, https://creativelibrarypractice.org/2024/03/14/bringing-on-the-social-infrastructuring-libraries-through-zine-making-workshops/

Interessant an dieser Studie ist die Methodik. Herausgefunden werden sollte, wie (schwedische) Bibliothekar*innen eine Öffentliche Bibliothek wahrnehmen, also konkret, wie sie in der Praxis den Anspruch, dass diese ein Ort beziehungsweise ein Treffpunkt sein soll, verstehen. Dazu wurde von den Autor*innen ein Fanzine Workshop mit acht Bibliothekar*innen veranstaltet. Die Teilnehmenden versammelten sich in einer konkreten Bibliothek und erhielten dann Aufgaben, die in Fanzines – also selbst produzierten, kleinen Heften – über die Bibliothek endeten. Es ging darum, durch den Raum zu gehen, ihn wahrzunehmen, Notizen, Photos oder Skizzen zu machen und diese Materialien in Zweierteams zu ordnen, auszuwählen sowie schliesslich zu den genannten Fanzines zusammenzukleben. Die Autor*innen nutzten die Fanzines anschliessend als Datenmaterial. Sie werteten sie daraufhin aus, wie die Bibliothekar*innen den Raum und seine Nutzung sahen, was sie als wichtig und was als weniger wichtig ansehen. Die Ergebnisse waren wenig überraschend, sondern spiegelten den Diskurs über die Bibliothek als offenen, demokratischen Ort, der sich auch in der Literatur zu Öffentlichen Bibliotheken im DACH-Raum findet. (ks)


Adolpho, Keahi ; Krueger, Stephen G. (2024). Decistifying trans and gender diverse inclusion in library work: A literature review. In: In The Library With The Lead Pipe, 24.04.2024, https://www.inthelibrarywiththeleadpipe.org/2024/decistifying/

Ausgangspunkt für diese Literaturübersicht ist das Unbehagen der Autor*innen über den Stand der Literatur zu Trans- und Genderthemen in der (englischsprachigen) bibliothekarischen Literatur. Es gibt zu diesem Thema zwar eine wachsende Anzahl von Texten, aber diese – so die Kritik – würde praktisch immer wieder nur die Grundlagen erklären. (Sie nennen dies das Trans 101, also praktisch den Einführungskurs.) Hingegen fehlten konkrete Arbeiten dazu, wie Bibliotheken (ganz umgreifend gemeint – als Sammlungen, als Kataloge, als Orte, als Arbeitsplatz) zu Orten werden könnten, in denen Trans- und Genderthemen normaler Alltag und damit normalisiert sind. Stattdessen würde immer wieder neu erklärt, welche unterschiedlichen sexuellen Identitäten es gäbe, dass es einen Unterschied zwischen Identität und sexuellen Präferenzen gäbe oder wie Sprache und Geschlecht funktionieren. Es scheint den Autor*innen, als bliebe man bisher bei den ersten Schritten stehen.

Um diese Aussage zu untermauern, führen sie in diesem Artikel eine weitgehend systematische Literatursichtung durch. Sie versammeln Literatur der letzten Jahre und besprechen sie einzeln. Auch wenn das nicht ihr Ziel war, liefern sie damit eine Handreichung für Bibliothekar*innen, die sich für das Thema interessieren. Ungewollt ist dies also ein weiteres Trans 101, aber vielleicht eines, das ein Weitergehen motiviert, da so sichtbar wird, dass die Grundlagen eigentlich alle schon mehrfach erklärt wurden. (ks)

2.2 Forschungsdatenmanagement und Forschungsförderung

Schmidt, Birgit ; Chiarelli, Andrea ; Loffreda, Lucia ; Sondervan, Jeroen (2023). Emerging Roles and Responsibilities of Libraries in Support of Reproducible Research. In: LiberQuarter 33 (2023), https://doi.org/10.53377/lq.14947

Der Titel des Textes impliziert eine Studie, aber er ist eigentlich ein Policy-Dokument, das die Arbeit einer Arbeitsgruppe von Bibliothekar*innen und anderen Personen aus dem Bereich Forschungsinfrastruktur in Europa zusammenfasst. Es scheint sich auf einer breiten Literaturbasis abzustützen, die immer wieder argumentativ herangezogen und auch im Literaturverzeichnis dargestellt wird. Die Darstellung selbst ist jedoch erstaunlich wenig mit dieser Literatur verbunden. Eher werden hier grundsätzliche Ergebnisse der Arbeitsgruppe dargestellt, der darin aber vertraut werden muss. Zumindest die dargestellten Ergebnisse – dass es verschiedene Entwicklungen im Bereich Forschungsdatenmanagement gibt und dass sich diese in den verschiedenen europäischen Ländern und Institutionen unterscheiden – scheinen recht gering für den Aufwand zu sein, eine länderübergreifende Arbeitsgruppe einzurichten. (Zu vermuten ist, dass die Zusammenarbeit einen Beitrag zur Vernetzung geleistet hat, die im Text nicht sichtbar wird.) Der Text wird als Beispiel dieser Art von Literatur zu gelten, die in den letzten Jahren immer häufiger im Bibliotheksbereich zu erscheinen scheint – Dokumente, die eigentlich eine Positionsbestimmung darstellen (was seine Berechtigung hat), aber im Format einer wissenschaftlichen Arbeit daherkommen (was sie allerdings nicht sind). (ks)


Hackett, Cody ; Kim, Jeonghyun (2024). Planning, implementing and evaluating research data services in academic libraries: a model approach. In: Journal of Documentation 80 (2024) 1, 27–38, https://doi.org/10.1108/JD-01-2023-0007 [Paywall]

Der Titel des Textes ist irreführend. Es geht nicht um ein weiteres Modell für Services im Bereich Forschungsunterstützung an Wissenschaftlichen Bibliotheken, vielmehr ist es eine Übersicht zu schon vorhandenen Modellen dieser Art. Gezeigt wird, (a) dass es schon eine Reihe von Modellen gibt, die einzuordnen versuchen, was Bibliotheken in diesem Bereich anbieten oder anbieten sollten, (b) dass sich diese Modelle teilweise sehr voneinander unterscheiden und (c) dass sich der Bereich in Bewegung befindet. (ks)

2.3 Wissenschaftskommunikation und wissenschaftliche Zeitschriften

Koçak, Zafer (2023). Misleading Metrics: Predatory Trade Expands. In: Trakya University Journal of Natural Sciences 24 (2023) 2, 1–3, https://doi.org/10.23902/trkjnat.1368563

In diesem kurzen Editorial gibt der Autor einen Überblick über Praktiken irreführender bibliometrischer Online-Angebote im Kontext von Predatory Journals. Neben einer inhaltlichen Einführung werden einige der häufigsten misleading metrics aufgelistet, ihre Charakteristiken aufgelistet und wichtige Publikationen zum Thema erwähnt. Der Text eignet sich gut, um einen schnellen Überblick über das Thema zu erhalten. (eb)


Dejan Pajić, Aleksandra Babić, Tanja Jevremov (2023): Open access practice in personality research: a bibliometric perspective. Primenjena Psihologija, 16(4). https://doi.org/10.19090/pp.v16i4.2511

Die Autor*innen legen eine bibliometrisch grundierte fachspezifische Analyse des Open Access-Verhaltens der Community der Persönlichkeitsforschung in der Psychologie vor. Sie ist Teil einer Sonderausgabe zum Thema Promoting Open Science Principles. Über Scopus werteten die Autor*innen über 57.000 Publikationen aus dem Feld hinsichtlich des Publikationsstatus aus und konnten eine generelle Open-Access-Quote von 31% ermitteln. Während im Gesamtbestand Green-OA dominiert, lassen sich im Zeitverlauf die größten Zuwächse im Bereich Gold-OA ermitteln. Der grüne Weg verliert sogar an Relevanz. Allerdings stellt die Studie fest, dass sich Gold-OA für die Domäne der Persönlichkeitsforschung hinsichtlich des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Impacts beziehungsweise Reichweite als gegenüber den Erwartungen deutlich weniger wirksam als bei Green-OA erweist. Dies ist insofern problematisch, weil es die Bewegung von Green-OA zu Gold-OA gibt. Die Autor*innen vermuten, dass die steigende Akzeptanz von Gold-OA zu einer Abnahme der Motivation für Green-OA, also die Zweitveröffentlichung über Repositorien führt. (bk)


Eve, Martin Paul (2024). Digital Scholarly Journals Are Poorly Preserved: A Study of 7 Million Articles. In: Journal of Librarianship and Scholarly Communication 12 (2024) 1, https://doi.org/10.31274/jlsc.16288

Diese Studie stammt direkt aus der Forschung von crossref, also der zentralen Registrierungsagentur für DOIs. Insoweit sind die Fragestellung und auch die Handlungsempfehlungen, die am Ende gegeben werden, aus den Interessen der Organisation abgeleitet. Dennoch sind die Ergebnisse der Studie für Bibliotheken relevant. Sie untersucht mithilfe einer Datenanalyse, den Archivierungsstatus wissenschaftlicher Artikel, selbstverständlich immer behaftet mit dem Problem jeder Datenanalyse, dass sie von der Qualität der vorhandenen Daten abhängig ist.

Aber: Es gibt grundsätzlich die Erwartung, dass Wissenschaftsverlage sich um die Archivierung der von ihnen veröffentlichten Artikel kümmern. Sie sollen sicherstellen, dass einmal vergebene DOIs auch immer auf eine Version eines Artikels verweisen können. Dazu wird auch erwartet, dass er an verschiedenen Stellen beziehungsweise in verschiedenen Systemen archiviert ist.

Die Analyse zeigt nun – wie schon der Titel des Artikels andeutet –, dass dies selten der Fall ist. Einige wenige Verlage erfüllen diese Erwartung, eine etwas grössere Zahl erfüllt sie einigermassen – legt also Kopien nur in einem System ab – und der grösste Teil erfüllt sich nicht. Es gibt dabei einige Tendenzen: Grössere Verlage schneiden grundsätzlich besser ab, aber auch nicht alle. Nur Elsevier erfüllt alle Ansprüche. Je kleiner die Verlage sind, umso eher ist der Archivierungsstatus ihrer Artikel prekär. Dies stellt, wie der Autor richtig bemerkt, ein Problem für die langfristige Nachvollziehbarkeit von Wissenschaft dar. In seiner Auswertung geht er hauptsächlich auf mögliche Konsequenzen für crossref ein, vor allem strengere Durchsetzung von Anforderungen für die Vergabe von DOIs und bessere Beratung ihrer Mitglieder. Bibliotheken müssen ihre eigenen Schlüsse ziehen. (ks)


Haruto Hiraba, Yoshimasa Takeuchi, Kensuke Nishio, Hiroyasu Koizumi, Takayuki Yoneyama, Hideo Matsumura: Current status of dental journals published by Japanese organization. In: Japanese Dental Science Review. Vol. 60, 2024, S. 40–43, https://doi.org/10.1016/j.jdsr.2023.12.001

Die Autor*innen analysieren die internationale Sichtbarkeit von japanischen Fachzeitschriften aus dem Bereich der Zahnmedizin anhand der Kriterien Journal Impact Factor (JIF), Eigenfactor (EF), Article Influence Score (AIS) und Open-Access-Anteil. Im Journal Citation Reports (JCR) sind 18 Publikationen nachgewiesen, 16 weitere Titel werden nicht im JCR indexiert. Die Zeitschrift mit dem höchsten JIF (6,6) ist The Japanese Dental Science Review, die damit derzeit auf Platz fünf unter den zahnmedizinischen Journals weltweit steht. Die Autor*innen betonen die Relevanz für Forschende in diesen Toptiteln zu publizieren. Sie unterstreichen zugleich die Bedeutung der Publikation in Gold-Open-Access-Zeitschriften, die den Standards des DOAJ entsprechen. Die Studie geht davon aus, dass über Open Access die Sichtbarkeit der Aufsätze weiter zunimmt. Die Autor*innen sprechen sich daher für eine stärkere Umstellung der Zeitschriften auf Gold-Open-Access aus. Sie erwarten dadurch höhere JIF, EF und AIS-Werte und einen stärkeren Wettbewerb der Titel untereinander. Als die beiden zentralen Herausforderungen für Open Access sehen sie die Frage der Finanzierung und die der Qualitätssicherung. (bk)


Dueholm Müller, Sune ; Sæbø, Johan Ivar (2024). The hijacking of the Scandinavian Journal of Information Systems: Implications for the information systems community. In: Information Systems Journal 34 (2024) 2: 364–383, https://doi.org/10.1111/isj.12481

Eine (relativ) neue Art von Betrug im Bereich wissenschaftliche Zeitschriften wird in diesem Artikel anhand eines konkreten Beispiels, dem im Titel genannten Scandinavian Information Systems Journal, geschildert, nämlich das hijacking von Zeitschriften. Dies betrifft offenbar eine wachsende Zahl von Zeitschriften und hat auch schon dazu geführt, dass das Projekt Retraction Watch eine eigene Liste solcher Zeitschriften führt https://retractionwatch.com/the-retraction-watch-hijacked-journal-checker/.

Bei diesem Betrug wird eine Zeitschrift aufgesetzt, die eine regulär existierende Zeitschrift kopiert, inklusive Titel, Aussehen, Einreichungssystem, ISSN und anderen Merkmalen. Im beschriebenen Fall ging dies soweit, dass in der Scopus-Datenbank sogar die URL zur falschen Zeitschrift als die der richtigen hinterlegt wurde. Anschliessend werden Artikel, die eingereicht werden, für die Publikation angenommen, aber direkt eine Article Processing Charge verlangt. In anderen Fällen wurden offenbar eingereichte Artikel unter dem Namen anderer Autor*innen veröffentlicht. Der Artikel erläutert diesen Betrug; beschreibt, wie Redaktion der richtigen Zeitschrift darauf aufmerksam wurde und wie sie versuchte, den Schaden zu begrenzen (was schwierig war, weil offenbar die grossen Anbieter von Datendiensten kaum auf Meldungen dieser Art reagieren). Zudem wird beschreiben, welche Auswirkungen der Betrug zum Beispiel auf Autor*innen hat, die hoch bewertete Publikationen benötigen, um Karrieren starten oder fortsetzen zu können, aber auch für die Reputation von Zeitschriften. Die Autor*innen setzen sie auch an, darüber nachzudenken, wie auf diesen Betrug reagiert werden kann, kommen dabei allerdings nicht sehr weit. (ks)

2.4 Open Access

Chan, Jennifer ; Zhangm Erica ; Vrmeij, Hermine ; Riemer, John (2024). Metadata Librarians for Open Access: A Path Towards Sustainable Discovery and Impact for Open Access Resources. In: International Journal of Librarianship 8 (2024) 4: 30–41, https://doi.org/10.23974/ijol.2024.vol8.4.351

Am Ende ist dieser Artikel ein Praxisbericht darüber, wie eine, allerdings sehr grosse Universitätsbibliothek (University of California Libraries) eine Position für eine*n Metadata Librarian im Open Access Team eingerichtet hat. Diese Person ist für die Pflege der Metadaten beziehungsweise Katalogisate für Open Access Publikationen im Katalog der Bibliothek zuständig. Diese Schwerpunktsetzung hätte deren Sichtbarkeit erhöht.

Interessant ist, dass die Autor*innen dies als ein Problem beschreiben: Bibliotheken hätten in den letzten Jahren immer mehr Zeit und Ressourcen im Bereich Open Access investiert, aber gerade nicht darin, deren Metadaten zu pflegen. Dies führte dazu, dass andere Publikationen, insbesondere solche, die physisch erscheinen, sichtbarer wären. Dabei lägen die Kompetenzen von Bibliotheken gerade im Bereich Metadaten. Der Artikel plädiert für die Aufnahme dieser Aufgabe in das Portfolio von Open Access Offices. Ob es stimmt, dass dies eine neue Aufgabe wäre, wie sie behaupten, untersuchen die Autor*innen nicht. Eventuell stimmt dies nur für die USA oder die betreffende Bibliothek. (ks)

3. Monographien und Buchkapitel

3.1 Vermischte Themen

Bonn, Maria ; Bolick, Josh ; Cross, Will (eds.) (2023). Scholarly Communication Librarianship and Open Knowledge. Chicago: Association of College and Research Libraries, 2023. Open-Access-eBook- erreichbar über https://alastore.ala.org/content/scholarly-communication-librarianship-and-open-knowledge [OA-Version: https://bit.ly/SCLAOK] (Eine DOI würde dem Werk gut tun.)

Ein neues Buzz-Word und neues Futter aus amerikanischer Produktion für die Berufsbilddebatte im wissenschaftlichen Bibliothekswesen, also auch für Fachreferent:innen und umzu, denkt man. Und rollt dann bei einigen der (sehr kurzen) Beiträge angesichts der recht heroischen Darstellungen ein wenig mit den Augen.

Die angesprochenen Themenbereiche und vor allem die zu jedem Beitrag aufgeführten Discussion questions können aber für das Nachdenken über die Lage an deutschen Bibliotheken durchaus Knabberzeug liefern. (vv)


Lo, Patrick ; Baker, David (2024). The Marketing of Academic, National and Public Libraries Worldwide: Marketing, Branding, Community Engagement. Cambridge, Kidlington: Chandos Publishing, 2024, https://doi.org/10.1016/C2022-0-01950-4 [Paywall]

Von einem Buch mit dem Titel The marketing of academic, national and public libraries worldwide: marketing, branding, community engagement, das 753 Seiten umfasst, könnte man eine Fülle von Fallbeispielen und Good Practices aus dem Marketing für wissenschaftliche Bibliotheken erwarten. In diesem Fall aber bekommt man eine Sammlung von Interviews mit Kolleg:innen, die mehr oder weniger für das Marketing oder ähnliche Aktivitäten in ihren Bibliotheken zuständig sind.

Die Antworten sind streckenweise durchaus interessant zu lesen. Aber aufgrund einiger der (meines Erachtens viel zu groß formatierten) Fragen, schwanken sie oft zwischen Marketing für Bibliotheken und für die jeweiligen Bibliothekar:innen (bis hin zu What would you like to be remembered for when you retire?).

Die Auswahl der befragten Kolleg:innen hat einen USA-Schwerpunkt, aber es gibt auch Beiträge aus anderen Ländern der Welt, darunter Deutschland. Für die Reihenfolge im Band habe ich kein Muster erkennen können. In einigen Fällen ist die Auswahl der Interviewten oder zumindest die Aufnahme der Interviews in die Sammlung fragwürdig (zum Beispiel as I am not the marketing expert, I can’t really answer the question, S. 243).

Hat man sich nach ein paar Seiten also von der Idee verabschiedet, Inspirationen für Marketingmaßnahmen im eigenen Haus finden zu können, kann man viel darüber erfahren, auf welchen Wegen die vorgestellten Kolleg:innen in ihre Bibliothek und auf ihre Position geraten sind und wie viele Bezeichnungen es für Aufgabenbereiche im weiten Umfeld von Marketing und Community Engagement gibt. Man lernt viele Bibliotheken in Kurzportraits kennen – und kann nach der Lektüre dann vielleicht auch darüber nachdenken, für was man denn selbst nach dem Abschied in den Ruhestand (oder in Richtung einer anderen Aufgabe oder Bibliothek) in Erinnerung bleiben möchte. (vv)


Jaminson, Andrea (2024). Decentering Whiteness in Libraries: A Framework for Inclusive Collection Management Practices. (Beta Phi Mu Scholars Series) Lanham, Boulder, New York, London: Rowman & Littlefield, 2024 [gedruckt und als E-Book, Paywall]

Das kurze Buch bietet für US-amerikanische Bibliotheken eine Anleitung, Medienbestände gezielt diverser zu gestalten. Das decentering whiteness im Titel heisst hier vor allem, dass die Erfahrungen, Perspektiven und Interessen anderer Personengruppen als der weissen Majorität in den USA ebenso im Bestand vertreten sein sollten – und zwar als Normalfall, nicht zum Beispiel als gesonderte Abteilung. In den letzten Jahren wurden eine ganze Anzahl solcher Arbeiten sowohl als Monographien als auch in anderen Medienformaten veröffentlicht. Man kann also von einer eindeutigen Bewegung hin zu diesem Thema und damit wohl auch dem Ziel, in Bibliotheken solche diversen Bestände zu etablieren, sprechen. Gleichzeitig – ansonsten würden nicht immer neue Arbeiten dazu publiziert werden – ist dieses Ziel offensichtlich bislang nicht erreicht worden.

Was dieses Buch auszeichnet, ist, dass es einerseits sehr kurz und andererseits sehr praxisorientiert ist. Die Autorin argumentiert sowohl mit ihrer eigenen Geschichte als afro-amerikanische Schüler*in, die ihre eigene Erfahrung nicht in der Schulbibliothek ihrer sonst afro-amerikanisch geprägten Schule wiederfand, als auch mit grundsätzlichen Überlegungen dazu, dass eine diverse Gesellschaft auch diverse Medienbestände benötigt, für die notwendige Arbeit im Bestandsmanagement. Sie geht dann kurz weitere grundsätzliche Themen durch, zum Beispiel die Geschichte der Positionen der ALA zum Thema. Anschliessend steigt sie aber direkt in das Bestandsmanagement ein und zeigt, wie das benannte Ziel über Bestandsmanagementplänen, deren Umsetzung und Evaluation in der Praxis angegangen werden kann. Wert legt sie dabei auf die von ihr selbst entwickelte Measure of Diversity, einer Formel, mit der Bibliotheken den Stand der Diversität ihrer Bestände messen können. All das ist für die direkte Praxis in Bibliotheken geschrieben, inklusive Hinweisen auf weiterführende Materialien und Beispiele.

Was für Leser*innen aus dem DACH-Raum mit diesem Werk offensichtlich wird, ist, wie anders und strukturierter in den USA Bestandsmanagement betrieben wird, insbesondere wie genau dieses in den Bestandsmanagementplänen vorstrukturiert und durch diese gesteuert wird. Gleichzeitig – so zumindest der Eindruck – scheinen Bibliotheken aber auch viel näher am Inhalt der Medien zu sein, als dies im DACH-Raum üblich ist, wo eine wachsende Anzahl von Medien durch Standing Order oder vergleichbare Formen des Massenkaufs in die Bibliotheken gelangen. Die Autorin verweist immer wieder darauf, dass klar sein müsse, was in den Medien steht, dargestellt wird und so weiter, und zum Beispiel auch auf Sammlungen von Rezensionen von diversen Medientiteln, die nur Sinn ergeben, wenn Bibliotheken tatsächlich einzelne Medien für ihren Bestand wählen und sie inhaltlich bewerten. Das ist eine andere Kultur des Bestandsmanagement, was auch heisst, dass Bibliotheken im DACH-Raum die Werkzeuge, Strukturen, Formeln und so weiter nicht einfach aus den USA übernehmen können, wenn sie selber das Ziel haben, ihre Bestände diverser zu machen. (ks)


Medaille, Ann (2024). The Librarian’s Guide to Learning Theory: Practical Applications in Library Settings. Chicago: ALA editions, 2024 [gedruckt]

Diese kurze Publikation ist als Praxisbuch für Bibliothekar*innen gedacht, die direkt – also zum Beispiel in Kursen oder im Klassenraum – oder indirekt mit Bildung zu tun haben. Einleitend betont die Autorin, dass Lerntheorien beschreiben, wie Lernen funktioniert und dass sie deshalb grundlegend dafür sein sollten, wie Bildungsaktivitäten von Lehrenden aufgebaut, geplant und durchgeführt werden. Sie bezieht dies explizit auf Bibliothekar*innen. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, da die explizite Beachtung theoretischer Vorannahmen tatsächlich zu einer besseren Lehre führt – weshalb diese Theorien einen hohen Stellenwert in der Ausbildung von Lehrpersonen haben –, diese Theorien für Bibliothekar*innen aber kaum aufbereitet sind.

Ein Problem, das sich aber auch in der Ausbildung von Lehrpersonen stellt, ist, dass es eine ganze Reihe von Lerntheorien gibt, die immer nur zum Teil empirisch bestätigt werden können. Insoweit gibt es eigentlich keine Meistertheorie, sondern eine Vielzahl von Ansätzen. Die Autorin betont am Anfang, dass sie verschiedene Theorien vorstellen wird, aber am Ende ist es nur eine – wenn auch die aktuell die pädagogische Diskussion prägende – Theorietradition, nämlich der Konstruktivismus, den sie in verschiedenen Aspekten durchgeht. Anstatt vieler Theorien sind die Kapitel eher Unterpunkten gewidmet, beispielsweise der self-regulation von Lernenden oder der Bedeutung von dialogue im Bildungsprozess. Dabei ist jedes Kapitel gleich aufgebaut: Nach einer inhaltlichen Einführung, die teilweise auch auf die historische Entwicklung des Themas eingeht, folgt ein Abschnitt über die Bedeutung des Themas für Bibliotheken, dann einer direkt für Lehrveranstaltungen von Bibliothekar*innen, um mit Reflexionsfragen (sowie Fussnoten und Literatur) abzuschliessen. Das Ganze ist also sehr praxisorientiert und sinnvoll für Bibliothekar*innen, die sich damit beschäftigen wollen, wie sie ihre Bildungsaktivitäten planen und durchführen wollen – aber nur für eine Lerntheorie und nicht, wie man durch den Titel vermuten könnte, für eine Anzahl von ihnen. (ks)

3.2 Bibliotheks- und Buchgeschichte

Widdersheim, Michael M. (2023). Circulation of Power: The Development of Public Library Infrastructure in Greater Pittsburgh, 1924–2016. (Current Topics in Library and Information Practice) Berlin ; Boston: Walter de Gruyter, 2023. https://doi.org/10.1515/9783111013404. [gedruckt und als E-Book, Paywall]

Auf der einen Seite ist dem Autor dieses Buches vieles zugute zu halten. Er unternimmt den Versuch, eine Theorie der Bibliotheksentwicklung zu erarbeiten und das auf der Basis eines konkreten, historischen Beispiels. (Genauer: Er hat diese Theorie schon in einigen Artikeln entwickelt, in diesem Buch exemplifiziert er sie noch einmal.) Mit der Theorie will er beschreiben, warum sich Bibliothekssysteme entwickeln. Gleichzeitig stellt er klar, dass er diese Theorie zur Diskussion stellt. Er hätte sie an einem Beispiel entwickelt, sie müsse an weiteren Beispielen geprüft werden. Und zuletzt stellt er die Geschichte des Beispiels selbst, nämlich das heutige System Öffentlicher Bibliotheken im Raum Pittsburgh und die die Bibliotheken unterstützende Infrastruktur, in detaillierter Weise dar.

Allerdings: Die Theorie, die er entwickelt und explizit in einem eigenen Kapitel darstellt, ist wenig überzeugend. Er postuliert, dass die Entwicklung vor allem als eine Art Spiel von Kommunikation zwischen verschiedenen Akteuren beschrieben werden könne. Die Akteure – Vereine, staatliche Akteure und Strukturen, Bibliotheken, Einzelpersonen, gesellschaftliche Initiativen und andere – würden wechseln. Aber was sich wiederholte, wäre eine Thematisierung von Problemen durch einige Akteure, auf die dann von anderen ab einer bestimmten Dringlichkeit reagiert würde – zustimmend, ablehnend oder konstruktiv. In einigen Fällen würden die aufgeworfenen Probleme gelöst, beispielsweise durch neue Infrastrukturen, in anderen würden sie ungelöst bleiben. Dies würde sich zyklisch wiederholen. Der Autor weigert sich, andere mögliche Gründe für diese Veränderungen zu prüfen. Solche – zum Beispiel die Bevölkerungsentwicklung, gesellschaftlicher und technologischer Wandel, Veränderungen der Medienpraxis – versteht er immer nur als Auslöser von Kommunikation, nicht als Grund für Veränderungen in Bibliotheken selbst. Zudem scheint seine Darstellung der entworfenen Theorie unnötig komplex und gleichzeitig erstaunt, dass sie offenbar ohne Rückgriff auf andere Theorien erstellt wurde, die sich mit Diskursen und Veränderungen befassen (es sei nur an die Systemtheorie (Luhman) oder die Theorie des kommunikativen Handelns (Habermas) erinnert).

Seine Darstellung der konkreten Geschichte der Bibliothekssysteme im Grossraum Pittsburgh, die er im Buch ebenfalls liefert, fokussiert dann auf kommunikative Akte. Im Ganzen ist das interessant, aber teilweise ist es eine Darstellung davon, welcher Verein oder welche Bürgermeisterin wann eine Brief geschrieben oder eine Rede gehalten hat. An solchen Stellen ist den Darstellungen schwer zu folgen, weil sich die Situationen über die Jahrzehnte sehr ähneln. (ks)


Senarclens, Vanessa de (Hrsg.) (2024). Bücher und ihre Wege: Bibliomigration zwischen Deutschland und Polen seit 1939. (Fokus: Neue Studien zur Geschichte Polens und Osteuropas, 12). Paderborn: Brill Schöningh, 2024. https://doi.org/10.30965/9783657791750. [gedruckt und als E-Book, Paywall]

Auch wenn er in diesem Buch nicht benutzt wird, wäre wohl der Begriff Entanglement von Bibliotheken und Geschichte geeignet, um den Inhalt dieses Werkes zu beschreiben. Ausgehend von einer Konferenz versammelt der Band Beiträge zu der Frage, wie Bibliotheken und Bestände im Laufe der polnischen und deutschen Geschichte wanderten, aber auch – sehr oft und insbesondere während des Nationalsozialismus – zerstört wurden. Sichtbar wird dabei auch, dass es unterschiedliche Geschichten gibt. Während in Polen die Erfahrung einer breit angelegten, systematischen Zerstörung polnischer Bibliotheken – und, wie in den Beiträgen auch sichtbar wird, explizit jüdischer – während des Nationalsozialismus vorherrscht, wird auf deutscher Seite bislang vor allem auf Lücken in Bibliotheksbeständen in Deutschland selbst verwiesen, die durch den Verlauf des Krieges entstanden. Damit sind unter anderem Bestände gemeint, die von deutschen Bibliotheken während des Zweiten Weltkrieges ausgelagert wurden, sich nach 1945 auf polnischem Boden befanden und dann zur Basis heutiger Bibliotheken wurden. Aus polnischer Sicht galten sie als zumindest teilweiser Ersatz für die vernichteten Bestände.

Die Beiträge liefern weder eine vollständige Geschichte noch geben sie eine klare Aussage dazu, wie zum Beispiel mit diesen alten Beständen heute umgegangen werden soll. In ihrer Grundhaltung plädieren sie für eine Wahrnehmung gerade der polnischen Erfahrung durch die deutsche Seite und heute für eine Zusammenarbeit der Bibliotheken beider Länder. In vielen Beiträgen geht es darum, wie Bibliotheken zerstört wurden oder welche Wege Bestände nahmen. Teilweise wird dies als grossangelegte Geschichte erzählt, teilweise anhand von einzelnen Büchern. (ks)


zur Lage, Julian (2022). Geschichtsschreibung aus der Bibliothek: Sesshafte Gelehrte und globale Wissenszirkulation (ca. 1750–1815). (Wolfenbütteler Forschungen, 169). Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 2022 [gedruckt]

Die im Titel dieses Buches erwähnte Bibliothek wird erst sehr spät zum Thema dieser kulturwissenschaftlichen Dissertation. Das eigentliche Thema steht im Untertitel. Es geht um sesshafte Gelehrte – also solche, die vor allem von einem Ort aus arbeiteten und keine grossen Reiseerfahrungen sammelten –, die Überblickswerke zu globalen Themen vorlegten. Bei den vier hier tiefergehend besprochenen Forschenden ging es immer darum, die Geschichte anderer Kontinente oder gleich der ganzen Welt zu schreiben. Dabei stellte sich die Frage, welche Quellen sie nutzen konnten, vor allem – das eigentliche Thema – ob sie Reisebeschreibungen nutzten und wie sie diese bewerteten. Ihre Thesen über die Entwicklung der Welt mussten sie auf Quellen stützen, die sie nicht direkt überprüfen konnten. Und gleichzeitig mussten sie begründen, warum ihre Arbeitsweise vom Schreibtisch aus dafür passend war.

Im Buch ist zu lernen, dass die Bewertung von Reiseberichten und der Kritik dieser Berichte eine eigene Geschichte hat. Gleichzeitig erfährt man, wie sich mit steigendem Anspruch an die Quellenkritik auch die Verweisapparate – Fuss- und Endnoten, Bibliographien, Anhänge – entwickelten. Zudem gab es eine Geschichte der Begründung, warum eine sesshafte Forschung, die vor allem Daten zusammentrug, bewertete und daraus Thesen über die Entwicklung von Gesellschaften, Menschen und der gesamten Welt ableitete, Vorteile gegenüber der eigenen Anschauung vor Ort hätte. Im Buch wird die Arbeit vier Forschender besprochen: Cornelius de Pauw, William Robertson, Johann Gottfried Herder und Julius August Remer. Nur bei Remer geht der Autor auf die konkrete Arbeitsweise des Forschers, inklusive dessen Nutzung von Bibliotheken ein – hier verstanden als Buchsammlungen, sowohl des Forschenden selber, die von anderen Forschenden, Adligen und Buchhändlern als auch von Universitätsbibliotheken selber. In diesem Abschnitt finden sich auch konkrete Daten zur Nutzung von Büchern und dem thematischen Aufbau von Bibliotheken. Die rund 250 Seiten der Arbeit, die diesem Abschnitt vorangehen, lesen sich ein wenig wie ein Prélude zu dieser intensiven Untersuchung.

Anzumerken ist zudem, dass der Autor im Einleitungsteil als theoretische Basis Bruno Latours Analyse der Wissensproduktion aus immutable mobiles – Objekte, die bei Forschung im Feld erstellt werden, um transportiert und dann in Laboren ausgewertet zu werden – einführt. Das scheint für Reiseberichte und deren Verwendung eigentlich ein sinnvolles Modell zu sein. Jedoch kommt der Autor im Laufe der Untersuchung erstaunlicherweise nicht mehr auf diese theoretische Basis zurück. (ks)


Smirnova, Victoria (2023). Medieval Exempla in Transition: Caesarius of Heisterbachs Dialogus miraculourm and Its Readers. (Cistercian Studies Series ; 296) Collegeville, Minnesota: Liturgical Press, 2023 [gedruckt]

Die Studie von Victoria Smirnova liest sich wie die Fingerübung einer Mediävistin, die anhand eines spezifischen Buches und Autors zeigt, was diese Wissenschaft an Wissen zu produzieren in der Lage ist. Fingerübung deshalb, weil sie gar nicht einmal das gesamte Spektrum der Forschungsmöglichkeiten nutzt – beispielsweise werden Manuskripte nicht materiell untersucht –, aber trotzdem eine erstaunliche, konsistente Geschichte aufzeigen kann.

Bei dem konkreten Buch geht es um eine Sammlung von Exempla, Geschichten über moralisch richtiges Verhalten, über das Wirken Gottes und des Teufels, die alle mit einer pädagogischen Absicht gesammelt wurden. Sie sollten den Gläubigen, allen voran Mönchen und Nonnen des Zististensier-Orden, ermöglichen, den moralisch richtigen Weg zu finden. Genutzt wurden sie aber auch, wie Smirnova zeigt, als Hilfe für Predigten. Die Sammlung, erstellt im frühen 13. Jahrhundert, fand erst im Zististensier-Orden Verbreitung, dann auch bei einigen anderen Orden. In der frühen Neuzeit wurde sie mehrfach gedruckt und machte damit den Medienwandel des 16. Jahrhunderts mit. Gleichzeitig wurde sie zum Objekt protestantischer Kritik, die sie als Beispiel für Aberglauben anführte, und anschliessend auch der katholischen Seite, welche sie als vielleicht naive, aber ehrliche Suche nach Gott interpretierte. Im Zeitalter der Romantik wurde die Sammlung als vorgeblicher Ausdruck deutschen mittelalterlichen Denkens entdeckt – unter anderem von Hermann Hesse. In den jüngerer Zeit wurde der Autor der Sammlung, Caesarius von Heisterbach, zum Protagonisten verschiedener populärer Romane, vor allem als Symbol für mittelalterliche Weisheit und Mystik (bis hin zum Experten für Zeitreisen). Insoweit eignet sich das Buch als Beispiel für eine Untersuchung.

Die Autorin geht nun das Buch – beziehungsweise, vor dem Druck, die Textzeugen des Buches –, die heute noch zu findenden Annotationen und nachweisbaren Nutzungsweisen durch. Dies wird jeweils anhand der verschiedenen in Bibliotheken vorhandenen Exemplare durchgeführt sowie gerade für die Zeit des Mittelalters und der frühen Neuzeit mit den jeweiligen Entwicklungen der verschiedenen Ordensgemeinschaften kontextualisiert. Dabei beweist die Autorin, dass sie den mediävistischen Handwerkskoffer gut beherrscht: Die Geschichte mehrerer Jahrhunderte wird zusammengebracht, die Manuskripte und ihre Provenienz werden untersucht, zwischen verschiedenen Sprachen wird scheinbar aus dem Stegreif übersetzt (besonders beeindruckend bei Texten, die ein spätmittelalterliches Latein und Deutsch miteinander verbinden). Das alles macht, wie gesagt, den Eindruck eines Fingerspiels, einer Vorstufe einer grossen, noch tiefergehenden Studie. Was das Buch allerdings auch zeigt, ist, dass dieser Handwerkskoffer immer weniger brauchbar wird, je weiter sich die Autorin vom Mittelalter selber entfernt. Die Kontextualisierung der Frühdrucke ist noch überzeugend, die Kontextualisierung in der Romantik dagegen scheint schon nur noch in sehr groben Strichen vorgenommen worden zu sein. Die Darstellung zeitgenössischer Romane des 20. und 21. Jahrhunderts – also in einer gänzlichen anderen Medienwelt zum Mittelalter – beschränkt sich auf eine Nacherzählung.

Gleichzeitig, dass sollte nicht überraschen, ist die Studie auch ein Hinweis darauf, was die nachhaltige Arbeit von Bibliotheken zum Erhalt von Manuskripten, Frühdrucken und älterer Literatur zu ermöglichen in der Lage ist. Alle diese Dokumente fand die Autorin in Bibliotheken vor. Gleichzeitig ist sie heute selber Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer der grössten Bibliotheken mit einer solchen Sammlung, nämlich der Bayerischen Staatsbibliothek in München. (ks)


Purdy, Jessica G. (2024). Reading Between the Lines: Parish Libraries and their Readers in Early Modern England, 1558–1709. (Library of the Written Word, 120 ; The Handpress World, 98). Leiden, Boston: Brill, 2024. https://doi.org/10.1163/9789004363717. [gedruckt und als E-Book, Paywall]

Dieses Buch ist praktisch ein Reader zum im Titel genannten Thema Parish Libraries in England in der Neuzeit, also praktisch der Zeit der Reformation und Gegen-Reformation. Mit den Parish Libraries sind Buchsammlungen gemeint, die in Kirchgemeinden in dieser Zeit angelegt und für die Benutzung der Gemeindemitglieder freigegeben wurden. Die aufeinander folgenden englischen König*innen legten Wert darauf, ihre jeweilige religiöse Richtung in der Bevölkerung auch mittels Büchern zu vermitteln. Sowohl die protestantischen als auch die katholischen Regierungen machten den Kirchgemeinden Vorschriften dazu, welche Bücher sie anzuschaffen hätten. Dies beförderte den Aufbau solcher Bibliotheken.

Auch wenn die Autorin das Buch als Studie beschreibt, liest es sich eher so, als hätte sie in den ersten zwei Teilen, in denen es erst darum geht, wann und von wem die Bibliotheken gegründet wurden und dann, wie genau sie ausgestattet oder wo sie in den Kirchen untergebracht waren, die vorhandene Literatur zusammengefasst und teilweise neu bewertet. Im dritten Teil dann widmet sie sich vier dieser Bibliotheken, deren Bestände heute noch zu grossen Teilen erhalten sind, und wertet sie bis ins kleinste Detail inhaltlich aus. Dabei kann sie zum Beispiel zeigen, dass diese Bestände religiös recht offen waren, zumindest im Rahmen der damaligen theologischen Auseinandersetzungen und dass sie intensiv genutzt wurden, was heute noch an Lesespuren in den vorhandenen Büchern nachvollzogen werden kann.

In den letzten Jahrzehnten hat es eine Anzahl von Teilstudien zu diesen Bibliotheken gegeben, dieses Buch scheint einen gewissen Abschluss darzustellen. Allerdings gelingt dies nicht immer überzeugend. An vielen Stellen ist nicht klar, woher die Autorin ihr Wissen bezieht. Es scheint ein wenig so, als würde sie bestimmte Aussagen für so bekannt halten, dass sie nicht mehr nachgewiesen werden müssen. Irritierend ist das vor allem im ersten Teil, wenn sie Schlüsse aus den Gründungsdaten der Bibliotheken zieht – beispielsweise dass sie erst in den Städten, danach auf dem Land erfolgten, dann aber das ganze Land erfassten –, die sie als letztgültigen Stand der Forschung darstellt. Dabei schreibt sie selber, dass es fast nie genau bestimmt werden kann, durch wen und wann eine dieser Bibliotheken tatsächlich gegründet wurde. Vieles dieser Geschichte liegt im Dunkeln. Insoweit werden auch in Zukunft noch mehr dieser Bibliotheken auftauchen. Die Autorin präsentiert ihre Daten aber so, als wären sie abgeschlossen und weist sie auch nicht einzeln nach. (ks)


Strickland, Forrest C. (2023). The Devotion of Collecting: Dutch Ministers and the Culture of Print in the Seventeenth Century. (Library of the Written Word, 110 ; Handpress World, 89) Leiden, Boston: Brill, 2023. https://doi.org/10.1163/9789004538191. [gedruckt und als E-Book, Paywall]

Die Niederlande waren im 17. Jahrhundert wohl das Land mit dem grössten Buchmarkt. Gründe dafür waren die calvinistische Orientierung der damals neuen Republik, die eine Bevölkerung hervorbrachte, welche hoch alphabetisiert war, da sie die Bibel direkt lesen können sollte; eine grosse Zahl von gebildeten Geistlichen, die aus den staatlicherseits eingerichteten Universitäten stammten sowie das rasante Wirtschaftswachstum, das die Niederlande zu einem Mittelpunkt eines Netzes machten, an dem – nicht nur im Buchmarkt – viele wirtschaftliche Stränge zusammenflossen. Nicht zuletzt regten zahlreiche theologische Auseinandersetzungen, sowohl innerhalb des Calvinismus als auch mit anderen Denominationen, die ständige Produktion und Konsumtion von Literatur an.

In diesem Klima etablierte sich die Buchauktion als Teil des Buchmarktes. Starben Personen, die eine einigermassen ansehnliche Anzahl an Büchern besassen, wurden diese oft versteigert. Daneben wurden oft auch Buchbestände von Verlagen versteigert, um schnell frisches Kapital für andere Buchprojekte einzuwerben. Für viele dieser Auktionen wurden Auktionskataloge gedruckt, die teilweise über das ganze Land und darüber hinaus verbreitet wurden, damit auch Personen aus anderen Städten mitbieten konnten. Für diese Kataloge entwickelten sich inoffizielle Standards: Meist teilten sie die Bücher in Kategorien, erwähnten ihre Sprache und so weiter. Und: Eine ganze Anzahl dieser Kataloge wurde in Bibliotheken bis heute überliefert, obgleich sie eigentlich explizite Verbrauchsliteratur darstellten.

Basis der vorliegenden Studie waren nun 2092 dieser Kataloge aus dem 17. Jahrhundert, die heute noch vorhanden sind und die der Autor daraufhin auswertete, welche Bücher in ihnen zur Versteigerung angezeigt wurden. (Eventuell finden sich in Zukunft noch mehr. Es ist auch bekannt, dass es noch mehr Auktionen gab, die zum Beispiel in Zeitungen der Zeit erwähnt wurden.) Bei den Büchern handelte sich um solche, welche die Eigentümer am Ende ihres Lebens besassen – sicherlich nicht alle Bücher, die sie gelesen hatten, da Bücher auch verliehen oder verschenkt wurden oder weil Familien nicht alle Bücher versteigern wollten. Aber sie bieten doch einen Einblick in die privaten Buchbestände der damaligen Zeit. Der Autor hat die Einträge dieser Kataloge in einer Datenbank versammelt und stellt die Auswertung dieser Daten dar. Sie wird in den Kontext der damaligen Debatten und Kultur eingebunden. Es ist ein narrativer Text, in den zahlreiche Tabellen integriert sind, aber zum Beispiel auch auf Bilddokumente verwiesen wird. Das alles geschieht sehr ausführlich. Immer beginnt der Autor ein Kapitel mit einer Vignette, beispielsweise einer Auktion oder einem Theologen und seinen Büchern, um dann anhand seiner Daten allgemeiner zu werden. Da Priester und Theologen die meisten Bücher hatten, geht es dabei meist auch um theologische Debatten.

Grundsätzlich entsteht das Bild einer alphabetisieren Gesellschaft, in denen Fragen des Glaubens noch den Mittelpunkt des Denken darstellten, aber auch zum Beispiel die Wirtschaft oder die Philosophie, die sich von der Theologie zu lösen begann, eine immer grössere Rolle spielten. Sichtbar wird auch, wie Latein als Sprache weiter vorherrschte, aber im 17. Jahrhundert dabei ist, langsam von Alltagssprachen abgelöst zu werden. Und nicht zuletzt wird sichtbar, wie Bücher immer mehr zum Allgemeingut wurden, also auch immer mehr handliche Ausgaben erschienen. Das ist alles interessant, allerdings teilweise sehr ausführlich und deshalb langsam zu lesen. (ks)


Bassermann-Jordan, Gabriele von ; Fromm, Waldemar ; Haug, Christine ; Raabe, Christiane (Hrsg.) (2024). Jella Lepman: Journalistin, Autorin, Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek, Eine Wiederentdeckung. (Bavarian, Münchner Schriften zur Buch- und Literaturgeschichte, Kleine Reihe ; 4). München: Allitera Verlag, 2024 [gedruckt]

Dieser Band versammelt die Vorträge einer Tagung, die 2020 stattfinden sollte, aber aufgrund der Covid-19 Pandemie ausfiel. Die Tagung hätte sich, wie im Titel angegeben, mit Jella Lepman beschäftigt, nicht nur mit ihrer Rolle als Gründerin der 1949 in München eröffneten Internationalen Jugendbibliothek, sondern auch mit anderen Aspekten ihrer Arbeit. Stattdessen erfolgt dies nun über die Beiträge in diesem Buch.

Lepman, in der Weimarer Republik Politikerin und Journalistin im liberalen Milieu, floh – verfolgt wegen dieser Tätigkeiten und ihrer jüdischen Herkunft – vor dem nationalsozialistischen Regime aus Deutschland. Nach 1945 kehrte sie zurück, um die US-amerikanische Besatzungsmacht bei deren Kulturarbeit zu unterstützen. Dabei hielt sie, wie in mehreren Beiträgen betont, explizit Abstand zur deutschen Bevölkerung und deutschen Behörden, beispielsweise indem sie generell englisch sprach und eine US-amerikanische Uniform trug. Aber, sehr dem Denken der Jahrhundertwende verhaftet, entwickelte sie die Hoffnung, dass ein geistiger Neuaufbau Deutschlands möglich wäre, wenn man bei den Kindern und Jugendlichen ansetzen und diese früh im Leben mit demokratischen, weltoffenen Vorstellung in Kontakt bringen würde. Dies ging sie unter anderem mit Ausstellungen von Kinderbüchern und Kinderzeichnungen an, anschliessend mit der Gründung der genannten Internationalen Jugendbibliothek, welche von Anfang an und bis heute einen grossen Kinder- und Jugendbuchbestand mit einer reichhaltigen Veranstaltungsarbeit verbindet.

Die Beiträge in diesem Band beleuchten die Person Lepman, ihre Arbeit erst in der US-amerikanischen Verwaltung und später in der Münchner Politik sowie auch ihre eigenen Kinderbücher und ihre Zusammenarbeit mit Ernst Kästner. Stil und Fokus der Beiträge sind sehr unterschiedlich. Zu bemerken ist aber auch, dass die Autor*innen sich nicht abgestimmt haben oder redaktionell viel in ihre Beiträge eingegriffen wurde: Mehrere Aussagen werden mehrfach gemacht, mehrere Vorgänge werden mehrfach berichtet und dann unterschiedlich bewertet. Insbesondere gibt es verschiedene Deutungen dazu, was über Lepmans Ideen zu sagen ist. Was allerdings praktisch nicht zu finden ist, ist eine Geschichte der Internationalen Jugendbibliothek selber: Zum Bestand, zur konkreten Arbeit der Bibliothek oder deren Entwicklung, nachdem sie dann einmal gegründet wurde, erfährt man praktisch nichts. (ks)

4. Weitere wissenschaftliche Medien (Konferenzberichte, Abschlussarbeiten)

Zumstein, Philipp (2023). Der Weg ist nicht das Ziel: Über Ideale und Irrwege bei der Open-Access-Transformation. Open-Access-Tage 2023 (OAT23), Berlin. Folien zum Vortrag: https://doi.org/10.5281/zenodo.8388502, Videoaufzeichnung: https://doi.org/10.5446/66708.

Philipp Zumstein hält mit dem Vortrag bei den Open-Access-Tagen 2023, was der streitbare Titel verspricht: Gegenübergestellt werden die programmatischen Ziele (Forschende und/oder Entscheidungsebene unterstützen, Verträge abschließen, OA-Anteil erhöhen, OA weltweit ermöglichen, nachhaltige und faire Publikationslandschaft ermöglichen) und anfallende Aufgaben im Bereich Publikationsservices (Publikationsdatenmanagement, Publikationsservices, Abschluss und Abwicklung von OA-Verträgen, Beratung von Wissenschaftler*innen, Auswertung und Reporting).

Der Referent stellt die wichtige Frage, welchen Zielen bestimmte Aufgaben dienen – und hinterfragt, ob denn bestimmte Handlungs- oder Aufgabenfelder (Bewirtschaftung Publikationsfonds, Einführung eines Informationsbudgets) auch de facto der Umsetzung des übergeordneten Ziels der Transformation dienen (können). Oder anders gesagt empfiehlt er, vermeintlich offensichtliche Aufgabenstellungen kritisch zu hinterfragen: Ob und welche Ziele mit bestimmten Aufgaben umgesetzt werden können. Und ob nicht manche Tätigkeiten bewusst unterlassen oder niedrig priorisiert werden sollten. Zumstein argumentiert dies am Beispiel der Informationsbudgets und einer granularen Erfassung verschiedener Publikationskostenarten – er plädiert dafür, besser für Strukturen zu sorgen, damit antiquierte Publikationsgebühren (etwa color oder page charges) nicht mehr gezahlt werden – anstatt immer besser darin zu werden, die verschiedenen Kostenarten granular zu erfassen und umfangreich mit Publikationsmetadaten zu verknüpfen.

Zumstein schließt den Vortrag mit Appellen und Empfehlungen, um eine kritische Diskussion der Ziele der Open-Access-Transformation anzuregen. Genau für eine solche Diskussion – mit den Leitungen von Bibliotheken und Hochschulen, wie auch innerhalb der OA-Community – liefert er viele Anregungen. (mv)


Schön, Margit ; Barbers, Irene; Mittermaier, Bernhard (2024). Publikationskostenmonitoring: Aktueller Stand und Herausforderungen von Publikationskosten an deutschen wissenschaftlichen Einrichtungen. Report. https://doi.org/10.5281/zenodo.10810729

Der Report genannte Bericht ist eine Darstellung und Ergebniszusammenfassung eines Workshops mit über 200 Teilnehmenden sowie einer Umfrage mit acht Teilnehmenden, die im Feld aktiv sind. Zudem werden der Kontext geschildert und die Ergebnisse detailliert dargestellt, was den Text recht umfangreich macht.

Grundsätzlich zeigt sich, dass das Thema Publikationskosten von Open-Access-Veröffentlichungen in Bibliotheken und Hochschulen zwar als Thema bekannt ist und zumindest bei den Personen, die am Workshop teilnahmen, auch im Arbeitsalltag eine Bedeutung hat. Aber gleichzeitig hat sich keine einheitliche Praxis etabliert. Vielmehr werden lokal immer wieder andere Wege gegangen, um einen Überblick zu den anfallenden Kosten zu erhalten.

Es gibt in der Soziologie und der Geschichtswissenschaft das Konzept der Pfadabhängigkeit: Institutionen und Felder folgen tendenziell einmal eingeschlagenen Pfaden. Wahrgenommene Probleme werden eher mit ähnlichen Konzepten angegangen, die schon einmal ausprobiert wurden; Lösungen werden eher in schon vorhandenen Strukturen und Denkmustern integriert, als jeweils ganz neu entworfen zu werden. Dieser Bericht hinterlässt stark den Eindruck einer solchen Pfadabhängigkeit im deutschen Bibliothekswesen: In den letzten zwei Jahrzehnten wurden im Bereich Open Access bestimmte Lösungen und Strukturen etabliert, zum Beispiel institutionsübergreifende Mandate für Forschende, Open-Access-Büros, die in Bibliotheken angesiedelt sind, inklusive der Delegation der Verantwortung für Open-Access-Projekte an die Hochschulbibliotheken. Beim Bericht fällt nun auf, dass die Problembeschreibungen – die Kosten fallen ohne Übersicht an verschiedenen Stellen in Hochschulen an – und Lösungsansätze – die Situation ist unübersichtlich und bedarf einer Vereinheitlichung, die Verantwortung soll bei den Bibliotheken liegen – sich dem recht erfolgreichen Modell im Bereich Open Access ähneln. Andere Möglichkeiten – beispielsweise die Verlage zur Information zu verpflichten – werden gar nicht erst thematisiert. (ks)

5. Populäre Medien (Social Media, Zeitungen, Zeitschriften, Radio, TV)

Kristof, Nicholas (2023). We know the cure for loneliness. So why do we suffer? In: The New York Times – International Edition. September 8, 2023. S. 9, https://www.nytimes.com/2023/09/06/opinion/loneliness-epidemic-solutions.html [Paywall]

In einem ausführlichen Beitrag über Einsamkeit als soziale und gesundheitliche Herausforderung – Einsamkeit ist so gesundheitsschädlich wie 15 Zigaretten am Tag, so eine Aussage – verweist der Autor unter anderem auf Hilfs- und Public-Health-Programme. Ein wichtiges Leitdokument für die USA ist der im Mai 2023 vorgelegte Bericht Our Epidemic of Loneliness and Isolation (Office of the Surgeon General, 2023, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK595227/), der an mehreren Stellen Bibliotheken als Eckpfeiler einer der Einsamkeit vorbeugenden sozialen Infrastruktur betont: [The report] offers a strategy to address loneliness that begins with building up the infrastructure that enables social connection. That includes physical infrastructure, such as parks and libraries, and also social infrastructure to weave together volunteers or enthusiasts with similar interests. Zudem erwähnt Nicholas Kristof eine Bibliothek der Dinge in der britischen Stadt Frome, die passenderweise SHARE FROME heißt, siehe https://sharefrome.org/. (bk)


Caspari, Heinrich: Lieferung an italienische staatliche Bibliotheken betreffend. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Nr. 179, 03. August 1907, S. 10

In einem Brief an das Börsenblatt für die Rubrik Sprechsaal teilt Heinrich Caspari von der Stuhrschen Buchhandlung in Berlin mit, dass eine von seiner Buchhandlung versorgte staatliche Bibliothek in Italien den Bezug nach offizieller Anordnung einstellen muss, da entsprechende Abrechnungen nur noch innerhalb Italiens möglich sind. Der Buchhändler fragt nach den Erfahrungen anderer Buchhandlungen. (bk)


o.A.: From Kenosha to the Children of Italy. In: Wisconsin Library Bulletin. January 1947, S. 26

Als Teil einer Woche des Buches wurde an der Boys and Girls Library in Kenosha, Wisconsin, der ersten Kinder- und Jugendbibliothek der Stadt, eine völkerverständigende beziehungsweise Kultur exportierende Schatztruhe für Kinder in Italien zusammengestellt. Delourise I. Layman, Bibliothekarin und damit mutmaßlich verantwortlich für die Aktion, berichtet, dass Schüler*innen der Stadt eingeladen wurden, an der Gestaltung der Kiste mitzuwirken. Es entstand unter anderem ein Scrapbook, in dem die Kinder über ihr Leben in Kenosha berichten. Für die Empfänger*innen in Italien wurden ein leeres Album sowie Stifte, Farben und weitere Materialien beigelegt und zwar in der Hoffnung, dass sie es ihren Altersgenoss*innen in Wisconsin gleichtun. Außerdem fanden sich in der Schatztruhe dreißig Bücher zeittypischer Kinderliteratur wie The Story of Little Black Sambo, Daniel Boone, Millions of Cats und Make Way for Ducklings. (bk)


Schmitz, Jasmin: Beyond Predatory Publishing: Additional Questionable Offers in Scholarly Publishing. In: Scholarly Communications in Transition. A Blog about Predatory and Other Phenomena in Academia, 10.01.2024, https://in-transition.at/beyond-predatory-publishing-additional-questionable-offers-in-scholarly-publishing/

Im Beitrag von Jasmin Schmitz werden Vorgehensweisen und Praktiken von Paper Mills, die wissenschaftliche Artikel und deren Platzierung in Zeitschriften verkaufen, beschrieben. Sie geht dabei näher auf deren üblichen Geschäftspraktiken und Vorgehensweisen ein und spricht über die Auswirkungen dieses wissenschaftlichen Fehlverhaltens auf die Forschung insgesamt. Der Blogbeitrag bietet dabei einen übersichtlichen Einstieg in aktuelle Entwicklungen und verleitet mit ausführlichen Referenzen zur vertieften Recherche. (eb)


Oreskes, Naomi: Trouble in the Fast Lane. Scientific research needs to slow down, not speed up. In: Scientific American, Vol. 330, No. 4 (April 2024), S. 69

In einer Art Op-Ed problematisiert die Autorin Probleme und Folgen hochfrequenter Publikationskulturen in einer stark kompetitiv ausgerichteten Wissenschaftswelt anhand der Zunahme wissenschaftlichen Fehlverhaltens vor allem durch Nachlässigkeit bei der Erstellung von wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Eine Ursache ist nach der die große Bedeutung der Publikationsquantität für die Wissenschaftsevaluation, die zugleich mit einer generellen Beschleunigungserzählung verknüpft wird, die auch von außerhalb der Wissenschaft getrieben wird. Leitmantra: Move fast and break things. Die Autorin erinnert daran, dass Wissenschaft sowohl in der Erkenntnisfindung als auch in der Kommunikation Zeit braucht und verweist auf absurd erscheinende Zahlen wie die in einer Studie nachgewiesenen Zahl von 265 Autor*innen, die im Schnitt alle fünf Tage ein Paper veröffentlichten. Der Artikel beschreibt also ein wohlbekanntes Phänomen, das für die Bewertung der Forschung bislang nicht gelöst ist. (bk)


McKie, Robin: ’The situation has become appalling’: fake scientific papers push research credibility to crisis point. In: The Observer / guardian.com, 03.02.2024 https://www.theguardian.com/science/2024/feb/03/the-situation-has-become-appalling-fake-scientific-papers-push-research-credibility-to-crisis-point

Im Observer wird vor dem Hintergrund stark steigender Retraction-Zahlen für wissenschaftliche Aufsätze das Problem gefälschter beziehungsweise mit unwissenschaftlichen Mitteln geschönten Wissenschaftspublikationen aufgegriffen. Die Rekordzahl von 10.000 zurückgezogenen Artikeln im Jahr 2023 ist laut Expert*innen nur die Spitze des Eisbergs. Für den in Kairo ansässigen Wissenschaftsgroßverlag Hindawi, der besonders an- und auffällig für die Publikation solcher Artikel scheint, zieht Wiley als Eigentümer jetzt die Reißleine, gibt die Marke auf und ändert die Strukturen. Die Ursache für den rasanten Zuwachs auch vorsätzlich gefälschter Forschung wird in einem vor allem in China stark ausgeprägten Publikationsdruck für Nachwuchsforschende gesehen, bei dem entsprechende Publikationslisten die Grundlage für ein berufliches Fortkommen darstellen. Dies führte zu einer Art Sekundärmarkt mit sogenannten Paper mills, die gezielt gefälschte Studien produzieren, sowie Manipulationsstrukturen bis hin zur Bestechung. Das Phänomen breitet sich zunehmend auf andere Länder wie Indien, Russland oder Iran aus. Der hohe Anteil gefälschter Forschung wirkt wiederum auf die wissenschaftliche Kommunikation und Anschschlussforschungen sowie auch auf die Wahrnehmung von Forschung in der Öffentlichkeit zurück, was sich während der Covid-Pandemie deutlich zeigte. Die Langzeitfolgen könnten noch verheerender werden, wenn Personen mithilfe gefälschter Forschung Karriere bis in wissenschaftliche Steuerungspositionen machen. (bk)


Jochen Zenthöfer: Schwarzmarkt für den Zitatkauf. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.02.2024, S. N4

Der Artikel berichtet über den Trend der Manipulation von Zitationen zur Erhöhung von Zitationshäufigkeiten und damit dem quantitativen Standing von Wissenschaftler*innen. Neben den traditionellen Zitierkartellen hat sich eine Art Manipulationsmarkt entwickelt. Ein zitierter Experte berichtet zudem sogar über parallele Publikationsstrukturen, bei denen in Fake-Publikationen andere Fake-Publikationen zitiert werden, um Impact-Factor-Angaben zu manipulieren. Er spricht auch von einer Verschmutzung des wissenschaftlichen Publizierens. Anlass des Artikels ist neben dem Aufzeigen des Phänomens auch ein Beklagen, dass Google Scholar, Clarivate und andere Anbieter offenbar unzureichend oder gar nicht auf diese Verzerrungseffekte reagieren, die angesichts der Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz an Intensität und Umfang zunehmen werden. Den Silberstreif am Horizont der Wissenschaftsmanipulation sieht der Autor in einer Maßnahme der chinesischen Regierung, die alle Hochschulen des Landes verpflichtete, sämtliche Fälle zurückgezogener Publikationen zu melden und auf ein wissenschaftliches Fehlverhalten zu prüfen. (bk)


Zoë Beery: Want a Synthesizer? Go Ahead, Take One. In: New York Times / nytimes.com 08.12.2023, https://www.nytimes.com/2023/12/08/nyregion/synth-library-brooklyn.html [Paywall] beziehungsweise https://web.archive.org/web/20240410171654/https://www.nytimes.com/2023/12/08/nyregion/synth-library-brooklyn.html

In New York gibt es eine von Freiwilligen betriebene Synth Library NYC, deren offensichtliches Anliegen der Verleih von Synthesizern ist. Davon stehen 73 Geräte zur Verfügung, wie Zoë Beery berichtet. Das damit verbundene zweite Anliegen ist nicht nur, Menschen den Zugang zu den teuren und für viele unerschwinglichen Instrumenten zu erleichtern, sondern auch der Aufbau einer Community um die Synth-Klangkultur. Dafür gibt es bei Bedarf entsprechende Beratungen und Einführungen durch Mitglieder dieser Community. Erwartungsgemäß gibt es auch Workshops und öffentliche Veranstaltungen, die im Einklang mit dem Wunsch der Betreibenden einen besonderen Zweck haben: spread the synth bug. In den zweieinhalb Jahren der Existenz der Synth-Bibliothek ging übrigens noch keines der Instrumente verloren. (bk)


Rachel Felder: Colette’s Sarah Andelman Is Back With Another Idea. In: New York Times / nytimes.com, 28.02.2024. https://www.nytimes.com/2024/02/28/style/sarah-andelman-bon-marche.html?unlocked_article_code=1.aE0.DDNA.O0AvBI2ZQZLS&smid=url-share [Paywall]

In einem Beitrag über die Pariser Trendhändlerin Sarah Andelman berichtet die Style-Abteilung der New York Times über deren aktuelles Projekt einer auf Buch, Buchhandlungen und Bibliotheken bezogenen Verkaufsausstellung im Kaufhaus Le Bon Marché Rive Gauche. Mit im Angebot sind einige Produkte mit Bibliotheksdüften: Duftkerzen (Byredo, Diptyque, Zigzag Island) sowie Keramikbleistifte, die neben ihrer Schreibfähigkeit auch eine olfaktorische Spur zur Bibliothek von Alexandria transportieren sollen (Officine Universelle Buly). Wer auf der Webseite des Kaufhauses herumstöbert, entdeckt noch weitere bibliotheksmodische Accessoires, beispielsweise Library Card Yellow-Socken der amerikanischen Buchkulturvermarkter Out of Print. Buch- und Bibliothekskultur sind offenbar nach wie vor lebendig, zugleich aber außergewöhnlich genug, um als Distinktionsthema zu wirken. (bk)


Sam Lubell: An Architect Builds Toward the Future on Mexico’s Border. In: New York Times / nytimes.com. 01.03.2024. https://www.nytimes.com/2024/03/01/arts/design/mexico-border-architecture-canales.html?unlocked_article_code=1.aE0.Bi3H.o_5dfKmRwZF6&smid=url-share [Paywall] beziehungsweise https://web.archive.org/web/20240326144835/https://www.nytimes.com/2024/03/01/arts/design/mexico-border-architecture-canales.html

Die mexikanische Architektin Fernanda Canales entwarf für die unmittelbar an der Grenze zwischen Mexiko und den USA gelegene und entsprechend stark herausgeforderte Stadt Agua Prieta ein Kultur- und Nachbarschaftszentrum inklusive Bibliothek. Der Artikel beschreibt kurz architektonische Merkmale und die Einpassung in die örtliche Situation (a woven, bar-shaped building, its arched edges sitting parallel to the striated, mural-saturated steel border wall about 10 feet away and just west of the town’s international border crossing) mit einer amphitheaterartigen Einlassung für Aufführungen und widmet sich dann der symbolischen und sozialen Funktion. Die Platzierung der Bibliothek wurde bewusst gewählt, um der einschüchternden und buchstäblich separierenden Form einer stark befestigten Grenze einen verbindenden Kontrapunkt entgegenzusetzen. Die Bibliothek ist nun beispielsweise Ort eines lokalen Kulturfestivals und dient einem Buchclub als Ort seiner samstäglichen Sitzungen. (bk)


k.A.: The Woman’s Library. In: New York Times. 25.08.1860. S. 4. https://nyti.ms/48BHaFH [Paywall]

Die New York Times vermeldete am 25. August 1860 die anstehende Eröffnung der ersten Bibliothek für Frauen in New York in einem Universitätsgebäude am Washington Square. Damit sollte einem wachsenden Informations- und Lesebedürfnis vor allem durch Immigration und Industrialisierung zunehmenden Zahl von arbeitenden Frauen in der Stadt Rechnung getragen werden. Die wenigen auch für Frauen zugänglichen Bibliotheken der Stadt waren für die Zielgruppe, also die Arbeiterinnenklasse, meist nicht nutzbar, da sie Nutzungsgebühren erhoben. Diese lagen, so der Artikel, höher als die für Männer, obwohl das Durchschnittseinkommen von Männern zu dieser Zeit dreimal höher war als das von Frauen. Andere Bibliotheken schlossen Frauen von vornherein aus, da in ihnen eine potentielle Ablenkung für die männlichen Nutzer gesehen wurde. Einige hegten auch Sittlichkeitsbedenken. Der Eröffnung der Women’s library ging ein zweijähriger Prozess der Abstimmung, des Aufbaus und vor allem auch der Durchsetzung voraus. Ein Gegenargument lautete, dass die arbeitenden Frauen gar keine Zeit zur Bibliotheksnutzung hätten und das Angebot daher eine Verschwendung wäre. Mit der Einrichtung sollte der damals spürbaren Exklusion von Frauen aus dem öffentlichen und kulturellen Leben entgegen getreten werden. Durchgesetzt wurde die Initiative der ersten von libraries for their own durch zwei Männer, Henry Ward Beecher und James T. Brady. Das Anliegen war ausdrücklich auch, den Nutzerinnen einen Rückzugsort zu geben. (bk)


Jane Margolies: Not Just for Scooby-Doo Anymore. In: New York Times, March 10, 2024, Section F, S. 9, https://www.nytimes.com/2024/03/07/realestate/design-trend-secret-doors.html

In einem Bericht über die Popularität von versteckten Räumen in privaten Neubauten in den USA stellt die Autorin einen Bezug zur Bibliotheksarchitektur her. Konkret erwähnt sie die Bibliothek, die sich der Unternehmer und Bankier J. Pierpont Morgan, heute Morgan Library & Museum, Anfang des 20. Jahrhunderts in New York vom Architekten Charles McKim entwerfen ließ. In dieser wurden versteckte Türen in Regalen untergebracht, hinter denen sich eine Art Betriebstreppenhaus für die Bibliothekar*innen befanden. Weiterhin ließ sich Morgan in seinem Arbeitszimmer ein verstecktes Regal in einem verschiebbaren Bücherregal einbauen, in dem Titel untergebracht werden konnten, von denen vielleicht nicht jeder Gentleman möchte, dass es jeder sieht. Auf einer Webseite der Bibliothek werden drei dieser Titel erwähnt: Fanny Hill, La nouvelle Sapho und Le diable au corp. (bk)


Maya Pontone: Armed Groups in Haiti Ransack National Library. In: Hyperallergic. April 4, 2024, https://hyperallergic.com/892251/armed-groups-in-haiti-ransack-national-library/

Anfang April 2024 wurde die Nationalbibliothek Haitis in Port-au-Prince von bewaffneten Gruppen geplündert. Inwieweit die Sammlungen selbst betroffen waren, ist zum Zeitpunkt der Meldung nicht bekannt. Der Generaldirektor der Bibliothek, Dangelo Neard, berichtet zunächst vom Diebstahl von Möbeln sowie eines Generators, wies aber auch noch einmal nachdrücklich auf die Bedrohung für die Rara, die Manuskriptsammlung sowie das Zeitungsarchiv hin. (bk)


Zenthöfer, Jochen (2024). Für die Nutzung dauerhaft gesperrt: Umgang mit plagiierten Jura-Büchern. In: Legal Tribune Online, 26.04.2024, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/plagiat-jura-dissertation-aberkennung-doktortitel-ausleihe-bibliothek-wissenschaft/

Der Artikel stellt überblickshaft dar, wie Bibliotheken – Wissenschaftliche und solche mit gesetzlichem Sammelauftrag – mit Büchern umgehen, in denen plagiiert wurde. Kurz: Wenn sie als Pflichtexemplare in die Bibliotheken kamen, bleiben sie dort. Wenn nicht, werden sie oft direkt ins Magazin gestellt oder ausgesondert. In einer steigenden Anzahl von Fällen wird explizit im Katalog vermerkt, dass es sich um Plagiatsfälle handelte. Ansonsten wird darauf bei der Ausleihe hingewiesen. Der Text beschränkt sich wegen der Zielgruppe der Publikation auf juristische Werke, aber selbstverständlich gilt die Darstellung des Bestandsmanagements, die er liefert, auch für andere Sachgruppen. (ks)


Tondo, Lorenzo: Plato’s final hours recounted in scroll found in Vesuvius ash. In: THE GUARDIAN / guardian.com, 29.04.2024 https://www.theguardian.com/books/2024/apr/29/herculaneum-scroll-plato-final-hours-burial-site

Eine neue Analyse einer im Jahr 1750 in Herculaneum entdeckten Schriftrolle enthält einen Bericht über den letzten Abend Platons. Laut Überlieferung verbrachte der sterbenskranke Philosoph seine letzten Stunden mit Musik. Ein versklavtes thrakisches Mädchen, so der Bericht, spielte für ihn auf der Flöte. Trotz seines Zustands ließ es sich Platon anscheinend nicht nehmen, die Flötenspielerin ob ihres aus seiner Sicht defizitären Rhythmusgefühls zu kritisieren. (bk)


Last Week Tonight With John Oliver: Public Libraries, (Season 11, Episode 10, Erstausstrahlung 5.5.2024), Streaming via HBO https://www.hbo.com/last-week-tonight-with-john-oliver/season-11/10-may-5-2024-public-libraries; frei zugänglich via https://www.youtube.com/watch?v=42xZB80sZaI (ca. 30 min)

In einer Folge vom Mai 2024 beschäftigt sich John Oliver in der Late-Night-Talk- und News-Show Last Week Tonight mit Öffentlichen Bibliotheken in den USA und den Kontroversen um Book Bans, die seit einigen Jahren die US-amerikanische Öffentlichkeit beschäftigen und inzwischen auch im deutschen Diskurs angekommen sind. Hintergrund ist, dass in den Vereinigten Staaten zunehmend Bücher aufgrund ihres Inhalts verboten beziehungsweise deren Zugang in (Öffentlichen oder Schul-) Bibliotheken eingeschränkt, oder sie gar ganz aus dem Bestand entfernt werden sollen – ginge es nach den Vorstellungen einiger Aktivist*innen. Vielfach (nicht ausschließlich) stehen dabei Medien mit LGBTQIA+ Themen im Mittelpunkt der Diskussion. John Oliver erläutert in der Folge niedrigschwellig und für ein Nicht-Fachpublikum Aspekte wie Bestandspflege (inklusive Gründe für Aussonderungen), Auf- und Einteilung nach Zielgruppe (Kinder, Jugendliche, Erwachsene) und den (eigentlich intuitiv verständlichen) Einfluss von Budgetkürzungen auf die Bibliotheksarbeit (inklusive in der Gemeinde ungewollte Bibliotheksschließungen). Sehempfehlung! Nicht zuletzt ist es eine satirische Unterhaltungssendung mit Bildungs- und Aufklärungsanpruch. (mv)


Muldowney, Decca (2023). Meet the Woman Training Parents How to Get Books Banned. In: The Daily Beast, 01.12.2023, https://www.thedailybeast.com/karen-england-is-teaching-parents-how-to-get-books-banned-starting-with-chino-valley

Der Artikel stellt mit Karen England eine rechte, christliche Aktivistin vor, welche die Verbote von Büchern in Öffentlichen und Schulbibliotheken in den USA vorantreibt. Eingebettet ist dies in die Geschichte einer kalifornischen Gemeinde, die tatsächlich ein Verbot von vulgären Büchern in ihren Bibliotheken beschlossen hat, aber auch der Gegenwehr gegen diesen Beschluss.

Es wird klar, dass es sich bei diesen Verboten um eine organisierte politische Kampagne handelt, die sich gerade nicht durch einzelne empörte Eltern erklärt, sondern einer mehr oder minder straffen, seit Jahrzehnten aktiven Organisation. Es sind einige Personen, welche diese Kampagne landesweit vorantreiben und eine kleine Anzahl von Personen, welche diese jeweils lokal tragen. Der Eindruck eines kulturellen Shifts, der von dem Grossteil der Bevölkerung getragen wird, ist falsch. Eindrücklich beschreibt der Artikel auch, inklusive einem Interview mit der im Mittelpunkt des Textes stehenden Karen England, dass hinter dieser Kampagne vor allem US-amerikanisch, fundamentalistisch-christliche Ziele stehen, auch wenn England mit der Zeit gelernt hat – und dies anderen beibringt – eine Rhetorik zu nutzen, die anderes verkündet.

Für den DACH-Raum relevant ist dieser Text, weil er zumindest die Frage aufwirft, ob es solche Aktivist*innen wie England auch hier gibt, also ob sich die – so ja Wahrnehmung im Bibliothekswesen – steigende Anzahl von Versuchen, Bücher in Bibliotheksbeständen zu zensurieren, (auch) durch so eine Kampagne erklären lässt. (ks)

6. Weitere Medien

Esoterica / Justin Sledge (2023). The Library of Alexandria - Myth vs History. 01.12.2023, (Video, 39:10 Minuten), https://youtu.be/iFsM56nN84o?feature=shared

Esoterica ist ein Youtube-Kanal, auf dem der Religionswissenschaftler Justin Sledge (https://www.justinsledge.com) Videos zu religiösen und philosophischen Themen veröffentlicht. Sein Hauptfokus liegt dabei auf dem europäischen Mittelalter, Alchemie und jüdischer Mystizistik. Die Videos behandeln teilweise sehr spezielle Fragen, aber immer aus einer wissenschaftlichen Perspektive – wobei Slate erstaunlich oft seine Abneigung gegen bestimmte, insbesondere französische, philosophische Traditionen erwähnt und gleichzeitig betont, dass auch die mittelalterliche Mystik und Alchemie eine hohe Rationalität aufwiesen.

Das hier erwähnte Video weicht, wie im Titel sichtbar, thematisch davon ab. In ihm stellt Sledge vor, was über die (antike) Bibliothek von Alexandria bekannt ist. In einer Sektion, in der er diskutiert, wie viele Papyrusrollen überhaupt realistisch in der Bibliothek vorhanden hätten sein können, thematisiert er auch diese Rollen und holt eine solche aus dem Regal neben sich hervor. Diese hat er einst selber beschrieben, praktisch als forschende Übung. Im Video führt er ihre Materialität vor.

Zur Bibliothek selber fasst er grundsätzlich den aktuellen Forschungsstand zusammen und kommentiert ihn aus seiner persönlichen Perspektive. Man erfährt also eigentlich nichts Neues, wenn man sich mit der Forschung einigermassen auskennt. Aber man erhält hier eine sympathische, gleichzeitig recht nüchterne Darstellung. Es wird dabei nicht nur thematisiert, dass die Bibliothek von vielen unrealistischen Mythen umrankt ist, dass sie selbstverständlich nicht von Caesar verbrannt wurde (und auch nicht von anderen Herrschenden), sondern dass ihre Gründung, Finanzierung und ihr Niedergang abhängig war von den unterschiedlichen politischen Interessen der wechselnden Machthaber*innen in Ägypten. (ks)


Sophia Kimmig: Von Füchsen und Menschen. München: Piper Verlag, 2022 [gedruckt und als E-Book, Paywall]

In ihrem Buch über Füchse und die Stadtnatur erwähnt die Autorin den Bibliotheksfuchs der Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Unter den Linden, der offenbar das einzigartige Klettertalent der Tiere dadurch zum Ausdruck brachte, dass er hin und wieder auf Fensterbrettern auftauchte. (vergleiche S. 29f.) (bk)


Robert Barry: compact disc. New York: Bloomsbury Academic, 2020 [gedruckt und als E-Book, Paywall]

In seiner Mediengeschichte der Compact Disc (CD) berichtet Robert Barry, warum als Leitverpackung das Jewelcase gewählt wurde. Das Marketing von Philips betonte, dass diese Lösung auf archivarische Ansprüche zugeschnitten wurde, da die Angaben zum Inhalt der CD mit dem so standardisierten und geschützten Labeling im Vergleich zu Schallplatten in der Aufreihung im Regal, also auch bei großen Sammlungen, deutlicher lesbar bleibt. (vergleiche S. 119) (bk)


Marc Masters: High Bias: The distorted history of the cassette tape. Chapel Hill: The University of North Carolina Press, 2023 [gedruckt und als E-Book, Paywall]

In seiner Medien- und Kulturgeschichte der Kompaktkassette nicht zuletzt als soziales Medium erwähnt Marc Masters auch einige Bezüge zur Bibliothek. So schildert er als Inspiration des Multimedia-Künstlers beziehungsweise Cassette composers Jason Zeh, das Medium ins Zentrum seiner Arbeit zu rücken, dass dessen Vater sich Schallplatten aus der Bibliothek auslieh, um sie zuhause auf Kassette zu kopieren und zudem mit einem Fotokopiergerät aus den Schallplattencovern auch ein entsprechendes Artwork für die Tape-Kopien anzufertigen. (vergleiche S. 78) Der Künstler Don Campau wiederum verteilte die Tapes seines Labels Lonely Whistle im Rahmen seiner Guerilla-Dissemination nicht nur an nichtsahnende Kunden an der Kasse seines Brotberufs sondern auch an lokale Bibliotheken. (S. 65) Andere Künstler wie Aaron Dilloway nutzten dagegen explizit für Bibliotheken hergestellte Abspieltechnologien, nämlich den Telex C-1 Library of Congress Tape Player for the Blind, als künstlerisches Werkzeug. (S. 74) Bibliotheksbestände spielen eine Rolle für das Sichtbarmachen von besonderer Musik, wie das Beispiel von Mark Gergis zeigt. Nachdem er sich für die Verbreitung syrischer Musik in der westlichen Welt engagiert hatte, erstellte er eine Compilation namens Cambodian Cassette Archives: Khmer and Pop Music Vol. 1 auf Grundlage einer Sammlung seltener Aufnahmen der Asian Branch Library im öffentlichen Bibliothekssystem von Oakland. Gergis berichtet, dass diese nur auf Kassetten konservierte Musik im Ursprungsland längst verschwunden war. (S. 122 f.) Seine eigene über lange Jahre zusammengetragene Sammlung syrischer Kassettenkultur digitalisiert und präsentiert er über eine Seite namens Syrian Cassette Archives (https://syriancassettearchives.org/). (bk)


British Library: Learning Lessons from the Cyber Attack. British Library Cyber Incident Review. 8 March 2024. https://www.bl.uk/home/british-library-cyber-incident-review-8-march-2024.pdf.

In diesem Bericht über den Cyberangriff, der die britische Nationalbibliothek im Oktober letzten Jahres fast völlig handlungsunfähig machte, werden Hergang, Gründe und Auswirkungen des Angriffs dargestellt und Pläne für den Wiederaufbau sowie Lessons Learned aufgeführt. Beim Durchlesen fallen viele Punkte ins Auge, die so nicht nur die British Library, sondern praktisch alle Bibliotheken betreffen (viele veraltete Anwendungen und Systemstrukturen, wenig Multi-Faktor-Authentifizierung et cetera). Er zeigt klar, wie verletzlich nahezu alle unsere Systeme sind und ermutigt stark zur Erstellung eines Notfallplans für Cyberattacken. (eb)


Byredo: Bibliothèque (Duftkerze)

In der Produktbeschreibung stellt der schwedische Parfum- und Lifestyle-Hersteller Byredo die These auf, dass Bibliotheken über Moden und Trends erhaben sind und uns in eine Welt, in der die Zeit stillzustehen scheint entführen. Dies versuchten Firmengründer Ben Gorham und Parfümeur Jérôme Epinett 2017 in einem mittlerweile schon fast Traditionsduft des Hauses in passende Duftnoten zu übersetzen. Unlängst ergab sich die Gelegenheit, dies in einem Redaktionsraum per Kerze auszuprobieren. Nach einem halben Arbeitstag Beduftung lässt sich festhalten, dass es fantastisch wäre, wenn Bibliotheken solch ein Aroma hätten, in der konkreten kerzenhaften Umsetzung aber natürlich nichts im Duft an Bibliotheken erinnert. Dazu ist er zu fruchtig. Das Veilchen in der Herznote sticht zumindest in der Raumvariante jeden möglichen olfaktorischen Bezug zum (Einband)Leder. Und auch das versprochene Birkenholz des Fonds drang kaum durch. Es ist ein sehr schöner, durchaus prägnanter, fruchtig-komplexer Duft, der aber die von der Bezeichnung intendierte Assoziation nicht findet. Mit Bestnoten wurde das Thema verfehlt. (bk)


Publisher of Library Hi Tech News (2024). Retraction notice: Artificial intelligence as enabler of future library services: how prepared are librarians in African university libraries. In: Library Hi Tech News, 41 (2024) 3: 22. https://doi.org/10.1108/LHTN-01-2024-0007

Vielleicht ist das erste Fall dieser Art in der Bibliothekswissenschaft: Ein Artikel über Artificial intelligence in Bibliotheken – veröffentlicht im Oktober 2023 als ahead of print, also noch nicht ganz offiziell – wurde zurückgezogen, weil die Autor*innen offenbar selber Artificial intelligence eingesetzt hatten, um zumindest die Daten des Artikels zu generieren. (ks)