Unter Libriana werden Objekte, Gegenstände, Artefakte verstanden, die einen Darstellungsbezug zur Bibliothekswelt, d.h. zu Bibliotheken, den dort arbeitenden Menschen, dem Bibliothekswesen an sich etc. aufweisen. Diese Objekte können sowohl funktional (Leihscheine, Formulare, Hinweisschilder, Benutzungsordnungen) wie auch „kultureller“ Natur sein sowohl bibliotheksintern, wie z.B. der aus Nordamerika langsam auch Europa erobernde Trend der Librarian Gear[Fn2], mit der Identifikationsobjekte wie Trikots, Tassen, auch Unterwäsche und andere Alltagsgegenstände mit Bibliotheksmotiven versehen bzw. auf bibliothekarische Bedürfnisse hin gestaltet werden, wie auch bibliotheksintern, wozu z.B. auch die Spuren des Bibliothekswesens in Filmen und Romanen und Mode – man denke nur an den wunderbaren Begriff des Librarian Chic[Fn3], also alle Arten von Repräsentationen des Sujets in Elementen der Populärkultur zu rechnen sind.[Fn4]
Eine besondere Nische stellen die
postalischen Libriana[Fn5]
dar. Dieses sind Postbelege oder Objekte
mit postalischem Bezug, die bibliotheksspezifische Eigenschaften
haben. Auch hier lassen sich sowohl bibliotheksinterne wie auch
bibliotheksexterne finden.
Eine bibliotheksexterne Variante stellt die so genannte Bibliophilatelie
dar, bei der es um motivisch auf die Bibliothekswelt ausgerichtete
Briefmarken geht.
Eine bibliotheksinterne und bibliothekshistorische Variante stellen Belege, d.h. Briefe oder Postkarten dar, die zu bibliothekarischen Zwecken versendet wurden. Ein solcher Beleg soll an dieser Stelle vorgestellt werden.
Es handelt sich dabei um eine Postkarte die der damalige Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig, Otto Glauning, an seinen Kollegen, den Directeur der Bibliothèque du Palais de la Paix in Den Haag (La Haye) und ausgewiesenen Grotius-Experten Jacob ter Meulen am 21. Januar 1927 (Poststempel) schickte.
Bei der Postkarte handelt es sich um einen Vordruck für die Danksagung bei Schenkungen.
Der Text lautet:
Der Unterzeichnete hat die Ehre, den ergebensten
Dank der Universitäts-Bibliothek auszusprechen für
d(as)ie willkommenen Geschenke: Ter Meulen, Jacob: Concise bibl. of H. Grotius. Leyden 1925 Réclamations
britanniques dans la zone espagnole du Maroc.
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Frankiert ist die Postkarte mit der 15 Pfennig Briefmarke “Immanuel Kant” aus der Freimarkenreihe “Köpfe berühmter Deutscher”, ausgegeben am 01. November 1926 (Deutsches Reich, Michel Nr. 391; Nennwert 15 Pfennig, Farbe Zinnober).
Adressseite der Postkarte mit Immanuel-Kant-Marke
Rückseite der Postkarte
Solch ein Dokument liefert natürlich einige Ausgangsinformationen aus denen sich assoziativ quasi endlose bibliothekshistorische Recherchen ergeben. An dieser Stelle sollen nur in Ansätzen ein paar weiterführende Angaben zusammengefasst werden, die sich ad hoc und ohne größere Probleme ermitteln lassen, um den Hintergrund der Karte noch ein wenig besser auszuleuchten.
Der studierte Jurist und Max Huber-Schüler Ter Meulen (1884-1962) war zum Zeitpunkt der Übersendung der Karte seit drei Jahren als Direktor in der 1913 gegründeten Bibliothek aktiv und hatte diesen Posten bis 1952 inne. In seinem dreibändigen Hauptwerk “Der Gedanke der Internationalen Organisation in seiner Entwicklung 1300-1800" (1917-1940) setzte er sich intensiv – im Anschluss an seine Promotionsthema – mit der Geschichte von Friedensbewegungen auseinander. Weiterhin wurde er mit der Bibliographie des écrits imprimés de Hugo Grotius (1950) bekannt. An seiner Seite stand der Kurator Arnoldus Lysen, mit dem er die Bibliothek sehr prägte und die Bestände stark erweiterte.
Nach Leipzig geschickt wurde der Band:
Concise bibliography of Hugo Grotius / by Jacob ter Meulen ; preceded
by an abridged genealogy by Jhr. E.A. van Beresteyn and a sketch
of Grotius’ life, adopted from the Catalogue of the Grotius
Exhibition, The Hague 1925. Leyden:Published for the Library of
the Palace of Peace by A.W. Sijthoff, 1925.
Weiterhin waren vermutlich der erste Band der als
Zeitschrift geführten Liste bibliographique des publications
officielles et non officielles relatives à la Cour Permanente
de Justice Internationale (Supplement-Bände laut ZDB 1927-1940/45)
und die Sammlung von Dokumenten zur Réclamations britanniques
dans la zone espagnole du Maroc-accord anglo-espagnol du 29 mai
1923. (La Haye: 1925, 210 S.), zu denen ich leider keine weiteren
Auskünfte geben kann, Teil der Lieferung.
Zu vermuten ist, dass es in diesen um spanisch-britische Bemühungen
ging, den Rifkabylen-Aufstand in Nordmarokko in den Griff zu bekommen.
Über den Web-Opac der Universitätsbibliothek in Leipzig ist nur die Liste bibliographique… nachweisbar.
Der gebürtige Nürnberger Otto Glauning (1876-1941) studierte in Erlangen, Berlin und München Neuere Sprachen und Germanistik bevor er 1899 Volontär an der Hof- und Staatsbibliothek in München wurde. Seine Karriere führte ihn über Stellen als Assistent (ab 1901), Sekretär (1904) und Kustos (1909) schließlich 1911 zu einer Anstellung als Bibliothekar. Sein Schwerpunkt lag im Bereich der Handschriften und der Einbandkunde.
Ab 1921 war Glauning der 25. Direktor der Leipziger Universitätsbibliothek – wobei in seine Dienstzeit die Erweiterung des Gebäudes der Biblioteca Albertina und eine beträchtliche Bestandserweiterung fiel – und daneben Honorarprofessor der Bibliothekswissenschaft. Weiterhin übernahm er in dieser Zeit den Vorsitz des Sächsischen Prüfungsamtes für Bibliothekswesen. 1932 war er außerdem stellvertretender Vorsitzender des VDB.
Er verfasste zahlreiche Schriften zu bibliothekarischen und bibliothekswissenschaftlichen Themen, darunter z.B. zusammen mit Erich Petzer das Buch „Deutsche Schrifttafeln aus Papierhandschriften des XIV. bis XVI. Jahrhunderts“ in 5 Bänden und starb am 15. August 1941 in München.
An dieser Stelle muss die Analyse abgebrochen werden. Ein interessanter Ansatzpunkt wäre natürlich eine Betrachtung des Schriftentauschsystems zwischen Deutschland und Holland in den 1920er Jahren, aber da diese Materie schon eine ausgeprägtere Spezialisierung im Gebiet der Bibliotheksgeschichte erfordern würde, als ich mitbringen kann, vollziehe ich den Schritt auf dieses Feld nicht.
Hier ging es mir zunächst einmal darum, auf das recht spannende Gebiet der Postal Libriana hinzuweisen. Wir – als die LIBREAS-Redaktion – werden uns bemühen, in den kommenden Ausgaben von LIBREAS regelmäßig spannende Objekte der postalischen Bibliotheksgeschichte und der Bibliophilatelie vorzustellen.
Fußnoten
[Fn 1]
Erweiterte Version eines Postings im ib.weblog vom 8. September
2005
<http://weblog.ib.hu-berlin.de/?p=3032>
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[Fn 2]
<http://www.librariangear.com/>
(zurück)
[Fn 3]
<http://www.wordspy.com/words/librarianchic.asp>
(zurück)
[Fn 4]
Die nächste Ausgabe von LIBREAS wird hierin einen
Schwerpunkt haben. (zurück)
[Fn 5]
Nach „Postal Libriana“ vgl. Website von Larry T. Nix:
< http://my.execpc.com/~nixlt/postallib.htm
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Ben Kaden studiert Bibliothekswissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Tutor am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft (http://www.ib.hu-berlin.de/).