> > > LIBREAS. Library Ideas # 4

Im Fadenkreuz des Schmierers. Rezension zu Fischer, Frank: Die Zerstörung der Leipziger Stadtbibliothek im Jahr 2003. Berlin: SuKuLTuR 2005, (Schöner Lesen ; 41), ISBN 3-937737-45-6, 19 S., EUR 1,00


Zitiervorschlag
Christof Capellaro, "Im Fadenkreuz des Schmierers. Rezension zu Fischer, Frank: Die Zerstörung der Leipziger Stadtbibliothek im Jahr 2003. Berlin: SuKuLTuR 2005, (Schöner Lesen ; 41), ISBN 3-937737-45-6, 19 S., EUR 1,00. ". LIBREAS. Library Ideas, 4 ().


Das Hereinbrechen von Unheil aller Art über Bibliotheken ist kein gerade seltener Topos. Mit Feuer, Wasser, Raub und ideologisch verbrämtem Aussonderungswahn als Zutaten, dürfte kaum ein belletristischer Autor um eine eingängig-eindringliche Geschichte verlegen sein. Auch dem Verfasser wissenschaftlicher Texte dient das Bild vom zerstörten Büchertempel mit schöner Regelmäßigkeit als griffige Metapher für den Verlust von Wissen, Erinnerung, kulturellem Gedächtnis.

Dass man aus dem genannten Thema trotz aller Abgegriffenheit noch immer etwas machen kann, beweist der 1977 in Weißenfels geborene Autor und Germanist Frank Fischer in seiner lesenswerten Kürzesterzählung „Die Zerstörung der Leipziger Stadtbibliothek im Jahr 2003“.
Freilich, Fischer greift nicht ganz so tief in den Topf der Zerstörung, dass er für sein Prosastück gleich eine ganze Bibliothek abbrennen ließe. Bei ihm sind es subtilere Beschädigungsmechanismen, die einen Bibliotheksbestand im wörtlichen wie im übertragenen Sinne bedrohen:
Schwante den Mitarbeitern der Stadtbibliothek Leipzig lange Zeit nichts Böses, müssen diese eines Tages durch Zufall bemerken, dass ein ansehnlicher Teil der von ihnen verwalteten Druckschriften mit „Eingriffe[n] in die Buchgestalt“ verunziert worden ist. Diese „Eingriffe“ reichen von „abgeschnittenen Eselsohren“ über „Filzstiftschmierereien“ und „ausgestanzten Seitenzahlen“ bis zu Randbemerkungen, die den gedruckten Text einmal verächtlich, dann wieder gelehrt kommentieren.

Da die Beschädigungen, wie eine erste flüchtige Inventur ergibt, offenbar systematisch und planmäßig erfolgen, wendet sich die Bibliotheksleitung Hilfe suchend an Michael Kammrath, Kriminalrat des höheren Dienstes und durch ein bibliophiles Hobby für die Aufklärung des bewussten „Falls“ prädestiniert. Tatsächlich gelingt es Kammrath, den „Filzstift-Delinquenten“, einen dreißigjährigen Studierenden der Germanistik und Philosophie namens Christoph Z. zu überführen.

Während man sich in der Stadtbibliothek nach der Festnahme des Übeltäters wieder in Sicherheit glaubt und zwei studentische Hilfskräfte einstellt, um die von Z. verunstalteten Bücher aus dem Bestand zu filtern, schalten sich nun Medien und Leipziger Kulturoffiziöse ein: Vom „Buchterroristen“ Z. ist da die Rede und auch das Heinewort lässt sich auf diesen münzen: „Wo man Bücher beschmiert, beschmiert man am Ende auch Menschen.“
In der Stadtbibliothek dagegen hat man indessen schon ganz andere Sorgen, als solche um den Ruf der Literaturstadt Leipzig; stellt sich doch nun heraus, dass das Beispiel des Bücherschmierers Z. nicht nur zahlreiche Schaulustige, sondern auch eine Reihe von Nachahmungstätern auf den Plan gerufen hat…

Um es gleich vorweg zu sagen: Der Rezensent lehnt Buchzerstörungsaktionen in der Realität natürlich ab, ganz gleich ob diese nun von mutwilligen Lesern oder (was leider auch passieren kann) von ideenlosen Bibliothekaren selbst vorgenommen werden. Fischers Buch kann er gleichwohl nur empfehlen, nicht zuletzt weil es dem Autor gelingt, aus einem wenig originellen Topos eine kunstfertige Geschichte zu machen. Diese ist zugleich hoch komprimiert, denn jener Plot, den Fischer als fiktive Reportage auf knapp 19 Seiten zuspitzt, hätte unzweifelhaft auch einen ganz unterhaltsamen Roman hergeben können.

Obwohl, vielleicht aber auch gerade weil Fischer die Form einer sachlich distanziert geschriebenen Reportage wählt (und auch konsequent durchhält), gelingt es ihm, den Blick des Lesers auf absurde Details und Verschrobenheiten von Literatur- und Bibliotheksbetrieb zu lenken. Zwischen den Zeilen lässt der Autor auch deutlich erkennen, dass er weiß, wie es um den bibliothekarischen Zeitgeist bestellt ist: „Die Regale sind immer noch vor allem mit Büchern gefüllt, der Ausleihschwerpunkt der Nutzer liege aber inzwischen bei Videos und CDs, berichtet Elisabeth Christ. Sie arbeitet an der Informationstheke in der ersten Etage, eine gemütliche Frau in ihren Fünfzigern, die fast ein bisschen stolz nachschickt, dass es aufgrund der hohen Nachfrage seit kurzem auch DVDs auszuleihen gebe. Über Bücher scheint sie sich nicht mehr so zwanglos freuen zu können.“ heißt es etwa am Beginn der Reportageerzählung.
Was Fischers Text darüber hinaus reizvoll macht, ist jene intellektuelle Schnitzeljagd, auf die der Verunstalter Z. seinen Verfolger Kammrath führt und die ein wenig an die rätselhaften Jagden in Georg Kleins Roman „Barbar Rosa“[
Fn1] erinnert.

So lässt Fischer – selber wie sein Held Germanist – Z. eben nicht bloß Bücher irgendwie beschmieren, sondern mit eine Reihe intertextueller Anspielungen auf andere Bibliothekswerke versehen. Aus diesen Anspielungen wiederum kann dann gegebenenfalls auch auf die nächsten seiner gedruckten Opfer geschlossen werden. Was so entsteht, ist ein planvoller Hypertext der Zerstörung; zugleich aber auch ein Netz, in dem sich der Zerstörer zwangsläufig irgendwann selbst einmal verfangen muss.

Ganz gleich ob man das Bändchen nun als hintergründige Bibliothekssatire, einfallsreichen Minikrimi oder medienphilosophischen Denkanstoß interpretieren möchte, lesenswert ist es auf jeden Fall.

Fußnoten

[Fn 1]
Klein, Georg (2001) Barbar Rosa. Berlin: Fest
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Frank Fischer, gelesen von Mensch und Gürteltier in Berlin Mitte

Christof Capellaro studiert Bibliothekswissenschaft und Mittelalterliche Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Tutor am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft.