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Die Beziehung zwischen Wissen, Bedeutung, Geist und Information: Der semognostische Ansatz


Zitiervorschlag
Algirdas Budrevicius, "Die Beziehung zwischen Wissen, Bedeutung, Geist und Information: Der semognostische Ansatz. ". LIBREAS. Library Ideas, 4 ().


Übersetzung des Aufsatzes "Interrelation of Knowledge, Meaning, Mind, and Information: The Semognostic Approach", erschienen in Informacijos Mokslai 2002, Vol. 21, p. 59-69. Volltext abrufbar unter URL:<http://www.leidykla.vu.lt/inetleid/inf-mok/21/str5.html>

Deutsche Übersetzung: Ben Kaden in Zusammenarbeit mit der LIBREAS-Redaktion.


Einleitung

Wissen, Geist und Information werden in einem relativ neuen Wissenschaftsgebiet, der Kognitionswissenschaft, untersucht. Die traditionelle Kognitionswissenschaft nähert sich dem Phänomen des Geistes aus der Richtung der „Computation“ d.h. einer rechenoperationsbasiert-informatischen Perspektive. Dieser Ansatz wird heute allerdings äußerst kritisch betrachtet. In diesem Artikel wird ein alternativer Ansatz dargestellt, der kein „informatischer“ im strengen Sinne des Wortes ist. Die Erklärung basiert auf der Annahme, dass der Aspekt der Bedeutung einer Information von der traditionellen Idee der „Computation“ vernachlässigt wird.

Im vorliegenden Aufsatz wird Bedeutung als eine der zwei Ideen vorausgesetzt, die den Geist bestimmen. Wissen ist die zweite grundlegende Idee. Bedeutung und Wissen werden als messbare quantitative Werte in Raum und Zeit gesehen.

Beide Elemente werden als miteinander verbunden verstanden und stellen die beiden Seiten des komplexen Phänomens Bedeutungswissen (meaning-knowledge) dar. Dieser Ansatz an Bedeutung, Wissen und Intelligenz wird in dem Neologismus „Semognostik“ (semognostics) zusammengeführt (vom Griech. „semantic“ – „von der Bedeutung“ und „gnostic“ – vom „Wissen“). Die Feldtheorie wird als Modell für semognostische Phänomene angewendet. Weiterhin wird postuliert, dass verschiedene geistige Phänomene ebenfalls in den semognostischen Ansatz einbezogen werden können.

Die semognostische Theorie sollte als Hypothese betrachtet werden, deren Beweis noch geführt werden muss. Dabei könnten bestimmte, in verschiedenen mit der Kognition befassten Wissenschaften bereits bekannte, Erkenntnisse zur Anwendung kommen.

Geist, Information und Bedeutung

Beträchtliche Anstrengungen wurden bei der Untersuchung des Geistes auf der Perspektive der Informationsverarbeitung (information processing) unternommen. Unterschiedliche Forschungsgegenstände führten zu einer neuen Wissenschaftsausrichtung in der sich verschiedene Disziplinen, wie Informatik, Psychologie (besonders Kognitionspsychologie), Philosophie (Erkenntnisphilosophie), Linguistik und Neurobiologie verbunden fanden. Diese neue Richtung wurde unter der Bezeichnung „Kognitionswissenschaft“ zusammengefasst.

ahlreiche Definitionen der Kognitionswissenschaft stehen in Beziehung zur Idee der „Computation“.

Nach dem Dictionary of Consciousness wird Kognitionswissenschaft folgendermaßen definiert:

”Cognitive science is the science study of the aspects of mind which are governed by computation for the formation, transformation, and destruction of information”

Im vorliegenden Aufsatz wird ein abweichender Ansatz präsentiert und diskutiert. Er ist nicht „computational“ im traditionellen Sinn des Wortes, Bedeutung wird von der „Computation“ ignoriert.

Nach dem hier ausgeführten Ansatz wird Bedeutung als eines der beiden Basiselemente bei der Betrachtung des Geistes angenommen. Wissen stellt das zweite Element dar. Die Idee der Information wird als Einheit von Bedeutung und Wissen verstanden. Wie schon zuvor erwähnt, verwenden wir den Ausdruck „semantisch“, um das Phänomen der Bedeutung zu bezeichnen und den Term gnostisch als Bezeichnung für das Phänomen des Wissens.

Der Ausdruck gnostisch wird hier in seiner ursprünglichen Bedeutung verwendet und nicht nach seiner Bedeutung in der Philosophie, wo er eine Denkrichtung des frühen Christentums bezeichnet. Wir benutzen den Terminus Semognostik um das Forschungsgebiet, das sich mit semantischen und gnostischen Phänomenen und den Beziehungen zwischen diesen beschäftigt, zu bezeichnen. Eine erste Verwendung des Begriffs Semognostics findet sich in der Monographie Semognostics. Intellectual Phenomena and Information (Budrevicius, 1994).

Ziel dieses Textes ist die Darstellung des semognostischen Ansatzes und seine Diskussion in einem auf weitere Wissenschaftsfelder erweiterten Kontext sowie die Darstellung einiger, den Ansatz stützende Fakten.

Forschungshintergrund: ein Interface für eine Datenbank

Das Projekt der Erstellung eines auf natürlicher Sprache aufbauenden Datenbank-Interfaces (Budrevicius, 1982) bildete die empirische Basis und die Hauptinspiration zur Entwicklung des Konzepts der „Semognostik“. Ein wichtiges Merkmal war die Erfassung des Gesamtprozesses der Anfrageformulierung, die beim vorbewussten Stadium im Denken des Nutzers beginnt. Das Interface setzte sich aus zwei Teilen zusammen: Der erste Teil bestand aus Natural-Language-Scripts, die den Nutzer bei der Formulierung seiner Suchanfrage unterstützten.

Diese Skripte führten den Nutzer durch einen spezifischen Frage-Antwort-Dialog (Budrevicius, 1984). Diese Methode der Just Noticeable Differences im Bedeutungsgehalt der Fragen und Antworten wurde zur Messung des Bedeutungsgehalts der Suchanfragen verwendet.

Den zweiten Teil des Interfaces stellte ein Programm dar, das die Antworten des Nutzers analysierte und daraus eine auf der Booleschen Logik basierende Anfrage formulierte.

Es imitierte im Prinzip die Anfragen der Nutzer. Verschiedene Versionen des Programms wurden in den Programmiersprachen PL/1, Basic und C++ erstellt. Experimente mit diesem System führten zu dem Ergebnis, dass Anfragen, die mit maschineller Unterstützung formuliert wurden, nicht schlechter waren als solche, die von erfahrenen Nutzern formuliert wurden (Budrevicius, 1987). Das System wurde über mehrere Jahre erfolgreich zur Unterstützung von Nutzern bei der Recherche in verschiedenen Datenbanken genutzt.

Die ersten Modelle des Systems wurden auf der Grundlage der verschiedenen Ansätze wie der theory of the questions (Kubinski, 1970), der theory of the fuzzy sets (Budrevicius, 1983), der measurement theory (Suppes, Zinnes, 1963) und der decision-making theory (Bellman, Zadeh, 1970; Budrevicius, 1980) konstruiert. In der Folge schlugen wir vor, Axiome zu verwenden, die den gesamten Vorgang der Anfrageformulierung einschlossen.

Eine erweiterte Betrachtung zeigte, dass diese Axiome allgemein genug waren, um als theoretische Möglichkeit zur Beschreibung der grundsätzlichen intellektuellen Prozesse zu dienen. Schließlich erkannten wir, dass anstelle des formalen Modells die Operationalität des Systems auf einem weniger formalen Ansatz, der auf den Vorstellungen von Wissen und Bedeutung beruht, aufgebaut werden sollte. Diese Erkenntnis bildet das Hauptergebnis unserer empirischen Untersuchung.

Bedeutung und Wissen als Elemente der Intelligenz

Die Beziehung zwischen Bedeutung und Intelligenz soll einführend linguistisch abgeklärt werden. Der Terminus „Intelligenz“ stammt vom lateinischen Wort intelegere, was „verstehen“ bedeutet. Das Wort ist offensichtlich mit dem Phänomen der „Bedeutung“ verbunden.

Viele intellektuelle Phänomene sind eindeutig mit „Wissen“ verbunden. Z.B. haben Termini wie „Kognition“ oder das englische recognition ihre Wurzel im lateinischen Ausdruck cognoscere, welches dieselbe Wurzel enthält wie das griechische Wort gnosis (vom Wissen).

Ein Aspekt von Bedeutung, Wissen und anderen Phänomenen kann über eine einfache Analyse aufgezeigt werden. Ein Phänomen wie das Lernen kann etwa als ein Prozess des Wissenserwerbs gesehen werden.
Andere intellektuelle Phänomene lassen sich wiederum nicht eindeutig mit Bedeutung und Wissen zusammenführen. Für solche Prozesse, wie z.B. Entscheidungsfindung, Gedanken, Zögern, ist eine weiterführende und komplexere Analyse notwendig.

Bedeutung, Wissen und die Gesetze der Psychophysik

Zur Begründung der Idee, dass Bedeutung und Wissen als Elemente intellektueller Phänomene zu sehen sind, soll auf eine Erkenntnis aus dem Bereich der Psychophysik zurückgegriffen werden. Diese bezieht sich auf die Elementargesetze der Wahrnehmung.

Es ist nicht unbedingt üblich, die Begriffe Bedeutung und Wissen mit dem Bereich der Psychophysik zu verknüpfen. Trotzdem findet sich nach unserem Verständnis gerade hier die Möglichkeit, die Relation zwischen Bedeutung und Wissen mathematisch abzubilden.

Die klassische Psychophysik versteht Wahrnehmung als Beziehung zwischen inneren (psychischen) und äußeren (physischen) Vorgängen. Die Gesetze von Weber-Fechner (Fechner, 1860) und Stevens (Stevens, 1961) beschreiben die Grundgesetzmäßigkeiten dieser Beziehung.

Lange Zeit war es problematisch, an dieser Stelle eine Kompatibilität herzustellen. Später kam die Idee auf, dass es möglicherweise zwei Information-Input-Kanäle gibt: einen perzeptiven und einen kognitiven. Wir schlugen vor, den perzeptiven Kanal als den Aufnahmekanal für den Bedeutungsanteil einer Information und den kognitiven Kanal als die Aufnahme des Wissensanteils einer Information zu begreifen.

Unser Ansatz impliziert, dass Information beide Aspekte enthält. Das Weber-Fechnersche-Gesetz greift, wenn der Wissens-Aspekt überwiegt, das Stevensche Gesetz wenn der semantische Anteil überwiegt.

Aus einer solchen Interpretation lässt sich ableiten, dass Bedeutung und Wissen die zentralen Ideen für die Gesetze der Wahrnehmung darstellen. Wenn dem so ist, gibt es Gründe, die Ideen von Bedeutung und Wissen auf das Phänomen der Wahrnehmung anzuwenden. Daher können Bedeutung und Wissen ebenfalls als die Schlüsselideen für Intelligenz angenommen werden. Zur Begründung dieser Annahme ist eine gesonderte und detaillierte Untersuchung notwendig.

Die Beziehung zwischen Bedeutung und Wissen in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft

Wie schon vorangehend ausgeführt wurde, werden hier Bedeutung und Wissen als miteinander verknüpft verstanden. Sie bilden die beiden Seiten des komplexen Phänomens des Bedeutungs-Wissens (meaning-knowledge). Dieser Ansatz wird nicht unbedingt in allen Wissenschaftsbereichen, die mit Bedeutung und/oder Wissen zu tun haben, als selbstverständlich angenommen.

Die Semiotik, als die Lehre von den Zeichen, bezieht sich ausschließlich auf die Bedeutung von Zeichen. Morris definierte die Semantik (Morris, 1966) als einen von drei Einzelbestandteilen der Semiotik (Semantik, Syntaktik und Pragmatik). Greimas hat im Anschluss an Hjemselv in seinem Buch „Structural Semantics“ (Greimas, 1966) die Notwendigkeit der Abgrenzung der Semantik (als Bereich der Bedeutung) von der Epistemologie (als dem Bereich des Wissens) betont.

Gegenstand der Linguistik ist zu großen Teilen die semantische Dimension der Sprache. Trotzdem ist evident, dass ein Text oder die Sprache allgemein Wissen repräsentiert. Wissen steht ebenfalls in Beziehung zur Grammatik einer Sprache. Generell ist Bedeutung in der Linguistik explizit als Element enthalten und weit verbreitet, wogegen das Wissen eher nur latent berücksichtigt wird.

Die logische Semantik interpretiert logische Konstruktionen. Die Bedeutung wird hier hauptsächlich als separates Phänomen gesehen. Ryle beschreibt verschiedene Sichtweisen auf das Phänomen der Bedeutung (Ryle, 1957). Frege äußert sich über die Quellen mathematischen Wissens und ihrer Relation zur Bedeutung. Generell bezieht die logische Semantik „Wissen“ nicht explizit ein.

Die Informationstheorie nach Shannon betrachtet Information unabhängig von Bedeutung. Der Aspekt des Wissens wird in ihr nicht explizit berücksichtigt. Dennoch lässt sich sagen, dass nach Shannon dann Wissen erworben wird, wenn eine Nachricht, d.h. Information, empfangen wurde. In Theorien, die sich auf die Semantik von Information beziehen, wird die Bedeutung von Information in die Betrachtung einbezogen, der Aspekt des Wissens jedoch ignoriert. In der allgemeinen Verwendung wird das Konzept der Information häufig synonym zu „Wissen“ definiert (WWWebster).

Die Kognitionswissenschaft beschäftigt sich mit den verschiedenen Phänomenen der Kognition. Kognition ist nach dem Webster’s Dictionary ein Akt oder ein Prozess des Wissens, welcher sowohl Wahrnehmungs- (awareness) wie auch Urteilsvermögen (judgement) mit einschließt (WWWebster). Daher ist Wissen Bestandteil der Definition von Kognition. Man kann auch davon ausgehen, dass Bedeutung eine Komponente der Kognition genauso wie auch des Bewusstseins und des Urteilsvermögens ist. Trotzdem werden Wissen und Bedeutung nicht als zentrale Konzepte der Kognitionswissenschaft gesehen. Weiterhin ist festzustellen, dass die Beziehungen zwischen Bedeutung und Wissen nicht grundlegende Gegenstände der kognitionswissenschaftlichen Forschung sind.

Die Philosophie ist der Teil der Wissenschaft, in dem auch das Wissen der Antike Gegenstand ist. Es muss an dieser Stelle bemerkt werden, dass in diesem Text der Terminus gnostisch auf alle Arten von Wissen bezogen wird, was im Gegensatz zum philosophischen Begriff der Gnosis steht, welcher sich hauptsächlich auf eine eher esoterische Art des Wissens bezieht. Im frühen Christentum gab es eine ganze Denkschule des „Gnostizismus“.

Die Epistemologie ist ein Zweig der Philosophie, der sich ausschließlich der Betrachtung des Wissens widmet. Viele große Philosophen beschäftigen sich mit Problemen des menschlichen Wissens. Platon schrieb mit seinem Theaitetos eine der ersten spezialisierten Studien zum „Wissen“. Im Anschluss an die Ideen von Aristoteles definierte Thomas von Aquin Wissen mithilfe der Idee der Intentionalität, welche vermutlich eine der anspruchsvollsten Abhandlung zum Ursprung des Wissens darstellt.
Die Bandbreite der philosophischen Theorien der Kognition ist sehr groß (Bieri, 1992). Eine Theorie des Wissens aus einer traditionellen Perspektive findet sich bei Chisholm (Chisholm, 1996). Die Epistemologie sollte als eine wichtige Quelle von Fakten zur Begründung der Grundideen einer Betrachtung von Bedeutung, Wissen und der Beziehung zwischen diesen beiden Phänomenen Anwendung finden.

Die Philosophie des Geistes ist ein Zweig der modernen Philosophie, die in enger Beziehung zur traditionellen Theorie des Wissens (Epistemologie) steht.
Als Teil der Kognitionswissenschaft beschäftigt sie sich mit Wissen in einem erweiterten Kontext, wobei Aspekte der menschlichen und technischen Informationsverarbeitung einbezogen werden. In der Philosophie des Geistes – wie auch in der Kognitionswissenschaft – ist der Terminus Kognition dem Terminus Wissen übergeordnet. In Entsprechung dazu wird die Idee der Bedeutung ebenfalls nicht als Grundidee gesehen.

Hermeneutik ist ein Zweig der modernen Philosophie, die sich mit der Betrachtung der Interpretation befasst. Bedeutung wird hier als Ergebnis der Interpretation angesehen. Die phänomenologische Hermeneutik bezieht sich auf Bedeutung und Realität. Daher wird Bedeutung hier als Fundamentalkonzept verwendet. Das Wissen bleibt im Hintergrund.

Die linguistische Hermeneutik bezieht sich auf die Interpretation und das Verstehen einer textuellen Bedeutung. Nach Dilthey (Dilthey, 1982) ist Verstehen eine Quelle des Wissens. Hier findet sich explizit ein Bezug auf die Beziehung zwischen Bedeutung und Wissen. Weiterhin ist dies als Aussage, dass Wissen aus einem Verstehensprozess heraus generiert wird, zu sehen. So formuliert deckt sich diese Aussage mit einem Aspekt unserer Untersuchung, der im nächsten Kapitel (Statement 4) dargestellt wird.
Wissen ist allerdings nicht direkt Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchungen in der Hermeneutik.

Dieser kurze Überblick zeigt, dass, wenn in verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen eines der Elemente (Bedeutung oder Wissen) betrachtet wird, das andere häufig vernachlässigt oder nur am Rande berücksichtigt wird. Die Beziehung zwischen beiden Elementen wird in keinem Wissenschaftsbereich als zentrales Objekt gesehen.

Der semognostische Ansatz konzentriert sich zentral auf die Beziehung von Bedeutung und Wissen als Kernobjekt seiner Untersuchungen. Die separate Beschreibung von Bedeutung und Wissen wird hauptsächlich als Mittel zur Analyse angewendet.

Entwurf einer Theorie von Bedeutung und Wissen

Postulate zu „Bedeutung“ und „Wissen“
Die folgenden Aussagen werden zur Beschreibung der Phänomene „Bedeutung” und „Wissen” vorgeschlagen.

a) Bedeutung und Wissen sind nicht reduzierbare und zueinander in einer Wechselbeziehung stehende Ideen.

b) Bedeutung und Wissen können empirisch untersucht werden.

c) Bedeutung und Wissen können gemessen werden.

d) Bedeutung und Wissen treten in verschiedenen Formen in Raum, Zeit und Bewegung auf.

e) Bedeutung und Wissen sind grundlegende Ideen mit einem Betrachtungsfeld intellektueller Phänomene.

Bedeutung und Wissen selbst werden an dieser Stelle nicht weiter definiert. Sie sind erste Begriffe in der Semognostik und entsprechend als intuitiv zu erfassen. Stattdessen sollten ihre verschiedenen Erscheinungsformen und Relationen zueinander definiert und betrachtet werden. Es sollte weiterhin erwähnt werden, dass die Beziehung zwischen Bedeutung und Wissen an dieser Stelle nicht in der herkömmlichen Art und Weise behandelt wird.

In Übereinstimmung mit der Aussage „a)“ lassen sich drei Klassen von Phänomenen festhalten: Bedeutung (semantische Phänomene), Wissen (gnostische Phänomene) und „Bedeutungswissen“ (semognostische Phänomene).

Semantische Phänomene können nicht auf gnostische Phänomene reduziert werden und umgekehrt, während semognostische Phänomene beide Aspekte einschließen. Eine klare Unterscheidung dieser drei Klassen von Phänomenen ist das bestimmende Merkmal des semognostischen Ansatzes.

Es ist nicht gängig, intellektuelle Phänomene über die Faktoren Raum und Zeit zu beschreiben. Bei Brentano (Brentano, 1925) findet sich die erweiterte Sicht, dass Raum ein Merkmal zur Unterscheidung mentaler Phänomene von physikalischen Phänomenen darstellt. Eine solche Theorie könnte als eine physikalische verstanden werden, was sie aber nicht ist, da ihre Grundelemente (Bedeutung und Wissen) keine physikalischen Objekte sind.

Die Aussage „d)” soll in der Folge weiter ausgeführt werden.

1) Bedeutung kann in zwei grundlegenden Formen von „Raum” auftreten: in der Form der Akkumulation (z.B. als eine Wortbedeutung) und als eine Form von Kontinuum (z.B. als eine Textbedeutung oder ein Bedeutungskontext). Beide Formen der Bedeutung sind miteinander verknüpft: die Akkumulation von Bedeutung erzeugt ein Raumkontinuum für Bedeutung und umgekehrt. Bedeutung existiert weiterhin in der Form der „Bedeutungsrelation“ (Assoziation).

2) Bedeutung kann innerhalb der Zeit die Form eines Prozesses annehmen. Ein solcher ist zum Beispiel beim Lesen und Verstehen eines Satzes gegeben.

3) Die grundlegende Form des Raumes für Wissen ist ein Wissenskontinuum. Dieses lässt sich auch als Wissenskontext kennzeichnen. Wissen existiert zusätzlich in Gestalt von Wissensrelationen (Assoziationen).

4) Die Veränderung von Bedeutung ist eine Bedingung für die Entstehung von Wissen. In anderen Worten induziert die Bewegung von Bedeutung Wissen. Zum Beispiel wird, wenn wir einen Satz lesen und verstehen, Wissen induziert. Weiterhin gilt folgende Aussage: Eine Veränderung von Wissen führt zu einer Veränderung von Bedeutung.

5) Es gibt keine räumliche Akkumulation von Wissen (im Gegensatz zu Bedeutung). Wie das vierte Postulat zeigt, entsteht Wissen, weil es einen Wandel (oder eine Bewegung) der Bedeutung gibt.

Bedeutung und Wissen als Feld-Phänomene

Ein Modell einer Feldtheorie wurde zur Beschreibung des Hauptteils von Bedeutungs- und Wissensphänomenen in Raum und Zeit gewählt. Diese Entscheidung ist hauptsächlich beeinflusst von der experimentellen Arbeit im Zusammenhang mit dem Interface und tatsächlich auf Intuition gegründet, was keine ausreichende Grundlage für den Aufbau einer Theorie darstellen kann. Im Anschluss wird versucht, diese Entscheidung über folgende Erwägungen zu begründen.

Die Feldtheorie bietet die weitesten Möglichkeiten zur Bearbeitung quantitativer Phänomene in Raum und Zeit, die mit unserem Ansatz und unseren Zielen korrespondieren.

Es gibt bestimmte Ähnlichkeiten zwischen der Form semognostischer Phänomene und den Formen, welche in der Feldtheorie berücksichtigt werden. Dies lässt sich anhand der Definition von Bedeutung und Wissen, wie sie in den Aussagen 1-5 im vorangehenden Kapitel beschrieben werden, erkennen.

Es gibt in der Neurobiologie, der Psychologie, der Linguistik und in anderen Bereichen Erkenntnisse, die ebenfalls herangezogen werden können, um die Feldtheorie zu begründen.

Neurobiologie: Im menschlichen Gehirn gibt es elektromagnetische und elektrochemische Prozesse, wobei die elektromagnetischen mit bestimmten intellektuellen Phänomenen in Beziehung stehen. Dies wurde experimentell zuerst von Berger nachgewiesen (Berger, 1933) und wird nun allgemein anerkannt (auch wenn eine direkte Form dieser Aussage von Walker, 1970 kritisiert wurde, da ebenfalls experimentell die Tatsache nachgewiesen wurde, dass intellektuelle Phänomene nicht elektromagnetische Phänomene sind.) Wie bekannt ist, werden elektromagnetische Phänomene mithilfe der Feldtheorie beschrieben. Im Rückgriff auf diese Tatsachen und unter der Annahme, dass intellektuelle Phänomene mittels des semognostischen Modells beschrieben werden können, lässt sich folgende Hypothese aufstellen: Elektromagnetische Phänomene bilden eine physikalische Basis für semognostische Modelle.

Im Anschluss daran lassen sich Bedeutungs- und Wissensphänomene ebenfalls mittels der Feldtheorie beschreiben. Diese Hypothese ist in einer separaten Studie zu untersuchen.

Psychologie: Die Idee des Feldes bildet die Grundlage für die Gestaltpsychologie. Levin hat sie zur Erklärung einiger geistiger Phänomene verwendet (Levin, 1935).

Linguistik (Semantik): Die Idee des semantischen Feldes findet sich in der Linguistik bzw. in der Semantik z.B. im Zusammenhang mit der Wortbedeutung (Ullmann, 1962; Jost Trier, 1931). Nalimov verwendete im Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeitstheorie die Idee des semantischen Feldes. (Nalimov, 1974)

Der Ansatz des „dynamischen Systems” in der Kognitionswissenschaft begreift geistige Phänomene als Zustände, die von der Zeit abhängig sind (Van Gelder, 1995). Diese Richtung lässt sich vermutlich ebenfalls im Zusammenhang mit dem Ansatz der Feldtheorie sehen.
An dieser Stelle können nur wenige Fakten angeführt werden. Hier ist sicher die weitere Arbeit einer gesonderten Analyse notwendig. Dennoch kann festgehalten werden:

1) Das Konzept des Feldes findet bereits Anwendung zur Beschreibung von Bedeutung und intellektuellen Phänomenen.

2) Die Idee ist für die Beschreibung einiger Phänomene innerhalb des Gehirns, welche im Zusammenhang mit intellektuellen Phänomenen zu sehen sind, geeignet.
Weiterhin sollte bemerkt werden, dass die Feldtheorie im Sinne einer mathematischen Feldtheorie nur in der Neurobiologie ihre Anwendung findet.

Diese Möglichkeit muss in einem nächsten Schritt experimentell begründet werden. Zu diesem Zwecke sollen Modelle eines semognostischen Felds zu einer Art Basis für Experimente entwickelt werden.

Weiterhin soll angemerkt werden, dass neben der Feldtheorie, die die Aspekte von Raum, Zeit und Quantität betont, auch weitere theoretische Ansätze zur Behandlung anderer Aspekte von Bedeutung und Wissen zur Anwendung kommen können.

Wo liegen die Grenzen des semognostischen Ansatzes

Handlungsaspekt: Handeln als die dritte Komponente neben Bedeutung und Wissen muss in einer erweiterten Version des semognostischen Ansatzes berücksichtigt werden. Dessen Bedeutung soll folgendermaßen veranschaulicht werden: Bedeutung und Wissen führen zum /erzeugen Handeln und vica versa- Handeln führt zu/erzeugt Bedeutung und Wissen. Ein solches Verständnis steht in Übereinstimmung mit Annahmen der Ansätze der Situated Cognition und der Embodied Cognition innerhalb der Kognitionswissenschaft.

Die Beziehung zwischen Handeln, Bedeutung und Wissen wurde schon in der ersten Publikation zum semognostischen Ansatz kurz dargestellt. Der Aspekt des Handelns wurde als pragmatische (Griech. pragmos = Handeln) Komponente der semognostischen Theorie angeführt. Handeln in Beziehung zur Kognition wird in Wissenschaftsrichtungen wie der Action Theory und der Agent Theory betrachtet. Der semognostische Ansatz sollte sich dieser bedienen und Konzepte aus diesen Ansätzen integrieren.

Der Ursprung von Bedeutung und Wissen: Der dargestellte Ansatz enthält wenige Erkenntnisse zum Ursprung von Bedeutung und Wissen als solche. Diese werden hier als erste Dinge betrachtet und sind in einer übergreifenderen Theorie zu definieren.

Qualitativer Aspekt: Wie weit reicht die Bandbreite der intellektuellen Phänomene, die als semognostisch gesehen werden können? Welche Phänomene entziehen sich einer Betrachtung vor dem Hintergrund von Bedeutung und Wissen?

Der semognostische Ansatz wird hier auf der Grundlage der Kategorien Quantität, Raum und Zeit beschrieben. Diese Kategorien sind für eine Erfassung der gesamten Komplexität von Bedeutungs- und Wissensphänomenen sicher nicht zureichend.
In der schon erwähnten Monographie (Budrevicius, 1994) wird ein Modell des Bewusstseins über das Konzept des Wissensfelds entwickelt. Dieses deckt sich jedoch nicht mit Searles Aussage:

"In spite of its etymology, consciousness should not be confused with knowledge (...). Many states of consciousness have little or nothing to do with knowledge. Conscious states of undirected anxiety or nervousness, for example, have no essential connection with knowledge." (Searle; 1992)

In diesem Zusammenhang muss Folgendes angemerkt werden: Das gnostische Modell des Bewusstseins beschreibt einen – wahrscheinlich den wichtigsten – Aspekt. Dennoch ist es offensichtlich, dass das gnostische Modell nicht die gesamte Komplexität des Phänomens fasst. So vernachlässigt es die Aspekte der qualitativen Erfahrung.

In der Kognitionswissenschaft wird dieser Gesichtspunkt als phänomenologische Eigenschaft der Erfahrung (oder Qualia) ebenfalls berücksichtigt. Qualia werden nicht (oder wenigstens nicht direkt) in Zusammenhang zu Bedeutung und Wissen gesetzt. Dieser Aspekt von Bewusstsein und Geist wird z.B. in den Arbeiten von Dennet (Dennet, 1993) dargestellt.

Es sollte ebenfalls erwähnt werden, dass Phänomene wie Emotionen bzw. die emotionale Facette intellektueller Phänomene nur schwer über Bedeutung oder Wissen erfasst werden können. Diese Ebene des Geistes steht ebenfalls in Beziehung zu den Qualia.

Momentan wird der qualitative Aspekt noch nicht bei der Anwendung des semognostischen Ansatzes verwendet. Vermutlich wäre diese qualitative Annäherung eher in einer komplementären Theorie des Geistes zu fassen.

Die semognostische Theorie und eine qualitative Theorie sollten gemeinsam eine allgemeine Theorie des Geistes bilden.

Der semognostische Ansatz und die Informatik

Der semognostische Ansatz stimmt mit der Grundidee der Kognitionswissenschaft, dass der Geist aus einem Blickwinkel der Informationsverarbeitung betrachtet werden muss, überein. Die Idee der Information selbst wird dagegen nicht in traditioneller Form behandelt. Sie wird in ihrer gesamten Komplexität, d.h. unter der Berücksichtigung sowohl der Bedeutung wie auch des Wissens und den Beziehungen zwischen beiden Aspekten erfasst. Darin unterscheidet sich das semognostische Konzept von dem traditionellen informatischen Ansatz, in dem der Aspekt der Bedeutung keine Rolle spielt. Der Unterschied lässt sich über zwei Wege erfassen.

Der semognostische Ansatz kann als ein nicht-informatischer gesehen werden, weil er nicht auf die tradierte Idee der Computation zurückgreift. Berücksichtigt man jedoch den weitaus breiteren linguistischen Gehalt des Konzepts der Computation, lassen sich semognostische Modelle durchaus als computational begreifen, da sie auch auf eine bestimmte, besondere Form der Computation zurückgreifen. Diese Form der Computation unterscheidet sich jedoch maßgeblich von der traditionellen.

Wir haben den Ansatz einer semognostischen Computation noch nicht weiter entwickelt, aber einige Aspekte sind schon jetzt zu erwähnen: sie ist kontinuierlich, anstatt diskret; sie ist nicht binär; sie arbeitet eher ähnlich einem Calculus als mit numerischen Werten. Vermutlich kann sie nicht einmal als rule governed state transitions definiert werden und ist eher ähnlich der Funktionsweise eines semognostischen Modells. Semognostische Computation ist darüber hinaus noch ein quantitatives Phänomen. Weitere Ausführungen zu diesem Aspekt finden sich in einer anderen Arbeit (Budrevicius, 2001).

Der semognostische Ansatz beginnt bei größeren Elementen als Binärzuständen
und -operationen. Bedeutung und Wissen selbst müssen hier nicht weiter berücksichtigt werden, da sie als grundlegende und nicht reduzierbare Elemente angenommen werden. Stattdessen müssen ihre verschiedenen Erscheinungsformen erschlossen und beschrieben werden. Die Annahme des Geistes, auf der Grundlage der Konzepte von Bedeutung und Wissen, ist eine weniger komplizierte Aufgabe als der Bezug auf den traditionellen computational-Ansatz. Der Grund dafür ist, dass größere „Bausteine“ verwendet werden. In der Monographie (Budrevicius, 1994) wird ein solcher Ansatz umrissen.

Der semognostische Ansatz verändert ebenfalls das Problem der Formalisierung. Im Fall des computational-Ansatzes müssen die Aufgaben für den Computer völlig formalisiert sein. Die Aufgaben, die mittels der Konzepte Bedeutung und Information behandelt werden, müssten hier auf das Niveau elementarer Rechenoperationen reduziert werden. Nach dem semognostischen Ansatz ist eine derartige Formalisierung nicht erforderlich. Hierin liegt der Hauptvorteil des Konzepts.

Dennoch ist ein gewisses Maß an Formalisierung notwendig und daher ist eine Art „semognostischer Formalismus“ zu entwickeln. Zusätzlich müssen Wege zur Implementierung eines solchen Formalismus entworfen werden. Entsprechend ergibt sich neben der Überwindung dieser großen Schwierigkeit ein neues Problem.

Bezüglich der Implementierung eines semognostischen Formalismus muss bemerkt werden, dass es zwei Optionen gibt: den Aufbau einer neuen technologischen Basis oder die Anpassung an konventionelle Computertechnologie.

Bei einer Konfrontation mit einem schwierigen Sachverhalt muss man sich normalerweise zwischen zwei Alternativen entscheiden. Entweder man teilt ihn in kleinere Einheiten und nimmt sich dann die Einzelteile für eine Detailanalyse. Damit gewinnt man an Erkenntnis in der Tiefe, verliert aber in der Breite, da andere Teile aus dem Blickfeld geraten. Oder man betrachtet das Problem als Ganzes, verliert jedoch an Tiefe. Bei der Betrachtung der Beziehungen von Wissen, Bedeutung, Geist und Information haben wir uns für die zweite Option entschieden. Wir versuchten das Problem in der Breite zu erörtern. Es ist am Leser, zu entscheiden, wo uns dies nicht gelungen ist. Wir können nur hoffen, dass es keine allzu signifikanten Vernachlässigungen gab.

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Algirdas Budrevicius ist Dozent an der Faculty of Communication der Universitas Vilnensis (Universität Vilnius).
Homepage: < http://www.kf.vu.lt/~albud >