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doi:10.18452/23479 (edoc HU Berlin)

Wie steht es mit Open Access in den Buchfächern? Erfahrungen aus dem Projekt OGeSoMo


Zitiervorschlag
Yuliya Fadeeva, "Wie steht es mit Open Access in den Buchfächern? Erfahrungen aus dem Projekt OGeSoMo". LIBREAS. Library Ideas, 38 ().


Das BMBF-geförderte Projekt Open Access in den Geistes- und Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Monografien (OGeSoMo),1 angesiedelt an der Universitätsbibliothek (UB) und dem germanistischen Institut der Universität Duisburg-Essen (UDE), unterstützte 2018–2020 die Entwicklung von Open Access (OA) in den sogenannten Buchdisziplinen an der Universitätsallianz Ruhr (UAR).2 Dank einer Anschubfinanzierung von 75.000 € und beinahe ebenso hoher Eigenbeteiligung der UDE wurde eine große Anzahl von Monografien und Sammelbänden in Open Access überführt beziehungsweise als OA erstpubliziert. Im Folgenden werden einige Eckpunkte und Ergebnisse des Projekts vorgestellt.

Einleitendes zu Open Access in den Geistes- und Sozialwissenschaften

Das Thema Open Access als Zukunftsformat der Wissenschaftskommunikation rückt immer weiter ins Blickfeld der bibliothekarischen, publizistischen, wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Gegenwart. Üblicherweise wird bei Open Access auf Meilensteine wie die Budapest Open Access Initiative (2002)3 und die Berliner Erklärung (2003)4 verwiesen, wo der offene – kosten- und schrankenlose – Zugang zu wissenschaftlichen Arbeiten beziehungsweise Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung im Internet genannt wird. Neben dem reinen Zugang geht es bei Open Access auch um die freie, wenngleich durch Lizenzen geregelte, Nutzung5 der Ergebnisse. Ein darüber hinausgehendes inhaltliches Verständnis von Open Access existiert bislang noch nicht.6 Im Projektkontext wurde unter Open Access ein verlagsproduziertes, kostenloses E-Book mit einer Creative-Commons-Lizenz (CC-Lizenz)7 verstanden, das entweder zeitgleich mit der Druckfassung erschien – als Gold-OA – oder nach einer Embargofrist durch den Verlag kostenlos wurde und eine CC-Lizenz erhielt – als Grün-OA.

In STM-Disziplinen (englisch für sciences, technologies und medicine), die hauptsächlich im Zeitschriftenformat publizieren und direkt von Zeitschriften-Rankings (und den wenigen Großverlagen, die diese Zeitschriften besitzen) abhängig sind, ist OA eine etablierte Praxis. Dort dreht sich die Diskussion um hohe Kosten (für Forschungsinstitutionen und deren Bibliotheken), Marktbeherrschung und Gewinnmargen (Großverlage). Die Lösung wird in der Transformation von einer Subskriptions- zu einer Publikationsfinanzierung (Projekt DEAL, APCs) und alternativen Publikationsmodellen wie Scholar-led-Initiativen gesehen. Ganz andere Fragen, Praktiken und Sorgen zeigen sich in den deutschsprachigen Geistes- und Gesellschaftswissenschaften. Hier ist Open Access weder etabliert noch umfassend bekannt und wird häufig mit Vorbehalten verbunden, die Schreckensszenarien näherstehen als den tatsächlichen Problemen. Open Access in diesen sogenannten Buchdisziplinen ist ein multifaktorielles Phänomen, das es in seiner Komplexität erst einzubetten gilt, bevor Bewertungen oder Empfehlungen sinnvoll getroffen werden können. Die Wissenschaftskommunikation findet hier zu einem viel größeren Anteil in Form von Monografien und Sammelbänden statt. Das karrierebestimmende Element hängt für die Autor*innen und Herausgeber*innen am Renommee der einzelnen Verlage, die im DACH-Raum ein zu den englischsprachigen Monokulturen im STM-Bereich geradezu konträres Bild ergeben, nämlich das eines diversen, sehr spezialisierten Biotops zumeist kleiner und mittelständischer Verlage.8 Das begründet oft eine enge, dauerhafte Beziehung zwischen Autor*innen und Herausgeber*innen und ihren Verlagen. Diese Verlagslandschaft ist heterogen in ihrer Einstellung gegenüber Open Access, sehr häufig jedoch zögerlich, was unter anderem an fehlenden Kapazitäten finanzieller, personeller oder technischer Art liegt.9 Dazu kommen wirtschaftliche Existenzsorgen und daraus resultierende Risikoscheu. Die Verlage bieten also nicht oft von allein ein tragfähiges Konzept für eine OA-Publikation an oder haben gar eine explizite Policy zu diesem Thema.10 Ähnlich schlecht steht es mit der Initiative der Autor*innen. Selbst namhafte und rege publizierende Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen wissen mit dem Ausdruck Open Access beziehungsweise OA häufig wenig anzufangen oder haben sehr vage und teils falsche Vorstellungen. So findet sich beispielsweise oft die Sorge über den Verlust der Kontrolle über ihre Arbeiten oder den Untergang der Wissenschaftsfreiheit. Oder sie befürchten unseriöse Publikationspraktiken (predatory publishing) und vor allem einen vermeintlich unvermeidbaren Qualitätsverlust wissenschaftlicher Arbeiten durch OA.11 Damit einhergehend sehen sie eine Gefahr, ihren wissenschaftlichen Namen zu verbrennen – eine in der Zeit des akademischen Publikationsdrucks (publish or perish) und sehr prekärer Beschäftigungsverhältnisse, insbesondere in den Geisteswissenschaften,12 durchaus nachvollziehbare Haltung. Gleichzeitig schätzen die meisten Wissenschaftler*innen die digitale Verfügbarkeit benötigter Literatur in der eigenen Forschung und Lehre und erwarten deren schnelle und unkomplizierte Bereitstellung von ihren Bibliotheken. Letztere erfüllen zunehmend auch forschungsnahe Aufgaben, darunter auch die Beratung und Publikationsunterstützung von Wissenschaftler*innen ihrer Einrichtungen und in vielen Fällen auch die direkte Förderung durch einen eigenen Publikationsfonds.

In diesem Zusammenhang muss spätestens jetzt das oftmals entscheidende Thema genannt werden, nämlich die zum Teil immensen Kosten einer OA-Publikation in einem Verlag. Diese Kosten kommen zu den branchenüblichen Publikationskosten (früher auch Druckkostenzuschuss) hinzu, so dass eine private Deckung der eigenen Monographie oder eines Sammelbandes kaum realistisch ist. Entsprechend hängt die Veröffentlichung im Open Access (noch mehr als im Closed Access) zumeist von der Möglichkeit einer Förderung ab, zum Beispiel durch Dritt- oder Haushaltsmittel, die diese Kosten übernehmen kann. Hier kommen diverse Optionen in Frage, darunter Projekte, in deren Rahmen die Arbeit am/zum jeweiligen Buch durchgeführt wurden, externe Förderungen speziell für die Veröffentlichung im OA, aber auch Publikationsfonds der eigenen Einrichtungen.

In der Charakterisierung der komplexen Situation kommen zwei Adjektive besonders häufig vor, nämlich neu und unübersichtlich: neue Akteur*innen (Intermediäre wie zum Beispiel Knowledge Unlatched), neue Vorgaben und Möglichkeiten aus der Wissenschaftspolitik und Förderlandschaft, die Suche nach neuen Geschäftsmodellen und Formen der Zusammenarbeit (publizieren mit Verlagen, auf Repositorien oder scholar-led, OA-Stellung bereits publizierter Titel oder auch die Überführung von Zeitschriften in OA, sogenanntes journal flipping). Bibliotheken stehen vor neuen Aufgaben wie Förderung, Publikationsunterstützung, Repositoriumsbetrieb, neue Programme, Workflows. Last but not least, das große Thema Metadaten. Beherrscht wird das Bild aber von einer diffusen Unübersichtlichkeit, in der zwar manche Akteur*innen bereits aktiv auf OA setzen und sich profilieren. Für die Meisten handelt es sich um eine verunsicherte, atomisierte und konfliktgeladene Mischung aus böhmischen Dörfern und einer Arena. Wissenschaftler*innen stehen als Forschende und Lehrende vor einer Fülle neuer, nicht-traditioneller Quellen, deren Verwendung und Kategorisierung noch völlig unklar ist.13 Als Autor*innen reagieren sie mit zurückhaltendem Abwarten. Verlage haben (durchaus begründete) Existenzängste, scheuen riskante Investitionen und sehen in Bibliotheken und verstärkt aufkommenden Universitätsverlagen öffentlich geförderte Konkurrenz.

Die Entstehung von OGeSoMo an der Bibliothek der Universität Duisburg-Essen

Die Idee, die sich im Projekt OGeSoMo manifestierte, entwickelte sich an der UB der UDE aus dem steigenden Bedarf, die genannten Schwierigkeiten, Umstellungen und Fragen zu adressieren und problemorientiert zu einer Verbesserung der Situation beizutragen. Konkrete Anhaltspunkte kristallisierten sich an der UB zum einen in vermehrten OA-Beratungsfragen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie mit einer stetig wachsenden Anzahl und Art der forschungsnahen und publikationsunterstützenden Aufgaben. Zum anderen zeigte sich der Transformationsprozess in der akademischen Publikationslandschaft immer deutlicher – mit zahlreichen Veränderungen, für die gewohnte Abläufe und Rollenverteilungen nicht mehr passen. Neu entstandene Anforderungen – digitaler, technisch-handwerklicher, juristischer, kommunikativer, infrastruktureller, finanzieller und betriebswirtschaftlicher Art – betreffen (mit unterschiedlichen Schwerpunkten) alle Akteur*innen, nicht nur die Bibliotheken.

Diversität als Programm – Ziele, Perspektiven, Aufgaben

Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit einem Lehrstuhl der Germanistik an der UDE sowie drei Partnerverlagen in insgesamt fünf Arbeitspaketen durchgeführt. OGeSoMo sollte ähnlich multiperspektivisch und breitgefächert angelegt werden, wie sich die Problemlage selbst präsentiert. Im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften ist die Förderung von OA vor allem die Förderung der Bekanntheit von OA und einer kommunikativen Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Beteiligten mit ihren komplexen, teils gegensätzlichen Erwartungshaltungen. Hier spielte die Interaktion mit Autor*innen, Lehrenden, Studierenden, Verlagen und Intermediären eine Schlüsselrolle, um eine möglichst interdisziplinäre, inklusive und kooperative Perspektive zu erlangen. Daher beschäftigten sich drei der sechs Projektziele von OGeSoMo mit dieser Thematik: (1) Stärkung von Bewusstsein, (2) Verbreitung von Wissen, (3) Informationsangebote. Über die gesamte Projektdauer verteilte, ineinandergreifende Awareness-Maßnahmen (Arbeitspaket 5) hatten zum Ziel, die heterogenen Beteiligtengruppen zu erreichen, mit unterschiedlichsten Aufklärungsangeboten für OA zu sensibilisieren und das Bewusstsein für diese Publikationsform zu steigern. Die Awareness-Strategie14 war theoretisch und praktisch angelegt, indem sie eine OA-spezifische, zielgerichtete Problemanalyse zur Grundlage der Entwicklung konkreter Handlungs- und Werbemaßnahmen machte. Zu diesen praktischen Maßnahmen gehörten zum Beispiel Schulungen und Vorträge, durchgängig Beratungen an allen beteiligten Universitäten, Präsentationen des Projekts auf wissenschaftlichen und bibliothekarischen Tagungen und im Verlagswesen, einem interdisziplinären Workshop sowie mehreren Publikationen.15 Zudem verfügt(e) OGeSoMo über eine digitale Präsenz in Form von Blog- und Newsletterbeiträgen, einer Homepage samt einer dauerhaften Archivierungsseite auf dem Publikationsserver DuEPublico2.16 Eine umfangreiche Sammlung nachnutzbarer Materialien mit Handreichungen zu Brennpunktfragen wie Lizenzen und Urheberrecht, dem OA-Sammelband zum Projekt17 mit weiterführenden Analysen und Diskussionen und zahlreiche Poster, Präsentationen, Literaturliste und Informationen zum Workflow stehen Interessierten zur Verfügung.

Die anderen drei Projektziele adressierten kooperative, finanzielle und praktisch-technische Desiderata sowie wissenschaftlich-didaktische Anwendungsgebiete: (4) OA-Förderung, (5) Geschäftsmodelle, (6) OA in der Lehre. Mit Hilfe der Anschubfinanzierung (75.000 € des BMBF sowie Mittel des Publikationsfonds der UDE) wurden mehr als vierzig Monografien und Sammelbände von Wissenschaftler*innen der drei Universitäten der UAR in den Open Access überführt und stehen nun dauerhaft unter CC-Lizenz über die Verlagsseiten sowie die jeweiligen universitären Repositorien der UAR-Bibliotheken zur weltweit kostenlosen Nutzung zur Verfügung. Außerdem erfolgten anhand der Projekttitel, der Universitätsbibliographie der UDE sowie einer Stichprobe geisteswissenschaftlicher Dissertationen der UDE mehrere empirische Untersuchungen. Dazu zählen

  • eine begleitende Erhebung über die Online-Nutzungen der geförderten Titel (zusammen mit dem Intermediär Knowledge Unlatched) sowie den Verkauf der Printausgaben;18
    • Ergebnis: Alle Titel erschienen sowohl gedruckt als auch in der jeweiligen OA-Variante (Gold oder Grün). Unter den geförderten Titeln waren 24 Sammelwerke, neun Monografien und sieben Dissertationen.
  • eine vergleichende Verkaufsanalyse der kostenpflichtigen E-Books mit den OA-Ausgaben und, zusätzlich, der Auswirkungen für den Verkauf der Printversionen;19
    • Ergebnis: Die Befürchtung von Verkaufsausfällen wurde teilweise bestätigt, ist innerhalb der Paketpreise allerdings nicht in einer eindeutigen Zuordnung einzelner Titel angebbar.
  • eine Erhebung der meistgewählten Verlage für geisteswissenschaftliche Publikationen an der UDE im Zeitraum 2007–2018, ermittelt aus 3.083 Publikationen in der Universitätsbibliografie;
    • Ergebnis: Insgesamt gab es Publikationen in über 500 Verlagen. Die Liste20 der 17 beliebtesten Verlage führten De Gruyter und Peter Lang mit jeweils 157 und 129 Publikationen an. Diese Liste diente dann als Grundlage für die Erhebung der OA-Policies der jeweiligen Verlage.21
  • eine Erhebung über das Publikationsverhalten (Verlag versus Repositorium) der Nachwuchswissenschaftler*innen der UDE am Beispiel der veröffentlichten Dissertationen in der Soziologie und Germanistik im Zeitraum 2007–2017;22
    • Ergebnis: Während innerhalb der Germanistik über 80 % der Arbeiten im klassischen Verlagsmodell erschienen sind, setzten Soziolog*innen mit 51 % zu einem deutlicheren Teil auf die Repositoriumspublikation.23
  • eine Erhebung über die Nutzung von Online-Publikationen als Quellen in germanistischen Dissertationen.24
    • Ergebnis: Unter den 16.534 Quellenangaben sind nur 6 % Online-Quellen. Zehn der 55 Dissertationen verwenden ausschließlich gedruckte Quellen. Eine Differenzierung hinsichtlich des OA-Status einer Publikation ist innerhalb der gängigen Fachkonventionen nicht gegeben.

Im Rahmen der Open-Access-Stellung von über 40 Monografien und Sammelbänden standen praktische, technische und betriebswirtschaftliche Details sowohl allgemein verlegerischer Workflows als auch OA-spezifischer Aspekte im Mittelpunkt des Interesses (Ziel 5 – Geschäftsmodelle). Die Auswahl der zu fördernden Titel erfolgte nach folgenden Kriterien:25 Zugehörigkeit der Autor*innen zu einer der UAR-Universitäten, die erfolgte oder geplante Publikation in einem der drei Partnerverlage Barbara Budrich, Peter Lang und transcript (woraus die inhaltliche Zuordnung zu den Geistes- und Sozialwissenschaften bereits erfolgte), positive Begutachtung der Monografie beziehungsweise des Sammelbandes durch ein editorial board oder peer review, Zustimmung zur Teilnahme an der Datenerhebung. Die Herangehensweise war durch Kooperation bestimmt. Die Kontaktaufnahme mit den Autor*innen erfolgte durch Verlage und Projektbeteiligte. Die kooperierenden Verlage verwendeten ein Finanzierungsmodell aus Print- und Zusatzkosten der OA-Ausgabe,26 die zwischen 350 und 5.000 € lag, je nach Verlag und OA-Variante (Grün oder Gold). Insgesamt wurden 19 Gold- und der Rest als Grün-Titel gefördert.

Der germanistische Projektteil befasste sich mit dem Potential von OA als nachhaltige Ressource im E-Learning und adressiert damit Ziel 6 (OA in der Lehre).27 Noch bevor die Folgen der Corona-Pandemie zu vielen Anfragen zu weiteren Anwendungsoptionen von ”textlabor” führten, wurde die als Prototyp an der RWTH entwickelte, mediendidaktische Moodle-Anwendung zur kooperativen Erarbeitung von Texten im Blended Learning eingesetzt. Michael Beißwenger und Veronika Burovikhina untersuchten im Inverted-Classroom-Modell28 drei Semester lang in insgesamt elf Seminaren/ fünfzehn Seminareinheiten die studienzentrierte, digital gestützte Textannotation als Verfahren. Die Evaluationsergebnisse durch die Teilnehmer*innen waren sehr positiv und eröffneten wichtige Einsichten in die Lehrpraxis. Die Anwendung Textlabor kann mit weitaus größerem Nutzen eingesetzt werden, wenn die Texte in OA vorliegen, da Nachnutzung und Vernetzung über Einzelseminare hinaus möglich wird. Vor allem könnten dann ganze Texte bearbeitet werden und nicht nur die urheberrechtliche erlaubten 15 % des Umfangs – eine im geisteswissenschaftlichen Studium durchaus problematische Einschränkung.

Probleme von heute – Agenda für morgen

Wie die Verstetigung von Anfragen auf Förderung durch den Publikationsfonds der UDE zeigt, ist OA für viele Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen dieser Universität inzwischen ein anzustrebendes Publikationsmodell, wenngleich bislang überwiegend noch im tradierten Verlagsmodell. Das Anliegen, OA in den Geistes- und Sozialwissenschaften systematisch in den Fokus der Aufmerksamkeit und mit all seinen Implikationen in den Wissenschaftsdiskurs zu rücken, ist nur zum Teil gelungen. OGeSoMo hat jedoch unterschiedlichste Probleme ans Licht gebracht, die theoretische und praktische Aspekte von OA betreffen und neue Fragen aufwerfen. Diese heterogenen Punkte sind teils allgemeiner Natur, teils sehr konkret, technisch-digital und behandeln sehr detaillierte Spezialgebiete. Sie sind nicht nur negativer Art, sondern können fruchtbarer als Fragen, Einsichten und Perspektiven für weitere Arbeit gefasst werden. Viele von ihnen können bereits heute thematisiert werden, andere Antworten werden sich erst in den kommenden Jahren abschließend formen.

Fragen

Besonders offen traten Unklarheiten in der Verwendung zentraler Begriffe zutage: Was ist eine OA-Publikation? Wie kann die Qualität einer wissenschaftlichen Publikation abseits der Verlagsreputation gefasst werden? Wie offen sollte der Review(-prozess) sein? Daneben zeigten sich zahlreiche praktische Fragen und Desiderata: Welche Formen des Co-Publishing können etabliert werden? Welche finanziellen Modelle (Crowd-Funding, konsortiale Modelle, BPC) bieten eine echte Möglichkeit, OA nach Ablauf konkreter Förderungen nachhaltig zu implementieren? Welche Workflows funktionieren und wo besteht Standardisierungsbedarf? Welche neuen Einnahmequellen ermöglichen OA-Publikationen für Verlage und Intermediäre, zum Beispiel durch kostenpflichtige Bereitstellung von Nutzungsdaten? Wie kann OA auf struktureller Ebene etabliert werden, um Open Science als großes Konzept der Zukunft umzusetzen? Welche Rolle spielt Scholar-led Publishing in Deutschland? Wie können die anfallenden digital-infrastrukturellen Herausforderungen29 effizient und fair getragen werden (und von wem)?

Einsichten und Perspektiven

Rollen und Zuständigkeiten im Publikationsgeschehen müssen neu verteilt werden. Das Festhalten an tradierten Abläufen (ausschließliche Rechteübertragung an den Verlag, Verlagsrenommee als Druckmittel für die Karriere) ist nicht mehr zielführend. Nötig ist zum Beispiel die Dezentralisierung verlegerischer Aufgaben, die bisher pauschal einer Institution zugewiesen wurden. Sie sollten analysiert, transparent gemacht und neu verteilt werden: Bibliotheken können ihre vermittelnde Position zwischen Wissenschaftler*innen, Verlagen und Intermediären sowie ihre Mittel zur ideellen, technischen und finanziellen Förderung und Publikationsunterstützung nutzen. Sie können Wissenschaftler*innen beraten, Publikationen auf Repositorien dauerhaft frei verfügbar machen, die aktive Nutzung des Zweitveröffentlichungsrechts anregen und unterstützen, Metadaten produzieren und ihren Austausch technisch voranbringen, Nutzungsdaten erheben und kommunizieren, und vieles mehr.

Ein anderes Beispiel zeigt die ENABLE-Community.30 In diesem Zusammenschluss verschiedener Akteur*innen zur Förderung von OA in den Geistes- und Sozialwissenschaften werden Co-Publishing-Modelle gemeinsam erarbeitet. Dabei werden bekannte Vorstellungen darüber, wofür Verlage, Autor*innen, Bibliotheken oder Buchhandel verantwortlich sind und welche Gewinne und Investitionen zu erwarten sind (oder wegfallen), durch andere Fragen abgelöst. Diese lauten zum Beispiel

  • Was braucht es, um eine gute OA-Publikation zu erstellen?
  • Welche Kosten entstehen an welcher Stelle?
  • Welche Schritte können von wem geleistet werden?
  • Welche Finanzierungsmodelle sind nachhaltig?

Abschließend bleibt festzuhalten, dass eine einheitliche Lösung technischer, finanzieller, rechtlicher et cetera Fragen zurzeit nicht in Sicht ist. Das wird von zahlreichen Akteur*innen auch nicht gewünscht. Verschiedene Ansätze (Verlags-, Co- und Self-Publishing, digital und print, Closed und Open Access) existieren nebeneinander und werden der Komplexität der Transformationssituation am ehesten gerecht; sie werden vermutlich mittelfristig die Diversität der Publikationslandschaft erhalten. Entscheidend sind jedoch eine aufgeschlossene Haltung und regelmäßige Kommunikation zwischen allen Beteiligten, so wie es mit OGeSoMo erprobt und gewinnbringend praktiziert wurde. Das Kommunikationsgebot gilt für neue Formen der Zusammenarbeit im Co-Publishing (zum Beispiel zwischen Verlagen und Bibliotheken), zeigt aber auch gute Wirkung in offenen Austauschformaten zwischen Autor*innen und Verlagen. Genauso ist die (fach-)wissenschaftliche Diskussion kritischer Fragen unumgänglich, zum Beispiel nach Qualitätsmerkmalen und der Rolle der Verlagsreputation. Hier eröffnet Open Access neue Wege in der Möglichkeit, das klassische Modell der Verlagspublikation insgesamt zu erweitern. Das gilt nicht nur für die Aufbereitung und Modifizierung der digitalen Nutzung wissenschaftlicher Arbeiten (Formate: html, xml, epub, PDF; Funktionen: Durchsuchbarkeit, Verschlagwortung, Verlinkung & Aktualisierbarkeit, multimediale Darstellung, offene Begutachtung). Auch die Verteilung der verschiedenen Aufgaben und damit einhergehender Rechte und Pflichten innerhalb der Publikation stehen zur Disposition (Herstellung und Satz, Verarbeitung der Metadaten, Hosten, Vertrieb, Druck, Marketing et cetera) Mit OGeSoMo ist ein explorativer Schritt für Open Access in den Buchfächern getan. Jetzt gilt es, die vielfältigen Anknüpfungsmöglichkeiten und Diskussionsofferten zu nutzen.

Literaturverzeichnis

Beißwenger, Michael: Innovative Möglichkeiten der Arbeit mit digitalen (Open-Access-)Publikationen in der Lehre: Kooperative Texterschließung mit dem textlabor, in: Graf, Dorothee, Yuliya Fadeeva und Katrin Falkenstein-Feldhoff (Hrsg.): Bücher im Open Access. Ein Zukunftsmodell für die Geistes- und Sozialwissenschaften? Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich 2020, S. 140–151. https://doi.org/10.17185/duepublico/72237.

Beisswenger, Michael und Veronika Burovikhina: Von der Black Box in den Inverted Classroom: Texterschließung kooperativ gestalten mit digitalen Lese- und Annotationswerkzeugen, in: Führer, Felician-Michael und Carolin Führer (Hrsg.): Dissonanzen in der Deutschlehrerbildung. Theoretische, empirische und hochschuldidaktische Rekonstruktionen und Perspektiven, Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2019, S. 193–222.

Burovikhina, Veronika: Verarbeitung und Nutzung digitaler Publikationen in Forschung und Lehre am Institut für Germanistik an der Universität Duisburg-Essen, in: Graf, Dorothee, Yuliya Fadeeva und Katrin Falkenstein-Feldhoff (Hrsg.): Bücher im Open Access. Ein Zukunftsmodell für die Geistes- und Sozialwissenschaften? Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich 2020, S. 111–122. https://doi.org/10.17185/duepublico/72237.

Fadeeva, Yuliya, Katrin Falkenstein-Feldhoff und Dorothee Graf: Awareness-Konzept: theoretisch und praktisch, in: Graf, Dorothee, Yuliya Fadeeva und Katrin Falkenstein-Feldhoff (Hrsg.): Bücher im Open Access. Ein Zukunftsmodell für die Geistes- und Sozialwissenschaften? Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich 2020, S. 123–140. https://doi.org/10.17185/duepublico/72237.

Falkenstein-Feldhoff, Katrin und Dorothee Graf: Explorative Studie der Verkaufs- und Nutzungszahlen, in: Graf, Dorothee, Yuliya Fadeeva und Katrin Falkenstein-Feldhoff (Hrsg.): Bücher im Open Access. Ein Zukunftsmodell für die Geistes- und Sozialwissenschaften? Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich 2020, S. 89–110. https://doi.org/10.17185/duepublico/72237.

Ferwerda, Eelco, Frances Pinter und Niels Stern: A Landscape Study On Open Access And Monographs: Policies, Funding And Publishing In Eight European Countries, Zenodo 2017. http://doi.org/10.5281/zenodo.815932.

Graf, Dorothee, Veronika Burovikhina und Natalie Leinweber: Zukunftsmodell Monografien im Open Access, O-bib. Das offene Bibliotheksjournal 6/4 (2019), S. 164–177. https://doi.org/10.5282/o-bib/2019H4S164-177.

Graf, Dorothee und Yuliya Fadeeva: Einleitung und abschließende Evaluation des Projekts: Was bleibt nach OGeSoMo (zu tun)?, in: Graf, Dorothee, Yuliya Fadeeva und Katrin Falkenstein-Feldhoff (Hrsg.): Bücher im Open Access. Ein Zukunftsmodell für die Geistes- und Sozialwissenschaften? Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich 2020, S. 14–42. https://doi.org/10.17185/duepublico/72237.

Graf, Dorothee, Yuliya Fadeeva und Katrin Falkenstein-Feldhoff (Hrsg.): Bücher im Open Access. Ein Zukunftsmodell für die Geistes- und Sozialwissenschaften? Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich 2020. https://doi.org/10.17185/duepublico/72237.

Kaier, Christian und Karin Lackner: Open Access aus der Sicht von Verlagen, Bibliothek Forschung und Praxis 43/1 (2019), S. 194–205. https://doi.org/10.1515/bfp-2019-2008.

Kleineberg, Michael und Ben Kaden: Open Humanities? ExpertInnenmeinungen über Open Access in den Geisteswissenschaften, LIBREAS 32 (2017), S. 1–31. https://libreas.eu/ausgabe32/kleineberg/.


  1. OGeSoMo hatte eine Laufzeit von 26 Monaten (1.3.2018–30.4.2020) und beinhaltete eine 100 % Stelle einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin an der UB sowie eine 50 % Stelle einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin am Institut für Germanistik. Die Leitung des Projekts lag an der UB der UDE bei Dorothee Graf.↩︎

  2. Die Anbindung an die Universitätsallianz Ruhr (UAR) erfolgte durch die OA-Beauftragten der anderen Universitäten der Allianz (neben der UDE die Ruhr-Universität Bochum und TU Dortmund) sowie durch die Förderung von Autor*innen aus der UAR.↩︎

  3. https://budapestopenaccessinitiative.org.↩︎

  4. https://openaccess.mpg.de/Berliner-Erklaerung.↩︎

  5. Die Berliner Erklärung fordert für alle Nutzer*innen a free, irrevocable, worldwide, right of access to, and a license to copy, use, distribute, transmit and display the work publicly and to make and distribute derivative works, in any digital medium for any responsible purpose, subject to proper attribution of authorship (community standards, will continue to provide the mechanism for enforcement of proper attribution and responsible use of the published work, as they do now), as well as the right to make small numbers of printed copies for their personal use.↩︎

  6. Diese Offenheit erlaubt die Unabhängigkeit von tradierten Publikationsformen nach selbständigen und unselbständigen Arbeiten und bietet die Möglichkeit, das Feld der grauen Literatur neu zu gestalten; mit Implikationen für den Begriff einer wissenschaftlichen Arbeit. Hier sind eine ganze Reihe von Unterscheidungen möglich, zum Beispiel hinsichtlich der Kategorien (Digital-Analog-)Form, Kosten und Zugang (vergleiche Burovikhina 2020, S. 111f.) beziehungsweise der Lesarten des Qualitätsbegriffs sowie auch möglicher Differenzierungen nach Ort, Zeitpunkt, Person/Rolle, Textform und Rechtslage, vergleiche Graf und Fadeeva (2020), Abschnitte 4.1.1 und 4.1.2).↩︎

  7. https://creativecommons.org/licenses/.↩︎

  8. Ferwerda, Pinter und Stern (2017, S. 59). An dieser Stelle sind zwei Anmerkungen angebracht. Gerade weil die Verlagslandschaft so kleinteilig ist, sind auch die hier im Allaussagemodus getroffenen Behauptungen mit entsprechender Vorsicht zu verstehen. Keine Aussage trifft voll auf die Gesamtheit der DACH-Verlage zu, sondern soll Tendenzen und häufige Punkte erfassen. Für quantitativ präzisere Aussagen vergleiche zum Beispiel Kaier, und Lackner (2019). Außerdem sind Praxis und Renommee internationaler Verlage zu beachten, in denen Angehörige deutscher Universitäten selbstverständlich ebenfalls publizieren.↩︎

  9. Auch wenn es Verlage gibt, die sich sehr im OA engagieren.↩︎

  10. https://www.uni-due.de/ogesomo/zwischenergebnisse.↩︎

  11. Kleineberg und Kaden (2017).↩︎

  12. https://www.sueddeutsche.de/karriere/wissenschaft-karriere-befristet-1.4484574-0, https://www.zeit.de/2020/37/geisteswissenschaften-gesellschaft-coronavirus-forschung-bibliotheken-systemrelevant, https://www.br.de/fernsehen/ard-alpha/sendungen/campus/akademiker-sicherheit-uni-jobs-befristet-100.html.↩︎

  13. Vergleiche Fußnote 4.↩︎

  14. Vergleiche dazu die ausführliche Darstellung in Fadeeva, Falkenstein-Feldhoff und Graf (2020).↩︎

  15. Graf, Burovikhina und Leinweber (2019); Graf, Fadeeva und Falkenstein-Feldhoff (2020).↩︎

  16. https://www.uni-due.de/ogesomo/ und https://duepublico2.uni-due.de/go/OGeSoMo.↩︎

  17. Graf, Fadeeva und Falkenstein-Feldhoff (2020).↩︎

  18. Vergleiche Falkenstein-Feldhoff und Graf (2020).↩︎

  19. Vergleiche ebenda.↩︎

  20. Innerhalb der Geisteswissenschaften waren die Verlage De Gruyter, LIT, Peter Lang, Springer, Shaker und transcript UVRR besonders präsent, in den Sozialwissenschaften Barbara Budrich, Campus, Nomos, LIT, Routledge, Springer VS, transcript, siehe https://doi.org/10.17185/duepublico/71013.↩︎

  21. Es gab sechs Rückmeldungen auf 24 Anfragen nach OA-Policies. Auf 25 Anfragen nach Standardverlagen erfolgten eine positive und zwei negativen Antworten.↩︎

  22. Vergleiche Graf und Fadeeva (2020).↩︎

  23. Vergleiche https://doi.org/10.17185/duepublico/71224 sowie https://doi.org/10.17185/duepublico/71107.↩︎

  24. Vergleiche Burovikhina (2020).↩︎

  25. Unter https://doi.org/10.17185/duepublico/71014 findet sich eine entsprechende Handreichung.↩︎

  26. Hier gibt es verschiedene Bezeichnungen: OA-Gebühr bzw. OA fee, BPC für book processing charge als Entsprechung zu APC, article processing charge, für Zeitschriftenartikel.↩︎

  27. Vergleiche Beißwenger (2020), siehe auch https://doi.org/10.17185/duepublico/71099.↩︎

  28. Siehe dazu zum Beispiel Beisswenger und Burovikhina (2019).↩︎

  29. Als Stichworte seien hier beispielhaft genannt: Statistische Erhebung von Nutzungsdaten, Datenaustausch und Mapping zwischen Systemen des Buchhandels und der Bibliothekswelt, der Umstieg auf einen XML-basierten und damit medienneutralen Workflow.↩︎

  30. https://enable-oa.org.↩︎


Yuliya Fadeeva, Dr. phil., arbeitet im Open-Access-Bereich der Universitätsbibliothek Duisburg-Essen. Sie war am Abschluss des OGeSoMo-Projektes beteiligt, insbesondere an der Erstellung des Sammelbandes.