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doi:10.18452/23482 (edoc HU Berlin)

Das liest die LIBREAS, Nummer #7 (Herbst / Winter 2020)


Zitiervorschlag
Redaktion LIBREAS, "Das liest die LIBREAS, Nummer #7 (Herbst / Winter 2020)". LIBREAS. Library Ideas, 38 ().


Beiträge von Ben Kaden (bk), Karsten Schuldt (ks), Michaela Voigt (mv), Eva Bunge (eb)

1. Zur Kolumne

Ziel dieser Kolumne ist es, eine Übersicht über die in der letzten Zeit erschienene bibliothekarische, informations- und bibliothekswissenschaftliche sowie für diesen Bereich interessante Literatur zu geben. Enthalten sind Beiträge, die der LIBREAS-Redaktion oder anderen Beitragenden als relevant erschienen.

Eine Themenvielfalt sowie ein Nebeneinander von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Ansätzen werden angestrebt. Traditionelle Publikationen sollen ebenso erwähnt werden wie Blogbeiträge oder Videos beziehungsweise TV-Beiträge.

Hinweise auf auf erschienene Literatur oder Beiträge in anderen Formaten sind gern gesehen und können der Redaktion mitgeteilt werden (Siehe Impressum, Mailkontakt für diese Kolumne ist zeitschriftenschau@libreas.eu.) Die Koordination der Kolumne liegt bei Karsten Schuldt. Verantwortlich für die Inhalte sind die jeweiligen Beitragenden. Die Kolumne unterstützt den Vereinszweck des LIBREAS-Vereins zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation.

LIBREAS liest gern und viel Open-Access-Veröffentlichungen. Wenn sich Beiträge dennoch hinter eine Bezahlschranke verbergen, werden diese durch [Paywall] gekennzeichnet. Zwar macht das Plugin Unpaywall das Finden von legalen Open-Access-Versionen sehr viel einfacher. Als Service an der Leserschaft verlinken wir OA-Versionen, die wir vorab finden konnten, jedoch auch direkt. Für alle Beiträge, die dann immer noch nicht frei zugänglich sind, empfiehlt die Redaktion Werkzeuge wie den Open Access Button oder CORE zu nutzen oder auf Twitter mit #icanhazpdf um Hilfe bei der legalen Dokumentenbeschaffung zu bitten.

2. Artikel und Zeitschriftenausgaben

Rose-Wiles, Lisa M. ; Shea, Gerard ; Kehnemuyi, Kaitlin (2020). Read in or check out: A four-year analysis of circulation and in-house use of print books. In: The Journal of Academic Librarianship, 46(4), 102157. https://doi.org/10.1016/j.acalib.2020.102157 [Paywall]

Für die Bibliothek einer kleineren, privaten Universität in New Jersey untersuchten die Autorinnen, wie sich die Nutzung von Medien in der Bibliothek im Vergleich zur Ausleihe selber entwickelte. Dabei sammelten sie über vier Jahre Daten (2015–2018) zu den Medien, die sich in Buchwägen zum Zurückstellen ansammelten. Es ist klar, dass so nicht die gesamte In-House Nutzung erfasst wurde, sondern Studierende bekanntlich auch selber Medien zurückstellen oder absichtlich verstellen können. Dennoch ergibt dies zumindest Vergleichswerte.

Alle Nutzungsformen von Medien gehen dabei zurück, teilweise massiv: die Ausleihe von physischen Beständen, Nutzung In-House und auch die Nutzung elektronischer Medien. Am geringsten ist der Rückgang bei der Fernleihe. Einige der Tendenzen, die der Artikel beschreibt, sind wohl auf den lokalen und nationalen Kontext zurückzuführen.

Hervorzuheben ist aber ein Ergebnis: Nachdem die Nutzung elektronischer Medien über lange Zeit stieg und es möglich war zu vermuten, dass die Nutzung von physischen Medien durch elektronische ersetzt würde (wogegen allerdings auch schon viele Studien zur konkreten Mediennutzung sprachen), ging in diesem Beispiel auch die Nutzung elektronischer Medien zurück. Es gibt also einen allgemeinen Rückgang der Mediennutzung, nicht einen für spezifische Medienformen. (In den Daten der Bibliotheksstatistiken im DACH-Raum zeigt sich dieser Trend noch nicht so eindeutig. Es wird aber interessant sein, ihn im Blick zu behalten.) (ks)


Lund, Brady D. ; Waltson, Matthew (2020). Anxiety-uncertainty management theory as a prelude to Mellon’s Library Anxiety. In: The Journal of Academic Librarianship 46 (2020) 4, 102160, https://doi.org/10.1016/j.acalib.2020.102160 [Paywall]

Dieser Artikel scheint eine Nebenfrage zu behandeln, aber es geht am Ende tatsächlich um einen wichtigen Punkt. Das Thema Bibliotheksangst wird immer wieder einmal – im DACH-Raum vor allem in Abschlussarbeiten – behandelt. Es zählt nicht zu den meist-besprochenen Themen, aber es gibt ein ständiges Interesse an ihm. Anderswo werden immer wieder einmal Studien in Bibliotheken unternommen oder Projekte angegangen, Bibliotheksangst zu reduzieren.

Lund & Waltson diskutieren nun, welches Konzept von Angst hinter diesen Arbeiten stehen. Sie postulieren, dass vor allem psychologische Konzepte genutzt werden, welche diese Angst aus Prädispositionen der einzelnen Menschen erklären. Dies würde aber den Effekt haben, dass diese Angst als im Kern nicht veränderbar angesehen würde – weder von den Personen noch von den Bibliotheken. Zudem würde der Blick weniger auf einzelne Personen und eher auf Gruppen gelegt (zum Beispiel im Sinne von Bibliotheksangst von Studierenden im ersten Semester). Stattdessen schlagen sie vor, anxiety-uncertainty management theory zu nutzen, mit der Informationsverhalten vor dem Hintergrund von Erwartungen und Erfahrungen einzelner Individuen erklärt wird. Auf Erwartungen und Erfahrungen sei viel besser einzugehen als auf mehr oder minder feste Charaktereigenschaften. Insoweit würde mit einem solchen theoretischen Wechsel auch ein Raum geschaffen für Bibliotheken, aktiv auf Bibliotheksangst zu reagieren. (ks)


Mazarakis, Athanasios; Bräuer, Paula (2020). Gamification of an open access quiz with badges and progress bars: An experimental study with scientists. In: GamiFIN Conference 2020, Levi, Finland, April 1–3, 2020. http://ceur-ws.org/Vol-2637/paper7.pdf

Eine Studie mit 28 Wissenschaftler*innen in Deutschland ergab, dass der Einsatz von Bausteinen aus dem Game Design (Progress Bar, Badges) messbar zur Motivation zur Auseinandersetzung mit einem Thema, in diesem Fall Open Access, beiträgt. (bk)


Keller, Alice: „Lust ja, aber keine Zeit!”: Publikationsverhalten von Bibliothekaren und Informationswissenschaftlern. In: Bibliothek - Forschung und Praxis, 44(2), 231–245. https://doi.org/10.1515/bfp-2020-0019

In ihrer Studie untersuchte Alice Keller die Gründe für das Phänomen, dass es zumindest im deutschsprachigen Raum eine Herausforderung darstellt, Artikel für subskriptionsbasierte Zeitschriften der Bibliotheks- und Informationswissenschaften zu akquirieren. Dabei pointiert der Titel des Aufsatzes bereits einen Teil des Ergebnisses. Ein anderer, von ihr ebenfalls benannter Grund, ist die hohe Zahl von deutschsprachigen Fachzeitschriften, die in Konkurrenz um einen vergleichsweise überschaubaren Pool an potentiellen Autor*innen stehen. Insgesamt flossen 468 Rückmeldungen auf die Umfrage in die SurveyMonkey-basierte Auswertung ein. Ein interessantes Ergebnis ist, dass das Publizieren von Artikeln für die eigene Entwicklung nachgeordnet erscheint, also im Umkehrschluss in diesem Berufsfeld nicht zwingend relevant für die Karriere ist. Wo geschrieben wird, geschieht dies oft aus einer inneren Motivation und mit dem Ziel der allgemeinen Berufsentwicklung. Festzuhalten sind weiterhin eine hohe Affinität zu Open Access, sowie der Trend, dass die Publikationsfreude mit zunehmendem Alter wächst, was die Autorin auf ungleich verteilte zeitliche Freiräume zurückführt. Dabei mag auch eine Rolle spielen, dass das Schreiben von Artikeln nur für einen Teil der im Berufsfeld Aktiven überhaupt zum Arbeitsprofil zählt. So lässt sich als alternatives Fazit zu Lust ja, aber keine Zeit! auch festhalten: Wer im deutschen Bibliothekswesen schreiben will, muss es also wirklich wollen und wer nicht will, kann dennoch Karriere machen. Ob dies auch für den Kernbereich der Bibliotheks- und Informationswissenschaft im wirklich wissenschaftlichen Sinn gilt, bleibt unklar, da die Auswahl des Samples die Zugehörigkeit zu einer wissenschaftlicher Community und der bibliothekarischen Fachcommunity nicht gesondert differenziert. (bk)


Andrae, M., Blumesberger, S., Edler, S., Ernst, J., Fiedler, S., Haslinger, D., Neustätter, G. und Trieb, D. (2020) „Barrierefreiheit für Repositorien. Ein Überblick über technische und rechtliche Voraussetzungen”, Mitteilungen der Vereinigung Österreichischer Bibliothekarinnen und Bibliothekare, 73(2). S. 259–277. https://doi.org/10.31263/voebm.v73i2.3640

Barrierefreiheit geht alle an, auch Repositorienbetreiber*innen. Mitunter mag dieser Teilaspekt im Alltag hinten anstehen, wenn dieser vor allem aus inhaltlicher Betreuung (in Hinblick auf Contentakquise im Sinne von Steigerung des Open-Access-Outputs wie auch von (formaler und technischer) Qualitätssicherung), sachgemäßer Erschließung und technischer Weiterentwicklung des Repositoriums besteht. Andrae et al. arbeiten deutlich heraus, warum der barrierefreien Gestaltung von Repositorien (mehr) Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte: Rechtliche Vorgaben sind das Eine, der eigene Anspruch beziehungsweise Wahrnehmung des eigentlichen Auftrags (Inhalte frei zugänglich machen, in der Regel nach den Prinzipien von Open Access) das Andere. Die Autor*innengruppe fokussiert, verständlicherweise, auf die Österreichische Rechtslage. Alle anderen Absätze dürften jedoch uneingeschränkt auch für Repositorienbetreiber*innen in anderen Ländern Relevanz entfalten und einen nützlichen Überblick über die zahlreichen Bereiche (Design, Guidelines und Hilfetexte, Sprache, Dateiformate und vieles mehr) darstellen, die bei der Überarbeitung in den Blick genommen werden sollten. (mv)


Garner, Jane (2020). Experiencing time in prison: the influence of books, libraries and reading. In: Journal of Documentation 76 (2020) 5, 1033–1050, https://doi.org/10.1108/JD-07-2019-0128 [Paywall]

Gefangene in Gefängnissen nutzen die Bibliothek und das Lesen vor allem, um Zeit zu überbrücken. Die Studie befragte eine Anzahl von Gefangenen in sieben Einrichtungen in verschiedenen australischen Bundesstaaten (und soll Teil einer grösseren Studie zur Bibliotheksnutzung in Gefängnissen in diesem Land sein). Das Ergebnis war eigentlich durchgängig gleich. Gefangene haben viel unstrukturierte Zeit, die sie aber nur eingeschränkt nutzen können, da ihnen nur wenige Freizeitmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Garner betont mehrfach, dass dieses Ergebnis konträr zu anderen Studien wäre, welche die Nutzung von Öffentlichen Bibliotheken untersuchen würden. In solchen würde Zeit rumbringen als Grund für die Nutzung einer Bibliothek nicht vorkommen. (Anmerkung: In Studien zur Nutzung von Bibliotheken durch Menschen ohne festen Wohnsitz kommt dies aber schon manchmal vor. Diese werden von Garner nicht referiert.)

In einem langen Teil des Textes schildert Garner die Bibliotheken in den Gefängnissen, die sie besucht hat. Es liest sich wie ein Versuch, die (bibliothekarische) Öffentlichkeit auf deren Zustand aufmerksam zu machen. Für ein so reiches Land wie Australien ist er nämlich beschämend. Nur eine der sieben Bibliotheken hat eine ausgebildete Bibliothekarin und einen festen Etat. Die anderen Bibliotheken werden von Gefangenen geleitet und haben fast nie einen Erwerbungsetat. Die Bestände bestehen vor allem aus Geschenken von Gefangenen selber. Der Zugang zu ihnen ist fast immer beschränkt. Während das Ergebnis von Garner ernstzunehmen ist, wären die von ihr beschriebenen Bibliotheken auch gar nicht in der Lage, andere Aufgaben (beispielsweise Bildung) zu unterstützen. (ks)


Rekdal, Ole Bjørn (2014): Academic Urban Legends. In: Social Studies of Science 44 (2014) 4, 638–654, https://doi.org/10.1177/0306312714535679

Die Qualität wissenschaftlicher Forschung war zuletzt immer wieder Thema, sowohl in den Medien als auch im Fachdiskurs. Die Geschäftspraktiken der Predatory Publishers haben diesem Problem eine größere mediale Aufmerksamkeit beschert, aber die systematischen Effekte der Publish-or-Perish-Mentalität sind in Bibliotheken schon lange bekannt und haben nicht weniger einen Einfluss auf die Qualität (und Quantität) wissenschaftlicher Publikationen.

Ole Bjørn Rekdal untersucht in seinem Aufsatz, welche Folgen ungenaue, fehlerhafte oder übereilte Zitate in wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf den Forschungsprozess haben können. Er macht dies exemplarisch an der urbanen Legende fest, dass Spinat viel Eisen enthalten soll. Dabei stößt er auf eine Erklärung für die Entstehung dieser Legende, die sich aber wiederum selbst als (sich inzwischen selbst perpetuierende) Legende herausstellt.

Rekdals Aufsatz ist sehr lesenswert geschrieben und auch sechs Jahre nach seiner Veröffentlichung noch äußerst relevant. (eb)

2.1 COVID-19 und die Bibliotheken, Erste Welle

Wang, Ting ; Lund, Brady (2020). Announcement Information Provided by United States’ Public Libraries during the 2020 COVID-19 Pandemic. In: Public Library Quarterly, 39(4), 283–294. https://doi.org/10.1080/01616846.2020.1764325

In einem der ersten wissenschaftlichen Texte, die sich auf die Aktivitäten (Öffentlicher) Bibliotheken während der COVID-19 Pandemie beziehen, zeigten Wang & Lund welche Informationen von Public Libraries in den USA verbreitet wurden. Sie sammelten aus einer nach Grösse der Gemeinden gesteuerten Zufallsauswahl von Bibliotheken die jeweiligen Hinweise von deren Homepage zwischen dem 14.03. und 12.04.2020. Die Auswertung erfolgt auf der Basis früherer Studien zu übernommenen Rollen von Bibliotheken während realer Krisen. In diesen wurden schon verschiedene mögliche Rollen benannt. Die Frage war nun, welche in der Pandemie 2020 übernommen wurden.

In der Auswertung zeigt sich, dass die meisten Bibliotheken vor allem darüber informierten, dass sie geschlossen hatten, dass Veranstaltungen ausfielen und welche Angebote trotzdem angeboten wurden. Rund die Hälfte der Bibliotheken vermittelte Hinweise zu Vorsichtsmassnahmen (insbesondere Hygiene- und Abstandsgebote). 69 % vermittelten Links zu vertrauenswürdigen Quellen für Gesundheitsinformationen und 53 % Hinweise zum Finden weiterer vertrauenswürdiger Quellen. Wang & Lund postulieren, dass eine Information, welche durch die jeweilige Bibliotheksleitung gegengezeichnet wurde, mehr Gewicht hätte als Informationen ohne eine solche direkte Zuordnung. Bei 26 % der Bibliotheken fanden sie eine solche Unterschrift. Im Untersuchungsmonat veränderten einige Bibliotheken die Informationen, welche sie zur Verfügung stellten und zwar dahingehend, dass sie mehr Wert auf Informationen über sich selber (Schliessungen und Angebote) legten. Grundsätzlich lieferten Bibliotheken aus urbanen Gegenden mehr Informationen als solche aus suburbanen oder ländlichen Gemeinden. (ks)


Tammaro, Anna Maria (2020). COVID 19 and Libraries in Italy. In: International Information & Library Review, 52(3), 216–220. https://doi.org/10.1080/10572317.2020.1785172

Die kurze Kolumne von Tammaro zur Arbeit von italienischen Bibliotheken während der COVID-19-Krise basiert auf einer zeitnahen Umfrage, bei denen 70 Einrichtungen – eine eher kleine Zahl – antworteten. Grundsätzlich ist das Bild aber, dass (auch) in Italien Bibliotheken nach der Schliessung der physischen Räume begannen, digitale Angebote zu machen. Vorhandene Angebote wurden beworben, Veranstaltungen im digitalen Raum organisiert. Es wurde versucht, auch gedruckte Medien zugänglich zu halten. Insbesondere wurde die Fernleihe aufrechterhalten und massiv genutzt. Tammaro berichtet, dass zumindest in den ersten Monaten die Nutzungszahlen der digitalen Angebote explodiert seien.

Die Krise hätte die strukturellen Probleme der italienischen Bibliotheken aber auch sichtbarer gemacht: Eine ganze Reihe von Kolleg*innen, die prekär beschäftigt waren, verloren ihren Arbeitsplatz. Fehlende strategische Vorstellungen für die Weiterentwicklung bedeuteten, dass viele Bibliotheken jetzt in der Pandemie schnell Entscheidungen treffen mussten. Die massiven Unterschiede in Etat und Infrastruktur zwischen Norden und Süden Italiens seien ebenso spürbar geworden. (ks)


Walsh, Benjamin ; Rana, Harjinder (2020). Continuity of Academic Library Services during the Pandemic: The University of Toronto Libraries’ Response. In: Journal of Scholarly Publishing, e51404, https://doi.org/10.3138/jsp.51.4.04 [Paywall]

Während alle Bibliotheken in der COVID-19-Pandemie mit den gleichen Herausforderungen umzugehen hatten, haben bislang nur relativ wenige ihre Lösungen zusammenfassend dargestellt. Dieser Texte tut dies für das recht grosse Bibliothekssystem der University of Toronto. Die Lösungen sind wohl die, welche auch in anderen Bibliotheken zu finden waren: Umstellung auf Online-Lösungen, Anstieg des Beratungsbedarfs von Studierenden und Forschenden, mit denen umzugehen war, Ausweitung des Angebots von elektronischen Medien. Besonders ist vielleicht, dass die Bibliotheken der University – die aufgrund der Grösse ihres Bestandes auch an gedruckten Medien für andere Bibliotheken ansonsten eine Basis für die Fernleihe darstellen – auch begannen, E-Books in die Fernleihe zu geben. Die Fragen am Ende des Artikels, wie sich die Nutzung der elektronischen Medien und des Raumes der Bibliothek nach der Pandemie entwickeln werden, werden sich in allen anderen Bibliotheken stellen. (ks)


Craft, Anna R. (2020). Remote Work in Library Technical Services: Connecting Historical Perspectives to Realities of the Developing COVID-19 Pandemic. In: Serials Review, 46(3), 227–231. https://doi.org/10.1080/00987913.2020.1806658

Die Autorin dieser Kolumne, welche explizit im Frühjahr 2020 geschrieben wurde, nimmt die rasante Veränderung der Arbeit in vielen Bibliotheken hin zu remote work zu Beginn der Pandemie zum Anlass, einen Überblick zur schon vorhandenen Literatur zu solcher Arbeitsweise in Bibliotheken zu geben. Sie zeigt, dass Projekte und Überlegungen dazu schon in den frühen 1990er Jahren starteten und schon einiges an Wissen vorhanden ist. Gerade Katalogarbeit wurde schon länger von ausserhalb der Bibliothek erledigt. Bibliotheken hätten während der Pandemie auf diesem Wissen aufbauen können.

Aus der Literatur erwähnt sie, dass remote work verändert, wie Aufgaben erteilt und erledigt werden, wie der notwendige Zeitraum für diese Aufgaben bestimmt wird und wie sie evaluiert wird. Zudem erwähnt sie, dass remote work Probleme wie das Gefühl von Isolation, die Notwendigkeit, remote in Teams zu kommunizieren sowie das Finden der richtigen Work-Life-Balance mit sich bringen. Für die Zeit nach der Pandemie ruft sie dazu auf, die Erfahrungen aus Bibliotheken mit remote work zu sammeln und zu diskutieren. (ks)


Yuvaraj, Mayank (2020). Global responses of health science librarians to the COVID-19 (Corona virus) pandemic: a desktop analysis (Regular Feature: International Perspectives And Initiatives). In: Health Information and Libraries Journal, e12312, https://doi.org/10.1111/hir.12321

In dieser Kolumne gibt die Autorin eine ganz kurze Übersicht von Initiativen von Bibliotheken im Bezug auf COVID-19, die auf Homepages von englisch-sprachigen Bibliotheksverbänden abgebildet wurden. Das ist wenig instruktiv – es wurden Informationen und Flyer zu Massnahmen verbreitet, einige Bibliothekar*innen arbeitet weiter vor Ort, weil sie ihre Trägereinrichtungen unterstützen mussten – und zeigt vor allem, dass während der Krisenzeit ein geschwinder Aktivismus herrschte. (ks)


Grassel, Allison (2020). Programming in Time of Pandemic: The Year Libraries Went Touchless. In: Children and Libraries, 18 (2020) 3, https://doi.org/10.5860/cal.18.3.3

Eine ganz kurze Übersicht darüber, wie einige Öffentliche Bibliotheken in den USA in den ersten Monaten der Pandemie reagierten, liefert diese Sammlung. Mit dabei: Storytime Online oder per Telefon, Herzen im Fenster, virtuelle Veranstaltungen, Einladungen zu Spaziergängen, Lieferung von Büchern. Viel Sympathisches, aber wenig über die konkrete Situation hinaus weisendes. (ks)


Garner, Jessica C. ; Logue, Natalie K. (2020). Navigating the COVID-10 slipstream: A case study on living and managing access services during a global pandemic. In: Journal of Access Services [Latest Articles], https://doi.org/10.1080/15367967.2020.1818570

Dieser Text gibt einen umfassenden Überblick zur Arbeit der Bibliothek, genauer der Access Services, an der Georgia Southern University. Grundsätzlich hat die Bibliothek wohl das erlebt, was andere Bibliotheken auch erlebt haben: Schnelle Umstellung zur Lieferung von Medien per Post, hier ergänzt um Laptops, die auch von der Bibliothek verborgt werden. Umstellung auf Arbeit von Daheim. Probleme mit der Aufrechterhaltung der Fernleihe. Hervorzuheben ist, dass – wenn auch weiter hinten – auch die Belastungen für das Personal beschrieben werden.

Die Situation ist am Ende des Text selbstverständlich noch nicht geklärt. Vorerst hat die Bibliothek wieder eingeschränkt geöffnet, aber weder die finanzielle Zukunft noch die Frage, ob, wann und wie sie wieder vollständig öffnet, ist geklärt. Dies müsste im Idealfall ein weiterer Text, nach der Pandemie, zeigen. (ks)


Kachan, Åsa (2020). Vulnerabilities exposed and the opportunity to respond: Reflections on public libraries in the time of COVID-19. (Information Management Public Lectures) Halifax: School of Information Management, Dalhousie University, 06.10.2020, https://www.youtube.com/watch?v=mNQAwgZrM8c

Kein Text, sondern ein öffentlicher Vortrag der CEO der Halifax Public Libraries darüber, was diese Bibliotheken während der Pandemie getan und entschieden haben. Die Übersicht ist umfassend, aber auch gefährlich: Kachan zählt alle möglichen Aufgaben auf, welche die Bibliotheken hätten und landet sehr schnell bei der Hilfe für Menschen ohne festen Wohnsitz oder mit wenig sozialem Kapital. Sie überhäuft die Bibliothek mit Aufgaben, die alle wichtig sind und doch erschlagen und die tatsächliche bibliothekarische Praxis zum Dienst an den Menschen überhöhen. Genau für solche Beschreibungen wurde das Konzept des Vocational Awe [Berufliche Ehrfurcht, vergleiche Ettarh, Fobazi (2018). Vocational Awe and Librarianship: the lies we tell ourselves. In: In The Library With The Lead Pipe, 10.01.2018, http://www.inthelibrarywiththeleadpipe.org/2018/vocational-awe/] geprägt. Dieses an Selbstüberhöhung grenzende Selbstbild der Bibliothek als inhärent gut, essentiell und unantastbar sogar zugleich zu übersteigerten Erwartungen auch an sich selbst, was sich in idealistischen Abstrichen an den Arbeitsbedingungen und teils auch in Überbelastungen bis zum Burn-Out niederschlägt.

In diesem Zusammenhang gleichzeitig interessant und gefährlich ist das Konzept der Bibliotheken als second responders, die nicht – wie die first responders wie Feuerwehr oder medizinischer Notdienst – sofort bei einer Katastrophe helfen, aber unmittelbar danach. (ks)


Roesner, Elke (2020).Viel Lärm um allesZB MED und die COVID-19-Pandemie: ZB MED unterstützt die Forschung rund um das Corona-Virus SARS-CoV-2. In: Information. Wissenschaft & Praxis 71 (2020) 4: 195–198, https://doi.org/10.1515/iwp-2020-2089 [Paywall]

In ihrem Bericht von der Arbeit der ZB MED während der Pandemie schlägt Elke Roesner einen recht selbst-lobenden Ton an. Die ZB MED sei als nationaler Information Hub für die überregionale Informationsversorgung zuständig (Roesner 2020: 195) und hätte deshalb als Zentrale Fachbibliothek so umfangreich wie nur irgend möglich am Laufen gehalten werden müssen (Roesner 2020: 195). Sie beschreibt dann zuerst, wie an der ZB erst in einem Blog valide Quellen zur Pandemie gesammelt wurden, dann mit dem ZB MED COVID-19 Hub ein eigenes Angebot, inklusive Repository, dafür geschaffen wurde. Erst später beschreibt sie, wie kurzfristig für das Personal das Arbeiten im Homeoffice ermöglicht wurde und postuliert – ehrlich gesagt, ohne es argumentativ hergeleitet zu haben –, dass die Krise gezeigt hätte, dass Open Science […] der einzig gangbare Weg in der Wissenschaft [ist] (Roesner 2020: 197).

Der Artikel ist vor allem für eine Haltung zu erwähnen, die vielleicht nach der Krise noch einmal breiter diskutiert werden muss: Die ZB MED – und viele andere Bibliotheken – erklärten sich selber zu einer in der Krise wichtigen Institution, deren Arbeit unbedingt aufrecht erhalten werden musste. Ob das so war, ob die Nutzer*innen oder das Personal das überhaupt so sah, ist nicht klar. Darstellungen wie die von Roesner hinterlassen den Beigeschmack, als wären andere mögliche Positionen einfach unter der Behauptung begraben worden, als Einrichtung wichtiger zu sein als viele andere. (ks)


Barbian, Jan-Pieter (2020). Eine existenzielle Krise: Die Folgen der Corona-Pandemie für die Öffentlichen Bibliotheken am Beispiel der Stadtbibliothek Duisburg. In: BuB 72 (2020) 7: 417–421 [gedruckt]

Barbian schildert die Situation an der Stadtbibliothek Duisburg, deren Leiter er ist: Wie am Beginn der Krise Veranstaltungen abgesagt werden mussten, wie die Bibliothek geschlossen, dafür der Zugang zu digitalen Angeboten ausgeweitet und die digitale Anmeldung in der Bibliothek ermöglicht wurde. Auch, wie später der Bibliotheksdienst wieder langsam aufgenommen wurde. Im Gegensatz zu den vielen hier diskutierten Texten erwähnt Barbian auch die Sorgen um die Sicherheit der Mitarbeitenden, die sich in der Bibliothek gemacht wurden. (Das ist vor allem im Vergleich erstaunlich und sagt vielleicht auch etwas über den Stellenwert aus, das dem Wohlbefinden des Personals in unterschiedlichen Bibliotheken eingeräumt wird.) Weiterhin postuliert er, nachdem er die virtuellen Konferenzen des Jahres diskutiert hat, dass nach wie vor der Grundsatz [gelte], dessen Bestätigung wir in den vergangenen Monaten schmerzhaft erleben mussten: Wir alle sind und bleiben soziale Wesen. (Barbian 2020: 421) Nachvollziehbar ist das allerdings aus seinen vorhergehenden, eher praxisorientierten Ausführungen nicht.

Im einführenden Absatz des Textes stellt Barbian eine Reihe von Fragen: Wie sind die Öffentlichen Bibliotheken mit dieser völlig neuartigen Herausforderung im Hinblick auf ihre Kunden umgegangen? Wie haben sich Mitarbeiter auf die grundlegende veränderten Rahmenbedingungen […] eingestellt? Welche Konsequenzen hat […] die Verlagerung der Angebote auf digitale Medien für den zukünftigen Bestandsaufbau? Was wird aus der in den vergangenen zehn Jahren vorangetriebenen Konzeption der Bibliothek als Dritter Ort […]? Wie verläuft in Zukunft der Erfahrungs- und Meinungsaustausch im Bibliothekswesen […] : alles nur noch online? (Barbian 2020: 417) Diese Fragen beantwortet der Text nicht, aber es sind Fragen, die es lohnen würde, sie weiter zu diskutieren. (ks)


Ceynowa, Klaus (2020). Lessons from Lockdown: Was wissenschaftliche Bibliotheken aus der Corona-Krise lernen könn(t)en. In: ZfBB 67 (2020) 3-4: 150–154. https://doi.org/10.3196/1864295020673428 [gedruckt, Paywall]

Beobachtungen in der Bayerischen Staatsbibliothek während der COVID-19-Pandemie verarbeitete deren Direktor zu einer Polemik über die Zukunftsvorstellungen Wissenschaftlicher Bibliotheken. Er konstatiert, dass die Vorstellungen einiger Bibliotheken – konkret greift er die Sächsische Staats- und Landesbibliothek Dresden auf – darauf hin zielen würden, den Bestand in den Hintergrund zu rücken und sich eher als Dienstleister […] rund um den Forschungskreislauf und des vielfältigen Vermittlers auf dem Feld der Wissenschaftskommunikation verorten zu wollen. Demgegenüber hätte die Krise gezeigt, dass die Nutzenden vor allem Interesse an Beständen und an Lesesälen hätten. Gleich mit Beginn der Krise sei die Nachfrage nach den Beständen – sowohl gedruckten als auch online angebotenen – gestiegen. So schnell als möglich wurde nach Wegen gesucht, Lesesäle wieder zu öffnen (mit Hygienekonzepten). Nach anderen Angeboten, also dem, was sonst als zukunftsträchtig gelten würde, sei praktisch nicht gefragt worden. Es zeigt sich: – so das Fazit – Bestände und Sammlungen, seien sie analog oder digital, sind nach wie vor das Alleinstellungsmerkmal der wissenschaftlichen Bibliothek.(Ceynowa 2020:153). (ks)

2.2 Neue Angebote in Öffentliche Bibliotheken

Nguyen, Linh Cuong (2020). The Impact of Humanoid Robots on Australian Public Libraries. In: Journal of the Australian Library and Information Association, 69(2), 130–148. https://doi.org/10.1080/24750158.2020.1729515 [Paywall]

Eine ganze Reihe von Öffentlichen Bibliotheken schaffte in den letzten Jahren humanoide Roboter an oder plante dies zumindest. Texte und Informationen, die dazu im DACH-Raum publiziert wurden, waren eher etwas zurückhaltend mit konkreten Erfahrungen. Die Studie von Nguyen ist da konkreter: Es wurden Bibliothekar*innen in australischen Public Libraries interviewt, welche solche Roboter einsetzen, und Veranstaltungen mit diesen Robotern beobachtet und diese Daten dann zusammengefasst. Stellenweise liest sich der Text etwas sehr einseitig positiv. Auf mögliche Kritik wird zum Beispiel kaum eingegangen, Grenzen der Arbeit mit diesen Robotern tauchen eher indirekt auf. Er stellt eher die Meinungen und Verhaltensweisen derer da, welche von diesen Robotern überzeugt sind.

Das einschränkend vermerkt benennt Nguyen vier Themen, für die die Roboter eingesetzt werden: (1) Community builder, also das Zusammenbringen von Menschen, (2) Teacher, das Anstossen von Interesse zum Lernen, (3) Aide, also zur Unterstützung bei einfachen Aufgaben, (4) Challenger, als Objekt, das Herausforderungen stellt, beispielsweise motiviert, neues Wissen (über Roboter und Programmieren) zu erwerben.

Grundsätzlich werden die Roboter als Unterstützung anderer Aufgaben der Bibliotheken eingesetzt und motivieren vor allem, indem sie Unterhaltung bieten. Zudem unterstreicht auch Nguyen, dass der Einsatz dieser Roboter einen relevanten Arbeitsaufwand bedeutet. (ks)


Copeland, Andrea ; Yoon, Ayoung ; Zhang, Sheng (2020). Data Reuse Practices and Expectations for Data Resources and Services among Public Library Users. In: Public Library Quarterly 2020 [Latest Articles] https://doi.org/10.1080/01616846.2020.1773749 [Paywall]

Dieser Artikel basiert auf einer Umfrage, die unter Nutzer*innen Öffentlicher Bibliotheken in Indiana durchgeführt wurde. Eher weniger Personen wurden befragt, der Kontext von Umfrage und Forschungsfrage ist eindeutig die USA. Die Ergebnisse lassen sich nicht übertragen. Aber die Annahmen, die hinter der Studie stehen, können Anregung für eine Debatte sein: Sollen Öffentliche Bibliotheken aktiv Daten anbieten? Sollten sie dabei beraten, diese zu finden, zu analysieren und aufzubereiten? Sollten sie diese Aufgabe übernehmen und die notwendigen Skills dazu zu vermitteln?

Die Ergebnisse in dieser Studie deuten darauf hin, dass zumindest in den USA Daten – nicht reine Texte, sondern zum Beispiel demographische Daten, empirische Daten über Schulen oder sozio-ökonomische Daten – weit häufiger von Nutzer*innen gesucht und verarbeitet werden, als erwartet wurde. Dabei schätzten die Befragten, dass sie selber leicht bis sehr überdurchschnittliche Kenntnisse darüber haben, wie Daten analysiert und aufbereitet werden. Gewünscht wurde vor allem eine Unterstützung bei der Suche von Daten. Gleichwohl schliessen die Autor*innen, dass Öffentliche Bibliotheken sich stärker dabei engagieren sollten, Nutzer*innen bei der Nutzung von Daten zu unterstützen und dies auch Teil ihrer Weiterbildungs- und Veranstaltungsangebote werden zu lassen.

Wie gesagt lassen sich die Ergebnisse nicht einfach in den DACH-Raum übersetzen. Relevant sind die Fragen trotzdem, insbesondere auch die Hinweise, dass viele Nutzer*innen sich selber schon als Personen ansehen, die ausreichende Data Literacy haben, um andere Personen darin zu unterrichten (und deshalb nicht von der Bibliothek erwarten, dass diese dies auch anbietet) und dass Öffentliche Bibliotheken, wenn sie diese Aufgaben annehmen wollen, dies pro-aktiv angehen müssen, da hierfür tatsächlich weitergehende Kompetenzen notwendig sind, die nicht bei allen Bibliothekar*innen vorausgesetzt werden können. (ks)


Lenstra, Noah ; Campana, Kathleen (2020). Spending Time in Nature: How Do Public Libraries Increase Access?. In: Public Library Quarterly [Latest Articles] https://doi.org/10.1080/01616846.2020.1805996

Öffentliche Bibliotheken im DACH-Raum organisieren seit einigen Jahren kontinuierlich neue Angebote und Veranstaltungsreihen, welche die Aufgaben von Bibliotheken erweitern sollen. Stichworte wir Dritter Ort, Makerspace oder Bibliothekscafé sind in diesem Zusammenhang verbreitet. Dies scheint für viele Bibliotheken schon eine Veränderung zu sein.

Mit Blick auf die Literatur gerade aus dem US-amerikanischen, aber auch australischen oder kanadischen Bibliothekswesen scheinen diese Entwicklungen aber langsam und wenig einfallsreich. Kolleg*innen in diesen Ländern besetzen immer wieder Themen (und zeigen auch oft, dass die Themen in anderen Bibliotheken schon Verbreitung gefunden haben, also keine reinen Ideen oder Hypes sind), die immer weiter ausgreifen.

Diese Text hier argumentiert zum Beispiel, dass Bibliotheken einen Zugang zur Natur bieten sollten. Damit sind von der Bibliothek organisierte Spaziergänge, gemeinsames Gärtnern oder auch Seed Libraries gemeint. Im Text selber wird auch über eine Umfrage berichtet, die zeigt, dass solche Angebote in US-amerikanischen Öffentlichen Bibliotheken tatsächlich breit existieren. (Wobei StoryWalks, ein organisierter Spaziergang, bei dem durch eine*n Bibliothekar*in gleichzeitig auf die Landschaft und ein Buch eingegangen wird, die verbreitetste Form darstellen.) Erstaunlich ist dabei nicht das Thema selber, sondern dass sich solche Themensetzungen immer wieder neu finden. Sie vermitteln zumindest den Eindruck einer, im Vergleich zum DACH-Raum, viel grösseren Dynamik. (ks)


Kelly, Laura ; Bolanos, Cinthya (2020). From Outreach to Translanguaging: Developing a Bilingual Storytime. In: Children and Libraries, 18 (2020) 3, https://doi.org/10.5860/cal.18.3.28

Die beiden Autorinnen berichten darüber, wie sie eine monatliche Spanisch-englische Storytime (eine Veranstaltung für Kinder, in denen gemeinsam gelesen, gesungen und gesprochen wird) in der Public Library in Memphis einrichteten und – auf der Basis von systematisch gesammelten Rückmeldungen – veränderten. Die Ergebnisse lassen sich vielleicht nicht vollständig in andere Sprachen und Kulturen übertragen, bieten aber eine Anregung für einen Prozess der ständigen Verbesserung.

Kelly und Bolanos halten als Lessons Learned fest: (1) Eher langsamer vorgehen und weniger in einer Veranstaltung machen, dafür aber mehr Zeit haben, dass sich alle mit dem, was gelesen, gesungen und so weiter wird, beschäftigen, (2) regelmässig zwischen Englisch und Spanisch wechseln, auch manchmal Dinge zweimal sagen, lesen und so weiter, in beiden Sprachen, weil Bilingualismus in ihrem Fall heisst, beide Sprachen auf einmal zu benutzen, nicht voneinander getrennt, (3) Outreach beziehungsweise Werbung da machen, wo die Leute auch sind, in diesem Fall auf Facebook und über die Schulen, nicht – wie am Anfang angenommen – in Spanisch sprachigen Läden oder Restaurants. (ks)


Bibliotheque(s): Revue de l’Association des Bibliothécaires de France. (2020) 100/101 (April 2020) [gedruckt]

Die Zeitschrift des Verbandes der französischen Bibliothekar*innen publizierte Anfang diesen Jahres ihre 100ste (und 101ste) Ausgabe. Die runde Nummer wurde genutzt, um mehr als 100 (genauer 178) Vorschläge dazu zu versammeln, was insbesondere Öffentliche Bibliotheken ändern können. Die Sammlung ist eklektisch, die Vorschläge werden je in Bild und sehr kurzem Text vorgestellt. Es geht darum, Bibliotheksangebote zu verändern, mehr aus dem Raum der Bibliothek herauszugehen und Angebote an anderen Orten (Institutionen, auf der Strasse, mobil) anzubieten, aber auch die Bibliothek ökologisch umzubauen und von Angebot und Personal her diverser zu machen (mit neuem Personal, der positiven Sichtbarmachung von Unterschieden). Im Gegensatz vielleicht zum Selbstbild vieler Bibliotheken zeigt sich hier, dass Bibliotheken (in Frankreich) ständig auch darüber nachdenken sich zu verändern. Selbstverständlich ist das Heft eine Möglichkeit für andere Bibliotheken, sich (wieder einmal) Anregungen zu holen. Interessant ist aber eher, wie sehr diese Sammlung eine eigentlich sehr aktive Bibliothekswelt zeigt. (ks)

2.3 Öffentliche Bibliotheken, andere Themen

Spencer-Bennett, Kate (2020). Libraries in women’s lives: everyday rhythms and public time. In: Educational Review [Latest Articles], https://doi.org/10.1080/00131911.2020.1803796

Wissen Bibliotheken, warum Menschen sie nutzen? Sicherlich entwickeln sie aktuell viele Vorstellungen davon, warum Menschen sie in Zukunft, wenn neue Angebote eingeführt sind, nutzen werden. Aber eigentlich wissen sie wenig darüber, wie sie im Alltag von Menschen verankert sind. Spencer-Bennett postuliert in dieser Studie, in welcher sie Frauen in Birmingham, UK, befragte, dass für diese die Bibliothek und der Bibliotheksbesuch Teil der alltäglichen Rhythmen sind. Sie greift dabei auf Henri Lefebvre zurück, der die Nutzung von Städten mit dem Konzept der Analyse von Rhythmen untersuchte und dabei die Bedeutung der alltäglichen Handlungen und Strukturen hervorhob. Das funktioniert sehr gut: Spencer-Bennett kann zeigen, dass die Bedeutung der Bibliothek zumindest für die Frauen, die sie befragte – und die zum Teil gerade nicht aus der Mehrheitsgesellschaft oder dem Mittelstand stammen – darin liegt, dass diese Teil ihres Alltags ist. Es geht ihnen vor allem darum, sie regelmässig aufzusuchen, entweder als Teil der sinngebenden Struktur oder als Zeit und Ort, der sie von anderen Aufgaben für eine Zeit befreit. Die konkreten Angebote treten dabei zurück, der Besuch selber ist wichtig. Das Ergebnis hat praktische Relevanz, weil es einen Hinweis gibt, worauf zu achten wäre, wenn man Bibliotheken verändern will: Weniger auf die vorzeigbaren neuen Angebote und mehr auf die Frage, wie die Bibliothek sich in den Alltag der Menschen einfügt beziehungsweise einfügen könnte. (ks)


Kimmel, Sue ; Lancaster, Krystal (2020). Where are the Books about Trains? A Case Study Exploring. Reorganization of the Children’s Section in a Small Public Library. In: New Review of Children’s Literature and Librarianship, 25(1–2), 20–32. https://doi.org/10.1080/13614541.2020.1774267 [Paywall]

Dieser Text ist zu empfehlen als Beispiel dafür, wie unterschiedlich Bibliothekssysteme und deren Entwicklung sein können und wie wenig das in den einzelnen Ländern bedacht wird. Inhaltlich geht es darum, wie in einer Kinderbibliothek in den USA der Bestand nach Interessenskreisen aufgestellt wurde (wie man im DACH-Raum sagen würde). Im Artikel wird beschrieben, wie dabei vorgegangen wurde und mit dem Begriff des Boundary Object sogar versucht, dies theoretisch zu reflektieren.

Interessant ist dabei aber vor allem, dass das als neu besprochen wird. Obgleich der Text auch andere Beispiele aus den USA anführt, in denen die verbreitete Dewey Decimal Classification für andere Aufstellungssystematiken und -systeme verlassen wurde, scheint es für diese Bibliothek eine neue Erfahrung gewesen zu sein festzustellen, dass Nutzer*innen – hier vor allem Kinder und Jugendliche – sich mit dieser Systematik nicht immer zurecht finden und dass es andere Möglichkeiten der Aufstellung gäbe. Dies ist für Öffentliche Bibliotheken im DACH-Raum keine irgendwie neue Feststellung, vielmehr ist die Aufstellung des Bestandes nach Interessenskreisen so normal, dass sie kaum noch thematisiert wird. (ks)


Scott, Dani ; Saunders, Laura (2020). Neutrality in public libraries: How are we defining one of our core values?. In: Journal of Library and Information Science (Online First), https://doi.org/10.1177/0961000620935501 [Paywall]

In diesem Text wird über eine Umfrage dazu berichtet, was Bibliothekar*innen in US-amerikanischen Bibliotheken unter Neutralität verstehen. Konkrete Fragestellung und Ergebnisse sind sehr US-amerikanisch, beispielsweise scheint schon bei den Fragen die Vorstellung durch, dass es zu Themen praktisch immer eine liberale und eine konservative Meinung gäbe, was sich ja auch im Parteiensystem der USA, aber nicht unbedingt dem in anderen Staaten, widerspiegelt. Zudem ist die Argumentation des Textes an Dokumenten der ALA orientiert, die nur für die USA Geltung haben.

Interessant ist aber, dass die Studie davon ausgeht – und auch zeigt, dass das stimmt –, dass Neutralität als Wert für Bibliotheken zwar stark diskutiert wird, aber das darunter auch in der bibliothekarischen Diskussion unterschiedliche Sachen verstanden werden. Die Ergebnisse der Umfrage, gerade die offenen Antworten, zeigen, dass unter Neutralität zumeist verstanden wird, objektiv dabei zu sein, Informationen zu verbreiteten, dass aber andere Verständnisse ebenso existieren und wohl die bibliothekarische Arbeit prägen. Gleichzeitig zeigen sie, dass von einer ganzen Anzahl von Antwortenden Neutralität als Mythos angesehen wird, der vor allem den Effekt hat, den Status Quo zu erhalten und der denen nützt, die gesellschaftlich eh schon ihre Sicht durchsetzen können.

Die Autorinnen schliessen, dass eine Klärung, was überhaupt unter Neutralität verstanden wird, notwendig wäre, um die Diskussionen im Bibliothekswesen weiterzuführen. (ks)


Pontis, Devendra Dilip ; Winberry, Joseph ; Finn, Bonnie ; Hunt, Courtney (2020). What is innovative to public libraries in the United States? A perspective of library administrators for classifying innovations. In: Journal of Librarianship and Information Science, 52(3), 792–805. https://doi.org/10.1177/0961000619871991 [Paywall], http://hdl.handle.net/1811/91766 [OA-Version]

Ist es sinnvoll und notwendig, dass, was in Öffentlichen Bibliotheken Innovation genannt wird, zu klassifizieren? Die Autor*innen dieser Studie tun dies auf der Basis der vom Urban Libraries Council’s vergebenen Preise für innovative Projekte US-amerikanischer Bibliotheken. Die Ergebnisse – eine Kategorisierung in Program, Process, Partnership und Technology – sind vielleicht nicht so spannend wie die Grundfrage: Was meinen Bibliotheken überhaupt, wenn sie Innovation sagen?

Der Artikel diskutiert, dass Bibliotheken an sich immer wieder die Bedeutung von Innovation diskutieren, dass aber wenig darüber nachgedacht wird, was genau das heisst. Bislang hätten Überlegungen dieser Art vor allem darin bestanden, Kategorien von Innovation aus anderen Bereichen für das Bibliothekswesen zu adaptieren, was allerdings den Eindruck hinterliess, dass dies wenig Erkenntnisfortschritt gebracht hat. Die Studie soll auf der Basis tatsächlicher Projekte aus dem Bibliothekswesen eine neue, passendere Kategorisierung liefern. Dazu wurden die genannten Daten – also ausgezeichnete Projekte – analysiert und codiert. (Dies könnte man im DACH-Raum auch mit den bekannten Preisen für innovative Projekte im Bibliotheksbereich reproduzieren.)

Aber dann, in der Diskussion dieser Ergebnisse, scheint nicht mehr klar zu sein, was diese neue Kategorisierung Bibliotheken genau bringen könnte: Weiss man so mehr, was Innovationen sind, wie sie durchgeführt werden, welche Sinn und Effekt die haben? Es wird behauptet, dass Bibliotheken den Artikel nutzen können, indem sie in diesem zitierte Beispiele anschauen – aber das könnten sie auch so mit den Preisträgern machen, ohne Kategorisierung. Sicherlich: Eine Studie dieser Art erarbeitet neues Wissen und muss nicht sofort klären, wozu dieses Wissen später genutzt wird. Aber dennoch hinterlässt es einen unfertigen Eindruck, so, als wäre das Thema Innovation in Bibliotheken gar nicht zu fassen. (ks)


Lawrence, E.E. (2020). On the problem of oppressive tastes in the public library. In. Journal of Documentation, 76 (2020) 5: 1091–1107, https://doi.org/10.1108/JD-01-2020-0002 [Paywall]

Soll bei der Beratung der Nutzer*innen immer deren Leseinteresse im Vordergrund stehen oder haben Bibliothekar*innen weitere Prinzipien zu beachten? Dieses Essay von E.E. Lawrence geht direkt die mögliche Konsequenz einer bibliothekarischen Praxis an, die vielleicht im DACH-Raum nicht so intensiv diskutiert und reflektiert wird wie in den USA, aber doch praktiziert wird: Die Empfehlung von Literatur durch die Bibliotheken.

Lawrence referiert sehr richtig, dass Bibliotheken einst den Anspruch hatten, die Nutzer*innen dabei zu unterstützen, einen literarischen Geschmack zu entwickeln und sich hinauf zu lesen, aber dass dieser Anspruch aufgegeben wurde. Die Interessen der Nutzenden stehen seit Jahrzehnten im Zentrum der Beratungsaktivitäten, das Ziel ist es heute, das Lesen an sich zu fördern. Dies steht aber unter Umständen, wie Lawrence auch richtig bemerkt, im Widerspruch zu anderen Zielen, die Bibliotheken befördern wollen, insbesondere Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Der Autor geht dies mit der Diskussion einer hypothetischen Nutzerin an, die gerne Romance Novels liesst, in denen die Handelnden Personen alle Weiss sind. Soll die Bibliothek jetzt den Anspruch aufgeben, Diversität zu befördern und dieser Nutzerin nur solche Bücher empfehlen?

Lawrence löst dieses Problem, indem er – angelehnt an feministische Kritik – klar trennt zwischen den Interessen dieser Nutzerin. Einerseits wäre es vollkommen richtig, ihr Interesse an Romance Novels zu beachten, aber es wäre falsch oppressive tastes, hier Rassismus, zu unterstützen. Die Bibliothek soll nicht zum Lesen guter Literatur erziehen, aber sie kann den eigenen Anspruch, ein Ort der Demokratie und für alle zu sein, nicht einlösen, indem sie Vorlieben unterstützt, die gleichzeitig Unterdrückungsverhältnisse reproduzieren. Der Essay sagt noch nicht, was genau das praktisch heissen würde. Aber die Diskussion sollte auch im DACH-Raum aufgenommen werden. Es ist klar, dass nicht beides geht: Den Geschmack der Nutzer*innen einfach als gegeben annehmen und gleichzeitig eine offenere, diversere Gesellschaft repräsentieren zu wollen. (ks)


Cole, Natalie ; Stenström, Cheryl (2020). The Value of California’s Public Libraries. In: Public Library Quarterly [Latest Articles], https://doi.org/10.1080/01616846.2020.1816054

Der Grund, diesen Artikel zu besprechen, sind nicht die konkreten Ergebnisse, sondern die Fragestellung. Cole und Stenström beschreiben in ihm einen Ansatz, um den Wert von Öffentlichen Bibliotheken zu messen beziehungsweise nachzuweisen. Sie tun das, indem sie (a) zuerst ökonomische und soziale Werte trennen, dann (b) auf der Basis von Literatur, Daten und Interviews einen längeren Abschnitt dazu formulieren, wo die Bibliotheken in Kalifornien Einfluss hätten und dann (c) jede dieser Aussagen noch einmal argumentativ ausbreiten.

Der Eindruck, den dieser Text hinterlässt, ist, dass man das alles schon mehrfach gelesen hat. Mit leicht anderen Foki und Daten, aber grundsätzlich ähnlich. So oft schon wurde versucht, den Wert von Bibliotheken nachzuweisen. Noch öfter hört man von Projekten, in denen das angestrebt wurde, die dann aber einschlafen, abgebrochen werden, keine Erwähnung mehr finden. Dieses Projekt sticht hervor, weil es beendet wurde. Aber die Frage, die es aufwirft, ist: Warum? Warum wird immer wieder nach dem Wert der Bibliotheken gefragt? Reichen die bisherigen Nachweise nicht? Wem reichen sie nicht? Sind sie nicht überzeugend? Oder wird so versucht, ein (angenommenes) Problem zu lösen, das vielleicht gar nicht existiert? Oder eines, das nicht so gelöst werden kann?

Der Text vermittelt den Eindruck, dass es notwendig wäre, endlich einmal weiter zu gehen: Bibliotheken haben unterschiedliche positive Einflüsse. Das ist jetzt oft genug gezeigt und argumentiert worden. Was jetzt? (ks)

3. Monographien und Buchkapitel

Killick, Selena ; Wilson, Frankie (2019). Putting Library Assessment Data to Work. London: facet publishing, 2019

Der Titel des Buches und auch das Vorwort verspricht zu diskutieren, wie Bibliotheken all die Daten, die sie über die Nutzung und die Interessen von Nutzenden schon sammeln, einsetzen können, um sich zu entwickeln. Das stimmt aber nicht. Vielmehr liefert das Buch, jeweils mit kurzen Einleitungen und dann case studies genannten Berichten aus einzelnen Bibliotheken, mit welche Methoden (nationale oder lokale Umfragen, Interviews und ähnliches) vor allem Bibliotheken aus Grossbritannien versuchen zu verstehen, welche Interessen ihre Nutzenden haben. Das eigentliche Thema, nämlich wie die Ergebnisse dieser Umfragen et cetera in die Arbeit der Bibliotheken umgesetzt werden, bleibt sehr skizzenhaft. Der Fokus liegt eher darauf, wie die Instrumente (also Fragebögen und so weiter) konstruiert und wie die Daten nachher dargestellt werden.

Bestimmt ist das für Bibliotheken, die darüber nachdenken, auch ein regelmässiges Assessment einzuführen, eine hilfreiche Sammlung. Aber am Ende hinterlässt das Buch einen schlechten Eindruck: Nicht nur wird vor allem die Sammlung von Daten diskutiert, nicht ihre Nutzung. Es gibt auch keine Diskussion der Grenzen einen solchen Vorgehens. Weder werden die Grenzen der einzelnen Methoden bedacht noch diskutiert, ob die Vorstellung, dass, wenn man nur richtig fragen würde, die Nutzenden alle sagen würden, wie die Bibliothek perfekt werden kann, überhaupt stimmen kann. Es ist eine ganz eingeschränkte Sicht darauf, wie Bibliotheken funktionieren und wie Bibliotheksnutzung funktioniert – eine, die von anderen Autor*innen wohl als neoliberal beschrieben würde.

Interessant ist aus dem Vorwort zu lernen, dass es zwei Konferenzserien zum Library Assessment gibt: LibPMC – International Conference on Performance Measurement in Libraries (seit 1995, eher in Grossbritannien, https://libraryperformance.org/) und Library Assessment Conference (seit 2006, in den USA, https://www.libraryassessment.org/). (ks)


Henry, Jo ; Eshleman, Joe ; Moniz, Richard (2018). The Dysfunctional Library. Challenges and Solutions to Workplace Relationships. Chicago: ALA Editions, 2018

Henry, Jo ; Eshleman, Joe ; Moniz, Richard (2020). Cultivating Civility: Practical Ways to Improve a Dysfunctional Library. Chicago: ALA Editions, 2020

Die beiden Bücher von Henry, Eshleman und Moniz sind aufeinander bezogen. Das erste Buch schildert vor allem Probleme und ist dafür hervorzuheben, dass es zeigt, wie schlecht die Arbeitsbedingungen in einigen Bibliotheken (in der USA, aber wohl auch darüber hinaus) sind. Dysfunctional wird hier eine Bibliothek genannt, wenn die Arbeit das Personal krank macht, die persönlichen Beziehungen im Personal und zwischen Personal und Management unerträglich schlecht sind und die normale Arbeit dem Personal Angst macht. Es ist wichtig, dass dies angesprochen wird, auch um verständlich zu machen, dass dies kein Problem in einer Bibliothek ist, sondern in viel zu vielen Bibliotheken vorkommt. Es eröffnet die Möglichkeit, darüber nachdenken, was zu ändern wäre, damit die Bibliothek nicht dysfunktional ist.

Das zweite Buch möchte Lösungen für diesen Zustand anbieten. Grundsätzlich wäre das zu begrüssen, aber am Ende verbleiben die Lösungen dabei, alle Beteiligten zu ermahnen, sich klar zu werden, wer sie sind und sein wollen, wer die anderen sind und was sie wollen und sich ansonsten zu bemühen, zivil miteinander umzugehen. Dazu werden viele, viele einzelne Techniken benannt – also kleine Übungen, Strategien und so weiter. Richtig ist wohl, dass diese unterteilt werden in Techniken für Individuen, Teams, Führungskräfte und Organisation. Das alles hinterlässt aber einen unzureichenden Eindruck: So, als wäre alles nur eine Frage des Wohlverhaltens aller, nicht ein systematischen Problem. Irritierend ist, dass die Autor*innen sehr wohl mit aktueller, kritischer Literatur zum Bibliothekswesen und der Arbeit in ihm vertraut sind: Vocational awe wird genauso eingeführt wie Literatur zur Geschichte der Desegregation von Bibliotheken [siehe weiter unten in dieser Kolumne] und andere Themen. Das ganze Buch hinterlässt den Eindruck, bei allen guten Vorsätzen, sich nicht an Lösungen zu trauen, die über individuelle Verhaltensänderungen hinausgehen – ein wenig, wie man sich den US-amerikanischen Liberalismus vorstellt: Nicht zum Beispiel die gewerkschaftliche oder gesellschaftliche Organisation soll eine Veränderung herbeiführen, sondern immer nur die einzelnen Individuen.

Zu erwähnen ist aber auch, dass beide Bücher beim Verlag der ALA erschienen sind und dass damit der US-amerikanische Verband auch eine Position bezüglich der Arbeitskultur in Bibliotheken bezieht: Sie soll das Personal nicht kaputt machen und muss dafür auch erst einmal thematisiert werden. (ks)


Miles, Malcom (2015). Limits to Culture: Urban Regeneration vs. Dissident Art. London: PlutoPress, 2015

Mörsch, Carmen (2019). Die Bildung der A_n_d_e_r_e_n durch Kunst: Eine postkoloniale und feministische historische Kartierung der Kunstvermittlung (Studien zur Kunstvermittlung; 2). Wien: Zaglossus, 2019

Diese beiden Bücher handeln gar nicht direkt von Bibliotheken (auch wenn der britische Public Libraries Act von 1850 jeweils erwähnt wird), aber sind doch relevant, weil sie den Einsatz von Kunst zur Regenerierung von Städten (Miles 2015) thematisieren beziehungsweise den Einsatz von Kunst zur Hebung der unteren Schichten seit dem 19. Jahrhundert (Mörsch 2019), beide mit einem Fokus auf Grossbritannien. Beide Themen sind miteinander verwoben – und es sind solche, auf die sich Öffentliche Bibliotheken immer wieder beziehen, wenn sie sich zum Beispiel heute als Orte beschreiben, wo sich Communities bilden oder solche, die mit verschiedenen Angeboten Menschen erreichen wollen, die sonst nicht in die Bibliothek kommen. Beide Bücher zielen nicht auf Antworten, sondern problematisieren eher. (Miles betont sogar, dass er zu dem Teil der Universität gehört, die neue Fragen aufwerfen, nicht so dem, der gleich Lösungen bietet.)

Mörsch zeigt, wie die Entwicklung von Kunstmuseen in Grossbritannien und die dazugehörige Pädagogik letztlich immer wieder der Idee folgte, den jeweiligen Anderen der britischen Gesellschaft zu erziehen, emporzuheben zu den Ideen des Mittelstandes. Auch, wie dies von ernsthaften Bemühungen gekennzeichnet war, nicht von Zynismus, und wie viele Mittel dafür eingesetzt wurden. Gleichzeitig zeigt sie aber auch, dass die Erfolge – gemessen an der Idee, so eine ausgeglichene Gesellschaft zu schaffen, in der Widersprüche aufgehoben würden, ohne sie eigentlich anzugehen – mindestens zweifelhaft sind, aber gleichwohl im Denken von Kunstmuseen immer wieder neue Gruppen zu Anderen erklärt wurden, an denen zu arbeiten sei. Der Misserfolg zeitigte also eher eine Weiterentwicklung, nicht ein Überdenken.

Miles thematisiert Strategien, die eingesetzt werden – oder wurden, er äussert immer auch, dass die Zeit langsam vorbei sei –, um Städte und Teile von Städten mittels Kunst und vor allem Kunstmuseen, die gleichzeitig partizipativ agieren und Communities bilden sollen, zu beleben. Einerseits zeigt er, dass diese Strategien eher Fragen als Lösungen aufwerfen. Insbesondere, dass viele dieser Museen und Projekte scheitern, ohne dass das Einfluss auf folgende Projekte zu haben scheint (so wird immer wieder das Guggenheim in Bilbao als Beispiel für gelungene Wiederbelebung gewählt, während die Stadt weiterhin eine sinkende Zahl an Einwohner*innen hat). Auch, dass immer wieder angeführte Beispiele für die Entstehung neuen Communities bei näherer Betrachtung gerade das nicht getan haben, sondern eher soziale Unterschiede verstärkt haben (das gilt für Agora genauso wie für Gärten in viktorianischen Städten). Warum wird das dennoch immer wieder als Begründung für die Neugründung von Museen oder partizipative Programme dieser Museen genutzt? Auch hier wäre es leicht, von Zynismus auszugehen, aber Miles zeigt in einem Kapitel, in welchem er Besuche zu solchen Museen schildert auch, dass manchmal ihre Architektur – deren Grundsätzen moderne Bibliotheksbauten auch folgen – absurd erscheinen, aber die Museen selber sich ernsthaft bemühen, die Kunst in ihnen tatsächlich oft gut ist und das Personal engagiert ist. Das ist nicht das Problem.

Beide Bücher – Miles noch mehr als Mörsch, die noch eher historisch argumentiert – hinterlassen vor allem Fragen. Fragen zu Diskursen und Annahmen, die für Öffentliche Bibliotheken praktisch gleich gelten. Vor allem lernt man, wie wenig eigentlich gut begründet ist an solchen Diskursen, die Museums- und Bibliotheksarbeit heute prägen, wie viel davon aber auch Traditionen aufgreift, die unreflektiert reproduziert zu werden scheinen. Das ist bedenkenswert. (ks)


Wulf, Andrea (2012). Die Jagd auf die Venus: und die Vermessung des Sonnensystems. München: Bertelsmann, 2012.

Beim sogenannten Venustransit handelt es sich um eines der seltensten vorhersagbaren astronomischen Ereignisse. Dabei zieht der Planet Venus vor der Sonnenscheibe vorbei. Der letzte Venustransit war 2012, der nächste wird erst im Jahr 2117 erwartet. Für die Astronomen des 18. Jahrhunderts, die den Transit sowohl 1761 als auch 1769 beobachten konnten, war dies ein Ereignis von ungemeiner Bedeutung, denn es erlaubte es erstmals, die Entfernung der Erde von der Sonne zu bestimmen. Dafür war es jedoch nötig, viele Beobachtungen durchzuführen, die möglichst weit voneinander entfernt sein mussten. Also brachen aus ganz Europa Forschungsreisende in die entlegendsten Gebiete der Erde auf. James Cooks berühmte Reise, auf der er in Tahiti Halt machte und die Küsten von Neuseeland und Australien erforschte, war zur Beobachtung des Venustransits 1769 organisiert worden.

Andrea Wulf erzählt in ihrem Buch die Geschichte dieser Forschungsreisen und die Anstrengungen zur Berechnung der Entfernung zur Sonne. Dabei erfährt man gleichzeitig sehr viel über eines der ersten europaweiten Forschungsprojekte, das seine Forschungsdaten über alle Ländergrenzen hinweg teilte und so zu einem Ergebnis kam. Forscher aus Großbritannien, Frankreich, Russland, Deutschland, Österreich, Skandinavien und anderen Ländern – Katholiken, Jesuiten, Anglikaner und Protestanten – koordinierten ihre Aktivitäten und sammelten ihre Beobachtungen, um sie in der Summe auswerten zu können. Und dies, obwohl während des ersten Transits noch der Siebenjährige Krieg tobte und die Forscher auch nicht zuletzt durch gegenseitige Rivalität (sowohl persönlicher als auch nationaler Art) angetrieben wurden. (eb)

3.1 Über Bibliotheken (und Gesellschaft) in Frankreich

Soulé, Véronique (2019). De squat en squat, une bibliothèque de rue. Montreuil: Éditions Quart Monde, 2019

Bibliothèques de rue – Bibliotheken der Strasse – sind in Frankreich nicht selten. Sie werden vor allem von Freiwilligenorganisationen angeboten, die Menschen in Armut, Sans Papiers oder ähnlich Entrechtete unterstützen. Dieses kleine Heft stellt eine dieser Bibliotheken aus Marseille vor, welche von der katholischen Organisation ATD Quart Monde, die sich gegen extreme Armut engagiert, angeboten wird. Es ist in deren Publikationsreihe erschienen, insoweit auch Darstellung der eigenen Arbeit nach aussen. Verfasst von einer Journalistin liesst es sich als Reportage.

Grundsätzlich funktionieren bibliothèques de rue so, dass Freiwillige regelmässig dort, wo Menschen in Armut leben, vorbeikommen und gemeinsam mit den dortigen Kindern lesen. Dies passiert oft im Freien, auf Decken (daher der Name), offenbar auch verbunden mit Ritualen wie Anfangs- und Endliedern. Die vorgestellte Bibliothek ist basiert im lokalen Haus von ATD Quart Monde und folgt Familien von Roma, die keinen Aufenthaltsstatus in Frankreich erhalten und deshalb immer wieder – mit Unterstützung durch die Zivilgesellschaft – Häuser besetzen, um eine Wohnung zu haben. Diese müssen sie ebenso regelmässig verlassen, die Bibliothek folgt ihnen zu den neuen Wohnungen. (Daher der Titel des Buches, squat ist ein besetztes Haus.) Die Publikation setzt das als bekannt voraus und schildert in drei Teilen stattdessen, was bei den wöchentlichen Veranstaltungen geschieht, stellt eine Zahl von Freiwilligen vor und präsentiert die Sicht der Eltern, deren Kinder von dieser Einrichtung profitieren. Alles sehr positiv, was aber bei dieser Art von Publikation zu erwarten ist.

Grundsätzlich interessant für das Publikum im DACH-Raum dürfte sein, dass diese Form von Unterstützung seit mindestens den 1980er Jahren in Frankreich etabliert ist – auch in unterschiedlichen Formen, Zusammenhängen und Organisationsformen der Zivilgesellschaft. Diese Buch stellt nur eine dieser Bibliotheken vor. (ks)


Rose, José (2020). Des bibliothèques pour Marseille: en finir avec l’indolence. Marseille: Éditions Gaussen, 2020

Das Erstaunlichste an diesem Buch ist wohl, dass es überhaupt existiert. Der Autor ist weder Bibliothekar noch Journalist, sondern emeritierter Soziologie-Professor der Universität in Marseille und Mitglied der Vereinigung der Nutzer*innen der Öffentlichen Bibliotheken. Letztere versteht sich nicht unbedingt als Freundeskreis, sondern offenbar eher als Pressure-Group, welche die Mitbestimmung der Nutzer*innen an der Bibliotheksentwicklung sicherstellen will. Eine solche Gruppe gibt es im DACH-Raum wohl nicht. (Wohl deshalb ist es auch in einem Verlag, der vor allem lokale Literatur aus Marseille und Umgebung verlegt, publiziert.)

Die Situation der Bibliotheken in Marseille wird hier als krisenhaft bezeichnet. Der Autor formuliert zuerst, warum Bibliotheken wichtig seien sowie dass und wie sie sich permanent verändern würden. Anschliessend stellt er die Situation in Marseille dar und im letzten Kapitel nennt er Entwicklungen, welche seiner Meinung nach notwendig wären. Dabei klingt er in grossen Teilen wie ein Propagandist der Bibliotheksverbände: Alle Themen, alle Stichworte, die sich über die Bedeutung und Entwicklung von Bibliotheken in den Papieren der Verbände finden, finden sich auch bei ihm wieder (das sind ähnliche wie im DACH-Raum, auch wenn die Bedeutung des Lesens und der Leseförderung sowie die Bibliothek als Ort der gelebten Demokratie in Frankreich noch eher hervorgehoben wird). Die Probleme in Marseille zeigt er anhand sinkender und, im Vergleich zu anderen Bibliothekssystemen in Frankreich, niedriger Nutzungs- und Etatzahlen. Zudem erwähnt er – und vielleicht ist das Buch deshalb von ihm geschrieben worden, weil er in der Position ist, dies offener zu äussern – interne Probleme: Die Leitung der Bibliotheken würde immer wieder ausgetauscht, die interne Kommunikation sei schlecht, das Personal würde immer wieder demotiviert.

Dabei erfährt man aber auch, dass Krise immer relativ ist. In Marseille – mit rund 860.000 Einwohner*innen – gibt es neun Öffentliche Bibliotheken (im Buch noch acht, die neunte wurde im Oktober 2020 eröffnet). Allein so ein Netz kann kaum eine Stadt im DACH-Raum vorweisen. Daneben gibt es aber weiterhin die Stiftung Office central des bibliothèques, welche 33 Quartierbibliotheken, 20 Spitalbibliotheken, eine Kinderbibliothek und eine Ludothek (in einem Spital) betreibt sowie eine Association culturelle d’espaces lectures et d’écriture en Méditerranée, welche acht Lesesäle unterhält. Letztere und die Öffentlichen Bibliotheken betreiben auch viele Angebote ausserhalb der eigenen Räume, vor allem in Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen. (Die bibliothèque de rue aus Marseille, welche im weiter oben besprochen Buch vorgestellt wird, ist hier noch nicht mal erwähnt.) An Bücher oder Raum zum Lesen zu gelangen, scheint in Marseille nicht schwierig zu sein, auch wenn die Verteilung der Räume über die Stadt ungleichmässig und das Stadtzentrum bevorzugt ist.

Der Autor des Buches verlangt trotzdem eine Entwicklung der Bibliotheken. Für ihn ist es vor allem eine Frage von Entscheidungen auf politischer Ebene, wie sich die Bibliotheken entwickeln können. Er fordert von der Politik einen klaren Plan zur Entwicklung der Bibliotheken, eine bessere Zusammenarbeit aller Akteur*innen sowie eine Beachtung von Entwicklungen im Bibliothekswesen anderer Länder. Bei letzterem ist er wenig innovativ: Geschaut werden soll nach Skandinavien und in die USA. Alle Konzepte und Begriffe, die im DACH-Raum aus diesen Ländern übernommen werden, werden auch bei Ihm aufgegriffen. Das erstaunliche an dieser Aufzählung ist, dass sie keine Lösung für die Probleme, die zuvor im Buch aufgezählt werden, darstellen. Der Dritte Ort, der zum Beispiel auch erwähnt wird, wird die internen Probleme der Bibliotheken, die der Autor als relevant erachtet, zum Beispiel nicht tangieren. Das Buch ist engagiert und man ist verwundert, dass sich jemand von ausserhalb des Bibliothekswesens so sehr für deren Entwicklung interessiert. Aber herausragend neue Ideen werden in ihm nicht entwickelt. (ks)


Bobis, Laurence (Hrsg.) ; Gouttebaron, Sylvie (Hrsg.) ; Alphant, Marianne ; Bergounioux, Pierre ; Durif, Eugène ; Farge, Arlette (2018). Des écrivains à la bibliothèque de la Sorbonne. Paris: Éditions de la Sorbonne, 2018

Bobis, Laurence (pres.) ; Gouttebaron, Sylvie (pres.) ; Cosnay, Marie ; Galea, Claudine ; Rebotier, Jacques ; Taillandier, Fanny (2019). Des écrivains à la bibliothèque de la Sorbonne - 2. Paris: Éditions de la Sorbonne, 2019

Die Bibliotheken der Sorbonne haben sich mit dem Literaturhaus in Paris (La maison des écrivains et de la littérature) zusammengetan und bislang zwei kleine Bücher herausgegeben, in welchem je vier Schriftsteller*innen einen Text über ein Buch aus diesen Bibliotheken publizieren sollen. [Anmerkung: Das dritte Buch dieser Reihe ist unterdessen offenbar auch erschienen.] Diese Texte entstehen in einem längeren Arbeitsprozess, bei dem die Schreibenden und die beiden Institutionen zusammenarbeiten und bei denen manchmal auch vom eigentlichen Thema abgeglitten wird. Das klingt sympathisch. Offensichtlich ist die Reihe darauf ausgelegt, jetzt jährlich zu erscheinen.

Grundsätzlich lesen sich die Bücher schnell und vergnüglich je an einem Nachmittag weg. Einige Texte sind sehr spezifisch, da sie sich tatsächlich auf genau ein Buch beziehen (beispielsweise Arlette Farge auf eine autobiographische Beschreibung der Erziehung bei den Jesuiten im 17. Jahrhundert), andere beziehen sich auf das Lesen an sich (beispielsweise der Text von Marie Cosnay), wieder andere auf die Sorbonne selber (Pierre Bergounioux) oder die Unmöglichkeit, sich in diesen Bibliotheken nur ein Buch auszusuchen (Jacques Rebotier). Teilweise hat dies auch Längen, wenn das Thema nicht interessant scheint. Gleichzeitig bringen die Schreibenden ihre Kompetenzen ein: teilweise mit poetischer Sprache, teilweise mit doppeldeutiger oder sehr überlegter.

Ein wenig hinterlassen die Bücher aber dann schon den Eindruck von Mitbringseln aus dem Souvenirshop für Literaturinteressierte, die beim Paris-Besuch nicht dabei waren – schon solche, die der Rezensent gerne und dankend entgegennehmen (oder selber mitbringen) würde, aber auch solche, die wenig längerfristigen Eindruck hinterlassen. (ks)


Agié-Carré, Sophie (Hrsg.) (2018). Seniors en bibliothèque (Collection Médiathèmes, 21). Paris: Association des Bibliothécaires de France, 2018

Weniger beachtet, als es das Thema verdient hätte, hat sich in den Öffentlichen Bibliotheken in den letzten Jahren die Arbeit für Senior*innen einigermassen etabliert. Es kommt in der Realität wohl mehr vor als in der bibliothekarischen Literatur. Insoweit ist dieser Sammelband aus französischen Bibliotheken, der diese Arbeit auch einmal darstellt, notwendig. Er zeigt, dass es viele Bibliotheken gibt, die immer wieder ähnliche – aber dadurch ja nicht weniger sinnvolle – Angebote für diese Altersgruppe machen. Im Band werden viele Einzelbeispiele dargestellt (wobei offenbar darauf geachtet wurde, Bibliotheken und Bibliothekssysteme mit verschiedenen Voraussetzungen, und gerade nicht nur aus Grossstädten, einzubeziehen). Umrahmt wird es von zwei allgemeineren Kapiteln, die in das Thema einführen und die Erfahrungen zusammenfassen. Kritisch ist zu sehen, dass viele Angebote defizitorientiert sind: Es wird davon ausgegangen, dass Senior*innen etwas fehlt (beispielsweise digitale Kompetenzen) und dass die Bibliotheken dieses fördern müssten. Die Interessen und das vorhandene Wissen von Senior*innen selber stehen weniger im Fokus. Im Grossen sind das Buch und die vorgestellten Angebote aus Bibliotheken relativ konventionell, was aber vielleicht auch zeigt, dass diese nicht unbedingt neu sein müssen, sondern vor allem gut für die angesprochenen Senior*innen. (ks)

3.2 Bibliotheksgeschichte

Müller, Hans-Peter (2020). Umerziehung durch rote Bibliotheken: SED-Bibliothekspolitik 1945/46 bis zum Ende des 1960er Jahre. Berlin: Simon Verlag für Bibliothekswissen, 2020

Erklärtermassen soll sich dieses Buch mit der Bibliothekspolitik SBZ und DDR während eines Zeitraumes von 15 Jahren beschäftigen. Wäre das so, würde das Buch wohl einen Beitrag zur Bibliotheksgeschichte leisten, da diese Zeit und dieses Land bislang wenig – aber auch nicht nie – beachtet wurden. Aber das tut es nicht. Vielmehr scheint der Autor gedanklich den Kalten Krieg immer noch nicht verlassen zu haben: Es scheint ihm eher darum zu gehen, die DDR und deren Bibliothekspolitik zu diskreditieren als eine kontextualisierte Geschichte zu präsentieren. Das führt am Ende trotzdem zu einigen Erkenntnissen und liefert auch eine gewisse Übersicht über einige bibliothekspolitische Prozesse. Aber letztlich ist es nicht hilfreich, um zu verstehen, was in diesen Jahren in diesem Land in Bibliotheken oder dessen Bibliothekspolitik passierte.

Schon der Aufbau des Buches zeigt das Ziel: Das erste Drittel wird genutzt, um den Richtungsstreit im deutschen Volksbibliothekswesen in den 1910ern bis 1930ern sowie die Bibliothekspolitik im Nationalsozialismus zu schildern. Sicherlich muss bei Geschichtsschreibung ein Kontext geliefert werden, aber dieser hier ist gesucht: Es geht dem Autor darum, eine Kontinuität von der Position Walter Hoffmanns im Richtungsstreit über den Nationalsozialismus zur DDR zu zeigen und nicht zum Beispiel darum, die Entwicklungen von 1945 bis 1960 so darzustellen, dass Entwicklungsrichtungen gezeigt würden, die auch genommen hätten werden können.

Die Hauptthese des Autors ist, dass Hoffmann und die neue Richtung im Richtungsstreit eine extrem totalitäre Form der Bibliotheksarbeit etabliert hätten, an die dann im Nationalsozialismus angeschlossen und die dann auch in der DDR weitergeführt worden wäre. Eine Sache, auf die er dabei fokussiert, ist die empfehlende Bibliographie (Auswahllisten, die den Leser*innen vorgelegt wurden, um ihre Lektüre auf ein Ziel hin zu orientieren), die bei Hoffmann eingeführt worden sei, um die Leser*innen zu lenken und die dann im Nationalsozialismus und auch in der DDR weiter benutzt worden wären. Damit hätten die Bibliotheken nicht einen liberalen Zugang zu Medien gewährt, sondern Lektüre explizit gesteuert. Aber damit diese These irgendeinen Wert erhält, hätte sie getestet werden müssen: Ist die empfehlende Bibliographie tatsächlich etwas, was das Bibliothekswesen in Diktaturen auszeichnet? (Dieses Test wäre negativ ausgefallen. Sie wurden beispielsweise in der Arbeit katholischer Bibliotheken in Deutschland ebenso eingesetzt wie in Bibliotheken in anderen politischen Systemen.) Auch hätte der Kontext breiter gefasst werden müssen, insbesondere hätte die Bibliothekspolitik in der BRD geschildert werden müssen und die anderen Bibliotheksformen, die Anfang des 20. Jahrhunderts existierten, nicht nur die Volksbibliotheken. Nur dann wäre sichtbar, ob die Entwicklung in der DDR besonders (und diktatorisch, wie der Autor unterstellt) war oder nicht. (Dabei würde die These aber scheitern, weil die Kontinuität, die der Autor für das Bibliothekswesen in der DDR behauptet, zum Beispiel auch in der BRD vorhanden war.)

Über weite Strecken nennt der Autor dann bibliothekspolitische Entscheidungen und referiert bibliothekarische Konferenzen, die in der SBZ und der DDR stattfanden und die, wie der Autor richtig bemerkt, selbstverständlich nicht dem Wissensaustausch dienten, sondern Versuche waren, Anweisungen über die Arbeit in Bibliotheken weiterzugeben. Er beschreibt sie als Zwang und Versuch, das Bibliothekswesen in der DDR dem in der Sowjetunion anzupassen. Abschliessend stellt er aber fest, dass die Entwicklung in der DDR sich viel mehr auf Traditionen des deutschen Bibliothekswesens bewegte, als das sie von aussen (hier von der Sowjetunion) beeinflusst worden wären. Das ist dann tatsächlich die relevante Erkenntnis, die zum Beispiel zu Fragen führen könnte, ob eine solche Pfadabhängigkeit auch in den Bibliothekswesen anderen Länder zu finden ist.

Aber durch seinen Fokus, die DDR und deren Bibliothekssystem von vorneherein als diktatorisch zu beschreiben und in der Kontinuität mit dem Nationalsozialismus stellen zu wollen (was sich zum Teil bis in die Terminologie zeigt), schafft es der Autor kaum, tatsächliche Besonderheiten oder Entwicklungen, die spezifisch für der DDR wären, aufzuzeigen. Der Fokus auf Bibliothekspolitik führt dazu, dass vor allem der Ablauf von Regelungen, Gesetzen und Anweisungen geschildert wird.

Ganz am Anfang erwähnt der Autor, dass 1964 schon ein Buch von Martin Thilo zum Bibliothekswesen in der SBZ/DDR erschien [Martin Thilo (1964). Das Bibliothekswesen in der sowjetischen Besatzungszone (Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutschland). Bonn ; Berlin: Deutscher Bundes-Verlag, 1964], welches schon einen guten – wenn auch selber nicht von Polemik freien – Einblick in dessen Entwicklung gibt. Das ist auch so. Letztlich hat der Autor diesem älteren Werk wenig hinzugefügt, das Buch von Thilo ist weiterhin eine bessere Quelle. (ks)


Wiegand, Wayne A. ; Wiegand, Shirley A. (2018). The Desegregation of Public Libraries in the Jim Crow South: Civil Rights and Local Activism. Baton Rouge: Louisiana State University Press, 2018

Dieses Buch zeigt zum ersten Mal in einem breiten Überblick für alle Südstaaten in den USA, wie die Öffentlichen Bibliotheken im Zuge der Bürgerrechtsbewegung Mitte der 1960er Jahre integriert – also die Rassentrennung beim Zugang zu bibliothekarischen Diensten aufgehoben – wurden. Sichtbar wird dabei, dass Bibliotheken explizit Teil dieser Geschichte sind, auch wenn zum Beispiel die Integration von Schulen mehr im Fokus der Geschichtsschreibung steht. Die Bürgerrechtsbewegung der 1960er hatte die Bibliotheken immer mit im Blick.

Gleichzeitig zeigt die Übersicht auch, wie unterschiedlich die Integration lokal gehandhabt wurde, was ebenso nicht nur für Bibliotheken gilt: Teilweise waren Proteste und Sit-Ins notwendig, um die Integration zu erzwingen, die dann teilweise gewalttätig beantwortet wurden. Teilweise fand die Integration still statt, also ohne Proteste. Es hing immer von den lokalen Strukturen ab, insbesondere davon, wie stark der Rassismus in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft verankert war.

Nach einem einführenden Kapitel zur Bürgerrechtsbewegung und deren Aktionsformen im Allgemeinen geht das Buch jeden einzelnen südlichen Bundesstaat durch und präsentiert einzelne Fälle. Auch dabei zeigt sich, dass die Spannweite innerhalb eines Bundesstaats grösser war als zwischen ihnen. Oft werden Sit-Ins geschildert, die den Ausschlag zur Integration gaben: Fast immer Jugendliche, auch schon 13-Jährige, betraten die weisse Bibliothek und verlangten, dort Mitglied zu werden, was ihnen verweigert wurde. Dann setzten sie sich an Tische und begannen zu lesen, bis sie verhaftet wurden. Diese Proteste wurden dokumentiert und skandalisiert. Über kurz oder lang führten solche Proteste dazu, dass alle Bibliothekssysteme integriert wurden – teilweise über absurde Zwischenstufen, beispielsweise wurden oft für eine Probezeit Tische und Stühle entfernt, um zu schauen, ob eine Integration möglich wäre. In seiner Ansammlung liest sich das mitunter ermüdend, weil sich die Argumente, Strategien und Protestformen wiederholen. Aber selbstverständlich war jeder Protest notwendig, jede Teilnahme an einem solche Sit-In mutig und ist es somit auch richtig, diese sichtbar zu machen. Gleichzeitig versucht das Buch, die Geschichte der Desegregation der Bibliotheken mit der US-amerikanischen Geschichte zu verbinden: Wann immer jemand, die oder der später wichtige Posten in Parlament, Bundesgerichtshof oder anderen relevanten Institutionen eingenommen hat oder aber in der Bürgerrechtsbewegung aktiv war und gleichzeitig mit diesen Bibliotheken in Zusammenhang gebracht werden kann – weil er oder sie an den Protesten beteiligt war oder durch diese Proteste Zugang zu Bibliotheken erhielt –, wird dies erwähnt. Dies hinterlässt teilweise den Eindruck, dass nur diese Personen, die später andere wichtige Positionen einnahmen, relevant gewesen wären. Zum Teil überschreibt damit der pädagogische Impetus leider die Geschichte der Personen, die lokal aktiv waren, aber nach dem Erreichen der Integration Karrieren machten, die nicht so beeindruckend klingen.

Relevant für die heutige Zeit ist das letzte Kapitel, welches sich mit der Haltung der American Library Association beschäftigt: Es zeigt, dass die ALA sich praktisch nicht engagierte, zumindest nicht offiziell. Während sie sich in anderen Bereichen gegen Zensur einsetzte und in anderen Ländern mittels Bibliotheksprojekten Demokratie förderte, schwieg sie praktisch zur Segregation in den Südstaaten und nahm beispielsweise sowohl Verbände auf, die segregiert waren also auch solche, die integriert waren. Es waren bibliothekarische Publikationen ausserhalb des Verbandes, die das erst als Skandal thematisierten. Zudem gab es Bibliothekar*innen, die unter der Hand Hilfe anboten. Aber als Verband war die ALA tunlichst darauf bedacht, sich nicht zu engagieren. (ks)


Pettegree, Andrew ; der Weduwen, Arthur (2019). The Bookshop of the World. Making and Trading Books in the Dutch Golden Age. New Haven; London: Yale University Press, 2019

Diese umfassende Geschichte von Druckgewerbe und Buchhandel der Niederlande im 17. Jahrhundert baut auf zwei Argumenten auf: (1) Der rasante Aufstieg zur grössten Buchhandelsnation in diesem Jahrhundert basierte darauf, dass in den Niederlanden der Zwischenhandel – also das Importieren und Exportieren von Druckwerken – etabliert und damit eine internationale Rolle eingenommen wurde. Dies basierte auf einem grossen und schnell wachsenden heimischen Markt für Printprodukte, auf dem schnell das notwendige Kapital für die Etablierung dieses Zwischenhandels erwirtschaftet werden konnte. (2) Ein Grossteil dieses heimischen Marktes ist heute nur noch indirekt nachweisbar. Die heute noch vorhandenen Druckwerke aus den Niederlanden des 17. Jahrhunderts liefern ein falsches Bild davon, wie dieser Markt tatsächlich aussah.

Das Buch beschreibt umfassend, immer eingebunden in die niederländische Geschichte selber, wie dieser Markt – mit Druckereigewerbe, Buchhandel und angrenzenden Berufen – wuchs und auch über Krisen hinweg lange eine gute Position behielt. Es beginnt mit der erfolgreichen Revolte gegen die spanische Herrschaft (1581) und endet mit dem 17. Jahrhundert selber. In dieser Zeit hätte sich die Niederlande zu einem Land mit weit verbreiteter Alphabetisierung entwickelt (aus religiösen Gründen, da der Pietismus darauf basierte, dass alle Menschen die Bibel auch tatsächlich lesen sollten; wegen der direkten staatlichen Förderung des auf Handel und moderne Wirtschaft setzenden Staates; aber auch wegen der rasant zunehmenden Verschriftlichung von Verwaltung und Herrschaft in den Gemeinden selber). Zudem hätte der wirtschaftliche Aufschwung zu mehr frei verfügbaren Kapital geführt, auch bei der normalen Bevölkerung, so dass überhaupt ein ausreichend grosser Markt entstehen konnte.

Dies hätte dazu geführt, dass sich ein Markt für zahllose Druckwerke etablieren konnte, die zu einem grossen Teil ephemeren Charakter gehabt hätten: Zahllose Verlautbarungen des Staates, der Länder, der Gemeinden und so weiter, erste Zeitungen, politisch-religiöse Broschüren, die gerade in Krisenzeiten in grosser Zahl geschrieben und verbreitet wurden, Bücher für die wachsende Zahl an Schulen, religiöse Kleinliteratur (Liederbücher, Katechismen und so weiter), Selbsthilfebücher (Einführungen in die Mathematik, das Rechnungswesen, medizinische Ratgeber und so weiter) sowie billig produzierte literarische Werke, die sich die allgemeine Bevölkerung leisten konnte. Zudem etablierte sich schnell ein Second-Hand-Markt durch Auktionen. Diese ganzen Drucke lieferten, so die Argumentation, die finanzielle und infrastrukturelle Basis für grössere Projekte – sowohl Druckprojekte als auch den erwähnten Zwischenhandel auf europäischer Ebene. Insbesondere die Druckereien plus diese zulieferenden Gewerbe (zum Beispiel für Stiche), die für diese ganzen kleinen Aufträge aufgebaut wurden, konnten dann erst die Meisterwerke der Druckkunst hervorbringen, welche uns heute noch in zahlreichen Ausgaben vorliegen.

Was beide Autoren immer und immer wieder betonen, ist, dass die Werke der damaligen Zeit, die uns heute in Bibliotheken vorliegen, nicht die Werke sind, welche das hauptsächliche Publikationsaufkommen und die Nutzung von Druckwerken im 17. Jahrhundert in den Niederlanden ausmachten. Was auf uns überkommen ist, ist, was als sammelwürdig angesehen wurde. Vieles andere, was viel weiterer verbreitet war, ist fast vollständig verschwunden. Die Autoren zeigen dies immer wieder anhand von Werken, von denen uns aus späteren Auflagen noch ein Exemplar bekannt ist, von vorhergehenden Auflagen aber keines. Sie können auch immer wieder zum Beispiel aus Anzeigen oder Katalogen Hinweise auf Werke liefern, die heute gar nicht mehr vorliegen. An sich ist das nicht überraschend: Die Vorstellung, dass es Einrichtungen bräuchte, welche die gesamten Publikationen eines Landes sammeln müssten, etablierte sich bekanntlich erst Ende des 19. Jahrhunderts (und dann auch nie vollständig). Pettegree und der Weduwen zeigen noch einmal, dass deshalb eine umfassende Geschichte von Mediennutzung einer Epoche nur auf der Basis der Werke, die uns aus der Zeit zuvor überkommen sind, nicht möglich ist. (ks)


Kuttner, Sven ; Kempf, Klaus (Hrgs.) (2018). Buch und Bibliothek im Wirtschaftswunder: Entwicklungslinien, Kontinuitäten und Brüche in Deutschland und Italien während der Nachkriegszeit (1949-1965). (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, 63) Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2018

Dieser Band versammelt Beiträge, die auf einer Tagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Bibliotheks-, Buch- und Mediengeschichte von Autor*innen aus Deutschland und Italien gehalten wurden. Es ist eine sehr bunte Sammlung und zumindest in diesem Band – vielleicht nicht auf der Tagung selber – wurde leider versäumt das Potential, die Entwicklung in zwei Ländern zu vergleichen, zu nutzen. Die Beiträge stehen lose nebeneinander, ohne Bezug aufeinander zu nehmen oder auch nur inhaltlich das Gleiche zu behandeln, so dass auch ein indirekter Vergleich schwierig ist. Das Themenfeld ist sehr breit, was ebenso zum Eindruck einer gewissen Beliebigkeit beiträgt. Der Band beginnt mit einem Artikel (Christof Dipper), welcher diskutiert, ob der Begriff Wirtschaftswunder überhaupt für beide Staaten anzuwenden ist. Als Kontext ist das begrüssenswert, aber leider geht der Artikel selber nicht auf Buch- und Bibliothekwesen ein, gleichzeitig ist es der einzige, der wirklich einen Vergleich angeht.

Ansonsten sind die Beiträge auf Einzelfragen fokussiert. Für sich selber sind viele – aber nicht alle – interessant, einige sehr tiefgehend (beispielsweise Annemarie Kaindl und Maximilian Schreiber zum Plan, in München Staats- und Universitätsbibliothek in einem Gebäude zusammenzuführen), andere reissen eher oberflächlich längerfristige Entwicklungen an (beispielsweise Birgit Dankert zum Öffentlichen Bibliothekswesen in Deutschland, beginnende Ende der 1940er, aber ended bei Debatten, die auf die 1970er und 1980er vorausdeuten). Zudem konzentrieren sich, wie der Titel andeutet, die Autor*innen entweder auf das Bibliothekswesen oder das Buchwesen, beziehungsweise jeweils auf Teile davon. Der Rezensent fühlt sich inhaltlich nicht in der Lage, die Beiträge zum Buchwesen zu bewerten. Gleichwohl ist der interessanteste des Bandes, von Christine Haug zu Leihbuchromanen und Leihbuchroman-Verlagen, gerade aus diesem Bereich. Haug zeigt, dass auch der Bereich von kommerziellen Leihbüchereien und dem dort vertriebenen Lesestoffen einer historisch-kritischen Analyse bedarf und nicht einfach aus der Geschichte von Buch- und Bibliothekswesen ausgeschlossen oder gar, wie in den 1950ern noch üblich, als Massenware abgewertet werden darf.

Für den Bibliotheksbereich hervorzuheben sind die Beiträge von Klaus Kempf, Jürgen Badendreier und Sven Kuttner, die alle drei jeweils die Debatten innerhalb der Wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland in den späten 1940ern und 1950ern darstellen. Diese seien, so Kempf, kein Neuanfang gewesen, sondern dem Impetus des Wiederaufbaus verpflichtet gewesen: Es wurde an die konservative Kulturkritik der 1920er und 1930er Jahre angeschlossen, die einen Unterschied zwischen Geistigem und Materialismus postulierte. Der Nationalsozialismus wurde als Ergebnis des Materialismus, der Massenkultur und der zu wenigen Bildung bezeichnet. Mit naheliegenden Fragen (beispielsweise der Verstrickung des Bibliothekswesens mit dem nationalsozialistischen Regime oder der Frage, ob nicht gerade diese Kulturkritik mit den Nationalsozialismus überhaupt ermöglicht hätte) wurde sich nicht beschäftigt. Auswirkungen hatte das dahingehend – so alle drei Autoren –, dass die Universitätsbibliotheken vor allem Wert auf die Vollständigkeit des Bestandes legten, Forschung als langsame Tätigkeit imaginierten und so auch den Zugang zum Bestand gestalteten. Die Interessen von Studierenden und Forschenden wurden so nicht bedient. Deshalb – so wieder alle drei – wuchs die Bedeutung von Zweig-, Fakultäts-, Instituts- und andere Spezialbibliotheken, die von den Lehrstühlen selber getragen wurden und unabhängig von den Universitätsbibliotheken agierten. Erst die Universitätsneugründungen sowie der Generationenwechsel im Bibliothekswesen in den 1960ern und Akteure von ausserhalb des Bibliothekswesens erzwangen in den 1960ern und 1970ern eine Änderung. Die Beiträge verweisen implizit sehr richtig darauf, dass zum Beispiel Vorstellungen davon, wie Wissenschaft, Bildung und Lesen funktioniert, nicht einfach innerbibliothekarische Debatten sind, sondern konkrete Auswirkung auf die Form und Funktion von Bibliotheken und deren Nutzung haben.

Der Band enthält zahlreiche Beiträge zum italienischen Bibliotheks- und Buchwesen. Die Beiträge sind im Italienischen belassen worden und jeweils durch einen englischen Abstract ergänzt. Letztere sind leider manchmal schwer zu lesen und hinterlassen den Eindruck, in Grammatik und Wortschatz sehr vom Italienischen geprägt zu sein. Inhaltlich stellen diese Beiträge vor allem Übersichten dar, beispielsweise zur Entwicklung des italienischen Öffentlichen Bibliothekswesen oder des Bibliotheksverbandes. Dabei halten sich die Autor*innen oft eng an offizielle Quellen und liefern wenig Quellen- oder andere Kritik. Sie zeichnen vor allem das Bild einer stetigen, wenn auch steinigen, Entwicklung hin zum heutigen Zustand. (ks)


Wiederkehr, Ruth (2018). Lesen, schreiben, beten, heilen. Die Bibliothek des mittelalterlichen Klosters Hermetschwil (Murensia; 6). Zürich: Chronos Verlag, 2018

Eine ganze Anzahl Klöster oder Stiftungen, welche die Geschichte aufgehobener Klöster lebendig erhalten, geben Publikationsreihen zu dieser Geschichte heraus. Wieder in einer ganzen Anzahl dieser Reihen werden dann auch Hefte zur jeweiligen Bibliothek oder Büchern aus dieser veröffentlicht, was folgerichtig ist, schliesslich waren (und sind) diese Bibliotheken ein wichtiger Ort des Klosterlebens und repräsentierten Teile der eigenen Identität. [In der letzten Nummer dieser Kolumne wurde schon eine andere dieser Publikationen besprochen.]

Das Kloster Hermetschwil (Kanton Aargau), dessen mittelalterliche und frühneuzeitliche Bibliothek Thema der Publikation von Ruth Wiederkehr ist, besteht weiterhin. Die Sammlung wurde nicht, wie in vielen anderen Fällen, mit der Reformation oder einer staatlich dekredierten Aufhebung des Klosters beendet. Zudem wurde nicht, wie in anderen Fällen, nur die Auswahl einer Bibliothek überliefert, aus der ephemere Werke entfernt wurden. Sie enthält deshalb relativ viele Bücher für den alltäglichen Gebrauch – private Predigtensammlungen, Heilbücher und so weiter –, die in anderen Fällen wohl nach ausgiebiger Benutzung vernichtet wurden. Alle die Bücher dieser Bibliothek aus dem 12. bis 16. Jahrhundert sind digitalisiert auch bei e-codicies einzusehen (vergleiche Suche nach Hermetschwil, Benediktinerinnenkloster in Library/Collection unter https://www.e-codices.unifr.ch).

Wiederkehr geht deswegen in ihrer Publikation auch weniger auf die Materialität oder Ausgestaltung der Bücher ein, wenngleich das Heft reich bebildert ist. Vielmehr konzentriert sie sich darauf, sehr lebendig die Benutzung von Büchern im Kloster darzustellen. Es geht mehr um ihren Inhalt, vor allem der Kleinschriften, und das eigentliche Klosterleben, wie es sich aus diesen rekonstruieren lässt. Das alles basiert auf reichhaltiger Forschungsliteratur, ist aber durchaus für die breite Öffentlichkeit dargestellt. (ks)

4. Social Media

Twitter: #ShowYourBibOutift, https://twitter.com/hashtag/ShowYourBibOutfit?f=live

Ein Trend, bei dem wir uns ehrlich gesagt fragen, ob wir einfach zu alt dafür geworden sind oder ob wir es einfach don’t get it, der aber offenbar bei einer Anzahl Kolleg*innen beliebt ist, ist, unter dem Hashtag #ShowYourBibOutfit Fotos von sich selber zu posten und dabei zu zeigen, in welcher Kleidung man in der Bibliothek arbeitet. Hier und da gibt es kulturelle Anspielungen, selbstverständlich viele T-Shirts mit Verweisen auf das Lesen. Grundsätzlich scheint viel Legeres getragen zu werden. (ks)


Gutknecht, Christian: Der Schweizer 57 Mio EUR Elsevier Deal, 13.08.2020, https://wisspub.net/2020/08/13/der-schweizer-57-mio-eur-elsevier-deal/.

Herb, Ulrich: Open Access Transformation in Switzerland & Germany, 19.08.2020, https://scidecode.com/2020/08/19/open-access-transformation-in-switzerland-germany/.

57 Million Euro, so viel zahlen die Schweizer Hochschulen für den zunächst auf vier Jahre ausgelegten Vertrag mit Elsevier, der das Lesen sowie das Open-Access-Publizieren in Elsevier-Zeitschriften regelt. Gemeinhin werden solchen Konstrukte als Open-Access-Transformationsverträge bezeichnet, geht es doch – so zumindest das erklärte Ziel der Forschungseinrichtungen samt Bibliotheken – um die sukzessive Überführung von Zeitschriften in ein Open-Access-Geschäftsmodell. Dass der Schweizer Elsevier-Vertrag ein Open-Access-Transformationsvertrag ist, daran lässt das erste Resümee von Christian Gutknecht Zweifel aufkommen. Gutknecht legt die wunden Punkte (niedrige Anzahl de facto Open Access publizierter Artikel und für diese eine niedrige Quote an echter Open-Access-kompatibler Lizenzierung mit CC BY, Fortführung von double dipping, mangelnde Transparenz über Kosten für einzelne Schweizer Einrichtungen) und schließt nahezu resignativ mit: Man hat sich nun mit dem Geld 30 % OA bei Elsevier gekauft. Für die 100 % die swissuniversities bis 2024 erreichen will, muss aber noch sehr viel passieren.

Wenige Tage später nahm Ulrich Herb einen Vergleich des Schweizer Elsevier-Deals mit den deutschen DEAL-Verträgen für Wiley und SpringerNature vor: Er stellt die Eckdaten dieser drei Verträge vor sowie Details wie Standardlizenz, berechtigte Artikel und Kosten gegenüber und arbeitet abschließend Ähnlichkeiten und Unterschiede heraus. (mv)


TU Berlin – Architekturmuseum: Videoblog Sehstücke, https://architekturmuseum.ub.tu-berlin.de/index.php?p=659

Wie können Museen (oder auch andere auf Ausstellungsformate ausgerichtete Kultureinrichtungen) in der Pandemie-bedingten Zeit lang anhaltender Schließung beziehungsweise Nutzungseinschränkung ihre Bestände zugänglich machen? Digitalisierung, klar, das ist naheliegend, und vielerorts bereits erfolgt. Doch geht da noch mehr? Sehstücke heißt die Reihe, in der das Architekturmuseum der TU Berlin seit Mai 2020 im zweiwöchentlichen Rhythmus besondere Werke aus dem eigenen Bestand präsentiert: In Videos von circa fünf Minuten werden Detailaufnahmen der Objekte gezeigt und Details beziehungsweise Kontext zum Werk geliefert. (mv)


Springville Public Library: LOL * Social Distancing and Cleaning at Springville Public Library, YouTube 02.05.2020, https://youtu.be/HY2PkpIcbQo

Warum haben Bibliotheken eigentlich wegen Covid-19 geschlossen? Die Bibliothekar*innen der öffentlichen Bibliothek in Springville haben die hygienischen Bedenken szenisch umgesetzt. (mv)

5. Konferenzen, Konferenzberichte

2020 Virtual Library Publishing Forum (Library Publishing Coalition), 4.–8. Mai 2020, https://librarypublishing.org/library-publishing-forum/

Die Library Publishing Coalition ist eine vor allem, aber nicht nur, in den USA und Kanada basierte Vereinigung von Bibliotheken, welche gleichzeitig als Verlage agieren. Die Zahl derer, die im Verzeichnis der Coalition aufgeführt werden (https://librarypublishing.org/directory-year/directory-2020/ – ohne vollständig zu sein) ist, angesichts dessen, dass die damit zusammenhängenden Aufgaben in der bibliothekarischen Literatur kaum besprochen werden, erstaunlich hoch: Offenbar betätigen sich Bibliotheken in diesem Bereich.

Die im Mai 2020 aus bekannten Gründen digital durchgeführte Konferenz ist anhand zahlreicher Videos und Folien nachzuvollziehen, leider nicht die Diskussionen zu den Vorträgen. Auffällig ist, dass davon wieder viele erste Ergebnisse oder Überlegungen präsentieren und dass gleichzeitig weiterreichende Themen aus dem Bereich Open Access (zum Beispiel APCs) besprochen wurden. Trotzdem ist sie ein Hinweis darauf, dass auch dieses Thema gemeinsam mehr besprochen werden könnte, als dies bisher der Fall ist.

Hervorzuheben für die LIBREAS – weil es uns als Redaktion irgendwie auch betrifft – sind das Projekt von Sarah Severson und Jessica Lange Documenting labour in Canadian, independent scholarly journal publishing (bei dem jetzt schon klar ist, dass die meisten unabhängigen wissenschaftlichen Zeitschriften, zumindest in Kanada, vom Engagement kleiner Redaktionsteams leben) (https://youtu.be/2qtvV8YJEuA) und die Diskussion von Robert Browder, Aaron Mccollough, Andrew Lockett und Lara Speicher Editorial Control in Library Publishing: Who Does What and Why? (https://youtu.be/HNMh3pJ5s7M). (ks)


Peters, Timothy ; Dickinson, Thad E. (2020). A History of the Distance Library Services Conference. In: Journal of Library & Information Services in Distance Learning, 14(2), 96–109. https://doi.org/10.1080/1533290X.2020.1809600

Dieser Text ist ein Abschlussbericht für die im Titel genannte Konferenz, welche fast 40 Jahre lang alle zwei Jahre durchgeführt wurde. Eingestellt wurde sie aus zwei Gründen: Zum ersten finanziellen, da der Etat der ausrichtenden Bibliothek (Central Michigan University Libraries) immer enger geworden ist. Zum anderen stellen die Autoren fest, dass die Gruppe der Distance Learners (also Studierender, die nicht direkt auf dem Campus lernen, sondern über externe Programme) und die Gruppe normaler Studierender immer weniger zu unterscheiden seien, da diese auch verstärkt Online-Kurse belegen würden. Nicht zuletzt wären die technischen Lösungen, um Distance Learners zu unterstützen, heute in jeder (US-amerikanischen) Bibliothek vorhanden. Diese vorzustellen und ihren Einsatz zu diskutieren, sei nicht mehr nötig. [Gleichwohl wollten zwei andere Bibliotheken die Konferenz fortführen, mussten sie aber 2020 wegen der COVID-19-Pandemie absagen.]

Was den Text interessant macht, ist, dass er weniger auf den Inhalt der Konferenzen der letzten Jahre eingeht und viel mehr in den Vordergrund rückt, wie die Konferenz organisiert wurde, also wie die Konferenzorte ausgewählt, die Beiträge bewertet und das Programm zusammengestellt wurden. Einen solchen konzisen Einblick erhält man selten. (ks)

6. Populäre Medien (Zeitungen, Radio, TV etc.)

Claus-Jürgen Göpfert: Bibliotheks-Chef Frank Scholze: „Diese Pandemie ist ein Digital-Beschleuniger”. In: Frankfurter Rundschau / fr.de, 29.04.2020, https://www.fr.de/kultur/literatur/bibliotheks-chef-frank-scholze-diese-pandemie-digital-beschleuniger-13744460.html

Im Interview mit der Frankfurter Rundschau sieht der neue Generaldirektor der Deutschen Nationalbibliothek, Frank Scholze, in der Coronakrise einen Digital-Beschleuniger auch für sein Haus, da ein Großteil der Mitarbeiter*innen im Home-Office arbeiten muss und zugleich digitale Prozesse in vielen Bereichen – er nennt exemplarisch die Rolle Corona-relevanter Preprints – einen neuen Stellenwert erhalten. Zugleich muss die Deutsche Nationalbibliothek aufgrund ihres Profils als Präsenz- und Archivbibliothek selbstverständlich dauerhaft auf Lesesäle setzen. Zugleich zeigt sich auch bei ihr die Anforderung der Bibliothek als Ort der Begegnung und Raum für direkte Kommunikation. Entsprechend sieht Frank Scholze auch perspektivisch den Ort der Bibliothek als deren Wesenskern. (bk)


Alison Flood: German library pays £2.5m for ‘friendship book’, 400 years after it first tried to buy it. In: The Guardian / guardian.com, 27.08.2020 https://www.theguardian.com/books/2020/aug/27/german-friendship-book-sold-library-das-grosses-stammbuch-germany-herzog-august-bibliothek

Die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel erwarb über Vermittlung des Auktionshauses Sotheby’s für € 2,8 Millionen das „Freundschaftsalbum” (Album Amicorum) von Philipp Hainhofer, das Herzog August der Jüngere bereits im Jahr 1648 vergeblich für die Bibliothek zu beschaffen versucht hatte. (bk)


Natasha Pulley: The Midnight Library by Matt Haig review – a celebration of life’s possibilities. In: The Guardian / guardian.com, 27.08.2020 https://www.theguardian.com/books/2020/aug/27/the-midnight-library-by-matt-haig-review-a-celebration-of-lifes-possibilities

Das Motiv der Bibliothek prägt die Fantasy-Novel The Midnight Library von Matt Haig (Edinburgh: Canongate, 2020) und zwar bis in den Titel hinein. Das Motto ist One Library, infinite Lives und auf Seite 2 liest man: The library was a little shelter of civilization. Die Grundidee umreißt die Rezensentin Natasha Pulley in ihrer Kurzbesprechung im Guardian: Die Protagonistin Nora ist an einem Tiefpunkt in ihrem Leben und versucht, sich das Leben zu nehmen. But instead of death, what Nora finds is a library in which each volume represents a version of her life where she made different choices. (bk)


o.A.: Design Thinking zur neuen Bücherei. In: Stuttgarter Zeitung, Esslingen. 09.09.2020, S. 20

Für den 23. September 2020 lud die Stadtverwaltung von Esslingen zu einem Vortrag zum Thema “Design Thinking in Bibliotheken”, gehalten von Julia Bergemann. Hintergrund ist das Ergebnis eines Bürgerentscheids aus dem Februar 2019, bei dem die Menschen in Esslingen für die Renovierung der dortigen Bibliothek im Bebenhäuser Pfleghof gestimmt hatten. Der Prozess wird vom Bücherei-Berater Andreas Mittrowann begleitet. (bk)


Kathrin Götze: Einbruch in Stadtbibliothek: Diebe stehlen 80 Rollen Toilettenpapier, In: Hannoversche Allgemeine / haz.de, 30.03.2020, https://www.haz.de/Umland/Neustadt/Neustadt-Einbruch-in-Stadtbibliothek-Diebe-stehlen-80-Rollen-Klopapier

Diese Überschrift wird zukünftigen Generationen wie ein falsch datierter Aprilscherz vorkommen, zumindest wenn sie keine genaue Kenntnis des Warenmangels in der frühen ersten Corona-Lockdownphase haben. Neben Toilettenpapier (und in Folge verwandte Produkte wie Küchenrolle und Taschentücher) betraf dies vor allem lagerungsfähige Grundnahrungsmittel (Nudeln, Reis, Mehl) und Backzutaten (ein Kiosk in Berlin-Kreuzberg warb gar Masken und Hefe hier erhältlich mit einem Aufsteller auf der Straße). Gegen den Diebstahl in der Stadtbibliothek in Hannover wurde Anzeige erstattet; nicht zu ermitteln ist, ob der/die Dieb*in gefasst werden konnte. (mv)

7. Abschlussarbeiten

Grest, Anett (2020). Bibliotherapie in Bibliotheken. (Berliner Handreichungen zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft, 456) Berlin: Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, 2020 [Zugleich Masterarbeit, 2016]. https://doi.org/10.18452/21618.

In der Übersicht zum Forschungsstand dieser Arbeit vermerkt die Autorin, dass die Bibliotherapie – also der Einsatz von Literatur, Lesen, Schreiben und dem Sprechen darüber zu therapeutischen Zwecken – in der bibliothekarischen Literatur zwar schon behandelt wurde, dies aber eher selten, und dass gleichzeitig in anderen Bereichen, vor allem der Literatur zu Kreativtherapien, die Bibliotherapie weit öfter bedacht wird. Ihre Masterarbeit wollte dies ändern.

Sie beschreibt dazu verschiedene Formen des Einsatz von Bibliotheraphie und führt sechs Interviews mit Praktiker*innen. Diese agieren vor allem im therapeutischen Kontext. Am Ende will sie so den Status Quo zu dieser Therapieform in Deutschland aufzeigen.

Während die Arbeit interessante Aspekte anspricht und einen Überblick zu verschiedenen Settings liefert, ist sie wenig aussagekräftig zum Thema, das im Titel angesprochen wird: Bibliotheken kommen nur am Rande vor – bei der Frage, ob diese ein gutes Setting bieten würden, was zum Teil bejaht, zum Teil verneint wird, und bei der Frage, wie die in der Therapie benutzte Literatur ausgewählt wird. Es geht eher um die eigentliche Therapie, für die die Autorin zeigt, dass sie sinnvoll sein kann. Worum es in der Arbeit auch nicht geht, ist die eigentlich für Bibliotheken näherliegende Form von Bibliotherapie, nämlich die durch die Lesenden selbst-gesteuerte, nicht die durch Therapeut*innen angeleitete. (ks)

8. Weitere Medien

Sarah Turnnidge: No, A School Librarian Didn’t Arrange Those Books To Troll Boris Johnson. In: HuffPost UK. 27.08.2020, https://www.huffingtonpost.co.uk/entry/castle-rock-school-librarian-didnt-arrange-book-boris-johnson_uk_5f4767b7c5b64f17e138dbdd

Im August 2020 machte besonders auf Twitter ein Aufnahme des englischen Premierministers Boris Johnson die Runde, die ihn vor einem Bibliotheksregal der Schulbibliothek der Castle Rock School in Leicestershire zeigte, in dem offenbar mittels gewitzter Anordnung von Büchern eine Art visueller Subtweet kommuniziert wurde (https://twitter.com/NicholasPegg/status/1298647435829563393). In der Tat sollte die Anordnung von Philip Pullmans The Subtle Knife über Ray Bradburys Fahrenheit 451 bis hin zu Roald Dahls The Twits eine versteckte Botschaft senden. Diese galt aber nicht Boris Johnson, wie die HuffPost (UK) mitteilte. Die Schulbibliothekarin, die nach eigener Aussage aufgrund mangelnder Unterstützung den Posten im Februar 2020 verließ, adressierte mit der sprechenden Aufstellung eigentlich die Schulleitung. Dass die Anordnung auch sechs Monate nach ihrem Rückzug unverändert war und so Boris Johnsons Ansprache an die Schulkinder einen unerwartet pointierte Hintergrundgestaltung bot, dürfte den Grund für ihre Resignation unterstreichen. Insofern: The reality is actually a bit of a sadder story. If someone had done it for Boris Johnson that would have been amazing but it’s just a weird twist of fate. (bk)


Anita Brookner: Look At Me. London: PENGUIN BOOKS, 2016 [1983], S. 10

Eine Beobachtung von Francis Hinton, Protagonistin und Bibliothekarin in Anita Brookners Roman Look At Me zu den Nutzer*innen ihrer Bibliotheken: You get a lot of borderline cases in libraries. (bk)