Bevor sie sich wieder von dem fröhlichen Aufgabenspektrum eines laufenden Wintersemesters mit all den damit verbundenen Zeitzwängen, Lektürepensen und Leistungsdruck und dazu in Ergänzung die dunklen Wochen voll künstlichem Licht, regnerischen oder schneestürmischen Sonntagnachmittagen und später dem Vorweihnachtsstress mit allem Zubehör einfangen ließen, gingen 14 Studierende der Exkursion in Begleitung des Bibliotheksarchitekturtheoretikers Rolf Ramcke auf eine Art Sommerausklangstournee durch's Ostdeutsche.
Stationen waren das heuer obligatorische IKMZ von Herzog und De Meuron im brandenburgischen Cottbus (dazu ausführlich LIBREAS Ausgabe 2/2005), die mehr oder weniger Untertagebibliothek in Dresden des österreichischen Büros Ortner+Ortner, die nicht mehr so ganz unter Neubauten einzuordnende Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften in der architekturhistorischen Wundertüte Görlitz, die renovierte bzw. wieder aufgebaute Biblioteca Albertina von Arwed Roßbach in Leipzig, das neue Studienzentrum der Anna-Amalia-Bibliothek und die Rekonstruktionsbaustelle im Grünen Schloß in Weimar sowie der Neubau der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha.
Etwas zufällig entdeckt wurde der Neubau der Universitätsbibliothek der Bauhaus-Universität Weimar, der sich just zu unserem Aufenthalt im Probebetrieb befand und quasi als Sneak-Preview dem Exkursionsprogramm zugefügt werden konnte. Architektonisch bildete er – vom oberflächlichen Eindruck her – das Highlight der Exkursion, aber so richtig vergleichen kann man von der Funktion her eigentlich nur die Universitätsbibliotheken, vom Etat und der Größe der Nutzergruppe aber auch diese nicht wirklich.
Ebenfalls sehr eindrucksvoll ist das neue Studienzentrum in Weimar, wobei der positive Eindruck angesichts der Qualität der baulichen Lösungen durch die Exzellenz der Führung durch den stellvertretenden Direktor der Bibliothek Jürgen Weber. Seine Führung durch die löschwassergeeschädigten Teile des Altbaus (die brandgeschädigten sind nicht zugänglich) bildeten einen eher traurigen, die Führung durch den (momentan leerstehenden, aber vom Brand augenscheinlich nicht betroffene) ebenfalls im Altbau befindlichen Bibliotheksturm mit seinem einzigartigen Treppenhaus einen sehr überraschenden Höhepunkt.
Der Dresdner Bau wurde insgesamt
ein wenig ambivalent aufgefasst: Einerseits wirkt besonders der
zentrale Lesesaal sowie die durchgängig hochwertige Ausgestaltung
des Gebäudes durchaus beeindruckend. Andererseits wurden
einige, bei Gebäuden dieser Größe und dieses Typs
durchaus gängige Probleme wie die Luftversorgung der unterirdisch
liegenden Nutzungsbereiche, das übliche Lärmproblem
sowie eine die intuitive Orientierung im Raum nicht gerade unterstützende
Gesamtgestaltung der Untergeschosse erkennbar, die dann doch den
sonst eher positiven Gesamteindruck etwas trübten.
Überirdisch irritierte das von manchem Exkursionsteilnehmer
als etwas fade empfundene ästhetische Konzept, welches hinter
der scheinbar als Reminiszenz an den Sportplatz lesbaren Freifläche
zwischen den beiden Riegeln – die freilich ganz praktisch
die Deckenbeleuchtung der Untergeschosse und des Lesesaals garantiert
– steht. So ist aus einer gartengestalterischen Perspektive
hier sicher noch Potential vorhanden.
Eine ganz wunderbare, fast verzaubernde Wirkung übte dagegen das im vorderen Riegel befindliche Buchmuseum aus - voran natürlich das Zimelienzimmer mit den buch- und schriftgeschichtlichen Schätzen der Sächsischen Staats-, Landes- und Universitätsbibliothek. Die eindrucksvollste Kostbarkeit ist sicher das Leporello der berühmten Maya-Handschrift "Codex Dresdensis". Deren Anblick katapultiert den durchschnittlichen Altamerikanisten vermutlich in erfürchtiger Erstarrung geradewegs in den siebten Himmel. Uns nur rudimentär mit dem Schrifttum der indigen Völker Mesoamerikas befassten Besucher hinterlies die kurze Besichtigung immerhin in erfürchtigem Staunen, so dass wir nun die von diesem Schriftstück ausgehende Faszination wenigstens ansatzweise nachvollziehen können.
Die Europastadt Görlitz überraschte ebenfalls durch einige bibliophile Kostbarkeiten, unter ihnen ein jüngst ganz überraschend im Bestand der Bibliothek entdeckter Bibeldruck des weißrussischen Humanisten und Druckers Franzischak Skaryna.
Als wahre architektonische Entdeckung erwiesen sich die vermutlich in dieser Form und Erhaltung einzigartigen Hallenhäuser. In einigen im Umbau bzw. in der Rekonstruktion befindlichen Gebäude konnten wir ausführlichst herumstöbern und lernten anhand der Beobachtung des Exkursionsleiters das große Glück des Architekten auf der Baustelle nachzufühlen. Ganz wundervoll ist das – von der einheimischen Bevölkerung übrigens etwas stärker frequentierte als die weitegehend ausgestorbene Altstadt – Jugendstil-“Kaufhaus zum Strauß” aus dem Jahr 1913, das so angenehm antiquiert das Einkaufsgefühl einer längst vergangenen Zeit bewahrt.
Das Cottbusser IKMZ haben wir an dieser Stelle schon einmal ausführlicher beleuchtet, daher soll nur der Hinweis ergänzt werden, dass man vom Turm der Oberkirche Sant Nikolai einen sehr schönen Blick (nicht nur) auf die das Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum hat. Der Erfurter Bau wirkte angenehm unspektakulär. Interessant war der Gang durch den vergitterten Magazinbereich, in dem die Altbestände des Hauses eingeschlossen sind. Auch hat man – solang die geplante Universitätsachse nicht weiter ausgebaut wird, von einigen Leseplätzen einen herrlichen Blick über freies Feld.
Das Gebäude in Leipzig beeindruckt besonders durch sein Vestibül, dessen Wirkungskraft sicherlich noch gesteigert würde, wenn sämtliche Decken- und Wandmalereien wieder hergestellt wären. Die Rekonstruktion der Ruine und die Überbauung der Höfe hat dagegen besonders in den Freihandaufstellbereichen nach dem ersten Eindruck vorwiegend unter funktionalen Gesichtspunkten stattgefunden, was sicher vernünftig ist, aber doch einen gewissen Kontrast hervorbringt. Als ein weiteres sehr interessantes Gebäude in Leipzig hat sich übrigens der Neubau des Museums für bildende Künste erwiesen, das innen weitgehend – die überaus verloren wirkende Cafeteria einmal ausgenommen – überzeugt, im Zusammenspiel mit dem städtebaulichen Umfeld aufgrund seiner Größe und Form allerdings doch ein wenig als Fremdkörper erscheint.
Wer sich auf die bibliothekarische, architektonische und allgemein kulturelle Ballung des Tourprogramms einlassen konnte, hat eine ungemeine Fülle an Eindrücken, Bildern und Bildausschnitten mitgenommen, die neben einer exquisiten Ergänzung des theoretischen Inhalts aus dem der Exkursion vorangegangenen Seminar im Sommersemester 2005 auch einen enormen allgemeinbildenden Effekt hatte. Und da wir für diese Ausgabe von LIBREAS u.a. das Thema "Ausbildung" haben, soll als Fazit dieses Auflugs die Erkenntnis stehen, dass umfängliche Bibliotheksreisen, bei denen in persönlicher Anschauung die Vielfalt bibliothekarischer Einrichtungen und ihr Umfeld vermittelt wird, ein essentieller Baustein jedes bibliotheksbezogenen Ausbildungsganges sein sollte.
Ein paar fotografische Eindrücke sind hier zusammengestellt:
Ein guten Überblick über bibliothekarische Bauvorhaben der letzten Jahre, besonders in Bezug auf die besuchten Institutionen, bietet nach wie vor die Sonderausgabe von Bibliothek-Forschung und Praxis "Bibliotheksbau in Deutschland um die Jahrtausendwende" aus dem Jahr 2003. (Jahrgang 27.2003 Nr. 1/2)