> > > LIBREAS. Library Ideas # 26

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WWC - WeberWorldCafé. Ein Interview


Zitiervorschlag
Gesche Schifferdecker, "WWC - WeberWorldCafé. Ein Interview. ". LIBREAS. Library Ideas, 26 ().


LIBREAS: Liebe Gesche Schifferdecker, Sie sind Referentin für Öffentlichkeitsarbeit mit dem Schwerpunkt Online-Kommunikation bei der Max Weber Stiftung, betreuen redaktionell zahlreiche Wissenschaftsblogs und organisieren zudem die Veranstaltungsreihe WeberWorldCafé.

Schwerpunkt Konzept und Ablauf

LIBREAS: Wie sind Sie mit diesem Veranstaltungsformat in Berührung gekommen? Und erschien es Ihnen gleich relevant für die Anwendung in der Max Weber Stiftung? Brauchte es besondere konzeptionelle Anpassungen?

Gesche Schifferdecker: Wir führen die WeberWorldCafés im Rahmen eines Verbundprojektes mit dem Forum Transregionale Studien durch, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Die Idee hinter den WeberWorldCafés ist, neue, jüngere Zielgruppen aus SchülerInnen, Studierenden und Young Professionals zu erschließen, die gegebenenfalls nicht zu unseren Konferenzen, Paneldiskussionen oder Vorträgen kommen (würden). Deswegen haben wir das World Café als interaktives Format gewählt, das jüngere Menschen anspricht. Gleichzeitig geht es uns um die Internationalisierung der Geistes- und Sozialwissenschaften. Diese erreichen wir, indem wir WissenschaftlerInnen aus den Instituten der Max Weber Stiftung und Fellows des Forums mit anderen WissenschaftlerInnen, Studierenden und Laien aus der ganzen Welt in Deutschland zusammenbringen. Ein mögliches Veranstaltungsformat wäre hier aber auch zum Beispiel ein BarCamp gewesen. Konzeptionelle Anpassungen brauchten wir insofern, als dass beim World Café ursprünglich keine ExpertInnen vorgesehen sind. Wenn man allerdings zu wissenschaftlichen Themen arbeitet, ist es sinnvoll, WissenschaftlerInnen als sogenannte TischgastgeberInnen einzuladen, die zumindest in die Thematik einführen und das Gespräch bei Bedarf lenken. Dabei ist es aber nicht das Ziel, dass die TischgastgeberInnen einen Vortrag halten. Alle GesprächsteilnehmerInnen sind gleichberechtigt und sollen sich in die Diskussion mit einbringen. Dies beinhaltet auch, dass zum Beispiel eine deutsche Politikprofessorin einer ukrainischen Bloggerin aufmerksam zuhört, und dass eine iranische Nachwuchsjournalistin einer Wissenschaftlerin, die im Libanon forscht, ihre persönliche Einschätzung zur Iran-Syrien-Achse darlegt. Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, dass die TeilnehmerInnen anfangs recht schüchtern und deswegen dankbar sind, wenn eine Expertin bzw. ein Experte das Gespräch beginnt.

WeberWorldCafé 2014

WeberWorldCafé 2014

LIBREAS: Wie wählen Sie Experten für Ihr WeberWorldCafé (WWC) aus? Wer gilt dabei als Experte?

Gesche Schifferdecker: Wer als ExpertIn gilt, hängt stark vom Thema ab. Beim ersten WeberWorldCafé zum Thema Bürger, Blogger, Botschafter: Neue Medien und Akteure in der Diplomatie des 21. Jahrhunderts (http://trafo.hypotheses.org/738) ging es uns zum Beispiel darum, nicht nur mit Politik- und MedienwissenschaftlerInnen sowie mit HistorikerInnen zu diskutieren, sondern auch die Perspektive der praktischen Diplomatie abzubilden. Deswegen haben wir einen ägyptischen Blogger, einen Vertreter der Deutschen Welle und einen des Goethe-Instituts und die Leiterin des Diplomatenkollegs für nichtdeutsche Diplomaten im Auswärtigen Amt eingeladen. Es war eine bunte Mischung. Vor dem Hintergrund, dass die WeberWorldCafés im Rahmen unseres Verbundprojekts mit dem Forum Transregionale Studien durchgeführt werden, ist es uns natürlich auch wichtig, WissenschaftlerInnen aus den Auslandsinstituten der Max Weber Stiftung und Fellows des Forums als TischgastgeberInnen miteinzubeziehen, die zu bestimmten Schwerpunkten arbeiten, und diese zusammenzubringen. Diese Prämisse beeinflusst auch die Themenwahl. Weiterhin achten wir darauf, hauptsächlich NachwuchswissenschaftlerInnen auszuwählen – zum einen vor dem Hintergrund, dass die Förderung des akademischen Nachwuchses zu den wichtigsten Zielen des Verbundprojektes der Max Weber Stiftung und des Forum Transregionale Studien gehört, und zum anderen, weil jüngere WissenschaftlerInnen häufig offener für neue, interaktive Formate sind. Trotzdem ist eine der ersten Fragen der TischgastgeberInnen meistens, ob sie ein Paper oder eine Präsentation vorbereiten sollen. Wenn sie dann erfahren, dass es nur um den Wissensaustausch und die Diskussion vor Ort geht, ist die Verwunderung groß. Diese Reaktion zeigt, wie stark bereits NachwuchswissenschaftlerInnen in den klassischen Veranstaltungs- und Publikationsstrukturen verhaftet sind. Viele haben auch besonderen Respekt vor dem direkten Kontakt mit fachfremdem Publikum – aber niemand hat bis jetzt wegen des Formats nicht teilnehmen wollen. Vielmehr haben mir einige TischgastgeberInnen gesagt, dass sie gerade wegen dieser neuen Herausforderung zugesagt hätten.

LIBREAS: Wie geht das WWC mit den Resultaten um? Gab es bei den vergangenen Veranstaltungen Nachbereitungen und wenn ja welcher Art? Welche Folgeprojekte, -diskussionen oder -sichtweisen kamen eventuell zustande?

Gesche Schifferdecker: Sinn und Zweck des WeberWorldCafés ist eigentlich der Workshop an sich, das heißt der Austausch vor Ort. Allerdings hat es uns, als wir das erste WeberWorldCafé planten, nicht gefallen, dass das Format nicht vorsieht, dass die Resultate der Diskussionen veröffentlicht werden. So haben wir uns entschlossen, über Twitter und unsere verschiedenen Blogs sogenannte Science-ReporterInnen zu suchen, deren originäre Aufgabe es ist, die Diskussionen, Prozesse und Ergebnisse der Tische zusammenzufassen und eine Art Reportage darüber zu schreiben. Diese Beiträge werden dann entweder auf den Blogs der ReporterInnen oder auf unserem WWC-Blog veröffentlicht (zum Beispiel http://wwc.hypotheses.org/187 und http://wwc.hypotheses.org/498). Zur Nachbereitung gehörte auch jeweils ein Twitter-Storify, mit dessen Hilfe die punktuellen Eindrücke der Twitter-affinen TeilnehmerInnen über einen Hashtag nachvollzogen werden konnten.

Ebenso wichtig wie die Nachbereitung finde ich aber auch die Vorbereitung der Events, die wir über unser WWC-Blog (http://wwc.hypotheses.org/) intensiv betreiben: Wir führen Interviews mit einigen TischgastgeberInnen und stellen diese vor, posten thematisch passende Beiträge und geben Tipps zur Vorbereitung der WeberWorldCafés. Auf dem Blog findet demzufolge auch eine umfang- und facettenreiche Veranstaltungsdokumentation statt.

LIBREAS: WorldCafés eignen sich ja eher für breitere Themen, so Ihre These in Ihrem Artikel in der MusErMeKu (http://musermeku.hypotheses.org/1781). Bei dem jüngsten WeberWorldCafé im September haben Sie den Themenkreis spezifiziert. Hat sich das WorldCafé trotzdem geeignet oder stößt es bei einem konkreteren Thema eher auf seine Grenzen?

Gesche Schifferdecker: Die Planung unseres WeberWorldCafés im September 2014 zum Thema Narrating the First World War – Experiences and Reports from Transregional Perspectives (http://wwc.hypotheses.org/302) war tatsächlich eine Herausforderung! Wir haben uns gefragt: Welche Fragen hat unsere Zielgruppe an den Ersten Weltkrieg? Welche Perspektiven sind interessant und wurden im öffentlichen Diskurs noch kaum beachtet? Was sagt der Erste Weltkrieg jungen Menschen heute? Wie kann er erfahrbar gemacht werden? Unser Vorteil war, dass der Erste Weltkrieg bisher hauptsächlich in nationalen Kontexten dargestellt und diskutiert worden ist. Insofern war unser Ansatz, über die regionalen Tische quasi einen Weltblick zu ermöglichen, innovativ und für unser WWC-Format, bei dem es vier Runden gibt und nach etwa 25 Minuten die Tische gewechselt werden müssen, durchaus geeignet. Intensiv beschäftigt hat uns allerdings die Frage, wie wir einen Diskurs zwischen WissenschaftlerInnen aus der ganzen Welt, die zu unterschiedlichen Regionen und zu unterschiedlichen Perspektiven auf den Ersten Weltkrieg forschen, und Laien initiieren können. Gleichzeitig haben wir damit gerechnet, dass zusätzlich zu den interessierten fachfremden TeilnehmerInnen auch zahlreiche HistorikerInnen, die zum Ersten Weltkrieg forschen, am WeberWorldCafé teilnehmen werden. Wie sollte man diese sehr unterschiedlichen Erfahrungshorizonte und Kenntnisse nun unter einen Hut bekommen? Im Rahmen dieser Überlegungen kam uns dann die Idee, an den Tischen mit Quellen, das heißt Briefen, Fotos, Landkarten, Zeitzeugenberichten et cetera zu arbeiten, mit dem Ziel, den Ersten Weltkrieg erfahrbar zu machen. Gleichzeitig bot das WeberWorldCafé allen TeilnehmerInnen die Möglichkeit, Fragen jeglicher Art zu stellen, die man zum Beispiel nach einem Vortrag niemals stellen würde. Diese Chance haben alle TeilnehmerInnen, ob Mathematik- oder Architekturstudent, Kuratorin, Doktorandin der Geschichtswissenschaft oder Stiftungsmitarbeiterin, genutzt. Und so wurden auch die WissenschaftlerInnen, die seit vielen Jahren zum Ersten Weltkrieg forschen, durch die Fragen der TeilnehmerInnen und deren an anderen Tischen gewonnenen Perspektiven auf andere Regionen mit neuen Blickwinkeln konfrontiert. Ein Beispiel hierfür ist: Die Gründe, warum die ostafrikanischen Askari für das Deutsche Reich in den Krieg zogen, waren andere als jene der australischen Aborigines. Der Umgang mit den Ureinwohnern nach dem Krieg allerdings war in Ostafrika und Australien sehr ähnlich. Damit hatten sich bis dahin weder die Tischgastgeber des Afrika-Tischs noch die Wissenschaftlerin, die über Australiens Rolle im Ersten Weltkrieg forscht, auseinandergesetzt.

Schwerpunkt Kreativität und Dialog

LIBREAS: Wodurch kann die Kreativität, die, wie Sie in Ihrem Artikel in der MusErMeKu schreiben, unerwartete Perspektiven eröffnet und zu erstaunlichen Verbindungen führt, gefördert werden? Und warum ist kreatives Denken so wichtig für den eigentlich ja sehr formalisiert ablaufenden wissenschaftlichen Diskurs?

Gesche Schifferdecker: Die Perspektiven sind in erster Linie unerwartet, weil die TeilnehmerInnen bisher nicht ausgesucht wurden, sondern sich bei beiden WeberWorldCafé jeweils anders zusammensetzen. So kommen unterschiedliche Disziplinen zusammen, unterschiedliche berufliche Hintergründe, unterschiedliche Generationen – denn obwohl das WWC zwar eine jüngere Zielgruppe hat, schließen wir andere Interessierte natürlich nicht aus. Gefördert werden die Austauschprozesse durch das Format, das alle Beteiligten quasi zwingt, mitzudenken und sich einzubringen. Für die TischgastgeberInnen bedeutet das, outside of the box zu denken, mit Menschen konfrontiert zu werden, die ihnen Fragen stellen, die sie von den FachkollegInnen nicht gefragt werden.

WeberWorldCafé 2014

WeberWorldCafé 2014

LIBREAS: Könnte das WeberWorldCafé die Funktion einer bisherigen Konferenz als Austauschformat in der Wissenschaftskommunikation maßgeblich ergänzen oder sogar ablösen?

Gesche Schifferdecker: Nein, das glaube ich nicht und das würde ich mir auch nicht wünschen. Ich finde es wichtig, dass verschiedene Formate nebeneinander existieren. Die Konferenz dient eher dem wissenschaftlichen Austausch mit KollegInnen, während es bei den WeberWorldCafés um einen Dialog mit einem sehr unterschiedlich zusammengesetzten Publikum geht. Hinzu kommt, dass die TischgastgeberInnen an ihren Tischen bleiben und sich dementsprechend mit den anderen ExpertInnen während des Cafés nicht austauschen. Man kann die Formate deshalb nicht miteinander vergleichen.

Schwerpunkt Anwendung

LIBREAS: Welchen Stellenwert hat das WeberWorldCafé bereits für den Diskurs innerhalb der Geschichtswissenschaft oder Geisteswissenschaften?

Gesche Schifferdecker: Während das Format zum Beispiel im Bereich der Weiterbildungsbranche schon fast ein alter Hut ist, ist es für die meisten Geistes- und Sozialwissenschaftler neu. Aber einige der TeilnehmerInnen waren sehr angetan und planen, World Cafés auch innerhalb ihrer Organisationen durchzuführen. Im Bereich der Geschichtswissenschaft fände ich dies besonders reizvoll, da das WeberWorldCafé durch den interdisziplinären und transregionalen Austausch die Möglichkeit bietet, bestimmte Ereignisse mit dem Ansatz der sogenannten Histoire croisée zu betrachten, also aus dem Blickwinkel einer multiperspektivischen transnationalen Geschichtsschreibung. Ich bin gespannt, ob sich dieses Format etablieren wird.

LIBREAS: Wenn andere Disziplinen ein solches Veranstaltungsformat organisieren wollten, welchen Rat würden Sie geben, worauf besonders bei der Vorbereitung geachtet werden müsste?

Gesche Schifferdecker: Ich kann nicht beurteilen, ob sich das World Café als Format überhaupt für alle Wissenschaftsdisziplinen eignet. Ich kenne die Kommunikationsstrukturen in einigen Fächern nicht, beispielsweise in der Mathematik oder in der Computerlinguistik. In den Geistes- und Sozialwissenschaften sowie den Rechts- und Lebenswissenschaften – also in allen Disziplinen, in denen über Fakten hinaus verschiedene Sichtweisen ausgetauscht werden – ist es aber sicherlich sinnvoll, World Cafés zu veranstalten. Man könnte diese in unserem Stil, das heißt mit ExpertInnen als TischgastgeberInnen organisieren, aber auch beispielsweise Studierende eines Fachs oder DoktorandInnen zu einem spezifischen Thema miteinander in einen Dialog bringen, ohne dass es eine Person am Tisch gibt, die mehr weiß als die anderen und auf dieser Basis das Gespräch gegebenenfalls leicht steuert. Wenn man allerdings ExpertInnen einlädt, sollten diese kommunikativ und offen sein für diese besondere Art des Austauschs. Uns hat es sehr geholfen, gemeinsam mit den TischgastgeberInnen Erwartungen zu formulieren und sich die Gesprächssituation zu vergegenwärtigen. Das WeberWorldCafé ist nämlich der Atmosphäre in einem Uni-Seminar gar nicht so unähnlich – abgesehen davon, dass die Runde kleiner und damit exklusiver ist und sich die TeilnehmerInnen auf Augenhöhe austauschen sollen. Hinzu kommt, dass sich die Zusammensetzung der GesprächspartnerInnen nach 25 Minuten ändert – dafür kann man aber auch, im Gegensatz zur Uni, davon ausgehen, dass alle Beteiligten ein reges Interesse am Thema haben, weil es für sie relevant ist. Diese Relevanz zu gewährleisten liegt zum einen in der Hand derjenigen, die das jeweilige Veranstaltungskonzept erarbeiten, hängt aber auch davon ab, wen man einlädt. Sinnvoll ist es auch, sich als Organisationsteam übergeordnete Fragestellungen zu überlegen, die dann an den Tischen aus verschiedenen Blickwinkeln besprochen werden können. Und wenn man all diese Punkte bedacht hat, gilt es, die Kontrolle abzugeben, und die kreativen Gesprächsprozesse an den Tischen entstehen zu lassen. Ohne zu wissen, wohin diese führen.

LIBREAS: Herzlichen Dank für den Einblick in ein spannendes Format zum wissenschaftlichen Austausch und viel Erfolg bei den zukünftigen WWCs.


Gesche Schifferdecker ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit mit dem Schwerpunkt Onlinekommunikation in der Max Weber Stiftung. Sie ist Redakteurin verschiedener wissenschaftlicher Blogs, unter anderem http://trafo.hypotheses.org und http://wwc.hypotheses.org und organisiert im Rahmen eines Verbundprojekts mit dem Forum Transregionale Studien die WeberWorldCafés.