> > > LIBREAS. Library Ideas # 26

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Editorial #26: Bibliotheken __abseits, außerhalb der Bibliothek


Zitiervorschlag
Redaktion LIBREAS, "Editorial #26: Bibliotheken __abseits, außerhalb der Bibliothek. ". LIBREAS. Library Ideas, 26 ().


Es gibt ein Bibliothekssystem. Vielleicht auch mehrere Bibliothekssysteme? Daneben gibt es nachweislich weitere Einrichtungen, die sich als Bibliotheken verstehen, aber nicht als Teil eines Bibliothekssystems. Kann das sein? Was für Institutionen sind das? Wer steht hinter solchen Einrichtungen? Haben sie ein Recht, sich Bibliothek zu nennen oder okkupieren sie diesen Begriff? Muss er ihnen abgesprochen werden? Und wenn ja, wer hat das Recht dazu und entscheidet dies auf welcher Grundlage?

Die aktuelle Ausgabe der LIBREAS beantwortet diese Fragen nicht wirklich, aber sie liefert zumindest einiges an Material dazu. Zum Beispiel einen Text, in dem sich die Anarchistische Bibliothek & Archiv Wien vorstellt. In der Redaktion führte er zu einigen Diskussionen. Die Personen mit eigenen Erfahrungen in der Szene sehen in ihm eine gute Schilderung des Projektes inklusive seiner politischen Ansprüche. Andere Teile empfinden die Schilderung in Teilen naiv. Aber was heißt naiv in diesem Zusammenhang? Ist es naiv, weil wir als „Professionelle“ es besser wüssten und zum Beispiel Digitalisierungsprojekte anders planen? Ist es naiv, weil wir als „Professionelle“ anders über Bibliotheken und deren Funktionen reden, anders planen und andere Punkte wichtig finden, als das Kollektiv in Wien? Wäre eine solche Differenz nicht gerade der Kern einer explizit anarchistischen Bibliothek? Ist es also naiv, weil wir und das Kollektiv in gewisser Weise in anderen Welten leben? Haben wir das Recht dazu, den Text naiv zu nennen und umzuschreiben? Bestimmt nicht.

Daher beließen wir ihn als Selbstdarstellung so, wie er jetzt publiziert ist. Aber diese Episode aus der Redaktionsarbeit zeigt sehr schön, worum es geht: Darum, Macherinnen und Machern solcher Bibliotheken außerhalb der offiziellen Bibliothekswesen zu befragen, was sie von ihren Einrichtungen denken, erwarten und erhoffen. Und dabei von ihnen zu lernen, blinde Flecken und Lücken bei uns „Professionellen“ zu entdecken. Zum Beispiel eine Haltung, die andere Einrichtungen im ersten Moment als naiv beschreibt – wenn auch gleich mit einem unguten Gefühl.

Redaktionsorte VII (Berlin Friedrichshain, Dezember 2014)

Redaktionsorte VII (Berlin Friedrichshain, Dezember 2014)

Dabei geht es nicht nur um Einrichtungen, die sich politisch außerhalb der offiziösen Bibliothekssysteme verorten. Uwe Jung berichtet darüber, wie das Implementieren von Bibliothekskonzepten, die zumeist in Europa entstanden sind, in Kamerun regelmäßig scheitert und reflektiert über Gründe dafür. So einfach ist die Grenze zwischen Gesellschaften offenbar auch für Bibliothekskonzepte nicht zu überschreiten. Christian Kahle führt – was gewiss Widerspruch hervorrufen wird – offene Bücherschränke und Bibliotheken auf künstlerische Interventionen zurück und weist damit auf ein Denken über Bibliotheken hin, das weder aus dem Bibliothekswesen stammt noch unbedingt die gleichen Ziele verfolgt. Eliane Blumer und Karsten Schuldt zeigen einen weiteren Grenzbereich, wenn sie in ihrem Text die Nutzung von Öffentlichen Bibliotheken in Aufwertungs- und Verdrängungsprozessen in Lausanne besprechen. Hier wird die Bibliothek als Kultureinrichtung in größeren Strategien verwendet, dabei aber nicht auf bibliothekarische Fragen oder Zielsetzungen geachtet. Ben Kaden berichtet über eine reisende Bibliothek von Zines und reflektiert, wie solche speziellen Publikationen mit ihrer spezifischen Materialität für das reguläre Bibliothekswesen kaum greifbar werden können.

Die Snowden-Commons erweitern den Blick noch in eine andere Richtung: Wie können Materialien, die ungeplant zugänglich werden, in einer geordneten und verlässlichen Form dauerhaft an eine Öffentlichkeit vermittelt werden?

Wie gesagt: Wo genau die Grenzen der Bibliothekswesen verlaufen, wer Diskussions- und Definitionsmacht hat, wird in dieser Ausgabe der LIBREAS nicht geklärt. Diese Diskussion bleibt also offen. Alternative Bibliotheken, die sich nicht in einem fixen Formen offizieller Bibliotheksorganisation verpflichteten Rahmen herausbilden, zeigen nicht zuletzt, wo Bedarfe nicht von dem traditionellem Bibliothekswesen aufgefangen werden und vielleicht auch nicht aufgefangen werden können. Eine interessante Erweiterung der Perspektive ergibt sich aus der gern praktizierten Überführung Öffentlicher Bibliotheken in ehrenamtliche Strukturen, die so auch für die dann ehemaligen Unterhaltsträger nicht mehr kontrolliert werden können. Es wäre interessant, nachzuforschen, in welchem Umfang sich bürgerschaftliche Bewegung an beiden Enden des politischen Spektrums solcher Möglichkeiten bedienen.

Für Spezialbibliotheken wie Zines of the Zone und also Nischenbestände stellt sich zugleich die Frage der Nachhaltigkeit. Hier werden Anschlussfragen akut zu stellen sein. Die von Ben Kaden unlängst im LIBREAS-Tumblr aufgebrachte Idee einer Library of the Libraries (vgl. http://libreas.tumblr.com/post/104999402491/inside-library), die als zentraler Anlaufpunkt auch diese Facetten der Kulturproduktion auffängt und dokumentiert (idealerweise angeschlossen an einer Nationalbibliothek) ist sicher nur eine frühe Überlegung.

Die Infrastrukturfrage wird dagegen in der Ausgabe gespiegelt und zwar im Beitrag zu Open Access Repositorien von Maxi Kindling und Paul Vierkant. Und schließlich gibt es, fast als Vorgeschmack auf die Methoden-Ausgabe von LIBREAS, ein Interview über das zunehmend zum Einsatz kommende Format des so genannten World Cafés am Beispiel des Weber World Cafés, welches Gesche Schifferdecker im Gespräch vorstellt.

Mit dieser Ausgabe haben wir auch das Design angepasst. Ziel ist es, das Lesen auf dem Handy oder auf dem Tablet besser zu unterstützen. Außerdem haben wir im Sinne des Schutzes der Privatheit die addThis Funktionen entfernt.

Wie immer ist nach der Ausgabe vor der Ausgabe. Weitere werden folgen. Wer uns dabei unterstützen möchte, kann dies sehr gern mit substantiellen Beiträgen tun. Und natürlich möchten wir auch auf den LIBREAS. Verein zur Förderung der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Kommunikation hinweisen. Eine Mitgliedschaft ist vergleichsweise günstig und hilft uns, Diskussion und Debatten auch über die Zeitschrift hinaus anzuregen, zu unterstützen und zu dokumentieren. Informationen zum Verein finden sich unter http://www.libreas-verein.eu/.

Viel Spaß bei der Lektüre und, wenn gewünscht, Diskussionen,

Ihre/eure LIBREAS-Redaktion

(Berlin, Bielefeld, Chur, München, Potsdam)