> > > LIBREAS. Library Ideas # 24

Annotate via hypothes.is

Download PDF @ edoc HU Berlin
urn:nbn:de:kobv:11-100215917

Ein leichter Einstieg in die Geschichtswissenschaft. Rezension zu: Doina Oehlmann (2012): Erfolgreich recherchieren – Geschichte (= Erfolgreich recherchieren). Berlin ; Boston MA : De Gruyter Saur. IX, 131 S., ISBN 978-3-11-027112-6 (brosch.), 978-3-11-027130-0 (E-Book), 19,95 €.


Zitiervorschlag
Stefan Wiederkehr, "Ein leichter Einstieg in die Geschichtswissenschaft. Rezension zu: Doina Oehlmann (2012): Erfolgreich recherchieren – Geschichte (= Erfolgreich recherchieren). Berlin ; Boston MA : De Gruyter Saur. IX, 131 S., ISBN 978-3-11-027112-6 (brosch.), 978-3-11-027130-0 (E-Book), 19,95 €.". LIBREAS. Library Ideas, 24 ().


Der zu besprechende Band ist Teil einer neuen Reihe, mit der der Verlag De Gruyter sich Studierende in allen Phasen des Studiums sowie […] alle wissenschaftlich interessierten Leserinnen und Leser als neues Zielpublikum erschließen möchte. Das Ziel, nicht nur institutionelle Käufer, Fachreferenten in Bibliotheken und Wissenschaftler in einem fortgeschrittenen Stadium der Karriere anzusprechen, spiegelt sich in der äußeren Aufmachung und im erschwinglichen Preis der Bände wider.

Um es vorwegzunehmen: Doina Oehlmanns Band enthält eine sehr knappe Auswahl von Informationsressourcen für Historiker, die als durchaus gelungen bezeichnet werden kann. Dieses Urteil trifft auch und gerade zu, wenn man die Auslassungen im Vergleich mit dem deutlich umfangreicheren, von Reihenherausgeber Klaus Gantert selbst verfassten, Parallelwerk1 betrachtet. Die Vielfalt der Typen von Informationsressourcen kommt zum Ausdruck und keine Epoche wird gegenüber anderen vernachlässigt. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf digitalen Medien (S. 1), konventionelle gedruckte Publikationen werden aber wo nötig einbezogen. Eine erste Orientierung in der als kaum noch überschaubar charakterisierten Informationsflut (S. V) vermag der Band zweifellos zu geben. Außer der Literatur- und Quellenrecherche werden die wichtigen Themen einer Einführung für Studierende kurz angerissen: Die Bewertung von Information, die Weiterverarbeitung von Rechercheergebnissen mit Hilfe von Literaturverwaltungsprogrammen, die Beschaffung von wissenschaftlicher Literatur und – unnötigerweise als Exkurs deklariert – die Historischen Hilfswissenschaften. Hinweise für das korrekte Zitieren und eine Warnung vor Plagiarismus fehlen ebenso wenig.

Richtig glücklich vermag der Rezensent mit dem Band gleichwohl nicht zu werden. Das hängt insbesondere damit zusammen, dass die didaktische Reduktion an manchen Stellen zu weit geht. So wird etwa im Zusammenhang mit Google Scholar das Schneeballprinzip – womit im vordigitalen Zeitalter die Auswertung von Fußnoten relevanter Artikel, um weitere relevante früher erschienene Literatur (Referenzen im Sinne der Bibliometrie) zu finden, gemeint war – bemüht, um den Fachbegriff Zitationen (S. 3) zu erläutern. Dieser Terminus bezeichnet in der Bibliometrie jedoch das, was Google Scholar unter dem Link zitiert durch (vgl. Screenshot S. 4) tatsächlich anzeigt, nämlich später erschienene Literatur, die den zuerst gefundenen Artikel in den Fußnoten enthält und deshalb für die recherchierende Person mutmaßlich ebenfalls relevant ist. Hinter dem Link ähnliche Artikel hingegen liegt, auch wenn Google Scholar dies nicht offenlegt, neben den Referenzen unter anderem diejenige Literatur, die durch bibliographische Koppelung oder Kozitation mit dem ursprünglich gefundenen Artikel zusammenhängt. Das mag zu kompliziert sein, um es im Kapitel Basics und im Hinblick auf das ins Auge gefasste Zielpublikum zu erklären. Die Lösung dieses Problems kann aber nicht in der Einführung eines willkürlich herausgegriffenen Fachbegriffs und dessen falscher Verwendung bestehen. Auch Studierende dürften sich nicht ganz ernst genommen fühlen, wenn sie im Kapitel über das Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts (VD 16) graphisch hervorgehoben lesen Wichtig: Bibliographische Daten alter Drucke sind wesentlich ausführlicher als die neuerer Literatur. [… Die zusätzlichen Angaben, S.W.] sind […] wichtig, um Drucke zweifelsfrei identifizieren und zuordnen zu können – ISBNs gab es noch nicht. (S. 50) oder wenn sie das Piktogramm für Datenbank entdecken (S. 14).

Datenbank

Datenbank

Mit Blick auf den potentiellen Adressatenkreis des Bandes bleibt auch fraglich, ob es eine Lesergruppe gibt, der man einerseits einen Nachlass als Sammlung von Dokumenten oder anderen Dingen, die der Verstorbene hinterlassen hat (S. 96) erklären muss, der man andererseits aber die Feinheiten der kooperativen überregionalen Erschließung mittelalterlicher Originalhandschriften mit dem Ziel erläutert, diese Handschriften lokalisieren und damit wissenschaftlich arbeiten zu können (S. 93-96).

Stellt man fest, dass als einzige Online-Quellenedition zum 20. Jahrhundert die bei De Gruyter erschienene Datenbank Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933-1945 präsentiert wird (S. 73), und liest man Sätze wie Für die Geistes- und Sozialwissenschaften bietet z. B. der Verlag De Gruyter geschichtswissenschaftliche Zeitschriften im Volltext auf seiner Online-Plattform an. (S. 35), sieht man vor seinem geistigen Auge die Marketing-Abteilung bei der Arbeit. Nachhaltigere Verkaufsförderung wäre es möglicherweise gewesen, das Ressourcenverzeichnis (S. 127-131) besser mit dem Text abzugleichen, fehlen darin doch u.a. die digitale Version der International Bibliography of Historical Sciences (S. 21) oder die als Beispiel für eine Personalbibliographie angeführte Helmut Schmidt Bibliographie (S. 53).

Bevor sich der Rezensent nun endgültig in die Schwächen des Bandes verbeißt, gilt es, den ersten der Tipps für den absoluten Notfall zu beherzigen: Nerven behalten und ruhig bleiben! (S. 18). Die meisten, wenn nicht alle, der kritisierten Punkte dürften weniger der Autorin anzulasten sein als vielmehr dem Konzept der Reihe. Die aufgeworfenen Themen und die vorgestellten Ressourcen sind relevant und sinnvoll ausgewählt. Bei einer Neuauflage sollten jedoch inhaltliche Präzision und Lesbarkeit des Textes neu austariert werden. Auch Studierenden ist zuzutrauen, dass sie komplexere Sachverhalte verstehen.


  1. Klaus Gantert (2011): Elektronische Informationsressourcen für Historiker (= Bibliotheks- und Informationspraxis ; 43). Berlin ; Boston MA : De Gruyter Saur. Rezension: http://libreas.eu/ausgabe20/texte/16wiederkehr.htm


Stefan Wiederkehr, Dr. phil., studierte Geschichte, Russische Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Philosophie in Zürich und absolvierte den postgradualen Fernstudiengang Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2009 ist er Leiter der Akademiebibliothek und Arbeitsstellenleiter des Akademienvorhabens "Jahresberichte für deutsche Geschichte" an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.