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Kann aus den Volkshochschulgesetzen etwas über Bibliotheksgesetze gelernt werden?

Der Artikel argumentiert, dass Volkshochschulgesetze in den deutschen Bundesländern als Beispiel herangezogen werden können, um Vorhersagen über die langfristigen Wirkungen von Bibliotheksgesetzen, wie sie aktuell in Deutschland, Österreich und der Schweiz angestrebt werden, zu generieren. Die Gesetze erwiesen sich mit der Zeit als Steuerungsinstrumente, führten zu einer Konzentration der Einrichtungen und teilweise zur Angleichung der Angebote von Volkshochschulen. Sie führten nicht zu einer Professionalisierung, zur Verhinderung von Kürzungen der Fördermittel oder einem chancengleichen Zugang zu Volkshochschulen. Ähnliches ist für Bibliotheksgesetze zu erwarten. Die Chancen der Bibliothekswissenschaft, in die Debatten um Bibliotheksgesetze einzugreifen, werden als gering eingeschätzt.


Zitiervorschlag
Karsten Schuldt, "Kann aus den Volkshochschulgesetzen etwas über Bibliotheksgesetze gelernt werden?. ". LIBREAS. Library Ideas, 22 ().


In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es aktuell Bestrebungen, national (Österreich), in den einzelnen Bundesländern (Deutschland) beziehungsweise Kantonen (Schweiz) Bibliotheksgesetze einzuführen. [Fn 01] Diese beziehen sich, wie Zechner und Wiegel (2012) kritisch anmerken, vor allem auf Öffentliche Bibliotheken. Die Zielsetzungen der einzelnen Vorstösse weichen voneinander ab, grundsätzlich haben sie aber allesamt das Ziel, die Existenz und Ausstattung der Öffentlichen Bibliotheken abzusichern und als Gesetzesaufgabe festzuschreiben. Obwohl es immer wieder zu einer politischen Unterstützung für diese Vorhaben kommt, [Fn 02] sind solche Gesetze bislang nicht in allen Bundesländern und Kantonen erlassen worden. Allerdings wird dies von bibliothekarischer Seite explizit als Ziel definiert. [Fn 03]

Mit diesen Gesetzen verbinden sich grosse bibliothekspolitische Hoffnungen, welche ebenso seit einigen Jahren beständig wiederholt werden. Auffällig ist allerdings, dass im Laufe dieser Debatten immer weniger auf Erfahrungen mit Bibliotheksgesetzen aus anderssprachigen Staaten Bezug genommen wird und auch zuvor nur sehr wenige Staaten als Vorbild galten, obgleich nationale und bundesstaatliche Bibliotheksgesetze weltweit zu finden sind. Zugleich scheint übersehen zu werden, dass es in allen drei Ländern schon Erfahrungen mit Gesetzen zur Berufs- und Weiterbildung gibt, die Auskunft darüber geben könnten, ob und wie Bibliotheksgesetze in der Realität wirken werden.

Dabei sind vor allem Volkshochschulen in den deutschen Bundesländern interessant, da diese viele Eigenschaften mit Öffentlichen Bibliotheken, beispielsweise die öffentliche Finanzierung, die Freiwilligkeit der Wahrnehmung der Angebote durch die Nutzerinnen und Nutzer und die lokale Orientierung der Programmarbeit, teilen und es gleichzeitig schon seit mehreren Jahrzehnten Volkshochschulgesetze gibt. Die Volkshochschulgesetze wurden mit der Zielsetzung eingeführt, gesetzlich ein flächendeckendes System an Volkshochschulen zu verankern und finanziell abzusichern, so wie es heutzutage für die Bibliotheksgesetze und das Bibliothekswesen formuliert wird. Der folgende Text soll kurz die Erfahrungen mit den Volkshochschulgesetzen in deutschen Bundesländern darstellen und daraufhin befragen, was aus diesen Erfahrungen für die zukünftige Gestaltung und Wirkungsweise von Bibliotheksgesetzen gelernt werden kann. [Fn 04]

Ziele und Einführung der Volkshochschulgesetze in Deutschland

In der Bundesrepublik Deutschland trat Ende der 1960er bis Anfang der 1970er Jahre ein einflussreicher bildungspolitischer Diskurs auf. Die bisherige Bildungslandschaft wurde als unzureichend angesehen, da sie einerseits nicht auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Anforderungen reagiere und andererseits nicht das Recht auf Bildung für alle Personen ermöglichen würde. Bildungspolitik und Bildungswissenschaften reagierten darauf mit weitreichenden Bildungsplanungen. Grundidee war, mit an den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen ausgerichteten systematischen und mit Rücksicht auf die Bildungsgänge übergreifenden Planungen ein möglichst effizientes Bildungssystem zu schaffen, welches gleichzeitig Freiräume für demokratische Bildungsprozesse eröffnen würde. Dabei standen sich Positionen, die Bildung vor allem als emanzipatorisch und menschenbildend begriffen; Positionen, die vor allem bislang benachteiligten Schichten Bildung ermöglichen wollten und Positionen, die Bildung vor allem unter dem Blickwinkel der effizienten Planung verstanden, für einen gewissen Zeitraum nicht gegenüber, sondern interagierten gemeinsam in der Hoffnung, ein besseres Bildungssystem schaffen zu können. [Fn 05]

Im Laufe dieser Debatten, Planungen und Aufbauarbeit wurden in verschiedenen Bundesländern Volkshochschulgesetze erlassen. Weiterbildung, sowohl beruflich als auch individuell, wurde als „vierte Säule“ des Bildungswesens (neben der ersten Säule Elementar- und Primarbereich, zweite Säule Sekundarbereich inklusive der Berufsbildung, dritte Säule Tertiärer Bereich, also Hochschulen) verstanden. Der Deutsche Bildungsrat, damals als Beratungsinstitution der Länder und des Bundes eingesetzt, verlangte eine gemeinsame Planung:

„Wenn Weiterbildung als Gesamtbereich im Bildungssystem angesehen und behandelt wird, können sich gemeinsame Vorstellungen der verschiedenartigem Träger der Weiterbildung leichter herausbilden; das Bewußtsein von der Zusammengehörigkeit der unterschiedlichen Aufgaben der Bildungseinrichtungen wird gefördert [...]
Wie in kaum einem anderen Bereich des Bildungswesens müssen staatliche, kommunale und private Träger zur Verbreiterung und Verbesserung des Bildungsangebotes zusammenwirken. Lehrgänge und Kurse der Fortbildungs-, Umschulungs- und Erwachseneneinrichtungen müssen koordiniert werden, und zwar sowohl im Interesse einer allseitigen Förderung und Orientierung der Teilnehmer als auch zur Gewährleistung der bestmöglichen Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten.“ (Deutscher Bildungsrat, 1970, S. 200) [Fn 06]

Infolgedessen strebten unterschiedliche Bundesländer – mit unterschiedlichen politischen Regierungskonstellationen – die Einführung von Volkshochschulgesetzen an, die eine zentrale Planung der Volkshochschulen, eine geordnete Förderung der Angebote, eine Professionalisierung der Volkshochschularbeit und möglichst egalitäre Zugange ermöglichen sollten. (Ehmann 2011; Wennemann, 1999; Rohlmann 1994) Diese Gesetze hatten unterschiedliche Namen und umfassten teilweise mehr Einrichtungen und Bereiche, als nur die Volkshochschulen. Vorläufer in Weiterbildungsgesetzen gab es in den 1960er Jahren; als Beginn der eigentlichen Gesetzgebung gilt das 1975 in Kraft getretene Gesetz in Nordrhein-Westfalen. Alle anderen Bundesländer führten in schneller Folge eigene Gesetze ein. Nach der Wende wurden auch in den neuen Bundesländern ähnliche Gesetze verabschiedet, zuletzt 1998 in Sachsen (Rohlmann 1994; Wennemann 1999). Insoweit kann man heute von einer flächendeckenden Gesetzgebung für Volkshochschulen in den deutschen Bundesländern ausgehen, die teilweise seit mehreren Jahrzehnten wirksam ist.

Wirkungen auf Ebene der Länder

Die Volkshochschulen in Deutschland hatten sich bis in die 1960er Jahre aus unterschiedlichen Traditionen heraus gebildet. Sie wurden von politischen und religiösen Bewegungen im Rahmen ihrer jeweiligen Ziele begründet, daneben eröffneten einzelne Kommunen Volkshochschulen. Die Volkshochschulen hatten unterschiedliche pädagogische Konzepte, beispielsweise Heimvolkshochschulen, welche die Teilnehmenden für eine Anzahl von Tagen an einem Ort zusammenbrachten, oder Volkshochschulen, die ohne eigene Räume auskamen und ihr regelmässiges Programm in unterschiedlichen Einrichtungen stattfinden liessen. Zudem hatten sie fast allesamt Ziele, die über die Berufsbildung hinausgingen. Mehr noch: Viele Volkshochschulen verstanden sich als expliziten Gegenpol zur Berufsqualifikation und sahen ihre Aufgabe in der Menschenbildung. (Stieglitz 2007) Gleichzeitig wurden Volkshochschulen von sehr unterschiedlichen Trägern unterhalten. Die meisten grossen Städte hatten Volkshochschulen, aber sehr unterschiedlich ausgestattete. Manche hatten keine. Teilweise unterhielten aber auch kleinste Gemeinden eine Volkshochschule. Eine ganze Anzahl von Volkshochschulen wurde von Vereinen getragen. (Vgl. Rohlmann 1994)

Diese Diversität war in gewisser Weise gewollt und wurde gleichzeitig als Problem für die Bildungsplanung angesehen. Zumeist begründet durch die Erfahrung des Nationalsozialismus, der die Volkshochschulen – wie alle anderen Einrichtungen auch – in das Gesamtkonzept des Staates eingliedert hatte, wurde nach 1945 in den Volkshochschulen und der Weiterbildung die Notwendigkeit einer möglichst grossen Staatsferne betont. Zwar sollte der Staat die Arbeit der Volkshochschulen so fördern, dass alle Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzt würden, Volkshochschulen zu nutzen, aber gleichzeitig inhaltlich nicht oder möglichst wenig eingreifen. [Fn 07] Gleichzeitig wollte die Bildungsplanung auch die Volkshochschulen in die Gesamtaufgaben des Bildungssystems – Chancengleichheit, individuelles Bildungsstreben und gesellschaftliche Forderungen (Deutscher Bildungsrat 1970, S. 30f.; Ehmann 2011) – einbinden, wobei eine zufällige Verteilung von Angeboten als Hindernis angesehen wurde. In diesem Schnittfeld agierten die politischen Akteurinnen und Akteure.

Die Länder setzen in den Gesetzen Fördergrundsätze fest. Sie gaben vor, wie viele Bildungsangebote für wie viele Personen erbracht werden müssten, damit die Volkshochschulen eine Förderung erhielten; sie gaben zum Teil auch Qualifikationen der Lehrenden und andere Basiswerte vor, liessen aber den Trägern und Kommunen ansonsten einen möglichst grossen Spielraum bei der Erbringung dieser Werte. Gleichzeitig wurden mit diesen Vorgaben Richtwerte festgelegt, die sich zumeist nur erfüllen liessen, wenn die Angebote der Volkshochschulen sich stark an den Interessen der Nachfragenden orientierten. Auch dies war gewollt: Wie die Interessen bedient wurden war dem Träger freigestellt. Gab es zum Beispiel ein Interesse am Englisch-Lernen konnte das sowohl anhand einer gemeinsamen Bibelexegese, über Englisch-Stunden oder einen Workshop zur Geschichte der britischen Arbeiterbewegung passieren. Wichtig war, dass die Interessen der potentiellen Teilnehmenden erhoben und die Bildung deren Interessen nach geplant wurden.

Jelich (2003) sieht dies als positiv an. Nach 1945 sei eine zwar bunte und inhaltlich breite Volkshochschullandschaft gewachsen, die aber auch stark von Interessen Einzelner und dem Zufall abhängig gewesen sei.

„Die einzelne Volkshochschulen übergreifenden Programmstrukturen, die systematisch an den nachgefragten Bildungsinteressen auszurichtende Bildungsangebote vorsahen, waren im Kontext einer normativen, an der Persönlichkeitsbildung orientierten Volkshochschularbeit nicht vorgesehen, was auch den für die Bildungspolitik der 1970er Jahre typischen Begriff der „Planung“ in den 1960er Jahren noch nicht zu einem Leitbegriff der Bildungsdiskussion werden ließ.“ (Jelich 2003, S. 270)

Er stellt die Grundüberlegungen des 1975 in Nordrhein-Westfalen erlassenen Gesetzes wie folgt dar:

„Kernbestandteil des 1974 verabschiedeten und zum 1.1.1975 in Kraft tretenden Weiterbildungsgesetzes ist, dass den kommunalen Volkshochschulen die Aufgabe zukommt, Weiterbildung als gleichberechtigten Teil des Bildungswesens auszugestalten, indem sie ein flächen- und bedarfsdeckendes Angebot als Grundversorgung (Mindestangebot) sicherstellen. Ohne die Ziele und Inhalte von Weiterbildung zu präzisieren, wird den Volkshochschulen die Vorgabe der Abdeckung von sieben Sachbereichen gemacht: 1. nichtberufliche, abschlussbezogene Bildung, 2. berufliche Bildung (allerdings ohne finanzielle Förderung), 3. wissenschaftliche Bildung, 4. politische Bildung, 5. freizeitorientierte und die Kreativität fördernde Bildung, 6. Eltern- und Familienbildung und 7. personenbezogene Bildung.“ (Jelich 2003, S. 272 f.)

Für die Bildungspolitik galt dies als erfolgversprechender und bis heute erfolgreicher Weg, die Unabhängigkeit der Volkshochschulen sicherzustellen und gleichzeitig die Volkshochschulen an ihre Aufgaben zu binden. Wichtig war dabei im Rahmen der Bildungsplanung auch, dass die Arbeit der Volkshochschulen professionalisiert werden sollte.

Martina Wennemann (Wennemann, 1999) kommt in ihrer Promotion, die sich mit den Auswirkungen von Gesetzgebungen auf die Jugend-, Erwachsenen- und Weiterbildung befasst, zu einem differenzierten Ergebnis.

Zum ersten kommt es mit der Einführung des Gesetzes – wenn auch etwas zeitversetzt – zu einem massiven Rückgang der Volkshochschulen und ihrer Träger. Volkshochschulen müssen nun dem Gesetz folgend für eine bestimmte Anzahl von Personen (in NRW wurde in Schritten von je 40.000 Personen gerechnet) eine bestimmte Anzahl von Unterrichtsstunden anbieten (in NRW 7.200 pro Jahr). Die Zahlen differieren, grundsätzlich wird in den Landesgesetzen aber in einer solchen Weise gerechnet. Dies führte dazu, dass sich viele Volkshochschulen in kleinen Gemeinden nicht halten konnten. Oft wurden sie zu Zweckverbänden zusammengelegt, was allerdings die Frage bedingte, ob eine kleine Volkshochschule in einem Zweckverband immer noch lokal tätig oder aber von der jeweiligen Zentrale abhängig wäre. Gleichzeitig wurden in grossen Gemeinden neue Volkshochschulen gebaut. Die Form der von einem Verein getragenen Volkshochschule verschwand kurze Zeit nach der Einführung des Gesetzes in NRW vollständig. Interessant ist, dass sich nach 1979 – also vier Jahre nach Einführung des Gesetzes – eine gewisse Kontinuität in der Zahl und Grösse der Volkshochschulen eingependelt hatte.

Die Zahl der Veranstaltungen an den Volkshochschulen in NRW nahm rasant zu. Das tat sie allerdings schon vor Einführung des Gesetzes. Wennemann (1999, S. 125) zeigt, dass nicht das Gesetz allein für die Steigerung der Angebote verantwortlich war. Allerdings kann sie zeigen, dass mit relevanten Rückgängen in der Förderung von Volkshochschulen nach 1979 auch ein Rückgang der Veranstaltungszahlen eintritt. Vor dem Gesetz wuchsen die Angebote also ohne gesetzliche Regelung – als ein Grund ist hier vor allem die breite gesellschaftliche Aufbruchsstimmung und Diskussion um Bildung zu vermuten –, nach einer Zeit der Aushandlungsprozesse waren die Volkshochschulen aber von der Steuerung und Förderung durch den Gesetzgeber abhängig.

Inhaltlich kam es zu einer Umgestaltung der Veranstaltungen. Einzelveranstaltungen wie Vorträge, Diskussionsrunden und ähnliches wurden geringer gefördert, als Kursveranstaltungen mit mehreren Veranstaltungsterminen verteilt über einen längeren Zeitraum. Dies schlug sich auf die Ausgestaltung der Arbeit der Volkshochschulen nieder. (Wennemann 1999, S. 130) Von der Anzahl her wuchsen beide Veranstaltungsformen zwischen 1969 und 1994 (den Untersuchungszeitraum Wennemanns), Einzelveranstaltungen allerdings nur um 33%, Kursveranstaltungen um über 300%. Gleichzeitig ging die Attraktivität von Einzelveranstaltungen, gemessen an der durchschnittlichen Zahl der Teilnehmenden, massiv zurück, während sie bei den Kursveranstaltungen nur sehr leicht zurückging. Es kommt offenbar ohne gesonderten Druck in den Jahren der Wirksamkeit des Gesetzes zu einer Veränderung in der pädagogischen Gestaltung der Volkshochschulangebote.

Interessant ist auch, dass der Effekt der Professionalisierung nicht im zu erwartenden Umfang eingetreten ist. Gab es vor dem Gesetz die Kritik, dass eine grosse Zahl der in den Volkshochschulen Tätigen keine didaktische oder pädagogische Ausbildung hätte und zudem in unsicheren Arbeitsverhältnissen angestellt sei, hat sich dies durch das Gesetz und die Schaffung von Studiengängen für die Erwachsenenbildung nur in wenigen Fällen geändert. Die Leitung der Volkshochschulen ist seit 1978 in NRW fast nur noch hauptamtlich angestellt, kann sich also der Arbeit durchgängig widmen und kontinuierlich Kompetenzen aufbauen. Auch die Zahl der hauptberuflichen Mitarbeitenden ist gestiegen. (Wennemann 1999, S. 136f.) Allerdings war auch dieser Trend schon vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zu beobachten und ist seitdem stark mit den Schwankungen der Fördersummen korreliert. Gleichzeitig stieg die Zahl der nebenamtlich Angestellten rasanter. Die pädagogische Hauptarbeit an Volkshochschulen wird weiterhin von ihnen getragen. Wennemann stellt 1999 – also mehr als 20 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes – fest:

„Der Erwachsenenbildungsbereich befindet sich noch in einer Phase der Professionalisierung [...].
So stieg die Zahl der hauptberuflichen MitarbeiterInnen an Volkshochschulen in den vergangenen Jahren ständig an. Gab es 1979 z. B. noch 369 hauptberufliche LeiterInnen an Volkshochschulen [in Nordrhein-Westfalen, K.S.], so waren es 1990 schon 515. Die Zahl der hauptberuflichen pädagogischen MitarbeiterInnen an den Volkshochschulen stieg im gleichen Zeitraum sogar von 1200 auf 3293. Auffällig hoch ist dennoch die Anzahl der nebenberuflichen pädagogischen MitarbeiterInnen, die 1979 102.189 und 1990 150.733 betrug. Insbesondere im Vergleich mit den ‚Hauptberuflern‘ wird deutlich, daß der Anteil der Nebenamtlichen im Bereich der Erwachsenenbildung stark überwiegt, also eine geringe Zahl von Hauptamtlichen einem ‚Heer‘ von Nebenamtlichen gegenübersteht.“ (Wennemann 1999, S. 83)

Wennemann thematisiert den Effekt von Gesetzen auf die Einzeleinrichtungen explizit als Steuerung. Durch das Gesetz und die Ausrichtung der Arbeit der Einzeleinrichtungen auf die gesetzlichen Vorgaben, an welche die Förderung gebunden ist, erhält der Gesetzgeber die Möglichkeit, indirekten Einfluss auf die Arbeit der Einrichtungen zu nehmen. (Wennemann 1999, S. 213-232)

Für Jelich gilt dies als positives Element der Entwicklung:

„Für die Volkshochschulen im Lande Nordrhein-Westfalen bedeutet die neue Arbeitsgrundlage ‚Weiterbildungsgesetz‘ einen Ausbau ihrer Institutionen und eine Systematisierung ihrer Angebotsstrukturen durch die Orientierung an den Sachbereichen, die insbesondere gewährleistet wird durch die Professionalisierung der Arbeit über die besondere Förderung pädagogisch-disponierenden Personals. Ablesbar ist dies an der Steigerung der hauptberuflichen pädagogischen Mitarbeiter/innen in den Volkshochschulen von 1972 97 auf die Zahl von 696 im Jahre 1980, um dann weit weniger stark auf 904 Stellen im Jahre 1990 anzusteigen. Obwohl die Zahl der selbstständigen Volkshochschulen sich mit dem Weiterbildungsgesetz von 245 im Jahre 1974 auf 134 im Jahre 1978 verringerte, gab es nunmehr flächendeckend für jeden Einwohner des Landes eine Volkshochschule [Hervorhebung K.S.]. Die Verringerung erklärt sich daraus, dass an die Bevölkerungszahl gebunden (25.000 bis 60.000) das Mindestangebot von 48.000 Unterrichtsstunden, darüber hinaus für je angefangene 40.000 Einwohner weitere 2.400 Unterrichtsstunden im Jahr zu erbringen war. Hierdurch ergab sich die Notwendigkeit für kleinere Gemeinden und Städte, auf der Kreisebene oder im Zweckverband mit anderen Volkshochschulen zusammenzulegen oder neu zu gründen.“ (Jelich 2003, S.273)

Es wird sichtbar, dass die Bewertung der Entwicklung sehr unterschiedlich ausfällt. [Fn 08] Jelich spricht von einer Professionalisierung, während Wennemann diese Professionalisierung anzweifelt. Gleichzeitig betonen beide, dass die gesetzliche Regelung Vorteile gebracht hätte. So gab es eine Absicherung der Institution Volkshochschule in Krisenzeiten, da ein Mindestangebot gesetzlich vorgeschrieben wurde. Gleichzeitig zeigt Wennemann, dass Kürzungen in der Förderung nach dem Gesetz einen weit stärkeren Einfluss auf die Volkshochschulen hatten als zuvor. Das zentral gesteuerte System bringt offenbar auch zentrale Effekte hervor.

Zu bemerken ist, dass es zu einer massiven Veränderung der Volkshochschullandschaft kam. Gerade nach der Einführung des Gesetzes wurde die divergente Landschaft der Volkshochschulen mehr normiert und gleichförmiger; die Einrichtungen waren jetzt eher einem gemeinsamen Kanon verbunden und auf eine ungefähr gleich grosse Zahl von Menschen hin orientiert. Auch wenn es im Gesetz nicht so vorgesehen war und in der Bildungsplanung (Deutscher Bildungsrat 1970) eher angedeutet als ausgesprochen wurde, wirkte das Gesetz doch in gewissem Rahmen vereinheitlichend.

Ehmann fasst ein weiteres Ergebnis der Volkshochschulgesetze knapp zusammen:

„Eine gesicherte Finanzierung konnte man sich [in den 1960er Jahren, K.S.] nur auf der Grundlage von Weiterbildungsgesetzen der Länder vorstellen. Zwar erreichten die Gesetze, dass die kommunale Volkshochschule eine allgemein verbreitete Einrichtung wurde. Doch die Vorstellung, per Gesetz eine gesicherte Finanzierung zu erreichen, basierte auf einem Mangel an Verständnis für politische Mechanismen [Hervorhebung K.S.]. Denn ein mit Mehrheit beschlossenes Gesetz kann selbstverständlich auch mit Mehrheit geändert werden, zur Not sogar durch einen kleinen Zusatz zum jährlichen Haushaltsgesetz. Umso mehr wunderten sich dann auch viele Erwachsenenbildner, als die Parlamente mal wieder von ihrem Entscheidungsrecht Gebrauch machten – und in den letzten Jahrzehnten vor allem die Landeszuschüsse für die Erwachsenenbildung kürzten.“ (Ehmann 2011, S. 41)

Der von Ehmann erhobene Vorwurf ist, dass die Aktiven, welche die Einführung der Gesetze betrieben und begrüsst hätten, nicht bedacht hätten, dass sie damit die Einrichtungen der Weiterbildung, inklusive der Volkshochschulen, auch einer Struktur unterordneten, die leichter Steuerungsprozesse durchführen und beispielsweise Förderung trotz gesetzlicher Grundlage – beziehungsweise gerade wegen dieser – kürzen kann. So kann der Gesetzgeber auch die Standards der Arbeit, die gefördert wird, verändern und damit direkt Kraft des Gesetzes Einfluss auf die Arbeit von Volkshochschulen nehmen. Allerdings erwähnt Ehmann nicht, dass dies in alle Richtungen möglich ist. Durch ein solch zentrales Steuerungsinstrument könnte beispielsweise auch qua öffentlichen Druck eine Verbesserung der Fördersituation für alle Volkshochschulen eines Landes erfolgen.

Für das Kanton Bern bemerkt Wild-Näf (1994) weiterhin etwas, dass sich in ähnlicher Weise auch in Deutschland vermuten lässt.

„[Es zeigt sich], dass zwar eine Einstellungsänderung des Staates gegenüber der allgemeinen Erwachsenenbildung zu Beginn der 80er Jahre festzustellen ist, die sich schliesslich in einem Gesetz über die Förderung der Erwachsenenbildung niederschlug. Dieses Gesetz orientiert sich in seinen Leitlinien jedoch vorwiegend an der bestehenden bernischen Tradition und basiert nicht auf einem wissenschaftlich abgestützten Konzept über die Aufgaben des Staates in der Erwachsenenbildung.“ (Wild-Näf 1994, S. 13)

In Bern hätten die Erziehungswissenschaften zwar zur Bewusstseinsbildung beigetragen und dafür gesorgt, dass das Thema Erwachsenenbildung in den politischen Diskurs aufgenommen wurde. Die Ausgestaltung des Gesetzes erfolgte dann aber, ohne dass auf die Erkenntnisse der Wissenschaft zurückgegriffen wurde. Politische Akteurinnen und Akteure waren zum Beispiel der Überzeugung, dass bestimmte Werte notwendig und richtig wären und setzen sich für diese ein, ohne dass dafür eine empirische Basis vorlag. (Wild-Näf 1994) Auch für die Volkshochschulgesetze in den deutschen Bundesländern ist eine wissenschaftliche Grundlage zumindest nicht bekannt.

Auswirkungen auf der Ebene von Institutionen

In den einzelnen Einrichtungen hatte die Gesetzgebung teilweise massive Auswirkungen. Dabei muss bedacht werden, dass gerade die nebenamtlich Tätigen solche Einrichtungen wie Volkshochschulen eher schnell wieder verlassen, wenn ihre Tätigkeit ihnen nicht sinnvoll erscheint. Die Rückmeldungen über die Wirkung der Gesetze auf der institutionellen Ebene stammen aber eher von denen, die länger in ihnen gearbeitet haben.

Gruhn (2000) beschreibt mit einem Abstand von 25 Jahren, was innerhalb der VHS Warendorf passierte, als 1975 das schon mehrfach angesprochene Gesetz in Nordrhein-Westfalen in Kraft trat. In einem ersten Schritt kam es zu einer Prüfung der Angebote und ihrer Förderungsfähigkeit. So wurde die „Universitätswoche“ (bei der Lehrende aus Universitäten ausserhalb der Universität lehrten) abgeschafft. Für Gruhn war dies bedeutsam.

„Neben dem Landesverband Dortmund hatte sie zuletzt nur noch die VHS Warendorf angeboten. Doch die Leitvorstellung der 60er Jahre, die Universität müsse über die Hörsäle hinaus in das umliegende Land ausstrahlen, konnte in einer schnell sich verändernden Bildungssituation offenbar nicht mehr in eine aktualisierende Thematik umgesetzt werden.“ (Gruhn 2000, S. 32)

Entgegen dem Ziel, mit dem Gesetz die Freiheit der Träger beizubehalten, schränkt es indirekt offenbar doch bestimmte Angebotsformen ein. Gruhn verortet dies auch in einen grösseren politischen Kontext. Für ihn geht mit dem Gesetz eine bestimmte Denkweise in der Volksbildung zu Ende.

Das Gesetz führt zudem zu einer Konzentration von Einrichtungen. Es werden nach einigen Verhandlungen mehrere Volkshochschulen zu einem Zweckverband zusammengeschlossen. Die VHS Warendorf wird Zentrum dieses Verbandes, die anderen Einrichtungen zu Aussenstellen. Insoweit muss die VHS Warendorf neue Aufgaben übernehmen und die Arbeit der Aussenstellen anleiten. Gleichzeitig gibt es schnell Kritik von den Umlandgemeinden, die zum Teil den Eindruck haben, die VHS finanziell mit unterhalten zu müssen, ohne deren inhaltliche Ausrichtung in ausreichendem Masse mitbestimmen zu können, indess Zur gleichen Zeit wird von den kleineren Gemeinden geäussert, dass es nicht mehr möglich wäre, lokale Absprachen – im konkreten Fall mit dem katholischen Bildungswerk – zu treffen. Die VHS muss sich mit dieser Kritik auseinandersetzen. Insbesondere als es in den 1980er Jahren zu einem ersten Rückgang der Fördersummen des Bundeslandes kommt, wächst diese Kritik und die Umlandgemeinden argumentieren verstärkt, dass der Zweckverband politisch erzwungen worden wäre. Keine der kleinen Gemeinden verlässt den Zweckverband, was aber auch damit zu tun hat, dass die Kosten dafür sehr hoch wären.

Zur Veränderung des Angebots kommt es laut Gruhn erst im Laufe der Zeit. [Fn 09] In den ersten Jahren wird die berufliche Qualifizierung als ein Angebot unter vielen in die Angebotspalette aufgenommen. Noch 1986 wird kritisiert, dass dieser, entgegen der Intention des Gesetzes, zu wenig Gewicht zukäme. Nach der Wende 1989/90 kommt es dann zu einer verstärkten Konzentration auf diesen Bereich. Dies ist – auch wenn Gruhn es nicht diskutiert – interessant, da hier offenbar in einer nordrhein-westfälischen Gemeinde eine politische Entwicklung relevant wird, die sich gar nicht auf diese Gemeinde beziehen sollte. Aber nicht das Gesetz, dass zu einer stärkeren Fokussierung auf die Qualifikation hätte führen sollen, sondern eine ausserhalb des Gesetzes und der Arbeit der Volkshochschule liegende poltische Entwicklung führt in letzter Konsequenz dazu. Dies zeigt auch eine Grenze der Steuerung durch das Gesetz.

Schlutz (2003) beschreibt die Entwicklung an der 1971 neu gebauten und eröffneten VHS Essen. Er weisst explizit darauf hin, dass die späten 1960er und frühen 1970er Jahre bildungspolitisch als Aufbruchszeit verstanden wurden:

„Die ersten Kollegen in der Erwachsenenbildung kamen aus anderen Tätigkeiten oder direkt von der Universität, sie hatten nicht auf eine Lehrerlaufbahn [wie Schlutz, K.S.], sondern auf andere akademische Berufstätigkeiten verzichtet – doch schienen alle ähnliche Motive der kreativen Beteiligung an einer neuen gesellschaftlichen Aufgabe zu teilen. Wobei Worte wie Demokratisierung oder Chancengleichheit überhaupt nicht erwähnt werden mussten – ebenso wenig wie im späteren Weiterbildungsgesetz –, um zu wissen, dass dies erstrangige Ziele waren. Es war die Änderung des gesellschaftlichen Klimas, speziell des Bildungsklimas, das allgemeine Bildungsreform und realistische Wende der Erwachsenenbildung [dass heisst die Hinwendung zu den Interessen von potentiellen Teilnehmenden und der Wirtschaft, K.S.], die den öffentlichen Diskurs wie die individuellen Motive durchdrang und zusammenbrachte.
Selbstverständlich waren sehr unterschiedliche Bewegungsmomente – u.a. ökonomische, kulturelle, gesellschafts-politische – an diesen Tendenzen beteiligt, und vielleicht ist das auch ein Grund dafür, warum die Bildungsreform ihre eigenen Protagonisten schließlich nicht zufrieden stellte. Die Motivstränge fielen später wieder auseinander, es zeigte sich ihre Widersprüchlichkeit oder auch Unvereinbarkeit. Aber um 1970 konnte es einen Augenblick lang so aussehen, als seien wirtschaftlich-technischer Fortschritt und Demokratisierung der Gesellschaft zusammen zu haben, eine prästabilisierte Harmonie gleichsam, wodurch sich die kleinen sozialen Akteure in ihrer Bildungsarbeit in Übereinstimmung fühlen konnten mit den großen Tendenzen der Gesellschaft. Bislang Unversöhnliches schien für einen Moment auf einmal und zugleich möglich: Aufklärung und Ausbildung, Chancengleichheit und beruflicher Aufstieg, individuelle Entfaltung und kollektive Emanzipation.“ (Schlutz 2003, 250f.)

In den Jahren nach der Erlassung des Gesetzes kam es nun an der VHS Essen zu ständigen Aushandlungsprozessen neben dem Anspruch dieser engagierten Personen, den Möglichkeiten und Grenzen des Gesetzes und der pädagogischen Realität. Dabei seien die bildungspolitischen Diskussionen in der Öffentlichkeit von den Lehrenden betrachtet worden, nicht so sehr die bildungspolitischen Dokumente, die beispielsweise der Deutsche Bildungsrat nach dem einflussreichen Strukturplan (Deutscher Bildungsrat 1970) weiterhin veröffentlichte. Obgleich das Zitat von Schlutz die damalige Aufbruchsstimmung veranschaulicht, zeigt es zudem, dass im Laufe der Zeit sowohl eine gewisse Ernüchterung als auch Professionalisierung eintrat. Die hohen Ansprüche, mit der die VHS Essen gestartet war, wurden nicht erfüllt.

Jelich (2003), der die Entwicklung von drei Volkshochschulen (Dortmund, Münster und Werl-Wickede (Ruhr)-Ense) untersuchte, kommt zu dem Schluss, dass trotz einer Konsolidierung, die in den 1980er Jahren eintrat, die Unterschiede zwischen den Einrichtungen weiter äusserst gross seien.

„Vor Ort erwies sich das Angebot der Volkshochschulen trotz Professionalisierung und Orientierung an Sachbereichen weiterhin stark abhängig von Ortsgröße und Sozialstruktur lokaler Traditionen, dem Vorhandensein von ‚anderen Trägern‘, Bildungs- und Kultureinrichtungen, dem Institutionalisierungsgrad (Personal, eigene Räume etc.), Unterstützung des kommunalen Trägers, dem Gefälle von Stadt und Land, dem Bildungsgrad der Bevölkerung u.v.m.“ (Jelich 2003, S. 274)

Insgesamt sind also die Auswirkungen auf die einzelnen Einrichtungen ambivalent. In den ersten Jahren treten grosse Umbauten ein, anschliessend eine gewisse Beruhigung, die aber auch mit dem Abbau von grossen Ansprüchen einhergeht. Was durch das Gesetz und den Umbau der Einrichtungen nicht gelingt, ist die gleichmässige Zugänglichkeit zu VHS-Angeboten für alle Bürgerinnen und Bürger – obgleich es im Interesse des Gesetzgebers wäre.

Bibliotheksgesetze

Bibliotheken und Volkshochschulen sind sind aus sturktureller Sicht durchaus ähnlich und befanden sich lange Zeit in einer vergleichbaren Lage gegenüber dem Gesetzgeber. In gewisser Weise streben politische Akteure, die sich für Bibliotheksgesetze einsetzen, einen ähnlichen Zustand für Bibliotheken an, wie er rechtlich für die Volkshochschulen in Deutschland existiert. Deshalb lässt sich aus den Volkshochschulgesetzen und ihren Wirkungen einiges für Bibliotheksgesetze lernen, dass Vorhersagen erlaubt und eventuell in Verhandlungen über neue Gesetze (in Deutschland und Österreich) sowie das Lancieren neuer Initiativen (Schweiz) beachtet werden könnte.

Dabei darf die Parallele nicht übertrieben werden. Die Volkshochschulgesetze in den alten Ländern wurden in einer Zeit eingeführt, als der Diskurs um die Planung von Bildung und ein Diskurs von Bildungsgerechtigkeit praktisch synonym verwendet wurden. Heutzutage werden diese beiden Diskurse teilweise als grundlegend gegenteilig verstanden. [Fn 10] Ausserdem existierten in den frühen 1970er Jahren eine gesellschaftliche Aufbruchsstimmung und ein Liberalisierungsschub, die heute nicht mehr zu beobachten sind. Nicht zuletzt wurden die Volkshochschulgesetze zumeist von Seiten der Regierungen und Parlamente entworfen und eingeführt und die Volkshochschulen beziehungsweise Volkshochschulverbände in der Folge zumeist beratende Positionen einnahmen während im Gegensatz dazu bei den Bibliotheksgesetzen die Bibliotheken und einzelne Aktive aus den bibliothekarischen Verbänden die Ansprüche formulieren und die Politik reagiert.

  • Eine wichtige Erkenntnis ist, dass mit einem Landesgesetz – und wohl auch mit einem Bundesgesetz, wie es in Österreich angestrebt wird – ein Steuerungsinstrument geschaffen wird. Ist ein Gesetz erst einmal etabliert und hat sich die politische Steuerung soweit gefestigt, dass sie einen direkten Einfluss auf die gesteuerten Einrichtungen nimmt, dann kann diese Steuerung auch zentral ansetzen, beispielsweise Kürzungen und Erhöhungen von Fördersummen für alle Einrichtungen festlegen, allgemeine Aufgaben stellen oder streichen, Standards durchsetzen oder abschaffen. Letztlich etabliert sich mit einem Steuerungsinstrument wie einem Landesgesetz eine weitere Ebene, auf der politisch gehandelt werden kann und muss. Es wäre gefährlich, dies zu missachten.
  • Eine gesetzliche Grundlage sichert zwar eine – politisch steuerbare – Mindestausstattung von Einrichtungen, garantiert aber kein Wachstum von Fördersummen. Auch eine Professionalisierung des gesteuerten Berufsstandes ist nicht per se gegeben. Wie anhand der Volkshochschulen sichtbar wurde, kann es auch zu einer Teilprofessionalisierung kommen, während der Grossteil der Arbeit weiterhin in prekären Arbeitsverhältnissen erbracht wird. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dies in Öffentlichen Bibliotheken ähnlich geschehen könnte.
  • Gesetze greifen zum Teil massiv in die einzelnen Einrichtungen und die Ausgestaltung ihrer Arbeit ein. Insbesondere wenn, wie zumeist vorgesehen, in Bibliotheksgesetzen Ausstattungsstandards vorgegeben werden, kann dies, wie bei Volkshochschulen dazu führen, dass eine ganze Reihe von Einrichtungen schliessen, fusionieren oder sich auch massiv vergrössern – und damit umgestalten – müssen. Gesetze haben eine andere Wirkung, als die schon vorhandene Praxis einfach festzuschreiben.
  • Langfristig führen Gesetze offenbar zu einer Angleichung der Angebote von gesteuerten Einrichtungen, aber nicht zu einer vollständigen Gleichförmigkeit. Jelich (2003) betont, dass dann, wenn kommunale Mittel vorhanden sind, die Volkshochschulen auch unterschiedliche Schwerpunkte setzen können. Im Umkehrschluss heisst dies, dass die Volkshochschulen, die keine gesonderten Mittel erhalten, wenig mehr als Standardangebote unterbreiten können. Es stellt sich die Frage, ob die Normierung von Angeboten in Bibliotheken sinnvoll wäre. Ebenso stellt sich dann die Frage, welche Standards aufgenommen, welche Freiräume für Bibliotheken festgeschrieben, wer diese Standards und die Operationalisierung der Standards bestimmen soll.
  • Die einzelnen Einrichtungen interpretieren die gesetzlichen Vorgaben im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Zielsetzungen. Es etabliert sich eine Form von Aushandlung, wobei sich mit der Zeit offenbar bestimmte Umsetzungen einspielen. Dabei ist, analog zu Ergebnissen der Forschung zur Educational Governance von Schulen und Hochschulen, zu vermuten, dass die anderen Ebenen der politischen Aushandlung durch Bibliotheksgesetze – die eine weitere Ebene einführen – nicht verschwinden werden. Vielmehr wird sich eine neue Balance zwischen den beteiligten Ebenen (Einzeleinrichtung, Kommune/Zweckverband, Land/Kanton, Bibliotheken, Verbände etc.) etablieren.
  • Implizite Annahmen über ein gemeinsames Interesse aller Beteiligten verbieten sich. Was nicht im Gesetz festgeschrieben wird, kann mit der Zeit als Inhalt verschwinden. Dies lehrt vor allem das Beispiel aus Essen (Schlutz 2003).
  • Steuerung funktioniert nicht nur über Gesetze. Zum Beispiel wurde die Zunahme der Bedeutung von Berufsqualifikation schon mit der Einführung der Gesetze angestrebt, aber erst nach der Wende 1989/90 massiv durchgesetzt.
  • Wenn schon die Bildungsforschung wenig oder gar keinen Einfluss auf die Ausgestaltung der Volkshochschulgesetze hatte, wird die Bibliothekswissenschaft vermutlich ebenso keinen Einfluss auf die Ausgestaltung der Bibliotheksgesetze haben. Sie kann allerdings gewichtige Punkte in die Debatten einbringen, beispielsweise auf den Steuerungseffekt von Gesetzen hinweisen sowie die Auswirkungen von Bibliotheksgesetzen untersuchen.

Fazit

Zumeist wird in den Debatten um Bibliotheksgesetze argumentiert, dass diese eine Grundausstattung an Bibliotheken in den Ländern (Deutschland), Kantonen (Schweiz) oder dem gesamten Staat (Österreich) garantieren sollen. Auf weitere Implikationen, insbesondere auf der Ebene der einzelnen Einrichtungen, wird bislang kaum eingegangen.

Mit den Volkshochschulen und den Volkshochschulgesetzen in den deutschen Bundesländern existiert ein gutes Beispiel für die langfristige Wirkung ähnlicher Gesetze. Dieses Beispiel zeigt vor allem, dass die Gesetze nicht alle im Gesetzgebungsprozess angestrebten Ziele erreichen, gleichzeitig aber eine materielle Basis garantieren, vor Ort interpretiert werden, zu einer gewissen Gleichförmigkeit der Angebote führen, in der Anfangszeit einem massiven Umbau der Angebotspalette nach sich ziehen und zudem neue Ebenen der politischen Auseinandersetzungen etablieren. Ein übergreifendes Gesetz, wie die Volkshochschulgesetze, stellt auch ein Steuerungsinstrument dar. Die bibliothekspolitischen Debatten und Aktivitäten, die sich auf Bibliotheksgesetze beziehen, sollten dies beachten.


Fußnoten

[01] Vgl. Leitner (2012), Mzé (2012), Rühle (2012), Steinhauer (2012). [zurück]

[02] Beispielsweise einen einstimmig angenommen Antrag zur Erstellung eines solchen Gesetzes im österreichischen Parlament 2011 oder die überaus hohe Beteiligung des Wahlvolks an der Initiative für eine Volksabstimmung über ein Bibliotheksgesetz im Kanton St. Gallen 2011/2012. (Vgl. auch den Text von Cornel Dora in dieser Ausgabe.) [zurück]

[03] Siehe explizit die Initiative Bibliotheken Schweiz / Initiative Bibliothèques Suisse, die sich dies zum Ziel gesetzt hat und beispielsweise Muster für Volksinitiativen in den Kantonen bereitstellt. (http://www.initiative-bibliotheken.ch) [zurück]

[04] Selbstverständlich kann aus den deutschen Volkshochschulgesetzen am Meisten für Bibliotheksgesetze in deutschen Bundesländern gelernt werden. Für Österreich und die Schweiz müssen die Erfahrungen weiter abstrahiert werden. Allerdings beziehen sich die Aktiven für die Einführung von Bibliotheksgesetzen in den drei Ländern beständig aufeinander, insoweit können die Bibliotheksgesetze im DACh-Raum nicht rein national diskutieren werden. [zurück]

[05] Rudolff (2005), Huss (2008). Rudolff weist indirekt auf eine Parallele zwischen diesem Planungsoptimismus im Bildungswesen und im Informationswesen hin. Während bekanntlich der Aufbau des systematischen Informationswesens in den westlichen Staaten in den 1960er Jahren von der Überzeugung getragen wurde, dass insbesondere die Sowjetunion durch eine zentrale Forschungsplanung effizienter agieren und Doppelarbeit vermeiden würde, berichtet Rudolff im historischen Rückblick davon, dass „immer wieder [...] die Indikatoren einer quantitativen Expansion des Bildungswesens, von denen aus der Sowjetunion berichtet wurde, als imponierendes Beispiel für den hohen Stellenwert des dortigen Bildungswesens [dienten] – und nicht selten auch als Menetekel, im industriegesellschaftlichen Leistungswettbewerb auf Dauer ins Hintertreffen geraten zu können.“ (Rudolff 2005, S. 269). [zurück]

[06] Man kommt nicht umhin, in diesem Zitat den unbedingten Unterschied zwischen der Bildungsplanung der 1970er Jahre und der heutigen Bildungsplanung, insbesondere bezüglich der Bologna-Reform zu bemerken. Sprach der Bildungsrat noch von allseitiger Förderung der Teilnehmenden und einer bestmöglichen Nutzung der Ressourcen ist heute nur noch der zweite Teil wichtig, der erste scheint im Diskurs nicht mehr vorzukommen. (Vgl. auch Huss 2008). [zurück]

[07] Interessanterweise ist für eine solche Argumentation die Erfahrung des Nationalsozialismus nicht notwendig. Auch in der Schweiz wird für eine Förderung der Weiterbildung durch den Staat mit gleichzeitig möglichst grosser Staatsferne argumentiert und zwar unter Berufung auf liberale Grundsätze und die Schweizer Geschichte. (Vgl. Wild-Näf 1994). Ähnlich findet sich diese Position in Deutschland und Österreich auch schon vor dem Nationalsozialismus. [zurück]

[08] Abgesehen davon, dass Jelich und Wennemann mit unterschiedlichen Zahlen agieren. [zurück]

[09] 1985 zieht die VHS mit der Stadtbücherei und dem Verkehrsamt zusammen. Auch dies ist offenbar keine neue Entwicklung. [zurück]

[10] Die Gesetze in den neuen Bundesländern wurden unter anderen Vorzeichen eingeführt und es wäre interessant zu untersuchen, welche Bedeutung dies für ihre Umsetzung hatte. [zurück]


Literatur

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Karsten Schuldt ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Projektleiter) am Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft, HTW Chur und Redakteur der LIBREAS. 2011-2012 war er tätig am Interdisziplinären Zentrum für Bildungsforschung, Humboldt-Universität zu Berlin. Er promovierte über Bildungseffekte Öffentlicher Bibliotheken. Lebt und arbeitet in Chur, Berlin und Lausanne.

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