Wer kennt sie nicht, die zwischen akuter Unbeholfenheit und latenter Dummheit oszillierenden chaotischen Unternehmungen der beiden Antihelden Clever & Smart (im Original „Mortadelo y Filemón, agencia de información“) aus der Comic-Serie des spanischen Zeichners Francisco Ibáñez? Sie erschien, wie viele andere großzügig mit Slapstick und Gags ausgestatteten Serien, seit 1958 in den Heften des Bruguera Verlags.
Dieser für die damaligen Verhältnisse mächtige Großverlag steht im Mittelpunkt der Graphic Novel „Der Winter des Zeichners“. [Fn 01] Der 1969 in Valencia geborene und mehrfach ausgezeichnete Comic-Zeichner Paco Roca illustriert darin ein wichtiges Kapitel der spanischen Comic-Geschichte: den Aufstieg und Erfolg des während der Franco-Diktatur größten spanischen Verlags für humoristische Comics, der "Editorial Bruguera" aus Barcelona. [Fn 02] Dieser Verlag entwickelte gemeinsam mit seinen Zeichnern einen eigenen Stil, der als „Escuela Bruguera“ bezeichnet wurde und anhand bestimmter Figurentypen die Sitten und Gebräuche der spanischen Gesellschaft der 50er bis 80er Jahre des letzten Jahrhunderts auf ironische Weise illustrierte. So sind die meisten Bruguera-Figuren einzuordnen als „Frustrierte des Lebens“, „Antihelden“, „Glückliche, aber Dumme“, „Inkompetente oder fahrlässige Arbeiter“ oder aber „sadistische Kumpel“, bei denen allesamt eine große Kluft besteht zwischen dem, was sie zu sein glauben, und dem, was sie sind. [Fn 03]
Ausgangspunkt der Graphic Novel, die sich in wechselnder Chronologie und passender Hintergrundfarbgebung je nach Jahreszeit präsentiert, sind die Unabhängigkeitsbestrebungen von fünf Zeichnern, die für diesen Großverlag arbeiten. Obwohl die wirtschaftliche Situation im von der Diktatur geprägten Spanien nicht gut ist und man für seinen Job als Angestellter eigentlich dankbar sein sollte, wurmt die fünf Zeichner nicht nur, dass sie lange Arbeitszeiten haben und schlecht bezahlt werden, sondern auch die ständigen Korrekturen und Zensuren ihres Chefs. Über den täglichen Eingriff in ihre künstlerische Freiheit hinaus, erhalten sie noch nicht einmal die Autorenrechte an ihren Figuren oder Originalzeichnungen. Deshalb beschließen sie im Frühjahr 1957, sich von Bruguera unabhängig zu machen und ein eigenes Heft zu gründen.
copyright Reprodukt / Paco Roca
So entsteht das Magazin „Tio Vivo“ („aufgeweckter Typ“) und Roca beschreibt im Folgenden, wie schwierig es für die fünf Jungunternehmer ist, mit ihrem neuen Comic-Heft gegen die seit vielen Jahren bestehenden Auslieferungs- und Verkaufsstrukturen von Bruguera anzukommen. So ist es nicht verwunderlich, dass das neue Heft nach nur einem Jahr scheitert und die fünf Zeichner ab dem Winter 1958 erneut Arbeitsverträge bei Bruguera unterschreiben und wieder desillusioniert im „Winter des Zeichners“ versinken. In ihren Herzen sind sie aber stolz darauf, den Aufstand zumindest kurzzeitig gelebt zu haben.
Das mit Anekdoten aus dem damaligen Zeichneralltag gespickte Werk, welches im besten Stil der Ligne claire gezeichnet ist und auch durch seine eingestreuten Split Panels und für Ortskundige wiedererkennbaren Straßenzüge von Barcelona überzeugt, wird durch einen Text zur geschichtlichen Einordnung sowie Kurzbiografien der Charaktere ergänzt. Die Thematik der Graphic Novel ist zwar historisch, verweist aber auf die immer noch aktuellen Fragen zu Bezahlung, den Autorenrechten und den Überlebensstrategien von Künstlern.
Fußnoten
[01] Roca, Paco: Der Winter des Zeichners. Berlin: Reprodukt, 2012. [zurück]
[02] Verlag: http://es.wikipedia.org/wiki/Editorial_Bruguera (auch auf Englisch verfügbar) [zurück]
[03] Durch den Verlag geprägter Comic-Stil: http://es.wikipedia.org/wiki/Escuela_Bruguera [zurück]
Maria-Inti Metzendorf studierte Informations-, Wissens- und Kulturmanagement und arbeitet als Bibliothekarin an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg. Das systematische Recherchieren, Organisieren und Vermitteln von Information hat es ihr angetan. Nebenbei rezensiert sie regelmäßig für die Lektoratskooperation Graphic Novels und spanischsprachige Belletristik.