Patrick McEown: Hair Shirt. Berlin: Avant-Verlag, 2011, 125 S., 19,95 Euro.
„Immer noch total fertig wegen ihr, hm?”
„Ja.”
„Kopf hoch, Alter, es wird noch mehr Chancen geben zu versagen.”
Der Kanadier Patrick McEown legt in seinem „ersten wirklichen Comic” (wie der Autorenbeschreibung zu entnehmen ist, schließlich hat er früher „nur” als Zeichner für Dark Horse Comics und als Storyboard-Entwerfer für DC gearbeitet) eine emotional intensive Graphic Novel vor. Dabei ist „Hair Shirt” (in etwa „Büßerhemd”, ein grober aus Haaren gewebter Stoff, der getragen wird, um Buße zu tun) der erste anspruchsvolle Comic, der mich beim Lesen richtig gruselt. Dazu tragen nicht nur die fast schon zittrig gezeichneten Panels in zurückhaltender Farbgebung bei, sondern auch die Tatsache, dass der Autor in diesem düsteren Erstlingswerk Erfahrungen aus seiner Kindheit und der seiner Freunde verarbeitet, die von Macht, Gewalt und Hilflosigkeit innerhalb der Familie und innerhalb von Beziehungen geprägt sind.
McEown erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der in seine kanadische Heimatstadt zurückkehrt und auf einer Party seine Jugendliebe wieder trifft. Dies löst einen teilweise harmlosen, teilweise albtraumhaften Erinnerungsschub an die gemeinsam verbrachte Jugend aus. Dem Autor gelingt es dabei auf subtile Art im Wechsel misslungene menschliche Beziehungen, offene Streitszenen und (Alb)Traumdeutungen zu illustrieren, die bei den meisten LeserInnen zumindest ein ungutes Gefühl auslösen dürften. Eine mutige, schräge und offen emotionale Auseinandersetzung mit der Jugend und den prägenden Momenten des zwischenmenschlichen Scheiterns.
Jason: Hemingway. Berlin: Reprodukt, 2011, 47 S., 13 Euro.
„Ist diese Woche was Spannendes reingekommen?
„Nicht viel. Eine neue Ausgabe von ‚Krieg und Frieden’.”
„Ach ja? Er ist wirklich kein schlechter Zeichner. Aber seine Figuren sehen alle gleich aus. Er hat nur dieses eine Gesicht drauf. Und dann die ganzen russischen Namen. Ich kann mir nie merken, wer jetzt wer ist.”
Der mehrfach preisgekrönte norwegische Zeichner Jason legt mit diesem schmalen und amüsanten Comicband eine Art liebevolle Persiflage der "Lost Generation" im Paris der 20er Jahre vor. Die berühmten amerikanischen Autoren Hemingway, Fitzgerald, Pound, ihre Kritikerin Stein und der irische Joyce verdienen sich in dieser Geschichte ihr Leben mehr schlecht als recht als Comiczeichner. Eine entzückende Idee. Bis der energiegeladene und testosteronsprühende Hemingway einen dummen Einfall hat, der ihm und seinen Freunden zu mehr Geld verhelfen soll, der Geschichte aber einen bösen Ausgang beschert.
Jasons Zeichnungen sind minimalistisch: Die Farbpalette ist ästhetisch zurückhaltend abgestimmt, seine Illustrationen sind geprägt durch einfarbige Flächen und eine saubere Linienführung. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass der Autor, ähnlich wie Art Spiegelmann in seinem berühmten Comic „Maus”, anthropomorphische Tierfiguren anstatt von Menschen verwendet, was sehr zum Charme der Geschichte beiträgt. Der Comic verlangt zum vollständigen Genuss und Verständnis einige Vorkenntnisse der Literaturgeschichte sowie eine genaue Betrachtung der Bilder. Dies wird vor allem gegen Ende wichtig, wenn es ans Scheitern geht, das in diesem Fall nur angemessen als „grandios” bezeichnet werden kann.
Daniel Clowes: Wilson. Frankfurt a. M.: Eichborn, 2011, 77 S., 19,95 Euro.
„Und Sie? Kinder? Familie?”
„In meinem Leben hat sich nichts verändert, seit Sie mich das letzte Mal belästigt haben.”
„Du musst dich irren, Frankenstein. Ich hab dich noch nie gesehen.”
Bekannt wurde der renommierte amerikanische Comiczeichner mit seinem Werk "Ghost World" (Reprodukt, 2000), das mit Thora Birch, Scarlett Johansson und Steve Buscemi erfolgreich verfilmt wurde und ihm sogar eine Oscar-Nominierung für das beste Drehbuch einbrachte. Nun hat der mehrfache Preisträger (Harvey-, Ignatz- und Eisner-Awards) einen durchweg zynischen Comic über einen alleinstehenden, amerikanischen Mittvierziger gezeichnet. Das grafische Portrait dieser Figur namens Wilson (alleinstehend, aber stolzer Hundebesitzer), dessen prägendster Charakterzug sein böser Humor ist, ist alles andere als nett. Denn viel Freude empfindet der offensichtlich emotional inkompetente Wilson vor allem dabei, seine Verachtung gegenüber seinen Mitmenschen zum Ausdruck zu bringen.
Einmalig an dem Comic ist vor allem die Erzählweise: So bildet jede Seite eine Art Kapitel mit einem in sich geschlossenen Comicstrip, in der Aneinanderreihung ergibt sich aber die Geschichte, wie Wilson sein Leben langsam aber endgültig vermasselt. Dieser bitterböse Comic dürfte beim Lesen manches verzweifelte Lächeln hervorrufen, wobei es einem im nächsten Moment auch durchaus im Halse stecken bleiben kann. Eine moderne und am amerikanischen Zeitgeist ganz nahe Graphic Novel: Ein sowohl in der Erzählstruktur als auch im Inhalt überzeugend dargestelltes Scheitern auf ganzer Linie.
Maria-Inti Metzendorf