Aus irgendeinem Grund, der eigentlich nur über eine akute Abkopplung von den Geschehnissen in der Musikkultur erklärbar ist, kam der Soziologe Götz Lechner einmal zu der Auffassung, das Scheitern sei aus der Popmusik verschwunden und lebe nunmehr vor allem bei „Michelle [sic!] Houellebecq’s Protagonisten Michel und Bruno“ und anderen Populärnarrativen in der Bestseller-Literatur weiter. [Fn 1] Das globale Leitmedium der Populärmusik heißt denn auch thematisch nicht unpassend Pitchfork(.com), [Fn 2] hat nichts mit den Post-Wavern des gleichnamigen Project gemein, und bringt täglich frisch die gesamte Bandbreite in Klang ausdrückbarer Emotion in die weißen Earplugs seines Publikums. Heute, in dem Moment, in dem ich diese Zeilen notierte, befindet sich beispielsweise das Review des Albums Something von Chairlift oben in der Liste, eine schöne Scheibe luftige Liebesliedkultur aus der Kiste Dreampop – und wo Liebesliedgut erklingt, klingt notwendigerweise auch das Scheitern mit. Widersprechen wir Götz Lechner also einmal, einfach weil er mit dieser These unrecht hat.
Die Popmusik ist aktuell in vielerlei Hinsicht mit Elementen des Scheiterns durchsetzt – vom Albumtitel Unemployed der Avantgardisten Alog bis zu dem Fallen Empires von Snow Patrol. Spätestens seit der Grunge-Kultur oder auch der Beck-Hymne Loser wohnt der Verliererkultur, der Lo-Fidelity-Ebene des Lebens, eine gewisse Hipness inne, die vermutlich die hyperironische Überlegenheitsintellektualität der Hipster erst ordentlich provozierte. [Fn 3]
„Homie, dein Scheitern hier bereitet mir unfassbare Freude“ – Eko Fresh – Der Einspruch
Ein Feld der Popmusik, auf dem das Thema Scheitern lange Zeit immer als Problem der Anderen thematisiert wurde, in dem Potenz und Superiorität noch im kleinsten Glied der Szene zum Repertoire gehören musste und das post-ethischen Sozialdarwinismus predigte, wie sonst bestenfalls noch die radikale Speerspitze neoliberalen Beratergeistes, ist die Rapmusik. Aber selbst hier ist das Scheitern mittlerweile marktgängig und dank Akteuren wie Casper auch Schulhof tauglich. Sensible Rapper sind aber nach wie vor weitgehend ein Tabu beziehungsweise wirken deplatziert und aufgesetzt (außer, wenn sie diese Nachdenklichkeit wettmachen mit gleichzeitiger Hyperaktivität, wie das zumindest in Grime teilweise zu funktionieren scheint, wenn man die Beispiele JME und Kano heranzieht. Aber das ist Großbritannien und das muss sich ja eh immer etwas anders dünken). Was möglich ist, ist die Beschreibung des absoluten Zusammenbruchs mehr oder weniger genialischer Persönlichkeiten vorzugsweise in Drogendelirien. In gewisser Weise liegen die Wurzeln im Horrorcore, wie er etwa von Gruppen wie Insane Poetry oder den Gravediggaz gepflegt wurde, und in dem persönliches Scheitern wahlweise als Totschlag-, Amoklauf- oder Selbstmordfantasie durchgespielt wird:
„I'm a suicidal failure, look my life's a failure / I can't make it in rap because my birth's an error / Do what I can to catch a quick death / But I'm meant to be here and that's the fuckin hell I live with.” – Cage, Suicidal Failure
reimt Chris Palko alias Cage und überzeugt damit in der Vertonung eher als auf dem Textblatt. Life of Agony haben ähnliche Fantasien durchgemetalt: „I got the razor at my wrist / 'cause I can't resist”. Wer in den 1990ern jung und musikalisch nicht sofort technoid war – die freudige Marusha-Welt hinter dem Regenbogen der Love Parade bot die hedonistische Alternative zu den Selbstauslöschungsfantasien, feierte die fröhliche Masse gegenüber der Masse der Vereinzelten – kann ohne Zögern ausufernde Playlists zum Thema memorieren.
Interessanterweise scheitert der Pop selbst. Denn seit eben diesen Polen Grunge und Techno, so der FAZ-Redakteur Niklas Maak, der freilich Rap vergisst, findet Populärkultur als Retro- und damit Erinnerungskultur statt:
„Es gibt immer wieder bemerkenswerte Einzelinnovationen, aber keine neuen musikalischen Massenbewegungen mehr, die, wie es zuletzt bei Techno oder Grunge der Fall war, die Lebensgewohnheiten, das Lebensgefühl eines ganzen Milieus, das Betrachten der Dinge und die Erfassung der Welt grundlegend verändern.“ [Fn 4]
Mit den „Nullerjahren“ zog tatsächlich langsam aber doch sehr sicher die Einsicht in die Musik, dass immer Pastiche-artigere Auseinandersetzungen kaum ohne ironische Brechung funktionieren. Wobei Ironie nicht unbedingt humorvoll oder wirklich beabsichtigt sein muss. Aber das irritierend perfekte „Video Games“ von Lana del Rey mit dem denkbar leersten Text zeigt, dass die Kulturproduktion an dieser Stelle zu raffinierten Collagen und Simulakren greifen muss. Und wenn Altmeister Johnny Cash DIE Hymne des Zerbrechens an der Welt – Hurt von Nine Inch Nails – auf seiner Gitarre variiert, wird deutlich, dass diese Überschreitungen nach wie vor zu gänsehäutigen Resultaten führen können.
Es ist eine alte Einsicht der Poesie, dass im Gebrochensein oft erst die eigentlichen Perlen sichtbar werden, freilich oft um bitteren Preis. „To lose is to have“ nannte der Komponist Klaus Hinrich Stahmer einmal ein sehr hörenswertes Stück und wer die Geschichte der Literatur, der Popmusik und auch anderer kreativer Lebensformen betrachtet, erkennt, dass diese Grundeinsicht nirgends so wahr ist, wie dort: Die berstenden Biografien, das Wahnsinnigwerden der Anderen, die Kinder vom Bahnhof Zoo und die eingefallenen Wangen der Amy Winehouse sind uns Kulturkonsumenten nicht real. Es sind Symbole. Die dahinterstehenden Menschen leiden für uns und unter unserer Beobachtung. Sie leiden stellvertretend und wir erleben mit, wie sie auch unsere Forderungen an ihr Stellvertreterleiden meistern oder eben daran zugrunde gehen. Ihr Verlieren ist unser Gewinn. Wir haben Teil und wissen beruhigt, dass wir die Story per Knopfdruck skippen oder abbrechen können. Wir sind die Kinder des Mittelmaß (Sichtbeton) und gewohnt, all das in unsere Identitätskonstruktion so zu integrieren, dass es niemandem wehtut. Uns rettet nicht zuletzt, dass die anderen scheitern und uns davon berichten.
Solange Pop lebt, wird das Scheitern in der Popmusik leben und da heute alles Pop ist, wird so vielfältig gescheitert, gelitten, erbebt und verloren, wie selten zu vor. Nachfolgend stellt die LIBREAS-Redaktion einige ihrer Lieblingslieder zum Scheitern vor.
Les Trucs – Scheitern als Chanson
Ein Elektroprojekt aus Frankfurt spielt in einem kurzen Instrumentalstück proklamierend mit dem vielzitierten und beschworenen Credo „Scheitern als Chance“. Der Opener unseres kleinen Soundtracks zum Thema interpretiert das Versagen musikalisch als ein höchstdramatisches Gefühls und Gedankenchaos, mit einem Nachgeschmack von Resignation.
Zum Nachhören: http://steakauzoo.bandcamp.com/track/scheitern-als-chanson
But not for me
„They're writing songs of love, but not for me. / A lucky star's above, but not for me.”
Das Scheitern in der Liebe ist der zentrale Topos des Scheiterns und zwar seitdem die Idee der Liebe erfunden wurde. Die romantische Lyrik strotzt vor Erfahrungen dieser Art und zelebriert das Gefühl des Ausgeschlossenseins bis in die noch so entfernteste Lichtung der linden Laubwälder unserer Träumereien. „But not for me“, geschrieben von Ira Gershwin und von George Gershwin vertont, ist das, was vermutlich jeder vom Musical Girl Crazy kennt, selbst wenn er das Musical nicht kennt. Ganze Generationen von Jazz-Musikern von Ahmad Jamal über John Coltrane bis Chet Baker variierten ihn, jede Jazz-Chanteuse, die einem einfällt, von Molly Johnson über Julie London, Carmen McRae bis Ella Fitzgerald hat ihre Version eingesungen und beinahe scheint es, als wäre das Stück, die schönste Ode an die enttäuschte Erwartung, selbst unzerstörbar.
Zum Nachhören: Verschiedenste Interpretationen auf Youtube.
Audio88 und Yassin (mit Hiob) – Nichts
Rap in Novembergrau. Ein Soundtrack aus den prä-gentrifizierten Straßen von Neukölln oder Wedding. Selten findet man Aussichts- und Hoffnungslosigkeit zwischen Pfand- und Spielautomaten, zwischen Amt und Minijob so abgeklärt resigniert, so glaubwürdig und völlig frei von Larmoyanz über den Takt gesprochen. Hier kämpft man nicht mehr um sozialen Aufstieg. Hier weiß man, dass man bereits die Decke erreicht hat. Es bleibt die Bestandsaufnahme, das sich gerade Bewusstmachen der schiefen Lebenslage und die einzige Frage: „Muss ich denn alles kontrollieren/Selbst Kontrollverlust?“
Zum Nachhören: http://vimeo.com/19277017
Ghostpoet – Cash and Carry me Home
Ghostpoet (beziehungsweise Obaro Ejimiwe) wuchs so globalisiert auf, wie es die Mischbiografien der Metropolen (London, New York, Paris) nur möglich machen. Er zeigt sich bereits im Titel seines Albums als Kind einer übergreifenden Popkultur: Peanut Butter Blues and Melancholy Jam überträgt per Referenz das Lebensgefühl der Smashing-Pumpkins-Generation in die popmusikalischen Ausdrucksformen des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts: Bristol-Sound trifft auf weltschmerzendes Ausgestoßensein. Eingängig und verzweifelt mit einem halbgaren Wortspielchen als Songtitel beschreibt er die Katerstimmung einer Generation, die sich nicht die Selbsterfaltungsräume erkämpft hat, sondern in diese gezwungen wird und nun in den Friedrichshains dieser Welt steht, trinkt, zieht, tanzt und rauscht und am Sonntagnachmittag ratlos in eine grausige Lebenstaubheit mit unklarer Perspektive hinein erwacht: „I'm all on my own / I've kinda lost my throne, I'm absent from the scene, / I'm searchin' for a way in life / I'm lookin' for a theme / A plan or a scheme, a road to a better place“.
Zum Nachhören: http://www.youtube.com/watch?v=k6mFF3VmVAs
Sophie Hunger – Walzer für Niemand
Kurz, unendlich schön, tieftraurig. Es ist schwer vorstellbar, dass die Kernidee der menschlichen Existenz, nämlich das allmähliche Verschwinden von Identität (nach mehr oder weniger erfolgreicher Herausbildung), das Auflösen des Selbst zartfühlender gefasst werden kann als es der Schweizer Wunderkünstlerin gelang: „Bald bin ich nichts und das, was dann bleibt / Ist deine Wenigkeit“. Als mit der Funktionsweise von Kultur Vertrauter weiß man natürlich, dass früher oder später ein anderes Lied um die Ecke biegen wird, dass einen ebenfalls heftig in die Knie zwingt. Für den Moment denkt man aber: Wenn sich jetzt schon auflösen, dann mit Sophie Hunger.
Zum Nachhören: http://www.dailymotion.com/video/x7b6d9_sophie-hunger-walzer-fur-niemand_music
Massive Attack - Unfinished Sympathy
Trip-Hop war schon immer gut, wenn man mal wieder mit dem Über-sich-selbst-Reflektieren beschäftigt ist, oder sich mit Entscheidungen plagt, die schon längst hätten getroffen werden müssen. Da würde man sich gern der Sängerin, in dem One-Cut-Video zu Unfinished Sympathy, vom ersten Album der britischen Band, beim ziellosen Umherstreifen durch die Straßen der Stadt anschließen, um Klarheit zu gewinnen, durchzuatmen. Es ist eigentlich gar kein Scheitern, dieses Sehnen und das bisher Unerfüllte, von dem sie singt, sondern erst der Anfang: „You're the book that I have opened. And now I've got to know much more.”
Zum Nachhören: http://www.tape.tv/musikvideos/Massive-Attack/Unfinished-Sympathy
The Specials – Too much, Too young
Niemand sagt, dass man es immer selber ist, der oder die scheitert. Oft auch schaut man, was aus anderen geworden ist, die einen für eine Zeit lang begleiteten und dann andere Lebensentscheidungen trafen (Heirat oder keine Heirat, eine andere Stadt oder immer noch die gleiche, eine Ausbildung, Studium oder doch Kunst). Entgegen der Behauptung, dass Gras wäre auf der anderen Seite immer grüner, vermittelt dieser Blick auf andere doch oft das Gefühl, zumindest grundlegend nicht so viel falsch gemacht zu haben, wie andere. Man selber hat noch so viel Leben vor sich, so viel Spaß, Partys und Sinn, während andere mit 25 langweilig wurden. (Jawohl! So ist es. Langweilig.) Das ist zwar nicht immer wahr, immerhin sind viele Menschen mit 25 und Kindern auch glücklich und froh, nicht mehr den Stress mit den Partys und ausufernden Sozialbeziehungen zu haben (sondern anderen Stress) – aber das bessere Liedgut haben immer noch die Menschen auf der Seite der Party (was irgendwie selbsterklärend ist, sonst wäre es keine Party). Treibender Ska, einfache klare Aussage: „You done too much, much too young / now you're married with a kid / when you could be having fun with me.“ Wer mit über 30 ohne Kinder ist und frierend vor dem Club auf Einlass wartet... immerhin das kann er oder sie summen.
Zum Nachhören: http://www.clipfish.de/musikvideos/video/3578055/the-specials-too-much-too-young/
Plan B – Stay too long
Wo wir gerade im Club sind, gleich die Warnung: Es wird später werden, es wird wieder schief gehen. Das Gefühl kennt man, zumindest in den Großstädten. Auf der einen Seite weiß man Freitag Nachmittag, dass es bis Sonntag Abend böse enden wird, wenn man jetzt nicht zu Hause bleibt. (Oder sich beschränkt, auf das Kino oder Theater zum Beispiel. Aber auch nur, wenn man danach nicht weiter zieht. Was illusorisch ist.) Und trotzdem zieht man los, weil... warum auch nicht? Man will was erleben.
Wer das Gefühl nicht kennt, wird sich in das Ich des Songs nicht einleben können. Aber ansonsten ist dies eine Hymne, genau für diese Situationen. Wenn man doch losgeht. Oder wenn man noch ein Bier nimmt (oder eine Mate, was auch immer). Ein entscheidender Dreh des Liedtextes: Schon in der ersten Zeile ist klar, dass auch an diesem Abend am eigenen Anspruch gescheitert werden wird („I know what's to come / Am I feeling happy now?“), aber dennoch steigert sich der Song immer mehr, so als würde er hoffen, dass doch noch abgesprungen wird, bevor wirklich alles vorbei ist. Aber niemand springt ab. Scheitern, wie es am schönsten ist: Mit One Night Stand, Suchtmittelvergiftung, Dingen, von denen man nachher lieber nicht wissen will, dabei gewesen zu sei und Selbstvorwürfen, die am nächsten Morgen kommen werden.
Zum Nachhören: http://vimeo.com/12021987
Sir Serch – Nooo!!!
Nooo!!! ist der wahnwitzig überzogene rapgewordene Ausdruck von verfehlten Erwartungen. Erfolgsdurstige Sportler, deren Herz der Musik gehört und die am Skateboard gescheitert sind, wie nun mal die meisten, die es versuchen. Sympathischer hat man das erfolgreiche Leben im falschen kaum gehört. Warum komm ich nie zu mir? Weil ohne Schiefgehen solche Lieder nicht gelingen.
Zum Nachhören: http://vimeo.com/423046
Von Sir Serch gibt es übrigens auch das Aufbaulied aller Loser: http://www.youtube.com/watch?v=2coAG1MgZ4E und versprüht die beste Lehre, die man den Unfähigen auf den Weg mitgeben kann: Es kommt nicht darauf an, was du machst. Es kommt darauf an, was die anderen glauben, was du machst.
Kanye West feat. Rihanna – All Of The Lights
Scheitern ist nicht nur da, um still daran zu verzweifeln und Gedichte drüber zu schreiben. Man darf sich auch laut beklagen. Man darf wünschen, dass andere helfen oder zumindest aus den von einem selbst gemachten Fehlern lernen.
All Of The Lights führt dabei zuerst hinters Licht, insbesondere wenn man mit dem Video beginnt. Dort sieht man ein junges Mädchen durch das Ghetto einer Großstadt (New York bestimmt, aber vielleicht auch Washington) laufen. Aber es sieht nicht nach Gefahr aus, eher so, als würde das Kind erwartungsfroh in die Zukunft schauen. Dann Rhianna, rotharrig, aufreizend: „Turn up the lights in here, baby / Extra bright, I want y'all to see this“. Ahh, denkt man, eine Aufstiegsgeschichte, Jenny from the blocks und so. Einst war Rhianna klein, unbekannt und lebte im Ghetto, jetzt ist sie groß, erfolgreich, begehrt und alle sollen es wissen. Kennt man. Doch das stimmt gar nicht: Man muss auf den Text hören, den Kanye West vorträgt. Es geht hier um den gescheiterten Vater, der seine Tochter vor den Erfahrungen der „Ghetto University“ bewahren will – aber nicht mehr darf, weil „I slapped my girl, she called the feds / I did that time and spent that bread [...] Restraining order, can't see my daugther [...]“. Und all sein Bitten hilft nichts: Er ist draußen, sein Verhalten hat dazu geführt, dass er ein gescheiterter Vater ist, dem nichts anderes mehr übrig bleibt, als zu verlangen, dass alle die Geschichte sehen. (Man will auch gar nicht für ihn sein, obgleich sein Leiden am Gescheitert sein jetzt echt sein kann.) Deshalb das ganze Licht. Was aber – so wollen wir die Rhianna-Figur hier verstehen – auch für die andere Seite der Geschichte gilt: Turn on the Lights um zu sehen, dass man an der Geschichte mit dem gescheiterten Vater nicht selber scheitern muss. Nicht, wenn man sein Leben selber in die Hand nimmt.
All Of The Lights ist ein erstaunlich intelligent inszeniertes Stück über das Scheitern der Menschen an den sozialen Umständen (sagen wir es doch einmal: Opfer des Systems, bei allen eigenen Fehlern).
Zum Nachhören: http://vimeo.com/20148191
Blumentopf – Da läuft was schief
Eine der intellektuelleren Combos in der deutschen HipHop-Szene zeigen, dass man sich mit dem Scheitern auch ganz selbstbewusst und tiefenentspannt widmen kann. Gewissermaßen sind die Münchener Wortakrobatiker von Blumentopf mit diesem Track jedoch selbst gescheitert, schaffen Sie es doch nicht mehr als einen faden Diss vom hohen Ross zu produzieren: „Wenn Du Dein Mikrofon checkst / und nur mit miesem Flow rappst / bist Du zum scheitern verurteilt / so wie der Friedensprozess. Die Metapher sind ganz hübsch, aber die Protagonisten können es erfahrungsgemäß definitiv besser.
Zum Nachhören: http://vimeo.com/13437407
Shaggy feat. Ricardo „RikRok“ Ducent – It wasn't me
Hier ein Song über das Scheitern an der eigenen Blödheit. Und erstaunlicherweise ein Song mit einer Moral. Die Interpretation ist von der großartigen Review von The Rap Critic und Todd in The Shadows geklaut (http://thatguywiththeglasses.com/videolinks/teamt/rap-critic/rap-critic-reviews/30618-qit-wasnt-meq-featuring-todd-in-the-shadows), aber sie ist richtig.
RikRok ist hier ein Idiot, der nicht nur seine Freundin betrügt, sondern sich dabei auch noch erwischen lässt – und offenbar nicht einfach so, nebenher, sondern beim Sex im Schlafzimmer, auf dem Sofa, in der Dusche und weiteren Orten. Und viel mehr noch: Dieser Idiot ist dazu auch noch so unintelligent, gerade zu Shaggy, der hier als „Jamaika-weit-größter-Player“ auftritt, zu rennen und ihn um Hilfe zu bitten. Aber alles was Shaggy tun kann, ist dazu zu raten, entweder selber zum Player zu werden und alles zu leugnen – oder halt nicht zum Player zu werden. Und hier setzt der Twist ein: Am Ende erkennt auch RikRok, dass er Unmögliches versucht. Seine Lügen und sein Fortlaufen macht die Situation nur immer weiter unannehmbar. Er lernt: „We could tell her / That I'm sorry for the pain that I've caused / You may think that you're a player / But you're completely lost (...)“. Das ist zwar ein wenig hart gegenüber Shaggy, dem es (folgt man dem Video) eigentlich recht gut geht mit seinem Player-Dasein. Zudem weiß man nicht, ob die Freundin von RikRok nicht eher zu bedauern ist, so einen Trottel zum Partner zu haben. Aber immerhin ist er einsichtig und so hat das Scheitern einen Lerneffekt. Insoweit: Ein positiver Song über das Scheitern.
Zum Nachhören: http://www.youtube.com/watch?v=AhmdMPmKgek
Dead Kennedys – Too drunk to fuck
Der Songtitel sagt alles…
Zum Nachhören: http://www.youtube.com/watch?v=BrVqIKOUTcI
Led Zeppelin – Communication Breakdown
Ein stets wiederkehrendes Songmotiv ist die Unfähigkeit, gegenüber jemandem seine Gefühle zu offenbaren, geschweige denn diese in wohl gewählten Worten auszudrücken. Die britischen Rockheroen Led Zeppelin haben dies in ihrem selbstbetitelten Debütalbum von 1969 stilprägend und unvergesslich impulsiv umgesetzt: „communication breakdown, / It’s always the same, / I’m having a nervous breakdown, / Drive me insane!
Das Hadern mit der eigenen Sprachlosigkeit ist vermutlich jedem von diversesten Situationen nur allzu gut bekannt.
Zum Nachhören: http://www.youtube.com/watch?v=bZNkLyQSZVg
Art Demoir – Unfinished Writing
Nach „Scheitern als Chanson” zu Beginn sei mit Art Demoirs „Unfinished Writing“ ein weiteres instrumentales Statement zum Abschluss unserer Sammlung vorgestellt. Das Stück passt sich ein in ein ganzes Ambient-Album, welches sich konzeptionell dem Unfertigen, nicht Abgeschlossenem widmet. Wer kennt das nicht: Angefangene Manuskripte, Textfragmente für Artikel, Anträge, Hausarbeiten uvm. werden einfach nicht fertig. Der Song hilft, sich den brachliegenden Schreibprojekt(en) endlich anzunehmen und in den „Flow“ zu kommen.
Zum Nachhören: http://www.youtube.com/watch?v=3ep4uEHgR7o
Fußnoten
[1] Götz Lechner: Soziologie des Scheiterns – ein romantisch verklärender Versuch. In: Matthias Junge, Götz Lechner (Hrsg.) Scheitern: Aspekte eines Sozialen Phänomens. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004. S.38. [zurück]
[2] Vgl. Richard Beck: 5.4 Pitchfork, 1995–present. In: n+1 Issue 12. http://nplusonemag.com/54. [zurück]
[3] Und, sagen wir es zumindest am Rande, dies bezieht sich nicht nur auf die Popmusik, sondern alle weiteren Formen der Kultur, auch und gerade neben der Literatur. The Big Lebowski und die Diskurse, die sich an diesen Film angliedern (akademische Texte, Lebowski-Feste, Sammlungen, Bowling-Kassetten, White Russian-Wettbewerbe, vgl. jüngst, aber gewisse nicht zuletzt: Jaffe, Aaron & Comentale, Edward P. (Hrsg.) Big Lebowski: Elf Essays. Freiburg: orange press, 2010.) ist da nur ein auffälliges Beispiel dieser Slackerhipnes. [zurück]
[4] Niklas Maak: Heute ohne Gegenwart. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.01.2012, Nr. 22, S. 29. [zurück]
Redaktion LIBREAS. Die Redaktion der LIBREAS besteht aus jungen Bibliothekswissenschaftlerinnen, Bibliothekswissenschaftlern und Bibliothekarinnen und gibt gemeinsam ein elektronisches Open-Access-Magazin für die Bibliotheks- und Informationswissenschaft heraus.