Das „ob, wann und wie“ des Publizierens ist ein exklusives Recht nicht zuletzt wissenschaftlicher Autorinnen und Autoren. Das „wo“ des Publizierens sollte dagegen eher ein einfaches Recht sein, bei dem eine „Schuld“ gegenüber der sie finanzierenden Öffentlichkeit durch ergänzende freie Zugänglichmachung abgetragen werden sollte. Der Deutsche Hochschulverband und der Börsenverein sehen das offensichtlich ganz anders – aber kaum mit länger haltbaren Gründen.
Fast schon triumphierend hat sich der Börsenverein des Deutschen Buchhandels (BV) zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger (AwV) auf die Seite des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) geschlagen. Dieser hatte in einer Pressemitteilung vom 23. März 2010 „vor einer Relativierung des Urheberrechts“ und vor einer Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit gewarnt: „Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern müsse es als Urhebern vorbehalten bleiben, zu bestimmen, ob, wann, wo und wie sie ihre Werke veröffentlichen.“
Die Positionierung des DHV richtet sich in erster Linie gegen den (unterstellten) Zwang oder Druck der Wissenschaftsorganisationen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu veranlassen, „ihre Werke im Rahmen von Open Access-Publikationen kostenlos zur Verfügung stellten“. Ein solches Ansinnen könne auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass jene eine mit „öffentlichen Mitteln geförderte Vergütung bzw. Besoldung“ erhalten. Der DHV warnt, dass das Urheberrecht „relativiert“ und „in einen vordergründigen ökonomischen Zusammenhang“ gestellt würde.
Der BV und die AwV setzen noch einiges drauf: „„Kein Autor“ so der Verleger Vittorio Klostermann [...] „sollte gedrängt werden, seine Werke der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung zu stellen [...] Solche Forderungen untergraben die Freiheit der Autoren, ihre Werke in der bestmöglichen Form zu publizieren.“ Der Börsenverein nutzt zudem gleich die Gelegenheit, um deutlich die in letzter Zeit immer häufiger gestellte Forderung nach einer „allgemeinen Wissenschaftsschranke“ für das deutsche Urheberrecht zurückzuweisen: „Ein modernes wissenschaftliches Informationswesen“ vertrüge, so Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins, „weder Zwang noch pauschale Schranken. Gerade die Wissenschaft braucht ein starkes Urheberrecht.“
Dem DHV kann man sicherlich unterstellen, dass ihn die Sorge um Verlust an Wissenschaftsfreiheit umtreibt. Zu gerne nehmen diese Sorge BV und AwV auf. Wohl wissend, dass Appelle an hohe (aber kontextlos abstrakte) Werte wie Wissenschaftsfreiheit oder geistiges Eigentum so gut wie sicher allgemeine öffentliche Zustimmung garantieren, bekräftigen auch die kommerziellen Verwerter diese Werte und sichern sich damit auch die Zustimmung zu ihrer Geschäftspolitik: das obige Zitat von Vittorio Klostermann endet entsprechend: „untergraben […] zugleich die ökonomischen Grundlagen der Wissenschaftsverlage“. Und das obige Börsenvereinszitat führt zu der Folgerung: „Sie ließe keinen Raum mehr für privatwirtschaftliche Verlage.“
Darum geht es und es ist auch nichts dagegen einzuwenden, dass Verlage kommerzielle Interessen vertreten. Muss oder darf das aber ideologisch in alter Überbautradition begründet werden? Wäre es nicht angemessener, dass Verlage mehr pragmatisch die Berechtigung dafür, dass sie aus dem mit öffentlichen Mitteln erzeugtem Wissen kommerziell handelbare Informationsprodukte machen, daraus ableiteten, dass sie aus den Ausgangsprodukten der Autoren wirklich neue Mehrwertprodukte machten? Darauf und auf elektronischen Umgebungen angemessene Geschäftsmodelle warten Produzenten und Nutzer von Wissen.
Wissen produzieren, dieses auch in allen medialen Formen darstellen, dessen Qualität bewerten, die Produkte in globale Netze einspeisen, sichtbar, suchbar und nutzbar machen, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selber beziehungsweise können sie dafür auf die Hilfe der Bibliotheken oder von Fachgesellschaften zurückgreifen. Ob sie es auf allen Stufen dieses Prozesses selber machen sollen, ist eine andere Frage. Hier ist weiterhin viel Spielraum für die bisherigen Publikationsprofessionellen.
Müsste in einem starken Urheberrecht nicht ein fairerer und zeitgemäßerer Interessenausgleich zwischen den Beteiligten – den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ihren Institutionen, den Nutzern, der Öffentlichkeit und den Verwertern – angestrebt werden, als bislang? Wobei sich dieser Ausgleich zum einen an den Rechten orientieren müsste, die die Beteiligten an den Prozessen der Wissens- und Informationserzeugung plausibel reklamieren, und zum andern (als Begründung nicht zuletzt der Rechte) an den Leistungen, die die Angesprochenen auf den verschiedenen Stufen von der Wissensproduktion beziehungsweise zu dessen Nutzung erbracht werden.
Müsste nicht im 21. Jahrhundert Schluss damit sein, das Urheberrecht durch ideologisch überhöhte Annahmen und Forderungen herzuleiten, die aus der Mottenkiste des Naturrechts und der romantischen Genietradition des 19. Jahrhunderts stammen? Selbstverständlich ist auch die Wissenschaft längst in ökonomische Prozesse und Ansprüche eingebunden, sowohl mit Blick auf ihre Finanzierung als auch auf ihre Nutzung. Warum gibt es wenige Juristen, wie jetzt Nikolaus Peifer (Universität zu Köln) auf der internationalen Commons-Tagung [http://www.iri.uni-hannover.de/conference.html] am 18.03.2010 in Hannover, die rechtliche Wege aufzeigen, wie wissenschaftliche Autorinnen und Autoren über eine zwingende Vertragsrechtsbestimmung veranlasst werden können, eine Zweitveröffentlichung auf wahlweise einer universitären oder privaten Open-Access-Plattform vorzusehen?
Noch weniger gibt es Politiker, wie den Bremer Justizsenator Till Steffen, der ein bemerkenswertes Positionspapier mit dem programmatischen Titel „Nutzerorientierte Ausrichtung des Urheberrechts“ vorgelegt hat, die also bereit sind, das bisherige Urheberrecht wirklich und sachbezogen auf den Prüfstand zu stellen.
Deutschland tut sich im internationalen Vergleich mit der Verabschiedung eines Verständnisses von Wissensproduktion besonders schwer, das an individuelle Kreativität und Freiheit gebunden ist. Schon in den Geisteswissenschaften tragen diese Annahmen kaum noch. In den international kollaborativ arbeitenden und auf erhebliche Ressourcen angewiesenen experimentellen und konstruierenden Wissenschaften ist diese Sicht auf Wissenschaft schlicht unhaltbar.
Die Freiheit der Wissenschaft und das Interesse der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben wenig mit der exklusiven individuellen Verfügung über das produzierte Wissen zu tun. Angerechnet werden muss in erster Linie die Leistung beim Prozess der Erkenntnisproduktion. Niemand will die urheberrechtlich gesicherten Persönlichkeitsrechten der Autoren und die Anerkennung der Leistung von Forschergruppen antasten. Aber die Anrechnung geschieht in Bildung und Wissenschaft nicht direkt oder nur unwesentlich über die monetäre Vergütung, und sie sollte nicht über eine exklusive Beanspruchung der Verwertungsrechte (und erst recht nicht über ein Recht zur exklusiven Übertragung dieser Rechte an Dritte) vollzogen werden.
Auch wenn Puristen und Dogmatiker des Urheberrechts und des geistigen Eigentums das vermutlich ganz anders sehen – das Wissen selber mag Eigentum der Wissensproduzenten selber sein (das wird ihnen auch angerechnet) – an den aus dem Wissen entstandenen und zur Publikation vorgesehenen und dann publizierten Werken haben aber auch andere Akteure Rechte. Es sollte weniger um Freiheit und Eigentum als um Rechte gehen.
Bei einem Urheberrechtsworkshop in Budapest unterschied Prof. Gábor Makara von der Ungarischen Akademie der Wissenschaft und vormals Präsident der mit der deutschen DFG vergleichbaren ungarischen öffentlichen Fördergesellschaft, sehr deutlich zwischen den Rechten und den Leistungen der Autoren, der sie tragenden Institutionen und der sie fördernden Institutionen und natürlich auch der Verlage. Quantifizierungen auf diesem Gebiet sind immer problematisch, aber Makara machte gut plausibel, dass Rechte und Leistungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und der beiden Institutionen circa 90 % ausmachten und nur etwa 10 % die der Verlage.
Unabhängig von den Zahlen ist der Schluss interessant und wichtig, den Ungarn daraus gezogen hat, nämlich dass es nicht angehe, wenn Autoren per Vertrag Rechte an Verlage exklusiv übertragen, die gar nicht umfassend ihre Rechte sind. Makara regte sogar eine gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit solcher exklusiver Übertragungsverträge an.
Natürlich sollen Forscherinnen und Forscher und Forschergruppen in aller Freiheit darüber entscheiden, was sie forschen (natürlich im Rahmen ihrer Bestellung beziehungsweise ihrer Förderanträge), wann und wie sie etwas veröffentlichen wollen. Auch unbenommen sei es, dass sie ihre Werke kommerziell verwerten lassen dürfen, aber – und das ist der entscheidende Unterschied – nur, wenn garantiert ist, dass die Rechte der Institutionen und der Öffentlichkeit auch gewahrt bleiben. Das ist der alte Locke´sche Gedanke des Eigentums, das als privates mit den Ausschlussmöglichkeiten reklamiert werden kann, wenn genug und in unverminderter Qualität für alle genug übrig bleibt.
In Ungarn, wie auch in vielen anderen Staaten und wie übrigens in einem Pilotversuch, der aber immerhin 25 % des Fördervolumens umfasst, auch in der EU, wurde entsprechend genau das festgelegt, was jetzt DHV und BV beklagen: Öffentlich finanzierte Autoren werden verpflichtet, ihre Arbeiten auch wenn sie sie kommerziell veröffentlichen, parallel oder mit geringer Verzögerung (Embargo genannt) nach dem Open-Access-Modell in Repositorien ihrer Wahl für den freien Zugriff bereitzustellen.
Wie geht der DHV damit um, wenn bei zunehmend global organisierter Forschung mit der Beteiligung international verteilter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler viele in ihren Ländern ihre Publikationen als Zweitveröffentlichung frei zugänglich machen müssen, während für die deutschen Co-Autoren das „Paradies“ der freien Entscheidung auch gegen die Zweitpublikation nach dem Open-Access-Modell bestehen bleiben soll? Sollen sich deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lieber aus der internationalen kollaborativen Wissensproduktion zurückziehen, weil deutsche Prinzipien verletzt würden?
Aber eine nationale Abschottung deutscher Wissenschaft ist unmöglich und von niemandem gewollt. Ohnehin wäre diese Forderung ein Anachronismus, denn Open Access in einem Land ist Open Access überall. Oder soll der Zugriff auf internationale Repositorien über Netzsperren gefiltert werden, weil deutsche Verwerter eine Gefährdung ihrer Interessen sehen? Die Wissenschaftsrealität der digital vernetzten Communities erfordert ein progressives Neudenken besonders des Wissenschaftsurheberrechts, das die Publikation und Distribution im Rahmen der möglichen Wege neu gestaltet – nicht Wege durch Anachronismen und Verknappungsformen versperrt.
Die verpflichtende Forderung nach einer offenen Zweitpublikation ist bisher nicht die Politik der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, einschließlich der DFG. Insofern stellt sich die Situation in Deutschland für die Verwerter vergleichsweise moderat dar. Angestrebt wird nicht die Verpflichtung zur Open-Access-Publikation, sondern das Ermöglichen einer Zweitverwertung durch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selber, zum Beispiel, wie auch schon vom Bundesrat im Rahmen des Zweiten Korbs vorgeschlagen, durch eine entsprechende Änderung des § 38 des deutschen Urheberrechtsgesetzes.
Anders als HDV und BV (und früher schon der Heidelberger Appell) unterstellen – aus dem Vorschlag der Allianz [http://www.allianzinitiative.de/fileadmin/user_upload/Home/Desiderate_fuer_Dritten_Korb_UrhG.pdf] zur Neuregelung des Urheberrechts im Rahmen des anstehenden Dritten Korbs ist klar ersichtlich, dass die Allianz auf ein unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht setzt, das – noch einmal – aber keineswegs eine Zwangsmaßnahme sein soll: „Dieses Zweitveröffentlichungsrecht, das für den Wissenschaftler keine Pflicht bedeutet, ist notwendig, um ihn in seiner Verhandlungsposition gegenüber großen wissenschaftlichen Verlagen zu stärken. Indem der Wissenschaftler selbst über den Grad der Sichtbarkeit seiner Forschungsergebnisse entscheiden kann, ist seiner Wissenschaftsfreiheit deutlich mehr gedient, als durch das Vorschieben von Riegeln. Er übt dabei in besonderer Weise das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit aus.“
Die Allianz setzt also nicht auf „required“, sondern auf „requested“, wie die Alternative in der angelsächsischen Diskussion benannt wird (dort übrigens zunehmend in Richtung „required“). Natürlich können auch Institutionen wie die DFG den goldenen Open-Access-Weg fördern, also die Einrichtung von speziellen originären Open-Access-Publikationsformen.
Grundsätzlich zielt die hier von DHV und BV beklagte Politik jedoch auf den grünen Weg ab, das heißt auf die parallele freie Zugänglichmachung auf der Grundlage einer freien Entscheidung der Autoren.
DHV und BV beklagen, dass schon die Empfehlung der Wissenschaftsorganisationen, auch „grün“ zu publizieren einen unangemessenen Druck auf Wissenschaftler ausüben werde. Unklar ist, wie das die Wissenschaftler selbst sehen. Zunehmend mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen diesem „Druck“ offenbar bereitwillig nach – erhöht sich doch dadurch ihre Sichtbarkeit und lässt sich somit leichter erreichen, was in der analogen Zeit recht umständlich über den Versand von Sonder- und Vorabdrucken erreicht wurde, nämlich die zeitnahe Information der Fachcommunity über die eigenen Erkenntnisse.
Erforderlich ist eine offene Diskussion über Vor- und Nachteile alternativer, kommerzieller und offener Publikationsformen. Das Verkünden des vermeintlichen Verschwindens der Wissenschaftsfreiheit durch Open Access trägt nicht unbedingt zur Aufklärung bei. Längst dürfte den meisten Verlagen (und Content Providern) klar sein, dass sich auf Dauer nur Geschäftsmodelle des wissenschaftlichen Publizierens halten werden, wenn sie mit dem Open-Access-Paradigma verträglich sind.
Auch wenn sich das Problem der Open-Access-Publikation in mittlerer Perspektive zugunsten dieser wohl selber erledigen wird, besteht jetzt Handlungsbedarf, auch rechtliche Klarheit zu schaffen und dabei Mut zu zeigen, sich auch mit der herrschenden juristischen Meinung und sei es die des Bundesverfassungsgerichts „anzulegen“.
Auch für Initiativen wie das Aktionsbündnis Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft, ist es das eine, sich auf den Boden der herrschenden juristischen und politischen Meinung zu stellen und das jetzt Machbare einzufordern – wie jetzt das Autoren-Zweitveröffentlichungsrecht. Und es ist das andere, das zu artikulieren, was für sinnvoll und notwendig gehalten wird, und sich daran zu machen, auf die öffentliche Meinung so einzuwirken, dass das bislang für unmöglich Gehaltene auch politisch und rechtlich konsensual möglich wird. Anders geht es nicht im demokratischen System und anders vollzieht sich keine Entwicklung.
Der Börsenverein bietet auch jetzt, wie schon so oft, Gespräche mit den beteiligten Akteursgruppen an. Oft genug wurden die dann aber abgeblasen, wenn bislang übliche Privilegien, wie die exklusive Übertragung der Rechte der Autoren an die Verwerter, in Frage gestellt werden oder wenn Bibliotheken auf ihrem Auftrag bestehen, ihrer Klientel das publizierte Wissen umfassend zugänglich zu machen. Aber reden wird man trotzdem müssen, um im Vorfeld des Dritten Korbs auch für das Bundesjustizministerium, das die Vorlagen für Regierung und Bundestag erstellen muss, die Perspektiven des Möglichen transparent zu machen.
Der Deutsche Hochschulverband ist gewiss die mächtige Interessenvertretung der Wissenschaft. Es ist davon ausgehen, dass vermutlich die Mehrzahl der etablierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (sagen wir der Altersgruppe über 45 Jahre) die bisherigen Publikationsstrukturen durchaus unterstützt – sind doch die aufgebauten Hierarchien (Herausgeberschaften, Boards von eingeführten und dominanten Zeitschriften mit hohem Impact-Faktor, Gutachter etc.) durchaus positions- um nicht zu sagen macht-/einflusserhaltend. Der Hochschulverband versteht sich aber sicher nicht nur als Lobbyverband der Etablierten, zumal auch er eigentlich davon ausgehen müsste, dass das Open-Access-Paradigma, das die kommerzielle Verwertung nicht ausschließt, im genuinen Interesse der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegt. Die dies unterstützenden Argumente sind alle ausgetauscht.
Mir scheint hier eine umfassende Debatte um ein zeitgemäßes Konzept von Wissenschaftsfreiheit oder geistigem Eigentum (in der Wissenschaft) dringend erforderlich. Ist Wissenschaftsfreiheit nicht auch das Recht auf freien Zugang zu den wissenschaftlichen Publikationen, ohne den kein neues Wissen produziert werden kann? Muss nicht der persönliche, in Art. 14, Abs. 1 GG garantierte Anspruch auf Schutz des (auch geistigen) Eigentums stärker als bislang durch die Sozialbindung von Eigentum (gefordert durch Abs. 2 Art. 14 GG) relativiert werden?
Der Aussage, dass Wissen ein Gemeingut (ein Commons) ist, das frei verfügbar sein muss und nicht „eingezäunt“ werden darf, wird jeder zustimmen können. Allein nutzt dieses Recht nichts, wenn der Zugang zum Wissen tatsächlich mit vielen Zäunen umgeben ist. Der Markt allein kann den freien Zugang und die freie Nutzung, wie sie bis in die jüngste Vergangenheit durch die Bibliotheken garantiert war, offensichtlich nicht mehr garantieren – zu hoch ist der kommerzielle Erwartungsdruck auf den Informationsmärkten geworden.
Sollte sich nicht auch der DHV von dem romantischen Konzept des unabhängig und allein verantwortlich forschenden Autors verabschieden? Wird die Gesellschaft auf Dauer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in öffentlichen Umgebungen so weitgehende Privilegien zugestehen wollen, wenn die von der Öffentlichkeit zu erbringenden Kosten für die Wissenschaftsproduktion und die akademische Lehre immer höher werden?
Mir ist keine Gruppierung bekannt, die das ob, wann und wie des Publizierens in Frage stellen würde. Dass aber Formen für das „wo“ gefunden werden müssen, die einerseits die kommerzielle Verwertung des mit öffentlichen Mitteln unterstützt produzierte Wissen rechtfertigen und andererseits der Öffentlichkeit die freie Nutzung des von ihr bezahlten Wissens garantieren, scheint mir unabdingbar zu sein, auch wenn es bis dahin noch ein sehr langer Weg mit manchen Zwischenstopps sein wird.
Der Hochschulverband verwendet die politische Forderung des „bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts“. Soll dies aber wirklich auf hergebrachten Privilegien beruhen, die letztlich eher den Verwertern als den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selber nutzen? Ein starkes Urheberrecht ist nicht ein das Einzäunen schützendes Recht, sondern eines, das der Wirtschaft Innovationen erleichtert, der Wissenschaft freies Forschen ermöglicht und jedermann in der Gesellschaft Entwicklungsperspektiven eröffnet.
[Dieser Beitrag stellt die persönliche Ansicht des Autors dar und ist nicht als offizielles Statement des Aktionsbündisses „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ zu verstehen.]
Rainer Kuhlen nutzt den NETETHICS-Blog, um neben seiner Tätigkeit als Sprecher des Aktionsbündnisses um gedanklich Positionen auszuloten, die auch in andere Diskussionen einfließen können.