- Die Metapher ‚E-Book’
- Der Hype um E-Books
- Elektronische Texte im Wandel
- Wie können wir besser sein als Papier?
Einst setzte man voraus, sich auf die Sprache und deren Semantik verlassen zu können. Das war zwar schon immer, mal mehr, mal weniger ein Trugschluss; aber heute in unserer digitalen Lebenswelt verliert man schnell den Überblick, was sich hinter unseren zahlreichen ‚neuen’ Bezeichnungen verbirgt. Die neueste, im Juli 2009 erschienene, Ausgabe des Dudens enthält allein 5.000 neue Wörter, darunter Blogosphäre, twittern, Onlinedurchsuchung, Vorratsdatenspeicherung und Web 2.0. Das ‚E-Book’ hat es auch schon in den Duden geschafft; warum auch nicht ,schließlich ist das Wort allgegenwärtig geworden. Doch gerade solche Anglizismen lassen in ihrer Bedeutung sehr viel Spielraum. Die derzeit beliebte Kommunikationsform, im Netz zu ‚twittern’ als Beispiel: ‚To twitter’ (engl.) bedeutet übersetzt ‚zwitschern’. Hinter dem eingedeutschten Wort ‚twittern’ verbirgt sich der Austausch von Kurznachrichten über das Internet. Zwitschern allerdings hat in der deutschen Sprache eine völlig andere Bedeutung. Gemeint ist damit die akustische Kommunikation der Vögel. Wie sinnvoll ist die Metapher des Zwitscherns für den Austausch von Kurznachrichten? Im Grunde kann niemand aus dem Begriff schließen, was tatsächlich gemeint ist. Twittern hat sich als fester Begriff etabliert – laut Duden zumindest. Genau das gleiche passierte zuvor bereits mit der Metapher ‚E-Book’. Wenn sich eine Metapher als fester Begriff etabliert, wächst das Problem der unklaren Bedeutung hinter dem Ausdruck. Er ist genauso weit reichend interpretierbar, wie dessen Metapher selbst.
Die Metapher ‚E-Book’
Wo beispielsweise ist die Grenze zwischen einem elektronischen Text auf einer Webseite und einem Text, der als E-Book akzeptiert wird? Das offensichtliche Kriterium ist vermutlich die Abgeschlossenheit eines E-Books. Aber ist das wirklich entscheidend? Sollten nicht die Inhalte und deren Art der Aufbereitung, also die Qualität, ausschlaggebend sein? Selbst schlichte PDF-Dateien werden neben den offenen E-Bookformaten, wie ePub, oder proprietären, wie Mobipocket, als E-Book bezeichnet. Jeder kann mit ein paar Klicks aus einem schlichten Text eine PDF-Datei erstellen, die sich dann dem heutigen Verständnis nach E-Book nennt. Auf der Leipziger Buchmesse im März 2009 fragte ich einen Vertreter an einem Messestand, an dem unter anderem E-Bookreader präsentiert wurden, was nun eigentlich der Unterschied zwischen einem schlichten PDF-Dokument und einem Dokument in einem E-Bookformat sei. Ich war zugegeben etwas irritiert, als er keine Antwort parat hatte, sondern sinngemäß sagte, dass das durchaus eine gute Frage sei und er vorerst darüber nachdenken müsse. Schließlich präsentierte er mir als Antwort auf meine Frage die Zoomfunktion an einem der ausgestellten E-Bookreader. Texte in einem E-Bookformat sind flexibler als PDFs und lassen sich besonders auf einem E-Bookreader besser darstellen. Das ist zwar zutreffend aber nicht unbedingt gravierend genug, um zur Ehrenrettung der Metapher zu taugen. Ich hätte durchaus eine überzeugendere und vor allem vielseitigere Antwort zu den E-Books und deren Formaten erwartet.
Der Begriff ‚E-Book’ ist durch die begriffliche Beziehung eng mit dem etablierten Medium ‚Buch’ verbunden. Das schafft Vertrautheit. Gedruckte Bücher genießen im gesellschaftlichen Verständnis ein überaus hohes Prestige. Bücher stehen für illustere Werte wie Wissen oder Intellektualität, gleichermaßen für qualitativ hochwertige Information und geben ein Gefühl von Sicherheit. Diese Assoziationen werden, so hofft man zumindest, automatisch auf das elektronische Buch übertragen. Dazu kommt das gängige ‚e’, das die elektronische und damit digitale Form anzeigt: E-Mail für elektronische Post, E-Signature für elektronische Signatur, E-Business für elektronisch ablaufende Geschäftsprozesse und so weiter. Jeder also, der etwas Englisch beherrscht und mit modernen deutschen Sprachgewohnheiten vertraut ist, ist in der Lage dazu das E-Book als Buch in elektronischer Form zu deuten.
Der Hype um E-Books
In Wirtschaft und Wissenschaft, im Bibliothekswesen und in der Leserschaft ist das E-Book mittlerweile weit verbreitet. Es existieren Internethändler, die sich auf E-Books spezialisierten. Viele andere bieten E-Books zumindest als Teil ihres Sortiments an. Besonders in den Naturwissenschaften, aber auch zunehmend in andere Wissenschaftsdisziplinen durchdringend, spielen E-Books eine immer wichtigere Rolle. Mindestens zwei erhebliche Vorteile gegenüber Print fallen sofort ins Auge: Erstens kann die elektronische Form des Buchs erheblich schneller publiziert, unter Umständen auch ausgetauscht und aktualisiert werden. Zweitens sind E-Books hinsichtlich der Vervielfältigung und Distribution unschlagbar günstig. Die elektronischen Zeitschriften zeigen seit den 1990er Jahren in der Wissenschaft, wohin der Trend läuft. Und genau wie diese bieten sich auch die E-Books für Wissenschaftler, Forschende und Studenten als Optimierung des eigenen Arbeitsprozesses an – sind sie doch komfortabel und auch zeitsparend über den heimischen PC zu beschaffen und zu verwalten. Im gleichen Sinne nehmen Bibliotheken E-Books als wichtige Informationsquelle und Medium verstärkt wahr. Sie nehmen diese in ihren Bestand auf und es besteht zumindest auch die Idee, E-Bookreader an die Nutzer zu verleihen. E-Books können sowohl auf dem PC-Bildschirm, als auch über ein mobiles Endgerät gelesen werden. Die, wenn man so will, Materialkosten für die Lagerung, Verwaltung, Verbreitung und Überwachung der Bestände sinken auch für die Bibliotheken rapide.
Je mehr Leute einen Reader für E-Books oder andere geeignete Geräte besitzen, umso relevanter scheint dieses Medium zu werden. Aber hängen Wohl und Wehe dieser Medienform tatsächlich an den Lesegeräten? Wahrscheinlicher ist vermutlich, dass die E-Bookreader im heutigen Sinn zusammen mit dem E-Book, deren ursprüngliche Bedeutung sich aus digitalisierten Printausgaben zieht, langsam verschwinden bzw. sich weiterentwickeln werden. Der Trend geht auch heute schon hin zum Multifunktionsgerät, also zu einem Mix von bestenfalls Allem: Lesen, Schreiben, Bearbeiten, Hören, Kommunizieren, etc. [Fn 1] Es ist fraglich, ob sich klassische E-Bookreader auch für zukünftige elektronische Bücher eignen.
Elektronische Texte im Wandel
Wie werden nun zukünftig elektronische ‚Bücher’ bzw. Texte aussehen? Darüber lässt sich momentan nur spekulieren, aber vermutlich werden wir sie nicht mehr ‚E-Book’ nennen. Das E-Book stellt nur einen Übergangsbegriff dar, der im Zuge der Weiterentwicklung von elektronischen Texten langsam verschwinden und durch mehr oder weniger präzisere Begriffe abgelöst werden wird.
Viele der heutigen elektronischen Texte orientieren sich nach wie vor an Paradigmen des Druckzeitalters. Gebrochen wird die Form dort, wo man nicht mehr für eine Veröffentlichung im klassischen, sondern parallel zum aktuellen Geschehen schreibt: auf Facebook, bei Twitter, in Weblogs. Spannender, als die Frage, ob und wie Bücher für digitale Kommunikationswelten geschrieben werden, ist die Überlegung, was und wie in diesen Umgebungen überhaupt gelesen wird. Tatsächlich zeigt sich auf Plattformen wie Facebook, dass es dem Leser von heute, der gleichzeitig Kommunikator ist, um folgende Merkmale geht: kurz, schnell, oft und vor allem permanent.
Dagegen steht das Vergnügen des „Slow Reading”, also der bewussten Entscheidung für eine langsame, intensive Lektüre. Auf diesem Gebiet treten die E-Bookreader einer nur schwer bezwingbaren Konkurrenz entgegen: dem gedruckten Buch.
Die Kluft zwischen schnelllebiger Dauerinformation und dem Lesen als Erlebnis könnte sich demnach weitaus größer erweisen, als man heute annimmt. Das E-Book als bloßes Abbild gedruckter Ausgaben könnte als Brückenprodukt zwischen diesen Welten genauso scheitern, wie in der Digitalfotografie die so genannten Bridgekameras. Dem Hybriden liegt auch immer das Unentschiedene sehr nah – die Gefahr also, weder als Fisch noch als Fleisch wahrgenommen zu werden. Will das E-Book überleben, so muss es sich, wie es scheint, eine neue, noch nicht präsente aber sinnvolle Form erfinden und den Bruch mit der alten radikaler wagen als bisher.
Wie können wir besser sein als Papier?
Vielleicht wäre die Entwicklung von elektronischen Texten schon zuvor ganz anders verlaufen, wenn sich ein alternativer Begriff zu ‚E-Book’ etabliert hätte – ein Begriff, der sich nicht am gewöhnlichen Buch festklammert. Diskussionen, ob E-Books die gedruckten Bücher verdrängen, wären dann hinfällig, da keine direkte Verbindung zwischen beiden Begriffen existieren würde. Gedruckte Bücher werden, zumindest in absehbarer Zeit, auch weiterhin auf dem Markt bleiben. Die Beliebtheit der gedruckten Bücher, vor allem in der Unterhaltungsliteratur, ist nach wie vor enorm. Dort sind sie momentan nicht wegzudenken. Das unterstreicht das hohe soziale Kapital, das dem Medium Buch damit zugeschrieben wird. Vielen Leuten bereitet es noch immer sichtlich Unbehagen, wenn sie das, was sie lesen, nicht direkt greifbar haben.
Andererseits lässt sich auch fragen, inwiefern es überhaupt nötig ist, Texte mit einem Trägermedium zu verbinden? Brauchen in Zukunft elektronische Texte überhaupt ein vorbestimmtes Trägermedium? Sind die E-Bookreader nur Übergangsträgermedium? Dienen sie schlicht dazu, die Bindung zwischen Inhalt und Trägermedium zu simulieren, um den Übergang in ein elektronisches Textuniversum oder dergleichen zu erleichtern? In diesem Zusammenhang könnte man E-Books und E-Bookreader als einen notwendigen Zwischenschritt hin zu dem, was kommt verstehen, als eine technologische Zwischenstufe, um den Menschen Schritt für Schritt hinzuführen.
Was schon Ted Nelson, Begründer des Hypertext-Projekts Xanadu [Fn 2], aufwarf, ist heute wieder (oder immer noch) Grundproblem: „WYSIWYG ist Blödsinn! Die Frage muss lauten: wie können wir besser sein als Papier?” Ausschließlich elektronische Texte, die digital erstellt wurden (born-digital), haben das Potenzial für zukunftsweisende Entwicklungen. Daher sollten wir vom Terminus ‚elektronischem Buch’ wegkommen und damit anfangen, die Vielzahl an Möglichkeiten im Umgang mit elektronischen Hypertexten auszunutzen: Texte könnten mit umfangreichen Zusatzinformationen versehen werden, beispielsweise Autoreninformationen, Hintergrundinformationen zum Text, Rezensionen und so weiter. Gerade die Hypertextualität und die Möglichkeiten der semantischen Netze in Verbindung mit elektronischen Texten lassen sehr viel Raum für zukunftsweisende Entwicklungen jenseits der Abbildung eines Drucks in elektronischer Tinte.
Gerade im Zuge der heutigen rasanten Entwicklung, die sich selbst nicht immer als zukunftsweisend offenbart, ist es normal und im gewissen Sinne auch notwendig, dass sich zunächst unklare (Übergangs-)Begriffe entwickeln, die erst einer vielfältigen Belastung unterzogen werden müssen, damit auf deren Grundlage präzisere Begriffe entstehen können. Hat man einmal erkannt und verstanden, dass eine kontinuierliche, offene Revision der Sprache in diesen Zusammenhängen eine wichtige Begleitung innovativer Entwicklungen darstellt und die diesen Neuwörtern aufgedrückten Bezeichnungen nicht immer treffend sind, dann lernt man auch gelassener, mit sichtlich fehlgeleiteten Metaphern umzugehen. Vielleicht erscheint es in wenigen Jahren äußerst skurril, dass wir sogar 2010 noch von ‚E-Books’ sprachen.
Fußnoten
[1] http://www.wiwo.de/technik-wissen/elektronische-lesegeraete-apple-blaest-2010-zum-angriff-417292
http://www.buchtest.de/blog/textunes-bringt-literatur-auf-iphone [zurück]
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Projekt_Xanadu
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,601516,00.html [zurück]
Aline Hötzeldt studiert Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der Humboldt Universität zu Berlin.