Welch größere Genugtuung kann es für uns Bibliothekare geben, als dass täglich viele Menschen in unsere Institution kommen und sie – gewisse Regeln beachtend – in Anspruch nehmen? Ein guter Service und ein gutes Bestandsangebot sind hierbei zwei Aspekte, welche die Nutzung der Bibliothek beeinflussen. Ein weiterer, in seiner Bedeutung offensichtlich zunehmender Aspekt ist der Ort „Bibliothek“ als solcher. Gute Atmosphäre und Funktionalität sind für seinen Charakter essentiell. Aber was macht gute Atmosphäre aus? Was empfinden unsere Nutzer als funktional? Warum nimmt die Nutzung in den letzten Jahren überhaupt zu, trotz oft postuliertem Untergang und Infragestellen der Institution Bibliothek im Zeitalter des Internets? Was bieten Bibliotheken, was andere Orte nicht bieten können? Was macht sie einzigartig? Kurz: Warum kommen Menschen in Bibliotheken?
Warum kommen Menschen in Bibliotheken?
Oft jedenfalls nicht wegen des Buchs allein.
(Fotografiert in der Universitätsbibliothek Mannheim mit
freundlicher Genehmigung.)
All dies sind Fragen, denen wir Bibliothekare noch mehr Aufmerksamkeit schenken sollten als bisher. Dabei kann ihre Beantwortung uns nicht nur wertvolle Hinweise zur atmosphärischen, architektonischen und funktionalen Gestaltung von Bibliotheken geben, sondern auch dabei helfen unser eigenes Selbstverständnis um eine weitere Qualität zu ergänzen: Die des Gastgebers. Jonas Fansa widmet sich in diesen grundlegenden Fragen und versucht sich anhand einer Kombination aus Literaturdurchsicht (Theorie) und Nutzer- und Experteninterviews (Empirie) dem Thema zu nähern. Das Lesen dieses Buchs bereitet dabei großes Vergnügen. So erfreut nicht nur der angenehme Stil, sondern auch die erhellenden Erkenntnisse aus den 13 Interviews, die zumeist das bestätigen, was man als Bibliothekar selbst schon lange vermutet oder als Nutzer von Bibliotheken selbst erfahren hat.
Auf subtile Weise legt Fansa uns in „Bibliotheksflirt“ nahe, dass der Ort Bibliothek heutzutage nicht mehr primär aufgesucht wird, um Informationen zu beschaffen, sondern um dort Informationen zu verarbeiten. Der Lern- und Arbeitsort Bibliothek entpuppt sich dabei als ein Ort der Freiheit, des unverbindlichen Angebots, der Möglichkeiten und Optionen. Dies umschreibt Fansa mit dem Begriff „Flirt“. Die Bibliothek ist ein perfekter Ort für Flirts. Unsere Nutzer flirten in der Bibliothek mit dem Lernen und dem wissenschaftlichen Arbeiten, mit dem Bestand, mit ihrer eigenen Konzentration und mit anderen Menschen. Ganz unter der Prämisse: Allein, aber nicht einsam.
In „Bibliotheksflirt“ wird die einzigartige Situation des „gemeinsamen, großen Arbeitszimmers“ Bibliothek analysiert, das durch seine Angebote motivierend und konzentrierend wirkt. So bietet der Ort „Bibliothek“ die Möglichkeit verschiedene Arbeitsplätze zu nutzen, umherzuflanieren, spazieren zu gehen, den Blick schweifen zu lassen, andere Menschen zu beobachten, Blicke auszutauschen, anderen Menschen zu begegnen, sich beim Arbeiten und Lernen zu motivieren, zu konzentrieren und zu inspirieren, Privatheit und Anonymität herzustellen, ohne sich einsam zu fühlen und bei all dem Informationen „greifbar“ zu haben. Diese Mischung an vielfältigen Angeboten macht die Attraktivität des Ortes aus. Das Buch regt Bibliothekare dazu an, die Bedürfnisse ihrer Nutzer zu verstehen und „ihre eigenen Bibliotheken zu besuchen – und sich dabei zu fragen, ob sie sich dort als Gäste fühlen“, um die Attraktivität der eigenen Bibliothek zu analysieren, zu gestalten und im Blick zu behalten.