In der Bibliotheks- und Informationswissenschaft hat der historische Rückblick zurzeit leider kaum Konjunktur. Sowohl in der Lehre als auch in der Forschung bleiben viele Fragen nach der Entwicklung von Bibliotheken und ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung offen. Dies muss man keineswegs kulturpessimistisch als Geschichtsvergessenheit bewerten, sondern kann es vielleicht eher vor dem Hintergrund einer gerade überstandenen unsicheren Situation des Faches sehen. Wer allerdings in einem historischen Fach sozialisiert wurde, weiß, dass der Blick zurück manchmal originelle Perspektiven auf die Gegenwart eröffnet und Antworten auf Fragen geben kann, die uns heute umtreiben. Als ein solcher lohnender Blick zurück möchte auch Petra Haukes Studie zur Ikonologie des Bibliotheksraums im 17. und 18. Jahrhundert gelesen werden. Am Beispiel des Benediktinerklosters St. Mang in Füssen zeigt die Autorin, wie ein barocker Bibliotheksraum nicht nur durch seinen malerischen und plastischen Schmuck, sondern vielmehr durch seine architektonische Idee und ihre Einbettung in einen größeren Zusammenhang zu einem mit Bedeutung aufgeladenen 'Haus der Weisheit' wird. Dabei ist diese Dissertation zugleich gründliche kunstgeschichtliche Analyse und bibliotheksgeschichtliche Einordnung.
Nach einem historischen Abriss zum Kloster und zu seiner Bibliothek widmet die Autorin der eingehenden Baubeschreibung ein ganzes Kapitel, das durch biographische Anmerkungen zu den ausführenden Künstlern ergänzt wird. Auch wenn dies besonders Kunsthistoriker interessieren dürfte, lohnt sich die Lektüre dieser Kapitel auch für Laien in dieser Disziplin. Zum einen wegen der vielfältigen Assoziationen, die die Baubeschreibung liefert, zum anderen wegen der Grundlagen zum Verständnis des Folgenden, die hier gelegt werden. Die leider etwas knapp gehaltenen Ausführungen zur Bibliothek als Bauaufgabe wären auch für sich allein schon eine lesenswerte Zusammenfassung des Themas. Die Art und Weise, wie Hauke die Klosterbibliotheken als "Nahtstelle zwischen Sakral- und Profanarchitektur" (S. 68) beschreibt, eröffnet einen neuen Blick auf die Bibliotheksarchitektur des 18.Jahrhunderts insgesamt. Diese wichtige gegenseitige Beeinflussung wird leider oft – wie zum Beispiel von Uwe Jochum in seiner "Kleinen Bibliotheksgeschichte" – übersehen, ist aber für die weitere Entwicklung des Bibliothekbaus entscheidend.
In ihrer Analyse schließlich legt die Autorin überzeugend dar, dass die Bibliothek des Klosters St. Mang gleich in mehrfacher Hinsicht beispielhaft bzw. auch einzigartig ist. Wir lernen hier den Bibliotheksraum als einen Ort kennen, der eng in das ikonologische Geflecht der Klosteranlage eingebunden ist. So ist er nicht nur 'Domus sapientiae', das siebensäulige Haus der Weisheit – mithin Ort der wahren Erkenntnis schlechthin – sondern er ist durch seine räumliche Verbindung mit dem als Marienheiligtum konzipierten Refektorium des Klosters auch ein 'Sedes Sapientiae'. Diese aus dem antiken Isiskult abgeleitete und auf die Figur der christlichen Gottesmutter übertragene Form einer göttlichen Weisheit ergänzt das Programm des 'Domus Sapientiae' um eine transzendente und eng mit dem Marienkult der Region und des Klosters verbundene Komponente. Bibliothekssaal und Refektorium bilden so ein Gesamtkunstwerk, in dem irdische und himmlische Komponenten der Weisheit sowie geistige und körperliche Nahrung in einen sich ergänzenden Kontext gestellt werden.
Man merkt der Untersuchung an, dass sie das Ergebnis jahrelanger gründlicher Forschungsarbeit ist. Nicht nur das genaue Studium des Gegenstandes und anderer Bauten vor Ort, sondern auch die Einbeziehung eines umfangreichen – zum Teil wenig rezipierten – Literatur- und Quellenfundus, machen diese Qualität aus. Dass hier letztendlich zugleich mehrere Disziplinen bedient werden und wohl auch ein wichtiger Beitrag zur Geschichte des Klosters selbst geleistet wird, liegt dann in der Natur der Sache. Petra Hauke weist in ihrer methodischen Einleitung zu Recht auf die Multidisziplinarität der Bibliotheksgeschichte hin. Allerdings macht es dies an einigen Stellen auch etwas schwer, die Arbeit zu lesen. Der nicht einschlägig vorbelastete Bibliothekswissenschaftler wird das ein oder andere Mal zum Architekturlexikon oder zur Baustilkunde greifen müssen. Wer sich davon aber nicht abschrecken lässt, wird mit einem klaren Stil und einer kenntnisreichen Darstellung belohnt. Leider entspricht die Qualität der durchgehend schwarz-weißen Abbildungen nicht der des Textes.
Was das Buch lesenswert macht sind nicht nur
die historischen Erkenntnisse, die in ihm stecken, sondern es ist
die Tatsache, dass es eine Schule des Sehens ist. Jenseits des rein
dekorativen Interesses führt uns die Untersuchung wieder an
die tiefer liegenden Bedeutungen im Programm barocker Bibliotheken
heran. Vor allem aber werden wir daran erinnert, dass es schon einmal
eine Zeit gab, in der Bibliotheksräume mehr waren, als funktionalistische
Orte der Speicherung und Vermittlung von Information. Diese Sensibilisierung
kann uns helfen, einen neuen Blick auch auf zeitgenössische
Bibliothekräume zu wagen. Wenn wir heute wieder dabei sind,
die Bibliothek als humanen Ort von Bedeutung für die Entstehung
von Wissen und Weisheit und zur Kontemplation und Entspannung zu
entdecken, sollten wir uns an historische Bibliotheken und ihre
Programme erinnern. Der Blick zurück zeigt uns dann, dass wir
uns nicht zwingend an die Konzepte des 19. Jahrhunderts halten müssen,
wenn wir über die Zukunft der Bibliothek in den Wissensgesellschaften
diskutieren.