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Rezension zu: Rainer Kuhlen (2008) Erfolgreiches Scheitern – eine Götterdämmerung des Urheberrechts? (Schriften zur Informationswissenschaft 48). Boizenburg: Verlag Werner Hülsbusch. 641 S., € 39,90, ISBN-13: 978-3940317216


Zitiervorschlag
Klaus Graf, "Rezension zu: Rainer Kuhlen (2008) Erfolgreiches Scheitern – eine Götterdämmerung des Urheberrechts? (Schriften zur Informationswissenschaft 48). Boizenburg: Verlag Werner Hülsbusch. 641 S., € 39,90, ISBN-13: 978-3940317216. ". LIBREAS. Library Ideas, 13 ().


Der verlorene Kampf des Urheberrechtsbündnisses[Fn1] für ein wissenschafts- und bildungsfreundliches Urheberrecht, dem der Autor dieses Buches als einer der Sprecher vorsteht, bildet den Hintergrund dieser voluminösen Streitschrift. Zwar sind die Bemühungen gescheitert, die Interessen von Bildung und Wissenschaft im sogenannten „Zweiten Korb“ nachdrücklich zur Geltung zu bringen und die am 1. Januar 2008 in Kraft getretene Urheberrechtsnovelle weist vor allem im Bereich der Literaturversorgung eindeutige Verschlechterungen auf (Einstellung der elektronischen Aufsatzlieferungen), doch vertritt Kuhlen die These, dieses Scheitern sei ein erfolgreiches Scheitern, da immer mehr Angehörigen des Bildungs- und Wissenschaftsbereichs bewusst werde, dass sich „neue freie, selbstbestimmte Formen des Umgangs mit Wissen und Information (Open Access) entwickeln müssen“ (Klappentext). Open Access wird als „kopernikanische Wende“ der Publikationswelt verstanden (S. 54). Kuhlen geht es darum, „Verkrustungen“ des bestehenden Urheberrechts aufzubrechen, das sich aufgrund der „kommerziellen Besitznahme von Wissen und Information zunehmend als kontraproduktiv“ für die gesellschaftliche Entwicklung erweist. Kuhlens detaillierter Analyse ist voll und ganz zuzustimmen. Sein Buch hat mehrere große Vorzüge:

Erstens: Ein renommierter Wissenschaftler und Nicht-Jurist mischt sich erfolgreich in den von Juristen bestrittenen urheberrechtlichen Diskurs ein. Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung des Urheberrechts geht es nicht länger an, dass diese Fragen ausschließlich in juristischen Zirkeln ausgeklüngelt werden. Wir brauchen mehr urheberrechtliche Kompetenz auf der Seite der Nicht-Juristen. Kuhlen hat sich gut in die sehr spezielle Materie eingearbeitet und kann als kundiger Wegweiser fungieren.

Zweitens: Rund 150 Seiten sind den für die Wissenschaft „kritischen Paragraphen“ (S. 297-428) gewidmet. Es geht also um die Frage der unbekannten Nutzungsarten (§§ 31, 31a, 137l UrhG), um verwaiste Werke, um die öffentliche Zugänglichmachung zu Wissenschafts- und Bildungszwecken im Internet (§ 52a UrhG), wobei ein Seitenblick auf den US-Teach-Act erfolgt, um die Leseplatzwiedergabe nach § 52b, die Frage der Kopierrechte (§ 53 UrhG) und um den Kopienbestand auf Bestellung (§ 53a UrhG). Kuhlens Arbeit ist ein wertvolles Kompendium zu den damit zusammenhängenden Problemen, das auch dann hilfreich ist, wenn man in Einzelfällen anderer Ansicht ist (siehe etwa S. 312 Anm. 271)

Drittens: In der Frage der verwaisten Werke (S. 315-334) kenne ich keine ähnlich gehaltvolle deutschsprachige Stellungnahme. Es ist zu hoffen, dass Kuhlens Argumente Gehör finden werden.

Viertens: Kuhlen bietet eine der umfangreichsten gedruckten deutschsprachigen Darstellungen zum Thema „Open Access“ und freie Lizenzen (S. 457-580). Diese ist zwar nicht unbedingt originell, führt aber Überlegungen aus englischsprachigen Debatten in den hiesigen Diskurs ein.

Fünftens: Zu rühmen ist die Entscheidung, das Buch unter (zwei verschiedenen) Creative-Commons-Lizenzen zum kostenfreien Download freizugeben (http://www.inf-wiss.uni-konstanz.de/RK2008_ONLINE/node/30). Am 19. Juni 2008 wurden über 4400 Downloads gezählt. Es ist daher davon auszugehen, dass es außerhalb des Kreises der informationswissenschaftlich Interessierten Wirkung entfaltet.

Sechstens: Die urheberrechtlichen Diskussionen werden erfolgreich in einen größeren theoretischen Kontext, den der „Wissensökologie“, eingeordnet (S. 429-456). „Freizügige Entwicklung, nicht verknappende Verwertung ist das grundlegende Prinzip von Wissensökologie, die nicht nur auf Erhalt, sondern auf Mehrung von Wissen abzielt“ (S. 429f.).

Diesen Vorteilen stehen vergleichsweise geringe Nachteile gegenüber. Es wäre unfair, dem Autor den Vorwurf zu machen, er habe seine Stellungnahmen für das Urheberrechtsbündnis und frühere Aufsätze zwischen zwei Buchdeckel gepresst, auch wenn das Buch ersichtlich ein wenig mit der „heißen Nadel“ gestrickt ist (Druckfehler, Redaktionsversehen, fehlende Querverweise, Lücken im Register).

Kuhlens Darstellung zu „Science Commons“ (SC) ist insoweit irreführend, als suggeriert wird, "[…] dass im Kontext CC eine spezielle auf Wissenschaft zugeschnittene Lizenzvariante entwickelt wurde" (S. 574). Richtig ist, dass Science Commons die CC-Lizenz CC-BY für wissenschaftliche Dokumente propagiert. Es handelt sich also um eine der allgemeinen CC-Lizenzen, nicht um eine spezielle "Wissenschaftslizenz". Folgerichtig zitiert Kuhlen in Anm. 548 auch den "Legal Code" der allgemeinen CC-Lizenz. Es ist daher auch irreführend zu behaupten, dass über 250 peer reviewed Open-Access-Zeitschriften die SC-Lizenzen verwenden. Richtig ist, dass diese Zeitschriften die CC-BY-Lizenz verwenden. Dies geht sicher nicht primär auf Science Commons, sondern auf die Eignung dieser CC-Lizenz zurück, wenngleich z.B. die Public Library of Science (PLoS) als "Partner" von Science Commons aufgeführt wird. Science Commons ist in den USA sicher eine nicht ganz unbedeutende Organisation, um für den Einsatz von CC-Lizenzen in der Wissenschaft zu werben, aber man sollte sie auch nicht überbewerten, wie Kuhlen dies tut. Da die "SC-Lizenzen" identisch mit einer CC-Lizenz sind, sind Kuhlens Ausführungen weitgehend redundant.

Ein weiterer Kritikpunkt ist eher grundsätzlicher Natur. Er bezieht sich auf das Konzept Wissensökologie und den Begriff Nachhaltigkeit. Anders als im Umwelt-Kontext geht es nicht darum, möglichst sparsam und schonend mit vorhandenen Ressourcen umzugehen. Im Gegenteil: Je freier Information zur allgemeinen Verfügung steht, umso größere Chancen für die gesellschaftliche Entwicklung ergeben sich. „Wissen und Information […] verbrauchen sich nicht im Gebrauch und sind nicht-rivalisierend in der Nutzung“ (S. 448). Während Ökonomie und Ökologie die Verschwendung bekämpfen müssen, ist ein verschwenderischer Umgang mit Informationsgütern nur von Vorteil. Von einem großen Potlach-Fest des Wissens würden alle profitieren: die Bürgergesellschaft ebenso wie die gewerbliche Wirtschaft. Da die Grundprinzipien von Umwelt-Ökologie und Wissensökologie diametral entgegengesetzt sind, wird man die Frage stellen dürfen, ob nur aufgrund größerer „Anschlussfähigkeit“ an die Ökologie-Bewegung von Ökologie oder Nachhaltigkeit gesprochen werden muss. Immerhin ist der für den Begriff „Nachhaltigkeit“ zentrale Gedanke generationenübergreifender Gerechtigkeit im Wissensbereich allenfalls im Bereich der Langzeitarchivierung von größerer Relevanz. Hier überzeugt mich der Begriff „Informationsethik“ (Titel eines Kuhlen-Buchs von 2004) mehr.

Leider hat Kuhlen im Literaturverzeichnis davon abgesehen, Internetadressen anzugeben. Stattdessen hat er die Weblinks durchnummeriert und verweist auf eine Liste auf dem Verlagsserver (http://www.vwh-verlag.de/vwh/?p=192). Dass die Weblinks dort in Form eines PDFs vorliegen, halte ich für keine besonders glückliche Entscheidung.

Abschließend bleibt zu hoffen, dass die Juristen, aber auch die Politiker Kuhlens überzeugendem Plädoyer gegen ein wissenschaftsfeindliches und kommerzlastiges Verwerter-Urheberrecht und für freie Inhalte und „Open Access“ die Beachtung schenken, die es verdient.

Fußnote