„Libraries gave us power“
sangen die Manic Street Preachers in „A Design For Life”
1996, Britney Spears hüpfte zu Beginn ihrer Karriere gehüllt
in hautenge Cardigans und mit überdimensionaler Brille auf
der Nase durch die halbe Welt und im Video zu ihrem Hit „Everytime
We Touch“ wirbelt die deutsche Dance-Formation Cascada viel
Staub aus den alten Schinken einer imaginären Bibliothek. Dass
Bibliotheken eine wichtige Projektionsfläche für die Pop-Kultur
abgeben, steht außer Frage. Doch sind Bilder vom Streber,
den erst wilde Eurodance-Beats hinter der Ausleihtheke hervorholen
und ihn als indifferentes Sexobjekt vergewaltigen, nicht vereinbar
mit dem neuen bibliothekarischen Selbst, das sich befreien möchte
von der oberflächlichen Symbolik der Masse.
Popkultur wohnt immer eine normative Kraft inne, wenn sie vorgibt,
was sein soll. Mädchen in kurzen Röcken und String-Tangas,
die sich gerne mit ihrer besten Freundin zum Joggen verabreden,
Jungs, die Anabolika getränkt und glatt rasiert in Proletensprache
über die Nation reden, das ist die dialektische Ausgangslage,
in der auch die Bibliothek ihre Rolle hat. Die Bibliothek 2.0 baut
auf Computerspiele und egalitäre, deutsche Klänge, um
sich beim Mainstream anzubiedern. Es ist der Versuch, reformorientiert
zu agieren, dabei das Bestehende zu bewahren, das letztlich nur
aus einer längst erodierenden Mittelschicht besteht. Hier geht
es jedoch nicht mehr um das emanzipative Potential der Bibliothek–
Wir sind Helden sind genauso oberlehrerhaft bieder wie die Thekenbibliothek
–, sondern um die Abschaffung einer Institution, die die Kids
retten könnte.
Wie schaut aber ein popkultureller Entwurf aus, der Bibliotheken
und ihre Benutzer progressiv verbindet? Der in der New York Times
beschriebene Stil der „Hipper Crowd of Shushers“ setzt
bewusst auf akkurate Spießerrobe und geordnete Stylings aus
längst vergessenen Zeiten. Sind graue Kostüme und randlose
Brillen Insignien der erfolgreichen Streber, die nur noch Kunden
kennen, gelten Twin-Set und Hornbrille als ihre Gegenstücke.
Sie werden von sozial engagierten Bibliothekarinnen und Bibliothekaren
getragen, die niemanden ausschließen und lautstark gegen die
Begrenzung und Manipulation von Inhalten vorgehen. Immerhin bietet
die Bibliothek Zugang zu einer schier unbegrenzten Auswahl an Inhalten,
welche fortlaufend die intellektuellen Geschmacksknospen streicheln.
Der Soundtrack dieser in der New York Times ausgemachten neuen Generation
sozial bewusster Bibliothekarinnen und Bibliothekare geht dabei
eine befruchtende Symbiose mit der Mode ein. Es stehen experimentierfreudige
Crossover-Grooves, Retro-Reminiszenzen und straighte, aber mitunter
wütende Gitarrenriffs hoch im Kurs. Auffällig ist dabei,
dass die selbstbewusste Auswahl trotz der Fülle an cleveren
Styles fast immer ohne Umschweife auf den Punkt kommt und somit
eingängig und in gewisser Hinsicht kommerziell attraktiv bleibt,
um ihre Botschaft den Benutzern zu unterbreiten.
Zweifellos fällt der Musikgeschmack der nerdy librarians in
kein klares Raster. Die Zusammenstellung eines Soundtracks muss
somit unvollständig erscheinen. Dennoch hilft die nachstehende
Auflistung, einen möglichen Klangkosmos zu beschreiben.
• Haunted Love „I Want To
Be A Librarian“
Cardigans, dicke Brillen und hochgesteckte Haare: Nicht nur optisch
entsprechen Haunted Love dem Idealtypus der gegenwärtigen Library
Fashionista. Der weitgehend akustisch instrumentierte Song
„I Want To Be A Librarian“ beschreibt mit viel Wortwitz
den Wunsch einer jungen Dame, einmal in die Rolle der strengen,
aber verführerischen Bibliothekarin zu schlüpfen. Das
dazugehörige sexy Video verzeichnete bereits hunderttausende
Klicks bei YouTube und heizt zu Recht die Stimmung auf das Debütalbum
der neuseeländischen Band an.
MySpace: http://www.myspace.com/hauntedlovelovesyou
Haunted Love „I Want To Be A Librarian"
• M.I.A. „Paper Planes“
Die ehemalige Kunststudentin setzt sich gerne grell, martialisch
und vor allem politisch in Szene. „Paper Planes“ bildet
da keine Ausnahme. Laut eigenen Angaben will Peaches‘ Ziehtochter
inhaltlich auf die Probleme von Immigranten aufmerksam machen. Der
Track basiert passenderweise auf einem Gitarrenriff aus dem Song
„Straight To Hell“ von The Clash. Dominiert zunächst
ein lässig groovender Beat, der locker das Zeug zum Sommerhit
hat, verblasst die traute Urlaubsidylle aus Sommer, Sonne, Meer
spätestens mit dem Einsetzen des Refrains: “All I wanna
do is (BANG BANG BANG BANG!) And (KKKAAAA CHING!) And take your
money“ singt ein Kinderchor und dem Hörer knallen vier
aufeinander folgende Pistolenschüsse um die Ohren. Dies war
MTV zu viel und so wurde der Sound von „Paper Planes“
im dazugehörigen Video eigenmächtig zensiert.
Homepage: http://www.miauk.com/main.html
MySpace: http://www.myspace.com/mia
YouTube-Video von M.I.A. "Paper Planes"
• Hot Chip „Out At The Pictures“
Sie werden als die Retter der danceorientierten Popmusik gehypt.
Doch das, was Hot Chip mit dem Opener ihres Albums „Made In
The Dark“ abliefern, gilt zu Recht als clever und eint Käufer
wie Kritiker. „Out At The Pictures“ beginnt zunächst
zaghaft und erinnert ein wenig an eine Maschine, die langsam, aber
gewaltig in Fahrt kommt. Der Track schaukelt sich durch stakkatohafte
Tempowechsel, den säuselnden Falsett-Gesang von Front-Nerd
Alexis Taylor und einen kruden, sehr Percussionlastigen Instrumentenmix
immer weiter hoch, um sich schließlich in einer unaufhaltsam
groovenden Soundwalze zu entladen.
Homepage: http://www.hotchip.co.uk/site/
MySpace: http://www.myspace.com/hotchip
YouTube-Video von Hot Chip "Out At The Pictures"
• The Whitest Boy Alive “Burning”
Erlend Øye ist Norweger und Liebhaber ausgefallener Brillenmodelle.
Besser bekannt ist er uns jedoch als Sänger der Kings of Convenience
(KoC) oder zeitweise auch von Röyksopp. Hier ist jedoch sein
deutsches Seitenprojekt zu hören. Dieses lässt sich am
besten als „pur, aber intensiv“ beschreiben. „Burning“
ist ein sehr kompakter, klar strukturierter 3-Minuten Popsong, frei
von elektronischem Schnickschnack und ohne das KoC-typische „Simon
& Garfunkel“-Flair. Anhören, zurücklehnen und
auf Dauer-Repeat drücken.
Homepage: http://www.whitestboyalive.com/
MySpace: http://www.myspace.com/thewhitestboyalive
YouTube-Video von The Whitest Boy Alive "Burning"
• Mika Miko “Business Cats”
Gemeinsam mit No Age verwandelte sie die LA Central Library im April
2008 in eine Punk-Bühne und wurde dafür von Fans und den
meist eher zufällig vorbei schauenden Bibliotheksbesuchern
frenetisch gefeiert, wie das nachstehende Video belegt.. Als Karrierekatzen
getarnt fahren Mika Miko in „Business Cats“ ihre Krallen
aus und fauchen dabei wie wild um die Wette. Also schnell die oberen
Knöpfe der Cardigans aufknöpfen und abrocken!
Homepage: http://www.mikamiko.tk/
YouTube-Video von Mika Miko "Business Cats"
• Athlete „In The Library“
Auf ihrem dritten Album „Beyond The Neighbourhood“ erläutern
Athlete, wie eine Bibliothek als Schwimmbad genutzt werden kann.
Die Vorstellung, die Arbeit ruhen zu lassen und einfach mal in einen
kühlen Stapel erfrischender Zeitschriften und Magazine zu springen,
erscheint vielen von uns gerade bei heißem Wetter recht verlockend.
Die Sache hat aber einen Haken: Man muss mindestens zu zweit und
genauso verliebt sein wie Sänger Joel Pott. Ohne sich in dem
hiesigen „ocean of words“ zu verschlucken, liefern die
drei Briten ein zeitlos schönes Stück Indie-Rock ab, welches
die Vergleiche zu den frühen Coldplay wahrhaftig nicht zu scheuen
braucht.
Homepage: http://www.athlete.mu/
MySpace: http://www.myspace.com/athlete
Athlete "In
The Library" bei last.fm
• Fujiya & Miyagi „Ankle
Injuries“
Mit „Ankle Injuries“ schlägt das Brightoner Trio
Fujiya & Miyagi galant den Bogen zwischen Beats und Besinnlichkeit.
Die Vorliebe für den Krautrock, hier die Verbindung psychedelischer
Rockmusik mit elektronischen Elementen, ist unverkennbar herauszuhören.
Das schier endlos geloopte Arrangement und der leicht monotone,
charakteristische Flüstergesang werden hin und wieder durch
Sounds aus Captain Futures Raumschiff aufgepeppt. Der zwischenzeitigen
Aufforderung „relax!“ kommen wir gerne nach und genießen
unseren fünfminütigen Flug durch die Andromeda-Galaxie.
Homepage: http://www.fujiya-miyagi.co.uk/
MySpace: http://www.myspace.com/fujiyaandmiyagi
YouTube-Video von Fujiya & Miyagi "Ankle Injuries"
• The Ting Tings “Shut Up
And Let Me Go”
Früher stand Katie White auf die Spice Girls – zum Glück
findet sie heute die Verschmelzung von Brit Pop und Keyboard-Flächen
spannender, womit auch gleich der Klangteppich ihrer noch jungen
Formation The Ting Tings definiert wäre. Eine gehörige
Portion Girl Power hat sich Katie dennoch bewahrt – in „Shut
Up And Let Me Go“ fordert sie ebenso selbstbewusst wie lautstark
ihre Freiheit ein. Dies überzeugt nicht nur die Apple-Marketingleute
– der Track wurde Anfang des Jahres in einer Kampagne verwendet
–, sondern bislang vor allem die Fans in UK, wo die Band sogar
Madonna vom Charts-Thron stoßen konnte.
Homepage: http://www.thetingtings.com
MySpace: http://www.myspace.com/thetingtings
YouTube-Video Making of “Shut Up And Let Me Go”
Mode und Musik sind dazu geeignet,
ästhetisch und akustisch kulturellen Nischen Ausdruck zu verleihen
und somit Identifikationspunkte zu schaffen. Die Retrotrends der
70er und 80er Jahre inklusive Hippie-Szene und Schweißbändern
sind nur zwei Belege hierfür. Der Soundtrack zum Library
Style bildet da keine Ausnahme.
Aus Sicht der Musikindustrie ist Popmusik mit den dahinterstehenden
Künstlern ein Produkt, welches sich möglichst gewinnbringend
in hoher Auflage verkaufen lassen muss. Gleichzeitig ist die Branche
durch die seit Jahren degressiven Absätze dazu gezwungen, so
ziemlich alle neuen Trends aufzugreifen und diese am Markt durchzusetzen.
Was geschieht also, wenn der Library Look kommerzialisiert
wird und damit seine Selbstbestimmung verliert? Kann sich die beschriebene
Identifikation in breiter Hinsicht überhaupt ohne eine Kommerzialisierung
vollziehen? Muss der damit einhergehende Verlust an Souveränität
nicht gar bewusst in Kauf genommen werden, um die klassische Bibliothek
wieder stärker ins Blickfeld der jungen Generation zu rücken?
Letztlich kann der Library Style Jugendlichen nur dann
eine attraktive Alternative zu Computerspielen und Instant Messenger
sein, wenn er langfristig den Zuspruch einer breiteren Masse erfährt.
Es bleibt daher abzuwarten, ob sich der Trend langfristig etabliert
und sich die Kids zukünftig wieder stärker mit den klassischen
Bildungseinrichtungen auseinandersetzen. Wünschenswert wäre
es ja.