Der Beruf des Bibliothekars erlebt eine Renaissance. Deren verschrobener Modestil inspiriert die Modedesigner; Streberlook und Krankenkassenbrillengestelle gelten als hipp. Warum?
Wie riecht es in einer Bibliothek? Nach einem englischen Roman, russischem und marokkanischem Leder, getragener Kleidung und einer Spur Holzpflegepolitur würde der Parfümeur Christopher Brosius antworten. Das ganze trägt dann den logischen Namen In the Library und ist ein Parfüm, das tatsächlich aufgesprüht werden kann.
Virginia Woolf hätte es sicher gefallen. Nur wer würde das heute noch auf seiner Haut tragen? Und wie kommt man darauf, einen Duft zu kreieren, mit dem man eine verstaubte Bücherhalle assoziiert? Dazu Brosius: „Duft ist Leben“. Da hat anscheinend jemand gut seine Umwelt recherchiert. Denn gerade in Brosius’ Nachbarschaft, im hippen Williamsburg in New York, wo der Parfümeur unter seinem Label I hate perfume noch mehr obskure Duftelixiere in einem kleinen Shop anbietet, versammelt sich derzeit eine sehr lebendige Szene aus jungen, selbstbewussten Bibliothekaren, die sagen „ja wir sind genauso cool wie Werbetexter oder Grafikdesigner.“
Prompt erschien darüber kürzlich ein Artikel in der Style-Sektion der renommierten New York Times [Fn1]. Und der räumte gründlich auf mit den alten Vorurteilen über Bibliothekare, diese in unseren Augen verbitterten, etwas spröden, grauen Mäuse, die lieber ihre Nasen zwischen verstaubte Buchdeckel statt an die frische Luft stecken und mit strengem Blick durch Kassenbrillengestelle sowie Finger-auf-dem-Mund-Geste zur Ruhe mahnen. „Die heutigen Bibliothekaren-Generation ist absolut nicht mehr vergleichbar mit dem klassischen Bild des Bibliotheksangestellten“, sagt Rick Block, Professor für Bibliothekswissenschaft an der Long Island University und am Pratt Institut. Und spielt darauf an, dass der Beruf im Zeitalter von Google, Myspace und iPhone viel cooler, abwechslungsreicher und fortschrittlicher geworden ist.
Bibliothekare des 21. Jahrhunderts sind quasi die Melitta-Filtertüten der globalen Informationsüberflutung aus Fernsehen, Zeitungen, Büchern und dem World Wide Web. Google, Facebook und Myspace sind, neben wissenschaftlich-elektronischen Datenbanken, längst gängiges Arbeitsinstrument zur Informationsrecherche, Archivierung und Vernetzung. Und wenn Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin, Microsoft-Tycoon Bill Gates sowie Apple-Chef Steve Jobs wie Popstars hofiert werden, nährt das auch das gesellschaftliche Comeback der Librarian2.0-Generation, wie die New York Times die Wiedergeborenen bezeichnete.
Ohne Nostalgie geht’s dann aber doch nicht.
Filme, wie die romantische Komödie Desk Set von 1957
mit Katharine Hepburn und Spencer Tracy, It’s a Wonderful
Life mit Donna Reed oder Foul Play mit Goldie Hawn,
spielen mit den Klischees über Bibliothekare, zeigen sie aber
romantisch, süß oder als aufreizende Blondine. Die
Librarians2.0 verweisen genauso gerne darauf, wie auf die nerdy
Comic-Leinwandhelden Superman, Spiderman oder Batwoman, die tagsüber
in einer Leihbücherei arbeitet. Auch der Modefotograf Irving
Penn bediente sich gewisser nerdiger Elemente für seine Aufnahme
mit dem Titel The 1950 (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Irving Penn „The 1950“
Von der Leinwand transportiert sich wohl auch bis heute in unseren Köpfen der Kleidungsstil, den die Gesellschaft mit dem Bibliothekar verbindet. Einen leicht antimodischen Stil, ein wenig altbacken, skurril, wenig glamourös, immer ein wenig neben der Spur. Strickjacken und Pullover kommen dabei über Blusen und Hemden – natürlich mit langem Feinripp darunter. Manchmal hängt der Strick auch locker über der Schulter bzw. wird um den möglichst kniebedeckenden Faltenrock an der Hüfte geknotet. Die Damen bedecken die Beine zusätzlich mit dicken Strumpfhosen – in Schwarz oder in bewusst gewählten Kontrastfarben. Von Grau, Braun und dunklem Blau erstreckt sich die Farbpalette über Altrosa bis hin zu einem Flaschengrün, wie dem der typischen Leselampenschirme in altehrwürdigen Bibliotheken. Dazu kommen abstrakte 30er-Jahre Muster und Blümchendrucke. Die Brille aus möglichst dickem, schwarzem oder braunem Horn oder Metall ist ebenso wichtiges Identitätsmerkmal, wie die zu einem lockeren Dutt geknoteten Haare.
Abbildung 2: Aufnahme des Modebloggers Scott Schuhman alias The Sartorialist in Florenz am 18. Februar 2007, die er schlicht „Librarian Chic“ nennt
Bibliothekare begegnen uns jedoch nicht nur in Film und Fernsehen. Heute mutieren wir im privaten Alltag selbst zu welchen. Oder archivieren wir nicht alle unsere Fotosammlung längst auf dem PC, haben eine umfangreiche Musikbibliothek auf der Festplatte, dann auch Mediathek genannt, und googlen uns jede freie Minute durch unsere Wissenslücken? Das geht sogar soweit, dass man sich plötzlich aufdrängende Fragen per Handy beantworten lassen kann. Beispielsweise von der Wissens-Community hiogi.de, die für ihren Service mit der Kampagne „Wissen ist sexy“ wirbt. Hiogi-CEO Björn Behrendt: „Auf Straßenplakaten, auf Edgar-Cards, im Radio und in unserer Web-Werbung machen wir den Menschen klar, dass Wissen sexy ist. Und da doch jeder in irgendeinem Bereich ein wertvolles Wissen hat, darf sich ab sofort jeder sexy fühlen. Er muss nur aus seinem Elfenbeinturm heraustreten und sein Wissen in die hiogi-Community einbringen." Dabei stellt die Image-Kampagne gezielt Nerds in den Mittelpunkt, also jene Spezies Mensch mit übersteigertem Wissen und im Look eines Fünftklässler-Klassentrampels. Die Kampagne zeigt typische Nerds in Aldiletten, in Muttis Lieblingspullover und mit gegeltem Mittelscheitel, die sich extrem sexy fühlen und sich entsprechend sinnlich präsentieren. Passend dazu gibt es sogar einen Nerdenizer auf der Webseite wissen-ist-sexy.de zum Nachstylen des typischen Looks. Das markante Hornbrillengestell gibt es gleich in vier Styles.
Wie die Korrekturbrille ein wunderbares Styleelement
sein kann, sah man unlängst auf den Laufstegen der Modehauptstädte
Mailand, Paris und New York. Dolce & Gabbana, Tim Hamilton oder
Michael Kors beispielsweise schickten ihre Models mit klassischen
Modellen à la Clark Kent auf die Runways. Ein Bild, dass
sich auch in den Gesichtern der Popkultur widerspiegelt, beispielsweise
beim britischen Musiker Jarvis Cocker, den Bands Hot Chip
und The Pipettes oder dem derzeit angesagtesten deutschen
Produktdesigner Konstantin Grcic – und längst im täglichen
Straßenbild als hipp gilt. Selbst „Hollywood-Stars lieben
den Streber-Look“ titelte Bild-Online[Fn2]
und entdeckte die Vorliebe für dicke, schwarze
Hornbrillengestelle auf den prominenten Näschen von Chloe Sevigny,
Scarlett Johansson, Johnny Depp und Nicole Kidman.
Abbildung 3, 4: Prada Prêt-à-porter Sommer 2001
Eine Brise Retro war für Modedesigner schon
immer die richtige Würze für Inspiration. Die erste Designerin,
die den librarian-style konsequent neu interpretierte,
war die Italienerin Miuccia Prada (59). In ihre Prêt-à-porter-Kollektionen
für den Sommer 2001 zeigte sie schmale Bleistift- und weit
schwingende Faltenröcke, eng anliegende Wolltops sowie kurze
Jäckchen, Cardigans und Blazer für darüber, dazu
eine Farbpalette von Hellblau, Steingrau, Schwarz bis Grasgrün,
Gelb und Rosa. Der Modejournalist Armand Lymnander bescheinigte
auf style.com dem ganzen einen „gewissen Schulmeisterinnen-Charme.“
Die Doyenne der Modekommentatoren,
Suzy Menkes von der International Herald Tribune, nannte
Prada einmal die „Herrscherin über uns alle“, und
meint damit Miuccia Pradas einzigartige Fähigkeit, die Essenz
des Modernen so zu destillieren, kulturelles Erbe so gekonnt abzurufen
und gesellschaftlichen Fortschritt so präzise in Kleidung auszudrücken
wie kein anderer Modedesigner. So kann man Pradas Vision als Antagonist
zu den mit Sex bestrichenen Kleidchen eines Tom Ford für das
Modehaus Gucci verstehen, dem damals jeder hinterher hechelte. Schließlich
steckte Prada in genau dieser Saison auch die Männer in extrem
taillenhohe, pludrige Bundfaltenhosen im Stil von Hollywoodlegenden
der 50er Jahre sowie kastenförmige Doppelreiher-Sakkos mit
darunter abstrakt-grafisch gemusterten Hemden, alles in blassem
Gelb, Beige und Grau.
Abbildung 5: Rachel Comey: Prêt-à-porter Sommer 2008
Seitdem kehren nerdige Elemente immer wieder in Pradas Kollektionen auf. 2005 verwandeln Brillen Gesichter in gerahmte Kunstwerke, gekrönt von Wollmützen. Der verpönte und gemeine dicke-Wollsocken-in-Sandalen-zu-kurzen-Hosen-Look sollte dann im Sommer 2007 das gewisse Haben-Müssen-Gefühl auslösen.
Der nerdy-Look Miucci Pradas, selbst immer im Schullehrerinnen-Look auftretend, könnte für die Amerikanerin Rachel Comey durchaus lehrreich gewesen sein. Die Mode der ehemaligen Galeristin Comey kleidet nicht jede, spricht vor allem die Intellektuellen New Yorks an, Künstler, Musiker, Galerienbesitzer. Shorts mit hohem Bund und aufgesprenkelten Blüten kombiniert mit niedlichen Blusen und Stricktops, geschnitten wie klassische Wifebeater, dazu knielange, schwingende Röcke sowie kurze Jäckchen – alles stets komplettiert durch Brillen mit schweren Gestellen. Und auch für den kommenden Winter bleibt Comey ihrem lässig, charmanten Vintage-Stil treu mit Blusen unter Drei-Viertel-Arm-Pullovern. Und kleine weiße Söckchen, handbedruckt mit Buchtiteln beispielsweise Séance on a Wet Afternoon von Marc McShane, stecken in schwarzen Herrenhalbschuhen.
Das alles erinnert ein wenig an die Mode des Amerikaners Marc Jacobs, dessen prätentiöser Modestil allerdings eher im Grunge angesiedelt sein dürfte. Nur Jacobs selbst inszenierte sich jahrelang als der pummelige, schüchterne Nerd mit Pferdeschwanz und riesiger Krankenkassenbrille, bis er das ganze einem strengen Fitness- und Ernährungsplan unterwarf, und heute jeden neuen Muskel in einem anderen Hochglanzmagazin feiert.
Abbildung 6: Viktor Horsting (rechts) & Rolf Snoeren (links) alias Viktor & Rolf im Jahr 2002, © Inez van Lamsweerde and Vinoodh
Wie Intellekt und eine Brise Irrsinn in der Mode zusammen
gehen, zeigt das niederländische Designer-Duo Viktor &
Rolf. Der stets gemeinsame Auftritt mit dicker Büffelhornbrille
ist zu ihrem persönlichen Markenzeichen geworden, und absolutes
Styleelement jeder Herrenkollektion. Was Viktor & Rolf die Hornbrille
ist Karl Lagerfeld seine Sonnenbrille. Lagerfeld ist nicht nur Modeschöpfer
und Fotograf, sondern generell ein Phänomen in Sachen Büchern
und deshalb hier erwähnt. Abgesehen davon, dass er selbst Bücher
herausgibt, besitzt Lagerfeld an die 300.000 Bücher und beschäftigt
sogar eine eigene Bibliothekarin.
Kleidung ist ja bekanntlich auch immer ein Spiegel unserer
Gesellschaft, Architektur und zeitgenössische Kunst ebenso.
Früher war die Aufgabe einer Bibliothek hauptsächlich
das Bereitstellen ihrer Bücher zum Lesen, und dem Publikum
das Lesen zu ermöglichen. Heute ist der Lesesaal der am wenigsten
frequentierte Saal. Es fungieren als Lesesäle die Cafeteria
im Untergeschoss, wohin man die Bücher mitnehmen darf, wo man
an einem Tischchen sitzend mit einem Kaffee und einem Croissant,
auch mit einer Zigarette, weiterarbeiten kann.
Abbildung 7: Universitätsbibliothek Cottbus, © EGC Cottbus
Abbildung 8: Bibliothek Sevilla, © BauNetz
Die Künstlerin Candida Höfer feierte mit ihren monumentalen Fotografien von Bibliotheken gerade großen Erfolg, als Bibliotheksneu- und umbauten zu Prestigeobjekten vieler Kommunen wurden. Es sind vor allem die modernen Bücherpaläste, wie die neue Bibliothèque nationale de France des Architekten Dominique Perrault, die Universitätsbibliothek Cottbus von Herzog & de Meuron, die von Renzo Piano renovierte und erweiterte JP Morgan Library in New York Freie oder die von Zaha Hadid geplante Bibliothek von Sevilla, die mit ihren teilweise biomorphen Stahl-, Glas- und Kunststoffhüllen dem verstaubten Charme traditioneller Bibliotheken ein modernes, fortschrittliches Image verpassen. Ob es dort wohl auch noch nach alten englischen Romanen, russischem Leder und Holzpflegepolitur riecht? Falls nicht, kann man es ein bisschen In the Library in die Luft sprühen.
Abbildung 9: Bibliothéque Nationale France, © Alain Goustard
Abbildung 10: JP Morgan Library New York, © New York Times
Fußnoten
[Fn 1] A
Hipper Crowd of Shusher”, The New York Times, 8. Juli 2007
http://www.nytimes.com/2007/07/08/fashion/08librarian.html?_r=1&pagewanted=all
(zurück)
[Fn
2] Hollywood-Stars lieben den Streber-Look“,
Bild-Online, 8. April 2008
http://www.bild.de/BILD/lifestyle/mode-beauty/mode/2008/04/stars-tragen-streber-brillen/trend-streber-
brillen.html (zurück)