> > > LIBREAS. Library Ideas # 13

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Möglichkeiten einer Kooperation zwischen der Musikindustrie und Musikbibliotheken


Zitiervorschlag
Christoph Deeg, "Möglichkeiten einer Kooperation zwischen der Musikindustrie und Musikbibliotheken. ". LIBREAS. Library Ideas, 13 ().


Überall wird über die Zukunft der Bibliotheken diskutiert. Themen wie Digitalisierung von Bibliotheksbeständen, Bibliothek 2.0, Web 2.0 und Google sind längst nicht mehr exotisch, sondern Bestandteil der Diskussion um die Bedeutung des technischen Fortschritts und der Veränderung unserer Gesellschaft hin zu einer Wissensgesellschaft. Die öffentlichen Bibliotheken müssen sich in diesem Zusammenhang als wesentlichen Bestandteil beziehungsweise als Basis dieser Wissensgesellschaft definieren.

Die Idee der Wissensgesellschaft ist es, allen Menschen den Zugang zu Wissensressourcen zu ermöglichen. Das reine Verfügbarmachen von kulturellen und wissenschaftlichen Inhalten reicht dabei nicht aus. Es wird in Zukunft vielmehr um die Vermittlung der Inhalte gehen und im letzten Schritt um deren Verwertung. Das Vermitteln der Inhalte an alle Mitglieder einer Gesellschaft setzt voraus, dass man sich den Kommunikationskanälen öffnet, die die jeweiligen Adressaten der Vermittlung nutzen. Im Internet sind dies in der Regel marktwirtschaftliche und damit gewinnorientierte Angebote. Es ist abzusehen, dass es auch in Zukunft nicht gelingen wird, ein allein öffentlich finanziertes Onlineangebot zu entwickeln, welches von der großen Masse der Benutzer inklusive der so genannten „bildungsfernen“ Gesellschaftsschichten angenommen wird. Es wird also konkret darum gehen, wie Kooperationen mit Plattformen wie Myspace.com, Cafesonique.com oder Unternehmen aus der Musik- und der Gamesindustrie aussehen könnten.

Am Beispiel einer fiktiven Kooperation von Bibliotheken mit der Musikindustrie soll dies etwas verdeutlicht werden: Ausgegangen wird dabei von der Annahme, dass die Interessen der Musikbibliotheken und der Musikindustrie in dem Punkt nahe beieinander liegen, dass es ihnen um die Vermittlung kultureller Inhalte geht.

Aktuelle Probleme der Musikindustrie und der Öffentlichen Bibliotheken

Die Musikindustrie hat in den letzten Jahren einen großen Umsatzrückgang erleben müssen. Sehr oft wird das Internet und damit verbunden das illegale Kopieren und Downloaden vornehmlich junger User als Hauptgrund für den Niedergang der Branche angeführt. Dabei wird jedoch vergessen, dass die wichtigste Zielgruppe eben nicht diese Jugendlichen oder jungen Erwachsenen waren – auch wenn dies in der medialen Wahrnehmung so zu sein scheint. Die wichtigsten Kunden waren diejenigen, die sich monatlich in stationären Geschäften mehrere CDs kauften. Durch den Wegfall der vielen kleinen, aber kompetenten Plattenläden hat sich diese Zielgruppe vom Kauf beziehungsweise der Musikindustrie immer mehr abgewandt. Damit verbunden ist aber nicht nur der Umsatzverlust einiger Unternehmen. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Musik in ihrer ganzen Breite als gesellschaftlich wichtiges Gut verloren geht. Zwar gibt es durch das Internet eine quasi „Überallverfügbarkeit“ von Musik, jedoch fehlt dem Kunden der Ansprechpartner, eine Person oder Institution, die ihn durch den Dschungel der Datenmengen führt und ihn auf spannende neue Produkte hinweist. Letztlich ist zwar mehr Musik verfügbar – die Bandbreite des Angebots kann aber immer seltener genutzt beziehungsweise wahrgenommen werden. Ich behaupte, dass dieses Problem nicht alleine durch die Unternehmen gelöst werden kann.

Die Musikbibliotheken – sowohl öffentliche als auch wissenschaftliche – sollten allen Menschen den Zugang zu musikalischen und musikbezogenen Inhalten ermöglichen. Dies beinhaltet nicht nur das Verleihen von CDs, Büchern usw., sondern weitergehend auch die Vermittlung von Wissen über die Musik, sowie das Veranstalten von Konzerten oder Ausstellungen. Insgesamt verfügen die Bibliotheken über eine unglaublich große Zahl an Informationen und Quellen, die es dem Nutzer ermöglichen, sich intensiv mit Musik zu befassen. Die Musikbibliotheken könnten oder sollten sogar die Lücke, die die Krise der Musikindustrie hinterlassen hat, schließen. Allerdings werden auch sie nicht in der Lage sein, dies ohne fremde Hilfe zu schaffen. Die Lösung besteht deshalb – so meine Überzeugung –, in einer Kooperation beider Bereiche, des öffentlichen, wie des privatwirtschaftlichen.

Das Internet und dabei vor allem das sogenannte Web 2.0 verändern die Art und Weise, wie kulturelle und wissenschaftliche Inhalte vermittelt und rezipiert werden. Die Musikbibliotheken werden sich, wie die meisten anderen Bibliotheken auch, fragen müssen, wie sie auf diese neue Situation reagieren. Um vor diesem Hintergrund eine Wissensgesellschaft zu verwirklichen, reicht es nicht aus, nur den Zugang zu den jeweiligen Inhalten zu ermöglichen. Man benötigt außerdem einen oder mehrere Kommunikatoren, die den einzelnen Nutzer durch die Masse an Informationen führen und ihn für die jeweiligen Inhalte sensibilisieren. Dabei geht es für die Institutionen weniger darum, lediglich eine eigene Homepage zu haben. Es wird vielmehr darum gehen, wie man mit dem Medium neue Nutzer – also neue Kunden (beziehungsweise Wissensinteressierte) – ansprechen kann. Dies bedeutet, dass man sich auch den Zielgruppen nähert, die Bibliotheken eher nicht nutzen, und dies auf den Plattformen, die von eben diesen Menschen genutzt werden.

Wie könnte also eine Kooperation im Bereich Musik aussehen? Ein gutes Beispiel dafür ist die Kooperation zwischen Napster und Allmusic.com. Napster ist eine Plattform, auf der man Musik kaufen und downloaden kann. Ursprünglich eine illegale Downloadplattform ist Napster heute eines der interessantesten Tools im Bereich Online-Music und bietet unter anderem eine Musik-Flatrate an. Allmusic.com ist eine kostenlose Musikdatenbank, die Anfang der 90er Jahre von Musikbegeisterten entwickelt wurde. Im Laufe der Jahre hat sich Allmusic.com zu der größten und meistgenutzten Musikdatenbank im Internet entwickelt und gehört zu Macrovision.

Die Musikdateien werden bei Napster seitens der Anbieter auf die Plattform hochgeladen. Dazu werden Metadaten wie Titel, Künstler, Komponist oder Genre sowie Coverfotos zur Verfügung gestellt. Es fehlen aber detailliertere Hintergrundinformationen über die Musik oder den Künstler. Diese Daten werden bei Napster teilweise über eine Schnittstelle von Allmusic.com bezogen. Dabei geht es weniger um weitere Metadaten als vielmehr um Hintergrundinformationen zu den Künstlern beziehungsweise Werken. Auf Allmusic.com kann man sich zudem Ausschnitte aus den jeweiligen Musikstücken anhören und die Musik dann über eine Verlinkung bei verschiedenen Anbietern wie iTunes oder Amazon kaufen. Eine ähnliche Art der Kooperation könnte auch zwischen der Musikindustrie und den Musikbibliotheken stattfinden.

Projektskizze einer Kooperation

Die Zusammenarbeit könnte folgendermaßen aussehen: In einem ersten Schritt werden die verschiedenen Kataloge, Informationen, Daten und Dateien der Musikindustrie und der Musikbibliotheken digitalisiert und online für jeden Internetnutzer auf einer gemeinsamen Plattform verfügbar gemacht. Dabei müssen die einzelnen Dateien nicht zwangsläufig auf neue Server transferiert werden, denn über noch zu entwickelnde Schnittstellen wird die Verknüpfung der Datensätze möglich. So würde eine virtuelle Datenbank entstehen, in die sowohl die Bibliotheken und Museen als auch die Musikindustrie ihre Daten einspeisen. Auch wenn diese Aufgabe an sich schon komplex ist, wird das alleinige Anbieten der Inhalte beziehungsweise Informationen nicht ausreichen. Die riesige Datenflut wird dazu führen, dass der Benutzer sich einen Partner, eine Art Informationsagenten wünscht. Die Aufgabe des Agenten wird es sein, dem Benutzer die passende Information zum jeweiligen Thema anzubieten respektive ihn für neue Themenbereiche zu begeistern. Dieser Agent kann Softwarebasiert sein oder aber als reale Person innerhalb einer Web 2.0-Umgebung existieren. Die Plattform sollte einerseits ähnlich wie Allmusic.com alle Inhalte frei zur Verfügung stellen, andererseits aber zugleich die Möglichkeit bieten, Musik, Bücher oder auch Konzertkarten zu kaufen. Aufgrund der vielfältigen Kenntnisse der einzelnen Teilnehmer dieser Kooperation würde es zu einem starken Wissenstransfer kommen. Die Bibliothekare würden z.B. ihre pädagogischen Kenntnisse und ihr Wissen über Erschließung und Bewahrung beisteuern, während die Musikindustrie für den Bereich Marketing und Werbung verantwortlich wäre. Das Projekt sollte grundsätzlich offen für alle sein. Weitere öffentliche Institutionen sowie Unternehmen aus den Bereichen Kulturwirtschaft oder Tourismus könnten also ebenfalls mögliche Partner für ein derartiges Projekt sein.

Beide Seiten könnten von einer besseren Vermittlung musikalischer Inhalte profitieren: die Musikindustrie, weil die Chance besteht, dass mehr Musik verkauft wird, und die Musikbibliotheken, weil Ihre Bestände öfter genutzt und die Reputation beziehungsweise die öffentliche Wahrnehmung massiv verbessert werden würde. Natürlich müssen beide Seiten die Kosten für die Entwicklung eines solchen Projektes tragen, gleichzeitig besteht aber die Möglichkeit, dass sich beide Seiten die aus dem Projekt resultierenden Einnahmen teilen.

Diese Gedanken sind ein Versuch, die vorhandenen Möglichkeiten aufzuzeigen. Um diese Idee umzusetzen, müssten vorher eine Vielzahl an Fragen geklärt werden. Vor allem der Bereich des Urheberrechts stellt dabei eine große Hürde da. Andererseits gibt es genügend Beispiele, bei denen diese Problemstellungen erfolgreich gelöst werden konnten. Wenn es gelingt, die Stärken der einzelnen Kooperationspartner zu hervorzuheben, wird sich eine Vielzahl von Synergieeffekten ergeben – für die Bibliotheken, für die Unternehmen und vor allem für die Nutzer.