> > > LIBREAS. Library Ideas # 13

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Editorial zur Ausgabe 13: Popkultur: Bibliothek


Zitiervorschlag
Redaktion LIBREAS, "Editorial zur Ausgabe 13: Popkultur: Bibliothek. ". LIBREAS. Library Ideas, 13 ().


„snap, crackle, and pop” – Wenn die Trendmode die Oberfläche der Massenkultur ist, dann brodelt unter dieser aktuell sehr vieles von dem, was dem Erscheinungsbild des stereotypen Bibliothekars zugeschrieben wird. Zwar findet sich der „Librarian Chic“ nicht unvermittelt in den Lifestyle-Journalen wieder, aber in den Clubs der Hauptstadt trägt die junge Generation wieder dickrahmige Brillenmodelle und streng gebügelte Bürokleidung. Manchmal wähnt man sich weniger in einem Salon der Apple-Jugend und mehr in der modischen Atmosphäre eines IFLA Council Meeting in den frühen 1970ern. Allerdings mit anderem Soundtrack.

Die Kleidung macht es deutlich und die aktuelle De:Bug (Nr. 124) bestätigt, was bisher nur gemunkelt wurde: „Konservativ ist das neue Rebellisch, Alt das neue Jung.“ Der Generationenkonflikt sei ausgefallen, die heute Jungen hätten besseres zu tun, als sich schon wieder als neue Rebellen zu inszenieren. Es liegt der erstaunliche Fall vor, dass etwas, das früher als hausbacken und bieder bezeichnet wurde auf einmal den Geschmack der Hipsters trifft: die Uniform der Bibliothekare. Zwar kann man nicht von einer ganzen Generation sprechen, aber zumindest ein Teil der jüngeren Generation hat den Brückenschlag zum Librarian Chic als DAS Outfit der Saison gemeistert. Hier scheint die Bibliothek so nah an einem Modetrend wie nie zuvor.

Wir sind Teil der Wissensgesellschaft und als solcher kleiden wir uns so, wie die einstigen Hüter des Wissens. Wir demonstrieren, wie wir uns mit ihr identifizieren. Vielleicht ist es aber auch nur das fröhliche Aufgreifen von etwas, was lange nicht auf der Agenda der Laufstege stand. Was bedeutet es aber für Bibliotheken, wenn die Symbole, für die man sie früher belächelte, nun eine Überhöhung im Zeitgeist erfahren?

Was auf den ersten Blick als eine bloße Erscheinung der Mode zu interpretieren wäre, berührt andererseits durchaus die Bibliothekspraxis. Nach außen gerichtet, bieten die popkulturellen, auf retro-getrimmten Trends schnelle, greifbare und eindeutige Identifikationspunkte. Aber die Institution Bibliothek hat mehr Exportpotential als nur den Popappeal von Cord und Knitwear. Wir tauchen daher in dieser Ausgabe ein in das Spannungsverhältnis zwischen Eigen- und Fremdbild, zwischen Bibliothek und Nutzer. Die theoretische Debatte entzündet sich dabei hauptsächlich an der Front zwischen persönlicher Interaktion und institutionalisiertem Auftrag.

Hannah Maischein und Najko Jahn argumentieren deshalb in ihrem Beitrag, dass die Überschreitung der Grenze zwischen Web 2.0-Anwendungen und des normativen Gehalts von Bibliotheken und Museen zu ernsthaften, gesellschaftlichen und persönlichen Konsequenzen führen könne. Der normative Gehalt von Bibliotheken und Museen bestehe darin, ein Archiv der Zivilisation zu bilden, welches Überlieferung, soziale Integration und Bildung ermöglicht. Anders gesagt, sammele sie die Erzählungen der Menschheit und ermögliche dadurch eine Sinnkonstruktion, die im Idealfall zu einer weitreichenden Entfaltungsstruktur für das Gros der Mitglieder der Gesellschaft führt.

Auch Karsten Schuldt betont in seinem Artikel den institutionalisierten Auftrag von Bibliotheken. Öffentlichen Bibliotheken seien mit der Vermittlung kulturellen und subkulturellen Wissens beauftragt. Dies sei insbesondere in kulturell ärmeren Gebieten auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit. Ein relevanter Teil jugendkulturellen Wissens und jugendkultureller Produkte würde heute online erzeugt und verbreitet, teilweise wäre das Internet der Ort subkultureller Kommunikation. Um ihrer gesellschaftlichen Rolle und ihrer kulturellen Rolle gerecht werden zu können, müssten Bibliotheken diesen Trend rekonstruieren und auf ihn reagieren können.

Christoph Deeg zeigt in seinem Beitrag Möglichkeiten einer Kooperation zwischen Musikindustrie und Musikbibliotheken auf und skizziert eine gemeinsame Plattform, die für beide Seiten Erfolg verspricht. In Kontrast dazu analysiert Karen Schumann in ihrem Beitrag den bzw. die Lifestyles der Open Access-Bewegung.

Monika Bargmann behandelt in ihrem Beitrag die Frage, warum Bibliothekarinnen ausgerechnet „Sensible Shoes“, also Schuhe, die besonders leise und unauffällig zu tragen sind, zugeschrieben werden. Sie begibt sich auf die Suche in der einschlägigen Literatur und schaut ihren Kolleginnen buchstäblich auf die Füße, um die Verschiedenartigkeit der Modelle aufzuzeigen.

Zudem scheinen Bibliothekarinnen erst dann wahrgenommen zu werden, wenn sie im tulip-skirt und strenger Brille maßgeblich auf ihre Nutzer einwirken. Lacey Prpic Hedtke findet gerade dieses Bild in vielen handgemachten Produkten wieder, die auf den Portalen Etsy und Crafter angeboten werden. Sie spiegeln teils die ureigene Angst einer männlich-dominierten Gesellschaft vor intelligenten Frauen wider. Diese wird überwunden, wenn das erotische Abstraktum Bibliothekarin fetischisiert und dadurch in einem begrenzten Eigenschaftsspielraum fixiert und kontrollierbar wird.
Teils lassen sich aber auch ebenso Produkte mit subversivem Potential entdecken, die LIBREAS gern weiterempfiehlt.

Dass Popmusik eine wichtige Projektionsfläche für die Wahrnehmungen der Welt ist, steht außer Frage. Jeder hört die Musik, die ihm am besten gefällt. Bauen einige Vertreter der Bibliothek 2.0 auf deutsche Klänge von Wir sind Helden, um ihrem Projekt ein Fundament zu schaffen, so bietet Marc-Oliver Borgstedt einen alternativen Soundtrack an, der Bibliotheken mit ihren Nutzern progressiv verbindet. Unser Favorit: M.I.A.'s Paper Planes.

Aber auch Fernsehserien bieten Stoff für ganz eigene Vorstellungen über die Bibliothek, wie Christian Spließ abschließend in seinem Beitrag über den Bibliothekar Giles aus der Serie „Buffy the Vampire Slayer“ beschreibt.

Das Phänomen „Pop“ beschreibt nicht nur das Rezeptionsgeschehen, sondern betrifft auch die Produktion von entsprechenden Artefakten. Die von Jule Henrich aufgenommene Fotoserie „Brillenmodelle für Bibliothekare“ zum Trend besonders große, auffallende Brillen zu tragen, greift dies entsprechend auf und spielt mit Klischees. Hier werden der Staub und die Miefigkeit als angebliche Attribute von Bibliotheken aufgewirbelt und durch Seriosität und Ernsthaftigkeit verbunden mit der ganzen Coolness dreier Bibliothekare, die smart und charmant daherkommen, ersetzt.

In unserer zweiten Bilderserie visualisiert Mali Lazell Weiblichkeit aus weiblicher Sicht. Indem sie einerseits offen mit Klischees umgeht, sie andererseits unerwartet radikalisiert, begegnet sie selbstironisch dem Schwarz-Weiß allgemeiner Vorstellungen und entwirft dabei einen Kontrapunkt zum domestizierenden Blick auf Bibliothekarinnen.

Unseren Schwerpunkt beschließt der Hinweis auf zwei Podcasts, die wir im Vorfeld der Popausgabe erstellt haben, sowie Berichte und gewohnt kritische Rezensionen ausgewählter Veröffentlichungen.

Wir wünschen viel Freude bei der Lektüre,

Ihre und Eure LIBREAS. Library Ideas-Redaktion

(August 2008)