> > > LIBREAS. Library Ideas # 10/11

Rezension zu: Eckart Conze, Bernd Reifenberg [Hrsg.] (2006) Displaced Books. NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Marburg. Marburg: Univ.-Bibliothek (Schriften der Universitätsbibliothek Marburg; 127), 133 S., € 10.-, ISBN 978-3-8185-0435-9


Zitiervorschlag
Karsten Sydow, "Rezension zu: Eckart Conze, Bernd Reifenberg [Hrsg.] (2006) Displaced Books. NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Marburg. Marburg: Univ.-Bibliothek (Schriften der Universitätsbibliothek Marburg; 127), 133 S., € 10.-, ISBN 978-3-8185-0435-9". LIBREAS. Library Ideas, 10/11 ().


Bereits im Dezember 1999 wurde die Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz (gemeinsame Erklärung)[Fn1] verabschiedet, in der sich die Träger öffentlicher Einrichtungen, darunter auch Bibliotheken, verpflichten, ihre Bemühungen bei der Suche nach Raubgut zu intensivieren. Bedauerlicherweise fand diese Erklärung nur in wenigen Fällen Gehör. Mit Hinweisen auf die im deutschen Bibliothekswesen vorherrschende Mangelwirtschaft (kein Personal, kein Geld und natürlich keine Zeit) sperren sich bis heute viele wissenschaftliche Bibliotheken gegen eine Aufarbeitung ihrer Geschichte während der nationalsozialistischen Diktatur.

Die Universitätsbibliothek Marburg beweist schon seit Jahren, dass trotz der genannten Mängel durchaus Erfolge bei Provenienzrecherchen erzielt werden können. Dass dazu auch die Bereitschaft gehört, mitunter ungewöhnliche Wege zu beschreiten, beweist die vorliegende Aufsatzsammlung, die, wie andere Veröffentlichungen zur gleichen Thematik, in der Schriftenreihe der Universitätsbibliothek Marburg erschienen ist.

„Displaced Books“ dokumentiert die Ergebnisse einer Zusammenarbeit der Universitätsbibliothek und des Seminars für Neuere Geschichte der Philipps-Universität Marburg. Unter Leitung des Historikers Eckart Conze und des Bibliothekars Bernd Reifenberg hatten Studierende im Rahmen eines Forschungsseminars im Wintersemester 2005/2006 die Möglichkeit, sich mit der Thematik „Raub und Restitution“ wissenschaftlich-theoretisch auseinanderzusetzen und gleichzeitig praktisch der UB Marburg bei der Suche nach geraubten Büchern innerhalb ihres Bestandes zu helfen.

Der Titel des Buches geht auf eine der ersten Veröffentlichungen in Deutschland zum Thema „NS-Raubgut“ zurück.[Fn2] Nach dem Vorwort der beiden Herausgeber gibt Bernd Reifenberg zunächst einen Überblick über die bisherigen Bemühungen der UB Marburg seit 1999, NS-verfolgungsbedingt entzogene Bücher im Bestand zu ermitteln. Bis zum Jahr 2006 wurden in Marburg etwa 7600 Titel überprüft, von denen sich etwa noch 7000 Titel in der Bibliothek befanden. Etwa 1500 Titel wiesen Besitzvermerke in Form von Namenseintragungen, Exlibris, Stempeln usw. nach, die den Verdacht nahe legten, dass es sich um Raubgut handeln könnte. Vier Fallstudien veranschaulichen die Suche nach den vormaligen Besitzern und die Bemühungen, die Bücher an deren Erben zu restituieren.

Anschließend folgen sieben Beiträge von Studierenden, die sich mit den nach Marburg gelangten Büchern verschiedener Personen und Institutionen auseinandersetzen. Dazu gehörten u.a. die Freireligiöse Gemeinde Wiesbaden, der Jüdische Jugendverein Schweinfurt und der Fabrikarbeiterverband Hannover. Die detailliert geschilderten Fälle veranschaulichen die Schwierigkeiten und Probleme, die sich bei Provenienzrecherchen ergeben können, deutlich. Die Beiträge werden durch Dokumente und Fotos sinnvoll ergänzt.

Eckart Conze belegt in seiner den Band abschließenden Betrachtung, wie anhand der geschilderten Einzelfälle die Problematik von Raub und Restitution exemplarisch dargestellt werden kann und betont die hohe wissenschaftliche und politische Relevanz, die er Projekten wie dem in Marburg einräumt.

Es ist faszinierend zu sehen, in welch kurzer Zeit studentische Projekte konkrete Ergebnisse hervorbringen können, denn zwischen Projektstart und Veröffentlichung des Buches lagen gerade einmal zwölf Monate. Ob andere Bibliotheken bzw. bibliothekarische Ausbildungseinrichtungen dem Marburger Modell folgen werden, ist allerdings zu bezweifeln.

Fußnoten

[Fn 1] URL: www.lostart.de/stelle/erklaerung.php3?lang=german (zurück)

[Fn 2] Displaced books - Bücherrückgabe aus zweierlei Sicht: Beiträge und Materialien zur Bestandsgeschichte deutscher Bibliotheken im Zusammenhang von NS-Zeit und Krieg / [hrsg. von Maria Kühn-Ludewig]. - 2., durchges. und erw. Aufl. - Hannover : Dehmlow, 1999. - 134 S. : Ill. ; 24 cm. - (Laurentius , Sonderheft). - ISBN 3-931614-50-6 (zurück)


Karsten Sydow studierte Bibliothekswissenschaft, Neuere und Neueste Geschichte sowie Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.