Vorab: An dieser Stelle soll es keine Fakten zum südafrikanischen Bibliothekswesen geben, die man an anderer Stelle nachlesen kann und auch keinen Kommentar zum Weltbibliothekskongress oder zur Berichterstattung dieses. Vielmehr liegt uns am Herzen, ein Stück weit von der Faszination weiterzugeben, die diese Sommerreise in den Winter auf der anderen Erdhalbkugel bei uns ausgelöst hat.
Nach einem zweitägigen Umweg an das Südkap des afrikanischen Kontinents war Durban an der Ostküste der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal Reiseziel der kleinen Delegation des LIBREAS-Redaktionsteams. In der 3-Millionen-Stadt fand im vergangenen August der jährliche Kongress des Weltbibliotheksverbandes IFLA statt, an dem wir dank der finanziellen Unterstützung von BI International als Übersetzer für die deutsche Ausgabe des Konferenz-Newsletters IFLA-Express teilnahmen. Bevor wir zum ersten Treffen mit dem diesjährigen Übersetzer-Team aufschlugen, bot uns Durban den wohl beeindruckendsten Vormittag unserer Reise.
Die städtische Touristeninformation vermittelte uns den Kontakt zu Meluleki ‘Mark’ Mgobhozi, unserem Guide zu einer kleinen Tour in die äußeren Stadtbezirke von Durban. Umlazi als ein Township im Distrikt eThekwini der KwaZuluNatal-Provinz sollte uns neben dem ganz typischen Township-Leben eine Herzlichkeit und Freude der Südafrikaner offenbaren, die uns auch nach der Rückkehr in den Berliner Alltag in überwältigender Erinnerung geblieben ist.
Townships sind die in der Apartheid entstandenen Stadtviertel für farbige Arbeiter, die nach einer Sanierung in den Innenstädten dort keinen Raum mehr bewohnen durften. Die Townships zeichnen sich vor allem durch die Unstrukturiertheit aus und zuhauf findet man Behausungen vor, die als informal settlements bekannt sind – mit den typischen Wellblechdächern, Autoreifen, Planen etc. Die Townships haben die Apartheid überlebt, noch immer sind sie Zeichen der Politik der Trennung von Volksgruppen. Wir wollten gern einmal den Blick über den Tellerrand und hinter die durch das Fernsehen vermittelten Bilder werfen, fürchteten aber gleichzeitig, dort als Touristen aufzutreten. Als uns unser Tour-Guide Mark dann aber begrüßte und gleich darauf hinwies, dass uns keine besonders touristische Führung durch die Lehmhütten bevorsteht, stieg die Spannung.
Die Tour mit Mark, der selbst im Umlazi-Township aufwuchs und dessen Familie noch immer dort wohnt, bestand darin, seine (zahlreichen) Freunde und Bekannten kennen zu lernen. Stets wurden wir mit wenigstens einem speziellen Handschlag und meist mit Umarmungen, Fragen und einem Redeschwall begrüßt. Mark, der beinahe Alle, die wir mit dem Kleintransporter passierten, begrüßte (es ist üblich mit den Menschen zu reden, während man schon weiterfährt – der Gesprächspartner muss nicht mehr unbedingt zu sehen sein), führte uns zunächst in einen kleinen Pub – dort versetzten wir die Billard spielenden Männer beim morgendlichen Umtrunk mit unserem Besuch in helle Begeisterung und wurden mehrfach gebeten, unbedingt Fotoaufnahmen von ihnen zu machen, deren Qualität umgehend begutachtet wurde. Falsch machen konnten wir beim Fotografieren nichts, denn es war schier unmöglich, einen Umlazi-Bewohner beim Nicht-Lächeln zu erwischen. Anschließend besuchten wir Familien in ihren Häusern, die uns über ihren Alltag und Lebensverhältnisse wissen ließen und lernten in einer Taverne weitere Leute kennen, die sich mit uns Cola und Bier schmecken ließen. Den krönenden Abschluss boten Marks Mutter und Schwester, die uns mit hervorragender südafrikanischer Kost bekochten – wir mit unseren vollen Köpfen voller Bilder und Empfindungen der letzten Stunden und absolut leeren Mägen waren unglaublich dankbar für dieses köstliche Mahl unter afrikanischer Sonne im Vorgarten eines kleinen Wohnhauses im Township Umlazi.
Straßenszene in Durban
Natürlich haben wir es uns nicht nehmen lassen, eine dortige öffentliche Bibliothek zu besuchen. Die Public Library in Umlazi ist eine von 87 im Stadtbezirk von Durban. Gerade in den Townships sind die Bibliotheken zentraler Lernort und Treffpunkt zugleich und – entgegen der Vermutung – finanziell keineswegs schlecht ausgestattet: Durban-Umlazi gehört zu einer der finanziell am besten unterstützten Gemeinden. Für die Kinder besteht Schulpflicht, nicht selten allerdings verbringen sie die reguläre Schulzeit damit, ihre kinderreichen Eltern bei der Hausarbeit zu unterstützen. Raum für Bücher und Ruhe für Hausaufgaben gibt es nicht in den Behausungen, die meist aus nur einem Wohnraum für viele Personen bestehen. So wird die Bibliothek gern und eifrig genutzt und während unseres kurzen Besuchs warteten lange Schlangen von Kindern und Jugendlichen an der Ausleihtheke, um Bücher in Englisch, Afrikaans und Zulu auszuleihen, wobei sich die Beschaffung von Literatur in der letztgenannten Muttersprache als schwierig erweist. Aufgrund des Mangels an Literatur in Zulu finden Bücher auch wenig Anklang bei den Älteren. Übrigens war das Interesse unsererseits für die Bibliothek etwa ebenso groß wie das der Kinder für uns neugierige Touristen.
Umlazi Public Library
Die Innenstadt Durbans, das Kongresszentrum und die Aktivitäten rund um den Weltbibliothekskongress boten uns anschließend ein Programm recht gegensätzlicher Eindrücke. Von Durban behalten wir in Erinnerung, sofern man fernab vom Weg zwischen Hotel und Kongresszentrum ein paar Schritte geht, was gemeint ist, wenn angegeben wird: Diese Stadt pulsiert. Ja, sie lebt und zwar anders als europäische Großstädte leben und aufgrund des stets präsenten Sicherheitsrisikos läuft man mit anderer Obacht durch diese Straßen: Einen kleinen Ausflug hinter dem bekannten Victoria Market haben wir nach wenigen Metern abgebrochen – zu sehr fühlten wir uns im Blickfeld der dort ansässigen Ladenbesitzer, der Ladenbesucher, der Passanten, einfach aller geballter Menschenmenge, die uns umgab und im – glücklicherweise nur – übertragenen Sinne überrannte.
Die Reise war leider nur zehn Tage kurz – mit vielen Stunden in diversen Flugzeugen hoch über dem afrikanischen Kontinent und im Übersetzerbüro für den IFLA-Express. Dennoch erscheint es uns im Nachhinein, als hätten wir einen ganz wesentlichen Teil des Sommers in Südafrika verbracht. Wir können in jedem Fall nachvollziehen, dass einen dieses Land nicht mehr loslässt, wenn man einmal die Spur aufgenommen hat und der mysteriösen, beschleunigten, aufregenden und steinigen Fährte durch Vergangenheit und Gegenwart des Landes folgt.
Umlazi Public Library
Mit welchen Vorstellungen wir eigentlich
nach Südafrika geflogen sind, lässt sich für uns
nicht mehr nachvollziehbar konstruieren, fest steht: Zwischenmenschlich
gesehen waren sowohl die Reise als auch die gemeinsame Arbeit am
IFLA-Express mit den Kollegen Susanne Riedel und Bernd Schleh eine
Bereicherung. Am Rande dieser Tagung und der Arbeit an den Übersetzungen
des Kongressblattes haben wir in diesem Sommer wertvolle, z. T.
sehr tiefgehende Eindrücke gewonnen, die uns sicherlich lange
erhalten bleiben und von denen wir ohne Einschränkung sagen
können, dass sie noch immer nachwirken. Kapstadt und Durban
haben uns ein Stück mehr Verständnis für eine (Bibliotheks-)Welt
gebracht, die uns doch eigentlich so fern ist.
Maxi Kindling studiert Bibliothekswissenschaft und Germanistische Linguistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist studentische Mitarbeiterin am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft.
Boris Jacob studiert an der Humboldt-Universität zu Berlin Bibliothekswissenschaft, Medienwissenschaft und Germanistische Linguistik. Er ist studentischer Mitarbeiter am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft.