Knapp 90 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus allen Teilen der Bundesrepublik trafen sich am 25. April 2007 im Weiterbildungszentrum der FU Berlin. Wieder einmal stellte Rolf Busch, der Leiter des Zentrums, ein interessantes und drängendes Thema zur Diskussion – dieses Mal in Kooperation mit der erst im letzten Jahr gegründeten Expertengruppe des Deutschen Bibliotheksverbandes „Interkulturelle Bibliotheksarbeit des Deutschen Bibliotheksverbands“, die u.a. durch ihren Vorsitzenden Volker Pirsich vertreten war.
„Interkulturelle Bibliotheksarbeit: Konzepte – Erfahrungen – Perspektiven“ lautete das Thema der Tagung, das die Teilnehmer/innen in zahlreichen Vorträgen, sieben Workshops, Praxisübungen und Diskussionen fesselte. Der Schwerpunkt lag auf der Arbeit Öffentlicher Bibliotheken mit Migranten, in Deutschland vor allem mit Migranten türkischer und arabischer Herkunft. Die Bibliotheksarbeit mit Migranten in Dänemark, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und Kanada wurde ebenfalls durch zahlreiche Projektbeispiele illustriert.
Der Eröffnungsvortrag von Prof. Ragnar Audunson, Oslo University College, stellte die Öffentliche Bibliothek in den Zusammenhang der multikulturellen Informationsgesellschaft mit all ihren Chancen und Problemen. Malte Christopher Boecker, Projektmanager bei der Bertelsmann-Stiftung, wies auf die Bedeutung der interkulturellen Kompetenz als Schlüsselqualifikation hin. Strategien zur Überwindung der kulturellen Konfrontation liegen z.B. darin, verbindliche Wertekanons für alle zu entwickeln, sowohl auf der Ebene der Religionen wie auf der zwischenmenschlichen Ebene.
In mehreren Workshops wurden dann ausführlich über gelungene Praxisbeispiele in mehreren europäischen Ländern informiert. Der Workshop „Die Erwartungen der Migrantenorganisationen“ mit zwei Vertretern türkischer und arabischer Berliner Migrantenorganisationen enttäuschte: Wenn auch klar war, dass sie nicht für alle Migrantengruppen sprechen konnten, so hatte man doch gehofft, dass sie bestimmte Erwartungen an die Öffentlichen Bibliotheken formuliert hätten. Die Kooperation mit Bibliotheken sei aber bisher noch nicht diskutiert worden, gab einer der Vertreter freimütig zu. Berliner Bibliothekarinnen berichteten aus ihren Erfahrungen, dass die Bildungsferne bei bestimmten Migrantengruppen ein großes Problem bei geplanten und angebotenen Aktivitäten seitens der Bibliothek sei.
In einer spannenden Videokonferenz mit drei Bibliothekarinnen der Toronto Public Library erfuhren die Teilnehmer/innen am Ende des Tages, dass 60 % der Migranten in Kanada aus Asien kommen und in der Regel ein sehr starkes Bildungsstreben haben. Zahlreiche Sprachprogramme der Bibliothek fördern den Erwerb von „English as a Second Language“. Auf der Website der Bibliothek werden „Intercultural Resources“ angeboten, u.a. Career Bookmarks, aber auch online-zugängliche chinesische Zeitungen. Die Arbeit wird geplant von einem „Multicultural Services Commitee“. Beeindruckend, mit welchem Pragmatismus hier gearbeitet wird!
Die Resonanz auf die Tagung war positiv. Einig war man sich, dass der Integrationsgedanke in Deutschland noch am Anfang steht. Volker Pirsich zeigte sich skeptisch, was die rasche Umsetzung des Integrationsgedankens angehe. Die politische Weiterarbeit ist notwendig, nicht nur die Diskussion des Themas im kleinen Kreis der Bibliothekare und Bibliothekarinnen.
Die Vorträge der Tagung sollen im Frühjahr
2008 – ergänzt um weitere Aspekte des Themas –
als Buch erscheinen. Es ist zu wünschen, dass es in einer hohen
Auflage produziert wird und auch an politisch Verantwortliche verteilt
werden kann. Erstrebenswert wäre es sicher, in dieses Buch
einen Beitrag über interkulturelle Kompetenz in wissenschaftlichen
Bibliotheken mit aufzunehmen[Fn1].
[Fn 1] vgl. z.B. Racial and Ethnic Diversity in Academic Libraries. Multicultural Issues. – Ed.: Deborah A. Curry. – New York 1994 (The Reference Librarian; 45/46) sowie Rebecca R. Martin (1994) Libraries and the Changing Face of Academia. Responses to Growing Multicultural Populations. – Metuchen, N.J. u.a (zurück)
Dagmar Jank ist Professorin für Bibliothekswissenschaft, Medien- und Informationsvermittlung am Fachbereich Informationswissenschaften der Fachhochschule Potsdam.