Herr Richter, gerade nach diesem langen Planungsmartyrium muss es für Sie nahezu unwirklich erscheinen, nun tatsächlich im fertigen und für die Nutzer freigegebenen Gebäude zu stehen. Was erfüllt sie nun, da alles fertig ist, mit besonderem Stolz?
Das ist eine gemeine Frage. Stolz bin ich zum einen natürlich darauf, dass dieses Bibliotheksgebäude tatsächlich entstanden ist. Das Projekt stand sehr lange auf unsicheren Beinen, es hat eine sehr langwierige Planungsphase gegeben. Dass es gerade heute in den Zeiten knapper Kassen dann doch gelungen ist, ein Bibliotheksgebäude dieser Größenordnung zu bauen: Das ist schon einmalig! Durch die von mir wahrgenommene Aufgabe der bibliotheksfachlichen Begleitung des Baus konnte einiges sowohl im Verwaltungs- wie auch im Benutzungsbereich realisiert werden.
Die Gestaltung dieser Bereiche entspricht den Ideen, die gemeinsam von Herrn Dr. Zick [Direktor der Universitätsbibliothek] und mir entwickelt wurden. Wir wollten unsere Bibliothek natürlich ordentlich ausstatten und ein entsprechend gutes Dienstleistungsangebot präsentieren. Dass uns diese Umsetzung gelungen ist, ist schon eine bemerkenswerte Leistung und macht uns natürlich auch stolz.
In der Presse gab es Beschreibungen wie die „Lesefabrik“, ein „Parkhaus für Bücher“, und jetzt steht auch noch „Volkswagen“ über dem Eingang. Und tatsächlich wird sozusagen „zwischen den Ziegeln“ erkennbar, dass das Gebäude auch eine bauliche Manifestation von dem, was man „Fließbandproduktion des Wissens“ nennt, darstellt. Sie selbst haben gesagt, dass „wir im Bereich Ästhetik relativ wenig zu bieten haben.“ Denken Sie, wenn Sie morgens hier herkommen „Ein bisschen mehr architektonischer Ausdruck – das wäre schon schön gewesen“?
Wenn Sie mich als Ästheten ansprechen, dann muss ich natürlich schon sagen, dass ich mir ganz andere Dinge hätte denken können. Im Vergleich mit z.B. dem recht farbenfrohen Gebäude in Cottbus, hat diese Bibliothek in der Tat wenig zu bieten. Aber hauptsächlich bin ich eher ein nüchterner, sachlicher Mensch, der mehr Wert darauf legt, eine gute Arbeitsatmosphäre zu haben und der der Meinung ist, dass es sich besser arbeiten lässt, je weniger Ablenkung man hat. Letztendlich haben wir das Geld, was hier in Ästhetik gesteckt hätte werden können, dann doch lieber in Technik und Ausstattung investiert. Insofern komme ich morgens nach wie vor gern in dieses Gebäude und vom Typ her kommt mir die Ausstattung, so wie es jetzt geworden ist, auch mit den sichtbaren Installationen unter den Decken, entgegen.
Wenn man sich die Diskussion um die Zukunft der Bibliotheken anschaut, sieht man, dass überwiegend von einer Abnahme der Bedeutung materieller Datenträger gesprochen wird und dass sich die Materialien mehr und mehr in den virtuellen Raum verlagern, wo sie letztendlich auch verarbeitet werden. Die Wissensproduktion scheint sich also weiterhin zunehmend von Buch, Stift und Papier fortzubewegen. Auf der anderen Seite entstehen aber immer mehr Bibliotheken, in Cottbus, Rostock, Greifswald usw. Warum? Man hätte ja auch für die 55 Mio. Euro, die hier hineingesteckt wurden, irgendwo am Stadtrand ein tolles Serverzentrum aufbauen können und nicht in der Citylage einen Neubau.
Die Citylage hat sich vor allem dadurch ergeben, dass die Technische Universität (TU) Berlin Grundstücke um den Ernst-Reuter-Platz, so unter anderem auch dieses Grundstück, besitzt und sich deshalb diesen Bau an dieser Stelle leisten konnte. Was den Mix von elektronischen und traditionellen Medien anbelangt – und daraus resultiert die Frage nach der Notwendigkeit von neuen Bibliotheksbauten – gab es vor 5 Jahren einen bekannten Professor in Berlin, der gefragt hat „Warum noch in Bücher investieren? Wir investieren in Terrabytes. Wir scannen alles, wir digitalisieren alles und stellen es zur Verfügung.“ Inzwischen hat auch er seine Meinung revidiert und hält Bibliotheken für sehr sinnvolle Einrichtungen, eben weil Bibliotheken mehr sind als nur Wissensspeicher. Wir „horten“ nicht nur die Bücher oder elektronische Medien, sondern wir vermitteln Informationen und bieten Dienstleistungen dazu an. Obwohl sich die Kunden diese Dienstleistung sicherlich nicht mehr in jedem Fall persönlich vor Ort abholen müssen, erfordern sie eine gewisse – auch räumliche – Infrastruktur. Hinzu kommt, dass wir als Universitätsbibliothek eine Service- Einrichtung, insbesondere für die Studierenden, sind. Studierende brauchen einen Platz, an dem sie lernen und ihr Wissen austauschen können und das ist die Bibliothek. Denken Sie z.B. an diejenigen Studenten, die sich das technische Equipment, welches heute zum Standard gehört, nicht leisten können. Dass jeder sein eigenes Notebook, seinen eigenen PDA oder Organizer hat und damit auch kommen und arbeiten kann, dass jeder auch die entsprechenden Programme nutzen kann – das ist immer noch nicht selbstverständlich. Die Entwicklung, um auf den Anfang zurückzukommen, zeigt, dass der Siegeszug der elektronischen Medien, der prophezeit worden ist, nicht in dem Maße statt gefunden hat. Bezeichnend dafür ist die Diskussion um die Formate: Was ist das sinnvollste Format, welche Formate kann ich in zehn oder zwanzig Jahren noch verarbeiten? Beide Medienarten, also digital und Papier, haben Vorteile, die sich sinnvoll ergänzen. Papier kann ich länger und bequemer lesen, digital hat den Vorteil einer schnellen Recherche sowie, eines schnellerer Zugriffs auch über große Entfernungen hinweg. Insofern ist der Begriff „Hybride Bibliothek“ vielleicht nicht hundertprozentig passend, aber zutreffend. Der Mix zwischen traditionellen Medien in Papierform, Tonträgern u.ä. und dem ausschließlich elektronischen Angebot wird auf absehbare Zeit die Zukunft sein, auch wenn uns der eine oder andere Science-Fiction-Film etwas anderes zeigt.
Was versteckt sich hinter dem Spruch „Wissen im Zentrum“? Ist es nur ein Werbeslogan?
Das ist eine spannende Frage. „Wissen im Zentrum“ ist als Slogan eigentlich für die Eröffnungsfeier entstanden. Wir hatten vorher keinen Slogan, genauso wenig wie wir ein eigenes Logo oder ein eigenes Leitbild haben. Wir sind die Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin und sind insoweit identifizierbar als wir nicht das Rot der TU führen, sondern in blau auftreten. „Wissen im Zentrum“ ist, wenn Sie so wollen, ein Marketing- Slogan, den wir haben. Mit diesem Slogan wollen wir uns „verkaufen“. Auch wir haben die bekannten Sorgen: Die Gelder werden zusammengestrichen und das Personal schrumpft. Neue Geldquellen zu erschließen ist nicht leicht und irgendwo muss man sich von anderen Mitbewerbern auf diesen Markt abgrenzen. Der Slogan ist unser Identitätsmerkmal, was sicher auch inhaltlich zutrifft, denn Wissen und auch Innovation stehen im Zentrum unserer Arbeit.
Gibt es zusätzlich eine Art „Corporate Identity“-Strategie?
Nein. Auch wenn „Volkswagen“ drauf steht, ist „Volkswagen“ nicht drin. Wir verfolgen da auch keine Volkswagen- Strategie. „Leitbild“ ist sicherlich ein großes Thema und ein schriftlich dargestelltes Leitbild fehlt, wobei wir uns auch diesem Thema bestimmt in näherer Zukunft zuwenden werden. In der Vergangenheit hatten wir andere Schwerpunkte. Eine gewisse „Corporate Identity“ haben wir natürlich dadurch, dass wir als Dienstleistungseinrichtung Bestandteil der Technischen Universität Berlin sind. Sicherlich sind wir eine Bibliothek, die offen ist für jeden Bundesbürger oder jeden Gast - in aller erster Linie sind wir aber dafür da, die Wünsche der Studierenden, der Professoren, der wissenschaftliche Mitarbeiter und auch der Verwaltung der TU zu erfüllen. Das ist unser Ziel, unser Auftrag und in sofern ergibt sich daraus das Leitbild.
Apropos „VW“, das Unternehmen hat „nur“ 5 Mio. Euro gegeben. Reicht das für den Namen „Volkswagen-Bibliothek“?
So etwas wird nur in Deutschland als Problem gesehen, im anglo- amerikanischen Bereich ist es völlig normal. Wir gehen damit offen und transparent um. In Forschung und Wissenschaft ist es doch schon seit langer Zeit üblich, Fördermittel einzuwerben. Große Unternehmen wie z.B. Siemens, Telekom, DaimlerChrysler engagieren sich im Hochschulbereich; nur für eine Bibliothek ist diese Art der Public-Private-Partnership ein Novum und wird deshalb besonders aufmerksam betrachtet.
Das „Konzept der kurzen Wege“, das auf einen wie für eine Magazinbibliothek typischen, zentralen Lesesaal verzichtet, wird im Prospekt der Volkswagen- Universitätsbibliothek hervorgehoben. Welche Vorteile ergeben sich dadurch einerseits für den Betriebsablauf, andererseits für die Benutzer der Bibliothek?
Das ist eine klassische Streitfrage. Immer, wenn eine Bibliothek neu gebaut werden soll, stellt sich die Frage, wie man den Medienbestand präsentiert: ob in einem zentralen Lesesaal oder nach dem Modell der Zonierung. Zonierung, wie ich das nenne, bedeutet einen Wechsel von Arbeitsplätzen und Stellflächen. Der Lesesaal ist aus der klassischen Magazinbibliothek heraus entstanden, in einer Zeit, zu der es nicht üblich war, den Kunden selber seine Medien auswählen und heraussuchen zu lassen. Damals musste man mithilfe des Bibliothekars und des Katalogs die entsprechenden Werke finden und zu sich bringen lassen, um sie dann im Lesesaal zu lesen. Das ist meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß. Die offene Lösung ist einerseits eine Arbeitserleichterung für die Bibliotheken selbst wie auch eine Zeitersparnis für den Kunden, der sein Medium selbst suchen und aus dem Regal nehmen kann. Das bedeutet, dass wir den Personalaufwand, den wir dort nicht betreiben müssen, an anderer Stelle für eine andere Dienstleistung einsetzen können. Diese freie Form fördert auch die Wissenschaft. Das „Regalbrowsing“ ist eine Methode, sich inspirieren zu lassen; einfach mal durch die Reihen schlendern und vielleicht auch an Regalen fachfremder Literatur zu stöbern – auch daraus entstehen Ideen. Der zentrale Lesesaal hat, wenn man an bestimmte Nutzungsarten denkt, Nachteile. Ich selber bin Jurist und wenn ich wissenschaftlich arbeite, lese ich einen Kommentar zu einem bestimmten Problem. Hier werden Gerichtsentscheidungen zum Beleg einer Rechtsauffassung zitiert und entsprechend bin ich immer wieder unterwegs, um mir die zugehörigen Entscheidungen aus verschiedenen Quellen zusammenzusuchen. Der Nachteil des Lesesaals ist in diesem Fall, dass man relativ schwer Ruhe hinein bekommt. Deshalb bevorzugen wir die „Bibliothek der kurzen Wege“. In der Regel arbeitet jeder Student zu einem bestimmten Fachgebiet und da ist natürlich entscheidend, dass er an einem Ort schnell auf die verschiedenen relevanten Medien zugreifen kann. Das umfasst das Bücherregal hinter ihm, aus dem er sich seine Zeitschrift oder seine Fachliteratur nimmt wie auch den EDV-Arbeitsplatz, an dem er elektronische Medien nutzen kann. Wir denken, dass unsere Lösung ein optimales Arbeiten in der Bibliothek ermöglicht. Der Wissenschaftsrat hat sich mehrfach in den letzten Jahren zur Informationsversorgung von Hochschulen und Hochschulbibliotheken geäußert, und hat das Konzept der Zonierung als die beste Variante erkannt. Entsprechend haben wir das auch konsequent umgesetzt.
Wie verhält es sich mit dem Bereich der Verwaltung? Es gibt zu diesem Thema verschiedene Auffassungen, u.a. die, den Verwaltungsbereich möglichst transparent zu gestalten, damit der Nutzer sieht, was die Bibliothekare machen, was vielleicht auch als Gegenbewegung zu vergangenen Zeiten, in denen man den Nutzer im Prinzip in den Lesesaal einsperrte, zu verstehen ist. In ihrem Haus ist es nun so, dass der Verwaltungsbereich verborgen hinter einer Brandschutztür völlig abgegrenzt ist. Warum?
Zum einen muss der Kunde die Verwaltungsarbeit nicht mitbekommen. Das für den Kunden und seine Wünsche bereit gestellte Personal steht ihm im Freihandbereich zur Verfügung. So ist bei uns der wissenschaftliche Dienst in die Thekendienste integriert, d.h. die Fachreferenten müssen zu bestimmten Zeiten dort Dienst tun; sie sind zudem telefonisch erreichbar und werden feste Sprechzeiten haben. Ferner gibt es die Möglichkeit, sich per E-Mail mit speziellen Fragen an die Fachreferenten zu wenden. Daher gibt es keine Notwendigkeit, Fachreferenten räumlich in den Benutzungsbereich zu bringen. Die „gläserne Bibliothek“, „Transparenz“, „was passiert im Hintergrund“ ist schön und gut, aber in diesem Ausmaß nicht notwendig. Wenn ich von meinen praktischen Erfahrungen ausgehe, halte ich das eher für hinderlich, da der Kunde dazu neigt, sich unter Umständen persönlich in den Büroräumen auf die Suche nach im Katalog nachgewiesener, aber noch nicht bereit gestellter Literatur zu machen. Das kann nicht in unserem Sinne sein.
Wie verhält es sich eigentlich mit der Anbindung des Magazinbereiches, der in seiner modernen Form vor vielleicht 150 Jahren zum wichtigsten und auch am stärksten durchgenormten Gebäudeteil entwickelten Baugruppe, welcher mittlerweile (seit den Universitätsneubauten ab den 1960er Jahren) aber als eher nutzerunfreundlich gilt. War das Magazin im Keller des Gebäudes die einzige Option oder wurde z.B. eine Auslagerung wenig genutzter Bestände an einen externen Standort in Betracht gezogen?
Die Magazinierung in oder in unmittelbarer Nähe zum Bibliotheksgebäude ist sinnvoll, weil die Wege kurz sind und der Kunde dadurch schnell versorgt werden kann. Aus diesem Grund ist ein entfernter Standort nur die zweitbeste Lösung. Auf längere Sicht ist eine Erweiterung des Magazins bei uns bereits vorgesehen. Das Grundstück nebenan gehört ebenfalls der TU. Wenn dort ein neues Gebäude errichtet werden sollte, kann dessen Untergeschoss –sofern erforderlich – als Magazin genutzt werden und beide Magazine könnten durch eine unterirdischen Gang verbunden werden.
Für wie viele Jahre ist die Kapazität des Magazins geplant worden?
Je nach Medienzuwachs, der jährlich stark variieren kann, für die nächsten 10 bis 20 Jahre. Das Gebäude hat eine Kapazität von insgesamt 3 Mio. Medieneinheiten, was einem Zuwachs von ca. 50.000 pro Jahr entspricht.
Wenn man sich im Freihandbereich umsieht, fällt sofort auf, dass die Regale zurzeit nur zu etwa einem Drittel belegt sind. Etwas größer ist ihr Bestand aber schon. Wo findet man denn die restlichen Bücher bzw. Medien?
Die „restlichen“ Bücher befinden sich noch im Magazin. Die Teilbibliotheken und Zentralbibliotheken haben mit eigenen voneinander verschiedenen Aufstellungssystematiken gearbeitet. Deshalb haben wir uns für den Neubau für die Umstellung auf eine Systematik, die RVK, entschieden. Von den geplanten 350.000 umzuarbeitenden Medien haben wir in der zweijährigen Vorbereitungszeit nur ca. 150.000 geschafft. Außerdem haben wir uns von den durch die Zusammenlegung entstehenden Dubletten befreit. Nebenbei haben wir auch noch eine neue Version unseres lokalen integrierten Bibliothekssystems eingeführt und unseren alphabetischen Zettelkatalog digitalisiert, mit einem OCR-Verfahren bearbeitet und in unseren elektronischen Katalog integriert.
„Kunst und Technik sind bekanntlich eng verwandt“, schreibt Lothar Romain, Präsident der Universität der Künste. Welche Verwandtschaftsbeziehungen ergeben sich innerhalb der Bibliotheksarbeit? Können Sie Synergieeffekte ableiten?
Natürlich ergeben sich durch die gemeinsame Bibliothek Synergieeffekte. Allein durch die Zentralisierung der Bibliotheken in einem Gebäude und den Betreib einer gemeinsamen Leihstelle für Universität der Künste (UdK) und TU hat sich das Serviceangebot deutlich verbessert.
Ein wenig Kunst am und im Bau gibt es im Gebäude, nur entdeckt man sie erst, wenn man wirklich weiß wo sie sich befindet. Ist eigentlich eine – aufgrund der UdK im Gebäude naheliegende – Ausweitung des „Kunstbestands“ im Gebäude angedacht? So bietet z.B. der Eingangsbereich, d.h. der erste Lichthof, viel Raum für großformatige Skulpturen oder Ausstellungen.
Momentan gibt es zwei Gemälde in der Bibliothek. Die geplante „Kunst am Bau“ ist noch nicht installiert, wird aber Ende März fertig gestellt sein. Es handelt sich um Schriftzüge, die auf den Betonunterzügen an den Lufträumen angebracht werden. Das wird sicher mehr Atmosphäre schaffen.
Von außen gesehen wirkt das Gebäude eher gesichtslos...
Architektur ist - so scheint es - natürlich ausschließlich eine Frage der Ästhetik - darüber lässt sich trefflich streiten. Der eine mag es sachlich, der andere opulent. Natürlich ist das Gebäude nüchtern, funktional und zweckmäßig. Wir mussten auch einige Kompromisse eingehen, da immer die finanzielle Situation im Vordergrund stand. Die Materialen wurden unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit und der Betriebskosten ausgewählt.
…also frei nach dem Motto „form follows function“?
Quadratisch. Praktisch. Gut. Für Bibliotheksgebäude ist eine rechteckiger Grundriss die ideale Form. Cottbus zum Beispiel hat zwar seinen architektonischen Reiz - die Kleeblattform und die Farbigkeit, aber wenn ich mir die Inneneinrichtung (gebogenen Regale) ansehe und an die Nutzung denke, bekomme ich schon Zweifel.
Was sagen Sie zu dem Max Dudler-Bau für die Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität?<
Grundsätzlich verfolgt die HU ein anderes Grundkonzept. Im Detail finde ich das Glasdach schwierig: Da ist zum einen die starke Sonneneinstrahlung, die u.a. das Klima im Gebäude beeinflusst und zum anderen die Konstruktion, die sicherlich baulich nicht einfach zu realisieren sein wird. Dann halte ich die Terrassenform des Lesesaals für problematisch, weil durch die Trichterform viel Raum ungenutzt bleiben muss. Auch sind die Verwaltungsbüros, die unter dem Dach liegen, aus meinem Verständnis keine günstige Entscheidung. Die Wege sind viel zu lang. Architektonisch ist der Bau sicher reizvoll und ausgesprochen repräsentativ, als funktionaler Bibliotheksbau erscheint er mir nicht wandlungsfähig genug. Das Informations-, Arbeits- und Medienangebot in Bibliotheken ist einem Wandel unterzogen, Bibliotheksgebäude sind für größere Zeiträume konzipiert. Deswegen ist die Flexibilität wichtig, um den sich ändernden Anforderungen gerecht zu werden. Das ist hier in der TU-Bibliothek gegeben: Z.B. ist die Tragkraft der Geschossdecken so angelegt, dass die Regalstellflächen und Arbeitsplätze beliebig gegeneinander verschoben werden können. Die offenen Decken sind nicht unbedingt ästhetisch, aber funktional, da sie gewährleisten, dass auch die Technik an jedem Punkt der Bibliothek zugänglich ist
Mich persönlich stört der Sichtbeton…
Der ist gerade „en vogue“, so wie man vor zehn Jahren bevorzugt die Materialien Stahl und Glas bei der Errichtung neuer Gebäude eingesetzt hat.
Es wirkt unfertig…
Es ist modern und zeitlos, denken Sie nur an das neue Regierungsviertel.
Die Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) ist architektonisch auch sehr interessant…
Das stimmt, vor allem der unterirdisch angelegte Lesesaal. Das bibliothekarische Konzept lässt jedoch Zweifel: so ist die zentrale Informationstheke, an der bibliothekarische Auskünfte und Recherchen stattfinden, aus meiner Sicht ungünstig positioniert. Beim ersten Betreten muss sich der Kunde gleich im Gebäude orientieren können und die für ihn wesentlichen Anlaufstellen wie Garderobe, Leihstelle und Informationszentrum gleich erkennen können.
Der Architekt und der Bibliothekar müssen also notwendigerweise zusammenarbeiten?
Man muss kompromissbereit sein. Die Funktionalität und Ausstattung der Räume etwa mit Bibliotheksregalen oder die Gestaltung der Theken muss im wesentlichen Aufgabe des Bibliothekars sein. Die Umsetzung, farbliche Gestaltung und architektonische Aspekte sind Aufgabe des Architekten. Wir hatten in unserem Fall eine gute Zusammenarbeit und haben uns gegenseitig beraten. Der Entwurf des Architekten sah eine Trennung der Regalstellflächen und der Arbeitsplätze vor, wir haben uns dagegen entschieden und setzten den Wechsel von Regalen und Arbeitsplätzen durch. Im Entwurf waren nur 350.000 Bände und 615 Arbeitsplätze geplant, jetzt können 500.000 Bände aufgestellt werden und es gibt 715 Arbeitsplätze.
Über den Wechsel von Bestand und Arbeitsplätzen hat sich noch niemand beschwert?
Nein. In der Mittagszeit ist es mitunter schwierig, noch einen Platz zu finden. Es muss – entgegen einiger Zeitungsberichte - wohl doch eine sinnvolle Konzeption sein und eine gute Arbeitsatmosphäre herrschen.
Welche besonderen Überlegungen gab es bei der Zusammenführung der unterschiedlich arbeitenden Universitätsbibliotheken der Technischen Universität und der Universität der Künste?
Es war immer klar, dass wir nicht fusionieren, sondern zwei selbstständige Häuser bleiben. Wir sind haushalts-, personal- und dienstrechtlich zwei vollkommen selbstständige Einrichtungen unter einem Dach. Auch der Bestand ist getrennt: im 4. Obergeschoss findet man den Bestand der UdK, im Erdgeschoss bis zum dritten Obergeschoss befinden sich Bestände der TU. Das Zeitschriftenfreihand- und das geschlossene Magazin im Untergeschoss teilen wir uns. Es gab natürlich grundsätzlich Überlegungen zu gemeinsamen Dienstleistungen: Schon seit längerem ist die TU die Leitbibliothek für die UdK in der Fernleihe, mit Einführung des lokalen integrierten Bibliothekssystems haben wir die Administration für die UdK übernommen und erhalten dafür eine finanzielle Unterstützung. Wir haben einen Kooperationsvertrag abgeschlossen, in der die Zusammenarbeit geregelt ist. Im Neubau betreiben wir das Magazin und die Leihstelle gemeinsam, TU-Kunden können den Sondernutzungsbereich für audiovisuelle Medien der UdK mit nutzen. Außerdem betreut die TU die EDV der UdK im Publikumsbereich und erhält dafür eine finanzielle Unterstützung. Letztendlich stand und steht bei allen Überlegungen und Entscheidungen der Kunde im Vordergrund. So gibt es nur noch drei Ausweise: Die Studierendenausweise der TU- und der UdK-Studierenden und einen gemeinsamen Ausweis für alle, die nicht zu diesem Personenkreis zählen. Die Benutzerdatenbanken des Bibliothekssystems sind fusioniert. Für den Kunden ist somit egal, aus welchem Bestand er Medien entleihen möchte. Allerdings gibt es in diesem Zusammenhang noch ein kleineres Problem: die UdK benutzt keine RFID-Technik für die Selbstverbuchungsgeräte.
Gibt es einen gemeinsamen Katalog?
Deswegen gab es schon eine lange Diskussion. Wir haben uns entschlossen, erst mal keinen gemeinsamen Katalog anzubieten.
Ist es langfristig geplant, auf größerer Ebene zusammenzuwachsen?
Nein.
Und ist – vielleicht in näherer Zukunft - die Zusammenlegung der Universitätsbibliotheken von Berlin in Sicht?
Ich denke, langfristig wird die Berliner Hochschullandschaft sich wandeln (müssen). Es wird keine vier Universitäten mehr geben, ergo also auch keine vier Universitätsbibliotheken. Es wäre theoretisch kein Thema einen gemeinsamen Bibliotheksausweis einzuführen. Anläufe gab es ja schon. Allerdings müsste eine Berliner Universitätsbibliothek dezentral organisiert sein und eine Zusammenlegung bringt keine unmittelbaren Vorteile.
Flexibilität und Funktionalität werden in dieser Einrichtung mit besonderer Sorgfalt beachtet. Wie sieht die Bibliothek in 10 Jahren aus? Werden Regale zugunsten weiterer Arbeitsplätze mit Thin-Clients weichen?
Da gibt es so viele Möglichkeiten, aber keine zukunftsfeste Antwort. Ich denke, die Bibliothek wird sich verändern. Zum einen wird sich die TU von den Geisteswissenschaften trennen und auf ihren Kern Technik, Ingenieur- und Naturwissenschaften konzentrieren. Das bringt natürlich Änderungen im Medienangebot mit sich. Je nachdem, wie der Bestand sich ändert, können die Regalstellflächen und Arbeitsplätze dem angepasst werden. Der Trend wird dahin gehen, dass der Benutzer überwiegend selber das Notebook oder ähnliche Geräte mitbringt. Es ist spannend wie dort die Entwicklung weiter gehen wird, z. B. wenn ich an die wachsenden Möglichkeiten der PDAs denke. Generell glaube ich, dass die Bibliothek in 10 Jahren genauso ein hybrides Angebot haben wird, wie sie es heute tut. Nur wird sie ihr Aussehen verändert haben.
Zum Schluss möchten wir gern wissen, welche Bibliothek Sie besonders mögen.
Bei der Vielzahl von Bibliotheken, die es auf der Welt gibt, habe ich nicht genug Vergleichsmöglichkeiten. Wenn Sie danach fragen, welche Bibliotheken ich besonders ansprechend finde, dann sind dies Barockbibliotheken. Wenn Sie wissen möchten, welche die moderne Bibliothek, die in den letzten 10 Jahren gebaut wurde, mir besonders gut gefällt, dann gibt es nur eine Antwort: Die Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin!