Gang vom Bahnhof Zoo in Richtung Hardenbergstraße. Voller Erwartung. Endlich mit eigenen Augen die viel gescholtene Universitätsbibliothek der Technischen Universität und Universität der Künste in Berlin ansehen. Aber wo ist sie? Soll es etwa der rechteckige, von weitem unscheinbare Klinkerbau mit den zwei Schornsteinen sein? Beim Näherkommen behält das Gebäude seinen nüchternen, fast gesichtslosen Ausdruck, die Schornsteine erweisen sich glücklicherweise als nicht zur Bibliothek gehörig, weswegen sich die kurzzeitig aufgekommenen dystopischen Gedanken á la Ray Bradbury verflüchtigen. Eine erste Erleichterung. Eigenartig ist aber, dass sie architektonisch problemlos hätten dazu gehören können, so fabrikhallenartig bietet sich der Bau dar. Lediglich die 15 Lichtsäulen, Stahl-Glaskonstrukte, vor dem Eingang, die als Lüftungsschächte für das darunterliegende Magazin dienen, stimmen mich ein wenig versöhnlicher mit dem Ausdruck der Außenhaut des UB-Baus.
"VOLKSWAGEN UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK" steht in silbernen, metallenen Großbuchstaben über den Eingang und glitzert mir dank der Wintersonne entgegen. Ein zögerlicher, aber doch gespannter Schritt in das Haus lässt mich sofort in einen grauen, trotzdem angenehm lichten, großzügigen Eingangsbereich blicken. Zu meiner Rechten passiere ich den Pförtner- und den Allgemeinen Informationsbereich, erste PC-Tische für die Online-Recherche und die Garderobe sind funktional angeordnet und nicht zu verfehlen. Hier muss man nicht fragen. Der an sich etwas leblos wirkende Raum bekommt durch die geschäftigen Benutzer, augenscheinlich Studenten, eine angenehme Dynamik. Es ist 16.20 Uhr auf meiner Uhr. Ich gehe weiter, nehme den matt türkisfarbenen Bodenbelag wahr. Blicke hoch: 4 Etagen, offen und reichlich mit einem Mix aus künstlichem und natürlichem Licht durchströmt, öffnen sich dem Blick, den man kaum abwenden kann - soviel (Seltsames) gibt es zu entdecken. Offene Decken, die die vielfachen Versorgungsleitungen preisgeben, Eisengeländer, helle Lampen überall, sichtbare Teile einfacher Regalsysteme und - wohin man sieht: grauer Sichtbeton. Ein kleines „Buchgebirge“. Der Beton ist "en vogue", wie ich später in einem Gespräch erfahren werde, und preiswert dazu. Ich entschließe mich aus meinem ersten Eindruck heraus zwischen "Das ist ein langweiliger, schrecklicher, kalter Bau." und "Interessant, durch seine farbliche Zurückhaltung angenehm." das Innere des Gebäudes als "die Form folgt also der Funktion" zu deuten und die Atmosphäre als angenehm zu empfinden.
Ich bewege mich Richtung Bibliothekseingang. Eine einzige Tür -Glas- mit Alarmsystem gewährt den Eintritt in den eigentlichen Bibliotheksbereich. Rechts, die Ausleihtheke mit dazugehörigen Selbstverbuchungsanlagen, dahinter die TU-Lehrbuchsammlung. Alles drängt nach oben, man kann hier zwischen Aufstieg oder Aufzug in die erste, zweite, dritte oder vierte Etage wählen. Auffällig ist der großzügige, offene Raum überall. Der Blick von der Treppe, eine Etage höher, in Richtung Regale lässt mich stutzen: Wo sind die Bücher? Unten in der Lehrbuchsammlung ein paar dichtere Reihen, hier oben eher vereinzelt. Stimmt es also doch, dass die Bedeutung des Buches abnimmt. Aber warum dann die vielen Regale? Bald werde ich darüber aufgeklärt, dass die "fehlenden" Bücher, momentan im Magazin lagernd, nach Einarbeitung in die für die UB neue Aufstellungssystematik RVK in absehbarerZeit eingestellt werden sollen. Ich entdecke Arbeitsplätze - sogenannte Eiermanntische, benannt nach dem Architekten Egon Eiermann - unter denen kleine schwarze Thin-Clients Zugang zum virtuellen Bereich der Bibliothek geben.
Viele Studenten sitzen und arbeiten dort. Sie sehen zufrieden aus. Die Atmosphäre stimmt anscheinend, erfüllt sozusagen ihren Zweck. Oder noch mehr? Ich höre später, zur Mittagszeit sei „das Haus so voll“, dass kaum einer der insgesamt 715 Arbeitsplätze frei ist. Platzmangel oder rege Bibliotheksbenutzung?- Das bleibt offen. Ich bewege mich auf den verschiedenen Etagen hin und her. Bibliotheksangestellte begegnen mir mit geschäftiger Miene, ich passiere Auskunftsplätze, einige Studenten erwische ich beim „Regalbrowsing“, auch sind einige in rege Gespräche vertieft. Ich lausche: Leises Gemurmel. Das kann nur bedeuten, die Arbeitsatmosphäre des Bibliotheksgebäudes ist anregend für (wissenschaftliche) Kommunikation. Ich lese "Gruppenarbeitsplatz" - hiermit wird die Bibliothek noch mehr zu einem Raum für Begegnung und Informations- und Wissensaustausch, denke ich. Das machen die in Dänemark auch so, weiß ich... Der Wechsel von Regalen und Arbeitsplätzen ist durchaus übersichtlich. Der Lesesaal fehlt räumlich, für die Arbeit fehlt er nicht. Der Bestand der UdK ist ganz oben in der 4. Etage, die TU hat sich untergeordnet und ihre Bestände auf den anderen Etagen aufgestellt. Sie benötigt auch mehr. Mein Blick streift zwei Gemälde. Schwarz mit roten Schatten. Die bis jetzt einzige „Kunst am Bau" bzw. „Kunst im Bau“. Mehr soll folgen – etwas „Hans Arp“ in „DTL Documenta" auf Sichtbeton in den 3 Lichthöfen des Gebäudes
Das Projekt soll in diesem Monat fertig gestellt werden. Ich bin gespannt, vielleicht wird die „Kunst am Bau" den unfertig wirkenden Innenraum vollenden... Zum untersten Stockwerk, dem Zeitschriftenfreihandmagazin, nehme ich den Aufzug. Es ist nichts Besonderes, Reihen mit Bänden, hier in Kunstlicht, ein paar Arbeitsplätze. Man liest über den Schienen, die für das zukünftige Compactussystem vorsorglich eingelassen wurden. Im geschlossenen Magazinbereich findet sich der Stolz der Bibliotheksleitung: eine für deutsche Bibliotheken neuartige Buchförderanlage, die sich fast geräuschlos über die Magazinregale bewegt – Transponder als Steuerungsmechanismus.
Ich gehe wieder die Treppe hoch und befinde mich kurz vor dem Bibliothekseingang bzw. -ausgang. Ein Blick zurück, ein Blick hoch, kurz verweilend, dann ruhigen Schrittes aus dem gedämpften Gebäude gehend, denke ich „Industriedesign, Funktionalität und Flexibilität, form follows function...“ – alles was ein Bibliotheksbau braucht.
Manuela Schulz studiert Bibliothekswissenschaft, Soziologie und Ältere deutsche Literatur und Sprache an der Humboldt-Universität zu Berlin.