> > > LIBREAS. Library Ideas # 1

Bibliothek in Bewegung


Zitiervorschlag
Sarah Jenner, "Bibliothek in Bewegung. ". LIBREAS. Library Ideas, 1 ().


Dem Ergebnis der Planung eines neuen Bibliotheksgebäudes für die Universitätsbibliotheken der Technischen Universität (TU) Berlin und der Universität der Künste (UdK) ist der Wandel der Zeit deutlich anzumerken. Der Auftrag für den Bibliotheksneubau wurde bereits 1986 an den Architekten Lothar Jeromin vergeben. Nach dem Fall änderten sich bekanntermaßen politische und wirtschaftliche Zielsetzungen der Stadt. Die Finanzierung des Projekts, für das ursprünglich 90 Mio. Euro veranschlagt waren, war somit nicht mehr gesichert.

Der gegenwärtig realisierte Entwurf geht auf die so genannte „Optimierungsplanung“ von Prof. Walter E. Noebel zurück. Die Entwurfsidee wurde grundsätzlich überarbeitet: Neben einem engeren Kostenrahmen von 55 Mio. Euro haben sich die Anforderungen an das Gebäude durch die Notwendigkeit computergestützter Arbeits- und Recherchemöglichkeiten verändert. Die TU übernahm 1999 die Finanzierung des Landesanteils, durch die Spende der Volkswagen AG über 5 Mio. Euro konnte im Sommer 2002 mit dem Neubau begonnen werden.

Der Name „VOLKSWAGEN UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK“ führt zu für einen Bibliotheksbau ungewöhnlichen Assoziationen – und tatsächlich werden die Bibliotheksbestände mittels der in der Autoindustrie eingesetzten Transpondertechnik für den Besucher unsichtbar im Haus umher befördert. Die Nutzer sollen an fünf Selbstverbuchungsterminals, die an die Buchbeförderungsanlage angeschlossen sind, selbstständig und ohne die Hilfe des kostenaufwendigen menschlichen Personals die Medien entleihen und zurückbringen können (bis heute sind allerdings alle „Außer Betrieb“).

Im Sinne eines integrativen Charakters (die Bibliotheksbestände der UdK und der TU wurden vereint, um ein fachübergreifendes Arbeiten und Informieren zu ermöglichen) präsentiert sich das Innere der Bibliothek sehr offen: Die Galerien, auf denen sich die einzelnen Abteilungen der Bibliothek und die zum Teil mit Computern ausgestatteten Arbeitsbereiche befinden, ziehen sich über fünf Geschosse und öffnen sich zu einem Innenhof, in dem sich die Treppen zur Erschließung des Gebäudes befinden.

Das gesamte äußere Erscheinungsbild des Neubaus verweist durch seine kubische Form mit den aufgesetzten parallel geneigten Dächern eher auf einen Industriebau als auf die Einrichtung einer Universität. Die Fassade ist durch großzügige Fensterflächen und roten Backstein strukturiert und betont die beschriebene Assoziation durch die Verwendung dieses regionaltypischen Materials, das in Berlin traditionell im Industriebau eingesetzt wurde. Es drängt sich die Frage auf, ob hier eine ausschließlich ästhetische Entscheidung im Hinblick auf die traditionell preußische Backsteinarchitektur getroffen worden ist oder ob sich dieser Entwurf auf das Ergebnis der bewussten Neuinterpretation der Lehreinrichtung als eine „Lernfabrik“ zurückführen lässt.

Vor dem Gebäude liegt einen rechteckiger Platz auf dem über backsteinerne Lichtstelen die im Untergeschoss liegenden Magazine belichtet werden. Der dem Eingang vorgelagerte Platz bietet keine besondere Aufenthaltsqualität und schafft es nicht zwischen Innen- und Außenraum zu vermitteln. Man betritt das Gebäude auf seiner Längsseite und der erste Blick fällt auf die gegenüberliegenden Metallspinte. Hier wurde auf ein repräsentatives Foyer im herkömmlichen Sinne zugunsten eines durchweg öffentlichen Charakters im Innenraum verzichtet.

Um die Sicherheit vor Diebstahl und Vandalismus zu gewährleisten, muss eine elektronische Sicherheitsbarriere in Form von mannshohen Plastikbügeln passiert werden, wodurch der sonst fließende Raum, in dem Computerarbeitsplätze, Selbstverbuchungsmaschinen und Leihstelle wie lose gestreut wirken, in ein „Davor“ und ein „Dahinter“ zerteilt wird. Der Eindruck, der sich beim Betreten des Innenraums einstellt, erinnert nicht an die Atmosphäre von konzentrierter Ruhe und Ehrfurcht vor dem kostbaren Bildungsgut, sondern vielmehr an hektisches Treiben in einer Fabrikhalle. Dieses Bild wird noch verstärkt durch die Decken und Stützen, die aus unverputzten Betonfertigteilen bestehen, und einem Boden, der mit grünlichem Kautschuk ausgelegt ist. Das vorherrschende Geräusch ist nicht das Tastaturklappern der Computer, sondern das Klacken oder Quietschen eines jeden Schrittes.

Beim Betrachten der rohen Betondecken mit den darunter in Aluminiumkästen verlaufenden Abluft- und Elektrorohren könnte man den Eindruck gewinnen, dass beim Innenausbau sichtlich gespart worden ist. Allein die Aluminiumgeländer der Treppen geben der fast schon kargen Raumwirkung eine gewisse Eleganz zurück. Beim Nachdenken über diesen Entwurf zeigt sich wie stark die Atmosphäre von der Umsetzung eines Konzepts bestimmt wird, zum Beispiel von der Auswahl der Materialien und deren Verarbeitung sowie dem Einsatz von erhöhtem Trittschallschutz in offenen Bereichen. Eine übersichtliche Orientierung und die Selbstverbuchungseinrichtungen sollen hier ein effizientes Arbeiten ermöglichen; einloggen, downloaden, updaten und kopieren erleichtern den Zugriff auf die Medien, aber das Selektieren und Verarbeiten der Informationen erfordert Ruhe und Konzentration, die durch den geschäftigen Betrieb in der offenen Lesehalle nur schwer gefunden werden kann.


Sarah Jenner studiert Architektur an der Universität Karlsruhe.