> > > LIBREAS. Library Ideas # 1

"Muss der Direktor immer dabei sein?" Gedanken zur Rolle des bauenden Bibliothekars


Zitiervorschlag
Klaus Ulrich Werner, ""Muss der Direktor immer dabei sein?" Gedanken zur Rolle des bauenden Bibliothekars. ". LIBREAS. Library Ideas, 1 ().


Wenn überhaupt, müssen sich Bibliothekare der Herausforderung eines Neu- oder Umbaus meist nur einmal in ihrem Berufsleben stellen: eine reizvolle Aufgabe, auf die sich kaum ein Kollege ausreichend vorbereitet fühlt. Mit der Perspektive, eine neue Bibliothek bauen zu können, wurde der Verfasser vor fast fünf Jahren konfrontiert, die Planungen hatten bereits drei Jahre davor begonnen: das Ziel war ein Gebäude zur Integration von zehn geisteswissenschaftlichen Instituts- und Seminarbibliotheken zur Philologischen Bibliothek der Freien Universität Berlin.[-> 01] Nun steht das Projekt „The Brain“ kurz vor seiner Fertigstellung, die Eröffnung ist für Anfang September geplant. Für eine umfassende Darstellung ist es jetzt, bevor die Öffentlichkeit die Bibliothek gesehen hat, wie Professoren und Studenten sie nutzten können, noch zu früh; vorgestellt wurde der Entwurf und das Konzept des Projekts bereits mehrfach.[-> 02] Aber im Rückblick auf den langen Planungs- und Realisierungsprozess soll hier versucht werden, die Erfahrungen zu einigen grundsätzlichen Aussagen über den Realisierungsprozess einer universitären Bereichsbibliothek zusammenzufassen. Dabei steht das Zusammenwirken von Architekt, Bauherr, Träger, Bau-Referat des Trägers und Bibliothek, speziell mit dem verantwortlichen Bibliothekar im Mittelpunkt. Mitgestaltungsmöglichkeiten der Nutzer sowie die vielfältigen Chancen und Phasen der Mitwirkung der Bibliotheksmitarbeiter werden hier bewusst vernachlässigt.

Beim Thema Bibliotheksbau steht in der bibliothekswissenschaftlichen Literatur in erster Linie der architektonische Entwurf und das bibliothekarische Konzept im Mittelpunkt, im Kern geht es meist um die bibliothekarischen Anforderungen an die Architektur; mit den Prozessen und den Akteuren, den Chancen und Fallstricken der Durchführungs- und Bauphase beschäftigt sich die Literatur weniger. Berechnung von Magazinkapazitäten und Stellflächen, die Anzahl von Netzanschlüssen und Rechercheplätzen, Deckentragfähigkeit und Regalbodenstärken sind Themen, die den jungen Kollegen in der Ausbildung begegnen. Der DIN Fachbericht [-> 03] ist sicherlich für den Bibliotheksbau von grundlegender Bedeutung, die Darstellung neuer Projekte und facts and figures anderer Bibliotheksneubauten wichtige Hilfsmittel, wird der Bibliothekar aber mit der Aussicht auf Neubau konfrontiert, konzentriert sich die Suche nach Hilfestellung schnell auf Erfahrungsberichte mit vielleicht mustergültigen Hinweisen. Die Tagungen und Veröffentlichungen der „Section on Library Buildings and Equipment“ der IFLA [-> 04] sowie der LIBER „Architecture Group“ [-> 05] sind hierzu die richtigen Adressen. Besonders Marie-Françoise Bisbrouck und Elmar Mittler haben immer wieder grundsätzliche Überlegungen zum Zusammenspiel von Architekt, Unterhaltsträger, Öffentlichkeit und dem Bibliothekar im Bauprozess zur Diskussion gestellt. [-> 06]

1. Die Planungsphase: Bibliothekarische Vision und architektonischer Entwurf

Der Architektenentwurf sollte an einer bibliothekarischen Vision orientiert sein; form follows function ist das Ziel, deshalb gilt es, den Architekten die Bibliothek in ihren Funktionen und Abläufen nahe zu bringen. Der Bibliothekar darf bei den Planern nicht unbedingt Kenntnisse über Bibliotheken voraussetzen! Bei der Auswahl kann der Bibliothekar versuchen, das folgende Kriterium einzubringen: der Architekt sollte einen externen bibliothekarischen Berater einbeziehen, wenn er nicht bereits über ein Referenzobjekt verfügt. Was nicht bedeutet, dass ein in Bibliotheksbau unerfahrener Architekt ohne bibliothekarischen Consultant nicht für die Funktion des zu bauenden Gebäudes sensibilisiert werden könnte. Doch ein Fachberater des Architekten ist ein Gewinn auch für den bauenden Bibliothekar. Ebenso ist ein eigener Berater an der Seite der Bibliothek empfehlenswert [-> 07], wenn nicht institutionalisiert und im Auftrag des Trägers der Bibliothek (das lässt sich aus finanziellen Gründen sicher nur bei großen Projekten durchsetzen)engagiert, dann kann zumindest ein informeller persönlicher Ratgeber dem Bibliothekar immer wieder eine wertvolle Hilfe sein. Falls vom Architekten bereits Bibliotheksbauten verwirklicht wurden, ist deren Besuch ein Muss – für den Bibliothekar sollte es ein Treffen mit den dortigen Kollegen sein, keine Repräsentationstermin des Architekten. Der Besuch von Bibliotheken ist in der Planungsphase natürlich viel geübte Praxis, aber auch noch später im Verlauf der Projektverwirklichung immer wieder unverzichtbar: Anregungen aus anderen Bibliotheken können in jeder Bauphase einfließen.

Der Architekt sollte seinen Entwurf an Faulkner-Browns „Ten Commandments“ ausrichten [-> 08], sie bilden das Koordinatensystem, in dem die Architektur sich entfalten sollte. Diese Grundsätze können operationalisiert auch dem Bibliothekar als Richtschnur für den gesamten Planungs- und Bauprozesses dienen. Man sollte darauf gefasst sein, dass sich bei Architekten mit der Bauaufgabe Bibliothek häufig überraschend konservative Assoziationsräume auftun: die Bibliothek als heiliger Wissensspeicher, Lesen und geistige Arbeit der in sich gekehrten Nutzer in kathedralenartigen Lesesälen – soziale und kommunikative Aspekte dagegen werden häufig nur durch Definition von Verkehrflächen (Eingangshallen, Lobbys) angeboten.

Was die Planungsphase zur wichtigen Weichenstellung macht, das sind die grundlegenden Festlegungen des Bauprogramms, die Fixierung von allen Einzelposten in der Bauplanungsunterlage (BPU). Für jede Position, die hier für die Bibliothek nicht verankert wird, muss später nicht nur das dafür notwendige Geld separat beschafft werden, sondern es müssen auch die damit verbundenen planerischen und baulichen Veränderungen durchgesetzt werden. Für jede kleine Abweichung von der ursprünglichen Planung, und sei sie aus der Sicht der Bibliothek noch so zwingend, wird das Fehlen in der BPU immer zuerst zum K.O.-Kriterium.

2. Die Ausführungsplanung

Alles kann und sollte Thema in den möglicherweise sehr großen, regelmäßig tagenden Planungsrunden werden. „How to survive in the world of architects and building departments“ [-> 09] bedeutet: der Bibliothekar muss in alle Entscheidungsprozesse eingebunden sein. Die Teilnahme an Bauplanungs- und anderen relevanten B esprechungen muss allerdings möglicherweise erst erstritten werden und darf von ihm (leider) zu keinem Zeitpunkt als selbstverständlich und formell abgesichert angesehen werden! In möglichst allen Aspekten versuchen, kompetent zu sein, auch unter Einsatz von Taktik (die nötig ist, auch wenn die Chemie untereinander stimmen sollte). Alle Details gilt es zu er- und hinterfragen: Wo sind Steckdosen für die Staubsauger der Reinigungskräfte vorgesehen? Wohin führt dieser Kabelkanal und ist er auf Zuwachs von Datenkabeln ausgelegt? „Große“ Themen sollten planerisch in aller Ausführlichkeit behandelt werden: die Orte und Funktionsbereiche mit der größten Komplexität, wie z.B. die Leihstellentheke, verdienen Gespräche mit Workshop-Charakter zwischen Architekten, Bauabteilung und Bibliothek. Gemeinsame Besichtigungen, vorgelegte Materialien, Beschreibungen von Arbeitsabläufen, Gespräche mit spezialisierten Fachfirmen, alles kann einfließen, um jedes relevante Detail festzulegen: Geeignete Materialien (z.B. Thekenoberfläche), ergonomische Realisierung von Arbeitsplätzen, flexible Infrastruktur für EDV-Ausstattung usw. – Der Bibliothekar muss Baupläne lesen lernen, sonst entdeckt er die zu schmal geratene Treppe oder die zu geringe Höhe des Anlese-Tisches erst, wenn es für eine Änderung zu spät ist. Hier kann das (z.B. universitätseigene) Baureferat helfen – aber das entbindet den Bibliothekar nicht von der Notwendigkeit, sich mit allen Details selbst zu beschäftigen. Er wird sich in ganz neue Fachgebiete einarbeiten, wird sich mit Raum-Akustik [-> 10] beschäftigen (wie viel Dezibel hat der Verbuchungsscanner?), auf die Einhaltung vorgeschriebener Lichtstärken auf Verkehrsflächen, am Regal und auf der Oberfläche der Nutzerplätze achten und sich mit Teppichqualitäten auseinander zu setzen haben (Tufting – ja oder nein?): Welche Bedeutung hat die Noppenzahl beim Teppichboden für die Strapazierfähigkeit im stark frequentierten Eingangsbereich? Die Farbe des Bodenbelags sollte nicht nur nach gestalterischen Vorstellungen des Architekten ausgewählt werden, sondern das Farbkonzept ist auch nach den funktionalen, organisatorischen und physiologischen Auswirkungen auf den Bibliotheksbetrieb zu prüfen (Knallrot im Laptop-freien Ruhe-Bereich?) [-> 11]. Wie sieht das Reinigungskonzept aus: Gibt es nur einen Putzraum oder ist der vorgeschriebene, natürlich belichtete Umkleideraum vorgesehen? – Der Bibliothekar ist für die Einhaltung verbindlicher Normen und EU-Richtlinien nicht verantwortlich, sie werden ihm manchmal in anderer Form begegnen als er erwartet: Zum Thema zu hohe Luftfeuchte fühlt sich der Bibliothekar kompetent, plötzlich aber muss er die Unterschreitung der thermischen Behaglichkeitsgrenzen nach DIN 1946-2 zu verhindern versuchen.

Gerade durch eine aktive und offensive Mitarbeit kann es zu Konflikten kommen: Der verantwortliche Vertreter des Bauherrn (bei Universitäten: das Land) kann gewohnt sein, Projekte möglichst als bilateral zu lösende Aufgabe zwischen Auftraggeber und Architekt zu sehen, die Mitwirkung des späteren Nutzers ist dann nicht unbedingt gewünscht: bei der provokativen Frage, die diesen Überlegungen den Titel gab, handelt es sich tatsächlich um ein Zitat! - Oder aber das Baureferat (der Universität) kann sich als alleiniger Vertreter des späteren Nutzers verstehen: wo bleibt in diesem Kreis, zu dem später auch noch die Bauleitung hinzutritt, der Bibliothekar?

3. Leistungsverzeichnisse, Ausschreibungen, Werkplanung

Durch die im Öffentlichen Bereich leider häufig sehr langen Planungs- und Bauzeiträume wird der Bibliothekar immer wieder in die Situation kommen, Änderungswünsche auf die Tagesordnung bringen zu müssen. Der Start von „The Brain“ lag acht Jahre vor der Fertigstellung: Hat man am Beginn evtl. noch traditionelle Kopiergeräte geplant, so wird man heute ein integriertes Konzept des Bereichs Kopieren/Downloading/Ausdrucken verwirklichen wollen. Aus der Planung für ein Maximum an vernetzen Arbeitsplätzen ist heute ein Mix aus WLAN und festen Netzanschlüssen geworden. Aufgrund der großen Dynamik im Bibliotheks- und Informationswesen kommt es bei einer (zu) langen Planungs- und Baugeschichte zwangsläufig zu Änderungswünschen der Bibliothek: aber der Bibliothekar sollte sich darauf einstellen, dass alle anderen Beteiligten vom Architekten bis zum Bauleiter gerade bei eine Bibliothek von der Vorstellung einer relativ statischen Institution ausgehen. Die in den „Ten Commandments“ geforderte Flexibilität für das Gebäude muss bereits in der Bauphase nachgewiesen werden! Der Bibliothekar wird immer wieder für Modifikationen und Änderungen an der ursprünglichen Planung werben müssen: Hat man dann in der Sache überzeugt, wird diese Anpassung oder Änderung Kosten verursachen, Planungskosten und Mehrkosten beim Bau – hier wird es schwierig. Der Controller wird Kompensationen, d.h. Einsparungen an anderer Stelle erwarten, die der Bibliothekar nicht immer ad hoc anbieten kann.

Die Mitwirkung des Bibliothekars beschränkt sich in der Phase des Bauens nicht nur auf die aktive Teilnahme an zumindest allen zentralen Baubesprechungen zwischen Bauherrn, Controlling, Bauleitung und Baureferat (des Trägers, z.B. Bauamt der Universität), sondern muss alle wichtigen Einzelgewerke umfassen: Das Leistungsverzeichnis (LV) für alle Gewerke vom Trockenbau bis zum Mobiliar ist so wie die BPU in der Planungsphase das alles entscheidende Dokument. Der Bibliothekar muss alles daran setzen, um die LVs nicht nur mitzugestalten, sondern auch die letztgültige Fassung jedes wichtigen LVs in der Kette der Beteiligten abzeichnen zu dürfen! Die Anforderungen der Bibliothek an eine Regal- oder Thekenanlage können so vielfältig sein, dass das Leistungsverzeichnis ein dickes Konvolut werden kann. Hier wird sich der Bibliothekar Hilfe holen, wird unter Berücksichtigung der vergaberechtlich gebotenen Vorsicht Fachfirmen befragen. Der gewiefte Architekt wird keine technischen Details vergessen, um seine gestalterischen Vorstellungen im jeweiligen LV zu verankern, der Bibliothekar kann hier einmal mehr ohne Hilfestellung überfordert sein. Der Zweck heiligt die Mittel des Bibliothekars, wenn es z.B. darum geht, ergonomische Anforderungen an die Bestuhlung der Nutzerplätze durchzusetzen, während der Architekt auf ein bestimmtes Design beharrt: Bemusterungen von verschiedenen Lösungswegen (d.h. unterschiedlichen Stuhlmodellen) sollten inhaltlich (und taktisch!) vorbereitet sein: Eine Nutzerbefragung nach Teststellung mit verschiedenen Stühlen bringt vielleicht das nicht mehr abweisbare Argument für den Primat der Ergonomie gegenüber dem reinen Design.

Die Ausschreibungsergebnisse der für die Funktionsfähigkeit der Bibliothek zentralen Gewerke (z.B. flexibles und eingebautes Mobiliar, EDV, Bodenbelag, Orientierungssystem) sollten unter Beteiligung des Bibliothekars ausgewertet werden: Ab sofort ist der gute Draht zur Bauleitung gefragt! Sie und die Architekten werden nun viele Details bilateral mit den ausgewählten Firmen festlegen. Aber aufgepasst: Die Werkplanung der ausführenden Firma sollte nicht nur mit dem Architekten, sondern auch mit dem Baureferat und dem Bibliothekar abgestimmt sein, als verbindliche Routine. In dieser Bauphase wird das Zeitfenster immer kleiner, der Termindruck, dem es standzuhalten gilt, immer größer: Die Werkplanung beinhaltet jedes Detail der Ausführung, auch hier kann und muss Einfluss genommen werden, ob bei den Abständen der Regalböden oder bei den Kabeldurchlässen auf den Thekenoberflächen. Es lohnt immer die regelmäßige Baustellenbegehung: Der spätere Hausherr darf sich nicht scheuen, mit (eigenem!) Helm und Zollstock den Baufortschritt zu verfolgen – und nicht nur als Zuschauer!

4. Fertigstellung und Übernahme

Änderungen sind auch jetzt noch möglich: Bevor der Estrich nicht gegossen ist, kann immer noch der Auslass einer Leitung verändert werden! Kurz vor Fertigstellung können Zeitdruck und nervliche Anspannung zu einem Nachlassen des bauplanerischen Engagements führen („Lassen Sie uns das jetzt einfach so fertig bauen“), der Wunsch nach pünktlicher Fertigstellung dominiert, Baureferat und Bauleitung vertrösten auf die offizielle Abnahme. Das Abnahmeprotokoll dient aber nur der Beseitigung von Mängeln bei der Ausführung. Hier gilt es auf Notizen aus den Baustellenbegehungen der letzten Wochen zurückzugreifen. Jedes Detail kann bedeutsam sein, hier ist der Bibliothekar kritischer Kunde, die Abnahme sollte er in Absprache mit dem Baureferat so ernst nehmen wie ein schwäbischer „Häuslebauer", obwohl bei der Baumaßnahme des Verfassers in erster Linie das Land als Bauherr gefragt ist. Aber der Bibliothekar wird der Hausherr sein, er wird im Routinebetrieb für die Funktionstüchtigkeit des Gebäudes verantwortlich sein.

5. Die Eröffnung

Bei der Zeitplanung sollte stets eine Verzögerung in der allerletzten Fertigstellungsphase einkalkuliert werden. Auch für die zu erwartenden Nach- und Ausbesserungsarbeiten ist Zeit einzuplanen, damit nicht Maler und Handwerker in der bereits geöffneten Bibliothek das Bild beherrschen. Zudem werden erfahrungsgemäß viele beanstandete Mängel nur schleppend beseitig oder können nach dem Einzug gar in völlig Vergessenheit geraten: also gilt es den Einzug der Bücher als separates Projekt mit einem zeitlichen Puffer zur Fertigstellung des Baus zu planen. Der Bibliothekar sollte sich nicht drängen lassen: Der vollendete Neubau ist als Gebäude funktionsfähig, jedoch noch nicht als Bibliothek! Anders als bei einem Bürogebäude kann der Einzug je nach Bestandsgröße viele Wochen in Anspruch nehmen. Der Bibliotheksumzug wird von den anderen Beteiligten in seiner logistischen und bibliothekarischen Dimension meistens deutlich unterschätzt. Während Architekt und Universität zu einer glanzvollen Einweihung wie der Enthüllung einer Skulptur drängen, will der Bibliothekar ein in allen Funktionen nutzbares Haus in Betrieb nehmen. Trotzdem muss er sich frühzeitig mit der Vorbereitung der Eröffnung beschäftigen und Publikation(en), die Pressearbeit und das „Event“ mit vorbereiten.

Die Phasen des Bauens sind für den Bibliothekar sehr unterschiedlich: Es wechselt von Zeiten t rügerischer Ruhe, in der anscheinend nichts passiert, bis zu Phasen fieberhafter Aktivität. [-> 12] Gefährlich sind die ruhigeren Abschnitte, die den Bibliothekar zur Routine seiner sonstigen Alltagstätigkeiten verführen und das Projektmanagement vernachlässigen lassen. Diese sollten aber zur Vorbereitung noch weiter entfernt liegender Projektschritte genutzt werden. Die Prioritätensetzung muss stets auf das Bauprojekt orientiert sein, der Zwang zu bloßem Reagieren unter Zeitdruck ist trotzdem gerade in der Fertigstellungsphase nicht zu vermeiden.

6. Der Bibliothekar im Kreis der anderen Akteure<

Ein gemeinsames Projekt bedeutet nicht, dass man durchweg gemeinsame Interessen verfolgt, insbesondere nicht im Verhältnis von Architekt und Bibliothekar. [-> 13] Die Kenntnis der vorgegebenen, unterschiedlichen Rollen ist eine wichtige Voraussetzung für eine illusionslose, aber effektive und zielgerichtete Zusammenarbeit. Das gemeinsame Projekt darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es immer wieder Interessengegensätze zwischen Architekt und Bibliothekar geben wird. Der Bibliothekar wird sich trotz aller vertrauensvollen Offenheit immer wieder Unterstützung auch außerhalb der am Baugeschehen direkt Beteiligten suchen müssen, wenn er mit seinen Argumenten scheitert: beim Betriebsarzt in Fragen der Ergonomie, bei den Verantwortlichen in Instituten, Fakultäten und der Universitätsleitung. Umso wichtiger ist es, mit dem eigenen Baureferat (oder Universitätsbauamt) eng zusammenzuarbeiten und gemeinsam die gleichen Ziele verfolgen. Dort wo es dem Bibliothekar gelungen ist, den zuständigen Mitarbeiter für die Zeit des Projekts ins Haus zu holen (dem Verf. ist das nicht geglückt), kann sich das Baureferat nicht zu einem Akteur mit eigenen Interessen entwickeln: Eine räumliche Zusammenlegung der Projektsteuerung fördert das gemeinsame Vorgehen. Die Ansiedelung des Projektmanagements beim Bibliothekar sollte von Anfang festgeschrieben werden.

Vertrauensvolle, offene Zusammenarbeit ist ein wichtiges Ziel, aber der Bibliothekar wird erfahren, dass seine Argumente manchmal nur schwer überzeugen können, weil er nicht nur eine neue schöne Hülle für die bisherige Bibliothek schaffen, sondern den Bau als Chance zur Veränderung nutzen will: Veränderung der Bibliotheksverwaltung, eine Neudefinition der Bibliothek als kundenorientierter Dienstleister, Stärkung der kommunikativen Funktionen und des sozialen Raums Bibliothek: Eine Eins-zu-Eins Anpassung des Neubaus an den Status Quo ist bequem für Bauplaner, aber es wäre eine verpasste einzigartige Gelegenheit für ein Changemanagement.

Folgende Stichpunkte mögen die Position des Bibliothekars unter den Akteuren im Planungs- und Bauprozess markieren:

1. hat eine Vision für die neue Bibliothek und nutzt die Chance zum Changemanagement
2. kommuniziert diese Vision jedem gegenüber, der bereit ist, zuzuhören; [-> 14] ist stets zur PR für sein Projekt vorbereitet
3. wirkt an der Auswahl des Architektenentwurfs mit und erarbeitet sich die maßgebliche Beteiligung am gesamten Planungs- und Bauprozess, er ist fester Teilnehmer der Steuerungsgruppe
4. arbeitet eng mit dem Baureferat zusammen; richtet im Nebenzimmer des eigenen Büros für den Verantwortlichen einen Arbeitsplatz ein
5. hat einen bibliothekarischen Berater, wenn nicht institutionell abgesichert, dann hat er zumindest informell einen befreundeten Kollegen an der Seite
6. arbeitet sich in alle noch so (fach-)fremden Gebiete ein und holt sich immer wieder punktuell kompetente Hilfe von Fachfirmen
7. verlässt sich nicht auf einmal Erreichtes
8. bemüht sich um ein vertrauensvolle Zusammenarbeit aller Akteure, lässt auch dann nicht nach, wenn er das erste Mal „ausgetrickst“ wird
9. nutzt eine lange Planungs- und Bauphase zur Optimierung des Projekts, auch wenn Planungsänderungen nicht immer leicht zu erreichen sind
10. erschließt sich für nicht in der Bausumme vorhandene Einzelvorhaben die zur Verwirklichung notwendigen Geldmittel.

Dem Bibliothekar wird vieles, aber trotzdem nicht alles gelingen - dem vollendeten neuen Gebäude wird man an aber immer ansehen, dass sich das Engagement im Planungs- und Bauprozess lohnt.

[01 -> zurück] http://www.fu-berlin.de/npb/projekte_philbibliothek.html
 
[02 -> zurück] z.B. auf der IFLA-Konferenz in Berlin 2003. Klaus Ulrich Werner: Die Philologische Bibliothek der Freien Universität Berlin. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 27 (2003) Nr. 1/2, S. 62-64. Siehe auch: Klaus Ulrich Werner u. Monika Diecks: „The Brain“. The Philological Library of the Free University of Berlin. In: LIBER QUARTERLY 14 (2004) No.2: http://liber.library.uu.nl/publish/articles/000077/article.pdf
 
[03 -> zurück] Bau- und Nutzungsplanung von wissenschaftlichen Bibliotheken / erarb. im NA Bibliotheks- und Dokumentationswesen unter Mitw. einer Expertengruppe des Deutschen Bibliotheksinstituts (DBI). Hrsg.: DIN, Deutsches Institut für Normung e.V.. - 2. Aufl., 2. aktualisierter Nachdr. . - Berlin [u.a.] : Beuth, 2002. - VI, 69 S. . - ISBN: 3-410-13831-5. - (DIN-Fachbericht ; 13)
 
[04 -> zurück] http://www.ifla.org/VII/s20/index.htm
 
[05 -> zurück] http://www.zhbluzern.ch/LIBER-LAG/default.htm
 
[06 -> zurück] Zuletzt in LIBER Quarterly 14 (2004) No.2: Marie-Françoise Bisbrouck: From concept to commissioning: The library – scheduling, programming, phasing: http://liber.library.uu.nl/publish/articles/000080/article.pdf Elmar Mittler: The Battle for good libraries. In: LIBER Quarterly 14 (2004) No. 2, S. 263-272: http://liber.library.uu.nl/publish/articles/000085/article.pdf
 
[07 -> zurück] Karl Krarup: The royal Library – the library’s role in the building process. In: LIBER Quarterly 14 (2004) No.2: http://liber.library.uu.nl/publish/articles/000082/article.pdf
 
[08 -> zurück] Harry Faulkner-Brown: Some thoughts on the design of major library buildings. In: Intelligent library buildings. Proceedings of the 10th seminar of the IFLA Section on Library Buildings and Equipment. Ed. By Marie-Francoise Bisbrouck and Marc Chauveninc. München 1999, 9-24.
 
[09 -> zurück] Krarup, a.a.O., S. 232
 
[10 -> zurück] Rudolf Schricker: Kreative Raum-Akustik für Architekten und Designer. Stuttgart : Deutsche Verlags-Anstalt, 2001.
 
[11 -> zurück] Harald Küppers: Das Grundgesetz der Farbenlehre. Köln : DuMont Verlag, 2004.
 
[12 -> zurück] Bisbrouck, a.a.O., S. 225.
 
[13 -> zurück] Ebd., S. 227.
 
[14 -> zurück] Mittler, a.a.O., S. 270.


Klaus Ulrich Werner ist Direktor der neuen Philologischen Bibliothek der Freien Universität zu Berlin.