> > > LIBREAS. Library Ideas # 1

Bibliotheksbau - LIBREAS Ausgabe 1


Zitiervorschlag
Ben Kaden, "Bibliotheksbau - LIBREAS Ausgabe 1. ". LIBREAS. Library Ideas, 1 ().


Es gibt viele neue Bibliotheksgebäude – man liest es regelmäßig und sieht es in Bibliotheksballungsräumen wie Berlin auch deutlich. Worin die Ursachen dieses (gefühlten) Bibliotheksbaubooms liegen, ist noch nicht geklärt. Ist es ein letztes Aufbegehren oder eine zunehmende Aktualität der Bibliotheken? [-> 01] Ist es das Verlangen von öffentlichen Trägern, sich über spektakuläre Bibliotheksbauten eine schöne Möglichkeit zur Selbstdarstellung zu erschließen? Oder ist es vielleicht so, dass die alten Bibliotheksbauten in ihrer bestehenden Form schlicht ihre Lebensgrenze erreicht haben, unter den neuen Bedingungen baulich nicht mehr adäquat als Bibliotheken nutzbar sind und daher ersetzt werden müssen, um einen Bibliotheksbetrieb aufrecht zu erhalten?

Fakt ist, dass sich die Anforderungen an die Bibliotheken in den letzten 20 Jahren durch die Etablierung elektronischer Netze für die Informationsversorgung grundlegend verändert haben. Fakt ist auch, dass sich für die letzten vielleicht 15 Jahre eine enorme Bautätigkeit im Bibliotheksbereich sowohl in Deutschland wie auch international feststellen lässt. Die Palette der architektonischen Erscheinungsformen reicht dabei von hoch funktionalen Gebäuden wie der "industriell anmutendenden Wissensarchitektur" (Tagesspiegel) des fast an ein "Parkhaus der Bücher" erinnernden Neubaus (ebd.) von Technischer Universität und Universität der Künste in Berlin bis zur "Gralsburg des Medienzeitalters" (Welt) in Gestalt des Cottbuser IKMZ von Herzog & DeMeuron, einem "Raumwunder in der Amöbenhülle" (DerStandard) und "Mekka im brandenburgischen Sand" (Freie Presse). Man findet graue Neubauten, knallbunte Neubauten, kastenförmige und Bauten "ohne spitzen Winkel, scharfen Grat und gerade Linie" sowie alle denkbaren Zwischenformen.

Dazu kommen zahllose Umbauten, so z.B. die Neugestaltung von Foyer und Tiefspeicher der Österreichischen Nationalbibliothek oder die unendliche Geschichte der Rekonstruktions- und Umbaumaßnahmen im Haus 1 der Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz Unter den Linden. Öffentliche Bibliotheken gibt es in Obergeschossen von Einkaufszentren (Hauptbibliothek Berlin-Neukölln, Stadtbibliothek in Eisenhüttenstadt, Anna-Seghers-Bibliothek in Berlin-Hohenschönhausen), in ehemaligen Polizeiwachen (Zentralbibliothek Bremen), Zeughäusern (Stadtbibliothek Wismar) und Waffenfabriken (Fachhochschulbibliothek Erfurt). Es gibt Bibliotheken in ehemaligen Schwimmbädern (Pädagogische Akademie in Salzburg), sowie ungezählte An- und Erweiterungsbauten (Zentralbibliothek Naturwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin, Stadsbibliotek i Malmö, Königliche Bibliothek in Kopenhagen). Manchmal steht bei diesen Projekten das Zusammenspiel von Alt und Neu im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, fast häufiger jedoch lässt der neue Gebäudeteil in seiner architektonischen Strahlkraft vergessen, dass er ein additives Element zu einer bestehenden Struktur darstellt.

Häufig lässt sich bei den Bauvorhaben ein Verlangen nach "Sensation”, bei nationalen Großvorhaben wie z.B. in Paris auch ein zentrales Bedürfnis des Trägers nach Repräsentation erkennen. Es sind - natürlich - die großen, spektakulären, auffälligen Neubauten, die den Eingang in die Feuilletons der überregionalen Zeitungen oder - wie z.B. bei der Seattle Library und dem New Yorker – in die Seiten der meinungsprägenden Publikumszeitschriften finden und von denen sich die Träger einen über die Nutzung als Bibliothek hinausreichenden Mehrwert erhoffen.

Auffällig ist auch der Innovationsdruck, unter dem Bauherren zu stehen scheinen, und der, wie es scheint, nicht selten seine Darstellung in bewusst (post-)moderner Architektur finden soll. Eine elektronisch vernetzte Wissensgesellschaft, die ihren Handlungsmittelpunkt in zunehmendem Maße in den virtuellen Bereich verlagert und in der die so genannte "Digitale Bibliothek" perspektivisch die klassischen Printbestände mehr als ergänzen soll, erfordert "hybride" Lösungen. Insofern liegt ein Zusammenführen von Bibliotheken mit Medien- und Rechenzentren (KIZ Ulm, IKMZ Cottbus) auf der Hand. Allerdings – und das ist das Schwierige – ist es nur in eher groben Rastern möglich, die Entwicklung von Prozessen der Wissenssammlung, -verarbeitung und -produktion vorherzusagen. Die These von einer Bibliothek ohne ("physische") Bücher, von der man ab und an in den 1990er Jahren hörte, hat sich als völlig abwegig erwiesen. Und dass die Zahl von Neuerwerbungen in zahlreichen deutschen Bibliotheken rückläufig ist, ist bekanntlich primär Budget bedingt. Die Zahl der Publikationen in Printform nimmt jedenfalls auch im Zeitalter des Alltagsgegenstands WorldWideWeb kontinuierlich zu. Die elektronischen Medien haben sich nur selten als Ersatz, häufig jedoch als Ergänzung dargestellt, so dass das Neue für Bibliotheken nicht weniger Bücher sondern mehr Bücher und mehr elektronische Medien darstellt.

Dieser "Sowohl als auch"-Situation, also der Pluralisierung der Medientypen bei stabilem Wachstum und sich gleichzeitig pluralisierenden Ansprüchen der Nutzer, müssen Bibliotheksbauten für die (nähere) Zukunft Rechnung tragen. Letztlich gibt es – wie Ulrich Naumann [-> 02] in seinem kleinen Abriss zur Geschichte des Bibliotheksbaus in der aktuellen Ausgabe der Architekturzeitschrift DETAIL herausstellt – eine Grundeigenschaft, die seit 5000 Jahren Bibliotheksgeschichte essentiell für Bibliotheksbauten war, nämlich die Fähigkeit zur "Anpassung an die Bedürfnisse der Zeit und ihrer technischen Möglichkeiten", ergo Flexibilität.

Bei der Auswertung des Medienechos auf die Neubauten fällt aus bibliothekarisch-bibliothekswissenschaftlicher Perspektive auf, wie sehr in der Regel der Nutzungsgedanke (und auch die Frage nach der "Flexibilität") hinter den architektonischen Merkmalen – häufig buchstäblich hinter der auffälligen Fassade – zurücktritt. Die Beschreibungen sind weitgehend subjektiv. Wenn der Architekturkritiker der FAZ von der Bibliothek "in der man selbst immer arbeiten wollte” spricht, bedeutet das nicht, dass er in der Bibliothek tatsächlich gearbeitet hat.

Auch hier steht die Primärwahrnehmung des Bauwerks und seiner Atmosphäre im Zentrum der Betrachtung. "Goldene Türme für die Stille, Lesesäle mit Plüsch-Komfort und maßgefertigte Regale aus rot lackiertem Holz." [-> 03] – Ein solches Erscheinungsbild wirkt als Eyecatcher und ist, was die unmittelbare Attraktivität für das Publikum angeht, sicherlich der zunächst entscheidende Aspekt. Aber um das Publikum zu Nutzern werden zu lassen, ist weniger Gold, Plüsch und rotes Holz entscheidend, sondern die Alltagsfunktionalität des Hauses. Und gerade hier ist eher Unauffälligkeit gefragt: Der barrierefreie Zugang zu bzw. die reibungslose Versorgung mit der für den Nutzer relevanten Information, idealerweise in einer gut durchdachten Rezeptionsatmosphäre, sollte im Zentrum stehen.

Die erste Ausgabe von LIBREAS steht entsprechend im Zeichen der Grundfrage form follows function oder function follows form - wie lässt sich die Balance zwischen dem Bedürfnis nach architektonischer Einzigartigkeit und dem Anspruch an die Alltagstauglichkeit der neuen Bibliotheken erreichen?

Walther Umstätter beschäftigt sich im Leitartikel umfassend bibliothekstheoretisch mit den bibliothekswissenschaftlichen Anforderungen beim Bau von Bibliotheken.

Klaus Ulrich Werner beleuchtet aus der Erfahrung mit der "The Brain" genannten Philologischen Bibliothek der Freien Universität Berlin die Wechselbeziehung (bzw. das Spannungsverhältnis) Bibliothekar-Architekt bei Planung und Bau von neuen Bibliotheken und überlegt: "Muss der Direktor immer dabei sein?"

Nikolas Sypereck stellt hingegen die Sicht des Architekten dar und reflektiert darüber, was dieser beim Entwurf einer Bibliothek beachten sollte.

Im Interview erklärt der stellvertretende Direktor der von den Architektur-Rezensenten viel geschmähten Volkswagen-Universitätsbibliothek der TU-Berlin warum der Neubau doch nicht so schlecht ist und erhält kritische Rückendeckung durch den Erlebnisbericht von Manuela Schulz. Sarah Jenner dagegen betrachtet noch einmal verstärkt die hervorstechenden architektonischen Merkmale des Gebäudes und ist weniger zufrieden. Dass sich Hans Scharouns Staatsbibliothek in Berlin, die aus ihrer Randlage herausgerissen mittlerweile Rücken an Rücken mit einem Musical-Theater und einem Casino stehend unmittelbar an die neue repräsentative Mitte Berlins – den Potsdamer Platz - grenzt, auch hervorragend für die soziologische Untersuchung von Geistesarbeitern eignet, zeigt Lucia Jay. Um diese Beobachtung zu unterstreichen (und weil die LIBREAS-Redaktion diese Textstelle so schön findet) zitieren wir zu ihrem Text einen Auszug aus Cees Nootebooms "Allerseelen".

Schließlich gibt es noch einige Fotografien, die uns von einer Winterreise (im März 2005) nach Kopenhagen erreicht haben und die natürlich vorrangig das vermutlich bekannteste Bibliotheksgebäude Skandinaviens, nämlich den "Det Sorte Diamant" (der schwarze Diamant) genannten Erweiterungsbau der Königlichen Bibliothek zum Motiv haben, aber auch ein paar andere eindrucksvolle Bauten berücksichtigen.

[01 -> zurück] vgl- Schittich, Christian: Bibliotheken im Zeitalter digitaler Information. In: DETAIL – Zeitschrift für Architektur und Konzept. 45. Serie 2005 – 3 Bibliotheken, 141
 
[-> 02 -> zurück] Naumann, Ulrich : Kurze Geschichte des Bibliotheksbaus. In: DETAIL – Zeitschrift für Architektur und Konzept. 45. Serie 2005 – 3 Bibliotheken, 144-149
 
[-> 03 -> zurück] vgl. Bauwelt 27-28/03, Titelblatt