> > > LIBREAS. Library Ideas # 47

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doi:10.18452/x (edoc HU Berlin)

Das ist ja nur die Spitze des Eisbergs!

Bericht vom Workshop zum Datentracking in der Wissenschaft im Vorfeld der ISI 2025, 17.03.2025 (TU Chemnitz)


Zitiervorschlag
Ulrike Wuttke, "Das ist ja nur die Spitze des Eisbergs!. Bericht vom Workshop zum Datentracking in der Wissenschaft im Vorfeld der ISI 2025, 17.03.2025 (TU Chemnitz)". LIBREAS. Library Ideas, 47 ().


Einleitung

In den letzten Jahren hat sich der Fokus der internationalen, kommerziellen Verlagslandschaft von klassischen Publikationsdienstleistungen hin zu Data-Analytics-

Dienstleistungen verschoben. Nicht zuletzt seitdem sich der DFG-Ausschuss für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme (AWBI) 2021 in einer Stellungnahme1 bezüglich der Problematik dieser Entwicklung, die Risiken für die digitale Souveränität der Wissenschaft und den Datenschutz mit sich bringt, positioniert hat, nimmt das Thema im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus an Fahrt auf. In der AWBI-Stellungnahme wird u. a. kritisiert:

Im Einzelnen kann unreguliertes bzw. unerkanntes Datentracking * eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit und der Freiheit von Forschung und Lehre bedeuten; * eine Verletzung des Rechts auf den Schutz der eigenen Daten darstellen; * eine potenzielle Gefährdung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern darstellen, da die Daten auch ausländischen Regierungen und autoritären Regimes zugänglich werden können; * einen Eingriff ins Wettbewerbsrecht darstellen, da neue Teilnehmer kaum eine Chance auf einen Markteintritt haben; * eine Wertminderung öffentlicher Forschungsinvestitionen begünstigen, da im Rahmen von Wirtschaftsspionage wissenschaftliche Aktivitätsdaten von kommerziellen Forschungskonkurrenten erhoben oder ihnen gegen Bezahlung zugänglich gemacht werden können.2

Eines der Verlags-Oligopole, das wegen unlauterer Tracking-Praktiken im Fokus steht, ist Elsevier: Being both the main suppliers of research and the main suppliers of data analytics about research gives Elsevier outsized power to shape science. The research oligopoly controls both the input (funding) and the output (research findings) of the knowledge enterprise.3 Das führt nicht nur zu wissenschaftsethischen Problemen sondern – verbunden mit der umfangreichen Sammlung von digitalen Nutzungsspuren (data tracking) durch die Verlage und andere Akteure sowie ihrem Verkauf (data brokering) – zu handfesten Datenschutzproblemen. Diese sind in grundsätzliche Fragen bezüglich der Digitalen Souveränität, der Wahrung der Wissenschaftsfreiheit im Kontext demokratischer Systeme und Staaten oder der Digitalen Teilhabe eingebettet, um nur einige zu nennen. Lamdan fordert daher: Scholarly journals shouldn’t be mixed up in data brokering and metrics businesses. Academic research is meant to be a public good, not a data-collection tool for private data broker companies.4

Während die wissenschaftlichen Großverlage versuchen, ihre Vormachtstellung im Bereich Datenanalyse auszubauen, regt sich zunehmend Widerstand. Verschiedene nationale und internationale Initiativen wie SPARC und Stop Tracking Science haben sich des Themas angenommen und motivieren die eingehende Befassung mit diesem Problemfeld. Auch in der deutschsprachigen Bibliotheks-Community ist das Thema angekommen. Es wurde im Kontext verschiedener fachspezifischer Tagungen wie vBib (2021, 2022, 2024) oder BiblioCon (2023, 2024) sowie in Fachpublikationen5 aufgegriffen.

Bei einem unter Beteiligung der Autorin durchgeführten Hands- on Lab6 während der BiblioCon 2023 wurde deutlich, dass eine der Herausforderungen die Vermittlung des Themas in die wissenschaftlichen und bibliothekarischen Communities ist. Es gilt einerseits mittels Methoden der Computerforensik den aktuellen Stand des Datentrackings und allgemeine Awareness für das Thema zu vermitteln und andererseits Aktionsräume (im Sinne von Empowerment, wie Schutzmechanismen, vertragliche Regelungen et cetera) für verschiedene Zielgruppen zu eröffnen.7 Im Sommersemester 2024 hat die Autorin mit Timo Steyer daher mit Bachelorstudierenden der Bibliothekswissenschaft an der Fachhochschule Potsdam das Thema Wissenschaftstracking in einem Seminar zur Informationsdidaktik bearbeitet und die Erstellung von Lehr-Lern-Konzepten betreut.8

Der Pre-ISI2025-Workshop Datenethik – Datentracking

Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Vorbemerkungen und des Seminars aus dem Sommersemester 2024 fand 2025 ein halbtägiger Workshop zum Thema Datenethik – Datentracking an der TU Chemnitz statt.9 Der Workshop wurde im Rahmen des Movetia-Projekts Datenkompetenzen vermitteln an Hochschulen im D-A-CH Raum10 federführend von Vera Husfeldt (FH Graubünden, Schweiz) und ihrem Team gemeinsam mit den Movetia-Projektpartnern Stefan Dreisiebner (FH Kärnten, Österreich) und der Autorin (Ulrike Wuttke, FH Potsdam, Deutschland) ausgerichtet. Der Fokus des an der Fachhochschule Graubünden bei Vera Husfeldt als Lead, angesiedelten Projekts ist die Förderung von Datenkompetenzen von Studierenden, insbesondere durch die Organisation von Workshops, Schulungen oder Seminaren und die Entwicklung innovativer Lehrmethoden und -inhalte zur Förderung von Datenkompetenzen, der Austausch von Forschungsergebnissen und bewährten Praktiken sowie die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen der Fachhochschule Graubünden und den Fachhochschulen Potsdam und Kärnten.

Im Mittelpunkt des Workshops standen daher die Auseinandersetzung und Diskussion möglicher Weiterentwicklungsansätze. Dieses wurde im Vorfeld durch die Dozierenden mit den Projektpartnern ausgewählt und die konkrete Umsetzung im Workshopkontext im Vorfeld mit der betreffenden Projektgruppe besprochen (siehe Beitrag in dieser Ausgabe von Ha Thao Suong Vu, Ioanna Danai Katsougiannoupoulou, Nadja Hartwich https://libreas.eu/ausgabe47/digital-footprint). Neben der Projektgruppe nahmen weitere Studierende der Fachhochschule Potsdam im Rahmen einer studentischen Exkursion zur des Internationalen Symposiums für Informationswissenschaft (ISI) 2025 am Workshop teil, sowie dank der Förderung von Movetia als weitere Expert*innen Timo Steyer (Technische Universität Braunschweig, Universitätsbibliothek) und Robert Altschaffel (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Universität Magdeburg) sowie Maia Lenherr und Urban Kalbermatter aus dem Team von Vera Husfeldt.

Nach einer kurzen Einführung zum Hintergrund des Movetia-Projekts durch Vera Husfeldt und einer kurzen Vorstellungsrunde, bei der die sehr diversen Vorkenntnisse der Gruppe zum Thema deutlich wurden, gab die Autorin gemeinsam mit Timo Steyer und Robert Altschaffel eine thematische Einleitung zum Seminar-Kontext, zu Datentracking im Allgemeinen und zu Methoden der Computerforensik mit dem Ziel, First-Party- und Third-Party-Tracking auf Verlagswebseiten oder anderen Angeboten aufzuspüren. Nach einer kurzen Pause stellte die Projektgruppe eine für den Workshop entworfene Spielidee sowie den dazugehörigen Prototyp vor und leitete eine Spielrunde an, um Feedback zu erhalten. Als Lehrende war die Autorin begeistert zu sehen, wie souverän die Studierenden die Workshopleitung übernahmen.

Die Grundidee des Spiels mit dem Titel Choose your own adventure – Digital Footprint besteht darin, dass die Spielenden als Gruppe für eine Persona eine Publikation planen und veröffentlichen und das während bestimmter Entscheidungsschritte immer wieder Daten getrackt werden – oder auch nicht. Im Spiel müssen sie immer wieder diskutieren, welche Entscheidungen sie fällen, wie, um ein paar Beispiele zu nennen online recherchieren, in die Bibliothek fahren, Googlen, den Betreuenden fragen. Es gibt am Ende auch keine Gewinner*innen oder Verlierer*innen im klassischen Sinne, sondern es geht darum, dass sich die Spielenden über Publikations- und Forschungspraktiken und digitale Nutzungsspuren unterhalten. Das geschah dann auch während des gut eine dreiviertel Stunde langen Testspiels.

Im Anschluss an die Spielrunde entspann sich unter den Teilnehmenden eine angeregte Diskussion. Es wurde nicht nur deutlich, dass durch die Gruppe eine Menge Potenzial für die Weiterentwicklung des Spiels gesehen wurde. Es kam auch ein grundsätzlicher Punkt zur Sprache, in dessen Kontext auch das Titelzitat gefallen ist, nämlich der Unterschied zwischen Datentracking und Datentracking in der Wissenschaft. Die Problematik ist die gleiche, nämlich das unerlaubte beziehungsweise unbewusste Tracking von Daten (und die problematische Verarbeitung oder der Verkauf). Datentracking in der Wissenschaft ist nur die Spitze des Eisbergs, denn (unerlaubtes) Datentracking findet erstaunlich häufig statt. Aber während es Vielen vielleicht bewusst ist, dass bei kommerziellen Tools Datentracking stattfindet (zu denken ist an die omnipräsenten Cookie-Banner), ist vielleicht weniger bekannt, dass dies auch massiv auf den Webseiten einiger Verlage stattfindet oder bei Access through your institution-Zugängen. Dazu kommt, dass Wissenschaftler*innen und Studierende keine Wahl haben (oder aber eben doch?), weil sie Literatur brauchen – im Gegensatz dazu haben sie eine Wahl, ob sie beispielsweise Social Media nutzen. Als wichtig wurde auch die Frage der institutionellen Verantwortung empfunden, zum Beispiel dass Bibliotheken eine (rechtliche) Verantwortung haben, wenn Datentracking stattfindet, oder der Wissenschaftler*innen, wo sie publizieren und was sie zum Lesen empfehlen (Lektürelisten). Und das ist nicht nur eine technische, sondern auch eine politische Diskussion.

Fazit und Ausblick

Der internationale Austausch zwischen den Studierenden und den Teilnehmenden aus der Schweiz, Deutschland und Österreich zum Thema Datentracking wie das anschließende gemeinsame Abendessen, das den intensiven Dialog abrundete und weitere Gelegenheit für das Schmieden von Plänen für zukünftige Kooperationen und Projekte gab, war ebenso bereichernd wie perspektiverweiternd. Der Workshop legte einen wichtigen Grundstein für weitere gemeinsame Lehr- und Lernaktivitäten der Movetia-Partner und die intensivere Verschränkung mit den Aktivitäten des Magdeburger Teams um Prof. Dr.-Ing. Jana Dittmann (u. a. Arbeitsgruppe Multimedia and Security), zu dem u. a. Robert Altschaffel gehört.

Bibliografie

Altschaffel, R., Wuttke, U., Steyer, T., Dittmann, J., & Kiltz, S. (2025): Der ungewollte Blick über die Schulter: Datentracking im wissenschaftlichen Bereich. 18. Internationales Symposium für Informationswissenschaft (ISI 2025), Chemnitz, Deutschland. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.14925626

Ausschuss für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme (AWBI). 2021. Datentracking in der Wissenschaft: Aggregation und Verwendung bzw. Verkauf von Nutzungsdaten durch Wissenschaftsverlage. Ein Informationspapier des Ausschusses für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 28. Oktober 2021. Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). https://doi.org/10.5281/zenodo.5900759 (zugegriffen: 8. April 2022).

Lamdan, S. (2023): Data cartels: the companies that control and monopolize our information. Stanford, California: Stanford University Press.

Lauer, G. (2022): Datentracking in den Wissenschaften: Wissenschaftsorganisationen und die bizarre Asymmetrie im wissenschaftlichen Publikationssystem. In: O-Bib. Das Offene Bibliotheksjournal, 9:1, https://doi.org/10.5282/o-bib/5796

Steyer, T. und Wuttke, U. (2024): Data Tracking in the Classroom?! Wissenschaftstracking als Seminarthema. vBIB 2024, 4.-5-12-2024, online. https://www.vbib.net/vbib24-programm/programmdetail/vbib24-2-1/

Wuttke, U. (25.04.2025), Movetia-Workshop zum Datentracking im Vorfeld der ISI 2025. Blogbeitrag. https://ulrikewuttke.wordpress.com/2025/04/25/movetia-workshop-zum-datentracking-im-vorfeld-der-isi-2025/


  1. Ausschuss für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme (AWBI) (28. Oktober 2021) Datentracking in der Wissenschaft: Aggregation und Verwendung bzw. Verkauf von Nutzungsdaten durch Wissenschaftsverlage. Ein Informationspapier des Ausschusses für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). https://doi.org/10.5281/zenodo.5900759 (zugegriffen: 8. April 2022).↩︎

  2. AWBI 2021, S. 8.↩︎

  3. Lamdan, S. (2023). Data cartels: the companies that control and monopolize our information. Stanford, California: Stanford University Press, S. 63.↩︎

  4. Lamdan (2023), S. 71.↩︎

  5. Lauer, G. (2022): Datentracking in den Wissenschaften: Wissenschaftsorganisationen und die bizarre Asymmetrie im wissenschaftlichen Publikationssystem. In: O-Bib. Das Offene Bibliotheksjournal, 9:1, https://doi.org/10.5282/o-bib/5796↩︎

  6. Seltmann, M., Siems, R., Steyer, T., & Wuttke, U. (2023). „Alles DSGVO-konform! – Wirklich?: Bericht vom Hands-On LabDatentracking im wissenschaftlichen Workflow”. O-Bib. Das Offene Bibliotheksjournal, 10:4, https://doi.org/10.5282/o-bib/5958↩︎

  7. Siehe Altschaffel, R., Wuttke, U., Steyer, T., Dittmann, J., & Kiltz, S. (2025). Der ungewollte Blick über die Schulter: Datentracking im wissenschaftlichen Bereich. 18. Internationales Symposium für Informationswissenschaft (ISI 2025), Chemnitz, Deutschland. Zenodo. https://doi.org/10.5281/zenodo.14925626↩︎

  8. Steyer, T. und Wuttke, U. (2024): Data Tracking in the Classroom?! Wissenschaftstracking als Seminarthema. vBIB 2024, 4.-5-12-2024, online. https://www.vbib.net/vbib24-programm/programmdetail/vbib24-2-1/↩︎

  9. Für weitere Impressionen siehe Wuttke, U. (25.04.2025), Movetia-Workshop zum Datentracking im Vorfeld der ISI 2025. Blogbeitrag. https://ulrikewuttke.wordpress.com/2025/04/25/movetia-workshop-zum-datentracking-im-vorfeld-der-isi-2025/↩︎

  10. Fördernummer 2024-1-CH01-IP-0018↩︎


Ulrike Wuttke (https://orcid.org/0000-0002-8217-4025) ist Professorin für Bibliothekswissenschaft, Strategien, Serviceentwicklung und Wissenschaftskommunikation an der Fachhochschule Potsdam. Seit April 2025 hat sie an der FH Potsdam eine Transferprofessur zum Thema Datentracking.