> > > LIBREAS. Library Ideas # 46

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doi:10.18452/31223 (edoc HU Berlin)

Bestandserhaltung analog und digital. Ein Praxisbericht aus der Zentralbibliothek Zürich

Für die Zentralbibliothek Zürich (ZB) hat die Erhaltung des Bestandes eine hohe Bedeutung. Eine eigene Abteilung ist für die Konservierung und Restaurierung der wertvollen analogen Bestände verantwortlich. Neben Arbeiten am konkreten Objekt befasst sie sich auch mit allgemeinen bestandserhaltenden Maßnahmen wie zum Beispiel dem gebäudeübergreifenden Klimamonitoring. Im Rahmen der Schutzdigitalisierung bereitet sie die Objekte auf verschiedene Arten für das Scannen vor, so dass diese im Digitalisierungsprozess keine Schäden nehmen. Dies gilt auch für Digitalisierungsprojekte mit anderer Zielstellung. Ein zunehmend größeres Arbeitsfeld ist die Erhaltung der verschiedenen digitalen ZB-Bestände, wozu neben Retrodigitalisaten auch «born-digital»-Objekte gehören. Hierfür hat die ZB neue Infrastrukturen aufgebaut und betreibt seit 2023 ein digitales Langzeitarchiv nach OAIS-Standard.


For the Zurich Central Library (ZB), the preservation of its collection is of great importance. A dedicated department is responsible for the conservation and restoration of valuable analogue materials. In addition to working on specific objects, it also focuses on general preservation measures, such as cross-building climate monitoring. As part of digitization projects, this department prepares objects in various ways for scanning, ensuring that they do not incur damage during the digitization process. An increasingly significant area of work is the preservation of the various digital ZB collections, which include both retro-digitized materials and «born-digital» objects. To support this, the ZB has established new infrastructures and has been operating a digital long-term archive based on the OAIS standard since 2023.


Zitiervorschlag
Nadine Sarad, Lea Fuhrer, Jesko Reiling, "Bestandserhaltung analog und digital. Ein Praxisbericht aus der Zentralbibliothek Zürich". LIBREAS. Library Ideas, 46 ().


Allgemeine präventive Aufgaben der Abteilung Bestandserhaltung

Die ZB ist eine der wenigen Institutionen in der Schweiz, die über eine eigene Abteilung für Bestandserhaltung verfügt. Diese ist für den Erhalt der umfassenden und diversen Bestände zuständig, die in den hausinternen mehrstöckigen Magazinen und in externen Depots aufbewahrt werden. Die Abteilung Bestandserhaltung beschäftigt elf festangestellte Mitarbeitende und setzt sich zusammen aus der Ausrüsterei, der Buchbinderei sowie der Konservierung und Restaurierung von Bibliotheks- und Archivgut. Während sich die Ausrüsterei um den Buchdurchlauf der Bibliothek kümmert und unter anderem Neuzugänge mit Signaturen und einem elektronischen Tag versieht, beschäftigt sich die Buchbinderei des Hauses mit kleineren Reparaturen, der Vorbereitung für Neubindungen durch externe Dienstleister:innen und unterstützt die Restauratorinnen zum Beispiel auch bei internen Ausstellungen.

Zu den Hauptaufgaben der sieben Buch- und Papierrestauratorinnen gehören neben konservatorischen Maßnahmen, wie zum Beispiel der Trockenreinigung von Objekten, auch praktische Restaurierungsarbeiten wie Einband- und Papierrestaurierungen an den Beständen der Spezialsammlungen.

In Kooperation mit dem Gebäudemanagement etablierte die Bestandserhaltung ein integriertes Schädlingsbekämpfungsmanagement (Integrated Pest Management, IPM) und ein nachhaltiges und gebäudeübergreifendes Klimamonitoring. Zusammen mit einer externen Firma entwickelte sie einen Notfallplan zur Rettung der Dokumente im Havariefall. Diese konservatorischen, präventiven Aspekte der Bestandserhaltung haben in den letzten zwanzig Jahren deutlich an Relevanz gewonnen und sich in der Zentralbibliothek etabliert. Innerhalb eines Jahrzehnts wuchs die ehemalige kleine Buchbinderei auf fast das Dreifache an und der Schwerpunkt verschob sich in Richtung Erhalt der Bestände.

Neueres Aufgabenfeld: Schutzdigitalisierung und Vorbereitungsarbeiten für Digitalisierungsprojekte

Die ZB digitalisiert seit zwei Jahrzehnten kontinuierlich ihre Bestände. Die damit verbundenen Ziele sind die Erleichterung des Zugangs und der Schutz der Originale. Für die Abteilung Bestandserhaltung ist in diesem Zusammenhang über die Jahre ein neues Aufgabenfeld entstanden. Sie sorgt dafür, die Dokumente für die Digitalisierung vorzubereiten und sicherzustellen, dass diese durch die Digitalisierung keinen Schaden erleiden. Es geht zudem darum, die Scanner und die Mitarbeitenden vor Verunreinigungen durch Staub oder Schmutz zu schützen, weshalb das Bibliotheksgut auch trockengereinigt wird. Im aktuellen Google-Digitalisierungsprojekt, das die ZB seit Mitte 2023 zusammen mit der Universitätsbibliothek Basel, der Universitätsbibliothek Bern und der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern durchführt, zählt es etwa zu den Aufgaben der Bestandserhaltung, die von der Bestandslogistik bereitgestellten Bücher vor der Digitalisierung zu begutachten. Die beiden verantwortlichen Restauratorinnen prüfen den allgemeinen Zustand eines jeden Buches und ob das Buch dem umfangreichen Katalog von Anforderungen, die Google an die Scanbarkeit von Werken anlegt, genügt. Monatlich werden auf diese Weise 5.000 Bücher ‚verarbeitet’. In anderen Digitalisierungsprojekten legen die Restauratorinnen fest, bis zu welchem Öffnungswinkel Bücher geöffnet und auf den Scanner gelegt werden können. Zudem führen sie, falls notwendig, konservatorische Sicherungsarbeiten an den ausgewählten Büchern durch, die leichte Schäden aufweisen, um möglichst viele Bücher digitalisieren zu können.

Objektschonende Digitalisierung ermöglicht Zugang zu fragilen Dokumenten

Die Abteilung ist organisatorisch dem Bereich Spezialsammlungen / Digitalisierung angegliedert, in welchem auch die bestandsbesitzenden Abteilungen Handschriften, Alte Drucke und Rara, Graphische Sammlung und Fotoarchiv, Karten und Panoramen, Musik sowie Turicensia (das sind Zürcher Drucke und Medien nach 1800) versammelt sind. Zum Bereich gehört im Weiteren auch die Abteilung Digitale Produktion und Plattformen und darin das Digitalisierungszentrum (Digiz) der ZB, mit dem die Bestandserhaltung seit gut einem Jahrzehnt zunehmend stärker zusammenarbeitet.

Der Bestandserhaltung und der Abteilung Digitale Produktion und Plattformen ist gemein, dass sie prozessbasiert arbeiten und abteilungsübergreifend kooperieren. Besonders der Prozess der Eigendigitalisierung der ZB kann nur durch eine engmaschige Projektplanung beider Abteilungen erfolgreich erfolgen. Die Prüfung eines Objekts durch die Bestandserhaltung ist fester Bestandteil des Digitalisierungsworkflows und erfolgt nach der Erfassung des Digitalisierungsauftrags immer als erster Schritt. Zu den Aufgaben der Bestandserhaltung zählen, wie oben bereits erwähnt, die Festlegung der Öffnungswinkel der zu digitalisierenden Bücher sowie Teil- oder auch Vollrestaurierungen. Die vorausgehende Prüfung und Behandlung durch die Bestandserhaltung gewährleisten eine objektschonende Digitalisierung.

Die vom Digiz erstellten Digitalisate, die nach gängigen Standards der Kulturgüterdigitalisierung produziert werden, werden auf den Plattformen e-rara.ch, e-manuscripta.ch und Zurich Open Plattform (ZOP, erreichbar unter zop.zb.uzh.ch) publiziert und sind so für Benutzer:innen auf der ganzen Welt digital abruf- und nutzbar. Neben der besseren und breiteren Nutzbarkeit der Objekte durch die Digitalisierung werden auf diesem Weg auch die Originale geschont, da sie seltener konsultiert werden müssen. Die Digitalisierung erlaubt es darüber hinaus, dass fragile Werke, die für die Benutzung aus konservatorischen Gründen eigentlich gesperrt sind, gleichwohl zugänglich gemacht werden können. Bücher, die nur mit einem sehr kleinen Winkel geöffnet werden dürfen, können mit Spezialscannern wie etwa dem Wolfenbütteler Buchspiegel digitalisiert werden und werden so in digitaler Form einsehbar gemacht.

Erhaltung der digitalen Bestände

Durch die qualitativ hochwertige Digitalisierung erhält die ZB eine digitale Sicherheitskopie der analogen Originale. Mit der fortschreitenden Digitalisierung stellt sich auch die Frage, wie die Erhaltung der stetig wachsenden digitalen Bestände sichergestellt werden kann. Seit 2023 betreibt die ZB deshalb ein eigenes digitales Langzeitarchiv nach dem Standard des Open Archival Information System (OAIS) in Zusammenarbeit mit der Firma docuteam AG (Softwarelösung docuteam cosmos). Ziel ist es, alle digitalen Dokumente, die von den Abteilungen der Spezialsammlungen als archivwürdig bewertet werden, in das digitale Langzeitarchiv zu überführen und so langfristig zu erhalten. Explizit von der Archivierung ausgeschlossen sind zum aktuellen Zeitpunkt kommerzielle oder frei zugängliche digitale Inhalte (insbesondere Streamingangebote), für welche die ZB lediglich Zugriffsrechte besitzt, sowie Inhalte wie E-Books und E-Journals, bei denen die Zentralbibliothek ihre Archivierungsrechte im Rahmen der Beteiligung an internationalen Kooperationen wahrnimmt (LOCKSS, Portico).

Seit Oktober 2023 werden alle neu veröffentlichten Digitalisate auf den Plattformen e-rara.ch und e-manuscripta.ch direkt im neuen digitalen Langzeitarchiv gesichert. Aktuell läuft zudem eine Einspeisung der Altdaten dieser zwei Plattformen, welche seit der Aufschaltung von e-rara im Jahr 2010 und von e-manuscripta 2013 entstanden sind. Für das nächste Jahr ist die Implementierung des Workflows für die Zeitungsdigitalisate der ZB, die auf der Plattform e-newspaperarchives.ch publiziert werden, sowie die Anbindung von ZOP an das digitale Langzeitarchiv geplant.

Neben dieser großen und stetig wachsenden Menge an Retrodigitalisaten bewahrt die ZB in ihren Sammlungen auch sogenannte born-digital Bestände auf. Diese Bestände, die bereits ursprünglich in digitaler Form erzeugt worden sind, entsprechen entweder dem Turicensia-Sammelauftrag, zum Beispiel neue Zürcher Publikationen, die als PDF akquiriert werden, oder gelangen durch Archivübernahmen in die Spezialsammlungen der Zentralbibliothek. Insgesamt verwaltet die ZB aktuell circa 250 TB an potenziell archivwürdigen Daten.

Zukünftige Herausforderungen bei der Bewahrung des digitalen Bestandes

Eine Herausforderung für die digitale Langzeitarchivierung stellen insbesondere die born-digital Bestände in den Vor- und Nachlässen der Spezialsammlungen dar. Obwohl es sich im Vergleich zu den Retrodigitalisaten um eine überschaubare Datenmenge handelt, gibt es hier eine Vielzahl von Dateiformaten. Häufig ist auch der Status der Dateien nicht eindeutig geklärt, weshalb für diese Bestände eine aufwändige Bewertung und Erschließung auf Einzeldokumentstufe nötig sein wird. Bei diesen Datenbeständen liegt der Fokus daher aktuell auf Abklärungs- und Vorbereitungsarbeiten. Unter anderem wurde ein Zwischenarchiv für die digitale Langzeitarchivierung eingerichtet, welches aus einer gesicherten Serverinfrastruktur mit einem regelmäßigen Back-up besteht. Die Daten, die vorgängig an den diversen Speicherorten und auf den verschiedensten Speichermedien gesichert waren, werden zentral, nach Abteilungen geordnet, im Zwischenarchiv gesichert. Das Zwischenarchiv bildet die Voraussetzung, um auch für all diese Datenbestände eine möglichst effiziente Lösung für die digitale Langzeitarchivierung zu erarbeiten und verhindert einen Datenverlust infolge von veralteten oder beschädigten Datenträgern.

Eine weitere Herausforderung für die Bestandserhaltung sind die in der ZB aufbewahrten audiovisuellen Medien. Video- und Audiobestände können sowohl konservatorisch bedroht als auch von technologischer Obsoleszenz betroffen sein. In solchen Fällen stellt die Digitalisierung häufig die beste Möglichkeit dar, dieses Kulturgut für zukünftige Generationen zu sichern. Aus diesem Grund startet die ZB ab 2025 ein mehrjähriges Digitalisierungsprojekt, welches die digitale Sicherung der unikalen audiovisuellen Medien in den Beständen der Spezialsammlungen zum Ziel hat.

Die Digitalisierung nach hohen Qualitätsstandards ist hier Bestandteil einer umfassenden Bestandserhaltungsstrategie der ZB. Da die Abteilung Bestandserhaltung mit diesen Medientypen aktuell noch keine Expertise besitzt, wird die ZB bei diesen Medien mit externen Dienstleister:innen zusammenarbeiten.


Nadine Sarad (M.A.) ist Restauratorin und seit Anfang des Jahres Abteilungsleitung der Bestandserhaltung in der Zentralbibliothek Zürich. Sie studierte Restaurierung und Buchgeschichte in London (Großbritannien) und erwarb ihre praktischen Erfahrungen hauptsächlich als selbständige Restauratorin in Deutschland. Weiterhin arbeitete sie viele Jahre als Projektrestauratorin, Werkstattkoordinatorin und zuletzt als Teamleitung im Sachgebiet Bestandserhaltung im Historischen Archiv Köln.

Lea Fuhrer (M.A.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Digitale Produktion und Plattformen und für die digitale Langzeitarchivierung bei der Zentralbibliothek Zürich verantwortlich. Sie hat Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft und Kulturanalyse an der Universität Zürich studiert. Von 2017 bis 2023 war sie bei der Fotostiftung Schweiz als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Daneben hat sie berufsbegleitend den MAS ALIS (Master of Advanced Studies in Archival, Library and Information Science) an den Universitäten Bern und Lausanne absolviert.

Jesko Reiling (PD Dr.) leitet seit mehreren Jahren die Abteilung Digitale Produktion und Plattformen. Nach dem Germanistik-Studium an der Universität Zürich arbeitete er viele Jahre als Dozent an der Universität Bern und habilitierte sich 2018 an der Universität Fribourg. Danach war er in verschiedenen Forschungs- und Editionsprojekten tätig.