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doi:10.18452/31225 (edoc HU Berlin)

Einige Anmerkungen zur schweizerischen Bibliotheksstatistik

Die schweizerische Bibliotheksstatistik umfasst seit 2021 die Daten aller öffentlich zugänglichen Bibliotheken. Diese Daten werden allerdings kaum für Forschungen über Bibliotheken genutzt. Im Artikel wird die Statistik und deren Datenqualität vorgestellt, anschliessend das Dashboard «BiblioCheck», welches eine Darstellung der Daten für die allgemein öffentlichen Bibliotheken ermöglicht. Hauptsächlich argumentiert der Text aber dafür, die Daten für weitergehende Fragen zu nutzen. Anhand von Verteilungen und Vergleichen zwischen Gruppen sowie Korrelationen führt er beispielhaft vor, was für Aussagemöglichkeiten in den Daten noch vorhanden sind.


Since 2021, the Swiss library statistic encompasses the data of all publicly accessible libraries. However, this data is rarely used for research on libraries. The article presents these statistics and their data quality, followed by a discussion of the 'BiblioCheck' dashboard, which makes it possible to display the data for public libraries. However, the text mainly argues in favor of using the data for further questions. Using distributions and comparisons between groups as well as correlations as examples, it demonstrates the potential information that is still to be obtained from the data.


Zitiervorschlag
Karsten Schuldt, "Einige Anmerkungen zur schweizerischen Bibliotheksstatistik". LIBREAS. Library Ideas, 46 ().


1. Einleitung

Seit 2021 (mit den Daten von 2020) nehmen prinzipiell alle öffentlich zugänglichen Bibliotheken der Schweiz an der schweizerischen Bibliotheksstatistik teil.1 Die Statistik folgt der ISO-Norm 2789 «Information and documentation – International library statistics» (ISO 2022), aber in einer angepassten Variante. Vor allem wurden die abgefragten Variablen angepasst und ihre Anzahl ist, angesichts dessen, wie viele mögliche Variablen in der ISO-Norm definiert sind, stark reduziert.

Die Statistik wird vom Bundesamt für Statistik (BfS) erarbeitet, die Daten dafür aber jährlich von den Bibliotheken geliefert. Die Kantonalen Beauftragten für das Bibliothekswesen – die unter verschiedenen Namen existieren und oft an der jeweiligen Kantonsbibliothek angesiedelt sind – sind dabei im Kontakt mit dem Bundesamt und den Bibliotheken, um die Entwicklung der Statistik und die Sammlung der Daten zu unterstützen. Das BfS sammelt selbstverständlich weitere Statistiken und ist bemüht, diese miteinander zu verbinden. Beispielsweise vergibt es für alle Gemeinden eine eindeutige BfS-Gemeindenummer, welche dann in all diesen Statistiken verwendet wird. So ist es einfach, zum Beispiel die Bibliotheksstatistik und Statistiken über die Demographie von Gemeinden über diese BfS-Gemeindenummer miteinander zu verbinden.

Mit dem Einbezug aller öffentlich zugänglichen Bibliotheken trat die Schweiz gewissermassen in eine Reihe mit Deutschland und Österreich, in denen solche Statistiken schon seit Jahrzehnten erhoben werden. Diese länderspezifischen Statistiken unterscheiden sich aber:

  • Die erhobenen Daten der deutschen Bibliotheksstatistik – an welcher auch die Wissenschaftlichen Bibliotheken Österreichs teilnehmen – sind zum Beispiel frei (aber ohne Lizenz) veröffentlicht, über ein Datenportal abrufbar und liegen zudem in zusammengefassten Auswertungen vor.

  • Die zusammengefassten Daten der öffentlichen Büchereien Österreichs hingegen werden jedes Jahr in einem Artikel, welcher in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Büchereiperspektiven erscheint, vorgestellt.2 (Stieber 2023, Stieber 2024) Die gesamten Daten müssen für weitere Nutzungen direkt beim Büchereiverband Österreich erfragt werden.

  • Die Daten aus der Schweiz werden jeweils vollständig als eine Exceldatei (mit einem Datenblatt pro Jahr), nochmal aufgeteilt nach Bibliothekstypen und -grössen sowie letztlich noch zusammengefasst, reduziert auf einige Variablen, in weiteren Exceldateien publiziert. Diese Dateien sind auf der Homepage des BfS zugänglich und mit einer vom Bundesamt selber erstellten, offenen Lizenz versehen. (Bundesamt für Statistik, ohne Jahr, b)

Diese drei unterschiedlichen Bibliotheksstatistiken erfragen von den Bibliotheken jeweils unterschiedliche Variablen und werten diese Variablen auch unterschiedlich aus. Aber der Grossteil der Variablen ist gleich, da sie alle derselben ISO-Norm folgen. Beispielsweise enthalten alle Fragen nach der Höhe des Etats, des Erwerbungsetats (allerdings in den jeweiligen Landeswährungen), den Ausleihen oder der Zahl der aktiven Nutzer*innen. Ihre Daten lassen sich also teilweise miteinander vergleichen. (Schuldt 2022)

Interessant ist nun, dass in der bibliothekarischen Literatur – wie beispielsweise bei der regelmässigen Durchsicht der Inhaltsverzeichnis zu bemerken ist – recht wenig über diese Statistiken berichtet wird.3 Es ist nicht wirklich bekannt, wie sie in der Bibliothekspraxis genutzt werden und noch weniger, ob und wie sie in der Bibliotheksforschung Verwendung finden. Eine Anzahl von Bibliotheken nutzt die Statistiken wohl jährlich, um die eigenen Daten in ein Verhältnis mit denen vergleichbarer Bibliotheken zu setzen oder aber auch, um selber Datenreihen über ihre Arbeitsergebnisse der letzten Jahre zu erstellen. Letzteres wird manchmal in Jahresberichten von Bibliotheken integriert. Aber ansonsten ist, zumindest wenn man der bibliothekarischen Literatur folgt, nicht klar, was mit solchen Vergleichen erreicht wird oder auch nur, in welchen Bibliotheken sie genutzt werden und in welchen nicht. Zudem stellen Einrichtungen wie der Büchereiverband Österreich oder Fachstellen für das Bibliothekswesen auf Kantons- und Länderebene diese Daten für die Bibliotheken in ihren Kantonen und Bundesländern, teilweise aufbereitet und zusammengefasst, zur Verfügung. Aber auch hier ist nicht klar, wie viele Einrichtungen dies tun, wie genau sie die Daten aufbereiten und wie sie dann in den Kantonen, Bundesländern und Bibliotheken selber genutzt werden.

Die schon genannten Artikel in den Büchereiperspektiven, in denen auch immer Aussagen über erkennbare Trends gemacht werden, werden seit 2020 durch einen Bericht zur Lage der Bibliotheken in Deutschland ergänzt, welcher ebenso jährlich vom Deutschen Bibliotheksverband publiziert wird. (dbv o.J.) In diesem Bericht werden ausgewählte Zahlen aus der Bibliotheksstatistik mit bibliothekspolitischen Forderungen verbunden. Es ist also nicht so, als würden die in den Statistiken erhobenen Daten gar nicht genutzt.

Gleichzeitig ist aber klar, dass die Bibliotheksstatistiken noch mehr Potentiale haben. Gerade in der Forschung über Bibliotheken könnten sie oft verwendet werden. Allerdings scheint dies kaum der Fall zu sein. Nur wenige publizierte Artikel verwenden diese Daten. Auch in Abschlussarbeiten scheinen sie kaum eine Basis darzustellen.4 Statistische Modelle gar, welche nach möglichen Zusammenhängen in den Daten oder zwischen diesen und anderen Daten (beispielsweise demographischen Daten aus den Gemeinden oder solchen über die Zahl von Studierenden in Hochschulen und den Daten der jeweiligen Hochschulbibliotheken) fragen, scheint es gar nicht zu geben.

Der folgende Text soll einen Schritt dahin machen, die Daten der Bibliotheksstatistiken mehr für die Bibliotheksforschung zu nutzen. Es geht hier darum zu schauen, was mit diesen Daten möglich wäre – nicht darum, schon eindeutige Aussagen zu machen oder gar ein abgesichertes statistisches Modell vorzulegen. Er sollte vielmehr als ein erstes Ausprobieren gelesen werden, bei dem die Daten mit einem etwas weiter gefassten Fokus angeschaut werden. Dieses Testen soll vor allem andere motivieren, sich mit den Daten aus den Bibliotheksstatistiken zu befassen.

2. BiblioCheck – Ein Dashboard für allgemein öffentliche Bibliotheken der Schweiz

Die hier verwendeten Daten stammen aus einem Entwicklungsprojekt, welches vom Autor und seinem Kollegen an der FH Graubünden durchgeführt wurde, in dessen Ergebnis das Dashboard «BiblioCheck» entwickelt wurde. In diesem Text dargestellt sind hauptsächlich weitergehende Überlegungen, die währenddessen entstanden, auch wenn sie nicht in das im Projekt erstellte Dashboard integriert wurden. In diesem Kapitel wird aber für den Gesamtkontext das Projekt vorgestellt (2.1), dann auf die Datenqualität eingegangen (2.2) und abschliessend einige Ergebnisse, die direkt im Dashboard sichtbar sind, gezeigt (2.3). Darauf aufbauend wird dann im nächsten Kapitel (3) auf weitere Potentiale bei der Auswertung der Daten eingegangen.

2.1 Das Dashboard

Frage des Entwicklungsprojektes, welches Ende 2023 bis Anfang 2024 durchgeführt wurde, war, ob die Daten über allgemein öffentliche Bibliotheken der Schweiz so dargestellt werden können, dass es den einzelnen Bibliotheken möglich wird, eine bessere Übersicht über ihre eigene «Position» zu erlangen. Ein Grund dafür war die Erfahrung aus anderen Projekten, dass solche Bibliotheken diese Daten praktisch nicht benutzten und oft auch deren Darstellung als Exceldatei unübersichtlich fanden.

Das Projekt umfasste auch einige Analysen der Daten sowie Recherchen und Versuche mit Darstellungsmöglichkeiten, die selbstverständlich nicht immer erfolgreich waren. Hier wird nicht dieser gesamte Ablauf, sondern nur das Ergebnis, das Dashboard «BiblioCheck», vorgestellt.

Grundlage des Dashboards sind die Daten der schweizerischen Bibliotheksstatistik sowie eine kleine Anzahl von weiteren Daten, die ebenso vom BfS stammen. Aufbereitet wurden die Daten allesamt mit der Statistiksprache R und dann mithilfe der ebenfalls in R programmierbaren Webapp Shiny dargestellt.

Die Aufbereitung geschah in folgenden Schritten:

  • Zuerst wurden die Daten der Bibliotheksstatistik transformiert. Ausgewählt wurden nur die Bibliotheken, die angaben, allgemein öffentliche Bibliotheken zu sein. Dann wurden die Variablen ausgewählt, welche für einen Vergleich zwischen allgemein öffentlichen Bibliotheken sinnvoll sind. So wurden zum Beispiel Angaben zu Datenbanken und Datenbanknutzung nicht berücksichtigt, weil diese nur in sehr wenigen dieser Bibliotheken überhaupt angeboten werden.5 Um die weitere Verarbeitung zu vereinfachen, wurde die Struktur der Exceldatei mit je einem Datenblatt pro Jahr aufgelöst, um einen vollständigen Datensatz zu bilden, der jetzt für jede Variable und Bibliothek je eine Angabe pro Jahr enthält. Dies machte die weitere Verarbeitung einfacher.

  • Zudem wurden – um in Zukunft unter Umständen Vergleiche mit Daten aus anderen Bibliotheksstatistiken zu ermöglichen – die Namen der Variablen, die in der schweizerischen Statistik alle in Deutsch gehalten sind, ins Englische übersetzt. (Deshalb sind sie es auch in den weiter unten dargestellten Auswertungen.)

  • Aus zwei anderen Dateien wurden Daten pro Gemeinde ergänzt: Je Gemeinde die Zahl der Einwohner*innen für die Jahre 2020 und 2021 (ab 2022 werden diese Daten in der Bibliotheksstatistik selbst mitgeliefert) und die Zuordnung der Gemeinde zu den Siedlungstypen städtisch, Agglomeration6 oder ländlicher Raum.

  • Weiterhin wurden einige Werte, die sich auf die Zahl der Einwohner*innen der jeweiligen Bibliotheksgemeinde beziehen (Ausleihen pro Einwohner*in, Etat pro Einwohner*in) und der Umsatz der physischen Medien pro Bibliothek und Jahr errechnet.7

  • All diese Transformationen und Berechnungen fanden in R statt. Das dafür verwendete Skript exportierte am Ende den gesamten Datensatz wieder in eine Exceldatei mit nur einem Datenblatt.8 Diese Daten werden für das Dashboard und auch die hier weiter unten geschilderten Analysen genutzt. Grundsätzlich ist in dieser Datei pro Bibliothek eine Zeile vorhanden, in der zuerst grundlegende Angaben (Gemeinde, Name der Bibliothek, Kanton) stehen und dann die einzelnen Werte pro Variable und Jahr. Solange das Bundesamt für Statistik die Datenstruktur der Bibliotheksstatistik nicht verändert, kann das Skript auch in späteren Jahren verwendet werden.9

Das Dashboard, welches für diese Daten erstellt wurde, ermöglicht zwei Zugriffe:

  • Für jede Bibliothek im Datensatz lässt sich für jede der unterschiedlichen Variablen ein Vergleich mit zehn ähnlichen Bibliotheken anstellen. Diese ähnlichen Bibliotheken werden nach der Anzahl der Einwohner*innen der jeweiligen Gemeinde ausgewählt: Es sind, ausgehend von der gewählten Bibliothek, die jeweils fünf grösseren und fünf kleineren Gemeinden mit einer allgemein öffentlichen Bibliothek.10 Dieser Vergleich liefert dann die Werte der gewählten Variable für alle Jahre in drei Darstellungsvarianten: als Liniendiagramm, als Boxplot und in Tabellenform. Alle drei Darstellungen lassen sich herunterladen, die beiden Diagramme lassen sich in der Webversion auch skalieren.

  • Die Daten werden pro Variable ebenfalls als Boxplot dargestellt und zwar einmal für die gesamte Schweiz und dann nochmal aufgeteilt in die drei Siedlungstypen. Zudem werden sie in einer Tabelle dargestellt, die auch durchsucht werden kann, also in der zum Beispiel nur die Bibliotheken eines Kantons ausgewählt oder die Breite von Werten eingeschränkt werden kann. Man kann also beispielsweise nur die 33 Bibliotheken anzeigen, die im Jahr 2024 zwischen 200 und 500 Veranstaltungen angeboten haben. Auch diese Darstellungen lassen sich herunterladen.

Abbildung 1: Beispiel aus dem Dashboard. Als Liniendiagramm dargestellt wird hier die Zahl der Veranstaltungen, welche in der Stadtbibliothek Chur in den Jahren 2020 bis 2023 durchgeführt wurden (dargestellt durch die orange Linie, im Vergleich mit den zehn vergleichbaren Bibliotheken).

Das Dashboard ist frei zugänglich im Netz verfügbar (https://bibliocheck.fhgr.ch gehostet bei der Fachhochschule Graubünden) und seine Existenz ist im schweizerischen Bibliothekswesen bekannt gemacht worden. (Schuldt & Schulze 2024)

2.2 Datenqualität

Die Aussagekraft der Daten im Dashboard und weiterer Analysen, die mit diesen Daten durchgeführt werden, hängt selbstverständlich von der Datenqualität der Bibliotheksstatistik ab. Diese Daten werden von den Bibliotheken selber geliefert. Das BfS scheint formelle Kontrollen durchzuführen, auch wenn diese nicht öffentlich dokumentiert sind.11

Dennoch ist bei einem genaueren Blick in die Daten sichtbar, dass deren Qualität nicht perfekt ist.

  • Eine ganze Anzahl von Werten scheint eher auf Schätzungen zu beruhen als auf genauen Zählungen. So finden sich Werte, die über Jahre immer in Potenzen von Zehnern oder Hunderten ausgedrückt werden. Oder aber, Werte, bei denen immer gewisse Veränderungen zu erwarten wären (also nicht die Arbeitsplätze oder der Etat, die tatsächlich über längere Zeit gleich bleiben können), sind bei einigen Bibliotheken über Jahre konstant.

  • Es scheint auch, als ob Bibliotheken sich nicht genau an die Definitionen für die Variablen (Bundesamt für Statistik 2024) halten. Auch dabei ist zu vermuten, dass dies nicht absichtlich geschieht, aber es führt zu Inkonsistenzen. Ein offensichtliches Beispiel ist, dass es in der Schweiz eine ganze Anzahl von Bibliotheken gibt, welche gleichzeitig die Aufgaben mehrerer Bibliothekstypen wahrnehmen. In der Statistik sollten diese Bibliotheken alle diese Bibliothekstypen angeben, aber sie tun es nicht immer. Schnell sichtbar wird dies bei den Kantonsbibliotheken, welche gleichzeitig die Stadtbibliotheken der jeweiligen Hauptorte sind. (Das sind die Kantonsbibliotheken in Basel-Landschaft, Thurgau, Uri, Glarus, Obwalden, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn und Zug.) In der Statistik verzeichnen sie sich aber alle nur als Kantonsbibliotheken. Durch die automatische Bearbeitung der Daten sind diese Bibliotheken – jeweils die grössten allgemein öffentlichen Bibliotheken in ihrem Kanton – jetzt nicht im Dashboard enthalten. Dies gilt aber auch umgekehrt für andere Bibliotheken, die offenbar die Bezeichnung «öffentlich» missverstehen. Eine ganze Anzahl von Spezialbibliotheken, die sich wohl als «nicht wissenschaftlich» verstehen, bezeichnet sich als «öffentlich». (Diese werden bei der Bearbeitung automatisch aus dem Datensatz entfernt.12)

Eine weitere Herausforderung ist – wie bei allen Bibliotheksstatistiken –, dass die Vielfältigkeit der Bibliotheken vor Ort sich nie ganz mit der Statistik deckt. Leicht sichtbar ist dies wieder daran, dass viele Bibliotheken Aufgaben verschiedener Einrichtungen übernehmen, ohne dass klar ist, wie diese Aufgaben in die Statistik «eingerechnet» werden könnten. Wie gesagt, bezeichnen sich die neun Kantonsbibliotheken, die auch allgemein öffentliche Bibliotheken sind, bislang nur als Kantonsbibliotheken. Aber falls sie sich in Zukunft beiden Bibliothekstypen zuordnen, wird nicht klar sein, ob – und wenn ja, wie – sie diese Funktionen in der Statistik aufteilen können. Könnten Sie zum Beispiel die Besuche der Stadtbibliothek und der Kantonsbibliothek trennen? Oder sollen sie den Bestandsetat nach Aufgaben aufteilen? Wenn nicht, liefern sie dann nicht Werte, die mit denen anderer Bibliotheken, welche nicht die Aufgabe haben, Literatur aus und über den Kanton zu erwerben, unvergleichbar sind?13

Das gleiche Problem stellt sich bei kombinierten Schul- und Gemeindebibliotheken, welche sich in der Schweiz recht oft finden und die – im Gegensatz zu reinen Schulbibliotheken, die als «nicht öffentlich zugänglich» gelten – an der Bibliotheksstatistik teilnehmen. Was genau ist deren «Schulbibliotheksfunktion», für die sie oft einen Budgetbeitrag von der Schule erhalten? Bislang soll dieser Wert nicht «herausgerechnet» werden, aber ob Bibliotheken dies nicht trotzdem irgendwie tun, ist ebenso unklar, wie der Effekt dieses «Hineinnehmens» der Werte in die Bibliotheksstatistik. Kann man diese kombinierten Bibliotheken wirklich fair mit «unkombinierten» allgemein öffentlichen Bibliotheken vergleichen? Neben der Schulbibliotheksfunktion stellt sich diese Frage auch für Ludotheken. Das sind in der Schweiz Einrichtungen, in denen Spielzeug für Kleinkinder verliehen wird. Ludotheken existieren praktisch in allen schweizerischen Gemeinden, in denen sich auch allgemein öffentliche Bibliotheken befinden. Oft sind das getrennte Organisationen, aber manchmal sind Bibliothek und Ludothek auch miteinander verbunden (beispielsweise in der Stadtbibliothek Chur, wo der Ludotheksteil geschätzt14 20 % der Gesamtfläche der Bibliothek einnimmt, also nicht zu vernachlässigen ist). Bislang zeigt sich dies überhaupt nicht in den Daten der Bibliotheksstatistik, obgleich es wohl Einfluss auf das Budget, die Nutzer*innenstruktur und die Raumnutzung hat. Mit Wissen über die konkreten Bibliotheken und lokalen Situationen lassen sich zahlreiche weitere solche Grenzfälle und Fragen benennen.

Ein weiteres Problem ist, dass in der Schweiz eine ganze Anzahl von Gemeinden zusammen eine allgemein öffentliche Bibliothek betreiben, ohne dass dies in den Daten der Bibliotheksstatistik irgendwie sichtbar wäre. Manchmal lässt sich dies aus den Namen der Bibliotheken schliessen, beispielsweise bei der Bibliothek Rorschach-Rorschacherberg, die für beide eigenständigen Gemeinden, die in ihrem Namen genannt werden, zuständig ist. Oft funktioniert dies aber auch nicht, beispielsweise bei den Bibliotheken von Gemeinden um die Stadt Bern herum, die von den Kornhausbibliotheken Bern (Stadt Bern) im Auftrag der Gemeinden als Standorte geführt werden (Bremgarten, Ittigen, Münchenbuchsee, Münsingen, Gümlingen, Ostermundigen – mit Ludothek –, Hinterkappelen, Urtenen-Schönbühl, Worb und Zollikofen), aber in der Bibliotheksstatistik nur unter den Kornhausbibliotheken Bern geführt werden. Gerade weil sich eine Anzahl von bibliothekarischen Kennziffern auf die Gesamtzahl der Einwohner*innen im Umfeld der jeweiligen Bibliothek bezieht, führt dies zu Verzerrungen.15

Zusammengefasst sind die Daten der Bibliotheksstatistik in sich schlüssig, enthalten keine grundsätzlichen Fehler, aber sie bilden nicht die gesamte Realität der Bibliotheken ab. Zudem sind sie an Stellen ungenau.16 Alle Darstellungen, Vergleiche und Auswertungen müssen dies beachten: Die Daten sind Annäherungen an die Realität, die allgemeine Trends zeigen. Allerdings handelt es sich jetzt auch um Daten aus 622 unterschiedlichen Bibliotheken. Diese Zahl erlaubt zu vermuten, dass einzelne Fehler oder Ausnahmen keinen zu gross verzerrenden Einfluss haben.

Das Dashboard «BiblioCheck» ist frei zugänglich. Rückmeldungen aus Bibliotheken zeigen auch, dass daran ein Interesse besteht. Was genau die Bibliotheken mit den Daten über sich selber tun, ist aber nicht klar.

In diesem Abschnitt besprochen werden nicht diese Werte für einzelne Bibliotheken, sondern nur die übergreifenden Trends, welche sich durch die Zusammenfassung der Daten für die ganze Schweiz und über die vier Jahre von 2020 bis 2023 zeigen. Sicherlich: Die Jahre 2020 bis mindestens 2021 waren Jahre, die grösstenteils durch die COVID-19 Pandemie geprägt waren. Dies hatte wohl auch Einfluss auf die Nutzung von Bibliotheken. Insoweit sind viele der Trends, die sich in den Daten zeigen, mit Vorsicht zu geniessen. Besser wäre es, Daten von mindestens drei «normalen» Jahren zu haben. Diese werden aber erst – solange nicht weitere vergleichbare Ereignisse wie die genannte Pandemie auftreten – Ende des Jahres 2025 vorliegen (wenn man davon ausgeht, dass 2022 ein «normales» Jahr war). Dennoch sind aus den Daten einige Trends sichtbar.

Die Bibliotheken, oder zumindest fast alle in der Bibliotheksstatistik betrachteten Variablen, entwickeln sich stetig, wenn auch langsam, in eine «gute Richtung». Das heisst, solche Werte wie die Besuche, die aktiven Nutzer*innen, die Öffnungszeiten pro Woche, der Bestand, die Anzahl der Arbeitsplätze, die geleisteten Arbeitsstunden des Personals, aber auch der gesamte Etat oder der Etat pro Einwohner*in steigen kontinuierlich leicht an. Das allgemein öffentliche Bibliothekswesen in der Schweiz scheint recht gut aufgestellt zu sein. Das schliesst selbstverständlich gegenläufige Entwicklungen in Einzelfällen nicht aus. Aber im Ganzen scheint das, was die Bibliotheken tun, in ihrem jeweiligen lokalen Rahmen gut zu funktionieren.

Dieser Anstieg der Werte erfolgt nicht sprunghaft, sondern in einer stetigen, langsamen Entwicklung, die für einzelne Variablen auch teilweise leichte Rückschritte enthält, welche sich dann im folgenden Jahr wieder ausgleichen. Ein Beispiel dafür sind die Ausleihen pro Bibliothek, deren Median (das gewichtete Mittel pro Daten)17 sich wie folgt entwickelte:

Jahr Wert (Median Ausleihe)
2020 18.775
2021 19.256
2022 18.440
2023 20.309
Tabelle 1: Median der Ausleihen pro Bibliothek

Der einzige Wert, welcher dieser Entwicklung einigermassen entgegensteht, ist der Umsatz der Medien, welcher angibt, wie oft ein Medium pro Jahr entliehen wurde. 2020 war dieser 2.0, erhöhte sich dann für 2021 und 2022 auf 2.2, um 2023 wieder auf 2.0 zu fallen – oder der, anders interpretiert, praktisch stagniert. Aber: Es gibt keine Vergleichswerte dazu, was ein guter oder schlechter Umsatz wäre, sondern immer nur geschätzte Angaben. Ein zu kleiner Umsatz soll zeigen, dass eine Bibliothek viele Medien hält, die kaum von Interesse für ihre Nutzer*innen sind – was im Falle der allgemein öffentlichen Bibliotheken als problematisch gilt, in anderen Bibliotheken mit Sammlungen oder speziellen Beständen für sehr spezifische Nutzer*innengruppen nicht unbedingt –, während ein zu grosser Umsatz zeige, dass die Bibliothek zu wenige Medien hält, für die ein grosses Interesse existiert. Das führe zum schnellen Abnutzen dieser Medien und langen Wartezeiten für die interessierten Nutzer*innen. Die Richtlinien, welche der schweizerische Bibliotheksverband bibliosuisse herausgibt – allerdings ohne anzugeben, wie die dort enthaltenen Zahlen zustande kommen – gibt für den Umsatz, den Bibliotheken erreichen sollten, einen Wert von 3.5 an. (Vergleiche bibliosuisse 2020: 27) Diesen Wert erreichen oder überschreiten aber nur 85 der 622 Bibliotheken, die im Dashboard ausgewertet sind. Für den Bibliotheksverband könnte dies als Motivation gelten, diese Kennzahl bei der Fortschreibung der Richtlinien genauer zu diskutieren: Ist sie unrealistisch, weil sie von den meisten Bibliotheken nicht erreicht wird? Oder ist das Bestandsmanagement in den schweizerischen Bibliotheken nicht effektiv genug?

Durch die Aufteilung der Daten in die drei räumlichen Typen städtischer Raum, Agglomeration und ländlicher Raum ist im Dashboard sichtbar, dass es zwar erkennbare Unterschiede zwischen diesen drei Gruppen gibt, aber dass die grundlegenden Tendenzen für sie alle zutreffen. Es ist zum Beispiel nicht so, dass es nur in städtischen Bibliotheken Veranstaltungen gibt oder einen steigenden Etat nur in Bibliotheken im ländlichen Raum. Vielmehr sind die Unterschiede zwischen den Daten gut durch die unterschiedlichen Ressourcen in den verschieden grossen Gemeinden zu erklären. Dass zum Beispiel die durchschnittlichen Öffnungszeiten in städtischen Bibliotheken (Median 2023: 22 Stunden / Woche) höher sind, als in der Agglomeration (13 Stunden / Woche) oder im ländlichen Raum (7 Stunden / Woche) ist zu erwarten, da die Bibliotheken tendenziell auch jeweils grösser und besser mit Ressourcen ausgestattet sind, je grösser die Gemeinden selber sind. Gleichzeitig deuten die Daten für alle Raumtypen darauf hin, dass die Öffnungszeiten langsam, aber doch stetig erhöht werden. Was als bibliothekspolitisches Thema zu diskutieren wäre, ist, ob die Unterschiede zwischen diesen Räumen gewollt und tragbar sind – oder ob sie vielleicht ausgeglichen werden müssten. Die Daten für die Bibliotheken zeigen vor allem, dass sich in ihnen auch die unterschiedlichen Ressourcen, welche Gemeinden in der Schweiz zur Verfügung stehen, zeigen.

Abbildung 2: Beispiel aus dem Dashboard. Die Verteilung der durchschnittlichen Öffnungszeiten pro Woche in den drei unterschiedlichen Räumen. Zu beachten sind die unterschiedlichen Skalen der drei Boxplots.

3. Weitere Auswertungen

Die bislang dargestellten Ergebnisse sind direkt im Dashboard sichtbar. Allerdings erlauben die Daten (immer mit den Einschränkungen, die in Abschnitt 2.2 diskutiert wurden) weitere Auswertungen. Da es bislang keine richtige Diskussion darüber gibt, welche Fragen mit Daten aus der Bibliotheksstatistik beantwortet werden könnten, ist es auch nicht wirklich möglich, hier an solche Diskussionen anzuschliessen. Allerdings: Diese Fragen zu erarbeiten und zu begründen, würde eines eigenen Beitrags bedürfen. Was in diesem Kapitel stattdessen getan werden soll, ist, einige Möglichkeiten der Datenanalyse zu zeigen, die recht einfach mithilfe von R umsetzbar sind.18

Die Darstellung der Daten in Liniendiagrammen, Boxplots und Tabellen, wie sie im Dashboard angeboten werden, ist dabei selbstverständlich nur eine Auswahl von Darstellungsmöglichkeiten. Daten lassen sich bekanntlich auf sehr unterschiedliche Weise präsentieren. Die Frage ist immer, was solche Darstellungen ermöglichen sollen.

Beispielsweise haben mehrere Kolleg*innen dem Autor vorgeschlagen, die Daten im Dashboard auch auf einer Karte der Schweiz abzubilden. Das wäre möglich, aber es wäre nicht klar, was damit erreicht würde. Die Karte würde dann eigentlich nur zeigen, dass dort, wo viele Menschen wohnen, auch viele Bibliotheken existieren. In dünnbesiedelten Gebieten, in der Schweiz vor allem in den Bergregionen, würden sich weniger Bibliotheken finden, die je mit weniger Ressourcen ausgestattet sind. Aber welche Erkenntnisse sollten daraus gezogen werden? Sicherlich könnten die Daten auf so einer Karte auch nach «Erfüllungsgraden» ausgewertet werden, wie dies für Österreich in der Büchereilandkarte Österreich vom Büchereiverband Österreich und dem Bundeskanzleramt getan wird. (bvoe 2023) Dort aber geschieht dies auf der Grundlage von bibliothekspolitisch erarbeiteten Zielstandards, die in der Schweiz nicht existieren.

3.1 Verteilungen

Eine andere Darstellungsform, welche sich anbietet, ist die nach Kantonen. Kantone sind in der Schweiz nicht nur politische Einheiten, die teilweise Infrastrukturen für allgemein öffentliche Bibliotheken unterhalten, sondern sie gelten gleichzeitig als identitätsstiftend für die lokale Gesellschaft. Es wäre also interessant zu schauen, ob sich bei einer Darstellung der Daten auf Kantonsebene Unterschiede zeigen, die sich nicht auf andere Weise erklären lassen (also vor allem nicht aus der Anzahl und Grösse der Gemeinden im jeweiligen Kanton).

In Abbildung 3 und 4 ist dies unternommen worden, einmal für den Etat pro Einwohner*in im Jahr 2023 (Daten, die von 0 bis 180 CHF gestreut sind) und einmal für die Besuche von Veranstaltungen im gleichen Jahr (Daten, die von 0 bis 61.235 streuen).19

Abbildung 3: Verteilung der Daten für den Etat pro Einwohner*in, 2023, nach Kantonen. Die einzelnen Punkte stellen jeweils eine Wert – also eine Bibliothek – dar.
Abbildung 4: Verteilung der Daten für die Besuche von Veranstaltungen, 2023, nach Kantonen. Die einzelnen Punkte stellen jeweils eine Wert – also eine Bibliothek – dar.

Was lässt sich nun aus so einer Darstellung lesen? Zuerst wohl, dass sich die Struktur der Schweiz in einige grosse und viele kleine Gemeinden auch in den Daten zeigt. Dies ist in Abbildung 4 noch besser zu sehen als in Abbildung 3. Hier zeigen nach rechts verschobene Punkte immer grosse Gemeinden an (im Kanton Zürich beispielsweise Zürich und Winterthur, im Kanton Bern die Stadt Bern). Grundsätzlich zeigen sich in allen Kantonen, die eine herausragend grosse Gemeinde haben (unter anderem Chur im Kanton Graubünden), diese Gemeinden in der Abbildung auch mit eindeutig mehr Besuchen von Veranstaltungen. Der Grossteil der Bibliotheken findet sich in dieser Darstellung aber links «am Rand», also mit einer vergleichbaren Zahl von Besuchen. Wenn diese Darstellungen eines sichtbar machen, dann, dass die meisten Bibliotheken in der Schweiz eher klein sind, dafür aber auch einigermassen vergleichbare Ergebnisse haben.

Abbildung 3 zeigt aber auch, dass sich der Etat pro Einwohner*in viel weiter «streut», als die Arbeitsergebnisse der Bibliotheken, für die hier Abbildung 4 steht.20 Zudem zeigten sich auch einige ohne Kontextwissen unerklärliche Werte. Der Punkt ganz rechts ist zum Beispiel der Wert der Bibliothek Vitznau im Kanton Luzern. Der Kanton ist eher als «sparsam» bekannt (im Gegensatz zu den französischsprachigen Kantonen und den «Stadtkantonen», die von einer Grossstadt dominiert werden). Es wäre erstaunlich, wenn gerade diese Gemeinde überdurchschnittlich viel Geld für ihre Bibliothek zahlt. Wenn es sich nicht um einen Fehler bei der Eingabe der Daten handelt, ist eher zu vermuten, dass die Bibliothek Geld von weiteren Gemeinden erhält, damit deren Bewohner*innen auch die Bibliothek nutzen können. Sieht man aber von diesen Extremwerten ab, zeigt die Darstellung vor allem, dass den Bibliotheken zwar unterschiedlich viel Etat pro Einwohner*in zur Verfügung steht, aber dass diese Unterschiede auch nicht sehr gross sind.

Solche Darstellungen lassen sich selbstverständlich auch für andere Gruppen erstellen. Für die drei Raumtypen städtisch, Agglomeration und ländlich ist dies einmal für die gleichen zwei Variablen wie eben vorgenommen worden.

Abbildung 5: Verteilung der Daten für den Etat pro Einwohner*in, 2023, nach Raumtypen. Die einzelnen Punkte stellen jeweils eine Wert – also eine Bibliothek – dar.
Abbildung 6: Verteilung der Daten für die Besuche von Veranstaltungen, 2023, nach Raumtypen. Die einzelnen Punkte stellen jeweils eine Wert – also eine Bibliothek – dar.

Auch dies zeigt Ergebnisse, die nach den bisherigen Darstellungen zu erwarten sind: Bibliotheken in Städten haben tendenziell mehr Besuche von Veranstaltungen als solche in der Agglomeration und auf dem Land. Gleichzeitig stechen immer einige Bibliotheken als besonders aktiv heraus, während der Grossteil der Bibliotheken eher ähnliche Ergebnisse hat. Der Etat pro Einwohner*in hingegen verteilt sich einheitlicher über die drei Raumtypen.

3.2 Beschreibende Statistik

Eine weitere Form, Daten darzustellen, ist die beschreibende Statistik. Damit erarbeitet man noch kein statistisches Modell, mit welchem versucht werden könnte, den Einfluss von Variablen aufeinander zu bestimmen. Dafür wären wieder weitere Vorarbeiten notwendig. Was hingegen mit beschreibender Statistik möglich ist, ist zu bestimmen, ob es einen direkt zu beobachtenden Unterschied zwischen verschiedenen Gruppen (hier von Bibliotheken) gibt.

Um zu verdeutlichen, was damit untersucht werden könnte, sollen wieder zwei Beispiele geliefert werden.21 In der folgenden Tabelle sind, wieder für 2023, die Unterschiede zwischen den Bibliotheken in den drei Raumtypen dargestellt.

Zu lesen ist die Tabelle wie folgt: In der ersten Spalte sind die jeweiligen Variablen genannt, in der zweiten Spalte Werte für alle Bibliotheken, gefolgt von drei Spalten mit den Werten für die Bibliotheken in den drei Raumtypen. Die letzte Spalte gibt einen p-Wert für die Entwicklungstendenz über die drei Raumtypen wieder. Die Werte in der zweiten Zeile geben jeweils die Anzahl der Bibliotheken an. Zu sehen ist zum Beispiel, dass die meisten Bibliotheken in Städten zu finden sind (226) und die wenigsten im ländlichen Raum (182). Die Werte in den restlichen Zeilen für alle Bibliotheken und die Raumtypen geben jeweils den Median für die jeweilige Variable, auf die sich die Zeile bezieht, an und dann in eckigen Klammern die Spannweite zwischen dem zweiten und dritten Quartil. Das bedeutet, dass sich die Werte der 50 % «durchschnittlichen» Bibliotheken zwischen den Werten in den Klammern befinden, während die 25 % niedrigsten und höchsten Werte darunter oder darüber liegen. Wird eine 0 angegeben – beispielsweise bei «Number visits 2023» – heisst dies, dass ein Grossteil der Bibliotheken (über 25 %) einen Wert von 0 eingegeben haben (was in diesem Fall unglaubwürdig ist und wohl eher zeigt, dass bislang viele Bibliotheken ihre Besucher*innen nicht zählen).

Am interessantesten ist der p-Wert in der letzten Spalte. p-Werte geben immer eine Signifikanz zur Nullhypothese an (die in diesem Fall lautet, dass zwischen den drei miteinander verglichenen Gruppen keine Unterschiede bestehen). Je kleiner dieser Wert ist, desto eher stimmt diese Nullhypothese nicht. Oder, in unserem Fall: Je kleiner der p-Wert, umso eher zeigt sich in den Daten, dass der Raumtyp einen Einfluss auf die Werte der Bibliotheken hat. Allerdings: Was ein signifikanter Wert ist – also ab wann man davon ausgeht, dass ein gut begründeter Zusammenhang besteht – unterscheidet sich von Disziplin zu Disziplin und von Fragestellung zu Fragestellung. Die p-Werte in dieser Tabelle erscheinen fast durchgängig klein zu sein, also anders gesagt darauf hinzuweisen, dass der Raumtyp einen massiven Einfluss darauf hat, wie die Bibliotheken ausgestattet sind und welche Ergebnisse sie erreichen. Aber: Heisst das tatsächlich, dass der Einfluss des Raumtyps auf die Bibliotheken begründet – also in gewisser Weise als «bewiesen» – angesehen werden kann? (Immerhin zeigen sich ähnliche p-Werte auch für die drei anderen Jahre, für die Daten vorliegen.) Ist die Datensammlung aus 622 Bibliotheken überhaupt gross genug für eine solche Aussage? Und selbst wenn ja, heisst das einfach, dass Bibliotheken im ländlichen Raum der Schweiz einfach strukturell immer «abgehängt» sein werden? Ohne weitere Vergleiche und klare Zielbestimmungen ist es nicht wirklich möglich, dazu Aussagen zu treffen.22

[ALL] Städtisch Agglomeration Ländlich p.overall
N=622 N=226 N=214 N=182
Number visits 2023 3610 [0.00;16607] 13242 [0.00;32892] 3912 [0.00;13004] 1378 [0.00;3698] <0.001
Users 2023 758 [339;1451] 1438 [760;2678] 772 [414;1323] 332 [154;566] <0.001
Permanent staff 2023 4.00 [3.00;5.00] 5.00 [3.00;7.00] 4.00 [3.00;5.00] 3.00 [2.00;4.00] <0.001
Permanent staff percentages 2023 0.80 [0.30;1.60] 1.65 [0.86;2.70] 0.85 [0.40;1.30] 0.30 [0.10;0.60] <0.001
Volunteer staff 2023 0.00 [0.00;0.00] 0.00 [0.00;1.00] 0.00 [0.00;0.00] 0.00 [0.00;1.00] 0.02
Opening hours per week 2023 13.0 [8.00;25.0] 22.0 [12.2;35.0] 13.0 [9.00;21.0] 7.00 [4.00;10.8] <0.001
Budget 2023 68734 [17858;193870] 191770 [58102;437138] 78022 [22599;172581] 26128 [6235;51812] <0.001
Media budget 2023 14401 [7000;28072] 31056 [15336;54960] 15000 [8767;23817] 7012 [3042;11550] <0.001
Collection physical 2023 10285 [6616;16634] 16696 [11762;26640] 10273 [7698;14049] 6208 [4205;8609] <0.001
Collection digital 2023 14252 [0.00;34918] 17270 [9305;34918] 17270 [0.00;34918] 0.00 [0.00;24784] <0.001
Seats 2023 8.00 [1.00;20.0] 14.5 [5.00;28.0] 9.00 [1.00;17.0] 2.50 [1.00;10.0] <0.001
Number events 2023 23.0 [7.00;58.8] 43.0 [18.0;116] 20.0 [8.00;49.5] 10.0 [3.00;26.0] <0.001
Number of loans 2023 20362 [8836;43386] 44835 [21094;76076] 22483 [13211;37602] 7509 [2694;14326] <0.001
Usage of ebooks 2023 144 [0.00;3172] 2724 [0.00;6896] 66.5 [0.00;2610] 0.00 [0.00;354] <0.001
Visitors events 2023 259 [0.00;828] 575 [7.00;1736] 238 [0.00;759] 120 [0.00;385] <0.001
Turnover 2023 2.00 [1.20;2.80] 2.50 [1.60;3.30] 2.20 [1.40;3.00] 1.30 [0.70;1.90] <0.001
Budget per Inhabitant 2023 18.4 [6.90;29.8] 20.8 [9.30;33.8] 19.2 [7.10;31.1] 14.7 [5.70;24.1] 0
Percent Active Users 2023 15.9 [10.2;23.2] 14.6 [9.50;19.6] 17.0 [11.6;25.6] 16.5 [9.80;25.0] 0
Tabelle 2: Vergleich der Variablen von Bibliotheken in den drei Raumtypen

Trotzdem soll hier noch eine weitere Vergleichstabelle dargestellt werden. In der Schweiz gibt es eine Anzahl von Kantonen, die eigene Bibliotheksgesetze haben (Luzern, Schwyz, St. Gallen), daneben eine Anzahl von Kantonen, die zwar keine eigenen Bibliotheksgesetze haben, aber Bibliotheken in anderen Gesetzen «mitregeln» oder aber Verordnungen über Bibliotheken erlassen haben (Zürich, Bern, Graubünden, Aargau, Thurgau, Jura). Die anderen Kantone haben keine solchen Regeln. Man könnte vermuten, dass solche gesetzlichen Regelungen auch einen Einfluss auf die Ressourcen haben, die Bibliotheken zur Verfügung gestellt werden und damit auch auf die Ergebnisse der Bibliotheken. Solch eine Vermutung lässt sich nun recht einfach anhand der vorliegenden Daten überprüfen, wie in Tabelle 3 dargestellt. Die drei Gruppen, die hier überprüft werden, sind die Kantone mit Bibliotheksgesetz («Yes»), mit anderen gesetzlichen oder gesetzesähnlichen Regelungen über Bibliotheken («Bylaw») und die ohne solche Regelungen («No»).

[ALL] Yes Bylaw No p.overall
N=622 N=77 N=341 N=204
Number visits 2023 3610 [0.00;16607] 1045 [0.00;17646] 5106 [520;17600] 1790 [0.00;11275] <0.001
Users 2023 758 [339;1451] 1056 [462;1835] 759 [371;1383] 650 [281;1448] 0.02
Permanent staff 2023 4.00 [3.00;5.00] 5.00 [4.00;6.00] 4.00 [3.00;5.00] 3.00 [2.00;5.00] <0.001
Permanent staff percentages 2023 0.80 [0.30;1.60] 0.84 [0.35;1.90] 0.84 [0.30;1.60] 0.71 [0.20;1.59] 0.45
Volunteer staff 2023 0.00 [0.00;0.00] 0.00 [0.00;0.00] 0.00 [0.00;0.00] 0.00 [0.00;1.00] 0.1
Opening hours per week 2023 13.0 [8.00;25.0] 15.0 [10.0;29.0] 12.0 [8.00;23.0] 12.0 [6.00;25.0] 0.09
Budget 2023 68734 [17858;193870] 84414 [31700;253202] 84053 [28300;211914] 34216 [450;136186] <0.001
Media budget 2023 14401 [7000;28072] 17081 [10412;36000] 15057 [7651;30167] 12546 [4856;22928] 0
Collection physical 2023 10285 [6616;16634] 11457 [7711;16904] 9753 [6395;14738] 11998 [6879;19960] 0.03
Collection digital 2023 14252 [0.00;34918] 19503 [0.00;34918] 26545 [11063;34918] 0.00 [0.00;9305] <0.001
Seats 2023 8.00 [1.00;20.0] 3.00 [1.00;19.0] 8.00 [2.00;20.0] 10.0 [1.00;20.0] 0.13
Number events 2023 23.0 [7.00;58.8] 17.0 [6.00;41.0] 21.0 [8.00;50.0] 28.0 [6.00;86.5] 0.11
Number of loans 2023 20362 [8836;43386] 24663 [13256;48991] 21319 [9206;43446] 18621 [6714;39745] 0.07
Usage of ebooks 2023 144 [0.00;3172] 3323 [849;5938] 1132 [0.00;3778] 0.00 [0.00;39.2] <0.001
Visitors events 2023 259 [0.00;828] 66.0 [0.00;600] 275 [32.0;680] 290 [0.00;1399] 0.01
Turnover 2023 2.00 [1.20;2.80] 2.50 [1.58;3.12] 2.20 [1.30;2.90] 1.60 [1.00;2.40] <0.001
Budget per Inhabitant 2023 18.4 [6.90;29.8] 16.9 [6.30;29.6] 20.4 [11.5;31.1] 12.8 [0.20;27.1] <0.001
Percent Active Users 2023 15.9 [10.2;23.2] 16.1 [10.1;23.7] 16.7 [11.7;23.4] 14.2 [8.78;22.6] 0.06
Tabelle 3: Vergleich der Variablen von Bibliotheken in den drei Gesetzeslagen

Die Daten in Tabelle 3 zeigen jetzt aber diesen erwartbaren Zusammenhang weniger, als den Zusammenhang zwischen den Raumtypen, wie er in Tabelle 2 dargestellt ist. Der p-Wert ist nur bei einigen Variablen in Tabelle 3 ähnlich klein, wie er es bei den meisten Variablen in Tabelle 2 ist. Diese Variablen scheinen auch die zu sein, welche durch gesetzliche Regelungen eher beeinflusst werden können: Budget, Personal oder der – bei allgemein öffentlichen Bibliotheken in der Schweiz eh oft über die Kantone oder Bibliotheksverbünde, nicht in den einzelnen Bibliotheken, geregelte – elektronische Bestand. Es scheint, dass mit gesetzlichen Regelungen vor allem auf diese Variablen Einfluss genommen wird. Oder aber, was auch eine mögliche Interpretation wäre, dass gesetzliche Regelungen vor allem in Kantonen etabliert sind, die eher darauf achten, dass die Bibliotheken einen ausreichenden Etat und Personal haben. (Einzig der Zusammenhang zwischen den Regelungen und der Zahl der Nutzer*innen, welcher sich auch in der Tabelle 3 zeigt, ist so nicht zu erklären.)

Was solche Vergleiche ermöglichen, ist überhaupt einmal direkt nach Zusammenhängen zu fragen. Zumeist werden diese im Bibliothekswesen eher implizit und kaum dokumentiert gemacht (beispielsweise in Reden auf Kongressen oder Gesprächen auf Apéros), also zum Beispiel beiläufig die Vermutung geäussert, dass Bibliotheken in Städten besser ausgestattet sind als auf dem Land oder dass Bibliotheksgesetze zu mehr Ressourcen für Bibliotheken führen. Aber diese Vermutungen – von denen es zahlreiche weitere gibt – sind kaum schriftlich dargelegt, begründet oder gar empirisch abgesichert. Wenn aber Daten für solche Vergleiche vorliegen, kann man nicht nur solche Vermutungen überprüfen, sondern auch Annahmen über die sichtbaren Zusammenhänge anstellen, also zum Beispiel zu klären versuchen, warum die gesetzlichen Regelungen einen Einfluss auf die Zahl der Bibliotheksbesuche haben, aber offenbar keinen auf die Zahl der Ausleihen oder die Besuche von Veranstaltungen.23

3.3 Korrelationen

Noch eine Möglichkeit, Daten auszuwerten, ist, die einzelnen Variablen miteinander in Korrelation zu setzen. Dabei geht es immer um die Frage, wie stark der Zusammenhang zwischen zwei Variablen ist – also in unserem Fall zum Beispiel, ob die Zahl der Ausleihen wächst, wenn die Zahl der Medien wächst oder ob die Höhe des Budgets sich auch bei der Anzahl der Arbeitsplätze zeigt. Man kann sich dies in einem Diagramm vorstellen, dessen x- und y-Achse jeweils eine der beiden miteinander verglichenen Variablen abbildet. Im Diagramm wird nun ein Punkt für jede Bibliothek eingetragen: Wenn auf der x-Achse das Budget und auf der y-Achse die Zahl der Arbeitsplätze abgetragen ist, dann wird der Punkt dort eingezeichnet, wo sich das Budget und die Zahl der Arbeitsplätze treffen. Wenn alle Punkte (also Werte der Bibliotheken) im Diagramm eingetragen sind, wird diejenige Linie durch das Diagramm gezogen, welche am besten die Verteilung dieser Punkte einfängt: Wenn es einen perfekten Zusammenhang gibt, also wenn in unserem Fall das Budget und die Zahl der Arbeitsplätze in einem direkten Zusammenhang stehen, dann müsste diese Linie perfekt in einem 90-Grad Winkel ansteigen. Wenn der Zusammenhang perfekt, aber negativ ist – also wenn zum Beispiel jeweils weniger Budget zu jeweils mehr Besuchen in einer Bibliothek führte –, dann müsste diese Linie genau anders herum gezogen sein. Bei anderen Korrelationen ist diese Linie in einem anderen Winkel abzutragen. Ausgedrückt werden Korrelationen durch Werte von 1 bis -1, wobei 1 heisst, dass die Korrelation perfekt positiv ist (also die Linie mit einem Anstieg von 90 Grad abgetragen werden kann) und -1, dass die Korrelation perfekt negativ ist. Je eher dieser Wert 0 ist, um so geringer ist die Korrelation – oder anders gesagt, um so weniger kann man von einem Zusammenhang zwischen den beiden Werten ausgehen.

Selbstverständlich kann eine positive oder negative Korrelation noch keine Erklärung sein – manche können sich zufällig ergeben oder aber durch einen anderen Zusammenhang erklärbar sein. Also beispielsweise könnte sich ein positiver Zusammenhang zwischen der Anzahl des Personals und der Anzahl der Medien in einer Bibliothek zeigen, der sich aber dadurch erklären liesse, dass beide vom Budget der Bibliothek abhängen. Aber erst, wenn wir die Korrelationen zwischen den Daten kennen, können wir überhaupt darüber nachdenken, wie sich die Werte aufeinander beziehen (und daraus zum Beispiel begründete bibliothekspolitische Forderungen ableiten).

In Abbildung 7 ist nun eine Korrelationstabelle mit den Daten aus dem Jahr 2023 dargestellt. Die Werte sind auch farblich gekennzeichnet – je höher sie sind (also je mehr 1), umso grüner sind sie. Negative Korrelationen (also in Richtung -1) sind in Rot dargestellt. In der Mitte jeder solcher Korrelationstabelle findet sich, wie auch in dieser, eine durchgehende Linie von 1.0-Werten, die entsteht, weil hier die Werte einer Variable mit sich selber in Korrelation gesetzt werden – also zum Beispiel gefragt wird, ob die Zahl der Nutzer*innen im gleichen Verhältnis steigt oder fällt, wie die Zahl der Nutzer*innen, was von Natur aus immer eine perfekte Korrelation von 1.0 hervorbringt.

Abbildung 7: Korrelationstabelle mit allen Variablen für die Daten von 2023, numerische Darstellung.

Was in dieser Tabelle sofort auffällt, sind zwei Dinge: Erstens gibt es keine negativen Korrelationen. Es gibt – zumindest unter den miteinander verglichenen Werten – keine Situation, wo ein Wert fällt, wenn ein anderer steigt. Zweitens fällt auf, dass der überwiegende Teil der positiven Korrelationen recht hoch ist – angezeigt durch Werte über 0.8 beziehungsweise durch ein dunkles Grün.

Man kann das (vorsichtig) so interpretieren, dass die Werte so eng miteinander korrelieren, weil die Arbeit der Bibliotheken im Allgemeinen gut auf die jeweiligen Ressourcen abgestimmt ist. Wenn zum Beispiel grundsätzlich die Zahl der Ausleihen grösser ist, wenn auch das Budget der Bibliothek grösser ist, heisst das wohl, dass alle Bibliotheken insgesamt mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Budget ungefähr so viele Ausleihen erreichen, wie es in diesem Rahmen jeweils möglich ist. Oder anders gesagt – dass es nicht viele besser oder schlechter funktionierende Bibliotheken gibt, sondern viele ähnlich gut funktionierende, die sich vor allem durch ihre Ressourcen unterscheiden.

Interessant ist auch, welche Korrelationen offenbar weniger stark sind. In Abbildung 8, in welcher die gleichen Werte noch einmal anders – nämlich als Punkte, die grüner und grösser sind, je höher die Korrelation ist (und die rot wären, wenn es negative Korrelationen gäbe) – dargestellt sind, werden diese «Ausnahmen» noch sichtbarer. Es ist die Anzahl ehrenamtlichen Personals, die Zahl der elektronischen Medien, der Etat pro Einwohner*in und der Anteil der Nutzer*innen an den Einwohner*innen der jeweiligen Gemeinden. Diese haben offenbar einen geringeren Einfluss auf die Ergebnisse der einzelnen Bibliotheken. Wie ist dies zu erklären? Auch hier kann man nur vorsichtig interpretieren und sollte tiefergehend forschen. Aber es scheint, dass die Bibliotheken sehr gut für die Nutzer*innen funktionieren, die sie tatsächlich erreichen – also dass sie die vorhandenen Ressourcen (das Budget) sinnvoll einsetzen für die Personen, welche die jeweilige Bibliothek nutzen. Dabei ist es aber offenbar weniger wichtig, wie viele Personen in der Gemeinde wohnen oder erreicht werden. Die schwache Korrelation zwischen den digitalen Medien und den anderen Werten der Bibliotheken scheint erklärbar dadurch, dass diese Medien eher auf Kantonsebene lizenziert werden, also ihre Auswahl (die eh kaum möglich ist, da grösstenteils die gleichen Lizenzen weniger Anbieter genutzt werden) weniger an die Bibliotheken, deren Nutzer*innen und deren jeweiliges lokales Umfeld angepasst sind als die physischen Medien. Die schwache Korrelation mit dem ehrenamtlichen Personal lässt zumindest vermuten, dass fest angestelltes (und dann auch oft bibliothekarisch aus- oder zumindest weitergebildetes Personal) in den Bibliotheken eher zu ähnlichen Arbeitsergebnissen führt, als wenn Arbeiten ehrenamtlich übernommen werden. Man sollte das nicht so interpretieren, dass ehrenamtliches Personal schlechter arbeiten würde, sondern wohl eher, dass es bei seiner Arbeit eigene Schwerpunkte setzt (zum Beispiel mehr auf Leseförderung als Veranstaltungsarbeit fokussiert) als fest angestelltes Personal.24

Abbildung 8: Korrelationstabelle mit allen Variablen für die Daten von 2023, graphische Darstellung.

4. Fazit

In diesem Artikel wurde gezeigt, dass die Daten der schweizerischen Bibliotheksstatistik – hier beschränkt auf die der allgemein öffentlichen Bibliotheken – für mehr Fragen ausgewertet werden können, als nur für den einfachen Vergleich ausgewählter Bibliotheken oder um Argumente für bibliothekspolitische Forderungen zu liefern. Die Daten sind jetzt vollständig genug und ausreichend gut, um für weitere Forschung genutzt zu werden. Damit hat die schweizerische Bibliotheksstatistik zu den nationalen Statistiken in Deutschland und Österreich aufgeschlossen. Die Daten lassen sich mit recht einfachen Mitteln auswerten. Der Autor dieses Textes – welcher die gesamten hier gezeigten Auswertungen vorgenommen hat – hat keine besonderen Kenntnisse in Statistik oder im Programmieren, konnte dies alles aber mit einfachen Mitteln an einem durchschnittlich ausgestatteten Laptop bewerkstelligen.

Sichtbar geworden ist aber, dass es an Diskussionen im Bibliothekswesen darüber fehlt, was eigentlich die Annahmen über das Funktionieren von Bibliotheken sind. Viele Fragen an die Daten lassen sich gar nicht stellen, weil nicht klar ist, wie sich die Zusammenhänge zwischen, zum Beispiel, der Zahl der Arbeitsplätze in Bibliotheken und der Nutzung der Bibliothek zueinander verhalten. Zudem haben diese einfachen Auswertungen wohl auch schon gezeigt, wie weit die bibliothekarischen Diskussionen und die Daten in den Bibliotheksstatistiken auseinander liegen. Mit der schweizerischen Bibliotheksstatistik lässt sich zum Beispiel gar nicht untersuchen, ob die Grösse der Bibliotheken einen Einfluss auf deren Nutzung hat, ganz abgesehen davon, ob und wenn ja wie die Versuche von Bibliotheken, zu «Dritten Orten» zu werden, umgesetzt werden und welchen Einfluss das auf die Arbeitsergebnisse der Bibliotheken hat. Unsichtbar bleiben in den Daten zum Beispiel auch Kinderaudiobooks wie TipTois, Tonies oder Lars, der Lesebär, welche in den letzten Jahren zu «Dauerrennern» in Bibliotheken (und Buchhandlungen) geworden sind, aber bei denen nicht klar ist, wo in den Daten überhaupt deren «Nutzung» eingetragen ist. Auch die zahlreichen in den letzten Jahren eingerichteten «Bibliotheken der Dinge» sind in den Daten nicht sichtbar.

Letztlich ist dieser Text ein Aufruf, gerade an statistisch versierte Kolleg*innen, Forschende und Personen, die in der bibliothekarischen Ausbildung Abschlussarbeiten schreiben, die Daten der Bibliotheksstatistiken für mehr und diversere Fragen zu nutzen als bisher. Sie haben das Potential, mehr darüber zu zeigen, wie Bibliotheken funktionieren, welche sinnvollen bibliothekspolitischen Forderungen gestellt werden können und auch, was von Bibliotheken an Arbeitsergebnissen erwartet werden kann.

Literatur

Bibliosuisse (2020). Richtlinien Öffentliche Bibliotheken. Grundlagen und Empfehlungen zu Personal, Infrastruktur, Angeboten und Leistungen. Qualitätsmanagement. Aarau: Bibliosuisse, 2020, https://www.bibliosuisse.ch/DesktopModules/EasyDNNNews/DocumentDownload.ashx?portalid=0&moduleid=729&articleid=37&documentid=1 Zugriff: 08.10.2024

Bundesamt für Statistik (2024). Definitionen der Variablen der Schweizerischen Bibliotheksstatistik: Referenzdaten und Definitionen der Variablen. Neuchâchtel: Bundesamt für Statistik, https://dam-api.bfs.admin.ch/hub/api/dam/assets/30645434/master Zugriff: 08.10.2024

Bundesamt für Statistik (ohne Jahr, a). Räumliche Typologien, https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/querschnittsthemen/raeumliche-analysen/raeumliche-gliederungen/raeumliche-typologien.html Zugriff: 08.10.2024

Bundesamt für Statistik (ohne Jahr, b). Nutzungsbedingungen. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/bfs/bundesamt-statistik/nutzungsbedingungen.html Zugriff: 08.10.2024

bvoe (2023). Büchereilandkarte. https://www.bvoe.at/ndrp/buechereilandkarte/ Zugriff: 08.10.2024

dbv (ohne Jahr). Publikationen. https://www.bibliotheksverband.de/publikationen Zugriff: 08.10.2024

ISO (Hrsg.) (2022). ISO 2789:2022: Information and documentation — International library statistics. Vernier: International Organization for Standardization, 2022

Kornhausbibliotheken (ohne Jahr). Der Bibliotheksverbund. https://www.kob.ch/die-kornhausbibliotheken/region-bern-mittelland/ Zugriff: 08.10.2024

Schuldt, Karsten (2022). Waren Öffentliche Bibliotheken im DACH-Raum 2020 in einer Krise?: Ein Blick auf die Bibliotheksstatistiken. In: Informationspraxis 8 (2022) 1, https://doi.org/10.11588/ip.2022.1.89240

Schuldt, Karsten (2024). Data for the Article “Einige Anmerkungen zur schweizerischen Bibliotheksstatistik”. https://doi.org/10.5281/zenodo.13937880

Schuldt, Karsten ; Schultze, Simon (2024). Ein Dashboard für die ÖBs der Schweiz. In: Bibliosusse info 6 (2024) 2: 21

Stieber, Martin (2024). Statistik öffentlicher Bibliotheken. Die Zahlen aus der Zeit vor der Corona-Pandemie rücken in Reichweite. In: Büchereiperspektiven (2024) 1: 52–55

Stieber, Martin (2023). Statistik öffentlicher Bibliotheken. Mit viel Einsatz aus der Pandemie. In: Büchereiperspektiven (2023) 1: 52–55


  1. Das ist zumindest der Anspruch. In Einzelfällen stimmt das aber nicht. Zum Beispiel fehlt die Bibliothek St. Moritz – die der Autor mehrfach, zuletzt im Sommer 2024, persönlich besuchte und damit für ihre Existenz bürgen kann – in der Statistik.↩︎

  2. Die Büchereiperspektiven erscheinen seit 1984. Die betreffenden Artikel erschienen aber auch schon in der Vorgängerzeitschrift Erwachsenenbildung in Österreich.↩︎

  3. Das war nicht immer so. Gerade in den 1950er und 1960er Jahren gab es eine ganze Reihe von Veröffentlichungen zur Bibliotheksstatistik. Zudem wurden Daten solcher Statistiken über Jahrzehnte in verschiedener Form publiziert. Der Fokus des vorliegenden Textes ist aber nicht diese Geschichte. In den letzten Jahrzehnten gab es zumindest kaum noch solche Publikationen oder gar inhaltliche Auseinandersetzungen über Möglichkeiten der Bibliotheksstatistik im DACH-Raum.↩︎

  4. Nicht alle Abschlussarbeiten bibliothekarischer Ausbildungsgänge werden veröffentlicht. Insoweit ist diese Aussage mit Vorsicht zu geniessen. Allerdings betreut der Autor dieses Artikels an der Hochschule, an welcher er angestellt ist, selber zahlreiche solche Arbeiten und nimmt auch die an anderen Hochschulen veröffentlichten Arbeiten wahr.↩︎

  5. Letztlich wurden aber die meisten Variablen der schweizerischen Bibliotheksstatistik beibehalten, da diese bereits einen sehr reduzierten Satz an Variablen nutzt. Der Autor dieses Artikels hatte schon mit den Daten von Bibliotheksstatistiken aus Deutschland und Österreich gearbeitet (Schuldt 2022). Diese liefern viel mehr Variablen. Für einen Vergleich über mehrere Länder hinweg müssten also Variablen gewählt werden, die in allen diesen Statistiken enthalten sind und auf Basis der jeweils gleichen Definitionen (beispielsweise dafür, was als Ausleihe gezählt wird) aufgenommen werden. Für Etat-Angaben müsste bei einem solchen Vergleich dann auch noch eine Umrechnung stattfinden, da sie selbstverständlich jeweils in der Landeswährung und auf der Basis des jeweiligen Preisniveaus geliefert werden.↩︎

  6. Diese Bezeichnung wird in der Schweiz für die sonst «suburbaner Raum» genannten Gemeinden verwendet. Für die Definitionen der drei Raumtypen vergleiche Bundesamt für Statistik (ohne Jahr, a).↩︎

  7. In der deutschen Bibliotheksstatistik werden diese Werte schon mitgeliefert, in der schweizerischen nicht. Wie gesagt, haben alle diese nationalen Statistiken ihre Besonderheiten.↩︎

  8. Dies ist selbstverständlich nicht das perfekte Format für einen solchen Export, liefert aber eine Datei, die auch mit Personen geteilt werden kann, welche sich nur beim Umgang mit diesem Format sicher fühlen. Der Erfahrung des Autors nach gilt dies für viele Bibliothekar*innen.↩︎

  9. Dies ist beides auch schon passiert. Das Skript wurde Anfang 2024 erstellt, für die damals vorliegenden Daten der Jahre 2020–2023. Im September 2024 veröffentlichte das Bundesamt Daten für die Jahre 2020–2024. Grundsätzlich wurden diese auch ohne Probleme mit dem gleichen Skript verarbeitet. Allerdings hatte das Bundesamt für die Jahre 2023 und 2024 eine neue Spalte für die Zahl der Einwohner*innen pro Gemeinde eingefügt. Dies verschob die Position zahlreicher anderer Spalten in der Tabelle, ist aber offenbar nirgends dokumentiert, musste deshalb erst in den Daten gefunden und dann im Skript angepasst werden.↩︎

  10. Für die fünf grössten und kleinsten Gemeinden werden jeweils die zehn grössten beziehungsweise kleinsten Gemeinden gewählt.↩︎

  11. Das Bundesamt für Statistik unternimmt in den letzten Jahren Anstrengungen, die von ihm zur Verfügung gestellten Daten sichtbarer zu machen und zu dokumentieren. Aber viel Wissen über diese Daten musste in den letzten Jahren direkt beim Bundesamt oder anderen Personen erfragt werden (beispielsweise bei einem Kollegen des Autors, der für das BfS Fragen der Nutzung von Kulturdaten untersuchte und deshalb genaueren Einblick hatte). Der Autor hatte deshalb mehrfach direkten – immer hilfreichen, offenen und schnellen – Kontakt mit dem Bundesamt, der aber vor allem informell passierte und deshalb nicht dokumentiert ist. Die in diesem Artikel getroffenen Aussagen sind, bis das BfS mehr Dokumentationen veröffentlicht, mit Vorsicht zu geniessen.↩︎

  12. Automatisch heisst hier, dass jeweils geschaut wird, ob in einer Gemeinde mehr als eine allgemein öffentliche Bibliothek existiert und wenn, dann wird die mit den meisten Nutzer*innen beibehalten, während die anderen entfernt werden. Aber dies ist eine unzufriedenstellende Lösung, die mehrere Annahmen trifft, zum Beispiel dass es in jeder Gemeinde höchstens eine allgemein öffentliche Bibliothek gibt. Das gilt beispielsweise für Neuchâtel nicht, wo neben der Bibliothéque publique et universitaire – die trotz dieses Namens heute nicht mehr mit der Universität des Kantons verbunden ist – die Bibliothéque Ludothèque Pestalozzi existiert, welche für Kinder und Jugendliche gedacht ist. Lange Zeit existierten aber auch in zweisprachigen Gemeinden – beispielsweise Biel/Bienne – pro Sprache eine Bibliothek und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dies nicht heute noch teilweise der Fall ist. Heute gibt es zudem eine anhaltende Entwicklung dazu, dass Gemeinden fusionieren und es ist nicht klar, ob dies dann jeweils für die Bibliotheken der fusionierenden Gemeinden gilt oder ob diese nicht – vielleicht auch nur eine Zeit lang, bis alle Fragen geklärt sind – nebeneinander existieren. Besser wäre es also, wenn die Daten in der Bibliotheksstatistik zumindest die richtigen Bibliothekstypen abbilden würden und damit solche nachträglichen Bereinigungen nicht mehr nötig wären.↩︎

  13. In der Schweiz muss diese Literatur von den meisten damit beauftragten Bibliotheken erworben oder von Verlagen erbeten werden. Pflichtexemplargesetze existieren nur in den französischsprachigen Kantonen.↩︎

  14. Geschätzt vom Autor, der in dieser Stadt lebt und deshalb die Stadtbibliothek aus persönlicher Anschauung kennt.↩︎

  15. Die Beispiele Rorschach-Rorschacherberg und Kornhausbibliotheken Bern sind noch einfach zu recherchieren. Aber schon die Frage, ob eventuell andere Gemeinden den Kornhausbibliotheken einen Beitrag bezahlen, damit deren Bewohner*innen auch die Kornhausbibliotheken nutzen können, ist nur durch weitere Recherchen zu klären. (In diesem Fall auf der Homepage der Kornhausbibliotheken (ohne Jahr).) Solche Vereinbarungen zwischen Gemeinden sind nicht selten, wechseln aber mit der Zeit. Für einen umfassenden Vergleich der Ergebnisse von Bibliotheken wäre es also notwendig, dass entweder eine ständig aktualisierte Liste von Gemeinden geführt würde, die auf solche Weise «zusammenspannen» (beispielsweise von den kantonalen Fachstellen oder dem Bibliotheksverband) oder aber, dass die Bibliotheken dies jedes Jahr bei der Abgabe ihrer Daten für die Bibliotheksstatistik meldeten.↩︎

  16. Über die letzten Jahre ist aber auch sichtbar, dass die Qualität besser geworden ist. Wie erwähnt, arbeitete der Autor vor zwei Jahren in einer Studie schon einmal mit diesen Daten. (Schuldt 2022) Die Verbesserung der Qualität seitdem ist auffällig. Beispielsweise liefern die Bibliotheken immer mehr Werte, die mit den Definitionen übereinzustimmen scheinen. Kantonale Fachbeauftragte, der Bibliotheksverband bibliosuisse und das BfS arbeiten, neben den Bibliotheken selber, daran, diese Daten zu verbessern.↩︎

  17. Median ist der Wert, bei dem sich 50 % der Werte über und 50 % darunter befinden. Der Median ist weniger von Extremwerte beeinflusst als der Durchschnitt (welcher immer berechnet wird als die Summe aller Werte durch die Anzahl der Werte).↩︎

  18. Die Daten und das Skript sowie die vollständigen Auswertungen für alle vier Jahre sind frei zugänglich. (Schuldt 2024) In diesem Text werden aber nur einige Beispiele dargestellt.↩︎

  19. Für die Kantone wurden die in der ISO 3166-2:CH definierten Abkürzungen verwendet, aber ohne die Länderkennzeichnung CH. Dies ist das Vorgehen, welches zum Beispiel auch das BfS nutzt. Die Anordnung der Kürzel (umgekehrt alphabetisch) wird von R vorgenommen und ist nicht einfach zu ändern.↩︎

  20. Dies zeigt sich auch für andere, hier nicht gesondert abgebildete Werte, wie Ausleihen oder aktive Nutzer*innen.↩︎

  21. Genutzt wurde dafür die R-Bibliothek «compareGroups 4.0», welche den einfachen Vergleich von Gruppen ermöglicht.↩︎

  22. Auffällig ist auch der durchgehende Wert von «0» für das ehrenamtliche Personal. Hier zeigt sich wohl die Stärke des Medians im Vergleich zum Durchschnitt: Offenbar haben die meisten Bibliotheken (genauer: 475 von 622) gar kein ehrenamtliches Personal. Diejenigen mit ehrenamtlichem Personal finden sich alle im Bereich der obersten 25 %. Nur im ländlichen Raum gibt es eine grössere Anzahl mit (wenig) ehrenamtlichem Personal. Bei der Berechnung des Durchschnitts wären hier Werte erschienen, die schnell so interpretiert hätten werden können, als ob fast alle Bibliotheken ehrenamtliches Personal haben. Aber offenbar ist das meiste Personal in Bibliotheken in der Schweiz fest angestellt, wenn auch – wie die Werte zu den Stellenprozenten zeigen – oft mit einer geringen Stundenzahl.↩︎

  23. In diesem Text aus Platzgründen nicht dargestellt ist, dass sich in den vier Jahren, zu denen diese Daten jetzt vorliegen, zwar die einzelnen Werte, nicht aber die p-Werte geändert haben. Man kann also vermuten, dass sie das «normale Funktionieren» zeitgenössischer Bibliotheken in der Schweiz abbilden.↩︎

  24. Gerade hier wäre eine Auswertung der deutschen und österreichischen Daten interessant, da dort ehrenamtliches Personal in den Bibliotheken teilweise einheitlichere Weiterbildungen erhält und gerade kirchlich getragene Bibliotheken oft auf mehr Infrastruktur zurückgreifen können als in der Schweiz.↩︎


Dr. Karsten Schuldt, ist Wissenschaftlicher Projektleiter am Institut für Informationswissenschaft, FH Graubünden und Redakteur der LIBREAS. Library Ideas.