Digitaler Wandel
Aufgrund der vielen technologischen und damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre, wie massenmarkttaugliche Miniaturisierung und Mobilisierung von Digitaltechnik (zum Beispiel Smartphone Apple iPhone 1 von 2007), Social Media (beispielsweise facebook Start 2004) oder praktisch nutzbare KI-Anwendungen (unter anderem Veröffentlichung von ChatGPT in 2022), stehen die Kultureinrichtungen – wie viele Lebens- und Arbeitsbereiche – vor der permanenten Herausforderung der Anpassung an ein rasant verändertes Umfeld. Im Normalfall stehen den Kultureinrichtungen nur geringe Investitionsmittel zur Verfügung, was zu einer weiteren Öffnung der Schere zwischen Anpassungsdruck und Anpassungsfähigkeit führt. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und Fördermöglichkeiten zur Bewältigung der pandemiebedingten Auswirkungen setzte in vielen Bereichen ein kurzfristiger Digitalisierungsschub ein. Plötzlich verfügbare, teils umfangreiche Fördermittel stellten viele Einrichtungen vor neue Herausforderungen. Insbesondere die klare Formulierung von Anforderungen und das Projektmanagement waren – und sind auch sonst oft – unterschätzte Projektbestandteile, welche sich negativ auf die Realisierbarkeit auswirken können.
Kulturpolitik und Förderung im Land Brandenburg
Bereits Ende 2018 veröffentlichte die Landesregierung Brandenburg die
Zukunftsstrategie Digitales Brandenburg
.1 In
dieser ressortübergreifenden Strategie wurden insgesamt 202 Maßnahmen
beschrieben, davon für den Kulturbereich:
Nr. 126
Sicherung des filmkulturellen Erbes
Nr. 127
Kulturelle Bildung
Nr. 128
Sicherung und Präsentation des kulturellen Erbes und des Kulturgutes
Nr. 129
Entwicklung von Kultureinrichtungen zu modernen Kulturbetrieben
Nr. 130
Digitale Vermittlung kultureller Inhalte und kultureller Angebote
Basierend auf den Maßnahmen 127–1302
wurde die Förderlinie Förderung und Begleitung des digitalen Wandels
im Kulturbereich im Land Brandenburg
(DiWa) durch das Ministerium
für Wissenschaft, Forschung und Kultur entwickelt. Dieses Programm steht
Kulturinstitutionen aller Kulturbereiche (Kulturschaffende,
kulturbewahrende und kulturvermittelnde Einrichtungen sowie
sozio-kulturellen Institutionen) mit Sitz in Brandenburg zur Verfügung.
Die Förderlinie ist zudem in die Digitale Agenda3 und
die Kulturpolitsche Strategie 20244 des Ministeriums für
Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) eingebettet. Erstmalig konnten
Anträge 2021 für eine Förderung im Jahr 2022 gestellt werden.
Die DiWa-Förderlinie umfasste zunächst die Felder:
(1) Entwicklung einer Digitalstrategie und Qualifikation,
(2) IT-Ausstattung und
(3) prototypische Entwicklung neuer künstlerischer Inhalte und Vermittlungsformen.
Bereits seit 2012 werden durch das Land Brandenburg zudem Fördermittel für den Bereich der retrospektiven Digitalisierung von Kulturgut zur Verfügung gestellt. Diese Förderung geht wiederum auf den Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) von 2009 zur Entwicklung der Deutschen Digitalen Bibliothek zurück, welche zudem eine Unterstützung der Einrichtungen durch die jeweiligen Bundesländer vorsah. Im Förderzeitraum 2013–2023 konnten insgesamt 109 Projekte, mit zusammen über 200 Projektbeteiligungen, in Verbund- und Einzelprojekten realisiert werden.5 Ab dem Förderzeitraum 2024 wurde diese Förderlinie in die umfassendere DiWa-Förderlinie6 integriert. Dieses Förderprogramm bietet aktuell somit folgende Maßnahmenbereiche:
Modul A) Strategie und Qualifikation,
Modul B) Digitale Infrastruktur,
Modul C) Retrospektive Digitalisierung und
Modul D) Kunst und Vermittlung.
Die zentrale Verwaltung der Förderlinie obliegt dem MWFK. Für die Beratung im Vorfeld der Antragstellung steht die Koordinierungsstelle Brandenburg-digital7 an der Fachhochschule Potsdam zur Verfügung.
Digitalstrategie
Kernelement der Förderung ist die Digitalstrategie der jeweiligen Einrichtung. Falls diese noch nicht vorhanden ist, können Mittel für Beratungsleistungen und Dienstleistungen Dritter oder projektbezogene zusätzliche Personalausgaben zur Erarbeitung einer eigenen Digitalstrategie beantragt werden. Erst mit dem Vorliegen der Strategie können Maßnahmen aus den anderen Modulen beantragt werden, da eine möglichst zielgerichtete und nachhaltige Förderung angestrebt wird.
Aufgrund der sehr unterschiedlichen Kulturbereiche (von Theater, Orchester, Sozio-Kultur, Musik und Kunstschulen bis hin zu Museen, Archiven und Bibliotheken), der zumeist kommunalen oder freien Trägerschaft (zum Beispiel gemeinnützige Stiftungen und Vereine) und oft sehr knappen personal- und finanziellen Ressourcen, sind Art und Umfang der jeweiligen Strategie sehr unterschiedlich. Ausgangspunkt zur Erstellung einer Digitalstrategie ist die jeweilige Aufgabe der Einrichtung. Daraus ergibt sich das Handeln der Einrichtung inklusive der Auswahl und Nutzung von Systemen.
Im Wesentlichen sollte eine Digitalstrategie auf die ganzheitliche Betrachtung der Kultureinrichtung und ihrer digitalen Entwicklungspotentiale abzielen. Ein zentraler Bereich ist die eigene Verwaltung und Organisation der Einrichtung an sich, unter anderem Gebäude-, Personal- und Finanzverwaltung. Ein weiterer Bereich ist der jeweilige inhaltliche Gegenstand der Arbeit der Kultureinrichtung. Dies kann im Kontext einer Bibliothek beispielsweise der eigene und/oder lizenzierte Bestand oder der zur Verfügung stehende öffentliche Raum (Dritter Ort) sein. Zudem haben alle Kultureinrichtungen den Bereich der zielgruppenspezifischen Kulturangebote, welche eine nutzungszentrierte Sicht erfordern. Für Bibliotheken mit historischen Beständen könnte dies unter anderem das Angebot einer digitalen Zugänglichkeit durch ein digitales Sammlungssystem mit webbasiertem Zugriff sein. Durch eine vergleichende Betrachtung der aktuellen Situation mit den digitalen Erfordernissen, lassen sich Entwicklungsbereiche transparent dokumentieren und Prioritäten für die Umsetzung ableiten.
Eine Digitalstrategie beinhaltet, unter Verweis auf gegebenenfalls bestehende Dokumente, im Wesentlichen folgendes:
Kurzfassung der Aufgabe der jeweiligen Einrichtung (zum Beispiel der Bibliothek)
Kurzfassung der aktuell und mittelfristig verfügbaren Ressourcen (unter anderem Personal und Budget)
Kurzfassung dessen, was im Bereich der Digitalität bereits erfolgte (Ist-Stand)
Betrachtung der Digitalanforderungen
Bereich Verwaltung und Organisation (zum Beispiel Finanzverwaltung)
Bereich des jeweiligen Gegenstandes der Einrichtung (was muss im Vorfeld der Kulturangebote vorhanden sein)
Bereich Kulturangebote (nutzungszentrierte Sicht)
Soll/Ist-Abgleich
Übersicht der künftigen Handlungsfelder, inklusive einer Priorisierung
Digitalisierung der Bibliotheken
Bibliotheken können im Zusammenhang mit dem Thema Digitalisierung auf
eine sehr lange aktive Entwicklung zurückgreifen. Die digitale
Zusammenarbeit im Rahmen der Katalogisierung und übergreifenden
Zugänglichkeit ist für die meisten Bibliotheken alltägliches Geschäft.
Die Erschließung erfolgt in überregionalen Verbünden, wie dem
Gemeinsamen Bibliotheksverbund (GBV), welcher durch die
Universitätsbibliothek Potsdam8 genutzt wird.
Zusätzliche Rechercheoptionen und weitergehende Funktionalitäten bieten
regionale Verbünde, wie der Kooperativen Bibliotheksverbund
Berlin-Brandenburg (KOBV).9 Dieser ist ein
Zusammenschluss von Öffentlichen, Wissenschaftlichen und
Spezialbibliotheken und bietet Dienstleistungen in den Bereichen
Recherche, Archivierung, Katalogisierung und Hosting. Neben den lokalen
Beständen bieten Bibliotheken auch Zugriff auf externe Ressourcen.
Hierfür entwickelten sich verschiedene Lizenzmodelle, wie zum Beispiel
den Nationallizenzen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG),10 dem Angebot onleihe11
für E-Books, Zeitungen und Zeitschriften oder dem Zugriff auf das Portal
filmfriends12 für Öffentliche Bibliotheken.
Darüber hinaus entwickelten sich im Rahmen der erweiterten
Aufgabeninterpretation insbesondere der Öffentlichen Bibliotheken
weitere Bereiche mit digitalen Dimensionen. Hierzu gehört das Konzept
Dritter Ort
,das die Bibliotheksnutzenden stärker in den Fokus
rückt. Neben dem sogenannten ersten Ort (dem Zuhause) und dem zweiten
Ort (dem Arbeitsplatz) wird als ein solcher dritter Ort ein
Sozialraum verstanden. Dieser wird mit bestimmten Eigenschaften, wie
Neutralität, Inklusion, Erreichbarkeit und Zugänglichkeit, offene
Atmosphäre und kontinuierliche Weiterentwicklung, in Verbindung gesetzt.
Die Bedeutung der Arbeit mit Bibliotheksbeständen rückt dabei etwas
zugunsten anderer Wünsche und Anforderungen an den realen, öffentlich
zugänglichen und nutzbaren Raum, den die Bibliotheken bieten, in den
Hintergrund. In diesem Zusammenhang wurden zusätzliche Angebote wie
Makerspaces, Gaming-Areas, Medienwerkstätten, Repair-Cafés,
Bibliotheksgärten und -cafés oder digitale, analoge und interaktive
Veranstaltungsprogramme entwickelt.13 Die Bibliotheken waren
und sind daher oft Vorreiter im Kontext Digitalisierung.
Die genannten Ansätze im Bibliothekswesen sind wegweisend, gehen aber auch mit größeren Veränderungsprozessen hinsichtlich der hierfür erforderlichen räumlichen, personellen, IT-infrastrukturellen und letztlich finanziellen Ressourcen einher. Die Formulierung einer ganzheitlichen Digitalstrategie hilft den Einrichtungen, ihre Realsituation für die Mitarbeitenden, den Träger und potenzielle Förderer transparent dar- und Entwicklungsleitlinien und konkrete Handlungsfelder herauszustellen. Hierbei können sich Bibliotheken zudem auf übergreifende Bibliotheksentwicklungskonzepte14 beziehen.
Da die Öffentlichen Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft sind,
bedeutet dies für die Digitalstrategie, dass eine Einbindung in die
strategische (mittel- und langfristige) Entwicklung des Trägers erfolgen
muss. Liegt eine entsprechende Strategie vor, so können sich
Bibliotheken auch am vorgenannten DiWa-Förderprogramm im Land
Brandenburg beteiligen. Förderfähig wären dabei zum Beispiel
IT-Anschaffungen zur Umsetzung von Maßnahmen im Kontext des Konzeptes
Dritter Ort
, die retrospektive Aufbereitung regional bedeutender
historischer Bestände inklusive anteiliger, projektbezogener Elemente
der Bestandserhaltung, die funktionale Erweiterung der webbasierten
Vermittlungs- und Nutzungsangebote und Qualifikationsmaßnahmen zum
Aufbau notwendiger eigener Kompetenzen.
Neben dem vorgestellten Förderprogramm stehen den Bibliotheken vielfältige regionale und überregionale Förderangebote zur Verfügung. Auch mit Blick auf diese Fördermöglichkeiten stellt die Digitalstrategie eine sinnvolle Kommunikationsgrundlage zur Verfügung. Bibliotheksspezifische Informationen zu Förderoptionen bieten zum Beispiel die Landesfachstelle für Archive und Öffentliche Bibliotheken Brandenburg15 und der dbv16.
(2018) Landesregierung Brandenburg/Staatskanzlei: Zukunftsstrategie Digitales Brandenburg. URL: https://www.demografie-portal.de/DE/Publikationen/2018/zukunftsstrategie-digitales-brandenburg.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎
Ebenda S. 29f.↩︎
(2021) MWFK: Digital Agenda. URL: https://mwfk.brandenburg.de/sixcms/media.php/9/MWFK_digitaleAgenda.pdf (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎
(2024) MWFK: Kulturpolitische Strategie 2024. URL: https://mwfk.brandenburg.de/sixcms/media.php/9/Kulturstrategiebf.pdf (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎
FH Potsdam: Digitalisierung in der Kultur mit Landesförderung. URL: https://www.fh-potsdam.de/hochschule-karriere/organisation/assoziierte-einrichtungen/koordinierungsstelle-brandenburg-digital/digitalisierungsprojekte (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎
(2024) MWFK: Fördergrundsätze des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur zur
Förderung und Begleitung des digitalen Wandels im Kulturbereich im Land Brandenburg 2025
. URL: https://mwfk.brandenburg.de/sixcms/media.php/9/FG%20DIWA.pdf (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎FH Potsdam: Koordinierungsstelle Brandenburg-digital. URL: https://www.fh-potsdam.de/hochschule-karriere/organisation/assoziierte-einrichtungen/koordinierungsstelle-brandenburg-digital (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎
Universität Potsdam: Über die Universitätsbibliothek. URL: https://www.ub.uni-potsdam.de/de/ueber-uns/ueber-die-universitaetsbibliothek (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎
Zuse-Institut Berlin: Kooperativer Bibliotheksverbund Berlin-Brandenburg. URL: https://www.kobv.de/ Aufruf: 1.12.2024)↩︎
DFG: Nationallizenzen. URL: https://www.nationallizenzen.de/ (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎
Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlin: onleihe. URL: https://voebb.onleihe.de/ Aufruf: 1.12.2024)↩︎
filmwerte GmbH: filmfriends. URL: https://www.filmfriend.de/ (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎
(2020) Bibliotheksportal: Der Dritte Ort. Ein vielbeachtetes Konzept im Bibliothekswesen. URL: https://bibliotheksportal.de/informationen/die-bibliothek-als-dritter-ort/dritter-ort/ (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎
dbv: Bibliotheksentwicklungspläne. URL: https://www.bibliotheksverband.de/entwicklungsplaene (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎
FH Potsdam: Bibliotheksberatung. URL: https://www.fh-potsdam.de/hochschule-karriere/organisation/assoziierte-einrichtungen/landesfachstelle-archive-und-oeffentliche-bibliotheken-brandenburg/bibliotheksberatung (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎
dbv: Fördernewsletter. URL: https://www.bibliotheksverband.de/foerdernewsletter (Letzter Aufruf: 1.12.2024)↩︎
Ulf Preuß (https://orcid.org/0000-0003-0626-1968) studierte, nach einer 14-jährigen Tätigkeit in den Bereichen Personal- und Rechnungswesen als Soldat der Bundeswehr, Bibliotheksmanagement BA und Informationswissenschaften MA an der FH Potsdam. Seit Ende 2012 leitet er die Koordinierungsstelle Brandenburg-digital. Damit verbunden ist die Funktion einer Geschäftsstelle für den informellen, kulturspartenübergreifenden Arbeitskreis Brandenburg.digital. Seit 2013 ist er darüber hinaus in Nebentätigkeit engagiert in verschiedenen Studien- und Weiterbildungsprogrammen der FU Berlin, der HU Berlin, der HTW Berlin, der Donau-Universität Krems (Österreich) und der FH Potsdam, in den Themenfeldern bestandsschonende retrospektive Digitalisierung, digitale Präsentation und digitale Archivierung.