> > > LIBREAS. Library Ideas # 45

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doi:10.18452/29143 (edoc HU Berlin)

Von wegen ein Stilles Örtchen


Zitiervorschlag
Julia Kohlbach, "Von wegen ein Stilles Örtchen". LIBREAS. Library Ideas, 45 ().


Es ist nur noch eine Woche bis zur Abgabe meiner Hausarbeit Zeit, da muss ich heute endlich etwas zu Papier bringen. Ich setze mich an meinen Schreibtisch und beginne die ersten Informationen in Sätze zu verpacken. Doch meine WG-Mitbewohner sind mal wieder so laut, dass ich mich nicht auf das Schreiben konzentrieren kann. Wütend packe ich die Bücher, meinen Laptop und eine Wasserflasche zusammen und verlasse die Wohnung.

Schnellen Schrittes gehe ich zur Straßenbahnhaltestelle und fahre Richtung Universitätsbibliothek – da ist es wenigstens leise. Dort angekommen schließe ich meinen Rucksack in einem Spind ein, nehme meine Lernmaterialien und suche mir einen gemütlichen Arbeitsplatz.

Ich bleibe direkt im Erdgeschoss und richte mich an einem Tisch am Fenster ein, mit Blick auf den Bibliotheksgarten, in welchem gerade die Kirschbäume blühen. Ich lasse keine Zeit verstreichen – öffne meinen Laptop und schreibe an meiner Hausarbeit weiter. Doch lange kann ich mich nicht konzentrieren – ständig erfüllt ein lästiges Piepen den ganzen Bibliotheksraum. Ich blicke mich um und sehe, dass an der Ausleihe eine Schar von Nutzenden steht. Der Barcodescanner kommt kaum zur Ruhe – die Geräuschkulisse erinnert eher an einen Supermarkt; keinesfalls an einen stillen Ort zum Lesen und Arbeiten. So kann ich auf keinen Fall meine Hausarbeit schreiben. Also packe ich meine Sachen wieder zusammen und gehe eine Etage weiter nach oben.

Dort suche ich mir wieder einen Platz am Fenster, aber diesmal ohne Aussicht ins Grüne, sondern auf ein neu entstehendes Hochhaus. Und wieder öffne ich meinen Laptop und arbeite weiter. Nach gut einer Stunde trifft schallendes Geschirrgeklapper auf meine Ohren – direkt unter mir ist die Cafeteria, wo gerade der Mittagsbetrieb anläuft. Das darf doch alles nicht wahr sein. Was ist aus dem stillen Ort Bibliothek nur geworden? Um nicht gleich wieder das Weite zu suchen, beschließe ich auch eine kurze Pause zu machen, ein Brötchen zu essen und frische Luft zu schnappen. Nach einer Stunde wird es leiser und ich gehe an meinen Arbeitsplatz zurück, wo ich mich ins Schreiben meines nächsten Kapitels vertiefe. Doch nach kurzer Zeit ertönt erneut das Stapeln von Tassen und Tellern. Jetzt reicht es mir – ich packe meine Sachen zusammen und beschließe in die zweite Etage zu gehen.

In der Abteilung der Sprachwissenschaften kann ich leider keinen Fensterplatz finden und beziehe einen Sitzplatz direkt im Aufgangsbereich. Doch irgendwie komme ich nicht mehr in meinen Schreibfluss zurück, schiebe meinen Laptop beiseite und wälze zunächst umherliegende Fachliteratur. Aber für das Lesen der schwierigen Textpassagen fehlt mir sämtliche Konzentration. Ständig laufen Studierende an mir vorbei. Die Toilettentür fällt ins Schloss und wird direkt wieder geöffnet. Der Fahrstuhl fährt hoch und runter. Konzentration ist da Fehlanzeige, meine Gedanken schweifen zu sämtlichen Geräuschen ab. Und plötzlich wird mir bewusst, wie laut eine Bibliothek doch ist. Von wegen es ist ein stiller und leiser Ort – es müssen nur die Ohren gespitzt werden und man merkt, wie viele Geräusche auch in einem so ehrwürdigen Gebäude vorherrschen.

Noch ein letztes Mal wechsele ich den Platz – packe meine Sachen also wieder zusammen und stiefele in die oberste Etage, wo nur wenige Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Aber ich kann noch ein lauschiges Plätzchen ergattern und lasse mich nieder. Und endlich finde ich hier auch die notwendige Ruhe – keine piependen Scanner, kein klingelndes Telefon, kein Geklapper und Gemurmel aus der Cafeteria und keine stumpfen Schritte von Nutzenden. Meine Finger sprinten nur so über die Tastatur und ich schreibe Seite für Seite. Als ich am vorletzten Absatz angekommen bin, beschließe ich eine kurze Pause zu machen, lehne mich zurück und atme mit einem tiefen Seufzer aus. Dieser erklingt im nun doch stillen Raum so laut, dass ich mir erschrocken die Hand vor den Mund halte. Der Student neben mir schaut auf und wir beginnen beide zu lächeln.

Als plötzlich das Plätschern von Regentropfen auf dem Glasdach der Bibliothek zu hören ist, können wir uns beide das Lachen über einen erneuten Bibliothekssound nicht verkneifen. Schmunzelnd klappen wir die Laptops zu, packen unsere Sachen zusammen und verlassen gemeinsam die Universitätsbibliothek. Einen Ort, dem so viel Ruhe nachgetragen wird und doch unzählige Geräusche im Inneren bereit hält.


Julia Kohlbach studierte Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der HTWK Leipzig. Seit 2018 arbeitet sie an der ThULB Jena.