Anmerkung zum Abstract: Vertiefte Informationen zu den angesprochenen
Projekten sind unter diesen Links zu finden: Spoken Wikisource –
German
1; Joachim Ringelnatz spoken
2; Die Gartenlaube spoken
3; mehr zum Tonstudio4 und
zum DatenlaubeJam
5.
Einleitung
Was meint ihr wohl, was eure Eltern treiben,
Wenn ihr schlafen gehen müßt?
Und sie angeblich noch Briefe schreiben.
Ich kann’s euch sagen: (…)
Ja, was kann man abends alles machen? Lesen, Transkribieren,
Editieren und Edieren. Die Verszeilen An Berliner Kinder
von
Joachim Ringelnatz stehen im Kinder-Verwirr-Buch
von 1931. Das
Gedicht und das Buch wurden transkribiert und sind Teil der
deutschsprachigen Wikisource.6 Man findet den Text
vertont längst auf YouTube,7 seit Weihnachten 2023
auch eingesprochen8 in Wikimedia Commons – verknüpft in
den Wikisourceseiten, in Wikidata und eingebettet in Blogbeiträgen.9 So klingt ’Gesprochene Wikisource’
für uns.
[[Sound of…]] Hackathon, Editathon, dienstags
Anfang 2022 begannen wir beim wöchentlichen DatenlaubeJam
Schriften des Dresdner Geschichtsvereins aus den Jahrzehnten um 1900 für
Transkriptionen mit Wikisource ins Auge zu fassen.10
Ein paar Aktive, andere Freunde des Vereins und die Geschäftsführerin
öffneten von da an dienstags morgens Browser und Webcams, um zu lernen
mit den Methoden der Datenlaube
erst ein Mitgliederverzeichnis
und dann reihenweise Vereinsmitteilungen und Sonderveröffentlichungen in
Wikisource11 neu zu publizieren.12
Hinzu kam das Podcaststudio in der Zentralbibliothek der Staats-,
Landes- und Universitätsbibliothek (SLUB), das 2022 eingerichtet wurde,
als neue Infrastruktur für digitale Töne. Erste Aufnahmen
selbstgewählter Texte entstanden dort an einem vorweihnachtlichen
Dienstagmorgen im Advent gemeinsam: Technikschulung, Gedichte von
Ringelnatz, kurze Artikel aus der Gartenlaube
– eine kleine
Weihnachtsfeier.13 Seitdem wächst die Liste fertiger
Transkriptionen und damit der Fundus umfangreicher Vereinsmitteilungen
um 1900, kurzer und unterhaltender Dresdner Geschichtsblätter
14, die bisher zwar gescannt und mit
Optical Character Recognition (OCR) in digitalen Sammlungen der SLUB
aber gänzlich unbearbeitet zugänglich waren. 2024 werden möglicherweise
einige dieser – unserer – Geschichtsblätter eingesprochen und neu
veröffentlicht, möglicherweise wieder im Advent.
Wichtig dabei: Austausch, Spaß, Reflexion und Gruppendynamik. Von
Hackathon ist immer (dienstags)
15,
einem inoffiziellen Leitspruch des DatenlaubeJams
, gibt es längst
Varianten: Editathon (auch) ist immer
und Hackathon ist immer
(öfter). Fast alle historischen Mittheilungen
des
Geschichtsvereins sind komplett in Wikisource bearbeitet. Die
Autor:innen verwiesen darin auf ihre weiteren Veröffentlichungen und auf
andere Referenzen, zum Beispiel in den Dresdner
Geschichtsblättern
. Diese Verweise können wir in Wikisource direkt
verlinken und in Wikidata nachweisen (WikiCite16).
Band 1 der Geschichtsblätter ist fast komplett, der zweite wird in Kürze
gemeinsam korrigiert, Band 3 folgt.17
Vereins- und Beteiligungsprojekt
Mit dem Seitenprojekt Gesprochene Wikisource
geht es
einerseits um die Inhalte und die Nutzung der historischen Texte. Basis
sind auf der anderen Seite die Textproduktion und -edition: die
Erstellung und das eigenhändige Bearbeiten – also das Transkribieren –
von Vereinsmitteilungen, Aufsätzen und Artikeln als Aktivität des
Geschichtsvereins mit dem Team der Datenlaube
und der
Bibliothek.
Was motiviert uns, als Aktive, Mitglieder des Geschichtsvereins,
Gründer des Datenlaube-Projekts und Mitarbeiter:innen der SLUB? Die
Motivation, mit Wikisource ehrenamtlich tätig zu werden, speist sich aus
eigenem Interesse an Geschichte in Dresden, Anerkennung und dem Gefühl
von Selbstwirksamkeit in einer Gemeinschaft ähnlich tickender
Menschen. Welche Themen wecken überhaupt Interesse? Der Dresdner
Geschichtsverein – vielmehr der historische Vorgängerverein – war als
Herausgeber geschichts(bürger)wissenschaftlicher Schriften äußerst
produktiv. Wir haben hier einen reichen Fundus von Textquellen, die für
Dresden Stadtgeschichte beschreiben. Die SLUB erprobt nebenbei Citizen
Science sowie Crowdsourcing und gewinnt weitere digitale Versionen plus
Katalogisate historischer Drucke.
Teilnehmer:innen am DatenlaubeJam suchen sich Texte selbst aus, die
sie bearbeiten, und sind dann meist begeistert. Diese Bearbeitung ist
zeitlich nicht an den DatenlaubeJam
gebunden und geschieht
unabhängig. Jede:r arbeitet weitgehend autonom in Wikisource und bei
Bedarf mit Wikimedia Commons und Wikidata.
Anerkennung bietet der DatenlaubeJam, die digitale morgendliche
Austauschrunde jeden Dienstag. Aber auch der Geschichtsverein, der
Ergebnisse dieser Arbeiten in Dresdner Heften
, in Vorträgen und
Artikeln aufgreift und publik macht.18
Selbstwirksamkeit entsteht hier aus erlernter digitaler
Methodenkompetenz und gegenseitiger Hilfe. Die Bedienoberfläche von
Wikisource für sich zu erschließen, dort immer sicherer und schneller zu
werden, ist Erfolg und Ansporn. Dabei erhalten alle Unterstützung von
erfahrenen Wikisourclern innerhalb und außerhalb der sich regelmäßig
treffenden Gruppe. Diese Selbstwirksamkeit ist ein gewichtiges Motiv für
diese Form bürgerwissenschaftlichen Arbeitens: Transkriptionen und
Citizen Science mit historischen Quellen der Geschichtswissenschaft,
deren bibliografischer Erschließung, Edition und schließlich Vertonung
für Gesprochene Wikisource
.
Solche selbst vertonten, gesprochenen historischen Quellen fügen dem
Bearbeiten und Erleben eine Stufe hinzu: Sprache und Wahrnehmung der
eigenen Stimme, verschiedene Ausdrucksweisen, Aufnahmetechnik und
gemeinsames Ausprobieren. Oder: Die Scheu, die eigene Stimme zu hören
und sich nicht als Profi zu fühlen, schreckt manche:n letztlich ab,
einen Wikisourcetext einzusprechen oder die Aufnahme dann auch zu
veröffentlichen. So oder so: Das gemeinsame digitale Treffen und
Ausprobieren sowie die technische Einführung im Podcaststudio prägen
indirekt auch die eigene Arbeit an den Quellen, Texten und
Linkzusammenhängen in Wikisource, Wikidata, Commons und in benachbarten
Webprojekten, Blogs und Open-Access-Publikationen wie LIBREAS. Der
Dresdner Geschichtsverein hat mit Wikisource ein Vereinsprojekt entdeckt
und entwickelt. Die Datenlaube
vermittelt digitale Methoden. Die
Bibliothek bietet Räume, Technik und Begleitung und gewinnt Erfahrungen
für die Nutzung des Podcaststudios. Sound
entsteht dabei durch
Kooperation.
Wikisource inklusive Klang mit Sprachen
Die Arbeit an Texten in Wikisource und die Aufnahmen für
Gesprochene Wikisource
offenbaren längst weitere Facetten und
daran anknüpfend Ideen für Neues. Ein paar Beispiele zum
Weiterdenken:
Die Texte werden gelesen, transkribiert und gesprochen nach dem Zwei-Sinne-Prinzip barrierefreier Gestaltung zugänglicher.19
(…) Ich kann’s euch sagen: Da wird geküßt,
Geraucht, getanzt, gesoffen, gefressen,
Da schleichen verdächtige Gäste herbei. (…)
Durch die offene Wikimedia-Infrastruktur und das Podcaststudio der Bibliothek lässt sich Inklusion schnell und unkompliziert verwirklichen. Barrierefreiheit kann so von jeder und jedem selbst umgesetzt werden. Könnten wir den Ansatz ähnlich einfach auf Videospuren mit eingebetteter Gebärdensprache übertragen? Wikimedia Commons speichert auch Videos.
(…) Da wird jede Stufe der Unzucht durchmessen
Bis zur Papagei-Sodomiterei.
Da wird hasardiert um unsagbare Summen.
Da dampft es von Opium und Kokain.
Da wird gepaart, daß die Schädel brummen. (…)
Multilingualität – Vielsprachigkeit: Wikisource gibt es in vielen
Sprachversionen.20 Wikidata bietet multilinguale
Metadaten für all diese Transkriptionen und deren Tonaufnahmen. Wir
können diese Spoken Wikisources
und Podcaststudios in
Bibliotheken zusammen als offene Informationsinfrastruktur denken, in
denen Tonspuren entstehen. Im Idealfall sind das neue offene
Bildungsressourcen mit soliden offenen Metadaten, verknüpfbar, leicht
einzubetten, einfach benutzbar und damit nützlich auch an potentiell
vielen anderen Stellen im offenen Web.
Verlinkendes Datendenken21: Wir können mit
Tonaufnahmen transkribierter Wikisourcetexte und mit deren offenen
Metadaten in Wikidata Linked Open Data
-Methoden neu
beziehungsweise anders vermitteln. Wie verändert sich dann unsere Idee
der Digitalen Bibliothek
, wenn wir alles
(immer öfter und
systematischer) abtippen, transkribieren und/oder ein- und aussprechen,
vertonen, annotieren und offen erschließen?
The Sound of Gesprochene Wikisource
ist ein Resonanzraum: für
Menschen in Bibliotheken und deren offene Daten; für Ideen, was man mit
solchen Daten alles machen kann; für und mit Gemeinschaften, die neue
Medien erzeugen.
(…) Ach schweigen wir lieber. — Pfui Spinne, Berlin!
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Spoken_Wikisource\_-\_German↩︎
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Joachim_Ringelnatz_spoken↩︎
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Die_Gartenlaube_spoken↩︎
Jens Bemme und Juliane Flade: Hat man da schon Töne? So funktioniert Gesprochene Wikisource, SLUB Open Science Lab, 20. Dezember 2023, https://osl.hypotheses.org/9881↩︎
https://www.slub-dresden.de/besuchen/arbeitsplaetze-und-arbeitsraeume/podcaststudio↩︎
https://de.wikiversity.org/wiki/DieDatenlaube/Notizen/2022↩︎
https://de.wikiversity.org/wiki/DieDatenlaube/Gesprochene_Wikisource#Dezember_2022↩︎
https://de.wikisource.org/wiki/Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter↩︎
https://de.wikiversity.org/wiki/DieDatenlaube/Notizen/GeNeMe_Abstrakt↩︎
https://de.wikisource.org/wiki/Dresdner_Geschichtsverein#Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter↩︎
https://www.dresdner-geschichtsverein.de/dresdner_hefte.html↩︎
https://www.dguv.de/barrierefrei/grundlagen/anwendung/ergonomie/zwei-sinne/index.jsp↩︎
https://blog.slub-dresden.de/beitrag/2021/07/21/heimatforschung-mit-wikidata↩︎
Jens Bemme (https://orcid.org/0000-0001-6860-0924) studierte Verkehrswirtschaft und Lateinamerikastudien. Heute interessiert er sich für Dorfbacköfen und historisches Radfahrerwissen um 1900 in der Oberlausitz und der Ostseeprovinzen. Mit der ‘Datenlaube’ und Christian Erlinger erschließt er Wikisource-Volltexte der Illustrierten ‘Die Gartenlaube’ offen in Wikidata. Als Mitarbeiter der SLUB Dresden begleitet Jens landeskundliche Citizen Science-Initiativen insbesondere mit den digitalen Werkzeugen und Gemeinschaften der Wikimedia-Bewegung. Mastodon: JensB@openbiblio.social
Dr. Caroline Förster ist seit 2021 Geschäftsführerin des Dresdner Geschichtsvereins und gibt in dieser Funktion die Dresdner Hefte heraus. Sie studierte Geschichte und Kommunikationswissenschaft an der TU Dresden und arbeitete festangestellt und freiberuflich im Bereich der Wissenschaftskommunikation. Die promovierte Historikerin engagiert sich in verschiedenen Ehrenämtern, darunter zum Beispiel bei Memorare Pacem e. V. – einem Verein, der sich seit 1990er Jahren mit den Fragen der Erinnerungskulturen in Dresden beschäftigt.
Juliane Flade (https://orcid.org/0000-0002-3249-7299) studierte an der TU Dresden Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaften. Ihr Schwerpunkt lag hierbei auf der Literatur der Gegenwart im ländlichen Raum. Vor ihrem Studium arbeitete sie als Logopädin. Aktuell ist sie in der SLUB Dresden als Projektmanagerin für Inklusion und Citizen Science tätig. Dabei ist ihr Ziel Quellen, Wissen und die Bibliothek zugänglicher zu machen. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt Gesprochene Wikisource.